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Schlatter, Adolf - Philipperbrief

Schlatter, Adolf - Philipperbrief

Kap. 1

Ich bin desselben in guter Zuversicht, daß, der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird es auch vollführen bis an den Tag Jesu Christi.
Phil. 1,6.

Ein Anfang war geschehen, als Paulus in Philippi war und Gott der Lydia das Herz auftat, daß die Botschaft Jesu sie erfaßte, und als der Kerkermeister mit raschem Entschluß von Paulus die Taufe begehrte und empfing und als sich die anderen, die die Gemeinde bildeten, im Glauben miteinander verbanden. Paulus nennt das einen guten Anfang; denn hier war Gott der Wirkende und das, was geschah, waren die Wunderwerke seiner Gnade. Aber mehr als ein Anfang war das, was die Gemeinde besaß, noch nicht und jeder Anfang zwingt uns, nach dem Fortgang zu fragen udn auf die Vollendung zu sehen. Mehr als ein Anfang ist auch mein Leben nicht und ebenso wenig das der Christenheit. Wir können nicht das bleiben, was wir sind, nicht satt und beruhigt bloß rückwärts sehen und nur bewahren wollen, was vorhanden ist. Wir haben überreichen Grund zum Dank, daß dieser Anfang ein gutes Werk ist, ein von Gott gewirktes Werk, durch Gottes Wort geschaffen und mit Gottes Gnade gefüllt. Aber Gott steht nicht bei dem still, was unsere Gegenwart uns zeigt. Soll ich nun mit Bangen auf die Vollendung sehen? angstvoll klagen: „nur“ ein Anfang? Höre auf Paulus. Wenn er zu uns spricht, lernen wir glauben. Der, sagt er, der das gute Werk begonnen hat, wird es auch vollenden. Diese seine freudige Zuversicht ist Glaube. Denn er stützt sie nicht auf das, was der Mensch leistet, sondern gründet sie auf Gott. Weil er der Anfänger ist, bleibet der Vollender nicht aus. Denn Gott ist beides, Anfänger und Vollender. Das ist er nicht wegen unserer Treue, sondern wegen seiner Treue, nicht wegen unserer sieghaften Tapferkeit, sondern wegen der Festigkeit seiner Gnade. Nicht nur im Blick auf unser eigenes Leben, sondern auch für unsere Arbeit ist das eine herrliche, antreibende und stärkende Erkenntnis, daß alles, was begonnen wird, zur Vollendung kommt, nämlich alles, was Gott durch uns beginnt. Was meine Hände schaffen, zerfällt. Nicht meine Erzeugnisse haben Platz in Gottes ewiger Welt. Wir mssen vielmehr jederzeit bereit sein, mit dem, was wir begannen, aufzuhören und wieder abzubrechen, was wir bauten. Das aber, was Gott gemacht hat, bleibt nicht in Unfertigkeit stecken und ergibt nicht Ruinen. Er vollendet, was er begonnen hat.
Du, Herr, bist Erster und Letzter, Anfänger und Vollender, A und O. Als den treuen bete ich dich an, der du derselbe bist gestern und heute und in Ewigkeit. Amen.

Darum bete ich, dass eure Liebe je mehr und mehr reich werde in allerlei Erkenntnis und Erfahrung.
Philipper 1,9

Gott sei Dank, es gibt etwas, was immer reicher werden kann, was nie sein letztes Ziel erreicht und niemals fertig sein wird. Das ist die Liebe. Paulus hat um sie gebetet, nicht nur für sich selbst, sondern auch für seine Gemeinde. Er bittet um sie; denn die Liebe ist nicht ein Erzeugnis und Merkmal der Natur. Gott ist sie und Gott gibt sie und darum muss sie erbeten sein. Nun haben wir einen Gebetsstoff, der uns nie ausgehen kann. Wie klein und arm ist unsere Liebe, die meine, aber auch die unserer ganzen Christenheit! Sie ist umwölkt durch die dichten Nebel unserer Eitelkeit und gefesselt durch die harten Stricke unserer Eigensucht. Wie mehrt sie uns Gott? Durch Erkenntnis und Wahrnehmung. Unsere Blindheit ist ein mächtiger Feind unserer Liebe. Die erste Bedingung für sie ist, da wir sehen lernen. Denn die Liebe wendet uns den anderen zu und macht, dass wir sie suchen. Wir finden sie aber nicht mit geschlossenen Augen, träumender Seele und fabelnden Gedanken. Das ist der tiefe Ernst in unserer Bemühung, unsere Gedanken hell zu machen, damit sich unserer Bemühung, unsere Gedanken hell zu machen, damit sich uns die Welt in ihrer wahren Gestalt zeige. Nur so entsteht die Liebe, freilich nicht dann, wenn einzig die Welt uns sichtbar ist, wohl aber dann, wenn unser Blick auf den gebenden Gott gerichtet ist. Dann sehen wir die Not und die Hilfe, den Hunger und die Speise, das Bedürfnis und die Gabe, und nun geht die Liebe an ihr Werk.
Ich gehorche Deinem Wort und bitte um das, worum es mich bitten heißt. Bitte ich um die Liebe, so weiß ich, dass ich es nach Deinem Willen tue. Töte die kranke Eigensucht in mir. Es wird mir wehtun, aber ich will es leiden. Deine Gabe, die Liebe, ist für alles der köstliche Ersatz; sie verschafft mir das Leben und sie verherrlicht Dich. Amen.

