Schmitz, Richard - Die Sünde wider den Heiligen Geist

Schmitz, Richard - Die Sünde wider den Heiligen Geist

Bundes-Verlag, Witten
1936

Den Text gibt es als kostenloses eBook in der Lesekammer

Das Wesen der Sünde

Wenn wir uns anschicken, das Nachtgebiet der Sünde zu betreten und zu untersuchen, was es mit ihm auf sich hat, so geht es uns wie dem Alpensteiger, der an einer steilen Felswand ankommt und erschrocken stillesteht, da vor ihm gähnend eine schauerliche Tiefe sich auftut. Das Sündenverderben ist abgrundtief; wer kann es ergründen? Nur er, der Herr! Wir schauen von ihm nur soviel, als die Gnade uns offenbart. Dieser Verderbensabgrund ist aber im Menschen selber; wir sind Zuschauer und Handelnde zugleich- wir sehen Vorgänge, die in uns selbst ihren Ablauf finden. Wir sind Beteiligte; wir wollen daher erfahren, was Sünde ist und wohin sie führt, wenn ihr nicht Einhalt geboten wird. Das letzte Geheimnis bleibt uns jedoch verborgen; es wird nur den Verdammten bekannt; es hier zu schauen, würde Hölle sein. Nur leichte, äußere Umrisse können wir zeichnen; sie genügen aber, um die Hände zu falten und zu beten: „Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen!“

Wir stellen zunächst fest, daß die Sünde eine Störung ist, und zwar eine solche Störung, die hinabgreift in die innersten Grundlagen des Menschen, so tief, daß das Böse in ihm naturhaft geworden ist. Die Sünde ist nicht nur Gebrechen, sondern Zustand. Darum geht schon 1.Mo. 6,5 das Urteil Gottes dahin, daß „das Dichten und Trachten des Menschen böse ist immerdar“, d.h. die ganze Denkweise und Willensrichtung des Menschen, die Quelle aller unserer Handlungen, ist von Grund aus verdorben und vergiftet, so daß kein Dasein möglich ist, das nicht von Sünde beherrscht wäre. David kannte dieses Wort, und er bekennt: „Siehe, ich bin in sündlichem Wesen geboren, und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen“ (Ps. 51,7). Jesus spricht das gleiche aus mit den starken Worten: „Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch“ (Joh. 3,6), um gleichzeitig zu erklären, daß den Menschen nur geholfen werden kann durch eine Neugeburt aus Gott, die einer Neuschöpfung gleichkommt.

Soweit der Schriftbeweis. Es lehrt dies auch die Erfahrung. Nur ein seichter, überlebter „Idealismus“, den man allerdings immer wieder aufwärmt, möchte gern daran vorbei; denn es gefällt ihm jene Feststellung recht wenig. Er bemüht sich mit allen Künsten, das Böse im Menschen auf Fehler der Erziehung und auf die Macht schlechten Beispiels zurückzuführen: Der Mensch ist gut, er darf nur nicht verdorben werden! Aber man muß doch zugeben, daß der Mensch, so wie er sich entfaltet, die Sünde gleichzeitig aus sich heraussetzt, diese also in ihm naturhaft verwurzelt sein muß. Es überrascht deswegen nicht, daß das Gute immerhin der Mühe und des Kampfes bedarf, während der Fortschritt des Bösen leicht und mühelos vor sich geht. Es kann die Tünche der Kultur das Böse wohl verdecken und verfeinern, nicht aber befestigen.

Die Sünde, als eine Störung und als ein Zustand, der der menschlichen Wesenheit anhaftet und die von Geschlecht zu Geschlecht wie eine schleichende Krankheit sich forterbt, ist ein Tatbestand, der jedoch nicht auf den Schöpfer zurückgeführt werden kann. Wodurch aber ist dieser Zustand herbeigeführt worden? Wir würden auf diese Frage leichter antworten können, wenn in irgendeinem Augenblick unseres Lebens ein Übergang aus einem sündlosen Dasein in den durch die Sünde entzweiten Zustand statthätte. Dies ist nicht der Fall. Es kann uns also die Kunde nur von außen her kommen. Gott selber hat sie uns gegeben. Wir finden sie im dritten Kapitel es ersten Buches Mose. Hier erhalten wir Aufschlüsse, die hell hineinleuchten in alles Dunkel menschlicher Rätsel. Hier werden Fragen gelöste, die anders ewig unbeantwortet geblieben wären, und gleichzeitig enthüllt sich hier ein Liebesplan Gottes, der die Aufhebung aller Störung der Sünde in Aussicht stellt.

Jener Bericht sagt uns über das Wesen der menschlichen Sünde genug, gerade soviel, wie uns nötig ist. Wir erfahren, daß sie durch eine fremde Macht, durch Satan - denn dieser redet aus der Schlange als einem Medium - in die Menschen hineingetragen ist. Dieser satanische Ursprung der Sünde bestimmt erklärlicherweise deren Wesen; sie trägt an sich satanischen Charakter. War Satans Sünde die Auflehnung wider Gott, so ist diese auch das Grundwesen der menschlichen Sünde; der natürliche Mensch steht vermöge der Sünde in steter Auflehnung wider Gott (Röm. 8,7). Damit ist der Fall des Menschen aber ebenfalls Abfall von Gott; aber nicht erlösungsunfähig und rettungslos, wie bei Satan, sondern bedingt und auf Erlösung eingestellt. Die innerste Festung des Menschen, das Gewissen, ist für Gott offengeblieben; der Mensch kann zu Gott zurückkehren.

Alles dies zeigt uns der Bericht über den Sündenfall in Eden mit aller Deutlichkeit. Nicht ist der Fall des Menschen aus seinem Eigenen hervorgegangen; anders wäre die menschliche Sünde von vornherein satanisiert. Er ist vielmehr durch Verführung herbeigeführt (1.Tim. 2,14), und auf dieser Stufe stehengeblieben. Die menschliche Sünde hat ihre Kraft auch in der Verlockung behalten, und die Schrift redet daher von einem „Betrug der Sünde“ (Heb. 3,13). Auf dieser Stufe steht daher der Mensch eigentlich noch in der Mitte zwischen Satan und Gott. Die Würfel seines Schicksals sind noch nicht endgültig gefallen. Satanische und göttliche Einwirkungen kommen gleichermaßen an den Menschen heran und fordern unausgesetzt seine Entscheidung heraus. Ihnen gegenüber kann der Mensch auf die Dauer sich nicht auf der Stufe der Unwissenheit halten. Er wird aus der Ohnseitigkeit herausgedrängt und muß sich erklären für Gott oder für Satan. Es geschieht dies in dem Maße, wie die Unwissenheit aufhört und er ein Wissender wird. Er kann als solcher nicht mehr sündigen wie vordem. Die Sünde ist ihrer täuschenden Verhüllung entkleidet und als Störung, als das größte Übel erkannt. Hier ist der Punkt, wo die menschliche Verantwortung beginnt. Der Mensch ist an einer Wegscheide angelangt, und der Schritt zur vollendeten Sünde ist oft nicht weit. War der Abfall im Paradies noch bedingt, so kann er auswachsen zur satanischen Sünde, die eine Rückkehr nicht kennt. - Die Geschichte des Sündenfalls gibt uns zum Verständnis der Sünde in ihrem Wesen und Schicksal bereits den Schlüssel in die Hand.

Wir erfahren aber noch mehr. Der Unterlegene ist immer der Hörige dessen, der ihn unterworfen hat. Satan hat den Menschen in seine Hand bekommen, und er macht seinen Herrschaftsanspruch geltend. Gott selbst redet von dem kommenden Heil als von einer Vernichtung der Satansgewalt; der Weibessame werde der Schlange den Kopf zertreten. Sünde ist nicht ein bloßer Begriff; wenn das der Fall wäre, könnte sie durch Belehrung und durch Vernunftschlüsse überwunden werden. Die Sünde ist vielmehr eine Macht, uns sie spottet aller Einsichten und Vorsätze. Mit unsichtbaren Fäden ist der Mensch an sie gebunden; aber sie sind stark wie die Hölle. Aus dem eigenen Innern steigen die Begierden auf, und wo man schon mit ihnen sich einläßt, schwingen sie ihre Geißel. Die eigene Lust wird zur Gebieterin, der man nicht entflieht. Wer mit ihr spielt, herzt eine Schlange, die ihn erdrosselt; wenn „die Sünde vollendet ist, gebiert sie den Tod“ (Jak. 1,15). Sie ist gefährlicher als Dynamit, weil sie die Seele zugrunderichtet. Hinter ihr steht Satan selbst, dem sie ihren Ursprung verdankt. Es ist ihm aber leicht geworden, den Menschen unter seiner Herrschaft zu behalten, da dieser ihm vermöge des eigenen Sündenhanges mit Lust und Liebe dient. Dann aber kehrt er sich gegen sein ihm willenlos preisgegebenes Opfer mit höhnendem Spott: Es geschieht dir recht! Er hat sein Wohlgefallen daran, den Menschen bereits hier mit teuflischer Lust zu peinigen. Die Sünde ist schon Hölle, weil Satansherrschaft, deren Gebiet sie ist. Wehe dem, der ihr ergeben bleibt! Er wäre besser nie geboren!

Das Wort „Sünde“ selbst kommt in der Bibel zum erstenmal schon im folgenden Kapitel (1.Mo. 4,7) vor. Wir empfangen hier eine weitere wertvolle Belehrung, was es mit ihr auf sich hat, und zugleich wird das vorher Gesagte beleuchtet. Gott redet hier zu Kain und sagt: „Wenn du fromm (aufrichtig, ohne Falsch und Tücke) bist, so bist du angenehm; wenn du aber nicht fromm bist, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie!“ Als eine Macht wird sie schon hier angesprochen, die darauf aus sei, den Menschen zu überwältigen. Sie wird hier verpersönlicht, und es wird von ihr gesagt, daß sie lauere an der Schwelle des Innenlebens, und daß sie Verlangen danach trage, dies innerste Gebiet, das Gott für sich vorbehalten, zu besetzen und von hier aus den Menschen ganz und völlig in die Hand zu bekommen.

Nun lesen wir 1.Joh. 3,12, daß Kain „vom Argen“ war. Bei ihm, dem ersten geborenen Menschen, wird bis zum letzten das Böse schon herausgestellt. Wie ist es nur möglich, daß es bei ihm schon zur vollen Ausgeburt der Sünde kommen konnte? Wie kommt es, daß bereits der erste Sohn der Eva, auf den sie ihre Hoffnung gesetzt, eine volle Beute Satans wurde? War er nicht religiös? Ganz gewiß, so wie es auch der Teufel ist. Kain opferte; aber das Opfer brachte seine tückische und heuchlerische Gesinnung zutage. Es steht ihm sein jüngerer Bruder im Wege; er hat das sanfte Muttersöhnchen nie leiden mögen. Nun soll dieser auch noch der Liebling Gottes sein, während er selbst von Gott verworfen erscheint? Kain ist voll Unmutes; er nährt ihn in seinem Busen, und sein Bruderhaß wird dabei zum Gotteshaß. Das unterschiedliche Verfahren Gottes erscheint ihm ungerecht; alle Scheu vor Gott wirft er beiseite. Er brütet und sinnt auf Rache, und seine Gebärden verstellen sich. Zornesröte steigt auf in sein Angesicht, und seine Augen glühen. Satan hat Einzug gehalten und läßt ihn nicht mehr los. Brudermord? Schon erschrickt er nicht mehr vor diesem Gedanken. Er weidet sich an ihm. Da vertritt Gott ihm den Weg; warnend redet er zu ihm die obigen Worte. Frevelnd aber schlägt Kain sie in den Wind. Satans Macht ist nun gefestigt. Das Geschick Kains vollendet sich. Wie später Judas, dessen Vorläufer er ist, verstellt er sich in freundlicher Zusprache; brüderlich lockt er den arglosen Abel hinaus auf sein wohlgepflegtes Feld. Die Keule liegt hier versteckt bereit - auf der Erde fließt nun das erste Märtyrerblut. Abel wurde um seiner Frömmigkeit willen zu Tode gebracht. Buße kommt bei Kain nicht auf; trotzig steht er vor Gott, dessen Richterspruch auf der Stelle folgt.

Kain ist das Abbild aller derer, die frevelnd mit der Sünde spielen und dann vor der verruchten Tat nicht mehr zurückschrecken. Die verstrickende Macht der Sünde umschlingt mit ihren gewaltigen Fangarmen jeden, der sich ihr hingibt. Erkenntnis ist vielfach genug da, und Gott redet durch das Gewissen eine erzitternmachende Sprache. Die Bekehrung ist aber immer und vor allem Befreiung von der Herrschaft der Sünde. Ihre Macht ist jedoch so groß, daß nur die Allmacht der Gnade Gottes jene Befreiung zuwegebringen kann. Wohl dem, der sie in Anspruch nimmt und erfährt!

Zu wenig erkannt und beachtet wird die Steigerung der Sünde. Sie ist begründet in dem allgemeinen Weltgesetz der Entwicklung. Das Machtverhältnis der Sünde nimmt zu und gewinnt durch jede Sünde, die in derselben Richtung begangen wird, an Gebiet. Sie hat eine starke beharrende Kraft und läßt sich nicht vertreiben. Sie sucht vielmehr stetig neues Gebiet zu erobern und darin sich zu festigen. Jeder weiß und erfährt es, und die Schrift bietet dafür viele Belege. Schon ein altbekanntes Sprichwort drückt es aus: Gibst du der Sünde den kleinen Finger, so nimmt sie die ganze Hand! Aus einem kleinen Feuer wird ein großes Feuer, und eine einzige Distel kann mit der Zeit den ganzen Acker verderben. Ein Dieb ist man nicht, man wird es. Jede Sünde hat ihre Geschichte. „Das ist der Fluch der bösen Tat, daß sie fortzeugend Böses muß gebären!“ Die Steigerung der Sünde birgt in sich ein furchtbares Geheimnis!

Ein Segen ist es, daß dies Entwicklungsgesetz der Sünde von der Allmählichkeit bestimmt wird. Nicht eine einmalige Willensentscheidung kann den Menschen zum vollendeten Bösewicht machen. Unmerkbar sind die Übergänge; allerdings um so verhängnisvoller. Die Sünde beschreibt die Linie einer schiefen Ebene und gewinnt damit lebendige Kraft, die sie zunehmend stärker ins Rollen bringt. Damit die Erde nicht zur Hölle werde, hat Gott freilich Hemmungen in die Sünde eingebaut, indem er sie zur Rute machte: Wer da sündigt, verderbt sich selbst! Gott legt damit der Sünde Zügel an und macht es dem Menschen schwer, zur vollendeten Sünde weiterzuschreiten.

In enger Gefolgschaft mit dieser Allmählichkeit steht aber ein anderes: die Gewohnheit, die es in der Sünde zur Fertigkeit bringt. Eine solche Gewohnheit gibt es auch im Guten (Heb. 5,14), die immer geübtere Sinne verleiht, das Gute von dem Schlechten zu unterscheiden, und das Gute zu tun. Umgekehrt ist es mit der Gewohnheit in der Sünde, indem sie die Sinne abstumpft und ein Bewußtsein über die zerstörenden Wirkungen der Sünde nicht aufkommen läßt. Die Gewohnheit kann es zu einer Meisterschaft im Sündigen bringen, so daß der Sündenbegriff erblaßt und erlöscht und das Gewissen zum Schweigen kommt. Jede Gewohnheit schafft einen Reiz und ein Bedürfnis, dieselbe Tat zu wiederholen, die eine Befriedigung gewährt. Die Sündenbegierde ist unersättlich, so unvernünftig sie auch ist. Sie verlangt fortwährend stärkere Mittel, um sie zu befriedigen. Die Gewohnheit der Lust wird zur Last und zu einem Laster zugleich; die Ketten werden immer enger und fester geschmiedet, und die Gewohnheit wird zum Schicksal. Darin besteht das Dämonische der Sünde, daß der Gekettete „seine Ketten sieht und ihr Klirren hört“, ohne den ernsthaften Wunsch zu haben, daß sie zerbrochen werden. Darin vollzieht sich die Steigerung der Sünde.

Wir schließen mit einigen praktischen Bemerkungen: Zunächst möge es nicht unausgesprochen bleiben, daß von jedem Punkte aus, den die Entfaltung der Sünde macht, ein Rückzug möglich ist. Die Allmacht der Gnade ist so groß, daß sie auch „aus dem Tiefsten“ heraus zu erretten vermag (Heb. 7,25). Immer aber hat eine rückhaltlose Preisgabe der Sünde und eine entschlossene Hingabe an Christus zu geschehen. Je länger jemand in der Sünde fortschreitet, desto mehr befestigt sie sich und desto seltener erfolgt eine Bekehrung.

Ein anderes. Wir beten oft und heiß um die Bekehrung eines Nahestehenden; aber das Gegenteil tritt ein. Sollen wir die Fürbitte einstellen? Mitnichten! Vielfach muß sich die Sünde erst vollständig entfalten, damit sie ebenso gründlich überwunden werden kann. Es muß die Sünde eine bestimmte Gestalt gewinnen, damit es zur Buße und zum Kampf wider die Sünde kommen kann. Es ist eine Krisis, die die bisher verborgenen Krankheiterscheinungen nach außen bringt, um sie ausscheiden zu können. Ohne gründliche Sündenerkenntnis ist noch niemand zu rechtschaffener Buße und zum Glauben an den Sündenerretter gelangt.

Jede Krisis ist eine Zeit der Entscheidung; es muß zur Besserung oder zur Verschlimmerung, zum Guten oder zum Bösen ausschlagen. Sie ist ein Durchgangsstadium, das zu Neuem überleitet. Schlimm ist es, wenn es nicht zur Ausstoßung der Krankheitserreger kommt, sondern wenn sie sich nach innen zurückziehen und hier sich festsetzen. Es tritt dann ein Dauerzustand ein, dem selten abzuhelfen ist, da eine neue Krisis, die zu Hoffnungen berechtigt, nur in wenigen Fällen ausbricht. Das Erlöschen aber der Lebenskraft - jener gewaltigen Rückwirkung, die sich gegen jede Störung aufbäumt - ist ein Zeichen, daß die Krankheit sich vollendet; wenn der Mensch aufhört, die Sünde schmerzlich zu empfinden und ihrer Gewalt sich dumpf hingibt, nimmt sie ihn mit furchtbarem Ernst beim Worte.

Jede Erweckung ist eine solche Krisis. Erweckung ist aber noch nicht Bekehrung; es sind in ihr jedoch Kräfte wirksam, die auf eine echte Bekehrung hindrängen und normalerweise zu ihr führen. Nicht gut ist es, wenn es nicht zu einer Bekehrung kommt, denn eine neue Erweckung tritt selten mit der gleichen Stärke auf wie die erste. Auf die Überwindung der Sünde und auf die Überwindung dieser gewaltigen Störung, die schlimmer ist, als wenn Sterne am Himmel aus ihrer Bahn gleiten, hat Gott es aber mit der Bekehrung eines Menschen abgesehen. Dazu ist der Sohn Gottes in die Menschheitslinie eingetreten, daß er der Sünde einen Garaus mache. Täuschen wir uns nicht, als ob Gott darauf verzichten könne! Wir fürchten eine fälschliche Vollkommenheitslehre, aber ebensosehr eine Beseligungstheorie, die eine wahrhafte Wiedergeburt aus dem Wort und Geiste Gottes bewußt oder unbewußt beiseitesetze.

Verstockung

Das Wort „Verstockung“ ist eine bildliche Redeweise. Es kommt schon im Alten Testament vor, und es ist verstanden worden. Ein Naturvorgang dient als Gleichnis. Gibt es in der weiten Schöpfung etwas Traurigeres, als den Anblick einer Pflanze, die, zum Leben erwacht und üppig emporgeschossen, mitten in dem Prozeß ihrer Entfaltung verkümmert und nach und nach ihr Leben einbüßt, sich verhärtet und dann ganz verstockt? Wir schreiten durch den Wald; ringsum stolze Baumriesen voll kraftstrotzenden Lebens, und dicht daneben, von ihnen beschattet, jene Entartungen hingesiechter und zuletzt verdorrter Baumzwerge - unter gleichen Lebensbedingungen wie jene, sind sie dennoch untergegangen. Sie kamen nicht mit, und ihre Kronen haben nie im Sonnenglanz sich gewiegt. Warum nicht? Von Anfang an waren Hemmungen vorhanden, denen sie erlagen. Forschen wir näher nach, so finden wir, daß sie verborgenen Ursachen zum Opfer gefallen sind. Das unsichtbare Wurzelgebiet, die geheimnisvolle Werkstätte alles Pflanzenlebens, ging nicht in die Tiefe, und darum mußte die Pflanze ersterben, die so hoffnungsvoll ihr Dasein begonnen. Die Saugwurzeln schafften die Ernährung nicht herbei, deren die Pflanze zu ihrer Entfaltung bedurfte; damit zerstörte sie selbst ihr eigenes Leben - Selbstmörder der Natur! Geschwächt und erkrankt im innersten Mark, konnten sie sich der vernichtenden Mächte nicht erwehren, und bald besorgte ein verborgener Wurmfraß das übrige. Eine Zeitlang sieht man dies sterbende Krüppelholz noch im Walde; aber nicht lange - dafür sorgt schon das wachsame Auge des Försters. Auch die Natur ist unerbittlich. Keinen Luxus erlaubt sie sich, ebensowenig duldet sie Eingriffe in ihr verborgenes Walten. Verschwenderisch ist sie mit ihren Gaben; reich ist ihr Vermögen, ihren Kindern, die sie in Pflege genommen, zur gedeihlichen und vollen Entfaltung zu verhelfen. Nichts aber tut sie zum wiederholten Male. Unbeugsam beharrt sie bei der Gesetzmäßigkeit, unter die der Schöpfer sie gestellt hat.

