Schlatter, Adolf - Andachten - September

Schlatter, Adolf - Andachten - September

1. September

Da Jesus den Menschen liegen sah und vernahm, dass er so lange gelegen hatte, spricht er zu ihm: „Willst du gesund werden?“
Johannes 5,6

Flüchte dich nicht vor dieser Frage Jesu. Viele flüchten sich vor ihr, obwohl man denken sollte, diese Frage bekomme ohne Schwanken und Bedenken ein lautes, starkes Ja zur Antwort. Ob ich gesund werden kann, das mag fraglich sein; dass ich es will, das steht fest. Allein diese Vermutung, so stark begründet sie in der natürlichen Schätzung des Lebens ist, trifft dennoch nicht zu. Ich möchte wohl, aber ich will nicht, das ist so oft die Antwort, die die Frage Jesu von uns bekommt. Denn es gibt keine Genesung ohne Selbstüberwindung, ohne Tapferkeit, die die Ketten unserer Gewöhnung zerbricht und unsere Lust bezwingt. Ist es nicht doch bequemer, den geschwächten Zustand zu ertragen, als gesund zu werden? Dieses feige, müde Verzagen vergeht in der Nähe Jesu. Bei ihm umweht uns der Geruch des Lebens, der zum Leben weckt. Er braucht für seinen Dienst eine gesunde Schar. Wie viele muss man fragen: Willst du denn krank werden? Du ziehst in die Großstadt, du verjubelst Nächte, du zerreibst im Übermaß der Arbeit deine Kraft. In der Nähe Jesu verlieren die Mächte, die uns in die Krankheit stoßen, der lockende Gewinn, die hetzende Lust, die knechtende Ehre, ihre unheilvolle Gewalt. In seinem Licht erkennen wir, dass das Leben mehr ist als der Genuss und der Mensch mehr als der Besitz. Jesus ruft uns zu sich, damit wir gesund werden und durch ihn und für ihn leben, und macht aus den Seinen die Streiterschar, die sich unserem Siechtum tapfer widersetzt. Im Verkehr mit unserer Jugend bekommt diese Frage ihren besonderen Ernst. Unser inneres und unser leibliches Leben ist eng verwachsen. Darum ist für unsere Jungen die Frage: wollt ihr gesund werden? Eins mit der Frage: wollt ihr fromm werden? Gesund im Denken, gesund im Wollen, gesund im Herzen, wollt ihr das werden? Allein wie feige beben wir zurück. Fass Mut und traue dem Herrn. Er spricht von der Gesundheit, weil er sie geben kann, mehr noch, weil er sie gibt. Geht aber die Frage Jesu nicht schließlich über das hinaus, was die Natur uns gewährt? Ist nicht alles natürliche Leben verletzt und krank? Einst aber wird sich die Verheißung erfüllen, die in dieser Frage verborgen ist. Einst werden wir gesund.

Herr Jesus, Du Tröster der Schwachen, der Du uns leiden lehrst, Du Heiland der Starken, der Du uns wirken lehrst, heile unsere zerstückelte Liebe, die bald nur für den Leib und bald nur für die Seele sorgt. So wird sie gelähmt und unfruchtbar. Deine Liebe dagegen ist mit der Wahrheit eins und ganz. An dem, was Du uns gibst, genesen wir. Amen.

2. September

Darnach fand ihn Jesus im Tempel und sprach zu ihm: „Siehe zu, du bist gesund geworden; sündige hinfort nicht mehr, dass dir nicht etwas Ärgeres widerfahre.“
Johannes 5,14

An Gottes Gaben entstehen unsere Sünden, nicht an dem, was er uns versagt, sondern an dem, was er uns gibt, und es gibt keine göttliche Gabe, sei sie noch so groß, noch so sichtbar der Erweis seiner Gnade, die wir nicht missbrauchen und verderben können. Darum erwuchs für Jesus auch aus seinem Helfen die sorgenvolle Frage, ob er den Geheilten wohl gerettet habe, ob nicht die Hilfe, die er ihm gewährte, in tieferem Sturz und größerem Unheil ende. Erfahrene Hilfe Gottes trennt vom Sündigen. Es gibt kein Erlebnis, das uns Gott und seine allmächtige Hilfe sichtbar machte und uns nicht mit gebietendem Ernst vom Bösen schiede. Wir wissen alle: gleichzeitig ein Wunder der Gnade und ein boshafter, gottloser Mensch zu sein, das ist unmöglich. Ein solcher Mensch hat in Gottes Reich nicht Platz; er ist ein Monstrum, das verschwinden muss. Der Geheilte dachte so wie ein Jude dachte, damals, als er in Bethesda unermüdlich auf das wunderbar bewegte Wasser wartete, ebenso damals, als er nach seiner Heilung in den Tempel ging, um Gott Dank zu sagen, aber auch damals, als er vor denen, die ihn seines Bettes wegen schalten, erschrak. Weil er jüdisch dachte, war es für ihn eine große Sache, dass er am Sabbat sein Bett trug. Als es ihm Jesus befahl, machte die Autorität Jesu ihn stark. Damals stand er in seiner Heilandsmacht vor ihm. Aber nun stellten sich auch die alten Meister ihm wieder in den Weg und nun brach er zusammen. Zwischen ihn und Jesus schob sich die andere Autorität und er bekam zwei Blickrichtungen. Das ist aber ein gefährlicher Zustand, der Anfang des Falls. Wie deutlich wird an diesem Vorgang, warum Jesus seine Jünger ganz und einzig an ihn gebunden und jeden anderen Meister weggeschoben und jede andere Gemeinschaft für sie aufgehoben hat. So verhütet er, dass aus seiner Hilfe Sünde und Fall entsteht.

Dir, Herr Christus, gehören wir ganz und gar. Du bringst uns ja Gottes Gnade und Gottes sind wir mit allem, was wir sind und tun. Dir glauben wir, Dir allein; auf Dich hoffen wir, auf Dich allein; Deinen Willen tun wir und nicht den der Welt, auch nicht unseren eigenen. Vollende das gute Werk, das Du in mir begonnen hast. Amen.

3. September

Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, es ist alles ganz eitel.
Prediger 1,2

Käme dieses Wort aus Rom aus dem Mund eines der Männer, die sich auf den Thron der Cäsaren gesetzt haben, so gäbe es keinen Anlass zur Verwunderung. Wenn Augustus beim Sterben von der Rolle sprach, die er geschickt gespielt habe und die nun zu Ende sei, so war dieses Urteil über sein Leben völlig durchsichtig und fest begründet. Oder wenn Karl V. seine Herrschaft preisgab und in ein Kloster ging, so tat er, was durchaus verständlich ist. Auch dann wäre dieses Wort nicht rätselhaft, wenn es von einem Forscher stammte, der weiß, wie neben dem Wenigen, was er erkennt, die ungemessene Weite des für uns Verhüllten steht, oder wenn es das letzte Wort eines unserer Kleinen wäre, die auf schmalem Weg zwischen hohen Mauern ohne weite Aussicht von der Geburt zum Grabe wandern. Allein dieses Wort, das alles eitel heißt, kommt aus Jerusalem, aus der Gemeinde, die sich Gottes Volk nannte und Gott dienen durfte. Der Dichter lässt Salomo so sprechen, den reichsten der Könige, den weisesten de Weisen, den Erbauer des Tempels, den Friedefürsten. Nun hat das Wort Tiefe und aufweckenden Ernst. Ist auch das noch nichts als Eitelkeit, in einem Volk zu leben, das eine Gemeinde Gottes ist, in einer Stadt zu wohnen, die einen Tempel Gottes hat, ein Wort zu kennen, das von Gott spricht, und eine Schrift zu haben, die uns seinen Willen zeigt? Aber das, was von oben kommt, verändert das nicht, was die natürliche Ordnung unseres Lebens aus uns macht, und von der Natur wird uns kein Zweck gezeigt, der das, was sie uns gibt, wirklich wertvoll machte. Sie bewegt sich im Kreislauf und bringt alles, was sie zum Blühen bringt, auch zum Welken. Dieser Knechtsdienst der Vergänglichkeit, in den wir hineingebunden sind, wird uns gerade dann besonders deutlich und schwer, wenn das Wort, das von Gott spricht, zu uns kommt und uns nicht mehr zulässt, in der Natur zu leben, wie ein Tierlein in ihr lebt. Wenn der Geist gegen das Fleisch streitet, wird es peinlich, dass wir im Fleisch leben, und wenn uns ein Blick in den Himmel gegeben wird, ist es uns nicht mehr möglich, auf der Erde etwas anderes als Fremdlinge zu sein. Darum gehört auch die schmerzhafte Klage, die alles, was wir sind und leisten, eitel heißt, zur Vorbereitung für die Weihnacht, zur Bahnung des Wegs für den, der kommt. Auch ein Salomo bringt nichts fertig, was bleibt, und tut nichts, was nicht schon immer getan worden wäre und immer wieder getan werden muss. Etwas Neues, was noch nie geschehen ist und für immer wirksam bleibt, geschieht erst dann, wenn das Wort Fleisch wird. Auch Salomo muss warten, bis der Sohn Gottes kommt, und ist nicht der Friedefürst, der uns mit dem, was wir sind, versöhnen kann. Friede auf Erden, das ist das Weihnachtswort.

Mir, o Gott, Schöpfer und Herr, tut das Herz weh bei der Eitelkeit unseres Lebens, bei der Verworrenheit unserer Gedanken, bei der Hohlheit unseres Redens, bei der Vergeblichkeit unserer Anstrengungen, bei all dem Zerfall, der überall sichtbar ist. Aber ich will nicht murren. Ich sehe in Deinem strengen Regiment Deine Gnade. Sie macht es uns unmöglich, dass wir uns groß dünken und uns selbst bewundern. Du, Herr, allein bleibst von Ewigkeit zu Ewigkeit und Deine Güte ist an jedem Morgen neu. Amen.