Kap. 2

Ist bei euch Ermahnung in Christus, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit, so erfüllet meine Freude, dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einhellig seid.
Philipper 2,1+2

Je reicher Gottes Gabe ist, desto stärker spannt sie unseren Willen, desto tiefer dringt der Anspruch, den sie an uns stellt. Das Größte, was wir für diese Zeit empfangen haben, ist unsere Kirche, die Gemeinschaft derer, die im Gehorsam gegen Jesus Gottes Willen tun. Was uns Menschen eint, nicht durch Zwang und Pflicht, auch nicht nur durch den Trieb der Natur, sondern von innen her, nicht nur an der Oberfläche durch den hübschen Schein der Höflichkeit, auch nicht nur teilweise durch das für den Frieden sorgende Gesetz, sondern in Wahrheit, so dass wir mit einem Willen auf dem einen Weg zum selben Ziel wandern, das ist Gottes schönste Gabe. Sie verlangt aber von uns auch die größte Anstrengung und die tapferste Selbstüberwindung. Paulus meinte nicht, dass für seine Gemeinden die Eintracht von selbst gesichert sei. Denn er hielt eine Gemeinschaft nur dann für christlich, wenn sie jedes ihrer Glieder in die Freiheit führte, zur Freiheit des eigenen Glaubens, der eigenen Liebe und der eigenen Dienstleistung. Daher konnte er für die Einheit der Gemeinde nur dadurch sorgen, dass er jedes ihrer Glieder mahnte und sich dabei auf alles stützte, was sie als Wirkung des Geistes und Geschenk der Gnade in ihren Herzen trugen. Sie müssten ihr Ohr dem verschließen, wozu Christus sie mahnt, müssten sich gegen den Zuspruch der Liebe verhärten, müssten ihr warmes Fühlen ersticken und darauf verzichten, Paulus Freude zu machen, wenn sie in ihrer Gemeinde die Eintracht zerbrächen, ihr Bekenntnis zwiespältig machten und nach verschiedenen, einander widersprechenden Zielen trachteten. Weil sie aber ihren Christenstand nicht preisgeben können, darum halten sie mit aller Kraft an der Einheit der Gemeinde fest.
Lass, Haupt und Herr deiner Gemeinde, Dein Mahnen an vieler Ohr dringen und entzünde die Glut Deiner Liebe in uns, dass wir den Mut gewinnen, Dir zu gehorchen, der Du uns zusammenführst, und Dein Gebot zu bewahren, das neue, das uns von der Zwietracht und vom Streit erlöst und uns in Dir vereint. Amen.

Ein jeglicher sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war, welcher, ob er wohl in göttlicher Gestalt war, hielt er es nicht für einen Raub Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward gleich wie ein anderer Mensch und an Gebärden als ein Mensch erfunden. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz.
Philipper 2,5–8

