Schlatter, Adolf - Der erste Brief des Johannes. - Kap. 1, 5-10. Wahrhaftigkeit gegen Gott.

Schlatter, Adolf - Der erste Brief des Johannes. - Kap. 1, 5-10. Wahrhaftigkeit gegen Gott.

Johannes fasst, was er der Gemeinde zu sagen hat, in einen einzigen kurzen Spruch: Gott ist Licht und Finsternis ist in ihm gar keine, V. 5. Das hat er von ihm gehört, weshalb er's auch uns verkündigt. Wo hat Johannes gehört was Gott ist? Die Gemeinde wusste, wessen Stimme er vernommen hat, und wessen Wort er mit seiner Predigt wiederholt.

Er hat bei Jesus gehört und gelernt, was Gott ist. Bei allem, was Jesus sagte und tat, sowohl in den Taten seiner Macht, als auf dem Kreuzesweg, war dies sein Ziel, dass er uns den Namen des Vaters verkläre und uns für Gottes Herrlichkeit das Auge gebe. Dazu hat er auch die Apostel bestellt. Es waren ihnen nicht vielerlei Geschäfte übertragen, sondern nur ein einziges: Zeugen Gottes zu sein.

Und zwar war es Jesu und seiner Apostel Amt, zu bezeugen, dass es in Gott nichts dunkles gibt. Das ist eine einfache Wahrheit, die uns nicht zu entlegen und wunderbar ist, weil sich eine Ahnung von der Herrlichkeit Gottes schon von Natur im menschlichen Geiste regt. Denken wir an Gott, so wird es uns alsbald klar, dass unsre Schwachheit, Torheit und Bosheit unser ist und nicht sein, und auf uns liegt und nicht auf ihm, dass sein Auge hell ist ohne den Schatten des Irrtums, der Torheit und Unwissenheit, vielmehr in lautrer Weisheit steht, und sein Herz hell ist ohne die Finsternis des Eigennutzes und der Bosheit, voll lautrer Güte und Gnade, darum auch frei von Druck und Qual in lautrer Seligkeit. Aber unser Herz hält das nicht fest; wir wissen das wohl, aber wir glauben es nicht. Wir murren über ihn, haben Argwohn und Verdacht, Gleichgültigkeit und Geringschätzung gegen ihn im Herzen und kehren uns ungläubig von ihm ab; ja wir verbinden seinen Namen dreist mit bösen Dingen, geben unsre blinden Gedanken und verkehrten Triebe für göttlich aus und stellen uns, als diente unsre Bosheit ihm zum Wohlgefallen. Und doch ist er Licht ohne Finsternis! Darum war es Jesu Amt und Dienst und der Apostel Beruf und Geschäft, uns das zu verkündigen und zu bezeugen, was wir unter den finstern Gedanken unsres Herzens immer wieder verleugnen und vergessen, dass die Finsternis nur in uns ist und nicht in Gott.

Weil Johannes die Einfalt der Predigt Jesu nicht verachtet, sondern verstanden hat, beschreibt er uns Gott durch das, was uns vor Augen liegt. Er zeigt auf die Gabe hin, welche uns die Sonne jeden Morgen bringt. Kommt das Licht, so wird das Auge uns brauchbar, dass wir sehen können und zugleich auch sichtbar werden und den Augen der andern fasslich sind, und der Verkehr mit einander und mit der Natur wird uns möglich in freier Bewegung und freudiger Regsamkeit. Seht, sagt er, hier habt ihr Gottes Zeichen. An der Art und dem Werk der Sonne versteht ihr Gottes Art und Werk.

Gott ist Licht; das sagt uns nicht bloß, wie er für sich selber ist, sondern zugleich, wie er sich zu uns stellt und was er uns tut. Das Licht strahlt in die Welt hinaus und sein Geschäft ist, zu scheinen. Es ist nicht bloß selber hell, sondern macht alles hell; denn es geht in unser Auge ein und setzt uns selbst in die Helligkeit. Gott gleicht dem Licht um seiner herrlichen Gnade und vollkommenen Güte willen. Wie ein heller Strahl kommt seine Wirkung und Gabe zu uns hin und pflanzt die Wahrheit in unsre Erkenntnis und die Gerechtigkeit in unsern Willen und macht uns dadurch hell.