4. September

Abermals ist gleich das Himmelreich einem verborgenen Schatz im Acker, welches ein Mensch fand und verbarg ihn und ging hin vor Freuden über denselben und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker.
Matthäus 13,44

Das Geheimnis des Himmelreichs, das Jesus durch dieses Gleichnis erläutert, bedrängte die Jünger schwer. Mit dem Himmelreich kehrt Gottes allmächtige Gnade bei uns ein. Nun beginnt die selige Feier mit jubelnder Wonne, denn Sünde und Tod sind vorbei. Allein vor dem Himmelreich steht der herbe Anspruch, Entsagung, die auf alles verzichtet, Armut, Verachtung, Flucht und Kreuzigung. Wie wächst das zusammen, höchstes Glück und bitterstes Leid, größte Gnade und schwerstes Gebot, Einsetzung in Gottes reiches Erbe und Entsagung, die auf alles verzichtet hat? Seht den Mann an, der den Schatz fand, sagt Jesus. Was tat er? Er verkaufte alles, was er besaß, und er verkaufte es froh. Was gibt, Jesus, deinem Gebot die alles umfassende Größe? Sie entsteht aus der alles umfassende Größe deiner Gabe. Alles fordere ich von euch, sagst du deinen Jüngern, weil ich euch alles gebe. Ich verlange, dass ihr um meinetwegen sterbt, denn ich gebe euch das Leben, verlange, dass ihr auf die Gemeinschaft mit denen verzichtet, die bisher das heilige Volk Gottes waren, denn ich mache aus euch die neue Gemeinde, die für Gott geheiligt ist. Ich trenne euch von dem alten Tempel und Altar; denn ich bin für euch der Tempel, in dem Gottes Gnade bei euch ist, und das Opfer, das bei euch von allen Sünden rein macht. Ich hole euch heraus aus der Welt und hebe euch empor über die Natur, dass ihr nicht mehr nach den natürlichen Gütern greift und euer Glück nicht mehr in der natürlichen Lust suchen könnt; denn ich führe euch zu Gott. Ist es nun nicht völlig deutlich, dass hier kein Raum für Halbheiten und zerteilte Herzen ist? Entweder begehre ich das Alte oder das Neue. Entweder glaube ich an Gott oder ich hänge mich an die Menschen. Die Entscheidung greift durch alles durch, weil Gott Gott ist und der Mensch Mensch. Wie könnte ich Jesus deshalb hart heißen, weil er so Großes fordert und mich ganz haben will? Hat er nicht Recht, wenn er mir sagt: Sieh auf den Mann, der alles verkaufte; er tat es mit Freude; denn so gewann er den großen Schatz?

Ich danke Dir, heiliger Herr und Gott, dass Du mich von allem wegziehst, was die Natur mir gibt und was wir Menschen haben, hin zu Deinem großen Schatz. Meinem blöden Auge ist Dein Reichtum noch verborgen und das, was ich bin und habe, scheint mir unentbehrlich und groß. Davon löse ich mich nur mühsam und die Freude im Entsagen ist nicht rein und hell. Ich widerspreche Dir aber nicht, wenn Du mir sagst: gib alles her. Denn das ist der Ruf Deiner Gnade. Ich höre ihn und danke Deiner Liebe, die mich gerufen hat. Amen.

5. September

Man mag wohl am Sabbat Gutes tun.
Matthäus 12,12

Der Sabbat in Palästina zur Zeit Jesu war eine herrliche Sache. Überall kehrte die Ruhe ein in jedem Dorf und in jedem Haus. Keine wandernden Scharen zogen durch das Land, kein Bahnzug durchfuhr es eilig. Keine Wirtschaft verdarb ihre Gäste und kein Geschäftshaus verlangte heimlich oder öffentlich den Dienst seiner Arbeiter. Ruhe lag über allem. Sie hatte aber nicht nur für das menschliche Zusammenleben heilsamen Wert, sondern war auch ein mächtiges Zeugnis für Gottes Reich, das keiner überhören konnte. Weil der Mensch Gott gehört, sonderte er einen Teil seiner Zeit aus und machte ihn heilig. Der heilige Tag sagte jedem: Du gehörst zum heiligen Volk, und indem jeder den Satan hielt, bekannte er sich zum Herrn als seinem Gott. Dennoch stellte sich Jesus über das Sabbatgebot. Denn es gibt noch etwas Größeres, noch etwas Heiligeres als den Sabbat, und wenn er dieses Bessere und Heiligere hindert, wird er zur Fessel, die Jesus nicht ertrug. Was ist dieses Bessere? Wohltun, lautet Jesu Antwort. Tun ist besser als Ruhen, wohltun besser als sich selber pflegen, den Menschen wohltun besser als müßiger Gottesdienst. Weil die Judenschaft aus dem Sabbat das Verbot der Liebe an diesem Tag machte, darum hat ihn Jesus übertreten. So gewaltig machte er sein Zeugnis für die Unentbehrlichkeit und Heiligkeit der Liebe! Aus der Übertretung des Sabbats folgte für Jesus das Schwerste, tödlicher Hass seiner Feinde, grimmiger Anstoß, das Kreuz. Aber Jesus schwankte nicht. Im Namen Gottes die Liebe zu verbieten, der Heiligkeit wegen das Wohltun zu unterlassen, das hieß er nicht Gottesdienst, nicht Heiligung, nicht Ehrung Gottes, sondern Streit mit Gott.

Wohltun, Herr, das ist Dein Wille. Du hast Dich selber ans Kreuz gegeben, weil Du wohltatest, und hast dadurch aus Deinem Kreuz die große Wohltat gemacht, für die wir Dir danken. Deine Liebe hast Du offenbart, die nie rastende, die immer zum Helfen bereite, die nicht das Ihre sucht, da sie ganz und vollkommen ist wie Gottes Gnade. Nun zieh uns alle in Deine Bahn. Amen.

6. September

Denn mich verdrossen die Ruhmredigen, da ich sah, dass es den Gottlosen so wohl ging.
Psalm 73,3

Bei unseren gegenwärtigen Zuständen erschüttert diese Versuchung jeden in unserem Volk. Denn es wird unter uns in hellem Umfang und großem Maßstab der Tatbeweis geführt, dass man auch ohne Gott leben und nicht nur leben, sondern gedeihen kann. Wozu soll ich nun zu Jesus gehen und von ihm sein Joch empfangen, das mich zum Wettbewerb mit den anderen unfähig macht? Nun ist mir der Griff nach der Macht, der keine Rücksicht kennt, und der Rausch des ungehemmten Genießens versagt. Aber solche Gedanken können mich nicht nur dann packen, wenn ich in meinem innersten Denken und Wollen schon gottlos wäre. Nur dann könnte es mir scheinen, dass die Frage, ob ich für mich selbst oder für Gott leben wolle, durch eine Berechnung meiner Gewinne zu entscheiden sei. Wenn ich meinen Entschluss von meinem Vorteil abhängig mache, dann habe ich Gott verleugnet; dann ist er mir nicht mehr die Wirklichkeit, an die ich glaube, nicht mehr der Schöpfer, durch den ich bin, nicht mehr der Herr, dessen Willen ich tue, nicht mehr der Gute, dessen Gnade meine Freude ist. Glück oder Unglück, Macht oder Misserfolg, das scheidet völlig aus, wenn ich nach Gott frage, und hat meinem Christenstand nichts zu tun. Gottes Wahrheit und Gerechtigkeit, das ist das Einzige, wonach ich zu fragen habe, und wenn diese Frage mit ihrem heiligen Ernst in mir erwacht ist, dann hat der Erfolg der Gottlosen den versuchlichen Reiz verloren. Aber ich muss mich aus der schwülen Luft unseres öffentlichen Lebens immer wieder in die Nähe Jesu flüchten, damit ich unverwundbar werde, und muss seiner Mahnung gehorchen: bleib in meinem Wort; dann wirst du die Wahrheit erkennen; dann blendet dich kein prunkender Schein eines solchen Glücks.

Ich fürchte mich, Herr, Gott, vor mir und meiner Begehrlichkeit. Unsere Seele ist ein unzufriedenes Ding; sie will nicht unten bleiben, sondern stürmt nach oben, und mag nicht entbehren, sondern ist hungrig nach Genuss. Aus dem Lärm der Welt trete ich in Deine uns stille machende Gegenwart. Nun wird das Auge klar und die Seele froh und der Dank flammt auf, der Dank dafür, dass ich Dich kenne, weil Du mich erkannt hast. Amen.

7. September

In Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Vorhaut etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.
Galater 5,6

Paulus hat seinen Gemeinden gesagt: für eure Verbundenheit mit dem Christus trägt weder eure jüdische noch eure griechische Art etwas aus. Sie einigt euch nicht mit ihm und trennt euch nicht von ihm. Durch Christus ist euch einzig der Glaube, der Christus anhängt, zum Quell der Kraft und des Lebens, zum Bund mit Gott und zum Anteil an seinem Reich gemacht. Nun haben wir aber auch eine Aufgabe an den Menschen. Wie steht es mit ihr, wenn der Glaube meinen Blick zum Vater emporhebt und mein Verlangen zu seinem Sohn hinzieht und mich der Leitung seines Geistes gehorsam macht? Würde mich der Glaube, weil er das sucht, was droben ist, untätig machen, so machte er mich unfähig für das, was meine Stellung in der Welt von mir verlangt. Aber diese Sorge ist töricht. Denn der Glaube macht jeden, der ihn hat, tätig, weil er eine Gehilfin bei sich hat, die zu jeder Arbeit willig und tüchtig ist. Das ist die Liebe. Sie wird in uns geboren, sowie uns der Glaube gegeben ist. Christus gibt sie jedem, den Er im Glauben an sich zieht. Dadurch zieht er mich ja weg von dem, was ich selber bin, nimmt meinem eigensüchtigen Willen die Herrschaft über mich, zeigt mir Gottes Herrlichkeit, bringt mir Gottes Liebe und gewährt mir Gottes Gaben. Liegt der Grund meines Lebens nicht mehr in mir, sondern über mir, so ist auch das Ziel meines Handelns aus mir heraus verlegt und über mich emporgestellt. Die Liebe ist aber ein tätiger Wille; sie sucht nicht nur Ziele und Mittel zum Werk, sondern sie findet sie auch. Denn sie gibt mir das sehende Auge, das sich wach zu den anderen wendet, und füllt mir die gebende Hand, die ihnen reicht, was heilsam ist. Darum weil der Glaube die Liebe bei sich hat, gibt er uns die Tüchtigkeit, die in treu vollbrachter Arbeit unseren Beruf erfüllt.

Alles, was ich bedarf, wird mir, mein Gott, in Deinem Wort gezeigt und durch Deine Hilfe geschenkt. Vor Dir brauche ich den festen Stand, den Stand des Kindes in Deinem Haus. Du gibst ihn mir, weil ich Dir glauben darf. Ich brauche aber auch Trieb und Kraft für mein Werk. Du gibst sie mir, weil Du die Liebe bist und sie denen gibst, die Dich kennen. Ich begehre nach Deinen Gaben. Fülle meine Tage mit einem redlichen Werk, das Deinen Willen tut. Amen.

8. September

Ich bin nicht weniger, als die hohen Apostel sind, obwohl ich nichts bin.
2. Korinther 12,11

Mit einer strahlenden, unerschütterlichen Gewissheit war Paulus davon überzeugt, dass er nichts sei. Diese Gewissheit entstand in ihm nicht deshalb, weil es andere gab, die über ihm standen, etwa höhere Apostel, die mehr vermochten als er. Es gab keinen in der Christenheit, nebst den er sich nicht stellen durfte. Dennoch bleibt es völlig wahr und seine selige Erkenntnis: „Ich bin nichts.“ Warum ist er nichts? Weil er nichts hat, was ihm nicht gegeben ist, weil er nichts erkennt, als was ihm Gott zeigt, weil er nichts kann, als was Gott durch ihn tut. Vor dem Glanz Gottes löscht mein Lichtlein aus und in seiner Gemeinschaft mit mir ist er alles und ich nichts. Nun ist mir geholfen; das gibt die Gewissheit. Gibt die Sicherheit, gibt die Kraft und den nie ermüdenden Mut. Warum sollte ich mich fürchten? Wer nichts hat, kann nichts verlieren. Und womit sollte ich mich rühmen? Wer nichts ist, streckt die Hand nach keinem Lorbeer aus. Mag meine blinde Eitelkeit es tausendmal anders sagen, dennoch ist es so: ich bin nichts und alles, was ich bin, ist sein Geschenk.