Auch den ersten Gemeinden wurde es schwer, beisammen zu bleiben. Ihre Gemeinschaft stand nicht auf einem natürlichen, volkstümlichen Boden und war nicht durch ein Gesetz zusammengebunden. Ihr Grund war einzig Christus und seine gebende Gnade. Die Gemeinschaft verlangt aber von uns die Entsagung. Jeder muss dem anderen Platz gönnen und sich selbst beschränken, jeder zum anderen kommen und sich selbst vergessen. Wenn jeder spricht und keiner hört, jeder regiert und keiner gehorcht, jeder für seine Ehre kämpft und sie nicht auch den anderen gibt, dann ist die Gemeinde zerrissen. Dennoch, obwohl die Gemeinschaft, die uns Jesus bereitet, den natürlichen Willen des Menschen gegen sich hat, ist sie fest begründet. Denn das, was sie gefährdet, vergeht, wenn wir auf Jesus sehen. Er zeigt uns die Entsagung, ohne die es keine Gemeinschaft gibt, in einer Herrlichkeit, mit der das, was innerhalb der Gemeinde geschehen muss, nicht vergleichbar ist. Die Gestalt Gottes und die Gestalt des Knechtes und Menschen sind durch eine gewaltige Entfernung voneinander getrennt. Jesus einigt aber beides in sich. Als der Sohn ist er in Gottes Gestalt, also Herr, der spricht und es geschieht, der gebietet und es wird ihm gehorcht. Er nahm aber die Gestalt des Knechtes an, der keinen eigenen Willen und kein Eigentum hat, dem nichts gehört und der nichts für sich erwirbt, sondern gehorcht und dient. Die Knechtsgestalt trug er, weil er die des Menschen an sich nahm, denn für den Menschen ist es die richtige Lebensform, dass er der Knecht Gottes sei. Aber nicht nur das zeigt Jesus der Gemeinde, wie man sich entäußert und erniedrigt, sondern auch, dass die Erniedrigung zur Erhöhung führt. Weil Jesus die Knechtsgestalt trug und das menschliche Leben bis zum Tod erlitt, hat ihn Gott zum Herrn über alles erhöht. Auch in der Gemeinde wird jeder, der sich um der anderen willen beschränkt, erniedrigt und gehorsam wird, erfahren, dass seine Erniedrigung ihn zur Erhöhung führt. Ist auch das, was er zu leisten hat, nur klein, so hat es doch die Segensmacht des Gott dargebrachten Dienstes bei sich und der Gehorsam, mit dem er auf seinen eigenen Willen verzichtet, wird zum heiligen Opfer, mit dem er in der Nachfolge und Gemeinschaft Jesu bleibt.
Zu Dir trete ich, dem Sohn, der Knecht war, dem Herrn, der gehorchte, dem Fürsten des Lebens, der getötet ward, damit ich in Deinem Licht erkenne, wie eigensüchtig ich bin, und damit ich Dir nicht widerstrebe, sondern willig diene, wenn Du unter uns Deine Gemeinde baust. Amen.

Schaffet, dass ihr selig werdet mit Furcht und Zittern; denn Gott ist es, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen nach Seinem Wohlgefallen.
Philipper 2,12+13

Beides muss ich haben, sowohl das Wollen als auch das Vollbringen, und beides kann ich mir selbst nicht geben. Beides ist Gottes Werk in mir. Was wäre mein Wollen, wenn es vom Vollbringen geschieden bliebe und sich nicht im Wirken vollendete? Das Gute wollen, aber nicht vollbringen nannte Paulus mit gutem Grund einen geplagten, mühsamen Stand, von dem wir erlöst werden müssen. Aus Gottes Hand empfangen wir nicht gute Gesinnung, die nichts hervorbringt, weil sie bloß Gesinnung sein will, nicht einen guten Willen, der beständig scheitert, wenn er handeln soll, sondern Wollen und Vollbringen ist Gottes Gabe. Ebenso deutlich ist aber, dass uns mit dem Vollbringen allein nicht geholfen wäre. Ein Wirken, in dem keine Liebe und keine Seele steckt, ein Dienst, den wir uns gegen unseren Willen abzwingen, ist ebenso sehr ein Jammer als das bloße Wünschen und Wollen, das nicht handeln kann.
Wie unnütz und unfruchtbar bleibt auch emsiges Wirken, wenn es im erzwungenen Gottesdienst stecken bleibt, den wir nur deshalb, weil wir müssen, ableisten! Vollends wenn wir an das Ziel denken, von dem Paulus redet, daran, dass wir unsere Seligkeit zu wirken und unsere Rettung zu gewinnen haben, die uns von Gericht, Schuld und Strafe befreit, wie sollten wir zu diesem Ziel gelangen ohne ein Wollen, das zum Vollbringen wird, und ohne ein Vollbringen, das aus unserem gesammelten, ernsten Wollen erwächst? Beides, sagt mir Paulus, brauchst du und beides gibt dir Gott. Er bewegt dich von innen her im Grund deines Lebens und er bereitet dir auch die Gelegenheit, die du zum Handeln brauchst. Die innere und die äußere Seite deines Lebens steht unter seiner Leitung und seine Gnade ist die von außen und von innen dich führende Macht. Nun wolle und wirke. Wozu gibt mir Gott das Wollen? Eben dazu, dass ich will. Wozu bereitet er mir das Wirken? Dazu, damit ich handle und arbeite und das Werk vollende, das mir zugewiesen ist. Wirke aber, sagt mir Paulus, mit Furcht und Zittern, eben deshalb, weil Gott es ist, der dir das Wollen und Vollbringen schenkt. Was von Gott gegeben wird, muss mit Sorgfalt erfasst und bewahrt werden. Ich darf das nicht verschleudern und verderben, was er mir gibt. Von Gott geschenktes Wollen darf ich nicht durch meinen Widerwillen entkräften und von Gott mir bereitetes Wirken verpflichtet mich zur ernst erwogenen und sorgsam vollzogenen Tat. Weil aber die Furcht an dem entsteht, was Gott mir gibt, bleibt sie mit dem Glauben eins.
Wie könnte ich übermütig und eigenwillig werden, da ich, heiliger Gott, unter dein Wohlgefallen gestellt bin? Damit geschehe, was Dein Wohlgefallen beschlossen hat, handelst Du an uns nach deiner Gnade und führt du uns mit starker Hand durch alles hindurch, was uns als Gefahr umringt. Gib mir, dass ich bewahre, was Du mir gibst, und dorthin gehe, wohin Du mich rufst. Amen.