Die Natur redet immer eine deutliche Sprache. Darum kann sie auch zum Gleichnis dienen und Übersinnliches erläutern. Es walten hier die gleichen Gesetze des ewigen Gottes. Gibt es auch eine Verstockung im geistlichen Sinne? Die Schrift sagt es, und darum ist es auch so. Stets aber tritt sie nur da ein, wo göttliche Einwirkungen stattgefunden haben und man sein Walten gespürt hat. Wir sehen dies schon bei Pharao, wo zum erstenmal das Wort „verstocken“ vorkommt. Gott ließ ihn durch die Wunderzeichen seines Knechtes Mose erkennen, daß er der Herr sei. Einiges konnten die ägyptischen Zauberer nachmachen; dann aber hörte ihre Kunst auf - sie mußten bekennen: „Das ist Gottes Finger!“ (2.Mo. 8,15). Aber der allgewaltige Alleinherrscher hörte nicht auf die Forderungen Gottes; er war nicht gewohnt, sich zu beugen, auch nicht vor dem allerhöchsten Gott. Er verstockte sein Herz, und dann verstockte Gott ihn. Bewußt verhärtete er sich, und darum gab Gott ihn dahin. Gott war in sein Leben eingetreten; er erkannte es, aber er unterwarf sich nicht. Nun setzten die zermalmenden Gerichte Gottes ein; Pharao hatte sie herausgefordert 1). Gott läßt sich nicht spotten.

Eine andere, noch ernstere Sprache redet die Verstockung Israels. Wo ist ein Volk, dem Gott so nahegetreten und das so viele Machtbeweise seiner Güte erfahren hat, als dies Volk! Er hat es gegängelt von Jugend auf, und hohe Lebensoffenbarungen sind ihm zuteil geworden durch seine heiligen Propheten. Zuletzt hat er ihm seinen Sohn gesandt, beglaubigt durch Zeichen und Wunder, das Land erfüllend mit der Botschaft seines Evangeliums. Es erlebte die Ausgießung des Heiligen Geistes, und in der Kraft dieses Geistes durchbohrte das Zeugnis der Apostel die Herzen und Gewissen, so daß es gegenüber dieser überführenden Gewalt des Geistes Gottes kein Ausweichen mehr gab. Aber wie seit alters war ihr Rücken hart und ihre Stirn ehern; sie widerstrebten wie alle ihre Väter. Kann Gott dies sich gefallen lassen? So hoch das Volk gestellt worden ist, so tief mußte es fallen. Seit zwei Jahrtausenden irrt es in der Fremde umher; als ein aufgerichtetes Denkmal des Ernstes Gottes steht es da unter den Völkern. „Ihre Sinne sind verstockt, und bis auf den heutigen Tag hängt die Decke vor ihren Augen.“ (2.Kor. 3,14)

Verstockung ist Selbstverschuldung und Gottesgericht zugleich. Erst verschließt sich der Mensch, dann wird er von Gott verschlossen. Der beharrenden Abweichung göttlicher Wahrheit folgt notwendig die Unfähigkeit, Gott zu erkennen. Es ist das Gesetz von Wirkung und Folge. Wie in der Natur, so wirkt es sich auch hier nicht unmittelbar mit einem Male aus; wie sie Nachsicht übt und lange warten kann, so tut Gott es auch beim Menschen. Auch ein Pharao wußte schon vorher etwas vom Gott Israels; er wurde dann durch die Zeichen und Wunder des Mose zur Entscheidung gedrängt, die Oberhoheit des Gottes Israels anzuerkennen. Er tat es nicht, und das war sein Untergang. Die Geduld Gottes sehen wir bei Israel aufs höchste gesteigert; lange hat er sich allen Widerstand gefallen lassen. Unter den Erweisungen göttlicher Bezeugungen aber hat das Volk sich verhärtet und das Maß seiner schuld vollgemacht; selbst bereitete es sich seine Verwerfung, die sein Schicksal geworden - Verstockung ist kein abgegrenzter, gedanklicher Begriff, sondern ein Tatbestand, der sich auch im Einzelleben als Folge zusammenhängender Vorgänge notwendig ergibt. Sie setzt aber immer ein gewisses Maß von Gotteserkenntnis und Gotterleben voraus.

In der Grundsprache des Alten Testaments verbindet sich mit dem Wort „verstocken“ die Vorstellung des Verschanzens. Es werden Wälle aufgeworfen und der Zutritt wird versperrt. Es gibt Menschen, die bringen es mit ihren Befestigungen wider die Wahrheit Gottes weit; sie wollen sie nicht an sich herankommen lassen. Kaum eine Stelle wird freigelassen, durch die sie eindringen könnte. Man sieht in Gott einen Feind, der einen in der behaglichen Ruhe stören könnte, die das alte Leben gewährt. Sein Diesseitigkeitsleben gefällt dem Menschen, darum wird jeder Versuch, in dasselbe einzubrechen, abgewehrt. Das Wort der Wahrheit Gottes prallt ab; man gewährt ihm keine Aufnahme, und zwar geschieht dies bewußt. Man hält die Burg verschlossen, und jedem Ansturm leistet man Widerstand. Diese Verschanzung wider die Wahrheit bereitet die Verstockung vor und vollenndet sie.

Im Neuen Testament hat das Wort „Verstockung“ die Bedeutung von Starrsinn; als Beifügung zu einem andern Hauptwort redet die Schrift von Herzenshärtigkeit (Mat. 19,8; Mk. 10,5; 16,4) und von Halsstarrigkeit (Apg. 7,51). Immer ist gemeint ein starrsinniges, hartnäckiges Widerstreben gegenüber dem Wort des Lebens und dem Gnadenangebot Gottes im Evangelium. Sinnverwandt mit dem Ausdruck „verstocken“ wird vielfach auch ein anderes Wort gebraucht, das mit „versteinern“ übersetzt werden kann; es wird auch auf Schwielen bezogen; wie Gewebe der Haut allmählich knochenartig sich verhärten können und dann für Einwirkungen von außen her unempfindlich werden. Fakire bringen es so weit,, daß sie gegen Feuer gefühllos werden und auf Glassplittern tanzen können. Auch das Gewissen kann, weil schwielig geworden, nach und nach die Empfindung für Wahrheit und Recht einbüßen und so abstumpfen, daß Regungen zur Sinnesänderung nicht mehr eintreten (Eph. 4,18); es sind Menschen mit erstarrten, zerrütteten Sinnen (1.Tim. 6,5; 2.Tim. 3,8; Tit. 1,15; 2.Thess. 2,10-12). Es ist ein furchtbares Verhängnis, daß der Mensch an dem Höchsten und Größten, das ihm dargeboten wird, sich verderben kann. „„Nicht das bloße Vorhandensein der Sünde, so arg sie sei, entscheidet über des Menschen ewiges Los, sondern ihre Geschichte in der Vollendung der Sünde als eigenste Tat des Sünders“ (Riggenbach).

Die Schrift hat uns zur Verdeutlichung dessen, was es mit der Verstockung auf sich hat, ein typisches Beispiel zur Warnung aufbewahrt. Es ist ein Vorgang, der später zweimal zum Anlaß ernster Ermahnung gemacht wird. Wir setzen hier diese beiden Stellen vorweg. Es heißt Ps. 95,8: „Heute, so ihr seine Stimme höret, verstocket eure Herzen nicht, wie zu Meriba geschah, wie zu Massa in der Wüste.“ Und Heb. 3,15 wird mit fast gleichen Worten gesagt: „Heute, so ihr seine Stimme hören werdet, so verstocket eure Herzen nicht, wie in der Verbitterung geschah.“ Wir haben es also hier mit einem bedenklichen Vorgang zu tun, weil der Heilige Geist selbst zweimal mit aufgehobenem Finger ernstlich mahnend auf ihn zurückweist.

Es ist hier gedacht an den Vorfall in Raphidim, dem letzten Lagerort vor Sinai (2.Mo. 17,1-7). Was geschah denn hier? Schlicht heißt es: „Da hatte das Volk kein Wasser zu trinken, und sie zankten mit Mose und sprachen: Gebt uns Wasser, daß wir trinken!“ Schon zu Mara und in Sin war das Volk rebellisch geworden. Diesmal aber muß es besonders schlimm gewesen sein; denn Mose schreit zum Herrn: „Was soll ich mit dem Volk tun? Es fehlt nicht viel, so werden sie mich noch steinigen!“ Es ist dasselbe Volk, das vor wenigen Wochen am Schilfmeer noch freudetrunken gesungen hatte: „Ich will dem Herrn singen; denn er hat eine herrliche Tat getan! Mann und Roß hat er ins Meer gestürzt!“ In Mara hatte der Herr ihnen das unschmackhafte Wasser zum Labsal gemacht, und soeben kommen sie aus der Wüste Sin, wo Gott ihnen Brot vom Himmel, das köstliche Manna, dazu Wachteln in Fülle geschenkt hatte. Noch jeden Morgen lag vor ihnen gedeckt der Tisch, und Tag und Nacht geleitete der Herr sie in der Wolken- und Feuersäule, zum Zeichen seiner Gnadengegenwart. Seit dem Auszuge aus Ägypten gingen Gottes Wundertaten mit ihnen auf Schritt und Tritt. Und nun? Das Volk versucht Gott, und hart setzt es Mose zu in offenem Aufruhr. Da hieß man den Ort „Massa und Meriba“, d.h. Versuchung und Zank, zur dauernden Erinnerung und Mahnung für alle späteren Zeiten. Einer zwiefachen Sünde hatte das Volk sich schuldig gemacht. In der Folgezeit hat es nichts gelernt; der Psalmist klagt: „Vierzig Jahre hatte ich Mühe mit diesem Volk und sprach: Es sind Leute, deren Herz immer den Irrweg will, die meine Wege nicht lernen wollen, daß ich schwur in meinem Zorn: Sie sollen nicht zu meiner Ruhe kommen!“ (Ps. 95,10.11)

Massa und Meriba ist deswegen die erste Sprosse der Verstockung Israels, weil so machtvolle Erweisungen der Güte Gottes vorangegangen waren und das Volk noch mitten in ihnen stand, diese dennoch aber mit Füßen trat. Die Sünde war frivol und herausfordernd. Diese Gesinnung ist geblieben, das Volk beharrte in ihr; das ist es, was Psalm 95 bereits herausstellen will. Es mußte ein Gericht folgen, und Gott bekräftigt dies mit einem Eide. Dieser Ernst Gottes ist es, den auch der Hebräerbrief zum Ausdruck bringt, damit wir Gott fürchten und der mutwilligen Sünde nicht entgegeneilen.

Wir fügen ein anderes Beispiel an. Es ist anderer Art als das vorige, indem es uns eine beginnende Verstockung mit rechtzeitiger Umkehr und lieblichem Ausgang zeigt. Ein Volksgenosse der Judenschaft späterer Tage ist hier der Handelnde. Er trägt einen glühenden Haß wider Christus in seinem Herzen, und mit Wohlgefallen peinigt er die Heiligen Gottes zu Tode. Ein Zelot, ein Wüterich sondergleichen! Er ist es aus religiösem Fanatismus, eifernd um das Gesetz, das er in Gefahr sieht. Der Herr vom Himmel vertritt ihm zuletzt den Weg: „Saul, Saul, was verfolgst du mich? Es wird dir schwer werden, wider den Stachel auszuschlagen!“ Der Treibstachel diente dazu, wildes Vieh dem Willen des Treibers willfährig zu machen und dessen Widerstand zu brechen. Schon bei dem Tode des Stephanus, in dessen glänzendes Angesicht Saulus geschaut, hatte der Stachel sein Gewissen getroffen und verwundet; ein Lichtstrahl war in seine umnachtete Seele gefallen. Hier war es schon Zeit, in sich zu gehen und Buße zu tun. Aber er schlug aus. Satan gibt ihm ein, sein wildes Gebahren zu verdoppeln, und schnaubend mit Drohen und Morden macht er es schlimmer als vordem; der Stachel seines Gewissens aber geht mit ihm, wohin immer er sich wenden mag. Der Zeiger geht auf zwölf. Saulus ist auf dem Wege zur Verstockung. Er ist sich dessen auch im Alter noch bewußt, als er seinen Brief an Timotheus schreibt (s. 1.Tim. 1,13-16; vgl. 1.Kor. 15,8.9). Weit, fast allzu weit hat er sich vorgewagt. Mächtig tobt in ihm der Kampf. Was kann ihn zur Besinnung bringen? Hier kann nur Außerordentliches helfen. Jesus erscheint ihm: Saul, Saul, so geht es nicht weiter! Willst du weiter wie ein unbändiges Tier ausschlagen? Es wird dir schwerfallen! Saul ist damit gestellt vor ein letztes Entweder-oder. Der mit ihm redete, hatte zu ihm gesagt: „Ich bin Jesus!“ Saulus bricht zusammen; er ergibt sich. Es schlägt die selige Entscheidungsstunde seines Lebens; der Herr bekam ihn in seine Hand.

Seine Bekehrung ist zum Vorbild geschehen „denen, die da glauben sollten zum ewigen Leben“ (1.Tim. 1,16) - ob die Sünde auch blutrot war und der Widerstand gesteigert. Saulus hatte gegen den Stachel ausgeschlagen wie der Herr selber bezeugt; aber er war offengeblieben für die Heilswirkungen der Gnade. Die Sünde war die der Blindheit und Unwissenheit geblieben; erst in der Damaskusstunde hätte er die mutwillige Sünde begehen können. Aber von Christus ergriffen, ergriff er ihn.

Gott allein besitzt die rechten Maßstäbe, und wir kleinen Menschen müssen in den einzelnen Fällen mit unserm Urteil bescheiden zurückhalten. Damit braucht dem Ernst der Schrift keineswegs die Spitze abgebrochen zu werden. Eine Steigerung der Sünde zur Verstockung hin ist möglich; aber sie kann immer nur unter der Erleuchtung des Heiligen Geistes vor sich gehen. Unter dessen Wirkungen erst beginnt die letzte Verantwortung des Menschen. Erleuchtete Menschen wandeln am schmalen Rande eines Abgrundes, und ihnen ruft der Hebräerbrief zu: „Ermahnet euch selbst alle Tage, solange es heute heißt, daß nicht jemand verstockt werde durch Betrug der Sünde“ (3,13). Die verlockende Kraft der Sünde, einwiegend in falsche Sicherheit, hat schon viele in die Tiefe versinken lassen.

Es ist widersprechend, aber Erfahrungstatsache, daß wiedergeborene Menschen, unter der Erleuchtung des Heiligen Geistes zum selbständigen Personenleben gelangt, nur dann sich wohlfühlen, wenn sie sich in der Zucht des Geistes spüren. Sie fürchten sich vor nichts mehr, als vor sich selbst und vor der Sünde, und sind dabei getrost, daß der Herr sie bewahrt; sie „tragen ihre Seele immer in den Händen“ (Ps. 119,109) und sie singen: „Ich hoffe auf den Herrn; darum werde ich nicht fallen!“ (Ps. 26,1). Der Heilige Geist läßt sie in ihre abgründige Verderbtheit so hineinschauen, daß sie verzweifeln müßten, wenn nicht Gottes Verheißungen ihnen zur Seite stünden. Auf diesem Wege hat Gott dafür gesorgt, daß es bei ihnen zur Verstockung nicht kommen kann.

Aber Sünde bleibt Sünde, und sie hat immer die gleichen Wirkungen, wer sie auch tut. Es kann auch einem Kinde Gottes leicht die Zartheit des Gewissens abhanden kommen gegenüber den Mahnungen des Heiligen Geistes, de die Führung übernommen, und gegenüber dem Worte Gottes, dessen scheidende Kraft man wenig an sich herankommen läßt. Es ist aber mit dem neuen Leben so gestellt, daß es nur durch stete Selbstprüfung und schonungsloses Selbstgericht unversehrt und gesund erhalten werden kann.

Der Abfall

„Denn es ist unmöglich, die, so einmal erleuchtet sind und geschmeckt haben die himmlische Gabe und teilhaftig geworden sind Heiligen Geistes und geschmeckt haben das gütige Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt - wo sie abfallen, wiederum zu erneuern zur Buße, als die sich selbst den Sohn Gottes wiederum kreuzigen und für Spott halten.“ Heb. 6,4-6

Im voraus sei bemerkt, daß die Schrift unterscheidet zwischen „fallen“ und „abfallen“. Das erstere Wort kommt im Neuen Testament häufig vor (Röm. 14,4; 1.Kor. 10,12; 1.Tim. 6,9 usw.), und es bedeutet ein Fallen in Sünde, bei dem man wieder aufsteht und zurechtkommt. Das Wort für „abfallen“, das Heb. 6,6 gebraucht wird, kommt im Neuen Testament nur hier vor; es bezeichnet einen Zustand (daher auch die Zeitform der Gegenwart), die für den einzelnen schon hienieden die Gnadenzeit endgültig abschließt. Wenn 2.Thess. 2,3 ein Wort gebraucht wird, das Luther auch mit „Abfall“ übersetzt, so bedeutet dieses Wort eigentlich „Lossagung“, nämlich von Gott, und es hat hier endgeschichtliche Bedeutung in dem Sinne, daß in der Letztzeit in der christianisierten Völkerwelt allgemein eine Absage an Gott - wir sehen sie schon in der Gottlosenbewegung herankommen - sich durchsetzen wird, die das Auftreten des persönlichen Antichristen, der letzten Ausgeburt menschlichen Gotteshasses, möglich machen wird.

Recht oft kommt das Wort „Abfall“ im Alten Testament vor; aber es hat hier nicht die endgültig abschließende Bedeutung im heilsgeschichtlichen Sinne, wie oben Heb. 6,6. Es kann dies schon deswegen nicht statthaben, weil die göttliche Offenbarungsstufe in Israel noch nicht auf der Höhe stand, die sie im Neuen Bunde einnimmt. Der Alte Bund trug in sich schon den Keim der Auflösung, weil er das Volk nicht instandsetzte, die Bundespflichten zu erfüllen. Das neutestamentliche Bundesverhältnis ist ein unauflösliches, weil hier die vollkommene Erlösung ins Werk gesetzt ist und das Gesetz Gottes in den Bundesgliedern durch die Mitteilung des Heiligen Geistes sich als eine lebendig wirksame Macht erweist. Ein Abfall ist immer nur gegenüber denjenigen Mächten möglich, die auf der jeweiligen Offenbarungsstufe wirksam sind. Ein Abfall ist es zwar immer, doch mit den Folgen, die aus dem Maß der jeweiligen Heilsoffenbarung sich ergeben. Für Israel konnten diese Folgen nur darin bestehen, daß Gott es überlieferte an diejenigen Weltmächte, deren Göttern es sich zugewendet hatte (siehe 5.Mo. 31,16; 32,5; Jos. 22,16; Jes. 1,2; Jer. 2,19; Hes. 44,15 usw.); eine andere Androhung Gottes Israel gegenüber ist auch nirgendwo ausgesprochen, wie dies auch schon die Fluchankündigung in 5.Mo. 27 und 28 deutlich erkennen läßt. Anders im Neuen Bunde; daher auch die erschütternde Sprache im Hebräerbrief und anderswo.

Sehen wir nun zu, was es mit dem Abfall auf sich hat, von dem Heb. 6,6 redet. Es fällt schon auf, wie sehr der Verfasser dieses Briefes sich bemüht, die Personen, die er im Auge hat, genau zu kennzeichnen. Er tut dies recht umständlich, damit er verstanden werde und Mißdeutungen ausgeschlossen seien. Er redet nicht von der offenbaren Welt. An ihr gehen die Heilswirkungen Gottes von vornherein spurlos vorüber. Bei ihr kann also von einem Abfall keine Rede sein. Wir haben jene Leute vielmehr mitten im Heerlager der Kinder Gottes zu suchen, ohne daß sie zu ihnen gehören. Es werden ihnen allerdings auch Zustände zugeschrieben, die bei Wiedergeborenen zu finden sind, die jedoch keine entscheidenden Merkmale der Wiedergeburt sind. Es sind Anfänge neuen Lebens da, die oft lange Zeit täuschen, wie auch Afterweizen vorerst nicht von echtem Weizen zu unterscheiden ist.

Vers 4 und 5 werden Erscheinungsformen jener Lebensanfänge genannt: „die erleuchtet sind, geschmeckt haben die himmlische Gabe, teilhaftig geworden sind Heiligen Geistes und geschmeckt haben das gute Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt.“ Dies sind Merkmale eines Erweckten, dem Gott mit seiner Gnade nahekommen ist, und zwar so nahe, daß vonseiten Gottes nichts mehr geschehen kann, um den Menschen völlig in seine Hand zu bekommen. Oh, wie sehr müht sich Gott, den Menschen wieder ganz herumzubringen, und wie lange geht er mit ihm, bis es nicht weiter mehr möglich ist!