Mach zunichte, großer Gott, was etwas sein will ohne Dich und gegen Dich. Bleib mir deutlich, damit ich vor Dir nichts sei als das, wozu Du mich machst und brauchst. So behütest Du mich vor dem Fall und machst mich in Deiner Gnade stehen. So kann ich mich bewegen nach Deinem Willen, weil Deine Hand mich trägt. Das Ziel Deiner Wege ist, dass Du alles in allen wirst. Dafür preisen Dich alle, die Deinen Namen nennen, ewiglich. Amen.

9. September

Ich habe einen guten Kampf gekämpft; ich habe den Lauf vollendet; ich habe Glauben gehalten.
2. Timotheus 4,7

Ein Ringen nannte Paulus sein Leben und er dachte dabei an den Eifer, mit dem die anderen rangen, auf den Sportplätzen, in den Theatern, auf den Märkten, in der Wirtschaft und in der Politik. Dort rangen sie und setzten ihre ganze Kraft dabei ein. Auch Paulus rang und wandte seine ganze Kraft an seinen Beruf. Es war ein edler Wettkampf, den er auf sich nahm; denn das Ziel, nach dem er strebte, war es wert, dass er seine ganze Kraft hergab. Sein Ringen war kein nutzloses Spiel, kein die Ringenden schädigender Kampf. Gottes Lob gab seinem Ringen den Glanz. Nun war er am Ziel; denn er stand dicht vor dem Richtplatz, auf dem ein Schwerthieb seinen Leib zerstören wird. Das war in seinen Augen kein Misserfolg, vielmehr die Vollendung seines Laufs und der sieghafte Ausgang seines Kampfes. Denn er hat den Glauben bewahrt. Dass er auch jetzt am Ende seines Wirkens und seines Leidens glauben kann, das nennt er die Vollendung seines Laufs und den Sieg in seinem Kampf. Das wollte er ja bei allem, was er tat, sich als den Glaubenden erweisen und allen zeigen, was der Glaube sei. Nun ist es ihm gelungen; denn er stirbt als Glaubender. Hatte er sonst nichts, worauf er sich stützen konnte? Hatte er nicht Erfolge, die für immer blieben? War er in seinem inwendigen Leben nicht reich geworden, reicher als wir alle? Hatte er nicht eine reiche Saat von Liebe ausgestreut, die aufgegangen war? War nicht die große Schar mit ihm verbunden, die in betender Liebe seiner gedachte? Allein Paulus begehrte keine Stützen neben seinem Glauben und suchte sie weder in sich noch in den Menschen um ihn her. Eines tat er: er glaubte, und damit stand er am Ziel.

Dein Knecht und Bote zeigt uns allen, lieber Herr, was wir bei Dir finden. Uns allen sagst Du: Glaube nur. In Dir, Herr, ist die Ruhe für mich vorhanden und die Gewissheit, die mich heilt. Bei Dir endet die Furcht und das Schwanken. Greife ich nach anderem, so schwanke ich. Glaube ich Dir, dann stehe ich. Halte mich, damit ich stehe, durch Glauben stehe. Amen.

10. September

Es hatte ein Mann zwei Söhne und ging zu dem ersten und sprach: „Mein Sohn, gehe hin und arbeite heute in meinem Weinberg.“ Er antwortete aber und sprach: „Ich will es nicht tun.“ Darnach reute es ihn und ging hin. Und er ging zum andern und sprach gleich also. Er antwortete aber und sprach: „Herr, ja; und ging nicht hin.“
Matthäus 21,28–30

Zweierlei Söhne hat Gott und keiner ist so, wie er sein soll. Denn beide sagen zugleich ja und nein. Der Trotzige, dem seine eigenen Anliegen den Kopf füllen, weil er hinter den natürlichen Gütern herläuft, sagt zuerst nein und erst, wenn er auf seiner Jagd nach dem Glück ins Elend kommt, sagt er ja. Der Fromme, der die Bibel zu sich reden lässt, Gottes Gesetz hört und weiß, was er dem zu verdanken hat, dass er ein Glied des Volkes Gottes ist, sagt zuerst ja, dann aber wieder nein, weil er trotz seiner religiösen Bildung und gottesdienstlichen Gewöhnung im Grunde seiner Seele das bleibt, was der andere Sohn auch ist, ein eigensüchtiger, begehrlicher Mensch, der seinem Futter nachläuft. Diese Beschreibung der Menschheit nach ihren beiden Hälften, der irreligiösen und der religiösen, der heidnischen und christlichen, ist wahr, wie jedermann sehen kann. Dann ist aber auch das andere wahr, was das Gleichnis sagt, dass Gott noch einen anderen Sohn hat, nicht nur diese ungeratenen und widerspenstigen, sondern einen mit ihm einträchtigen Sohn, nämlich den, durch den er beiden, dem Unfrommen und dem Frommen, dem Wilden und dem Ehrbaren, sagen lässt: Geht in meinen Weinberg. Dieser Sohn, der uns Gott gehorsam macht, ist ebenso gewiss vorhanden wie die beiden anderen und durch ihn wird sowohl dem, der in seinem natürlichen Gewand herumstolziert, als dem, der sich eine fromme Tracht angelegt hat, den Weg zeigt, wie sie zu Söhnen Gottes werden, die Gott dienen. Sie werden es dadurch, dass sie den Ruf hören, den der Eine, der in unserer ganzen Schar der einzige gehorsame Sohn Gottes ist, uns bringt.

Ja sagen zu Deinem Willen, Herr, heiliger Gott, habe ich gelernt; Du weißt aber, wie oft mein Wort umfällt, weil sich mein natürliches Verlangen gegen Deinen Willen sträubt. Meine Hilfe ist, dass ich, o Jesus, auf Dich höre. Mache Dein Wort in mir so stark, dass es mich Dir gehorsam macht. Amen.

11. September

Der Vater sprach zu ihm: „Mein Sohn, du bist allezeit bei mir und alles, was mein ist, das ist dein.“
Lukas 15,31

Auch seinen frommen Widersachern sprach Jesus die ganze Herrlichkeit der Sohnschaft Gottes zu. Dem, der mit verdrossenem Widerwillen seinen Gottesdienst als eine saure Pflicht betreibt, sagt er: „Du bist beim Vater, hast ihn ja nicht vergessen und verlassen, und weil du bei ihm bist, ist auch alles, was sein ist, dein; du hast Gott für dich in seiner göttlich großen Gnadenmacht.“ Wir hören hier, was es für Jesus bedeutete, wenn er von der Sohnschaft Gottes sprach; damit hat er gesagt: Ich bin allezeit beim Vater und alles, was des Vaters ist, ist auch des Sohnes. Aus dieser Wurzel erwachsen alle machtvollen Worte Jesu. Wenn Er vor den Gräbern in der Gewissheit stand, er öffne sie, und wenn er sich der Welt als den beschrieb, der sie richten werde, und wenn er sich seinen Jüngern als den darstellte, der sie von den Enden der Erde zu ihm holen werde, so floss dies alles aus der Gewissheit: ich bin beim Vater; und was des Vaters ist, ist mein. Damit reichte er den keuchenden und murrenden Frommen das dar, was ihnen half. Ihr seid beim Vater; ist denn das ein Unglück, ein hartes Los, eine peinigende Last? Beim Vater sein und murren kann nicht zusammen bestehen. Und der Vater handelt väterlich an euch und schließt euch nicht aus von dem, was er hat; denn der Vater macht den Sohn zu seinem Bild. Das war im Munde Jesu kein leeres Wort, sondern sichtbare Wirklichkeit und gebende Tat. Dadurch dass uns Gott Jesus gegeben hat, machte er das, was Gottes ist, zu unserem Besitz. Sein Sohn ist sein eigen und zugleich uns gegeben, ist seiner liebe Ziel und zugleich zu uns gesandt, dass er uns lieb habe, ist seines Lebens teilhaft und zugleich mit unserem Tod beladen, ist der Träger des göttlichen Bildes und trägt zugleich die Knechtsgestalt und unser Menschenbild. Sieh, so wahr ist es: alles, was mein ist, ist dein!

Vater, es ist das Geschenk Deines Geistes, dass wir zu Dir rufen: Abba, Vater. Das hat Deine Gnade erfunden in ihrer Höhe und Tiefe, Länge und Breite, dass wir Deine Kinder heißen. An Deiner Gabe will ich mich auch heute freuen und mit dem Psalmisten beten: „Ich will bleiben im Hause des Herrn immerdar.“ Amen.

12. September

Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.
Matthäus 19,6

„Ich nehme mir eine Frau“, sagt der Mann, der sich zur Heirat entschließt, und Jesus sagt ihm: Gott hat dich und deine Frau zusammengebunden, dass ihr wie zwei Rinder, die den Pflug ziehen, nebeneinander wandert und gemeinsam eure Arbeit tut, die von Gott euch aufgetragene. Nun geht aber, lieber Herr, gegen das, was du sagst, wieder ein Aufruhr in mir an. So nah bringst du Gott an das, was wir Menschen tun, daran und weißt doch, wie es beim Abschluss der Ehen zugeht. Damals wurden oft schon Kinder im frühen Alter miteinander verlobt, und oft war die Stiftung der Ehe ein Geschäft zwischen den Eltern der jungen Leute, ohne dass sie gefragt wurden, und oft führte das männliche Verlangen den jungen Mann zum Mädchen, das seinerseits auf einen Mann sehnlich wartete. Natur war hier wirksam und leider nicht nur Natur, sondern auch Sünde, so hässlich und so sichtbar wie auch sonst im Menschenleben, und dennoch sagst du: Gott hat die beiden zusammengebunden. Ihr kennt Gott nicht, antwortet Jesus, ich aber kenne ihn. Ihr seht nur auf den Menschen und passt nur auf das auf, was ihr wünscht und gewinnt. Ihr seid aber nicht allein. Ihr bewegt euch, weil ihr bewegt werdet, entschließt euch, weil ihr geführt seid, und handelt, weil Gott euch handeln macht, und auch euer Sündigen ist von Gottes Herrschaft umfasst. Wie nun? Soll ich fortfahren und sagen: Wenn der Mann seine Frau entlässt, dann hat Gott sie getrennt? So schließt keiner, der es wirklich glaubt: Gott hat uns zusammengefügt. Wenn wir ernsthaft zueinander sagen: mich hat Gott zu dir und dich hat Gott zu mir gebracht, dann gibt es zwischen uns keine Trennung mehr. Gott führt die Menschen nicht dazu zusammen, damit sie auseinander laufen. Fordert aber wirklich eine zwingende Notwendigkeit, dass das, was geeint war, sich wieder scheide, dann gehen beide, wenn sie Jesus kennen und ihm gehorchen, in Frieden voneinander in der Gewissheit: unsere Gemeinschaft ward aufgehoben durch Gott.

Vater, Du führst uns zu Dir und führst uns auch zueinander und machst dadurch unsere Gemeinschaft miteinander heilig. Mein Auge sieht Dein Walten nicht, aber ich höre Dein Evangelium und will es Dir glauben: jedes Band, das uns miteinander eint, ist Dein Werk. Amen.