Ob ich geopfert werde über dem Opfer und Gottesdienst eures Glaubens, so freue ich mich und freue mich mit euch allen. Desselben sollt ihr euch auch freuen und sollt euch mit mir freuen.
Philipper 2,17+18

Der Tag, an dem der römische Soldat Paulus vor die Mauer Roms hinausführen und dort enthaupten wird, war für Paulus ein Tag voll von Freude, und er freute sich an ihm nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Gemeinde. Er gratuliert ihr dazu, dass sein Wirken dieses Ende finden wird. Darum erwartet er auch von ihr, dass sie an seinen Tod nicht bekümmert denke, sondern an ihm einen Grund zur Freude habe, wieder nicht nur um seinet, sondern auch um ihretwillen. Woran hat er sich gefreut? Daran, dass nun die Not des irdischen Lebens und die Mühsal seines Amts zu Ende sei? Nein; denn er hat im selben Brief der Gemeinde gesagt, er wisse nicht, was er mit stärkerem Verlangen begehren solle, den Tod, der ihn zu Christus führt, oder das Leben, das ihn in der Arbeit erhält und wieder zur Gemeinde bringt. Sie weiß also, dass er des Lebens und der Arbeit nicht müde ist. Oder sonnt er sich in der Herrlichkeit, die er gewinnen werde, wenn er als der Zeuge Jesu getötet wird? Soll ihm die Gemeinde dazu gratulieren, dass er die sonderlich glänzende Krone des Märtyrers erwerben wird? Freilich könnte er sich an seinem Tod nicht freuen, wenn er nicht die gewisse Hoffnung hätte und wüsste, dass ihm der Herr den Kranz der Gerechtigkeit nicht versagen wird, weil er den Glauben bewahrt hat. Paulus hält aber seinen Gedanken bei dem fest, was jetzt an ihm geschehen wird, und freut sich nicht nur an dem, was ihm drüben zuteil werden wird, sondern an seiner Hinrichtung. Denn diese ist sein Opfer. Er hat sein Blut, das der ihn tötende Soldat verschüttet, sein Trankopfer genannt. Wenn ein Israelit auf den Altar in Jerusalem ein Tier als sein Opfer legte, so wurde gleichzeitig Wein am Fundament des Altars als Trankopfer ausgegossen. Ebenso begleitet das Opfer, das Paulus mit seinem Tod Gott darbringt, das Opfer der Gemeinde. Dieses ihr Opfer ist ihr Glaube. Damit preist sie Gottes herrliche Gnade und gibt ihm, was wir Menschen ihm geben können. Was können denn wir ihm geben, was ihn zu ehren vermöchte? Dies, dass wir ihm glauben. Ohne den Glauben gibt es keine Gabe und keinen Gottesdienst, der ihn ehren könnte. Zum Glauben der Gemeinde fügt nun Paulus seinen Tod, den er um Jesu willen erleidet, hinzu ihrem Glauben zur Stärkung und Bestätigung, und deshalb weil er glaubend in den Tod geht, wird ihm sein Todestag zum Festtag, zum heilsamen Tag auch für die Christenheit, an dem sie sich freuen soll. Damit hat uns Paulus nochmals gesagt, wie Großes uns damit gegeben ist, dass unser Leben im Glauben an Gottgebunden ist.
Nun, Herr, will ich Dir wieder für den hellen Glanz danken, den Dein Wort auf alles legt, was uns begegnet. Es wäre eine harte Not, wenn Dein Wort nicht auch unser Sterben verklärte. Es bringt uns Schwachheit und bittere Pein, aber auch den Anlass, Dir zu glauben, ohne zu sehen, um Deines Wortes willen, Deiner Gnade gewiss, der ganzen und ewigen. Wo aber der Glaube ist, da ist auch Freude; denn da wirst Du erkannt und gepriesen. Amen.