Die Erleuchtung hat den Menschen zum Wissenden gemacht in den Dingen des Geistes Gottes. Das Licht der Wahrheit hat in die Kammern des Herzens hineingeleuchtet und den Jammer bloßgelegt. Auch in das Christusheil hat der Erleuchtete geschaut und in ihm den erbarmenden Gott. - Weiter ist gesagt, er sei „teilhaftig geworden Heiligen Geistes“. Es ist sicherlich nicht zufällig, sondern wohl beabsichtigt, daß hier der Artikel in der Grundsprache fehlt. Damit ist zum Ausdruck gebracht, daß es bei allen Erweisungen des Heiligen Geistes, so tiefgehend sie auch waren, dennoch nicht zu einem selbständigen Personleben des Heiligen Geistes im Menschen gekommen ist. Der Anteil, der dem Heiligen Geist gewährt wurde, führte nicht zur vollen Inbesitznahme des Menschen durch ihn, und gewisse Bereiche des Innenlebens blieben ihm vorenthalten; Satan konnte diese besetzt halten und von da aus wieder den ganzen Menschen als Beute für sich zurückgewinnen. - Endlich ist in dreifacher Hinsicht von einem „Schmecken“ die Rede: einmal der himmlischen Gabe, sodann des guten Wortes Gottes und endlich der Kräfte der zukünftigen Welt. Es ist schon verdächtig, daß hier jedesmal von einem Schmecken, also von gefühlsbetonten, seelischen Regungen des Gemüts die Rede ist, die wie das leichtbewegte, kräuselnde Wellenspiel des Meeres auf der Oberfläche bleiben wird und nicht in die Tiefe gehen. Die Geburt aus Gott aber schafft eine Willensrichtung, die auch wohl jene Begleiterscheinungen auslöst, jedoch nicht durch diese bestimmt wird. Solange die letzten Schlüssel zu den Kammern des Herzens nicht ausgeliefert worden sind, kann wohl von „Erweckung“, nicht aber von „Wiedergeburt“ geredet werden. Beides nicht voneinander zu unterscheiden, bedeutet eine verhängnisvolle Begriffsverwirrung, die bei oberflächlicher Auffassung der Schrift wohl zu verstehen, jedoch mit klarem biblischen Denken nicht verträglich und auch der Festigung in der Gnade nicht dienlich ist.

Was ist aber das entscheidende Merkmal der Wiedergeburt, das bei allen jenen Erscheinungen an sich vermißt wird? Der Hebräerbrief braucht freilich das Wort „Wiedergeburt“ nicht; aber er redet von der Sache sehr deutlich und wiederum im Unterschied von jenen Anfängen neuen Lebens. Seine Ausdrucksweise ist nur anders, dennoch aber bestimmt und klar, dazu auch recht einfach, denn er gibt nur ein einziges Kennzeichen: das Beharren in der erfahrenen Gnade. Dieser Gedanke zieht sich durch den ganzen Brief hindurch, und alle Ermahnungen sind von ihm beherrscht, weil es dem Verfasser darauf ankommt, darzutun, daß nur diejenigen Gott schauen werden, die den beschrittenen Weg des Glaubens vollenden. So einfach dieses Merkmal göttlicher Neuschöpfung des Menschen ist, so einleuchtend ist es. Weil schon die Anfänge neuen Lebens keimartig alle Grundeigenschaften an sich tragen, die im Verlaufe dieses Lebens sich weiter entfalten und erstarken und reifen, muß die Echtheit neuen Lebens darin an den Tag kommen, daß es sich dauernd durchsetzt. Deshalb heißt es schon im dritten Kapitel: „Das Haus (des Christus) sind wir, so wir anders das Vertrauen und den Ruhm der Hoffnung bis ans Ende (wörtlich: Ziel) festbehalten.“ (Vers 6); und wiederum: „Denn wir sind Christi teilhaftig geworden, so wir anders das angefangene Wesen bis ans Ende (Ziel) festbehalten“ (V. 14).

Wir sehen davon ab, diesem Grundgedanken des Hebräerbriefes hier weiter nachzugehen. Aber auch die vorliegende Stelle, wo der Schreiber die Gefahr des Abfalles solcher, die zu Christus hinausgegangen sind außer dem Lager, vor Augen malt, ist nur ein verstärkter Aufruf zur Standhaftigkeit. Dazu wird in unmittelbarem Anschluß an jene Stelle ausdrücklich bezeugt: „Wir begehren aber, daß ein jeder von euch denselben Eifer beweise, die Hoffnung bis ans Ende (Ziel) festzuhalten, daß ihr nicht träge werdet, sondern Nachfolger (Nachahmer) derer, die durch Glauben und Geduld (Ausharren) ererben die Verheißungen“ (Vers 11 und 12). Es ist eine bedauerliche Verengung geistlichen Augenmaßes, wenn erweckte Seelen, die den Glauben an Jesus bekennen, vielfach schon als fertige Christen angesprochen werden, während sie damit erst in die Gefahrenzone eintreten, in der es sich nunmehr entscheiden muß, ob die Bekehrung echt ist oder nicht.

Das Schwergewicht unserer Stelle liegt in den Worten, die sie umschließen: „Es ist unmöglich, die, welche … wiederum zu erneuern zur Buße.“ Man hat versucht, dies gewaltig ernste Wort abzuschwächen und ihm ein anderes Schriftwort entgegenzuhalten: „Bei Gott ist kein Ding unmöglich!“ (Luk. 1,37) Mit diesem ungeistlichen Verfahren kann man die ganze Schrift auflösen, und in dieser Kunst haben es kluge Menschen auch herrlich weit gebracht. Mit solcher frivolen Spielerei ist aber nichts geholfen. Das obige Wort von einem „Unmöglich“, und zwar bei Gott selber, ist auch aus seinem Mund gegangen, und es stehen ihm viele andere Schriftstellen zur Seite. Seine ewige Weltordnung kann Gott nicht umstoßen, noch mit seinem eigenen Wesen in Widerspruch treten. Er, der „der abgefallenen Engel nicht verschont, sondern sie mit ewigen Banden der Finsternis gebunden hat zum Tage des Gerichts“ (2.Pet. 2,4), kann Menschen gegenüber, deren Sünde sich gleichermaßen vollendet, sein Verfahren nicht ändern. Bei Judas, nachdem Satan in ihn gefahren, macht Jesus keinen Versuch mehr, ihn zur Umkehr zu bringen; er gibt ihn seinem Verhängnis preis. Gegenüber der Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes muß alle menschliche gefühlsmäßige Empfindelei schweigen.

Es gibt geheimnisvolle Tiefen der Sünde; in sie hat Satan ungescheut sich vorgewagt, und in sie kann auch der Mensch hinabstürzen. Freilich nur unter den unmittelbaren Wirkungen der Wahrheit und des Geistes Gottes kann die letzte Stufe der Sünde beschritten werden, wie auch Satan als einstiger seliger Engel nur vermöge der ihm eigenen Wahrheitserkenntnis zu dem ausgesprochenen Gotteshaß kommen konnte, der nun in ihm fortwütet. Kann er erneuert werden zur Buße? Die Schrift verneint es, und die Geschichte Satan bestätigt dies. Er hat Jahrtausende Zeit gehabt, sich zu bekehren; er ist nicht dazu gekommen, weil er nicht dazu kommen kann. Er ist zum ausgebrannten Krater geworden, und nicht eine Spur von Reue kann er aufbringen; alle Empfindungen hierzu sind erloschen. - Die Lehre von der Wiederbringung kommt damit freilich arg in die Brüche; Satan selbst hat für sie ein verständnisloses Lächeln, denn er kennt Gott besser und weiß um dessen unverletzliche Heiligkeit. Gott ist überreich an Erbarmen; aber eine Vergebung könnte Satan wenig helfen; er will sie auch nicht. Die Hölle ist nicht außer ihm, sondern in ihm; er würde sie auch mitbringen in den Himmel, wenn er hineinkäme. Geradeso ist es mit dem Menschen, dessen Sünde die satanische Stufe erreicht hat. Würde der Fall des Menschen im Paradiese bereits frei heraus aus sich selbst, also aus eigenem Willen und Vorsatz erfolgt sein, so könnte eine Buße überhaupt nicht statthaben; nur deswegen, weil er durch Verführung von außen her in ihn hineingetragen wurde, ist hierzu die Möglichkeit verblieben, die sich aber erschöpft, wenn der Abfall durch vorsätzliches Sündigen sich vollendet. Es ist schon ein „biologisches“ Gesetz, daß ein aufgekeimtes Samenkorn nicht zum zweitenmal aufkeimen kann; es hat seine Keimkraft einmal benutzt, und damit ist sie unwiederbringlich dahin. Das Mittel zur Heilung, das der Mensch in sich zum Guten hin geflissentliche zerstörte, wirkt sich in entgegengesetzter Weise auf; es bringt die religiösen und sittlichen Kräfte in ihm zur Auflösung. Einem Menschen, dessen Augen durch die unmittelbaren und ungebrochenen Einwirkungen der Sonne erblindeten, kann die Sehkraft nicht aufs neue zurückgegeben werden. Das „Unmöglich“ wird zum Gerichtswort, schon bevor die Bücher aufgetan werden.

Wir können es uns nicht versagen, einmal einen Blick darauf zu werfen, wie zu dem tiefernsten Zug, der durch den Hebräerbrief und die beiden Petrusbriefe hindurchgeht, die Lehre Jesu sich verhält. Wer die Reden Jesu unbefangen auf sich wirken läßt, findet, daß auch sie von einem erschütternden Ernst getragen sind. Sein Mund floß über von der Botschaft der Liebe Gottes, die ihn gesandt zum Heil der Welt, die Verlorenen zu retten. Aber dieses selbe Evangelium hat eine Kehrseite, denn es ist von unerbittlicher Ausschließlichkeit, und schärfer, als aus dem Munde Jesu, ist sie nie herausgestellt worden. An seiner Person scheiden sich die Geister; das spricht er frei heraus (vgl. Joh. 3,19-21). Und er redete als einer, „der Gewalt hatte“ (Mat. 7,27); wie ein scharfer Pfeil drangen seine Worte in Herzen und Gewissen. Für ihn oder gegen ihn - das war die große Frage; es gingen Scheidungen vor sich; es spaltete sich die Menge. Unumstößlich läßt Jesus erkennen, was davon abhängt, sein Wort nicht anzunehmen und ihm gegenüber sich zu verhärten. Er redet von Gericht und von Hölle, von Verdammnis und ewiger Pein so viel und so oft wie niemand zuvor, und diese Worte sind bei ihm nicht nur leere Begriffe oder bloße schreckhafte Redensarten, sondern Wirklichkeiten, um die er weiß.

Israel erlebte schon unter Johannes dem Täufer eine große Erweckung. Jesus redet davon als von einem Ansturm auf das Himmelreich, und er fügt hinzu: „die Gewalt tun, reißen es an sich“ (Mat. 11,12). Nicht alle! Auf heilige Entschlossenheit kommt es an. Verlorenzugehen ist nicht schwer - man braucht sich nur gehen zu lassen; das Himmelreich muß erstürmt werden, und es kostet das eigene Leben. Ohne diesen Einsatz kommt niemand durch; dabei entbrennt fortan ein Kampf auf Leben und Tod bis zum letzten Odem hin. Es ist dies auch klar, denn der Teufel sucht mit Listen und Ränken und mit aller seiner Macht die zurückzugewinnen, die ihm entronnen sind.

Ein Neugieriger kommt einstmals zu Jesus mit der frommen Frage: „Herr, meinst du, daß wenige selig werden?“ Jesus läßt ihn stehen und geht auf die unnütze Frage nicht ein; er wendet sich an die Umstehenden, und ernst wird seine Rede: „Ringet danach, daß ihr durch die enge Pforte eingeht; denn viele werden, das sage ich euch, danach trachten, wie sie hineinkommen, und werden es nicht können!“ (Luk. 13,24). Jesus wehrt, wie so oft, alle diejenigen ernsthaft zurück, die den Einsatz scheuen, den der Eingang ins Reich Gottes fordert. Er wird bei dieser Gelegenheit recht deutlich, wenn er weiter sagt, daß es dereinst nicht gelten werde, daß jemand in der Reihe derer gesessen, die an seinem Munde gehangen und seine Worte gehört haben (Vers 26). Aber noch weiter geht er ein abermal, wenn er es sogar für unzulänglich erklärt, in seinem Namen geweissagt, Teufel ausgetrieben und Taten getan zu haben, sofern nicht zu ihm selber ein inneres Verhältnis gewonnen sein: „dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie erkannt; weichet alle von mir, ihr Übeltäter!“ (Mat. 7,22.23). Man kann wohl sagen, daß Jesus hier bis an die äußerste Grenze von Geisteswirkungen gegangen ist, die in einem Menschen statthaben können, um zuletzt dennoch verlorenzugehen.

Und wiederum redet Jesus von Leuten, die „das Wort mit Freuden aufnehmen“; es findet Eingang, und schöne Anfänge im Glaubensleben sind zu sehen; aber in den Proben der Anfechtung, die den Glauben erst zu bewähren haben, fallen sie ab (Mat. 13,20.21). Niemals hat Jesus seelische Mittel angewendet, um eine Bekehrung ins Werk zu setzen; er hat vielmehr stets nahegelegt, die Kosten zu überschlagen, und dabei hat er nicht verschwiegen, daß seine Nachfolge eine Selbstverleugnung bis zum äußersten und ein williges Tragen von Kreuz und Schmach unter widrigen Umständen verlange. Einmal hat er es offen ausgesprochen: „Alle Pflanzen, die der himmlische Vater nicht gepflanzt hat, werden ausgereutet“ (Mat. 15,13).

Noch in seiner letzten Nacht auf Erden hat Jesus es für nötig gehalten, im engeren Jüngerkreis für alle Zeiten deutlich darauf hinzuweisen, daß nicht alle, die mit dem Munde zu ihm sich bekennen, seine rechten Jünger sind. Er redet von unechten Reben, den sogenannten „Wasserschößlingen“ am Weinstock, an denen man nie eine süße Traube gesehen. Lange Zeit haben sie eine äußere Verbindung mit dem Rebstock, und sie sind vorerst nicht von den fruchttragenden Reben zu unterscheiden, tun sich vor diesen gar durch schnelleres, üppigeres Wachstum hervor. Aber sie sind nicht wie jene, mit dem innersten Mark des Weinstocks verbunden, sondern gleichsam nur angeklebt, so daß man sie abreißen kann, ohne den Weinstock selbst zu verletzen, was bei den echten Reben nicht möglich ist. Was geschieht mit diesen unfruchtbaren Reben? Es ist das, was Jesus immer gesagt hat von Menschen, die zwar den Weg der Wahrheit beschritten, innerlich jedoch nie zu ihm gehört haben: „Man sammelt sie und wirft sie ins Feuer und müssen brennen“ (Joh. 15,6).

Es wäre gut, wenn die Lehre Jesu bei vielen wieder Aufnahme fände. Ein Evangelium, das dem Ärgernis des Kreuzes aus dem Wege geht, ist ein entleertes Evangelium; es schafft immer auch ein verweichlichtes Christentum mit all seinen Ermüdungserscheinungen, die den Keim des Abfalls in sich tragen. Wie schon viele Blüten als taube Blüten abfallen, ohne zu Fruchtansätzen zu kommen, so können auch hoffnungsvolle Anfänge neuen Lebens wieder zugrundegehen. Es ist immer ein lieblicher Anblick, in einem Menschen das Wirken Gottes zu sehen, das auch immer darauf angelegt ist, zu einem kraftvollen Fortgang zu verhelfen; aber selten wird es genügend erkannt, daß man auch in einer Erweckung steckenbleiben kann. Es steht durchaus nicht im Belieben eines Menschen, rückläufige Bewegungen ohne weiteres wieder aufzunehmen und gutzumachen; die ernsthaften Ermahnungen des Heilands lassen dies zu deutlich erkennen. Schon im natürlichen Leben gibt es ein „kritisches“ Alter, in dem der Charakter des Menschen sich formt, der dessen Eigenwesigkeit eine Gestalt gibt, die er dauernd behält; ein Gärungsprozeß, der zu Ende gekommen, kann nicht zum zweitenmal einsetzen.

Jesus ist zum letztenmal in Jerusalem, wo er Worte des Lebens geredet hat und zum Erweis seiner göttlichen Macht an dem verwesenden Leichnam des Lazarus soeben sein größtes Wunder vollbrachte. Eines Morgens geht er hinaus vor die Stadt und sieht einen Feigenbaum, der nur Blätter trug, jedoch keine Frucht. Er verflucht den Feigenbaum, und dieser verdorrte alsbald (Mat. 21,19). Als Jesus dann wieder der Stadt sich nähert, weint (wörtlich: schluchzt) er über sie, und wehklagend kommen die Worte aus seinem Mund: „Wenn doch auch du erkenntest zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dient! Aber nun ist es vor deinen Augen verborgen“ (Luk. 19,42).Jeder hat eine von Gott ihm gegebene Zeit, die ihm gehört; es ist die angenehme Zeit der Gnadenheimsuchung Gottes. Jerusalem hat sie verpaßt, und nie kehrte sie wieder. Wer einmal durch des Geistes Wirken tiefgehend erweckt wurde, diesem Geisteswirken jedoch beharrlich widerstrebt hat, so daß es nicht zu einer Neugeburt kommen konnte, der ist nach der durchgängigen Lehre der Schrift verloren, für den ist die Gnadenzeit unwiederbringlich dahin. Gott ist heilig, er läuft dem Frevler nicht nach; dieser selber würde Gott verachten, wollte er es tun. Die Schrift kann nicht gebrochen werden.

Das Gleichnis von den Dornen und Disteln

(Heb. 6,7.8)

Die Darlegungen des Hebräerbriefes über den Abfall (Kap. 6,4-6) werden erläutert durch ein Gleichnis, das der Verfasser unmittelbar folgen läßt. Es heißt: „Denn die Erde, die den regen trinkt, der oft (reichlich) über sie kommt, und nützliches Gewächs denen trägt, die sie bebauen, empfängt Segen von Gott; welche aber Dornen und Disteln trägt, die ist unnütz und dem Fluch nahe, daß man sie zuletzt verbrennt.“ Der Vergleichspunkt ist klar: Bei allem Vorhandensein der gleichen Bedingungen zur Fruchtbarkeit trägt das eine Ackerland nützliches Gewächs und das andere Unkraut; in dem einen Falle ist das Ackerland segenspendend, in dem anderen unnütz und dem Fluch entgegengehend.

Der Grundgedanke des Gleichnisses ist mit den Worten ausgesprochen: „Die Erde (das Ackerland), die den Regen trinkt, … empfängt Segen von Gott“ (Vers 7). Es bleibt die Beschaffenheit des Ackerlandes einstweilen außer Betracht. Der Schöpfer hat unterschiedslos die ganze Erde in seine Fürsorge genommen, und er will, daß sie gedeihe und ihre Auen fröhlich stehen. Seine Segenswolken läßt er über alle Fluren gleichermaßen niedergehen; keine wird vergessen und darf sich beklagen. - Wie weiß der Landmann den Regen zu schätzen! Nach ihm schaut er aus; er weiß, daß ohne ihn alle seine Mühe und Arbeit vergebens ist. Schon in Israel gehörte der Regen zu den Wohltaten Gottes: „Der Herr wird dir seinen guten Schatz auftun, den Himmel, daß er deinem Lande den Regen gebe zu seiner Zeit, und daß er segne alle Werke deiner Hände“ (5.Mo. 28,12; vgl. 3.Mo. 26,4; 5.Mo. 11,11.17; Ps. 147,8; Jes. 30,23).

Der Regen ist in der Schrift Sinnbild geistlicher Segnungen. Wie der Regen vom Himmel kommt, so der geistliche Segen von Gott. Schon der Psalmist bekennt: „Du gabst, Gott, einen gnädigen Regen, und dein Erbe, das dürre ist, erquickst du“ (Ps. 68,10). Und Jesaja schaut hinaus in die gnadenvolle Zeit des Erlösers und ruft: „Träufelt, ihr Himmel, von oben und die Wolken regnen Gerechtigkeit; es tue sich auf die (erquickte) Erde, und es erblühe Heil, und Gerechtigkeit lasse sie sprießen! Ich, der Herr, schaffe es!“ (45,8). Unser Gleichnis redet von einem „Segen von Gott“.

Aller Segen ist Zuwendung, und es gibt geistlichen Segen, der erst in Christus flüssig geworden ist (Eph. 1,3). Wie aber der Regen, der aus den Wolken sich ergießt, allgemein ist und keinen Unterschied macht, wo er niedergeht, so ist auch das Heil in Christus allumfassend; es ist gleichermaßen für jeden da (1.Joh. 2,2), und das Heilsangebot Gottes wendet sich an alle Menschen (1.Tim. 2,4). Frei ergeht es an Räuber und Mörder, Ehebrecher und Meineidige; sie alle finden Vergebung in Christi Blut, ob auch blutrot die Sünde oder schwarz wie die Nacht. Ein Generalpardon ist das Evangelium für alle Missetäter, ob sie auf Fürstenthronen sitzen oder in Spelunken hausen, ob sie Gelehrte sind oder Erblödete, Reiche oder Arme - hier sind sie alle gleich. Und ein Allheilmittel ist das Evangelium für alle Gebrechen; es hat Heilkraft für jeden Schaden, und es nimmt jeden in seine Kur und Pflege, ihn umzugestalten in Jesu Bild und ihn zu bringen zum Gehorsam Christi. Die Heilsbotschaft geht an niemandem vorbei; jeder hört sie und darf sie als an ihn besonders und persönlich gerichtet in Anspruch nehmen; die Anschrift lautet an alle Geschöpfe, die ein menschliches Angesicht an sich tragen. Wohin auch der Schall des Evangeliums dringen mag, jeder ist eingeladen zu dem allgenugsamen, vollen Heil in Christus, und Gott will, daß jeder komme und den Segen in Christus hinnehme, so viel, wie er nur haben will.

Anders wird es erst, wenn jemand dies Heilsangebot von sich stößt. An der Größe des Christusheils gemessen, muß diese Abweisung, soweit sie beharrlich geschieht, notwendigerweise zum endgültigen Heilsverlust führen, da außer Christus es kein Heil gibt und die Heilsanstalt Gottes zur Rettung des Menschen mit der Haushaltung des Heiligen Geistes abschließt. Dies ist es, was durch das vorliegende Gleichnis näher erläutert und begründet werden soll.