13. September

Das Himmelreich ist gleich einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Da aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon.
Matthäus 13,24+25

Warum gibt es keinen Acker, auf dem nur von Jesus gesäte Saat steht? Warum wächst auf dem Feld, das Jesus gehört, zwischen dem Weizen auch Unkraut? Warum gibt es keine christliche Gemeinschaft, in der alle einzig Jesus gehorchen und keine anderen Meister Einfluss haben? Warum gibt es kein Christenleben, in dem nur Christliches geschieht und daneben nicht auch Verwerfliches? Warum habe ich in mir selbst nicht nur das, was mir Jesus gab, sondern trage daneben auch vieles in mir, was eine andere Hand in mich säte? Das Gleichnis Jesu erinnert uns an die Macht des Feindes. An dieser Erfahrung soll ich erkennen, wie stark der satanische Druck ist, der uns alle hemmt, wie gewaltig sich die Macht der Finsternis dem Reich Gottes widersetzt. Aber diese Antwort ruft nach einer neuen Frage: weicht denn Jesus vor dem Feind zurück? Kann er seinen Acker nicht behüten? Wir haben, was an uns geschieht, erst dann begriffen, wenn uns Gottes Gnade darin sichtbar ward. Es gibt, sagt uns Jesus, keine Kirche, in der man nicht fallen kann, keine christliche Gemeinschaft, die mir schon dadurch, dass ich zu ihr gehöre, mein Heil verbürgte. Dass es so ist, das ist offenkundig die Ordnung der Gnade. Dadurch ist es mir unmöglich gemacht, an die Kirche zu glauben. Wie wäre es doch, wenn ich in mir nur fände, was heilig und göttlich ist? Dann würde ich an mich selber glauben und brauchte keinen anderen Halt als den, den mir mein eigener Besitz gewährt. Das ist mir aber dadurch verwehrt, dass ich beides in mir trage, das, was von oben kommt, und das, was von unten her gekommen ist. Indem Jesus seinen Acker nicht vor dem Eingriff des Satans behütet, zeigt er uns in immer neuem Erlebnis: mit deiner Macht ist nichts getan, auch nicht mit der Macht deiner Kirche, sei sie, wie sie sei. Ich bin dein Schild und deine Burg, spricht der Herr; glaube mir.

Trauen kann ich nicht mir, sondern nur Dir, Herr, heiliger Gott. Ich schwanke und strauchle, Du richtest mich auf. Meine Gedanken verwickeln sich, die Deinen sind Licht. Was Du uns gegeben hast, das ist fruchtbarer Same und reifende Ernte, und das, was sie in Deine Scheune bringt, ist Deine Gnade allein. Amen.

14. September

Zu derselben Stunde traten die Jünger zu Jesus und sprachen: „Wer ist doch der Größte im Himmelreich?“
Matthäus 18,1

Wie hoch stehen die Jünger über uns! Wir fragen nicht, wer der Größte im Himmelreich sei, wohl aber, wer wohl die meisten Millionen habe und wer in unserem Staatsbetrieb die mächtigste Hand habe und wer durch die Kraft seines Blicks und den Fleiß seiner Forschung der größte Denker sei. Davon reden unsere Zeitungen und dafür interessiert sich jedermann. Die Jünger fragten nicht nach solcher Größe, beschäftigten sich dagegen eifrig mit der Frage, wem Gottes alles vollendende Offenbarung die größte Größe gebe, wem er den Reichtum seiner Gnade in der herrlichsten Fülle gewähre, wem er in seinem Reich das weiteste Arbeitsfeld und den größten Machtbereich zuteile. Sie dachten nicht an die Größe, die der Mensch sich selbst erwerbe zu seiner eigenen Verherrlichung, sondern denken an das, was Gottes königliches Wirken aus uns Menschen machen wird. Gerade deshalb zerbrach ihnen Jesus ihre Frage ganz. Sie treibt sie dem Sturz entgegen. Wenn sie nicht von ihr lassen, geht ihnen nicht nur die Größe, sondern jeder Anteil am Himmelreich verloren. Für wen war nach der Meinung der Jünger Gottes Werk und Gnade da? Für wen soll sie da sein, wenn nicht für sie? Darum wurde es ihnen zum wichtigen Anliegen, wer von ihnen der am reichsten Begabte und am höchsten Gestellte sei. Ihr Verlangen streckte sich nach dem, was ihnen zuteil werden soll. Die eigensüchtige Wurzel ihrer Frage kam sofort dadurch ans Licht, dass an ihr zwischen ihnen ein Zank entstand. Weil jeder nach der größten Größe strebt, zersprengt diese Frage ihre Gemeinschaft. Damit zerstören die Jünger das, was Jesus ihnen gab; denn er hat sie zur Gemeinde vereint. Damals vergaßen die Jünger, dass sie bei Jesus beten gelernt hatten: Dein Name werde geheiligt. Das Himmelreich ist nicht deshalb gekommen, damit der Mensch groß werde, sondern damit Gott offenbar und sein Name geheiligt sei. Gottes Herrschaft geschieht freilich an uns und uns zugut und nimmt Sünde und Tod von uns weg uns zum Heil und gibt uns Gerechtigkeit und Leben uns zur Seligkeit, allein nicht dazu, damit Gottes Macht und Güte von uns erkannt und gepriesen sei. Wer von Jesus beten gelernt hat: Dein Name werde geheiligt, in dem ist die Frage nach der Größe tot.

Obwohl Dein Reich, Vater, bei uns ist, gelangen wir nicht zu ihm, weil der Schatten unserer Größe unsere Augen blendet. Gepriesen sei Deine Barmherzigkeit, die uns rettet und heilt. Mache mir Dein Wort, das unsere Größe zerbricht, zum heilenden Balsam, zum stärkenden Trank, zur Quelle der Kraft. Amen.

15. September

Es blähen sich etliche auf, als würde ich nicht zu euch kommen.
1. Korinther 4,18

„Herr eures Glaubens bin ich nicht“, sagte Paulus den Korinthern. Diesen Gedanken stieß er als verwerflich von sich. Wie könnte ein Mensch, und wenn er ein Apostel wäre, über den Glauben des anderen Herr sein wollen? Das wäre Raub an Gott. Weil unser Glaube Gott gehört, sollen wir ihn Jesus geben und niemand sonst. Als es aber in Korinth solche gab, die sagten: Paulus braucht nicht mehr zu uns zu kommen; wir haben ihn nicht mehr nötig, nannte er das aufgeblähte Eitelkeit, vor der er ernstlich warnt. Ähnliche Gedanken gehen mit versuchlicher Kraft durch unsere Zeit. Wozu soll ich immer wieder mein Neues Testament öffnen, warum beständig Paulus zu mir reden lassen? Kann ich mein Leben nicht selber ordnen? Habe ich nicht Augen, die mir zeigen, was geschehen muss, Glauben und Geist, die mich auf Gottes Weg erhalten? Ich muss in der Gegenwart leben und das erkennen, was jetzt richtig und heilsam ist. Ist es nicht die Schwäche der Christenheit, dass sie nur die apostolischen Worte wiederholt und nicht von dem zeugen kann, was Gott heute an uns tut? An solchen Gedanken ist das freilich wahr, dass wir arm und zum Dienst nicht tauglich wären, wenn wir nichts zu sagen hätten als Bibelsprüche und von Gott nichts wüssten als das eine, dass er vor langer Zeit den Aposteln sein Wort gegeben hat. Wenn ich so in der Bibel heimisch würde, dass mir die Gegenwart fremd bliebe, dann hätte sie mir noch nicht gezeigt, dass Christus mir zum Herrn gegeben ist. Ebensowenig entsteht aber aus echtem Glauben Hochmut, der sich selbst genug sein will und auf den Apostel nicht mehr hören mag. Eitelkeit entsteht nicht aus dem Glauben, sondern gedeiht nur da, wo er fehlt. Habe ich gelernt, auf Gottes Hand zu achten, dann nehme ich wahr, dass er den Boten Jesu ein Amt gegeben hat, das niemand wiederholt und keiner entbehren kann. Dann höre ich die Stimme des guten Hirten, der durch den Dienst des Paulus die Seinen führt.

Ich kann nicht bei mir selber weise sein, lieber Herr. Du sprichst zu mir durch die, die Du mit Deinem Wort begnadet hast. Dafür danke ich Dir und bitte Dich: schenke Deiner Christenheit ein offenes Neues Testament, ein waches Ohr für das, was Deine Boten sagen. Amen.

16. September

Ich kann niedrig sein und kann hoch sein; ich bin in allen Dingen und bei allen geschickt, beides, satt sein und hungern, beides, übrig haben und Mangel leiden. Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus.
Philipper 4,12+13

Alles können, Mangel haben und Überfluss haben ohne Störung für das inwendige Leben, ohne Schwankung, die aus Gottes Wegen weicht, das ist herrliche Freiheit. Wen lockt sie nicht? Wir fürchten den Mangel, weil er mit seiner nagenden Pein unsere Kraft verzehrt, und wir fürchten den Überfluss, weil er unsere Phantasie aufregt, unsere Begehrlichkeit entzündet und uns mit Bedürfnissen belastet, die uns knechten. Eine Freiheit, wie Paulus sie hatte, gibt uns die königliche Haltung sowohl gegenüber unserem eigenen Leib als auch gegenüber den Menschen, von denen die Menge unserer Bedürfnisse uns abhängig macht. Auch andere haben nach dieser Freiheit gestrebt, aber auf anderem Wege als Paulus, dadurch nämlich dass sie ihren Leib misshandelten, um von den natürlichen Gründen des Lebens loszukommen. So kamen sie aber nicht in die Freiheit, die alles kann, nicht nur hungern, sondern auch satt sein und Überfluss haben. Sie haben darum ihren Gewinn mit einem schweren Verlust erkauft, da sie die Freiheit durch die Verkürzung des Lebens erstrebten. Paulus gewann seine Freiheit nicht durch eine Mönchsregel, an die er sich gewaltsam gewöhnt hätte, und nicht durch ein System, in das er sein Leben einzwängte. Der, von dem ihn kein Mangel losriss und kein Überfluss weglockte, war sein Herr, der in jeder Lage mit seiner allmächtigen Gnade bei ihm war. Weil Paulus am Christus das tiefste Verlangen seiner Seele stillte und von jenem Hunger, der im innersten Grunde unseres Wesens entspringt, frei geworden war, darum konnte er darben ohne Pein, und weil Christus in ihm eine Liebe erweckt hatte, die seine Seele völlig füllte, darum verwirrte und verdarb ihn kein Überfluss.

Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von denen mir die Hilfe kommt. Aus erhobener Höhe kommt sie herunter zu mir, der ich ihrer bedarf, um von dem frei zu werden, was an mir zerrt und mich bedrückt. Sehe ich zu Dir empor, dann verliert das seine Kraft, was mich erschreckt und lockt, zieht und fesselt. Du, Herr, bist meine Stärke und mein Gut. Nach Dir verlangt meine Seele; denn Du machst uns frei. Amen.