Ohne Gott ist's völlig begreiflich und in der Ordnung, dass wir in der Finsternis wandeln, V. 6. Im Finstern wandelt, wer nicht durch die Wahrheit geleitet ist, sondern durch Torheit, Einbildungen und allerlei Wahn, wer nicht weiß, was er soll, und welchen Weg er einzuschlagen hat, noch sieht, wohin ihn derselbe führt, wer nicht dahin gelangt, wohin er soll, und dahin gelangt, wohin er nicht soll und schließlich auch dahin, wohin er selbst nicht will. Das heißt, im Finstern herumlaufen. Aber nicht nur der Blinde, sondern auch der Böse geht im Dunkeln umher, nicht weil ihm das eigne Auge fehlt, aber weil er das Auge des andern scheut. Jede sündliche Begehrung nimmt uns die Offenheit und macht uns Verstellung und Lüge wünschenswert. Der Verlust der Wahrhaftigkeit und der Verlust der Wahrheit, Bosheit und Verblendung, begleiten einander, und beide setzen uns in die Finsternis. Und damit stockt das ganze Leben. Die Finsternis wird uns zur Kette und zur Last, und versenkt uns in die Unseligkeit.

So werden wir ohne die Gemeinschaft mit Gott, wenn wir uns selber überlassen sind und Gottes Gaben von uns gewichen und uns verschlossen sind. Aber das von spricht Johannes nicht. Denn dass wir in der Gottlosigkeit uns finster machen, das hat die Gemeinde begriffen und es muss ihr nicht mehr eingeschärft werden. Am Licht haben wir nur Anteil dadurch, dass wir an Gott Anteil haben; denn Gott ist das Licht.

Davon spricht Johannes, dass wir sagen, wir haben mit ihm Gemeinschaft und dennoch unser Leben im Finstern führen. Johannes kämpft gegen denselben Feind, den Jakobus durch sein Strafwort gegen den nichtsnutzigen Glauben treffen will. Er redet gegen die Christenheit, die sich im Finstern bewegt, gegen den Gläubigen, der sich des Evangeliums rühmt und sich in Gottes Gnade einschließt und es köstlich findet, dass Gott sich als Vater und Freund zu ihm hält und ihm seine vollkommenen Gaben schenkt; nun aber, wenn er wandelt, wenn er sich bewegt und tätig wird und ans Werk geht, nun geschieht es im finstern; nun steht er Gottes Weg nicht und weiß nicht, was er soll und will, und verbirgt sich in sein Versteck, weil sich das, was er in seinem Herzen trägt, nicht zeigen darf. Von dem sagt Johannes nicht nur, dass sein Ruhm nichtig ist, und die göttliche Gnade, von der er spricht, ihm nicht gegeben wird, und der Anteil an Gott, den er sich beilegt, ihm niemals zufallen wird. Er lügt, sagt Johannes; das heißt: es ist eine Bosheit, dass du das sagst; du versündigst dich durch solches Reden an der Wahrheit, die dir gegeben ist, und trägst, wenn du's tust, das verdammende Urteil in dir, das deinen Ruhm widerlegt.

Es ist ja eine Art Glaube, wenn ich sage: ich habe Gemeinschaft mit Gott. Das ist die Sprache, die uns das Evangelium lehrt, und das Wort, welches uns Jesus sagen heißt; aber so ist's nicht mehr rein, richtig und Gott wohlgefällig, sondern ein böses und verdammliches Wort. Wenn meine Gemeinschaft mit Gott nicht meinen Weg und Wandel mit umfasst, habe ich aus meinem Glauben eine Lüge und Versündigung gemacht.