Sehen wir zu, was das Gleichnis zu sagen hat; wertvolle Aufschlüsse sind uns in ihm gegeben. Gott sendet den Regen, damit es auf der Erde sprieße und wachse, gedeihe und lustig stehe; das ist seine Schöpferfreude. Auch in den Wirkungen des Wortes und Geistes Gottes gehen Gnadenwolken nieder, damit in Menschenherzen ein Neues aufkeime und erstehe, das göttliche Art an sich trägt; Gott will sich erlaben an dem Anblick erneuerter Menschen, die in Gerechtigkeit ihm dienen. Von diesen Wirkungen des Wortes redet schon Jesaja: „Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkommt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und wachsend, daß sie Samen gibt zu säen und Brot zu essen, also soll das Wort, so aus meinem Munde geht, auch sein; es soll nicht wieder zu mir leer kommen, sondern tun, das mir gefällt, und es soll ihm gelingen, dazu ich es sende“ (55,10.11). Wenn die erquickende und erfrischende Himmelsgabe des Regens auf der Erde schon jene Wirkungen hervorbringt, wievielmehr das Wort, das unmittelbar von Gott stammt und aus seinem Munde gekommen, in Menschenherzen, die es mit seinen ewigen Kräften in sich aufnehmen oder, wie es in dem Gleichnis bedeutungsvoll heißt: trinken, d.h. begierig und mit Behagen gleichsam einsaugen. Wo es zeugungsmächtig durch den Geist zu dem Menschen redet und von ihm angenommen wird, schafft es, was Gott will und wozu er es gesendet hat; der Ratschluß Gottes, der im Wort geoffenbart wird, setzt sich ins Werk. Denn das Wort Gottes ist „lebendig und kräftig“, lebenschaffend und kraftspendend (Heb. 4,12). Darum sagt auch Jakobus: „Nehmt das Wort an mit Sanftmut, das in euch gepflanzt ist, welches kann auch eure Seelen selig machen“ (1,21). Mit stiller Gelassenheit trinkt die Erde den Regen; also soll es auch mit dem Wort geschehen, und dessen rettende und befreiende Heilswirkungen können nicht ausbleiben.

Von „nützlichem“ Kraut (Gewächs) redet das Gleichnis. Es ist nützlich, weil es zum Leben dient für Menschen und Vieh. Nicht nur zum Schmuck und zur Zierde der Erde, die es hervorbringt und wie ein Prachtgewand um sich schmiegt, ist es da, sondern eine Wohltat soll es bringen allen lebendigen Geschöpfen, die in ihm Genuß und ihren Bestand finden; denn jedes niedere Naturreich ist dem höheren tributpflichtig. Gärten und Äcker sind die Besorger menschlichen Lebensbedarfes; was hier grünt und blüht, wächst und reift, ist für des Menschen Unterhalt da.

Das Ackerland in unserem Gleichnis ist der Mensch selbst. Nützliches Gewächs ist damit alles, was durch die Wirkungen des Wortes und Geistes in ihm zustande kommt. Art von Art ist das Gesetz alles Lebens. Artgemäß ist auch das aus dem Wort gezeugte Leben: „Er hat uns gezeugt nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit, auf daß wir seien Erstlinge seiner Kreaturen (Jak. 1,18). Und wieder heißt es: „Wir sind wiederum geboren, nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen, nämlich aus dem lebendigen Wort, das ewiglich bleibt“ (1.Pet. 1,23). Was zum neuen Leben führt, ist auch das, was er erhält. Menschen, genährt, gesättigt mit dem Worte der Wahrheit, bringen auch „Früchte der Gerechtigkeit zu Ehren und Lobe Gottes“ (Phi. 1,11). Und der Mensch selbst ist mit dabei; darum heißt es: „Denen, die den Acker bebauen“ (Heb. 6,7). Schon Salomo sagt: „Wer seinen Acker baut, wird Brots die Fülle haben“ (Spr. 12,11). Einen wohlgepflegten Acker erkennt man schon von weitem; so auch den Christen, der Werke tut, die „in Gott getan“ sind (Joh. 3,21). Seine Erscheinung ist eine lebendige Predigt von der neuschaffenden Kraft, die das Wort in sich birgt. Zum „Nutzen“ wird er damit für andere. Nicht vergeblich ist sein Leben; es trägt einen Gewinn ein, der auch Gott wohlbekannt ist. Es spricht der König zur Sulamith: „Deine Gewächse sind wie ein Lustgarten von Granatäpfeln mit den köstlichsten Früchten“ (Hoh. 4,13) und sie erwidert: „Mein Freund komme in seinen Garten und esse seine edlen Früchte“ (V. 16). Ein ertragreiches Leben für die Ewigkeit ist ein Gewinn, dem kein anderer zu vergleichen.

Unter gleichen Gnadenwirkungen Gottes kann es bei einem Menschen aber auch in das Gegenteil umschlagen, und dies ist es, was das vorliegende Gleichnis insbesondere herausstellen will. Es heißt: „welches (Ackerland) aber Dornen und Disteln trägt, ist unnütz“ (Heb. 6,8). Einstmals stand die Erde in herrlichem Flor, als sie aus Gottes Schöpferhand hervorgegangen. Durch den Fall ist Fremdes, Störendes hineingekommen: „Dornen und Disteln soll dir der Acker tragen“ (1.Mo. 3,18). Die Schöpfung trauerte; Unnatur und Verwüstung kehrten ein. „Unnütz“ heißt es, und man kann diese Ungebilde der Natur nicht einmal packen, ohne verwundet zu werden. Ein Bild des Bösen!

Geradeso wie Dornen du Disteln durch den Regen von oben her nur noch üppiger wuchern, also kann auch der Mensch unter den Wirkungen des Wortes und Geistes Gottes ausreifen zum Verderben. Das festgehaltene Böse kann unter ihnen sich nur behaupten, indem es verstärkte Energien in sich aufnimmt (Mat. 12,33-35). Es kommt zur Steigerung der Sünde, da es der Wahrheit Gottes gegenüber keine Neutralität gibt. War nicht auch Bileam erleuchtet oder fehlte es ihm an Erkenntnis Gottes? Redete nicht Saul unter den Propheten? Hatte nicht auf Judas Ischarioth glänzende Gaben, größere vielleicht als seine Mitjünger? War nicht Demas lange ein hervorragender Mitarbeiter des Paulus, bevor die Tücke seines Herzens offenbar wurde? Es ist kaum auszudenken, wie weit es der Mensch ohne wahre Herzenserneuerung zu bringen vermag und wie viel vergeistigtes Fleisch und verkappte Sinnlichkeit sich finden kann bei solchen, die mit so hohen Worten beten können, daß man dabei zerschmilzt. Selbst Satan bringt es fertig, wie ein Lichtengel zu reden, und doch ist er der verruchte Widersacher Gottes. Schlimm ist es schon, jahrein jahraus unter dem Schall des Wortes zu sitzen, ohne weiterzukommen; es sind vielfach verborgene Schäden da, die zunehmend das Herz verhärten und den vollendeten Abfall einleiten.

Darum heißt es weiter: „Ein solches Land ist dem Fluch nahe, und sein Ende ist Verbrennen.“ Wenn hier gesagt ist, daß der Fluch „nahe“ sei, so soll das nicht bedeuten, daß er ungewiß sei, sondern vielmehr: man geht ihm entgegen, er steht bevor, er ist unabänderlich (vgl. Heb. 8,13). Bedeutet Segen: Zuwendung, so Fluch: Entziehung. Das Wort „Fluch“ faßt in sich: etwas aufhören, ein Ende machen, außer Wirksamkeit setzen, so daß alle Beziehungen gelöst werden. Darum heißt es weiter: „Das Ende ist Verbrennen!“ Wir hören hier wieder den scharfen Ton, den wir aus den Reden Jesu heraushören. Von dem Land, das die Dornen und Disteln getragen, ist die Rede, und dies ist der Mensch selber, der die Segnungen des Evangeliums getrunken, aber das Unkraut des Bösen hat fortwuchern lassen, indem er es nie zum vollen Bruch mit Welt und Sünde kommen ließ. Er hat dem Geiste Gottes widerstanden und das Wort vom Heil zu seinem Untergang benutzt. Es geschieht ihm recht, und es geht ihm wie Sodom und Gomorra; der Zorn Gottes verzehrte die Städte (vgl. 5.Mo. 29,22). Derer, die diesem Fluch entgegengehen, sind viele. Gott aber bleibt gerecht, sowohl gegenüber denen, die die Gnadenwirkungen Gottes zu ihrem Heil benutzen und gute Frucht bringen, als auch gegenüber denen, über die er den Fluch verhängt, weil sie trotz der angebotenen Gnade die Sünde in sich fortwuchern ließen.

Die mutwillige Sünde

(Hebräer 10,26-31)

Derselbe Gedanke, der schon Kap. 6,4-8 erörtert worden ist, kehrt hier wieder, nur in anderer Wendung. Was dort „Abfall“ genannt wurde, heißt hier bestimmter „mutwillige Sünde“. Inzwischen war in gründlicher Durchführung die Lehre von der Erlösung in Christus dargestellt worden - einer Erlösung, bei der der alttestamentliche Schattendienst seine Erfüllung und sein Ende gefunden: „Er hat mit einem Opfer vollendet, die geheiligt werden“ (Vers 14). Die Sünde ist aufgehoben und außer Wirksamkeit gesetzt worden, so daß sie das Grundverhältnis zu Gott nicht mehr bestimmen kann (Heb. 9,16). Noch mehr: Gott hat durch die Sendung des Heiligen Geistes das heilige und unverbrüchliche Gesetz vom Sinai „in die Herzen und Sinne“ geschrieben, wie er dies durch seinen Propheten vorausgesagt hatte (Jer. 31,31-34). Auch dies ist dem Verfasser so wichtig, daß er darauf zweimal, und zwar zu Anfang und zu Ende seiner Darlegung der Erlösung in Christus, zu sprechen kommt (Heb. 8,10; 10,16). Damit war der Rat Gottes mit dem Menschen zu Ende gebracht, und nichts fehlt mehr, ihn ganz in die Hände zu bekommen, „zu dienen dem lebendigen Gott“ (Heb. 9,14).

Hier knüpft der Verfasser an, um den Faden seiner Ermahnung in Kapitel 6,4-8 wieder aufzunehmen; denn der Zweck seines Schreibens ist, zur Standhaftigkeit im Glauben aufzurufen, auf die es ankommt, um den Kampfpreis davonzutragen. Wuchtig wird seine Sprache, und schärfer als in Kapitel 6 läßt er die unerbittlichen Folgen einer Rückfälligkeit vortreten; dabei verlegt er das Motiv dieser Folgen mehr in Gott selbst, als er es dort getan. Gewitterwolken der Verfolgung wider die Leser waren bereits heraufgezogen, den Glauben zu erproben und Echtes von Unechtem zu scheiden. Die Gefahr war doppelt groß, das Heil in Christus preiszugeben und in die Welt zurückzukehren.

Diejenigen, die der Verfasser im Auge hat, werden diesmal nur kurz gezeichnet. Er sagt von ihnen, daß sie „die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben“ (V. 26). Nicht ohne Absicht ist hier für „Erkenntnis“ das stärkere Wort epi-gnosis statt gnosis gebraucht, ein Wort, das Paulus mit Vorliebe gebraucht, das aber im Hebräerbrief nur hier vorkommt. Es ist eine Erkenntnis gemeint, die eine klare und in den Gegenstand eindringende Einsicht gewährt und mit ihm so eins wird, daß sie auf die Gestaltung des Lebens bestimmend einwirkt. Die Erkenntnis der Wahrheit hatte also auch die Willensrichtung eine neue Linie einschlagen lassen; aber die Hebräerchristen waren müde geworden, und ihr Gang war nicht mehr fest in der Wahrheit (12,12.13). Sie hatten Christus aus den Augen verloren, und darum war ihre Kraft gebrochen. Bei vielen war der Platz nicht mehr außer dem Lager, und die Schmach, die sie vordem willig auf sich genommen, fand sie nicht mehr in der Gefolgschaft ihres Herrn. Sie kehrten zu den dürftigen Satzungen zurück, ,die keinen Nutzen haben, und die Reize der Welt blendeten ihre Augen. Sie waren auf dem besten Wege, die Welt wieder liebzugewinnen..

Hier ist der Punkt, wo die Ermahnung des Briefes einsetzt. Diesmal geschieht es mit starken, „kategorischen“ Worten, wie sie nach der voraufgegangenen Darlegung der vollkommenen Erlösung in Christus angebracht waren. Es heißt: „So wir mutwillig sündigen, … haben wir fürder kein anderes Opfer mehr für die Sünde“ (Vers 26). Das Wort „sündigen“ ist hier in der Zeitform der Gegenwart gebraucht; es ist damit gesagt, daß ein fortgesetztes Sündigen gemeint ist, das zur Gewohnheit geworden. Es ist ein Zustand, bei dem der Kampf gegen die Sünde eingestellt ist und man sich gehen läßt. Es braucht nur eine einzige Sünde zu sein, der man Raum gegeben; diese eine aber genügt, um in den Fängen Satans als eine Beute mitgeführt zu werden. Man kann dabei sogar nach außen hin noch lange die Maske der Frömmigkeit tragen, wie auch Satan selbst ein gewandter Verwandlungskünstler ist, der seinen Hörigen sich anzupassen versteht. Bei der Heuchelei aber muß das Böse notwendigerweise sich aufputzen; es wird dadurch nur raffinierter, bis eines Tages die Frömmigkeit als ein abgenutztes Gewand abgeworfen wird. Alle Böse entfaltet sich nach dem Gesetz der Allmählichkeit, wie wir schon gesehen haben; es gleicht nicht einer plötzlich hinfallenden Kugel, sondern einem Bergrutsch, der nach und nach sich verbreitert, um alsdann unaufhaltsam in die Tiefe zu stürzen, wo keine Rettung mehr möglich ist.

Zur Klarstellung der „mutwilligen“ Sünde müssen wir etwas ausholen. Der Text selbst gibt uns zu dem, was darunter zu verstehen ist, die nötigen Fingerzeige. Es heißt Vers 28: „Wenn jemand das Gesetz Moses bricht, der muß sterben ohne Barmherzigkeit durch zwei oder drei Zeugen.“ So einfach das Strafrecht in Israel war, so peinlich war es auch; auf allen Gesetzesübertretungen wider Gott, sowie wider die Ehre und wider das Leben des Menschen stand die Todesstrafe. In der ersteren Hinsicht war sie angedroht insbesondere beim Opfern dem Moloch (3.Mo. 20,2), bei Abgötterei (5.Mo. 13,10), bei Totenbeschwörung und Wahrsagerei (3.Mo. 20,27), bei Sabbatschändung (4.Mo. 15,35) und bei Gotteslästerung (3.Mo. 24,14); in anderer Hinsicht insbesondere bei unverbesserlichem Ungehorsam eines Sohnes (5.Mo. 21,21), Verletzung der Heiligkeit eines Verlöbnisses (5.Mo. 22,21), Ehebruch (3.Mo. 20,10) und Totschlag (2.Mo. 21,12). Bei alledem gab es kein Ansehen der Person; nur durfte die Schuldigsprechung erst auf die übereinstimmende Aussage von zwei oder drei Zeugen gegründet werden (5.Mo. 19,15).

Diese auffallende Schärfe und Gleichheit der Strafe kam daher, weil es sich in jedem einzelnen Fall um bewußte, beabsichtigte Übertretung von Gottes Gesetz und Willen handelte. Gottes Wille ist aber nicht bald wichtig, bald weniger wichtig, sondern immer gleich wichtig, und dessen vorsätzliche Verletzung ist daher todeswürdig; diese Empfindung, die Gott durch sein Gesetz wecken wollte, ist uns allzusehr verlorengegangen.

Daher machte auch schon das Gesetz Mose einen Unterschied in der Beurteilung der Übertretung nach der Gesinnung des Täters. Die düstere Strenge des mosaischen Gesetzes war erhellt durch eine Gnadenanstalt, das Sündopfer. Das Sündopfer wendete das göttliche Strafgericht ab, bewirkte Sündenvergebung und Sündentilgung. Gegenüber dem Sündopfer aber bildeten die Übertretungen zwei große Klassen: Sünden, die durch das Sündopfer vergeben und getilgt werden konnten, und Übertretungen, wo dies nicht der Fall war. Diese Unterschiedlichkeit, die im Alten Bunde unter dem Gesetz bestand, ist auf die Sünden im Neuen Bunde unter dem Evangelium unter neuen Gesichtspunkten übertragen.

Es finden sich nun im Gesetz zwei Vorschriften, die für jene Unterschiedlichkeit in Betracht kommen. Es heißt 3.Mo. 4,2: „Wenn sich jemand in Verblendung (das Wort kommt von hin- und hertaumeln; Luther übersetzt: aus Versehen) gegen irgend eines der Gebote des Herrn vergeht, so daß er irgend etwas Verbotenes tut, so soll ein Sündopfer dargebracht werden.“ Sodann ist 4.Mo. 15,30.31 gesagt: „Wenn jemand mit erhobener Hand (Luther: aus Frevel) sündigt, er sei ein Einheimischer oder Fremder, der lästert (schmäht) den Herrn; ein solcher soll ausgerottet werden aus seinem Volke; denn er hat des Herrn Wort verachtet und sein Gebot fahren lassen; ein solcher soll unerbittlich ausgerottet werden, seine Schuld lastet auf ihm.“

Das Gesetz unterscheidet also Sünden in Verblendung begangen und Sünden mit erhobener Hand. Unkenntnis und Übereilung, Schwachheit und Leidenschaft können so verblenden, daß man im Augenblick der Tat gar nicht daran denkt, daß es Sünde ist oder es nicht für Sünde hält oder zur Tat hingerissen wird, obwohl man weiß, daß es Sünde ist. Sünden in Verblendung sind nicht nur solche, die unbewußt begangen werden, sondern auch solche, die begangen werden im Drange der Leidenschaft, die jemand verblendet oder ohnmächtig macht. Mit erhobener Hand sündigt nur, wer sich vornahm, wer die Absicht hatte, gegen Gott zu sündigen, denn die erhobene Hand war natürlich gegen Gott erhoben. Ein solcher war sich nicht nur bewußt, daß die Handlung gegen Gott gerichtet war, sondern er wollte ausdrücklich, daß sie gegen Gott gerichtet sei. - Bei dem mutwilligen Sündigen ist schon das Band mit Gott zerrissen, und diese Lösung läßt Gott selber gelten und in Kraft treten. Sie wird damit endgültig; eine Rückkehr kann nicht mehr statthaben, und Gott bietet dazu auch nicht die Hand.

Bei der vorliegenden Untersuchung kommen wir nur zurecht, wenn wir die scharfe Linie beachten, die in der Schrift zwischen der Sünde aus Verblendung und der Sünde mit erhobener Hand, oder sagen wir zwischen Übereilungs- und Vorsatzsünde gezogen ist. Die Vorsatzsünde oder mutwillige Sünde kann überhaupt nur von jemandem begangen werden, der die Erkenntnis Gottes im Evangelium empfangen hat; ein unerleuchteter Mensch kann sie nicht begehen. Andererseits kann jemand die Erkenntnis der Wahrheit besitzen, ohne aus Gott geboren (gezeugt) zu sein; Judas hat die Wahrheit erkannt, er war aber nicht wiedergeboren. Jemand aber, in dem Gottes Geist durch Neugeburt wohnhaft geworden ist, kann hinwiederum die Absichtssünde nicht vollbringen; denn Gott hat ihn ganz in die Hand bekommen, und er läßt ihn nicht mehr los: „Der Herr kennt die Seinen“ (2.Tim. 2,19). Hat jemals ein Kind Gottes, seit ihm Gottes Geist bezeugte, daß er sei sein Kind, mit Absicht und Überlegung gegen Gottes Willen gehandelt? Es wird sicherlich bezeugen: Nein, das habe ich nicht getan! Ich kann ihm nicht mit Absicht kränken, der mich bis in den Tod geliebt! Ich kann meinen Heiland, den ich liebe, nicht auch hassen!

Diese scharfe Linie geht durch die ganze neutestamentliche Schrift hindurch; sie ist dieselbe, die seit dem Fall im Paradies durch die ganze Menschheit, zwischen dem Weibes- und Schlangensamen hindurchgeht. - Auch für die Gemeinde Gottes besteht sie zu Recht. Sie ist normgebend und bestimmend für die Gemeindezucht. Auch bei ihr ist scharf zu unterscheiden zwischen Übereilungs- und Vorsatzsünden. Hinsichtlich der Übereilungssünde ist Gal. 6,1 gesagt: „Liebe Brüder, so ein Mensch etwa von einem Fehl übereilet würde, so helft ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist, ihr, die ihr geistlich seid, und siehe auf dich selbst, daß du nicht auch versucht werdest.“ (s. Kol. 3,13). Anders ist es bei der Vorsatzsünde: „Einen ketzerischen Menschen (d.h. jemand, der nach eigener Wahl einhergeht, bewußt mißachtend den Willen Gottes) meide, wenn er einmal und abermal ermahnt ist, und wisse, daß ein solcher Mensch verkehrt ist und sündigt, als der sich selbst verurteilt (gerichtet) hat“ (Tit. 3,10.11; vgl. Mat. 18,17). Durch Nichtbeachtung dieser Linie der Schrift kann der Geist Gottes betrübt und gedämpft, die Liebe zerstört und die Gemeinde Gottes lahmgelegt werden.