17. September

Nicht, dass ich das Geschenk suche, sondern ich suche die Frucht, dass sie reichlich in eurer Rechnung sei.
Philipper 4,17

Mit Geld haben die Philipper Paulus beschenkt. Er sah aber darin mehr als ein Geschenk, nämlich Frucht. Hätte er bei dem, was ihm die Philipper schickten, nur an das Geschenk gedacht, so hätte er nur auf die Menschen gesehen, die in dankbarer Liebe an ihn dachten. Unser Blick reicht freilich oft nur bis zum Menschen und bedenkt bloß, wie er sich zu uns stellt und sich freundlich an uns erinnert. So machen wir aber unsere Gemeinschaft oberflächlich. Sie bekommt dann Tiefe, wenn wir nicht vergessen, dass wir Menschen in der Gemeinschaft mit Gott leben und deshalb imstande sind, zu geben, weil wir empfangen haben. Hat der Mensch Liebe, so hat er sie, weil Gott sie ihm schenkt; dankt er, so tut er es, weil er Gottes Gaben bekommen hat und ihren Wert schätzt. Dadurch wird aus dem Geschenk die Frucht, die es nicht nur für den Empfänger, sondern auch für den Geber wertvoll macht. Auf die Frucht hat Paulus gehofft. Bleibt sie aus, so ist er betrübt; kommt sie zustande, so ist er hoch erfreut. Denn mit der Frucht kommt das zum richtigen Ziel, was Gott an uns tut. Sie ist der von Gott gewollte Abschluss der uns gewährten Gnade. Nun hat sie uns so erfasst, dass wir ihr folgen, und uns so bewegt, dass wir handeln. Nun sind wir wirklich geheilt und wirklich reich gemacht. Für den unfruchtbaren Baum, der vergeblich gepflegt wird, gibt es in Gottes Reich keinen Raum; er muss weg. Nur dadurch, dass das uns Gegebene fruchtbar wird, wird es für uns heilsam und unser Eigentum. Darum ist die Liebe auch für den, der sie übt, nicht nur für den, dem sie hilft, ein unentbehrlicher Gewinn, ein seliger Schritt, der uns vorwärts und aufwärts führt.

Alles, was Du, Vater, mir gewährst, hat die Kraft eines lebendigen Keims in sich, der zur Frucht ausreifen will. Fehlt die Frucht, so liegt das nicht an Deiner Gnade, sondern an meiner Eigensucht, die nicht treu werden mag. Darum komme ich als Dürstender zu Dir nach Deinem seligen Gebot: wer da dürstet, der komme zu mir und trinke. Trinken will ich aus dem Quell Deiner Liebe, damit das, was Du mir gabst, die reifen Früchte trage. Amen.

18. September

Der Herr macht zunichte der Heiden Rat und wendet die Gedanken der Völker; aber der Rat des Herrn bleibt ewiglich, seines Herzens Gedanken für und für.
Psalm 33,10+11

Der Rat der Völker hat größere Macht als der Rat der Regierenden, wenn auch der Rat der Völker nur dadurch zur Tat gelangen kann, dass die, die sie regieren, ihn vertreten. Aber die, die die Macht verwalten, wechseln rasch und machen nach kurzer Dauer ihren Nachfolgern Platz. Der Rat der Völker dagegen bleibt und sie halten ihn oft durch Jahrhunderte hindurch mit zäher Anstrengung fest. Der Psalmist fand bei den fremden Völkern, die er kannte, eine sie beherrschende Politik, Ziele, nach denen ihre Geschlechter in langer Reihe einträchtig strebten und die für alle Glieder des Volkes unanfechtbare Geltung hatten. Der Assyrer strebte nach der Weltherrschaft; der Rat der Tyrier begehrte nach einem weit ausgedehnten kolonialen Reich; der Rat der Ägypter machte aus Ägypten eine eigene Welt für sich und schuf die ägyptische Kultur mit ihren Tempeln und Gräbern. Schaffen die Völker mit ihren nationalen Bestrebungen Bleibendes? In der Gewissheit, die der vom Geist geschenkte Blick auf Gott gewährt, sagt der Psalmist: alle diese Politiken scheitern; der Rat der Völker zerbricht. Warum? Sie kennen den Rat Gottes nicht und dies ist der einzige Rat und Plan, der besteht und geschieht. Gott ließ, sagte Paulus, die Völker ihre eigenen Wege wandeln. Darum suchen sie ihre Ziele im Bereich der Natur. Sie ringen um den Besitz der Erde und um die Ausnützung der von der Natur uns geliehenen Kräfte. Darum sind die Wege der Völker anders als die Wege Gottes. Sein Rat setzt fest, was er uns gibt, wie er uns seine Herrlichkeit zeigt und uns zu Erben seines Reichtums macht. Dieser Rat besteht und nicht der der Völker, wie einst, so auch jetzt. Der Psalmist hat völlig Recht behalten. Alles, was die Völker damals mit großer Macht und scheinbarem Erfolg anstrebten, versank. Dass es aber ein Volk Gottes gab, das blieb und bleibt.

Nicht mein Rat, auch nicht der Rat meines Volkes geschieht, ewiger Gott, sondern der Deine. Auch meine Pläne und Ziele müssen zerfallen, weil sie die meinen sind. Ich bitte nicht, dass Du sie erfüllest, sondern darum bitte ich: es bestehe und geschehe der Rat Deiner Gnade und erfülle sich auch an mir in Zeit und Ewigkeit. Amen.

19. September

Wenn du Almosen gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut.
Matthäus 6,3

Wenn irgendein Gebot Jesu uns zur Einrede reizt: das ist unmöglich, ich kann das nicht! So ist es dieses Gebot. Dass wir unser Wohltun nicht auch vor den anderen ausstellen dürfen, das hat einleuchtenden Grund. Wir haben alle keine Achtung von einer Wohltätigkeit, die nicht zustande käme, wenn sie nicht Zuschauer hätte. Wir wissen alle, hier kommt etwas anderes ans Licht als Güte. Dieses Wohltun ist Eigennutz und erkauft sich mit seiner Gabe einen Gewinn, die Ehrung, die der Zuschauer ihm spenden soll. Jesus ist aber nicht damit zufrieden, dass die fremden Augen ausgesperrt bleiben; auch ich selbst soll meine Wohltat nicht beschauen. Das hat er in seiner mächtigen Sprache so gesagt, dass meine linke Hand nichts davon erfahren soll, dass meine rechte Hand den anderen die Gabe gibt. Auch wenn ich nicht Dank und Lohn von den Menschen begehre, so begehre ich doch den Lohn, dass meine Wohltat mich selbst erfreue und mir das Wohlgefühl des richtigen Handelns verschaffe. Damit hängt sich aber wieder jene Verunreinigung, die die den anderen vorgezeigte Wohltat verdirbt, in ihrer innersten und feinsten Gestalt an unsere Güte an. Ein letzter, feinster, aber auch stärkster Trieb der Eigensucht mengt sich ein. Sei nicht dein eigener Zuschauer und Lobredner, mahnt uns Jesus. Dich geht, was du Gutes tust, nichts an. Ihn geht es an, der deine Wohltat bedarf. Sieh auf ihn und sorge dafür, dass er wirklich erhält, was er bedarf. Wie kann ich zu dieser selbstlosen Güte kommen? Das Gebot Jesu wäre eine unerfüllbare Unmöglichkeit, wenn er uns nicht in den Glauben stellte. Solange ich meinen Stützpunkt in mir selber suche und mich an das klammere, was ich bei mir finde, wird sich auch meine linke Hand lebhaft an dem beteiligen, was die rechte tut. Dann zuckt das Hochgefühl des guten Werks durch meine ganze Seele und wird mir zum unentbehrlichen Genuss. Denn ich füge ja mit jeder Guttat einen Stein hinzu zu meinem stolzen Bau. Wie ich sein Erbauer bin, bin ich auch sein Beschauer und sein Bewunderer. Nun wendet aber Jesus unser Gesicht zu Gott hin, so dass wir glauben. Das gibt die Lösung nicht nur von unserem Sündigen, sondern auch von unserem Gutestun. Denn ich stehe nun vor Gott nicht auf meinem Werk, nicht auf dem, was meine Liebe opfert, sondern auf Gottes Wort und Gottes Tat. Der Segen, der daraus entsteht, wird mir sofort zuteil. Nun entsteht jenes Helfen, das ernsthaft hilft, weil unser Blick nicht an uns und unserem Vorteil hängt, sondern klar und ganz das bedenkt, was dem anderen dient.

Wenn meine Linke mit dabei ist, lieber Herr, dann hält sie meine Rechte fest, dass sie nicht ernsthaft geben kann. So wird aus meinem Wohltun Schein. Weil Du allein die Liebe bist, suche ich sie bei Dir, und ich weiß, sie ist des Geistes Frucht und des Glaubens Frucht. Amen.

20. September

Wenn du betest, so gehe in dein Kämmerlein und schließe die Türe zu und bete zu deinem Vater im Verborgenen.
Matthäus 6,6

Der Betsaal, den die jüdischen Gemeinden an allen Orten herstellten, war eine wunderschöne Einrichtung. Weil sie sich die Betsäle bauten, erhielten sich die jüdischen in allen Ländern und jedes ihrer Glieder fand im Betsaal immer wieder die Nahrung, die ihm für sein inwendiges Leben unentbehrlich war. Auch wir können uns keine Mission denken ohne Kirchenbau und keine Christenheit ohne Räume, die für ihren Gottesdienst ausgesondert sind. Dennoch führt Jesus die Seinen, wenn sie beten, aus dem Betsaal hinaus. Wohin? Welchen Ort zeigt er ihnen, der heiliger wäre als der Betsaal? Gibt er seinen Jüngern auf, statt der jüdischen christliche Betsäle herzustellen? Die Vorratskammer, voll von irdischen Dingen, von Öl- und Weinkrügen und Getreidehaufen, beschreibt er den Seinen als den richtigen Ort für ihr Gebet. Das ist sie deshalb, weil man sie verschließen kann. Dort beten sie im Verborgenen zu dem, der im Verborgenen gegenwärtig ist und die im Verborgenen Betenden erhört. Wie jedes Wort Jesu, so beschenkt uns auch dieses mit seiner königlichen Freiheit. Der, der in seinem Vorratsraum beten kann, ist frei gemacht, frei vom verwirrenden Eindruck, den die natürlichen Dinge auf uns machen, frei auch von jeder religiösen Stütze, die seine Erinnerung an Gott beleben soll. Er braucht keinen geweihten Raum, keine ihn feierlich stimmende Umgebung, keine Hallen und Orgeln, nicht einmal die Gemeinde. Er muss nicht erst durch irgendeine Vermittlung zu Gott emporgetragen werden; er hat Gott bei sich auch an dem dem irdischen Leben dienenden Ort. Diese Freiheit ist aber eine erhabene und heilige Sache; denn sie ist der Besitz der Glaubenden, die am verborgenen Gott nicht zweifeln, obschon kein sicheres Zeichen sie an ihn erinnert. Hier in der Stille sind sie gegen das geschützt, was im jüdischen Betsaal das Gebet verdirbt. Dort vergisst der Beter nie, dass er bei den anderen ist; denn jedes Auge schaut auf den Beter und jeder beurteilt die anderen und misst ihnen die Ehre und die Schande zu nach dem Maß ihrer Frömmigkeit. Mit wem spricht der Beter? Fragt uns Jesus, und bei wem sucht er den Erfolg seines Gebets? Bei den Menschen oder bei Gott? Du willst als Beter zu Gott reden; dann geh von den Menschen weg, geh in die Verborgenheit.