Denn Gott ist Licht, und gibt mir die Helligkeit, die ich bedarf, um nicht im Finstern zu wandeln. Ich dagegen bleibe in meinem Denken und Wollen finster und stelle mich doch neben Gott und sage, dass ich in der Gemeinschaft mit Gott so finster und dunkel bin, als wäre es nicht das Werk des Lichts, die Finsternis auszutreiben, als würde das Licht Dunkelheit hervorbringen. Trotz meiner gläubigen Worte leugne ich also, was uns Jesus und die Apostel verkündigt haben. Sie haben uns gesagt, dass in Gott keine Finsternis sei; ich aber will einen Gott haben, der mich samt meiner Finsternis erträgt. Das ist die Lüge in meinem falschen Glauben, und mein Widerspruch gegen Jesu Wort und mein Protest gegen Gottes Art.

Wir lügen und tun die Wahrheit nicht. Wir kennen sie, aber wir tun sie nicht. Wer sagt, er habe Gemeinschaft mit Gott, dem ist Gott nach seiner Gnade und Herrlichkeit nicht unbekannt. Er steht nach der Anleitung des Evangeliums zu ihm empor und freut sich, dass er uns zu sich beruft. Aber er handelt mit der Wahrheit, die ihm gegeben ist, nicht richtig: er kennt sie bloß und tut sie nicht, sondern läuft von ihr weg und fährt im Finstern herum.

Die Wahrheit tun! Damit ist uns aufs einfachste der entscheidende Punkt gezeigt. Uns freut es die Wahrheit zu wissen und zu haben. Gott hat sie uns aber dazu gegeben, damit wir nicht bloß an sie denken und von ihr sprechen, sondern dass wir sie tun, damit wir's so machen, wie die Wahrheit es uns zeigt. Sie ist nicht bloß für unsre Gedanken eine Regel, sondern nicht weniger für unsern Willen und unser Werk. Dann erst haben wir sie lieb und sind ihr untertan. Johannes hat dieses einfache und doch so tiefe Wort bei Jesus gelernt. Denn Jesus hat denen, die zu ihm kamen, geraten, die Wahrheit zu tun; dadurch würden sie den Weg zum Glauben finden, der sich seiner als des Lichts von oben freut, Eb. 3,21.

Wie Jakobus, so richtet auch Johannes die ganze Kraft seines Worts darauf, dass die Gemeinde sich nicht bloß inwendig in ihren Gedanken und Worten mit Gott beschäftige und an ihm freue, sondern dass sie in der Gemeinschaft mit Gott ihren Lauf und Weg vollführe, und nach dem handle, was Gott ihr gab. Auch Johannes dringt auf den ganzen unverkürzten Christenstand.