Der Hebräerbrief ist an Judenchristen gerichtet, die die Schrift kannten. Deshalb konnte der Verfasser auch verstanden werden, wenn er die Abfallsünde, von der er Kap. 6,4-8 geredet hat, in dem jetzigen Zusammenhang als mutwillige Sünde bezeichnet, d.h. als Sünde mit erhobener Hand. Die Leser wußten genau, daß er damit jene Sünde meinte, die nicht durch ein Opfer gelöst werden könne, und daher unvergebbar und untilgbar sei. Es ist die Sünde, die Jesus auf die einfache Formel gebracht hatte: „Wer nicht glaubt, der wird verdammt werden.“ (Mk. 16,16), oder ein andermal: „Wer nicht glaubt, der ist schon gerichtet; denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes“ (Joh. 3,18). Nicht die Sünde an sich, wie groß und schwer sie auch sein mag, bringt in die Hölle, sondern der Unglaube, der das Opfer Christi verwirft und dem Evangelium Gottes nicht gehorsam ist. Nichts anderes besagt der Hebräerbrief; es ist der Angelpunkt, um den die vorliegende Erörterung sich dreht. Wie der Unglaube das Gnadenangebot im Evangelium voraussetzt, so die mutwillige Sünde die Erkenntnis der Wahrheit; in beiden Fällen ist es die Verwerfung des Opfers Christi und die Abweisung des Geisteszeugnisses im Evangelium, für die es eine Vergebung nicht gibt und nicht geben kann.

Dieser einfache Tatbestand ist es, der in der vorliegenden Stelle mit aller Deutlichkeit vor Augen geführt wird, indem die Merkmale, unter denen jene Verwerfung sich vollzieht, erkennbar und besonders aufgewiesen werden. Der Verfasser redet deswegen so klar und eindeutig, damit in einer Frage, die im Brennpunkt aller ewigen Belange steht, kein Mißverständnis aufkommt. Ein dreifaches ist es, wodurch die mutwillige Sünde gekennzeichnet wird: „der den Sohn Gottes mit Füßen tritt, das Blut des Testaments, durch das er geheiligt ist, für unrein achtet und den Geist der Gnade schmäht“ (Vers 29). Es sind die Grundlagen des Christentums, die damit angetastet und zerstört werden; das Heiligste, zu dem man sich bekennt, wird verächtlich gemacht. Man begeht damit ein Attentat wider sich selbst, indem man selber das eigene Leben vernichtet. Die Sünde wird aufs höchste gesteigert und kann nicht mehr übertroffen werden; denn es ist die Sünde unmittelbar wider Christus und den Heiligen Geist. Aus dem Wesen des Menschen heraus kann sie nicht verstanden werden; die Sünde ist dämonisch geworden, und der Mensch scheut vor dem Furchtbarsten nicht zurück. Soweit kann es aber nur kommen, wenn der Geist Gottes vom Menschen gewichen ist. Es ist dies psychologisch darin begründet, daß der Mensch sich in der Sünde nur halten kann, indem er sich zunehmend dem Heiligsten widersetzt. „Jede Art der Sünde öffnet in sich selbst eine furchtbare Tiefe, die die Sünde immer durch neue Sünden zu verstopfen strebt, aber deren Grund nimmer findet.“ (J. Müller). Das Pendel schlägt immer mit derselben Kraft, mit der es niederfällt, auch nach der entgegengesetzten Seite aus.

Den „Sohn Gottes mit Füßen treten“ bedeutet, ihn freventlich von sich stoßen. Dasselbe war Kapitel 6,6 mit den Worten gesagt: „Die bei ihnen selbst den Sohn Gottes wieder kreuzigen und für Spott halten.“ Es war die Stunde der Finsternis, als das Volk, das wenige Tage vordem Hosianna gerufen, nun die Luft erfüllt mit dem Geschrei: „Kreuzige ihn!“ Dieser jähe Umschwung in der Einstellung zu dem Heiligen Gottes kann ebenfalls nur von dem dämonischen Hintergrund alles Bösen her begriffen werden. Das gleiche ist der Fall, wenn jemand Christus verwirft, zu dem er vordem sich bekannt hat. Dies Bekenntnis jedoch ist dann nie begleitet gewesen von einer völligen Auslieferung an Christus.

Damit überein kommt das zweite: „das Blut des Testaments, durch welches er geheiligt ist, für unrein zu achten.“ Die reinigende Kraft des Blutes Christi, das auch von ihm in Anspruch genommen wurde, hatte nie eine ganze Arbeit tun können; man ließ es nie zu Wirkungen kommen, die einen völligen Bruch mit der Sünde herbeiführten. Dabei geschieht es dann, daß man zuletzt nichts mehr von einer Reinigung durch das Blut Christi wissen will; denn praktisch und erfahrungsgemäß wurde sie nie begehrt. Man achtet das Blut Christi für unrein; gleich einer entwerteten Münze wird es preisgegeben.

Weiter heißt es: „und den Geist der Gnade schmähet.“ Der Heilige Geist ist der Geist der Gnade, weil er der Vermittler aller Gnadenschätze in Christus ist. Geradeso wie er den aus Gott Gezeugten verklärt von einer Klarheit zur anderen, geradeso zieht er sich zunehmend zurück, wo seine Wirkungen durch Liebe zur Sünde gehemmt werden. Das Wort „schmähen“ bedeutet in der Grundsprache: jemandem übermütig begegnen. Man setzt sich über das treue Locken und Warnen des Geistes Gottes unachtsam hinweg und sucht dieser Mahnungen gar noch sich zu erwehren, weil man sie als eine Störung im Sündenleben empfindet, das man nicht preisgeben will. Das aber kann der Heilige Geist auf die Dauer sich nicht gefallen lassen, und er zieht sich zurück.

Man legt in diese Stelle offenbar zu viel hinein, wenn man sagen will, daß ein Sündigen mit aufgehobener Hand auch von Schmähreden begleitet sein müsse. Davon ist nichts gesagt; gemeint ist ein praktischer Bruch mit dem Christentum, zu dem man vordem sich bekannt hat. Die starke Ausdrucksweise, die hier angewendet ist, soll nur zum Bewußtsein bringen, welche heiligen Schätze mit jenem Bruch preisgegeben werden. Auch bei Esau (Heb. 12, 16) ist nur dessen gemeine, niedrige Gesinnung gekennzeichnet, in der ihm sein Erstgeburtsrecht für einen Genuß des Augenblicks feil war. Das Wort, das hier gebraucht wird (bébälos), bedeutet: zugänglich, im Gegensatz zu dem verbotenen Betreten eines geweihten Raumes; er scheute sich nicht, ruchlos das geringzuachten, was ihm früher heilig war. Man kann die geringschätzige Gesinnung gegenüber dem Christusheil und den Geisteswirkungen freilich mit frommen Worten und Gebärden heuchlerisch verbrämen; auch Kain wußte bei seinem Haß im Herzen seinen arglosen Bruder Abel durch freundliche Worte hinaus aufs Feld zu locken und Judas seinen Verrat im Busen durch vollendete Heuchelei zu verdecken.

Es mag noch bemerkt werden, daß die Bewahrung der Kinder Gottes gerade darin sich erweist, daß sie immer von einer heiligen Scheu begleitet ist. Darum ist Kap. 12,28 gesagt: „Weil wir empfangen haben ein unbeweglich Reich, haben wir Gnade, durch welche wir Gott dienen, ihm zu gefallen mit Zucht (wörtlich: Scheu) und Furcht.“ Nie führt der Heilige Geist in falsche Sicherheit, sondern er läßt uns immer tiefer unseren Jammer schauen, damit wir uns vor nichts mehr fürchten als vor uns selbst und vor der Sünde. Das Gefühl unserer eigenen Armut, die zu Gott aufschreien läßt, ist nicht ein Zeichen der Abwesenheit des Geistes Gottes, sondern ein Beweis, daß er da ist, weil er nur auf diesem Wege vor den Gefahren bewahren kann, die stündlich uns umdrohen. Man macht es wie jener Kapitän, der den Verkehr zwischen zwei Häfen an felsiger Küste vermittelte, und auf die Frage, wie er sein Schiff unversehrt hindurchbringe, erwiderte: „Ich steche weit hinaus in die See und halte mich fern von den Felsen!“ Unter der Führung des Geistes Gottes kann es bei einem Gotteskinde nicht zum mutwilligen Sündigen kommen.

Noch eins. Bevor es bei jemandem zur Vorsatzsünde kommen kann, sind innere und lange Hemmungen der Geistesarbeit vorausgegangen. Mit unermüdlicher Geduld ist der Geist Gottes dabei, etwas Ganzes zu schaffen; er geht mit dem Menschen, soweit er es unbeschadet seiner Heiligkeit vermag, und er verschwendet seine Gaben, solange er ihm beikommen kann, damit der Mensch, falls er verlorengehe, es wisse, daß er sein Schicksal selber herbeigeführt hat. Einer Laute, deren Saiten alle zerrissen sind, kann auch der himmlische Künstler keine Töne mehr entlocken. Es ist kein Punkt mehr da, an den der Heilige Geist anfassen und neue Buße anknüpfen könnte. Nur Reifes wird geerntet.

Der Abschnitt Heb. 10,26-31 ist von einem Ernst getragen, wie er sich sonst in der Schrift kaum findet. Diese Schärfe ist aber angemessen, da die mutwillige Sünde unmittelbar wider Christus und den Heiligen Geist sich richtet, und weil mit der Erlösungstat auf Golgatha und mit der Sendung des Heiligen Geistes die letzte Epoche der Gnadenveranstaltung Gottes eingeleitet ist, auf die eine weitere nicht folgt. Sie wird aber auch zur Gerichtsepoche, da in ihr die Scheidung von Licht und Finsternis vor sich geht. Eine versäumte Gnadenzeit ist nicht wieder einzuholen.

Dies ist es, was dieses Schriftwort unzweideutig herausstellt. Es heißt: „So wir mutwillig sündigen, haben wir fürder kein anderes Opfer mehr, sondern ein schreckliches Warten des Gerichts und des Feuereifers, der die Widerwärtigen verzehren wird“ (V. 27). Das Wort „Warten“ („Erwarten“) hat hier einen schauerlichen Klang. Es ist ein Erwarten, das ebenso gewiß ist, wie die Erwartung der Seligkeit derer, die durch den Heiligen Geist versiegelt sind zum ewigen Leben. Auch die Hölle wirft ihre Schatten voraus. Schon die Furcht, daß es nicht zum guten Ende gehe, ist die unheimliche Begleiterin aller Sünde; wie Satan selbst, so tragen auch seine Hörigen ihren Urteilsspruch bereits in sich, und mit bangem Warten sehen sie dem Tag entgegen, wo der ewige Richter ihn aussprechen wird. „Widerwärtige“ werden sie hier genannt; denn sie haben sich nicht gescheut, Gottes Gnadenangebot frevelhaft zu mißachten. Nun kommt er über sie, und es geschieht ihnen recht; denn sie haben es nicht anders gewollt. Ein „anderes Opfer für die Sünden“ ist nicht vorhanden; in der Einmaligkeit des Opfers ist auch die Endgültigkeit von dessen Verwerfung begründet. Die Verantwortung ist damit aufs höchste gesteigert und der Mund verstopft; man kann Gott nichts vorwerfen.

Daß ein Tag kommt, an dem der bisherige Weltbestand abschließt und an dem Gott Gericht hält, ist in der ganzen Schrift bezeugt, und aß er kommen muß, sagt uns schon die einfachste Erwägung der bestehenden Dinge. Gott selber hat diesen Tag festgesetzt; er wird das letzte Wort haben. Es heißt: „Die Rache ist mein, ich will vergelten“ (V. 30, vgl. 5.Mo. 32,35). In dem Ausdruck „Rache“ ist in der Grundsprache das Wort „Recht“ aufgenommen; keine Willkür oder Leidenschaft wird statthaben. Eine gerechte Vergeltung wird erfolgen, und auf dem Wege unbestechlicher Gerechtigkeit wird ohne ansehen der Person alles abgewogen werden; das Gerichtsverfahren wird in aller Öffentlichkeit vor sich gehen. Es ist Gottes heiliges Majestätsrecht, das Gericht zu halten; daß er es seinem Sohne übertragen hat, steht hier nicht zur Erörterung. Gericht ist Scheidung. Schon im Leibesleben hatte sie sich innerlich vollzogen; nun wird sie sichtbar durchgeführt. Jeder kennt schon seinen Platz; so stehen sie vor seinem Thron, die vielen. Gottes Langmut hat lange genug das Nebeneinander ertragen; was aber nicht zusammengehört, kann auch nicht zusammen bleiben. Die Geduld Gottes hat auch ihr bestimmtes Maß; je länger sie es vermochte, den Eifer Gottes zurückzuhalten, um so tiefer wird er entbrennen. Wie der Lohn der Gerechten angemessen sein wird und seine Stufen hat, so wird auch die Strafe der Widerspenstigen abgewogen sein und ihre Stufen haben. Was muß es doch sein, mit dem Stachel einstiger Erkenntnis der Wahrheit in der Verdammnis anzukommen!

Es ist gesagt: „Schrecklich ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“ (Vers 31). Die nun als Frevler vor dem Schöpfer als ihrem Richter stehen, sind die, die das Gnadenangebot verschmäht haben. Der Generalpardon ist nun abgelaufen; der Blitzstrahl des gerechten Zornes Gottes fällt auf ihr Haupt. Was jeder von ihnen im Verlauf der ungehemmten sündlichen Entwicklung geworden, wird nun offenbar. Eine Berufung auf den Erretter, den sie verworfen, ist nicht mehr möglich. Satans Los ist nun das ihrige geworden; sie haben es sich frei erwählt.

Wir sind zu Ende. Es gab eine Zeit, wo von Gericht und Verdammnis, der Kehrseite des Evangeliums, mehr geredet wurde, als es heute im allgemeinen geschieht. Das Pendel ist bedenklich nach der andern Seite hin ausgeschlagen, und das Bewußtsein von dem Abstand des Menschen gegenüber dem heiligen Gott ist zurückgetreten. Hierzu hat nicht wenig ein Schrifttum und eine Predigtweise beigetragen, die es dem Menschen sehr leicht gemacht hat, selig zu werden. Die Liebe Gottes verdeckte allzusehr seine Heiligkeit, und der Sündenbegriff litt an einer Blässe, die eine tiefgehende Buße wenig aufkommen ließ. Die Folgen sind nicht ausgeblieben. Es wurde ein Christentum erzeugt, dessen Kosten gering waren und das darum der Kraft ermangelte, die in Christus flüssig geworden ist. Man war oft allzu schnell dabei, eine Bekehrung zu bescheinigen, die keine war, und ein Evangelisationsbetrieb setzte ein, der mehr auf zahlenmäßigen Erfolg eingestellt war, als auf völlige Auslieferung an Gott. Eine aufgeputzte und geistreiche Wortdarbietung galt mehr, als die Beweisung des Geistes und der Kraft, und die Kunstrede galt mehr, als das schlichte, lebendige Zeugnis von Christus. Ein genießerisches Christentum wurde gezüchtet, das allzu stark gefühlsbetont war und zu wenig in die Tiefe ging; mit einem gewissen Behagen erfreute man sich etwa bei einem geistlichen „Konzert“ oder ähnlichen Veranstaltungen, während man die kleinen Versammlungen, die der Schriftvertiefung und dem Gebet galten, wenig schmackhaft fand. Mitläufer ohne Herzenserneuerung gibt es dann genug; das Christentum selber ist nicht daran schuld, daß es so manche Rückfälligkeiten und Müdigkeitserscheinungen gibt, wie sie oft beklagt werden. Man hat sich im Heerlager Christi vielfach recht wohnlich eingerichtet; man wird aber - vielleicht schon bald - einmal froh sein, hinter verschlossenen Türen gemeinsam die Bibel lesen und beten zu dürfen. Möge der schrille Trompetenstoß, den wir aus dem Hebräerbrief heraushören, nicht vergeblich verhallen!

Die Sünde zum Tode

(1. Johannes 5,16.17)

Die Bibel ist ein einzigartiges Buch. Es reden in ihr viele „heilige Gottesmenschen“ zu verschiedenen Zeiten, und doch ist sie wie aus einem Guß. Es ist derselbe eine Geist, der die Schrift eingegeben, und darum findet sich bei aller Mannigfaltigkeit der Ausdrucksform eine überraschende Übereinstimmung der Gedanken, vom ersten bis zum letzten Blatt. Der Rat Gottes tritt in zunehmender Entfaltung zutage, bis er zuletzt erschlossen vor uns liegt. Und doch schweben über allem wieder Geheimnisse; es bleiben Reste übrig, die wir nicht verstehen. Daran merken wir, daß hier der unbegreifliche Gott zu uns redet, da unser kleiner Verstand seine unendlichen Gedanken nicht fassen kann. Jedes neuerschlossene Gotteswort ist wie ein neuer Stern, der aufgeht in dunkler Nacht; wer kann sie alle zählen? Ehrfurchtsvoll schauen wir auf zum gestirnten Himmel; anbetend falten wir die Hände und sagen: „Wie sind deine Gedanken so sehr tief!“ (Ps. 92,6). Und meerestief sind seine Gedanken in seinem Wort: „Ich wache des Nachts auf, zu sinnen über deinem Wort!“ (Ps. 119,148). Jedesmal, wenn wir über ihm sinnen, erschließen sich uns neue Gottesgedanken, und bei alledem bleibt hier unser Erkennen eitel Stückwerk (1.Kor. 13,9). - Die ganze Heilige Schrift ist „orientiert“ an Christus, und wer ihn nicht versteht, kennt auch die Schrift nicht. An ihm scheiden sich die geister; denn er ist zum Gericht in die Welt gekommen (Joh. 3,19). Er ist der Fels der Ewigkeiten, an dem die einen sich halten und errettet werden und an dem die anderen anstoßen und fallen - für diese ein Gerichtsverhängnis, das gerecht ist, und zu dem „sie gesetzt sind“ (1.Pet. 2,8).

Geheimnisvoll schaut uns das Wort an, das uns zur Erörterung vorliegt: „Sünde zum Tode.“ Es weist schon zurück auf das erste Blatt der Bibel, und auf dem letzten Blatt finden wir es wieder. Manche Aufschlüsse werden uns im Verlaufe der göttlichen Offenbarung zuteil, und Personen treten auf, in denen das Geheimnis leibhaftige Gestalt gewinnt - alles, um den Menschen zu mahnen und zu warnen und um Beispiele darzustellen, wohin es mit ihm kommen kann, wenn er sich von seinem Schöpfer abkehrt, der Sünde dient und Satan sich überliefert. Mit kleinen Hemmungen der Arbeit Gottes und seines Geistes fängt es an; aber sie wachsen aus zu ungescheuter Widersetzlichkeit und offenem Treubruch. Das Gewissen wird vergewaltigt und das Band mit Gott zerrissen; es kommt zur Sünde wider den Heiligen Geist. Nicht irgendein beliebiger Ägypter oder Grieche kann sie begehen, sondern nur jemand, dem unmittelbar göttliche Offenbarungen zuteil geworden sind und der Bezeugungen des Geistes spürbar erfahren hat. Unter ihnen hört jede Neutralität auf, und die bewußte Frontstellung für oder wider Gott und seinen Gnadenrat in seinem Sohne beginnt. Für viele zieht hier das gewitterschwangere Gewölk eines Verhängnisses herauf, das sich entlädt in Gericht und Verdammnis. In mannigfacher Ausdrucksweise redet hiervon die Schrift, bald als Verstockung, dann wieder als Sünde mit erhobener Hand oder als Abfall oder als mutwillige Sünde oder als Sünde zum Tode; immer aber ist gemeint die gleiche Sünde der Zuständlichkeit, sie wird nur jedesmal in neue Beleuchtung gestellt.

Was es mit der „Sünde zum Tode“ auf sich hat, soll nachstehend dargelegt werden.

Wir setzen zunächst die Stelle hierher, die zur Besprechung vorliegt: „Wenn jemand einen Bruder sündigen sieht eine Sünde nicht zum Tode, so wird er beten und Leben geben denen, die nicht zum Tode sündigen. Es gibt eine Sünde zum Tode; bei ihr sage ich nicht, daß man bitten soll. Jede Ungerechtigkeit ist zwar Sünde, doch ist sie eine Sünde nicht zum Tode.“ Es fällt auf, daß Johannes unvermittelt redet von „Sünde zum Tode“, ohne sie genauer zu bezeichnen. Es war dies nicht nötig, da er vordem deutlich von ihr geredet hatte; er konnte also verstanden werden. Im ganzen Brief finden wir eine scharfe Unterscheidung von Sünde und Sünde. Wenn Johannes von Sünde allgemein redet, ohne ihre Unterschiedlichkeit, so braucht er stets das Wort hamartia (Verfehlung), d.h. verfehltes Handeln, ein Tun, das - wie ein Geschoß - nicht am Ziele ankommt; es ist dies ein Gattungsbegriff (Luther übersetzt das Wort stets mit „Sünde“). Im Johannesbrief ist diese Sünde unterschieden in Sünde als „Ungerechtigkeit“ (adikia) und in Sünde der „Ungesetzlichkeit“ (anomia). Beide Bezeichnungen kommen auch sonst im Neuen Testament vor; im Johannesbrief aber ist ihre unterschiedliche Bedeutung besonders herausgestellt. Diese Unterschiedlichkeit der beiden Bezeichnungen ist eine grundsätzliche, und sie ist genau zu beachten, wenn man den Brief verstehen will.

Sie zeigt sich schon sofort im ersten Kapitel. Es heißt dort Vers 9: „So wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit“ (adikia, Luther: Untugend). Diese Sünde der Ungerechtigkeit ist die der Schwachheit, Überrumpelung, Übereilung oder Betrug der Sünde, und sie wird auch von Kindern Gottes begangen. Das innewohnende Sündenverderben (oder wie es Vers 8 heißt: „Sünde haben“) ist auch bei ihnen nicht ausgerottet; aber das Blut Jesu Christi reinigt sie von aller Sünde (Vers 7), sie bekennen ihre Sünden (Vers 9), Jesus Christus ist die Sühnung für ihre Sünden (2,2; 4,10), sie wissen die Wahrheit (2,21), und sie sind in dem Wahrhaftigen (5,20); ihr Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat (Vers 5). Auch in der vorliegenden Stelle heißt es: „Jede Ungerechtigkeit ist Sünde, doch nicht zum Tode“ (Vers. 17).