Wenn ich nicht Dich, gegenwärtiger und heiliger Gott, allein vor Augen habe, gibt es für mich keine heilsame Gemeinschaft mit den Menschen, kein Wort, das Kraft hätte, keine Liebe, die wirklich hilft, keine Gemeinschaft des Gebets, bei der ich Dich anbetete. Dich suche ich und bete zu Dir, damit ich Deinen Willen erkenne und Deine Gaben empfange und mein Leben auf Dich gegründet sei, allein auf Dich. Amen.

21. September

Wenn du festest, so salbe dein Haupt und wasche dein Angesicht, auf dass du nicht scheinest vor den Leuten mit deinem Fasten, sondern vor deinem Vater, welcher verborgen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten öffentlich.
Matthäus 6,17+18

Kunstfertig sind wir Menschen, dass wir sogar aus dem, was unsere Trauer und unsere Busse sichtbar macht, uns einen Ruhm bereiten. Das ist ein seltsames Kunststück. Ist nicht für den, der sich als schuldig richtet, die Öffentlichkeit verschärfte Pein? Sucht nicht die echte Träne die Verborgenheit? Allein das Kunststück, von dem Jesus spricht, ist uns sehr geläufig und findet sich bei allen, die nichts anderes sind als das, was die Gesellschaft aus ihnen macht. Sie stellen nicht nur ihre Kraft, sondern auch ihre Schwachheit aus, lassen sich ihre Tüchtigkeit und ihre Busse von den anderen bestätigen und bedürfen auch für ihre Trauer die Zuschauer. Da uns Jesus von der Knechtschaft unter die Menschen frei macht, stellt er auch den Fastenden allein vor Gott. Dadurch erhält unsere Busse Wahrheit und wird wirklich zur Beugung unter Gottes Gericht und unsere Trauer bekommt Heilsamkeit; nun reinigt sie unsere Seele. Ist es aber nicht gegen die Wahrhaftigkeit, wenn der Fastende sich jene Haltung gibt, die der annimmt, der sich zum frohen Fest begibt? Nur dann würde daraus eine Vorstellung, wenn es möglich wäre, dass uns ein Schmerz widerführe, der jede Freude in uns erstickt. Wir treten aber nach der Vorschrift Jesu mit dem gewaschenen Angesicht und dem geordneten Haar in die Gemeinschaft hinein und diese ist Gottes reiches Geschenk. Wenn wir die anderen mit dem belasten, was uns peinigt, verkennen wir den von der Gemeinschaft uns gegebenen Beruf. Wenn das Auge des Bruders deine Tränen sieht, so lass ihn mit dir weinen, wie er sich mit dir freuen soll, wenn er deine Freude sieht; aber um das Mitweinen der anderen zu werben, ist nicht brüderlich. Was aber unsere Gemeinschaft als ihr gemeinsames Gut besitzt und verwaltet, das ist Gottes Gnadengabe, an der ich auch im tiefsten Leid und bittersten Fasten Anteil habe. Auch dann gehöre ich zu den Hochzeitsleuten, die der Bräutigam deshalb zu sich geladen hat, damit sie mit ihm feiern. Wir waschen darum unser Gesicht nicht für die Menschen, sondern wenden uns mit aufgedecktem Angesicht dem zu, der uns die Herrlichkeit Gottes zeigt.

Was soll ich mehr begehren, als dass Du, Vater, weißt, was mir fehlt, und siehst, was mich beugt? Bist Du auch der verborgene Gott, so bist Du doch in Deiner Verborgenheit gegenwärtig. Dir bringe ich mein Geständnis und erfasse Deine Verheißung, dass Du dem verzeihst, der vor Dir seine Schuld bekennt. Amen.

22. September

Gott versuchte Abraham.
1. Mose 22,1

Gott tat es, das heißt, seine Gnade tut es. Alles, was Gott den Seinen tut, ist Gnade. Es ist Gnade, dass der Anspruch Gottes an mich ergeht, der mich zum bewussten Entschluss nötigt und mir aufgibt, dass sich meine Liebe in freier, eigener Bewegung ihm zuwende. Es würde uns keine Versuchung zuteil werden, stünden wir nur in der Abhängigkeit von Gott. Die Sterne werden nicht versucht; sie gehen ihre Bahn in fehlloser Richtigkeit, gebunden in das ihnen gegebene Gesetz. Ich werde versucht, weil mir Gottes Gabe so gegeben ist, dass sie mein Eigentum wird. Dass sie mein eigen ist, von mir erfasst, geschätzt, als heilig erkannt und treu bewahrt, dies stellt eben die Versuchung fest, und sie wird, indem sie dies bewährt, zur Pforte für die neue Gnade. Die Schwere der Entschließung, die die Versuchung von uns verlangt, entsteht daraus, dass das göttliche Gebot die uns gegebenen Bedingungen des Lebens angreift. Nicht nur die natürliche Empfindung, auch alles, was Abraham im Verkehr mit Gott erlebt hat, macht ihm das Leben des Sohnes teuer und seine Opferung unerträglich. So muss er sich von aller, auch der reinsten und frömmsten Eigensucht, lösen, muss auf den von Gott ihm gegebenen Sohn verzichten um Gottes Willen und bewähren, dass ihm Gott mehr gilt als seine Gabe. Die Frage, die am Eingang der Geschichte Hiobs steht: dient Hiob Gott umsonst? Wird hier auch an Abraham gestellt. Dies kehrt in jeder Versuchung wieder. Sie stellt das, was uns gegeben ist, und das, was von uns gefordert wird, gegeneinander und löst uns um deswillen, was kommt, von dem ab, was hinter uns liegt. Sie fordert immer die reine Bejahung Gottes, die nicht seinen Gaben gilt, sondern ihm. Darum, weil uns die Versuchung zur reinen Liebe Gottes beruft, ist sie selbst die Offenbarung der göttlichen Liebe im selben Sinn, wie das Gebot: Du sollst Gott lieben, ein Zeugnis der Liebe Gottes ist. Es ist seine reine Liebe, die von uns die reine, ganze Liebe begehrt.

Ich bete mit Deinem Wort, Herr Jesus: Führe mich nicht in Versuchung. Ich will aber in meine Bitte kein Murren mischen. Ich gedenke der Gebrechlichkeit meines Willens und der Schwäche meiner Liebe und weiß, dass ich mich leicht nach der falschen Seite wende. Das weißt auch Du, Allwissender. Darum bist Du in die Versuchung gegangen und hast herzlich nach ihr verlangt und mit Deinem vollendeten Opfer den Vater verherrlicht, damit Du für uns der Helfer seiest dann, wenn wir versucht werden. Amen.

23. September

Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand; sondern ein jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird.
Jakobus 1,13+14

Die Warnung, die uns verbietet, die Schuld an unserem Fall auf Gott zu legen, ist uns dringend nötig; sie ist aber reich an heilender Kraft. Die Neigung, Gott anzuklagen, ficht uns dann an, wenn wir uns zu unserer versuchlichen Lage richtig stellen. Dann erleben wir alle, was Jakobus im ersten Wort seines Briefes sagt, dass Versuchung Freude schafft, sogar wenn sie sich immer wieder erneuert. Dann aber, wenn wir in der Versuchung gefallen sind, vielleicht auch dann, wenn wir zwar noch nicht fielen, aber in einen harten Kampf verwickelt sind, weil sich eine zähe und starke Begehrung dem Gehorsam widersetzt, sind wir rasch bei dem Gedanken, dass die Schuld unseres falschen Schritts nicht auf uns falle, sondern auf Gott. Wir haben uns ja nicht selber in jene Lage versetzt, aus der die Versuchung entstand. Wir wurden in sie hineingeführt und nun war die Versuchung da, unentrinnbar, als Macht, die uns ergriff. Daran können wir nicht zweifeln, dass Gott auch in jenen Stunden, da wir die falschen Schritte taten, mit dabei gewesen ist. Auch im Rückblick auf jene Stunden steht die Gewissheit fest, dass unser Schicksal uns von Gott bereitet ist. Wie nun? Ist nicht Gott damals unser Feind gewesen, unser Verderber, der uns ins Böse stieß? Würde sich dieser Gedanke in uns festsetzen, so hätte uns unser Fall tödlich verwundet. Dann folgte auf ihn kein Aufstehen mehr und die Türe, die zur Umkehr führt, wäre für uns verschlossen. Besinne dich, sagt mir Jakobus, ehe du Gott beschuldigst; wer schuf deine Tat? Nicht die Dinge, nicht die Menschen, auch nicht Gott, meine Begehrung schuf meine Tat. Als ich den falschen Schritt vollzog, war ich der Schreitende. Irgend einen Gewinn wollte ich erhaschen, irgend eine Verletzung meines Wohlseins und meiner Ehre abwehren. Freilich handelte ich gestoßen und gezwungen als Gefangener. Doch das, was mich stieß und zwang, war mein eigenes Begehren. Dieses zerrte an mir und köderte mich und ich glich dem Fischlein, das gierig nach dem Köder schnappt. Aus meiner Lage kam mein Begehren; das war es ja, was sie versuchlich machte. Ich konnte damals nicht hindern, dass der lockende Wunsch in mir entstand. Kam er aber deshalb zu mir, damit ich ihn erfülle? War er mir nicht deshalb gegeben, damit ich ihn entkräfte, entwurzle und zerstöre? Es bewegt sich in mir kein Verlangen, das ohne mich zur Erfüllung kommt. Zur Tat wird meine Begierde erst, wenn sie durch meinen Entschluss bestätigt und durch meine Zustimmung in Kraft verwandelt ist. Nun liegt die Schuld an ihrem richtigen Platz; nun liegt sie auf mir, und weil ich sie als die meine erkenne, ist sie mir vergeben. Lege ich sie dagegen auf Gott, dann hängt sie unvergeben an mir.

Herr, ich preise Deine Gerechtigkeit allein, auch wenn ich an jene Stunden denke, in denen ich mich falsch entschied. Alles würde dunkel, wenn in der Erinnerung an jene dunklen Stunden auch Dein Angesicht mir dunkel würde. Du aber warst auch damals gerecht und mein Unrecht war mein eigenes Werk. Denn ich hörte auf meine Lust und nicht auf Deinen Willen. Dein Werk ist es, dass ich an meinem Sündigen nicht starb, sondern lebe, und in meiner Nacht Dich nicht verlor, sondern zu Dir kommen kann und bei Dir bleiben darf. Das ist Dein göttlich großes Vergeben, Dein väterliches Werk. Amen.