Jakobus redet zu Israel, Johannes mit einer christlichen Gemeinde, seinen Kindlein, die im vollen Besitz des Evangeliums sind. Das bringt den Unterschied zwischen beiden Briefen hervor. Es stand aber auch in der Christenheit wieder ähnlich wie in Israel, weshalb die beiden Briefe in ihrer Art und Absicht einander ähnlich sind. Wie die Judenschaft schon längst Gottes Gesetz besaß, so hatte die Christenheit nun schon manches Jahr das apostolische Wort gehört. Israel brauchte aber das Gesetz nicht richtig, sondern wurde deswegen stolz, weil es Gott kannte, freute sich sein Wort zu hören und tat es doch nicht, rühmte sich Gottes und mochte ihm doch nicht gehorchen und sich vor ihm nicht demütigen. Darüber redet Jakobus mit ihm. Auch der Christenheit war das apostolische Wort mit seiner reichen Erkenntnis und seinem kräftigen Trost gegeben, und es kam nun darauf an, wozu sie dasselbe benützte und was für eine Frucht sie aus ihm zog, ob sie sich daran ergötzte, dass sie Gott kenne und sich seiner gläubig freuen durfte, im übrigen aber ihre eigenen Wege ging und sich nicht aus der Finsternis herausziehen ließ. Nicht alle fanden den richtigen Weg. Es gab Männer, die nach Erkenntnis Gottes sehr begierig waren, und an dieselbe einen großen Eifer setzten, und doch daraus nichts gewannen, als einen neuen seltsamen Gedankengang. Darum redet Johannes mit der Christenheit ähnlich wie Jakobus mit der Judenschaft, und zeigt ihr, zu welchem Ziel und Ende Gott ihr sein Wort gegeben hat, wie aus dem Christenstand eine leere, böse Lüge, und wie er umgekehrt echt, kräftig und heilsam wird. Auf irgend einem Weg muss jeder wandeln. Das Leben bringt das mit sich. Denn es ist Bewegung, ein Gang und Lauf zu einem Ziele hin. Es liegen aber zwei Wege vor uns. Neben den Fall, an dem wir uns verderben, stellt Johannes den geraden und richtigen Weg, den uns Gott bereitet hat: wenn wir im Licht wandeln, wie er im Lichte ist, V. 7. Gottes Gnade ist ernst gemeint, führt uns durch seinen Geist, bewegt uns durch sein Wort, zeigt uns seinen Willen, dass wir nicht blind und töricht uns verirren müssen, und legt uns seine Liebe ins Herz, dass wir für ihn leben. Nur dadurch, dass wir die Wahrheit nicht tun mögen, sondern uns ihrer Leitung krumm und träg entziehn, kommen wir auf unsre dunkeln Wege. Gott dagegen tut durch sein Evangelium täglich an uns, was die Sonne an der Erde tut. Darum können wir ihm untergeben sein und uns da bewegen, wo er uns hingesetzt hat, im Licht.

Dann haben wir Gemeinschaft untereinander. Johannes zeigt auf die Gemeinde hin; denn sie ist das Werk, zu dem Gott Jesus in die Welt gesandt hat. Er ist gekommen uns eins zu machen und zu verbinden in ihm. Das macht er dadurch, dass er das Licht in uns zur Herrschaft bringt. So lange jeder von uns im finstern läuft, von seiner eignen bösen Gier getrieben, finden wir einander nie zu aufrichtiger Gemeinschaft und Verbundenheit. Im Dunkeln sucht jeder nur sich selbst und dient nur sich selbst, und verbirgt sich vor dem andern und stößt sich an ihm und wird ihm zum Feind und Widersacher. Wenn aber Gottes helles Licht uns leitet, bringt seine einträchtige Wahrheit und sein einiger Wille und seine uns alle umfassende Gnade uns zusammen und wir werden von Herzen eins.

Und wir werden von unsern Sünden befreit. Stellt uns Gott ins Licht, so kommt die Frage, was aus unsrer Sünde werden soll. Sie wird durch dasselbe offenbar. Gott macht unser Auge für dieselbe klar, dass wir sie nach ihrer Schuld, Verdammlichkeit und Verderblichkeit sehn. Vor dieser beugenden Macht der göttlichen Wahrheit fürchtet sich die natürliche Regung unsres Herzens. Unsrer Sünden wegen haben wir die Neigung fürs Dunkle und weichen sowohl Gott als einander aus und suchen in der Blindheit unsre Zuflucht. Aber nicht das ist der Weg, wie wir von unsern Sünden loskommen. Stellen wir uns in die Finsternis: hier verschwinden sie nicht, hier werden sie umgekehrt mächtig und offenbar. Stellen wir uns ins Licht: da verschwinden sie. Eben jetzt, wo sie offenbar werden, jetzt vergehn und verschwinden sie für immer und ganz. Denn das Blut Jesu Christi seines Sohnes macht uns von jeder Sünde rein.

Dazu ist Jesus gestorben, damit wir in Gottes Vergebung stehn. Das von ihm vergossene Blut hat Gott zum Grund einer Gnade gemacht, die unsre ganze Sündigkeit begräbt und tilgt. An der durch Jesu Blut erworbenen Vergebung haben wir dadurch Teil, dass wir uns aufrichtig in Gottes Licht stellen und uns durch dasselbe bewegen und führen lassen, so dass unser Wandel in seinem Licht geschieht.