Wie verhält es sich aber mit der Sünde der Ungesetzlichkeit? Es heißt Kapitel 3,4: „Wer die Sünde tut, der tut auch die Ungesetzlichkeit (anomia; Luther: Unrecht), und die Sünde ist die Ungesetzlichkeit.“ Das Wörtlein „die“ hat hier, wie oft, hinweisende Bedeutung, d.h. die Sünde, von der jetzt die Rede ist, ist die anomia, die Ungesetzlichkeit, die Absichtssünde. Dies drückt Johannes vorliegend aus mit dem Zeitwort „tun“ (poieo = verursachen, anstiften, hervorbringen, d.h. fortgesetzte Handlung, etwas aus sich heraus in eigenem Willensentschluß ins Werk setzen). Zur Verdeutlichung dieser Sünde heißt es Vers 8: „Wer die Sünde tut (als eigenes hervorbringt, erzeugt), der ist vom Teufel, denn der Teufel sündigt aus Grundsatz.“ Luther übersetzt das Wort „Grundsatz“ (archä) mit „Anfang“, was an sich richtig ist; hier aber ist nicht Anfang der Zeit gemeint, denn Johannes verbindet dies Wort dann immer mit der Vergangenheit (1,1.2; 2,7.13.14.24; 3,11), sondern hier ist gemeint der Anfang in der Begründung, der sich auch in der Gegenwart fortsetzt.

Johannes aber gibt dem Gedanken der Zugehörigkeit zum Teufel in Vers 10 noch eine andere Wendung, die lehrreich ist: „Daran sind offenbar die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels: Jeder, der die Gerechtigkeit nicht tut, ist nicht aus Gott, und der seinen Bruder nicht liebt.“ Man müßte nach dem Vorhergesagten allerdings erwartet haben, daß hier gesagt wäre: „der Ungesetzlichkeit tut“; das ist auch in Wirklichkeit der Fall. In der Grundsprache gibt es nämlich ein doppeltes „nicht“, ein gegenständliches (objektives) und ein persönliches (subjektives); das letztere ist hier gebraucht: das „nicht“ ist hier als aus der Seele eines Menschen gesprochen angesehen. Es bedeutet also hier: Jeder, der absichtlich die Gerechtigkeit nicht tut oder seinen Bruder absichtlich nicht liebt! Wer aber die Gerechtigkeit nicht tun will, der gibt damit zu verstehen, daß er sie wohl erkennt, aber mit Absicht und Überlegung sie von sich wirft, und das ist Ungesetzlichkeit. Ebenso ist das Wort zu verstehen: „Wer da sagt, ich habe ihn erkannt, und hält seine Gebote (absichtlich) nicht, der ist ein Lügner.“ (2,4).

Nebenher sei bemerkt, daß die Unterscheidung von „erläßlicher Sünde“ und „Todsünde“, wie sie in der katholischen Kirche gelehrt wird, in der Heiligen Schrift keinen Halt hat. Es wird damit schon verkannt die Heiligkeit Gottes, bei der alle Sünden gleich schwer und verdammlich sind; wer an einem der Gebote sündigt, ist das ganze Gesetz schuldig (Jak. 2,10). Die Gnade Gottes tilgt blutrote Sünden (Jes. 1,18), und Mord, Ehebruch und Meineid erlangen Vergebung; auch der Schächer fand Gnade, und in Korinth kamen Menschen zum Glauben, die alle jene Sünden getan hatten (1.Kor. 6,11). Der Unterschied aller Sünde - auch derjenigen, die nach unseren Maßstäben gemessen schwer sind - gegenüber der Sünde zum Tode liegt nicht (um das in der Gelehrtensprache auszudrücken) in der „objektiven“ Beschaffenheit der Sünde an sich, sondern in der „subjektiven“, d.h. sittlichen Verfassung des Sünders selbst; diese bedingt es, ob die Sünde eine solche zum Tode ist oder nicht. Das entscheidende Moment der Sünde zum Tode liegt in dem Unglauben, der bewußt von dem Heil in Christus sich abkehrt und unter Mißachtung der Gnade Gottes in der Sünde beharrt, also in dem Zustand, den Johannes die „Ungesetzlichkeit“ nennt. Dies ist es auch, weshalb er erläuternd hinzufügt: „Alle Ungerechtigkeit ist Sünde, doch ist sie eine Sünde nicht zum Tode“ (5,17).

Die Gesetzlosigkeit ist ein „Geheimnis“, das endgeschichtlich in dem Gesetzlosen erst völlig offenbart wird (2.Thess. 2,7). In ihm wird Satan sein vollendetes Ebenbild finden; darum wird er auch als gerichtsreif ohne weiteren Spruch lebendig in den Feuerpfuhl geworfen (Off. 19,20). Aber schon ist das Geheimnis der Bosheit bereits wirksam, und der Gesetzlose hat viele Vorläufer. In diesem Sinne redet Johannes auch von „Kindern des Teufels“, Menschen, die seine Art an sich tragen (2,18; 3,8). Die Sünde zum Tode ist der Zustand der Gesetzlosigkeit.

Noch ein zweifaches ist in dem vorliegenden Schriftwort gesagt, das das Vorgesagte weiter erläutert. Einmal, daß dem Gläubigen, der die Salbung hat und um ewige Dinge weiß (2,20), zugetraut wird, die Sünde nicht zum Tode und die Sünde zum Tode voneinander unterscheiden zu können. Sodann ist gesagt, daß die Fürbitte im ersteren Fall wirksam ist und zum Leben verhilfe, daß jemand wieder zurechtkommt, während im andern Falle die Fürbitte unerhörlich, ungeziemend und unzulässig sei. Der Gegenstand der Fürbitte war es, weshalb Johannes auf die Sünde der Ungesetzlichkeit noch einmal zu sprechen kommt, um sie hier aber mit einem andern Ausdruck zu bezeichnen. Mit der Bezeichnung „Sünde zum Tode“ ist recht stark zum Ausdruck gebracht, daß jene, die sie begangen, von Gott und seinem Heil bereits geschieden sind. Gott hat sich von ihnen abgekehrt und sie ihrem Schicksal preisgegeben.

Nachdem Johannes selber die Deutung gegeben und wir gesehen haben, was es mit der „Sünde zum Tode“ auf sich hat, können wir nicht umhin, nachzuforschen, wie er zu dieser Bezeichnung gekommen ist. Ihm selber konnte nicht daran liegen, sich hierüber auszusprechen, da die Leser diese Ausdrucksweise verstanden. Sie war offensichtlich aus dem Gesetz Moses hergenommen, wonach für die Frevelsünde eine Versöhnung nicht angenommen wurde; den der Frevler war „des Todes schuldig und mußte des Todes sterben“ (5.Mo. 35,31). Wir haben bereits gesehen, daß diese Bestimmung vorbildliche Bedeutung hatte, die auf der höheren Stufe des Neuen Bundes eine ihm entsprechende Anwendung findet. Der tiefere und letzte Grund für die Bezeichnung „Sünde zum Tode“ muß indes noch wo anders gesucht werden. Wir werden damit zurückgeführt auf den Anfang und die Ursache des Todeswesens überhaupt.

Der Mensch ist im „Bilde Gottes“ geschaffen (1.Mo. 1,27), jenseits von Sünde und Tod. Durch den Einhauch Gottes war ihm göttliches Leben mitgeteilt (1.Mo. 2,7). Zu Gott hin war er geschaffen, und Gott war sein Element. Er stand in innerer Verbindung mit Gott; das war seine Seligkeit. Das Schöpfungsgebiet der Erde nannte er sein eigen; zum Herrscher war er über sie eingesetzt, und sie prangte in unvergänglichem, herrlichem Flor. Gott hatte sein Wohlgefallen und seine Schöpferlust an seinem Werk und an dem Menschen, den er über dasselbe gesetzt hatte. Die Sonne erglänzt über die lieblichen Fluren, die Tiere schmiegten sich vertraulich dem Menschen an, und die Vögel des Himmels vereinigten sich zu einem Lobpreis zu Ehren des Schöpfers. Alles atmete tiefen Frieden und seliges Wonnegefühl.

Die Erde war aus einem Tohuwabohu ein Lustgarten Gottes geworden. Aber eine feindliche Macht war auch da. Sie war ihrer einstigen Würde entkleidet, und der Mensch war an ihrer Stelle zum Herrn der erneuerten Erde eingesetzt. Von ehedem her aber hatte sie noch Zutritt, und vor ihr sollte der Mensch den Garten Eden, der ihm besonders zugeteilt war und in dem Gott ihm nahte, bewahren (1.Mo. 2,15). Inmitten dieses Gartens, also an bevorzugter Stelle, hatte Gott „aufwachsen lassen“ einen Baum des Lebens und einen Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Und Gott sprach zum Menschen: „Du sollst essen von allerlei Bäumen im Garten; aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen; denn welches Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben“ (1.Mo. 2,16.17).

Eine Warnung Gottes; sie war nicht Willkür, sondern sie hatte einen Grund! Etwas Besonderes mußte es mit diesem Baum auf sich haben. Er war das Gegenbild vom Baum des Lebens; wie dieser ewiges Leben vermittelte (1.Mo. 3,22), so brachte die Frucht des andern Baumes den Tod; man könnte ihn daher auch Baum des Todes nennen, und doch hatte Gott auch ihn, gleichermaßen wie den Baum des Lebens, aufwachsen lassen. Warum dies? Und welche besondere Bewandtnis hat es mit diesem Baum? Es ist nicht gesagt. Wir stehen vor einem verborgenen Geheimnis, und menschliche Grübelei wird den Schleier nicht lüften. Der Ewigkeit ist es vorbehalten, daß er gehoben wird, und dies ist uns genug; wir lassen hier die mancherlei Aufstellungen und Deutungsversuche beiseite.

An der Schwelle der Geschichte des Menschen begegnet uns eine Tragik, die auf unsichtbarer und unheimlicher Bühne eine Handlung vor sich gehen läßt, deren Erschütterung Jahrtausende hindurch nachzittert! Schon indem der Mensch dem verhängnisvollen Baum sich nur naht, ist die Berührung mit jener feindlichen Macht da, von der wir oben redeten. Versteckt, verhüllt, aber leibhaftig! Noch war dem Menschen das Böse fremd, und es sollte dies auch so bleiben. Die Erkenntnis des Bösen gegenüber dem Guten ist ein schauerliches Erkennen. Es stellte einen Rapport (Verbindung) mit dem Bösen selber dar, es bewirkt die Erfahrung des Bösen, indem es in den Menschen eingeht und sich seinem Wesen naturhaft mitteilt. Gott selber nannte es: „des Todes sterben“. Schon diese verstärkte Ausdrucksweise läßt ahnen, daß es sich um ein Sterben besonderer Art handelt. Sterben ist Auflösung, das Zerreißen eines Bandes, das bisher bestanden. Und wir finden auch, daß nach vollbrachter Tat das Band zerriß, das den Menschen mit Gott verknüpfte, und daß es um die Einheit und ungetrübte Gemeinschaft mit Gott geschehen war. Ein Zustand war eingetreten, bei dem der Mensch, der zu Gott hin geschaffen war, in der Grundlage seines Wesens zerrüttete, und die ihn das Höchste, das ihm zuteil geworden, einbüßen ließ. Anders hatte der Mensch die Worte, die Gott zu ihm gesprochen, auch nicht verstehen können. Es war geschehen!

Es ist eine ganz lockere Auffassung der Worte: „des Todes sterben“, hierbei nur an den leiblichen Tod zu denken; dieser ist zudem auch nicht sofort eingetreten, während Gott gesagt hatte: „an welchem Tage du davon issest, wirst du des Todes sterben.“ Dies konnte nichts anderes heißen, als daß der Mensch zu gleicher Zeit, wo er von dem Baum esse, des Todes sterben werde. Daran ist nicht zu deuteln. Es ist ein Sterben, das sofort eingetreten sein muß und auch sofort eingetreten ist. Es kann nur das Sterben sein, das gemeinhin als „geistlicher Tod“ bezeichnet wird; es ist die Zerreißung des inneren Bandes mit Gott. Daß es so ist, zeigt auch der weitere Verlauf. Schon das Verheißungswort, das Gott Kapitel 3,15 zur Schlange redet, setzt den Vollzug und den Eintritt des angedrohten Todes voraus. Es konnte erst ausgesprochen werden, nachdem der Mensch durch die Übertretung des göttlichen Verbotes dem angekündigten Todeszustand anheimgefallen war. Die erkennbaren Zeichen des geistlichen Todes treten auch sofort in Erscheinung: die Unruhe des bösen Gewissens, die Furcht und Flucht vor Gott, die Scheu und leere Entschuldigung. Mit dem bisherigen guten Verhältnis zu Gott war es zu Ende, und der Mensch war sich dessen bewußt. Von Gott, seinem Ursprung, dem Quell alles Lebens, hatte der Mensch sich losgesagt. Darum war der Friede und die Seligkeit aus seinem Herzen gewichen; er war aus dem Bereich des Lichtes und des Lebens in den der Finsternis und des Todes eingetreten. Tod ist Auflösung eines bestehenden Bandes und Übergang aus einem Zustand in einen anderen, der von jenem verschieden und ihm zugleich entgegengesetzt ist. Nicht ist der Tod eine Auflösung des Seins überhaupt, anders würde auch Satan nicht mehr da sein. Der Grund hierfür liegt darin, daß Engel und Mensch nicht bloße Naturdinge sind, die in sich zur Natur hin wieder zerfallen, sondern sie sind Wesen, denen Gott etwas von seinem eigenen Wesen mitgeteilt hat. Was man unter dem Tod, den Gott angedroht, zu verstehen hat, ist die Störung und Zerrüttung eines Seins, das nicht mehr aus Gott seine Lebensfülle schöpft, kurz: der geistliche Tod.

Bei dieser Auffassung des Todes, der durch den Fall eingetreten - eine Auffassung, die der Schrift überall eigen ist - ist der leibliche Tod eine Wirkung und Folge des geistlichen Todes; bei den gefallenen Engeln kann von ihm keine Rede sein, weil sie Geistwesen sind. Der nachfolgende leibliche Tod ist zudem eine Maßnahme göttlicher Heilsgedanken; er wird auch nachträglich besonders von Gott ausgesprochen und über den Menschen verhängt: „Du sollst wieder zu Staube werden, woraus du genommen bist“ (1.Mo. 3,19). Ein Erdenleben wird dem Mensch gewährt; aber weil es unter dem Gesetz des geistlichen Todes steht, soll es mit ihm ein Ende nehmen. Gott verzichtet nicht auf seinen ursprünglichen Schöpferwillen, eine Menschheit zu haben; aber sie soll sich nicht ewig in sündlichen Wesen fortpflanzen und dem Satan verhaftet bleiben. Dem Menschen soll ein Erdenleben vergönnt sein, damit in ihm eine Erlösung aus Sünde und Tod durchgeführt werde. Nicht darauf hat Gott es abgesehen, daß der eingetretene Todeszustand bestehen bleibe, sondern daß er wieder eine Menschheit in die Hand bekomme, die seinen Willen tut und in der durch einen Menschen, den Weibessamen, die Gewalt Satans zerstört werde. Dieser Gottesratschluß stand fest, bevor Sünde und Tod in die Menschheit eingeführt wurde. Nicht ursprüngliche Schöpfungsordnung ist darum der leibliche Tod; dieser ist eine später eingetretene und von Gott selber gesetzte Naturordnung, die seinen Heilszwecken dient.

Hieraus ergibt sich bereits, daß der Fall des Menschen die Stufe des Abfalls in der Engelwelt nicht erreicht hatte. Wenn er wie Satan gesündigt hätte, so würde er auch wie dieser die tiefsten Grundlagen seiner Persönlichkeit in den Finsternis- und Todeszustand verkehrt, sich satanisiert haben. Es würde dann schon eingetreten sein, was die Schrift den „anderen Tod“ nennt (Off. 20,6.14; 21,8), aus dem es eine Möglichkeit zur Umkehr nicht gibt; darum hat Gott auch nicht der Engel sich angenommen, sondern den Ratschluß zur Erlösung nur zugunsten des Menschen gefaßt (Heb. 2,16). Aber der erste Tod des Menschen, der geistliche Tod, kann in dem Erdenleben, das Gott den Menschen vergönnt und das er zu dessen Heil eingeschoben hat, durch die „Sünde zum Tode“ ebenfalls zu jenem „anderen Tode“ sich vollenden - ein Schicksal, das herbeigeführt wird durch Abweisung der Erlösung, die Gott in seinem Sohne durch dessen Menschwerdung und Heilstat auf Golgatha innerhalb der Menschheit ins Werk gesetzt hat; die Entscheidung ist dem Menschen offengeblieben.

Anbetungsvoll groß sind die Heilsgedanken Gottes mit den Menschen! Sie kehren zurück zu seinen ursprünglichen Schöpfungsgedanken. Das letzte Buch der Bibel kommt wieder an ihrem ersten Buche an. Weit herrlicher schlägt für den erlösten Menschen die Sache aus, als sie war, nachdem der andere Adam sie in seine Hand genommen. Nicht nur wird alles wiedergebracht, was einst vergeudet und verloren war, sondern in einer Vollendung steht das Neue da, die das erste überbietet. Wir hören zuletzt das große Wort: „Siehe, ich mache alles neu!“ (Off. 21,9). Mit Wohlgefallen blickt Gott noch einmal auf sein Werk, und er kann befriedigt sagen: Es ist alles sehr gut! Und er schaffte einen neuen Himmel und eine neue Erde, und er wohnt wieder unter den Menschenkindern (Off. 21,3.4). „Wer überwindet, der wird alles ererben“ (V. 7); eine Überwinderschar wird es sein, die in die neue Schöpfung einzieht. Diesmal geht sie nicht hervor aus einem Tohuwabohu; keine feindliche Macht kann mehr nahen - sie ist vernichtet und „draußen“. Draußen aber sind auch alle, die diese herrliche Erlösung nicht angenommen haben. Durch alle Himmel braust der Jubel der Erlösten, und die eine vollkommene und ewige Erlösungstat des Lämmleins auf Golgatha mit dem Zeichen der Schlachtung bildet den Grundakkord aller Siegesgesänge, die die weiten Himmelshallen durchziehen.

Wir kehren zu unserer Erörterung zurück. Einige Bemerkungen mögen sie beschließen. Hätte das Sterben, von dem Gott geredet und das im Paradiese eintrat, mit dem geistlichen Tode zugleich unmittelbar auch den irdischen Tod zur Folge gehabt, so wäre es mit der Menschheit aus gewesen. Gewiß, Gott hätte eine neue Menschheit schaffen und mit ihr eine neue Geschichte einleiten können; aber das erste Menschenpaar wäre im Tode verblieben, und die Erschaffung des ersten Menschen hätte sich als ein Fehlschlag erwiesen. Das durfte nicht sein, und wer bürgte dafür, daß eine neue Menschheit nicht ebenfalls erliegen werde; denn Gott hätte sie nicht in einer Geschöpflichkeit erschaffen können, die ihre Heiligkeit durch einen Naturvorgang aus sich heraussetzte; auch wäre die göttliche Wesenheit in Barmherzigkeit und Liebe ewig verborgen geblieben.

Die Durchführung seines Ratschlusses mit der geschaffenen Menschheit war indessen tiefgreifender als ein neuer Schöpfungsplan; er kostete Gott den Einsatz seines erstgeborenen Sohnes. Er schreckte nicht davor zurück, und dieser Weg war der Gott geziemende und ein sicherer. Die geschichtliche Durchführung des göttlichen Ratschlusses, der an sich bestehen blieb, erlitt damit eine Änderung und Umbiegung. Gott mußte einerseits eine Zügelung und Eindämmung des Bösen durch Mühsal und Leiden eintreten lassen und andererseits dem einzelnen ein Erdenleben gönnen, das lang genug war, eine endgültige Stellung zu dem Heil einzunehmen, das er ihm darbieten werde. Denjenigen aber, die es nicht annehmen würden, durfte er hinwiederum nicht ein Erdenleben von solcher Dauer gestatten, daß das böse in einem Grade sich steigern würde, der mit der Durchführung seines Ratschlusses unverträglich war. Beweis dafür ist, daß schon bald in der Urväterzeit mit dem langen Lebensalter das Böse so überhandnahm, daß Gott die Sintflut eintreten lassen und das Erdenleben des einzelnen verkürzen mußte; ein Zustand des Bösen, der freilich auch selbst bei diesem abgekürzten Lebensalter am Ende des Zeitlaufs in der Teilung zwischen Reich des Antichristen und Gemeinde nochmals eintreten wird.

Jene geschichtliche Umbiegung des göttlichen Ratschlusses durch den Fall des Menschen hat auch noch ein anderes im Gefolge. Gott hatte dem Menschen die Fortpflanzung seines Geschlechtes gelassen, damit eine Menschheit entstehe und damit in ihr zu dem dargebotenen Heil endgültig Stellung genommen werde. Der geistliche Tod, der in ihr fortwirkte, war noch nicht die Vollgestalt des Todes, nicht der andere Tod. Der leibliche Tod aber ist nur ein Vorläufiges, eine dazwischentretende Maßnahme, die noch nicht zum Abschluß des geschichtlichen Prozesses und zum Ende des Weltlaufs und somit auch nicht zur Vollendung des Geschickes des einzelnen führt. Gott hätte freilich auch letztere mit dem leiblichen Tod sofort eintreten lassen können. Dies tat er jedoch nicht. Für die Gemeinde geschieht sie bei der Zukunft des Herrn und für die anderen Menschen am Tage des Weltgerichtes. Bis dahin ist auch der Zwischenzustand nach dem Tode ein Vorläufiges, jedoch so, daß mit dem leiblichen Tode für den einzelnen die Gnadenzeit abschließt (2.Kor. 6,2; Heb. 2,3), da die Schrift von einer Bekehrung nach dem leiblichen Tode nichts weiß.