24. September

Die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Feld.
1. Mose 3,1

Wie klein ist der Verstand eines Menschen neben der Klugheit einer Schlange! Sie verzweifelt nicht, läuft nicht ratlos hin und her und macht keine dummen Streiche. Messen wir den Menschen nur nach den Leistungen seiner Sinne, seines Verstandes und seines Gedächtnisses, dann bleibt er weit hinter den geistigen Leistungen der Tiere zurück. Das gibt dem Tier die für uns versuchliche Macht, weil im Tier ein großer Verstand ohne Hemmung und Einschränkung im Dienst seiner Triebe steht. Wenn ich nichts anderes als Verstand wäre, warum sollte ich nicht das Tier nachahmen und dasjenige Maß von Verstand, das ich habe, so brauchen, wie das Tier den seinigen braucht, eben dazu, dass ich alles erjage, wonach mein Gelüsten verlangt? Dem lockenden Beispiel des Tieres tritt zunächst das Gebot entgegen: Du bist nicht selbst über dein Leben Herr und weißt nicht selber, was gut und böse ist; das sollst du nicht selber nach deiner Willkür festsetzen, sondern sollst hören, was für dich gut ist und was für die böse ist, was dich ins Leben führt und was dich zerstört. Das wird dir gesagt, und dadurch, dass zu dir gesprochen wird und du hörst, bist du kein Tier. Wenn aber zum Tier in mir nichts anderes kommt als das Gebot, das mir erklärt: du hast nicht zu begehren, sondern zu gehorchen, und sollst nicht wünschen, sondern empfangen, was dir gegeben wird, dann entsteht in mir noch nicht mehr als ein nicht zu schlichtender Streit. Zu meiner tierischen Klugheit muss die Torheit des Evangeliums kommen. Den muss ich kennen lernen, der das Kreuz getragen hat. Das ist das vollkommene Gegenteil zur Klugheit der Schlange. Sein Bild, das Bild des Gekreuzigten, befreit mich von der Bewunderung für den Geist des Tiers und schließt seinem Einfluss die Türe zu.

Weil Du, Herr, uns von der Schlangenklugheit befreist, öffnest Du uns das Paradies. An Deinem Kreuz erscheint uns die Weisheit, die von oben kommt. Wache über dem Getümmel meiner Gedanken und sende in mich hinein die Strahlen Deines Lichts, des richtenden, das zwischen dem, was gut und was böse ist, scheidet, des weisenden, das mir die Spur Deines Wandels zeigt. Amen.

25. September

Die Kreatur ist der Eitelkeit unterworfen ohne ihren Willen, sondern um deswillen, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung.
Römer 8,20

Ist es nicht mein höchster Ehrenname und Grund zu jubelnder Freude, dass ich Kreatur bin, ein Werk Gottes, ein Erzeugnis seiner schaffenden Kraft? Aber diese Ehre zerrinnt und dieser Jubel verklingt, solange ich nichts anderes bin als Geschöpf. „Ein erbärmliches Geschöpf“, so sprechen wir Deutsche. Die Formel klingt fast lästerlich; ist denn ein Geschöpf erbärmlich? Indem ich es Geschöpf heiße, sage ich, dass es sein Dasein und seine Gestalt von Gott empfangen habe, und trotzdem nenne ich es erbärmlich, weil das, was es mir zeigt, Ohnmacht und Elend ist. Allein diese Sprechweise hat ihren ernsthaften Grund und hält ein erhabenes Merkmal des göttlichen Regiments ans Licht. Als Kreatur bin ich in der Tat nichts anderes als erbärmlich; denn Gott hat das, was er schuf, in die Eitelkeit und Vergänglichkeit versetzt. Sieh dir doch unser Hasten und Rennen, unser Arbeiten und Erwerben, unser Reden und Schreiben, unser Genießen und Leiden an; was kann man dazu anderes sagen als was Paulus sagte: Eitelkeit? Sind wir dennoch Kreatur und dazu von Gott gemacht? Eben in dieser Eitelkeit, von der wir uns nicht lösen können, tragen wir das Merkmal unserer Kreatürlichkeit an uns. Zu so nichtigen Wesen haben wir uns nicht selbst gemacht, sondern wurden der Eitelkeit unterworfen, und die Hand, die uns ihr unterwarf, ist die schaffende Hand, die uns das Dasein gab. Deshalb ist der Mensch für sich selbst ein Rätsel. Geschöpf und zugleich ohnmächtig sein, einen Willen haben, der nichts kann, und ein Leben haben, das stirbt, das ist freilich rätselhaft. Wir sollen auch die Rätselhaftigkeit unseres Daseins kräftig spüren. Denn dazu hat Gott das Hoffen in uns hineingepflanzt. Ich muss hoffen, wie jedermann hofft. Jeder lebt in der Zukunft, weil keiner bei dem verweilen kann, was er jetzt ist. Auch das ist das Wahrzeichen des Schöpfers, das wir an uns tragen. Er gab uns nicht nur die Leere, sondern auch die Sehnsucht, die auf ihre Füllung wartet, nicht nur die Fessel, sondern auch die Empfindung für ihren harten Druck und das Verlangen, das nach Freiheit dürstet. Sehen wir unser Ziel? Paulus sah es. Gott macht aus uns noch anderes als nur seine Kreatur; sein Kind macht er aus uns. Am Geschöpf zeigt er seine Macht, am Kinde seiner Gnade. Das Geschöpf ist gebunden in die ihm auferlegte Notwendigkeit; dem Kind gibt er seine Gemeinschaft, die es befreit. Nun weiß ich, warum ich als Geschöpf noch nichtig bin und wohin das Sehnen der Geschaffenen zielt. Gotteskindschaft ist das Ziel, zu dem Gott die Geschaffenen führt; dort findet ihre Sehnsucht das, was sie erfüllt.

Schaue ich Deine Macht, o unser Schöpfer, von dem alles ist, was besteht, so beuge ich mich vor Dir in Anbetung. Schaue ich Deine Gabe, o Vater aller Deiner Kinder, so wird aus meiner Anbetung das neue Lied der ewigen Danksagung. In unsere Nichtigkeit legst Du den Schatz Deines Wortes, das uns zu Deinen Kindern macht. Nun darf ich nicht nur hoffen, sondern auch glauben und lieben zu Deines Namens Preis. Amen.

26. September

Heben wir das Gesetz auf durch den Glauben? Das sei ferne! Sondern wir richten das Gesetz auf.
Römer 3,31

Wäre ich auf der Flucht vor Gott, dann würde ich sein Gesetz von mir stoßen und mit starkem Verlangen bemühen, ihm nirgends zu begegnen. Nun aber ruft mich Gott zu sich, reicht mir seine Hand, dass sie mich halte, und zeigt mir sein Werk, damit mein Leben in ihm begründet sei. Wie könnte ich nun im Streit mit dem Gesetz verharren? Das Gesetz verwirft alle Bosheit; sie sei verworfen mit ganzer Entschlossenheit! Das Gesetz macht mir die Bosheit zur Schuld; sein Urteil ist wahr und leuchte in meiner Seele. Das Gesetz zeigt mir, wie gut und herrlich Gottes Wille ist; ich sehe dies und will gehorchen. Wie kann ich etwas anderes begehren, als dass ich Gottes Willen tue? Das Gesetz spricht nicht nur zu mir, sondern zu uns allen, vereint uns zur Gemeinde und macht aus unserem gemeinsamen leben den gemeinsamen Gottesdienst. Wie könnte ich Gottes Gnade nur an mich allein ketten, wie mir verbergen, dass sie den Brüdern wie mir gegeben ist und dass sie uns zur einträchtigen Schar verbindet, in der auch ich für meinen Dienst zum Wohl des anderen und zu Gottes Ruhm mein Plätzchen habe? Darum gebietet das Gesetz die Liebe und ich kann und will ihm nicht widersprechen. Gott gibt mir die Liebe dadurch, dass er mir den Glauben gibt. Und doch bleibt es der Glanz in Gottes Regierung, dass sie uns „ohne Zutun des Gesetzes“ die Gerechtigkeit bereitet hat, nicht so, dass Gott gebietet und wir sein Gebot erfüllen, nicht so, dass Gott richtet und wir an unserer Übeltat sterben, nicht so, dass Gott lohnt und wir durch unser Verdienst leben, sondern so, dass die Schuld getilgt ist durch sein Vergeben und der Glaube empfängt, was er erbittet, und die Liebe fruchtbar macht, was der Glaube empfing. Dass Gottes Wort nicht zu mir sagt: Du sollst! Sondern sagt: Sieh, was Gott tut, und nimm, was Gott gibt, das macht aus seinem Wort die Kraft Gottes zur Seligkeit.

Mich verlangt, Herr Gott, nach Deinen Geboten. An Deiner Gnade stirbt der Widerspruch meiner Natur, der Dein Gebot nicht gefällt. Es ist ja höher und herrlicher als unsere menschliche Art und hebt unser Verlangen zu Deinem gnädigen Willen empor. Mache mir ihn nach Deiner Barmherzigkeit sichtbar in allen Dingen, damit ich an Deiner Hand bleibe als Dein dir willig folgendes Kind. Amen.

27. September

Was hilft es, liebe Brüder, wenn jemand sagt, er habe Glauben, und hat doch die Werke nicht? Kann auch der Glaube ihn selig machen?
Jakobus 2,14

Dass ich sage, ich habe Glauben, das ist unmöglich die Hilfe, die mich von der Sünde, Schuld und Strafe befreit. Wie könnte das, was ich sage, meine Rettung sein? Nicht dass ich sage, ich habe Glauben, sondern dass ich glaube, das rettet mich, stellt mich in Gottes Frieden, bringt mir Gottes Gnade und ist meine Gerechtigkeit vor Gott. Habe ich Glauben, so sage ich auch, dass ich ihn habe. Der Glaube erzeugt das Bekenntnis und wäre nicht vorhanden, wenn er es nicht schüfe. Wenn ich nicht einmal reden mag, wie soll ich denn im Glauben handeln? Darum hat das Bekenntnis dieselbe Verheißung wie unser Glaube. Denn das Bekenntnis ist des Glaubens erste Frucht. Er schenkt mir das antwortende Wort, das zur Botschaft Gottes die Danksagung fügt und aus seiner Verheißung meine Bitte macht. Ich kann vor Gott nicht stumm bleiben, wenn ich glaube. Durch Glauben beten wir, sagt Jakobus. Und der Glaube gibt mir auch im Verkehr mit den Menschen das Wort. Ich glaube, darum rede ich, sagt Paulus. Habe ich aber damit Gottes Gnade schon ganz beschrieben? Gäbe mir der Glaube bloß Worte, dann freilich wäre mir schon damit geholfen, dass ich sage, ich habe Glauben. Aber das ist ein finsterer Gedanke. Bin ich denn nur ein Denker und Redner? Gott hat mir Leben gegeben und das bedeutet, er hat in mich einen Willen gepflanzt, der handeln kann, aber auch handeln muss nach unzerbrechlicher Notwendigkeit. Das gilt für meinen Verkehr mit Gott und ebenso für mein Verhältnis zu den Menschen. Der Dienst Gottes ist Tat und unsere Gemeinschaft miteinander entsteht durch das, was wir einander tun. Wenn ich nun keine Werke habe, nichts tue, also auch das nicht tue, was Gott von mir will, so ist das nicht Rettung, sondern Sünde und Tod. Es ist unmöglich, dass ich nichts tue; wenn ich nicht den Willen Gottes tue, so entsteht mein Werk aus meiner Eigensucht, ist also gottlos und Unheil für die anderen. Nun brauche ich aber die Warnung des Jakobus dringend; denn es ist süß, auf nichts anderes zu schauen als auf Gottes Werk und alles in die stille Ruhe zu versenken, die ich habe, weil ich in Gott geborgen bin. Das Werk stellt sich neben dem Glauben immer als schwer dar; es ist Kampf, entsteht durch Selbstüberwindung und bringt mich in die gefährliche Nähe der Welt. Aber die träge und selbstsüchtige Art unseres Herzens darf mich nicht täuschen. Daran darf ich keinen Zweifel hängen, dass ich handeln muss, und soll Gott danken, dass ich als der Glaubende handeln kann, so dass mein Werk nicht Schuld und Unheil ist, sondern den Willen Gottes tut.