Von jeder Sünde werden wir rein. Gottes Verzeihen ist etwas vollkommenes und ganzes. Er entlastet uns nicht nur von dieser oder jener Sünde, sondern von jeder, weil uns nur dann geholfen ist, wenn uns ganz verziehen ist.

So werden wir wirklich von unsrer Schuld frei. Jesus gibt uns die Entlastung und Vergebung als die Frucht seines Tods. Dagegen ist es ein falscher Weg, der Sünde zu entrinnen, wenn wir sie leugnen, uns selbst entschuldigen und sagen: dass wir nicht Sünde haben, V. 8. So verschließen wir uns dem Lichte Gottes und fliehen in die Finsternis. Während die Beugung unter seine Wahrheit uns erhöht, führt uns die eigne Erhöhung zum Fall. So verführen wir uns und die Wahrheit ist nicht in uns.

Das ist das herrliche Geschenk, das wir durch das göttliche Wort empfangen, dass die Wahrheit in uns ist. In einem hoffärtigen Sinn, der sich nicht zur Reue bringen lässt, und unempfindlich für das Böse ist, so dass wir's ableugnen können und es uns scheint, als ständen wir in heller, glänzender Reinheit da, ist die Wahrheit nicht heimisch geworden. So sind wir im Kern unsrer Person von derselben leer.

Da wir im Blick auf Jesu Kreuz sagen dürfen: dein Blut macht mich von jeder Sünde rein, so dürfen auch wir sagen, dass wir keine Sünde haben. Allein vor Jesu Kreuz sprechen wir: unsere Sünden, die wir getan haben, die als Schuld auf uns liegen und von denen wir uns nicht lösen können, hast du uns genommen durch dein Verzeihn. Wir heißen uns mit gläubigem und dankbarem Sinn rein, um deswillen, weil Jesus uns rein macht. Der Lügner dagegen redet sich ein, er finde bei sich selbst keine Schuld, die doch an ihm haftet, weil sie aus seinem eignen Wesen und seiner eignen Tat entstanden ist.

Das Gegenteil hierzu ist, dass wir unsre Sünden gestehn, V. 9. So hat uns auch Jakobus, 5,16, gemahnt, dass wir aufrichtig und wahrhaftig vor Gott und den Menschen werden, weil uns dadurch die göttliche Vergebung kommt. Dieselbe Verheißung erhalten wir hier: er ist treu und gerecht, um uns die Sünden zu vergeben und uns von jeder Ungerechtigkeit zu reinigen. Wir sehn die gründliche und gänzliche Verschiedenheit, die zwischen uns und Gott besteht. Er ist treu, hält sein Wort, bleibt bei seinem heiligen Willen, und schwankt nicht hin und her, sondern bleibt sich in seiner Güte gleich; wir greifen fehl, gehen irre, lassen schlechte Triebe walten und sündigen. Er ist gerecht und wirkt in allem, was er tut, stets eine vollkommene Gerechtigkeit. Wir tun Unrecht, schädigen und verderben einander, brechen die Ordnung, der unser Leben untergeben ist, und bleiben nicht in dem Maß und Ort, der uns gebührt.

Wird uns solcher Unterschied von Gott scheiden? Kann der Abtrünnige vor den Treuen treten, der Unrecht tuende vor den Gerechten? Käme es nur auf unser Herz an, so kämen wir zu keinem andern Schluss. Aber Gott ist größer als unser Herz. Er ist dazu treu und gerecht, um uns zu vergeben und uns zu reinigen.

Als der Treue lässt er uns nicht sinken und verderben, sondern hält uns fest und richtet uns auf, dadurch dass er uns verzeiht, so dass uns trotz unsrer Sünde seine Gemeinschaft in Christus gegeben ist. Seine Treue wird gegen uns sündigende zur Barmherzigkeit. Als der Gerechte lässt er sich das Unrecht, das uns schuldig macht, zu Herzen gehn, und hebt es auf und macht es verschwinden, dadurch, dass er, der Gerechte, es verzeiht.