Nun aber kann auch der Mensch schon inmitten dieses Leibeslebens der Arbeit des Heiligen Geistes ein Ziel setzen, geradeso wie er in ihm durch die Versiegelung des Heiligen Geistes zur Gewißheit des ewigen Lebens durchdringen kann. In beiden Fällen ist die ewige Bestimmung schon im Erdenleben vorweggenommen und unwiderruflich. Wie bei diesen schon das ewige Leben in Kraft und Wirksamkeit getreten ist (Joh. 11,25.26; Kol. 3,3; 1.Joh. 4,17; 5,12), so bei jenen der „andere Tod“ (Mat. 12,31; Heb. 6,4 usw.).

Das ganze Weltalter ist gestellt unter das Zeichen der Erlösungstat des Sohnes Gottes. Sie warf ihre Strahlen schon voraus in dem Verheißungswort vom Schlangentreter im Garten Eden. Sie stand weiter vor Gottes Augen, als er zu Abraham redete von dem Segen, der in seinem Samen kommen werde über alle Geschlechter auf Erden; und die ganze alttestamentliche Haushaltung ist eine einzige Weissagung auf die Versöhnung im Opfertode Jesu. Sie ist aufgerichtet in der Predigt des Evangeliums durch alle Lande; ob groß oder klein - sie alle haben sich mit ihm abzufinden. Leben und Tod sind in der Hand des Menschen gelegt, und seine Entscheidung tritt in Kraft für alle Ewigkeiten.

Abschließend noch einige Bemerkungen. Es entspricht der allgemeinen Darstellungsweise der Schrift, wenn sie auch in so überaus ernsten und schicksalshaften Dingen, wie vorliegend, ihre schlichte und nüchterne Sprache bewahrt. Sie verschmäht es, mit beweglichem Anspruch an das Gemüt nachzuhelfen, und alle seelischen Ausdrucksmittel der Überredung setzt sie beiseite; sie begnügt sich damit, die Gewalt unerbittlicher Wahrheit auf den Menschen wirken zu lassen. Diese ist immer einfach und eindeutig; der Schwung gekräuselter menschlicher Rede würde sie entwerten. Nicht einmal mit Beweisführungen gibt sie sich ab; sondern sie läßt nur die Tatsachen sprechen, ohne sich auf lange Erörterungen einzulassen. Das aber gibt der Schrift jene Wucht, der niemand sich entziehen kann.

So ist es auch zu verstehen, daß sie über die „Sünde zum Tode“ und über den „anderen Tod“ so wenig sagt. In den Worten Jesu kommen diese Bezeichnungen nicht einmal vor 2); was sie indessen in sich schließen, das lassen jene mit aller Schärfe hervortreten. Nicht anders ist es mit der Lehrdarbietung der Apostel; Zeugen sind sie, keine „Apologeten“, nicht verstandesgemäße Verteidiger des Christentums. Kurz und gemessen sind auch die Umschreibungen, die von dem „andern Tod“ gegeben werden. Wir fügen die gängigsten hier an, weil sie den Begriff „andern Tod“ weiter erläutern.

  • Die Schrift redet von ihm vor allem als „Verdammnis“, ein Wort, das mehr den Gesamtzustand des anderen Todes bezeichnet, und zwar als ein Hinausgetansein von Gott, ein Fernesein von ihm - eine Widerfahrnis, die auch Jesus stellvertretend am Kreuz zu kosten hatte (vgl. Luk. 13,28; Phi. 3,19; 1.Tim. 6,9; 2.Pet. 1,3; Off. 14,10)
  • Ferner ist gebraucht die Bezeichnung „Verderben“, die mehr das Böse als im andern Tod ausgebildet darstellt, die völlige Zerrüttung in vollendetem Haß wider Gott und in ungebändigter Lust, andere zu quälen - wie auch Satan den Namen „Teufel“, d.h. Verderber, Verleumder, trägt (vgl. Mat. 10,28; Gal. 6,8; 2.Thess. 1,9; 1.Tim. 6,9; ebenso Mat. 7,13; Röm. 9,22; Phi. 1,28 und Heb. 10,39; in diesen vier Stellen hat Luther das Wort mit „Verdammnis übersetzt)
  • Sodann finden wir vielfach das Wort „Verlorengehen“, das mehr die Einbuße aller Lebensbeziehungen bezeichnet, bei der nichts mehr vorhanden ist, an das Gott anknüpfen könnte (vgl. Mat. 18,14; Joh. 17,12; Röm. 2,12; 1.Kor. 1,18; 2.Kor. 4,3; 2.Thess. 2,10; 2.Pet. 3,9)
  • Wir erwähnen auch noch die Bezeichnungen „Finsternis“ und „äußerste Finsternis“, die mehr das Ausgestoßensein von allem Licht und Leben, das Versunkensein in ewige Nacht, die Bußlosigkeit und Hoffnungslosigkeit in endloser Verhaftung unter Gottes Zorn darstellen (vgl. Mat. 8,17; 22,13; Kol. 1,13; 2.Pet. 2,4.17; Jud. 6;13)

Alle diese Bezeichnungen sind nur Wechselbegriffe für das Wort vom „anderen Tod“. Sie besagen nichts weniger, als daß dieser die Vollendung und Verewigung des geistlichen Todes ist, der durch den Fall des Menschen bereits angehoben hat, ein Zustand, in den Satan durch seinen bewußten und gewollten Abfall unmittelbar versunken ist. Wir haben oben bereits näher dargelegt, daß der leibliche Tod des Menschen nur eingeschoben ist, damit es hier auf Erden nicht schon zur Hölle komme und damit für die geschichtliche Durchführung des Heilsrates Gottes Raum bleibe. Weiter haben wir bereits dargetan, daß der geistliche Tod, in den jeder Mensch als gattungsmäßiges Glied der aus Adam stammenden Menschheit hineingeboren wird, notwendigerweise in den andern Tod überleiten muß, wenn nicht der Mensch in dem ihm vergönnten Erdenleben in die dargebotene Erlösung eintritt.

Die Sünde zum Tode aber zerstört die sittlichen Anlagen des Menschen, die ihm auch im geistlichen Tode verblieben und ihn erlösungsfähig machten. Der Heiland drückt dies mit den Worten aus, daß ihm „genommen werde, was er hat“ (Mat. 13,12; Mk. 4,25; Luk. 8,18); das letzte, das ihm verblieben, büßt der Mensch ein (vgl. die Stelle Mat. 6,22.23). Indem der Mensch das Heil in Christus verworfen und damit Gott von sich gestoßen hat, ist es drinnen unheimlich stille geworden; er kann sich nun dem Sündenleben hingeben, ohne durch das Gewissen gestört zu werden und, wie auch Satan, die Sünde aus seinem Eigenen hervorbringen. Die letzten Reste der Gottesbildlichkeit sind dahin; denn mit ihr könnte er nicht in den Feuerpfuhl geworfen werden. Allerdings ist es nicht so, daß ihm das Wissen von Gott und Schuld abhanden gekommen sei, denn dies ist auch dem Teufel verblieben (Jak. 2,19); vielmehr wird dies Wissen ein verstärktes sein und zur Vermehrung der Qual beitragen, denn das böse Gewissen geht mit ihm, ohne ausgelöscht zu werden.

Wir können nicht umhin, dem düsteren Bilde, das zu entrollen wir genötigt waren, ein anderes gegenüberzustellen, das schon aus dem Paradiese herüberleuchtet; es heißt Off. 2,11: „Wer überwindet, dem soll kein Leid geschehen („Unrecht widerfahren“) vom andern Tode“, d.h. dieser kann ihm nichts anhaben. In Christus ist die Todesmacht gebrochen und die Sünde, in der sie sich entfaltete, aufgehoben und außer Kraft gesetzt (Heb. 9,26); damit sind aber auch die, die in Christus sind, freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes, das sich in dem geistlichen Tode auswirkte (Röm. 8,2). Da aber der andere Tod in der Weiterführung und Verewigung des geistlichen Todes besteht, der seine Wirksamkeit verloren, findet der andere Tod nichts mehr vor, an dem er sich auslassen kann. Sie sind Überwinder geworden, und es bewährt sich an ihnen, was Johannes sagt in unmittelbarem Anschluß an die Stelle, von der wir bei unserer Erörterung ausgegangen sind: „Wer aus Gott geboren ist, der bewahret sich, und der Arge wird ihn nicht antasten“ (1.Joh. 5,18). Das von Gott gesetzte Lebensziel, nämlich, daß sein Wille geschehe, ist bei ihnen erreicht; denn sie sind „vom Tode zum Leben hindurchgedrungen“ (Joh. 5,24). Es ist im Vollsinn erfüllt das Wort: „Der Tod ist verschlungen in den Sieg!“ (1.Kor. 15,55; vgl. Jes. 25,8)

Die Lästerung des Heiligen Geistes

(Matthäus 12,31.32)

Die Lästerung des Heiligen Geistes ist die Steigerung aller Sünde, ihr Höchstmaß und ihre Vollendung. Sobald und soweit ein Mensch durch unmittelbare oder mittelbare Bezeugungen des Heiligen Geistes in eine Beziehung zu ihm gestellt worden ist, ist zwar jede Sünde eine Sünde wider den Heiligen Geist, nicht aber ist sie damit ohne weiteres auch eine Lästerung wider ihn, da diese erst begangen werden kann, wenn er völlig zurückgedrängt worden ist. Solange der Heilige Geist noch Zutritt hat, ist ihr gewehrt, und Satan kann das Innerste des Menschen nicht endgültig besetzen - wie auch ein Feind der Eroberung eines Landes sich nicht rühmen kann, solange die letzte Festung noch nicht eingenommen ist und der andere Teil sich nicht ergeben hat.

Je nach der Stellung, die der Heilige Geist zum Menschen gefunden, ist auch die Ausdrucksweise der Schrift für die Sünde wider den Heiligen Geist eine verschiedene. Inbezug auf Wiedergeborene, zu denen er ein enges Verhältnis gewonnen und in denen er wohnhaft geworden ist, heißt es: „Betrübet nicht den Heiligen Geist Gottes, durch den ihr versiegelt seid auf den Tage der Erlösung“ (Eph. 4,30). Jede Sünde, die der Wiedergeborene aus Schwachheit oder Übereilung begeht, setzt den Heiligen Geist in Trauer und Leid, so daß seine Wirkungen solange gehemmt sind, bis die Störung hinweggetan ist. Als eine heilige Person empfindet er alle Regungen des Fleisches, sobald sie in den Willen eines Kindes Gottes eingehen, mit einem Schmerz, der um so größer ist, als er es übernommen hat, die ihn zur Führung und Bewahrung Anvertrauten unversehrt hindurchzubringen und sie in Christi Bild zu gestalten.

Eine andere Ausdrucksweise finden wir 1.Thess. 5,19: „Den Geist dämpfet nicht!“. Während es sich beim Betrüben des Heiligen Geistes um Begehungssünden handelt, so hier um Unterlassungssünden. Es ist hier der Heilige Geist unter dem Bilde eines Feuers gedacht, das die Seele eines Kindes Gottes in heiligen Brand setzt, nämlich in den Drang der Liebe Christi, seinen Namen zu bekennen und groß zu machen, weshalb es auch anschließend weiter heißt: „Die Weissagung verachtet nicht“ (V. 20). Diese soll nicht geringgeschätzt werden, in welchen Ausdrucksformen sie sich auch kundgebe. Kinder Gottes sind die alleinigen Träger der Gottesbotschaft in dieser Welt, und durch sie will der Heilige Geist, wie einst durch die Propheten, zu Wort kommen; nichts anderes ist unter „Weissagen“ gemeint. Sie sind sowohl dafür da, innerhalb der Gemeinde zu deren Auferbauung beizutragen, als auch durch ihr Zeugnis an die Welt das Evangelium zu verbreiten. Nach beiden Seiten hin können aber Regungen des Geistes mißachtet und unwirksam gemacht werden, sei es, daß man die Person ansieht und die Wahrheit unterdrückt, oder daß man die Schmach scheut und darum schweigt; der Heilige Geist wird durch beides gedämpft, und das heilige Feuer kann sich nicht auswirken.

Anders und stärker ist die Ausdrucksweise der Schrift, wenn es sich um Sünde wider den Heiligen Geist von seiten der Welt handelt. Diese geschieht allemal dann, wenn das Evangelium geistesmächtig an den Menschen herantritt, dieser jedoch es nicht an sich herankommen läßt, sondern es abwehrt. Die Schrift redet dann von einem Widerstreben gegenüber dem Geist: „Ihr widerstrebet allezeit dem Heiligen Geist, wie eure Väter, also auch ihr!“ (Apg. 7,51, vgl. 18,6). Das Wort „widerstreben“ (antipépto) bedeutet eigentlich: entgegenstellen, zuwider sein; man stemmt sich wider die durch den Geist bezeugte Wahrheit; man läßt ihm eine Abfuhr zuteil werden. Nun ist es mit der Wahrheit Gottes aber nicht so, also ob man sie behandeln könne, wie wenn sie nichts wäre; sie läßt sich nicht abweisen und in den Wind schlagen, ohne daß sie den Menschen weiter verfolgt und ihm zusetzt. Es legt sich auf ihn eine Verantwortung, die er vordem nicht hatte. Das hängt damit zusammen, daß dem Heiligen Geist die Macht gegeben ist, den Menschen zu „überführen“ (Luther: strafen), und zwar so, daß er etwas unter Beweis stellt derart, daß eine Widerrede nicht aufkommt (Joh. 16,8-11). Er setzt Verborgenes ins Licht und sagt es auf dem Kopf zu: „Du bist der Mann!“ Er treibt den Menschen in die Enge und läßt ihm kein Entrinnen; er muß ihm zustimmen und kann nicht anders. Er wird zur Entscheidung gedrängt und kann ihr nicht ausweichen. Es ist aber zugleich das Christuszeugnis, das in jener Sünde des „Widerstrebens“ abgelehnt wird, die sich, wenn man bei ihr beharrt, in der Verstockung vollendet. Diese konnte auch bei Israel erst eintreten, als jene innere Überführung durch die geistesmächtige Predigt der Apostel geschah, Israel aber dauernd widerstrebte.

Solcher Widerstand braucht notwendigerweise nicht aktiv zu geschehen, indem man die Wahrheit Gottes ergrimmt von sich stößt; in diesem Falle würde er von vornherein der Lästerung des Heiligen Geistes nahekommen. Der Widerstand kann auch passiver Natur sein, indem man leichtfertig die Gnadenstunde verpaßt und wähnt, daß sie zu gelegenerer Zeit wiederkehren würde. Die Gnade Gottes ist aber keine Stapelware, über die man beliebig verfügen kann; so wenig man den Wind in die Faust fassen kann, so wenig läßt der Heilige Geist sich herbeizwingen, wenn es uns etwa einfällt. Die ewigen Dinge sind so kostbar, daß sie nicht auf jedem Markt oder auf Abruf zu haben sind. Hinzu kommt noch die psychologische Tatsache, daß wir selber gar nicht immer in der Verfassung sind, die eine Annahme des Heils möglich macht. Jeder Aufschwung vermindert das Kapital an Kraft, einen Aufschwung unserer Seele zu erleben. Und es gibt Einwirkungen der Finsternis, die oftmals alle unsere wohlgemeinten Vorsätze zunichte machen. Nicht ein Spielen mit Worten ist es, wenn die Schrift ernstlich mahnt: „Heute, so ihr seine Stimme hört, so verstocket eure Herzen nicht!“ (Heb. 3,7)

Mit diesen Vorbemerkungen ist das Verständnis für die Sünde der „Lästerung des Heiligen Geistes“ vorbereitet; sie ist die Spitze aller Sünden, und zwar des beharrenden Unglaubens, und darum ist sie auch die unvergebbare Sünde. Wir treten nun zunächst in die Erörterung der vorliegenden Stelle Mat. 12,31.32 ein. Sie lautet: „Alle Sünde und Lästerung wird dem Menschen vergeben, und wer etwas redet wider des Menschen Sohn, dem wird es vergeben werden; aber wer etwas redet wider den Heiligen Geist, dem wird es nicht vergeben, weder in dieser noch in jener Weltzeit“ (vgl. Mk. 3,28.29; Luk. 12,10).

Beachten wir zunächst das Wort „Lästerung“ (blasphämia), das der Heiland gebraucht. Es ist ein Wort, das auch in anderer Beziehung in der Schrift vorkommt; es bezeichnet den höchsten Grad einer üblen Nachrede und Verleumdung, womit der gute Ruf, den jemand genießt, bewußt zugrundegerichtet wird, was sowohl durch Worte wie auch durch Handlungen geschehen kann. Immer aber richtet sich die Lästerung gegen etwas Gutes, dem Ansehen und Anerkennung zukommt, nicht gegen etwas, was in sich schlecht und verwerflich ist, wie überhaupt jede Verneinung eine Bejahung voraussetzt, die man nicht wahrhalten will und die man bekämpft - eine Sache, der man keine Bedeutung zuschreibt, hält man nicht für der Mühe wert, zu lästern.

Verwandt mit dem Worte „lästern“ ist das Wort „schmähen“, das Heb. 10,29 gebraucht ist: „den Geist der Gnade schmähen“; es ist gemeint, den Heiligen Geist übermütig herunterzusetzen, von oben herab behandeln, als ob er nichts zu sagen hätte, und ohne Scheu seine Bezeugungen abweisen. Es ist hier wieder das Dämonische der Sünde, das dies möglich und begreiflich macht, was aber wiederum einen Zustand voraussetzt, bei dem jemand durch die Liebe zur Sünde in die Gewalt Satans geraten ist.

Was das Wort „Lästerung“ besagte, war den Zuhörern bewußt, denn Jesus redete zu den Pharisäern und Gesetzeskundigen (Schriftgelehrten), die das Gesetz kannten. Es stand geschrieben: „Ein jeglicher, der Gott flucht, der trägt seine Schuld, und wer den Namen des Herrn lästert, der soll gesteinigt werden, es soll ihn steinigen die ganze Gemeinde; wie der Fremde so der Einheimische; wenn er den Namen lästert, soll er des Todes sterben“ (3.Mo. 24,15.16). Auf diese Gesetzesstelle berief sich auch später der Hohe Rat, als er Jesus auf dessen Bekenntnis hin, Gottes Sohn zu sein, wegen Gotteslästerung des Todes schuldig erklärte. Lag der Fall der Gotteslästerung vor, so war der Urteilsspruch gerechtfertigt, und er mußte vollstreckt werden ohne Barmherzigkeit; hatte aber Jesus sich als Sohn Gottes erwiesen - und der letzte, unwiderlegbare Beweis war noch vor wenigen Tagen durch die erfolgte Heilung des Blindgeborenen und die Auferweckung des Lazarus erbracht - dann war die Gotteslästerung auf seiten des Hohen Rates; jedenfalls aber vollendete sich dann die Lästerung des Gottes- und Menschensohnes, da die Zeichen seiner göttlichen Sendung als der Verheißene erkennbar zutage getreten waren (Jes. 61,1; Mat. 11,5; Luk. 4,18.19) - nur Verblendung konnte die Schwere der Sünde noch entschuldigen. Ersichtlich ist immerhin, daß der Begriff „Lästerung“ im Volksbewußtsein feste Wurzeln gefaßt hatte.

Zum näheren Verständnis der ernsten Rede Jesu müssen wir aber noch den Anlaß, der den Ausgangspunkt zu ihr bildete, besonders ins Auge fassen. Jesus hatte einen Besessenen geheilt. Das Volk ist darob erstaunt und es fiel ihm zu und sagte: „Ist dieser nicht Davids Sohn?“ Es setzte sich bei dem Volke die Erkenntnis durch, daß Jesus der verheißene Christus (Messias) sein müsse. Die Pharisäer merken dies, und sie sind über diese Volksstimmung verdrossen; unter keinen Umständen aber darf diese bestehen bleiben, daher scheut man nicht vor der ungeheuerlichen Schmähung zurück: „Er treibt den Teufel nicht anders aus, denn durch Beelzebub, den Obersten der Teufel.“ Die Wundertat selbst können sie nicht leugnen, denn der Geheilte, vordem stumm und blind, redete, auch hatte er das Licht seiner Augen wiedererhalten. Man erkühnt sich nun aber, Jesus als einen Zauberer und Schwarzkünstler zu verdächtigen (3.Mo. 20,27; 5.Mo. 18,9-11). Wenn aber nun die Menge schon Jesu göttliche Sendung in dem Zeichen erkannte, so hätte dies den Pharisäern und Gesetzeskundigen, den religiösen Führern des Volkes, um so näher liegen müssen. Sie aber haben den traurigen Mut, zu erklären, daß Jesus mit dem Teufel im Bunde stehe und seine Wunder aus dämonischen Kräften verrichte!

Jesus widerlegt zunächst diese Verdächtigung als in sich selbst widersprechend; er sagt: „So denn ein Teufel den andern austreibt, so muß er mit sich selbst uneins sein; wie mag dann sein Reich bestehen? … So ich aber den Teufel durch den Geist Gottes austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen“ (Mat. 12,26.28). Warnend erhebt er damit den Finger und sagt den Pharisäern und Gesetzeskundigen unverblümt, daß sie mit ihrer Schmähung auf dem besten Wege seien, den Heiligen Geist zu lästern.