Was Du, gnädiger Gott, für uns und an uns tust, das braucht keine Hilfe und Ergänzung. Mein Werk ist nicht der Grund Deiner Gnade. Sie hat in Dir ihren Grund und ist vollkommen wie Du. Deshalb glauben wir Dir, und glauben nicht an uns und unser Werk. Du gibst aber Deine Gnade mir in meiner Lage und meinem Beruf und hast mich mit Arbeit beschenkt. Ich würfe Deine Gnade weg, wenn ich sie nicht täte. O gib mir, Vater, die warme, starke, freudige Liebe, die Dir gehorcht. Amen.

28. September

Er lässt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
Matthäus 5,45

Die Tatsache, die Jesus hier beschreibt, ist offenkundig und unbestreitbar. Die Natur gibt jedem die Lebensmittel, ob er gerecht oder ungerecht mit ihnen verfahre, ob wir boshaft oder gütig an den Menschen handeln. Wir empfangen nicht sofort und sichtbar auf unserem Acker den Lohn für unsere Bosheit. Auch die von oben kommenden Gaben, ohne die es keine reifende Ernte gibt, Sonne und Regen, werden mir deshalb, weil ich gottlos bin, nicht entzogen. Die Natur, sagen wir, tut das; die Natur fragt nicht nach unserem sittlichen Verhalten. Damit machen wir den Tatbestand, von dem Jesus spricht und den wir alle sehen, für unser eigenes Verhalten unwirksam. Nein, sagt Jesus, nicht die Natur ernährt dich. Gott gibt dir Licht, Wärme und Wasser, ohne die keine Ähre reift. Die Natur tut es, weil Gott es tut. Gönnte er dir dein Brot nicht, weil du boshaft und ungerecht bist, so schiene dir keine Sonne und tränkte deinen Acker kein Regenguss, und jetzt bekommt der einfache Tatbestand, den wir immer vor Augen haben, für uns die größte und furchtbarste Wichtigkeit. Was zeigt uns hier Gott? Gebende Güte, die sich nicht ändert, wenn ihr der Dank versagt wird, Unermüdlichkeit der Liebe auch gegen den, der boshaft und ungerecht ist. Wie fremd ist uns das, so fremd, dass der Tatbestand, an dem uns Jesus die Weise Gottes zeigt, uns oft zum Anstoß wird. Sind es nur die alttestamentlichen Frommen gewesen, die verblüfft, ja geärgert sahen, dass es auch Gottlosen wohl ging? Kennen wir diesen Anstoß nicht? Jesus hat das als die Vollkommenheit des Vaters gepriesen, dass er aus der Natur die reiche Vorratskammer machte, aus der ich holen kann, was ich brauche, auch dann noch, wenn ich aus mir einen gottlosen und boshaften Menschen gemacht habe. Die Weise des Vaters wiederholt sich im Verhalten seiner Kinder. Ihr habt, sagt Jesus, in Gott eine Güte vor Augen, die vor der Bosheit nicht verschwindet und der Feindschaft gegenüber die gebende bleibt. Nun wisst ihr, woran man Gottes Kinder erkennt und wie ihr solche werdet. Eure Liebe wartet immer auf die Liebe der anderen und geht unter, wenn euch die anderen sie versagen. So dient eure Liebe euch selbst und bleibt von eurer Eigensucht beherrscht. Gottes Liebe rechnet nicht auf Gegenleistung; sie ist frei und ganz.

Du siehst, Herr Christus, alles mit neuen Augen an, auch das, was wir beständig sehen. Denn Du siehst alles mit den Augen der Liebe an, der völligen und reinen. Darum bist Du für uns das Licht des Lebens. Führe mich dadurch ins Leben, dass Du mich zum Lieben bringst. Amen.

29. September

Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.
Matthäus 6,24

Besitz haben und Gott haben, das stimmt fein zusammen. Denn der Besitz ist uns von Gott gegeben und wird uns als sein Segen zuteil. Weil er uns nötig ist, dienen wir der göttlichen Ordnung, wenn wir ihn erwerben und verwalten. Gott haben bedeutet aber, ihm dienen. Ich kann ihn nur dadurch für mich haben, dass ich mit allem, was ich bin und tue, sein eigen bin und seinen Willen tue. Dieser Dienst ergreift mich aber ganz. Somit ist es unmöglich, dass ich dem Besitz diene, an ihn gebunden sei und mich ihm zum Knecht mache, wenn ich Gott habe und darum auch Gott diene. Es ist also meine Christenpflicht, zu prüfen, wann aus meinem Erwerben, das mir mein Besitz verschafft, der Dienst des Besitzes wird. Ernsthaft und erfolgreich kann ich nur dann arbeiten, wenn ich mein Herz in meine Arbeit lege. Ich muss mit gesammeltem Nachdenken und entschlossenem Willen meine Arbeit tun. Das ist aber das, was sie gefährlich macht. Deshalb, weil ich nicht mit halbem Herzen arbeiten und erwerben darf, dreht sich leicht das Verhältnis um, so dass aus dem Besitz der Besitzer, aus dem Mittel der Zweck, aus dem Herrn der Knecht wird. Ich spüre, dass das Verhältnis sich umgedreht hat, wenn ich nicht mehr entbehren kann, unfähig zum Geben bin, wenn ich im Ertrag meiner Arbeit deshalb, weil sie meinen Besitz mehrt, meine Ehre und Größe suchte. Damit bin ich aber dem Dienst Gottes entflohen und habe aus allem, was ich meine Religion oder mein Christentum heiße, Schein und Einbildung gemacht. Wachsamkeit ist hier von mir gefordert, unablässige, stets gewaffnete. Der Kampf ist heiß, und je verwickelter unsere Wirtschaft wird, desto künstlicher die Wege sind, auf denen wir die Lebensmittel suchen müssen, um so härter, an Wunden und Niederlagen reicher wird der Kampf. Uns allen ist aber auch die uns schützende Hilfe gezeigt. Du kannst, sagt mir Jesus, Gott dienen und damit endet deine Verknechtung an deinen Besitz. Dass du ihm dienen kannst, ist sein gnädiges Geschenk, seine herrliche Gnadentat. Nahe dich zu Gott, so naht er sich dir. Nun habe ich den Standort, der mich über alle Fragen und Sorgen der Wirtschaft erhebt, kann erwerben, ohne zu verderben, kann besitzen, ohne an meinem Besitz zu sterben. Denn jetzt kann ich nicht nur erwerben, sondern auch gebrauchen, nicht nur gewinnen, sondern auch geben, und bereite mir mit der Mehrung meines Besitzes die verstärkte Pflicht und das erhöhte Vermögen zu meinem Gottesdienst.

Nur um eines kann ich bitten, nicht um Reichtum und nicht um Armut, sondern darum: Mache Deine Gnade mir so groß und in mir so wirksam, dass ich Dein eigen bin und Dir diene in allem, was ich tue. Ich bedarf in allem Deines Vergebens, denn was natürlich ist, zieht mich an sich mit Allgewalt; aber Dein Vergeben ist stark und überwindet das Böse und führt uns in die Freiheit ein. Amen.

30. September

Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.
Römer 8,38+39

Liebe eint. Wie stark ist das Band, das sie zwischen Gott und mir knüpft? Paulus sagt mir: von Gottes Liebe wird dich nichts scheiden. Wer wird Gottes Willen brechen, wer das Band zerreißen, das er wob, und die Gemeinschaft zersprengen, die er stiftete? Menschlicher Wille ist wankelmütig und launisch, greift jetzt nach dem Nächsten und lässt ihn bald wieder fahren. Menschlicher Wille kann entwurzelt werden, wenn sich ein starker Gegenstoß ihm widersetzt. Der göttliche Wille wechselt aber sein Ziel nicht und weicht vor keinem gegen ihn gerichteten Druck. Gilt es nicht aber auch von meiner Liebe zu Gott, dass sie beweglich sei? Darf ich von ihr sagen, dass sie mich mit einem unüberwindlichen Griff an Gott binde? Meine Gemeinschaft mit Gott beruht aber nicht auf meiner Liebe zu ihm, sondern auf der, die er mir gewährt. Nicht das ist die Frage, ob meine Liebe stärker sei als alle Widerstände, sondern ob seine Liebe bezwungen werden kann. Kann nicht meine Schuld mich aus Gottes Liebe reißen? Gerade dadurch ist mir ja seine Liebe zuteil geworden, dass ich gerechtfertigt bin. Ich könnte nicht von Gottes Liebe zu mir reden, wenn ich nicht den kennte, der für uns gestorben und auferstanden ist und uns in Gott regiert. Durch ihn kam die Liebe Gottes zu mir, Wie steht es aber mit dem Tod? Reißt er nicht jede Liebe entzwei? Wie sollte er aber Gottes Liebe vereiteln, da er ja nach Gottes Willen zu mir kommt? Sein Wort macht lebendig und Sein Wort ordnet mir den Tod. Ebensowenig als der Tod trennt mich sein Leben von Gottes Liebe, als macht es mich in mir selber reich und satt und Gottes nicht mehr bedürftig. Gabe ist es, von Ihm empfangen und die Gabe kann mich nicht von der Liebe scheiden, die sie mir gibt. Das Gegenwärtige und das Zukünftige sind voneinander geschieden durch einen gründlichen, völligen Gegensatz. Was jetzt besteht, wird nicht auch künftig sein und die ewige Welt gleicht nicht der zeitlichen. Aber das Gegenwärtige und das Zukünftige ist alles unter Gottes Herrschaft gestellt und ich lebe hier und dort in seinem Reich. Unerforschte Höhen und Tiefen gibt es in Gottes Schöpfung, Mächte, die wir nicht sehen, auch wenn wir ihren Einfluss spüren. Zwischen mich und Gott treten sie aber nicht; sie sind ja Kreatur und keine Kreatur widersteht seinem Willen und keine Kreatur zerreißt, was Gott in seiner Liebe eint, und trennt den von Gott, dem er seine Liebe gegeben hat.

Erster und Letzter, Anfänger und Vollender bist Du, Herr, Gott; darum nennen wir Dich den Ewigen. An Deiner Macht und Stärke hat alles teil, was Du uns gibst. Sie ist das Merkmal Deiner Liebe. Sie legt uns die süße Pflicht, Dir zu glauben, Dir zu danken, Dir zu dienen jetzt und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

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