Eben hier, wo Johannes vom göttlichen Vergeben redet, ist's ihm wichtig, dass Gott der Gerechte ist, weil nur der Gerechte verzeihen kann, ohne dass seine Gnade zur Mehrung der Sünde und zur Entkräftung des Gesetzes und zum Lob und Lohn für die Bosheit dient. Der Ungerechte verzeiht leicht, aber nur so, dass die Sünde bleibt, ja stärker und härter wird. Soll uns eine Vergebung bereitet sein, die wirklich aus unserm Leben und Wesen etwas reines macht, welche die Sünde an uns tilgt und ihre Wirkungen zerstört, so kann sie uns nur der Gerechte geben, nur Gott, deshalb, weil er der Gerechte ist, der das Böse hasst und überwindet und das Gute schafft.

Wir erfassen Gottes Gerechtigkeit noch nicht hell genug, wenn sie nur als Grund der Furcht in unsrer Seele liegt, weil ihn seine Gerechtigkeit zum Vergelter macht. Da ist das Maß, in das wir Gott fassen, noch eng und klein. Er ist uns beschattet durch das, was wir selber sind. Was wir sind und tun, geht uns voran, und das, was Gott tut, kommt erst hernach, und vergilt das, was wir taten, das Gute mit Lohn und das Böse mit Strafe, und tut dies mit Gerechtigkeit, wie's unsrer Tat entspricht. So wird uns Gottes Gerechtigkeit freilich zum Grund der Furcht, um des Bösen willen, das in uns ist. Aber Gott ist nicht nur der Vergelter unsrer Taten; er treibt sein eignes Werk und handelt nach seinem eignen Herzen, als der erste, der alles beginnt, und als der Vater, der nach seiner freien Liebe gibt. Auch in seinem göttlichen Werke ist er gerecht, und wirkt nichts andres als was recht ist, und verschließt dem Unrecht die Türe und bringt alles an seinen rechten Ort. Das ist die schaffende, gebende, sich mitteilende Gerechtigkeit Gottes, und wenn wir diese bedenken, dann wird uns Gottes Gerechtigkeit nicht nur zum Grund der Furcht, sondern auch des Glaubens und der Zuversicht.

Sie macht, dass Gott die Bitte des Bußfertigen und das Geständnis des Reuigen hört; sie macht ihn bereit, uns zu erlösen von unsrer Bosheit, weil er an ihrer Macht und ihrer Dauer keine Freude hat; sie macht, dass wir ihn zum Helfer und Beistand haben, sowie wir unsre Sünde hassen und richten; sie macht es ihm zur Lust, dass wir durch sein Vergeben rein und gerecht nun vor ihm stehn.

Weil wir beim Gerechten die Vergebung zu suchen haben, darum finden wir sie nur durch das reuige und aufrichtige Geständnis. Denn dadurch, dass wir unsre Sünden verwerfen, geben wir Gott Recht und unterwerfen uns seiner Gerechtigkeit, und diese macht uns nun kraft der vollkommenen Gnade, die sie bei sich hat, von allem Unrecht frei.

Wer sich selbst rein lügen will, der macht Gott zum Lügner, V. 10. Gott heißt das, was wir taten, bös; wir finden es recht und rein und gut. So muss er Unrecht haben, damit wir Recht behalten. Gott lässt Jesus sein Blut vergießen zur Tilgung unsrer Sünden; wir finden uns nicht sündig, brauchen keinen, der an unsre Stelle tritt und uns versöhnt, und weisen die Mahnung zur Buße ab. So tun wir, als lüge Gott. Wir können uns nicht selbst entschuldigen, ohne dass wir Gott beschuldigen, und uns nicht selbst gerecht dünken, ohne dass wir Gott verklagen. Das ist die Sünde in aller Selbstrechtfertigung und darum hilft sie uns nicht.