Wie schon bemerkt, hatten sie sich bereits einer Lästerung Jesu schuldig gemacht. Sie war noch verzeihlich; denn obwohl in ihm die Fülle und Herrlichkeit Gottes erschienen war, so war sie doch in das Gewand der Armut und Niedrigkeit gehüllt, und er trug an sich die Knechtsgestalt. Immerhin war daher ein Irrtum möglich, wie ja auch die Jünger erst allmählich zu dieser Einsicht gelangten, daß Jesus der verheißene Gesalbte Gottes sei. Jesus selbst betet für seine Volksgenossen, die ihn verwarfen und ans Kreuz brachten, zum Vater um Vergebung: “… sie wissen nicht, was sie tun!“ (Luk. 23,34). Auch die Lästerung Gottes mußte von hier aus gesehen, vergebbar sein, weil seine Offenbarung in Natur und Geschichte mehr oder weniger verschleiert erscheint, wenngleich auch die heilige Geschichte mit seinem Volk voller Erweisungen der Macht und Güte ist, an denen es ohne Beachtung nicht vorbeikommen konnte.

Anders aber ist es mit den Kraftwirkungen des Heiligen Geistes in seiner unverhülllten Reinheit und Unmittelbarkeit an Herzen und Gewissen; es ist da keine Täuschung mehr möglich. Diese Kraftwirkung war auch schon in der Wundertat Jesu aufgetreten, indem er aus dem Besessenen den Dämon austrieb, und damit war mit der Lästerung Jesu auch die des Heiligen Geistes bedenklich nahegerückt. Der Eindruck der ernstlich warnenden Rede Jesu muß auch ein durchschlagender gewesen sein, da wir späterhin von einem gleich offenen Vorstoß seitens der Pharisäer und Gesetzeskundigen nichts mehr lesen. Wie eine gewisse Entschuldigung ihrerseits klingt es vielmehr durch, wenn sie anschließend von Jesu ein Zeichen fordern dafür, daß er der sei, für den er sich ausgebe (V. 38); vielleicht aber wollten sie damit ihre Schmähung durch religiöse Heuchelei maskieren. Dies liegt um so näher, als Jesus es ablehnt, für Schauwunder sich herzugeben; er verweist sie auf ein Zeichen, das Gott selber ihnen geben werde, nämlich auf das Zeichen des Propheten Jona, das sich bei ihm in seiner Auferweckung aus dem Grabe nach drei Tagen erfüllen werde.

Nach dem Bericht des Lukas in Kap. 12,9.10 scheint es, daß Jesus zum zweiten Mal, und zwar diesmal im engeren Kreise seiner Jünger, von der unvergebbaren Sünde der Lästerung des Heiligen Geistes geredet hat. Es geschah dies im Verlauf einer Rede zu einer Zeit, als Jesus ebenfalls noch in Galiläa wirkte und seine Jünger noch unbefestigt waren. Er ermuntert sie zu unentwegtem Vertrauen zum himmlischen Vater und ermahnt sie, seinen Namen frei zu bekennen und nicht zu sorgen darüber, was sie reden sollen, wenn sie um ihres Bekenntnisses willen vor die Gewaltigen der Welt geführt werden würden; „denn“ - so fügt er hinzu - „der Heilige Geist wird euch zu derselbigen Stunde lehren, was ihr sagen sollt“ (Vers 12). Bei dieser Gelegenheit sagt er die Worte: „Wer mich bekennt vor den Menschen, den wird auch des Menschen Sohn bekennen vor den Engeln Gottes; wer aber mich verleugnet vor den Menschen, der wird verleugnet werden vor den Engeln Gottes, und wer ein Wort redet wider des Menschen Sohn, dem soll es vergeben werden; wer aber lästert den Heiligen Geist, dem soll es nicht vergeben werden“ (V. 9-11) Unverkennbar ist hier ein Zweifaches gesagt. Einmal, daß die Sendung der Jünger in die Welt zum Gegenstand der Verkündigung das Christuszeugnis hat; sodann, daß sie damit Träger oder besser Werkzeug des Heiligen Geistes sind, dessen Autorität unverletzlich ist, und daß die Botschaft, die sie in der Kraft des Geistes ausrichten, die Menschen vor eine letzte Entscheidung stellt, die entweder Errettung zum Heil oder Verlust des Heils zum Verderben nach sich zieht. Der Grundgedanke ist also derselbe wie oben in Mat. 12,39; es ist gleichzeitig auch Judas gewarnt, denn er war bei dieser Rede zugegen.

Wir fragen: Warum steht die Lästerung des Heiligen Geistes höher da als die Lästerung Gottes oder die des Gottes- und Menschensohnes? Aus dem innergöttlichen Verhältnis des Heiligen Geistes zum Vater und zum Sohne kann eine Begründung nicht hergeleitet werden. In heiliger Dreieinigkeit steht die Dreifaltigkeit Gottes von Ewigkeit da, und der Heilige Geist nimmt keinen höheren Rang ein als Gott der Vater und Gott der Sohn. Der Unterschied besteht nur in der besonderen Mission, die dem Heiligen Geist in der Heilsveranstaltung Gottes mit den Menschen zugefallen ist. Ist der Ratschluß der Erlösung von Gott gefaßt (Eph. 1,4.5) und durch den Sohn hinausgeführt (2.Kor. 5,19), so ist dem Heiligen Geist die Aufgabe zugefallen, diese Erlösung dem Menschen zuzueignen und in ihm ins Werk zu setzen bis hin zur Vollendung; ohne diesen Hinzutritt des Heiligen Geistes würde die Erlösung ewig außer dem Menschen geblieben sein. In der Sendung des Heiligen Geistes hat die Heilsveranstaltung Gottes zugunsten des Menschen ihre höchste und letzte Stufe erreicht; der Ratschluß Gottes ist damit am Ende der Durchführung angekommen. Das Größte, was Gott zu vergeben hat, die Kindschaft ihm gegenüber in seinem Sohn, hat er ins Mittel gestellt, und diese unfaßbaren Gottesgedanken will der Heilige Geist ins Werk setzen und verwirklichen in Menschen, die Satan sich überliefert und dem Verderben sich preisgegeben haben. Der Heilige Geist hat diese schier unlösbare Arbeit übernommen, und er schöpft aus der Fülle, die in Christus ist. In diese selber will er den Menschen stellen, und mit der Vollmacht, die ihm verliehen ist, bezeugt er das Evangelium Gottes unmittelbar an Herz und Gewissen des Menschen mit einer Kraft, die diesen im Innersten erfaßt. Das letzte Wort gibt er dabei dem Menschen selbst, und frei darf er sich entscheiden. An der Größe dieses Heils gemessen, kann es aber nicht anders sein, als daß dessen Geringschätzung zum Verlust dieses Heils ausschlägt, und daß es für die Lästerung des Heiligen Geistes eine Vergebung nicht gibt, weil das letzte Mittel zur Errettung mißachtet wird.

Schon im Alten Bunde hat der Heilige Geist geredet durch die Propheten (2.Pet. 1,2). Sie haben geforscht, auf welche Zeit deutete der Heilige Geist, der in ihnen war, und der ihnen bezeugte die Leiden Christi und die Herrlichkeit danach (1.Pet. 1,10.11). Diese Geisteserweisungen standen jedoch noch auf der niederen Offenbarungsstufe Gottes; in seiner Fülle und als Geist der Sohnschaft (Röm. 8,15) ist der Heilige Geist erst seit der Erlösungstat auf Golgatha in Wirksamkeit getreten. „Weil der Heilige Geist dem Reiche Gottes dient, so ist seine Wirkungsweise bedingt durch das maß der Reichsoffenbarung“ (v. Oettingen). Der Zeitlauf der vollen Heilsoffenbarung ist angebrochen mit der Verkündigung des Evangeliums „durch den Heiligen Geist vom Himmel gesandt, welches auch die Engel gelüstet zu schauen“ (1.Pet. 1,12). Es ist die eigenste Aufgabe des Heiligen Geistes, dies Evangelium von der allgenugsamen Gnade Gottes in Christus ins rechte Licht zu setzen. Gegenüber dieser Überführung ist es mit der mangelnden Einsicht in den Heilsplan Gottes zu Ende. Der Mensch ist zur bewußten Entscheidung für oder wider Christus gedrängt, und er kann ihr nicht mehr ausweichen. Er ist nicht mehr „indifferent“ (unbeteiligt); er ist Wissender geworden, und die Kraft zur Ablehnung kann er nur durch gesteigerte Hingabe an Welt und Sünde aufbringen. Dadurch erklärt er sich aber bewußt mit Satan eins; die Sünde als Unglaube entfaltet sich zu ihrer Gipfelung; und damit vollendet sich sein Schicksal. Der letzte Pfeil im Köcher Gottes ist vergebens abgesandt; der Heilige Geist, ohne den eine Buße nicht möglich ist, zieht sich zurück, und ohne Buße gibt es keine Bekehrung.

Vielfach ist der Begriff „Lästerung des Heiligen Geistes“ zu eng gefaßt worden, er wird aber auch häufig zu weit gefaßt. Zu eng wird er bestimmt, wenn man diese Sünde aller Sünden beschränkt auf eine Haltung, die der Anlaß zur Rege war, nämlich: Geisteswirkungen als Wirkungen aus dämonischen Kräften zu schmähen. Offenbar hatte Jesus doch hier nur einen besonderen Fall im Auge, wie eine Lästerung des Heiligen Geistes sich vollziehen könne, ohne daß diese damit allein auf diesen einen Fall beschränkt werden darf. Bei solcher Auffassung kommt man zuletzt dahin, überhaupt die Möglichkeit zu bestreiten, jene Sünde heute begehen zu können, und so ihren Charakter abzuschwächen, wie dies auch von gläubigen Auslegern (Nitzsch, Weiß, Vilmar, Culmann u.a.) geschehen ist. Zu weit und unbestimmt faßt man den Begriff „Geisteslästerung“, wenn man schon die Leugnung der Person und Gottheit des Heiligen Geistes ohne weiteres einbezieht oder die Möglichkeit jener unvergebbaren Sünde auch auf Wiedergeborene ausdehnt, wie dies ebenfalls oft geschehen ist (J. Müller, Tholuck, Reiff u.a.). Im letzteren Falle werden Lebensanfänge, die in der Annäherung zur Wiedergeburt hin begriffen sind, mit dieser selbst verwechselt, wie wir dies bereits ausgeführt haben. Allerdings muß die Wahrheit Gottes einmal erkannt worden sein, um gegen sie sich aufbäumen zu können. Das macht gerade die Hölle aus, die hier schon beginnen kann, daß das Bewußtsein der Wahrheit nicht verloren geht. Die Lüge hat ihre Maske abgelegt, um zugleich aber zur Eigenwesigkeit zu werden. Alle Sünde hat schon das Streben in sich, ihr letztes Geheimnis aus sich herauszusetzen. Wenn das letzte Band mit Gott zerrissen worden ist, so ist es oft nur ein Schritt, alle Scheu abzuwerfen und bei der Lästerung des Heiligen Geistes anzukommen.

Hierzu kommt ein anderes. Es ist die Frage, ob jene Geisteslästerung auch schon durch eine einzelne Handlung geschehen kann. Jedenfalls kann die Rede Jesu nicht anders verstanden werden; der Ausdruck „Lästerung“ kann sich hier nur darauf beziehen, daß jemand ihrer auch durch Worte sich schuldig macht 3). Die Sprache ist die Versichtbarung der Gedanken und der Gesinnungsart eines Menschen; sie bringt es an den Tag, was in ihm lebt. Nie kann eine Lästerung des Heiligen Geistes daher ausgesprochen werden, wo nicht zuvor ein Gesamtzustand eingetreten ist, der sie möglich macht; sie ist immer die Frucht einer Entwicklung, bei der die Wirkungen des Heiligen Geistes gewaltsam unterdrückt wurden. Diese „Zuständlichkeit“ ist es auch, die in den apostolischen Briefen vorzugsweise hervortritt, weshalb in ihnen die Ausdrucksweise „Lästerung des heiligen Geistes“ - wenn wir von Heb. 10,29 absehen - nicht vorkommt, wenn sie von ihr selbst auch deutlich reden. Keinesfalls aber ist sie als eine von dem inneren Zustand losgerissene und unabhängige Handlung oder Rede zu betrachten, sondern sie steht immer mit ihm in einem inneren Zusammenhang und ist aus ihm allein zu verstehen. Auch die Pharisäer und Gesetzeskundigen, zu denen Jesus redete, befanden sich in diesem Zustand, nämlich der bewußten Abwehr der Wahrheit Gottes, die durch die Unterstellung, daß er aus dämonischen Kräften seine Wunder verrichte, an den Tag kam.

Die Lästerung des Heiligen Geistes setzt im eigentlichen Sinne den Zustand der Besessenheit voraus. Diese besteht darin, daß der Mensch unter eine fremde Macht geraten ist, die durch ihn redet und handelt. Sie unterscheidet sich darin aber von Geisteskrankheiten, daß diese auch auf körperlichen oder seelischen Störungen beruhen können, wobei das religiöse und sittliche Empfinden intakt, d.h. erhalten bleibt. Anders ist es bei der Besessenheit. Hier hat Satan vom Menschen Besitz genommen, und dieser kann nicht los von ihm. Diese Besessenheit hat ihr Gegenstück in der Inspiration des Heiligen Geistes, die die Anlagen und Kräfte des Menschen zum Transparent göttlicher Wirkungen macht, die ihn ganz mit Beschlag belegen. Der Unterschied ist aber der, daß hier der Mensch zu seiner ursprünglichen Bestimmung zurückgeführt wird, während die satanische Besessenheit diese zerstört und bei ihr der Mensch sich selber verdirbt. Indem die Inspiration der Heiligen Geistes den Menschen Worte aussprechen läßt, die aus den Tiefen der Gottheit kommen und den Ruhm Gottes und Christi erhöhen, führen die Inspirationen Satans zu Schmähungen und Lästerungen Gottes und alles Heiligen (Off. 13,1.5.6; 16,9; 17,3).

Wenn die Sünder der Lästerung des Heiligen Geistes somit im gewissen Sinne ihr Analogon (Gegenbild) in der Besessenheit findet, so ist jene doch mehr als sie. Die Tragik besteht eben darin, daß jene zum Vollzug in Menschen kommt, denen einst das Gnadenlicht Gottes geleuchtet hat. Dieselbe Sonne, die auf den Fittichen ihrer Strahlen Leben in die Schöpfung hineinträgt und Gedeihen schafft, ist es auch, die das Unkraut zur Reife bringt, und aus derselben Blume, die der Biene den süßen Honig darbietet, saugt die Spinne das tödliche Gift. Recht verstanden ist der Heilige Geist dafür da, den Menschen reif zu machen, sei es zum Himmel oder zur Hölle. Der Apostel drückt dies aus mit den Worten: „Wir sind Gott ein guter Geruch Christi unter denen, die selig werden, und unter denen, die verloren werden; diesen ein Geruch des Todes zum Tode, jenen aber ein Geruch des Lebens zum Leben“ (2.Kor. 2,15.16). Bei jeder geistesmächtigen Heilsanbietung wird der Mensch zu Entscheidungen gedrängt, die endgültig sich ausweiten.

Wir verstehen es daher, wenn der Heiland sagt: „Wer etwas redet wider den Heiligen Geist, dem wird es nicht vergeben werden, weder in dieser noch in jener Weltzeit“ (Mat. 12,32) oder wie es Markus 3,29 heißt: „Wer den Heiligen Geist lästert, der hat keine Vergebung ewiglich, sondern ist schuldig des ewigen Gerichts.“ Diese bestimmte und ernste Sprache bringt zum Ausdruck, daß es sich in dem gedachten einzelnen Fall um einen Abschluß der Heilszeit handelt, die in dem Leibesleben auf Erden eintritt, so daß diese unwiderbringlich dahin ist. Daß aber dieser Abschluß möglich ist, ist damit ebenso klar ausgesprochen, anders man Jesus unterstellen würde, Worte gesagt zu haben, die nicht ernst zu nehmen sind. Ob aber in künftigen Weltzeiten überhaupt Vergebung möglich ist, hat Jesus keineswegs zur Erörterung gestellt, und es wird auch nirgendwo in der Schrift ausgesprochen, daß sie geschehen kann. Es bleibt damit nur die Annahme übrig, daß Jesus in verstärkter Rede sagen wollte, daß unter den Einwirkungen des Evangeliums das Geschick des Menschen in dem diesseitigen Leben sich vollende.

Darin ist es auch begründet, daß das Gnadenangebot Gottes im Evangelium den Menschen vor eine letzte Wahl stellt: Entweder - oder! Sie ist einfach und bestimmt: entweder glauben und errettet werden - oder nicht glauben und verlorengehen. Eine Mittelstellung gibt es nicht. Der Glaube ist aber Übergabe ohne Vorbehalt; es kann nicht anders sein. Nichts ist so „radikal“ wie das Christentum; Halbherzigkeit richtet hier zugrunde. Darum sagt der Heiland schon in der Bergpredigt: „Ärgert dich dein rechtes Auge, so reiß es aus und wirf es von dir. Es ist dir besser, daß eines deiner Glieder verderbe, und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde“ (Mat. 5,29). Das Teuerste in die Rapuse (Preisgabe), wenn es gilt, die Seele zu retten! Oder wenn er weiter sagt: „Wenn das Auge krank ist, so wird dein ganzer Leib finster sein“ (Kap. 6,23). Schon eine festgehaltene Sünde ist ausreichend, um verlorenzugehen. Ein warnendes Beispiel dafür ist Bileam. Er war der göttlichen Erleuchtung gewürdigt und durfte Worte sagen, die zu den schönsten der Schrift gehören, und doch war der Schalk in seinem Herzen; es gelüstete ihn der Lohn der Ungerechtigkeit (2.Pet. 2,15). Zwiefach wird für diese Leute die Hölle sein. Schon Dante hat dies in seinen Gefängnissen dargestellt, indem er die „Indifferentisten“ (er versteht darunter Leute, die bewußt Gott und sein Heil verneint hatten) in dem oberen Kreis der Hölle finden läßt, weil die anderen Verdammten zu stolz seien, dies erbärmliche Volk neben sich zu dulden.

Wir können diese Darlegungen nicht beschließen, ohne ein Wort zu denen zu sagen, die etwa besorgt sind, die Sünde der Geisteslästerung begangen zu haben. Solange jemand sich ängstigt, sie zu begehen, kann er sie nicht vollbringen. gerade die heilige Scheu vor der Sünde ist ein Beweis wirksamer Gnade. Es ist überdies eine Behutsamkeit zu empfehlen, jemanden der unvergebbaren Sünde zu zeihen. Nicht von ungefähr ist es, daß über die innersten Vorgänge im Menschen ein Schleier gelegt ist, so daß das Tiefste eines Menschen allhier verborgen bleibe. Wir müssen uns bescheiden nach dem Wort: „Der Mensch sieht, was vor Augen ist, aber der Herr sieht das Herz an“ (1.Sam. 16,17).

1)
G. Stosch sagt treffend: Wir können es, dem Bericht Moses folgend, beobachten, wie sich die eigene Verstockung Pharaos allmählich in das göttliche Verstockungsgericht wandelt. Den verhängnisvollen Entschluß menschlichen Willens wandelt Gott in einen Akt göttlicher Gerechtigkeit und göttlichen Gerichts. Das erschütternde Schauspiel der Verstockung Pharaos in seinem Ineinandergreifen von menschlicher Schuld und göttlicher Gerichtsmacht hat etwas Bezeichnendes für alle Zeiten. An den großen Wendepunkten der Geschicke läßt Gott es nicht zu, daß die leitenden Geister aus Nützlichkeitsgründen in ohnmächtigem Nachgeben dem Strom göttlicher Notwendigkeit folgen. Gott selbst stärkt sie, sich gegen den Strom zu stellen, um im Strome begraben zu werden. Kann man es doch auch in gewöhnlichen Verhältnissen beobachten, daß im Leben des einzelnen Menschen die entscheidende Forderung auf völlige innere Bekehrung oder auf Untergang gestellt wird. Der Untergang ist nirgends ohne ein menschlicher Klugheit widerstreitendes wahnsinniges Beharren auf dem Verderbenswege möglich.
2)
Allerdings gibt es zum Text Mk. 3,29 eine von gewichtigen Handschriften bezeugte Lesart, die anstatt: „Er ist schuldig des ewigen Gerichts“ geradezu sagt: „Er ist der ewigen Sünde schuldig.“ Der Tod, in den diese „ewige Sünde“ stürzt, ist dann aber nicht mehr der Tod schlechthin, in den wir von Adam her hineingeboren sind, sondern der Tod in seiner Verewigung, der andere Tod.
3)
Riggenbach - zustimmend zu Oettingen - ist allerdings der Auffassung, daß die Lästerung oder Schmähung des Heiligen Geistes auch durch die Tat geschehen kann. Er sagt: „Die Vollendung der Sünde kann unter den verschiedensten äußeren Formen eintreten; jede hartnäckig festgehaltene Sündenneigung ist ein Widerstreben gegen den Geist, das je klarer die Offenbarung der rettenden Gnade dem Herzen sich aufschließt, desto bewußter und feindlicher werden muß. Ob nun aber auf dem Wege der immer härteren Unbußfertigkeit oder auf dem des Abfalls von einem Anfang des Glaubens; ob durch stolze Sicherheit oder Verzweiflung jener Gipfel erreicht wurde: der Ausgang ist kein anderer, als das Ankommen bei einer beharrlichen Unbußfertigkeit und einem vollendeten Unglauben, kraft dessen der Mensch das Zeugnis des Heiligen Geistes, wie es ihm in der Heilsbotschaft entgegenkommt und im Herzen Erleuchtung wirkt, hartnäckig verschmäht; es ist uns Heil in seiner Vollendung, das ihm angeboten wird, das er ergreifen könnte; er aber stößt es von sich mit Lästerung und Schmähung in Wort und Tat.“ Sollte hier aber Verstockung und Lästerung nicht miteinander verwechselt sein?
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