Gott zum Lügner machen ist das Gegenteil des Glaubens. Der Glaube behandelt Gott als wahrhaftig und nimmt sein Wort als Wahrheit auf, sowohl wenn es unsre Sünde verdammlich heißt, als wenn es uns Gottes Vergebung bezeugt. Darum sind die Gerechtigkeit des Glaubens und die Gerechtigkeit des Stolzes gänzlich von einander verschieden. Bei der Gerechtigkeit, die der Glaube besitzt, erhält der Mensch Unrecht und Gott Recht; bei der Gerechtigkeit, die der Stolz zu haben meint, erhält der Mensch Recht und Gott Unrecht. Jene streitet gegen unsre Sünde, und ehrt, was Gott in seiner Gerechtigkeit und Gnade tut; diese ehrt den Menschen mitsamt seiner Bosheit, und streitet gegen das, was Gott tut. Darum erhält uns diese in der Sünde und dient uns zum Fall, während jene unsre Sünde aufhebt und uns zur vollkommenen Gerechtigkeit verhilft.

Johannes deutet mit einem feinen Wink auf die zunehmende Verhärtung des Gewissens hin, die durch das Bestreben uns selbst zu entschuldigen, herbeigeführt wird. Oben sagte er: wir sagen, dass wir nicht Sünde haben; hier: wir sagen, wir haben nicht gesündigt. Das Unbequeme am Bösen ist uns zunächst seine fortwirkende Macht, dass es als Schuld auf uns liegen bleibt, so dass wir die Sünde haben. Statt dessen soll das, was wir taten, keine Folgen für uns haben und nicht bleibend und schwer in unserm Gewissen liegen. Aber das treibt uns sofort noch eine Stufe tiefer hinab: wir haben überhaupt nicht gesündigt; was wir taten, war recht und vernünftig und sehr erklärlich, so dass es sich recht wohl verteidigen lässt. Dass Gott anders darüber urteilt, wissen wir; allein Gott muss ein Lügner sein.

Wenn wir Gottes Urteil widersprechen und ihm Unrecht geben, dann ist sein Wort nicht in uns. Die Wahrheit ist nicht in uns, hieß es oben, und hier: sein Wort ist nicht in uns. Das eine erläutert das andre. Sein Wort kann heimisch werden in unserm Sinn und unser Herz füllen und unsre Gedanken durchdringen. Dadurch ist die Wahrheit in uns und hat sich unserm Geiste eingepflanzt. Wer aber die Wahrheit nicht begehrt, der nimmt auch Gottes Wort nicht in sich auf.

Johannes richtet unser Auge fest auf die heilige Höhe und Herrlichkeit der Gabe Jesu hin. Er fing ja mit dem offenbar gewordenen Leben an und mit der Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohne; und er wird uns zeigen, welch ein Reichtum von Gaben und Kräften uns hierdurch zu teil geworden ist, wie umfassend und wirksam Gott unser ganzes Leben bildet und führt. Er sorgt aber dafür, dass daraus nicht eine Hoffart wird, die alles verdirbt. Nun ist uns kein eitler Blick mehr möglich, der mit Wohlgefallen unsre eigne Persönlichkeit umfasst. Denn die Pforte zu dieser Höhe ist das aufrichtige Geständnis unsrer Sündlichkeit und die demütige Aufnahme des göttlichen Worts, das die Verwerflichkeit unsrer Sünde bestimmt und deutlich bezeugt. Damit ist aller Eitelkeit und allem Selbstruhm für immer die Wurzel abgeschnitten. Es geht auch hier nach der Regel, die uns Jakobus gab: demütigt euch vor Gott; das bringt empor. Und diese Regel zeigt uns nicht bloß unsern eigenen Weg, sondern gibt uns zugleich das klare Urteil über alles, was sich um uns her fromm und göttlich heißt. Wo die Sünde verdeckt und geleugnet wird, da ist nicht Gottes Wort und Licht.

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