Kap. 3

Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden geachtet. Denn ich achte es alles für Schaden gegenüber der überschwänglichen Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um welches willen ich alles habe für Schaden gerechnet und achte es für Spreu, damit ich Christus gewinne und in Ihm erfunden werde, zu erkennen Ihn und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden, dass ich seinem Tod ähnlich werde, damit ich entgegenkomme zur Auferstehung der Toten.
Philipper 3,7–11

Nicht Wertloses hielt Paulus für Spreu, sondern das, was ihn früher als höchsten Wert kräftig bewegte und ihn zum Eiferer machte, weil seine ganze Seele daran hing. Nicht Gottlosigkeit vergleicht er mit seinem Christenstand, sondern seine Frömmigkeit stellt er neben das, was er an Jesus sah. Er hatte in seinem früheren Leben Sünde, aber auch aufrichtigen, willensstarken Gottesdienst und beides war untrennbar miteinander verwachsen. Darum verzichtet er jetzt auf alles, was er einst war, und richtet nicht nur reuig seine damalige Feindschaft gegen Jesus, sondern vergräbt seinen ganzen früheren Gottesdienst. So groß wurde für ihn Jesus, so neu und herrlich Gottes Offenbarung in ihm. Durch seinen neuen Weg bekam er nicht viele Ziele, sondern nur eines, das, dass er Christus kennen lerne. Neben diesem Verlangen erstarb in ihm jedes andere Begehren. Man kennt ihn an dem, was er tut. Wenn Paulus von der Erkenntnis Jesu sprach, so dachte er nicht an Theorien über Christus. Er hat seine Frömmigkeit, die ihn zum Täter des Gesetzes machte, nicht deshalb weggeworfen, um ein theologischer Spekulant zu werden. Sein Christus war kein Gegenstand für unsere Theoriebildung, sondern der regierende Herr, der dadurch erkannt wird, dass er seine Herrschaft über und zur Vollendung bringt. Aber auch nicht einzig daran hat Paulus bei seinem Verlangen gedacht, dass Christus die Herrlichkeit des ewigen Lebens hat und gibt, sondern er sah auch in seinem Kreuz einen noch nicht ausgeschöpften Segensquell. Auch dieses hat eine Tiefe in sich, in die Paulus noch nicht eingedrungen ist, weil er noch nicht die ganze Macht des Kreuzes Christi Jesu an sich selber und am Weltbestand vor Augen hat. Der Sünde abgestorben sein, die Unterstellung des Fleisches unter das es beseitigende Urteil Gottes, für die Welt gekreuzigt sein, das waren Worte, die höher waren als der heutige Tag und größer als unsere Erfahrung. Sie sprachen von dem, was die Fülle der göttlichen Gnade zum Ziele Gottes macht. Über dem Sterben erscheint aber an Jesus der Glanz des Lebens; und was es bedeutet, dass er auferstanden ist, und wie er uns die Auferstehung bereitet, das enthüllt erst der kommende Tag. Daher hatte Paulus kein anderes Anliegen als das, dass Christus sich ihm so zeige, wie er in der Macht seines Kreuzes und in der Herrlichkeit seines Lebens Gottes Willen vollbringt.
Was Du, Herr Jesus Christus, uns gabst, ist das Himmelreich mit allen seinen Gütern und Gaben. Wir haben aber das Ganze und Ewige noch nicht in unserer Erfahrung vor unseren Augen. Wir spüren die richtende Macht Deines Todes und danken Dir dafür, tragen aber noch das Bild des irdenen Menschen. Wir spüren die Leben schaffende Kraft Deiner Auferstehung; denn sie gibt uns die lebendige Hoffnung und wir danken Dir dafür. Aber wir stehen noch in der Knechtschaft der Vergänglichkeit. Führe uns, o Jesus, ein in Dein vollendetes Reich. Amen.

Nicht, dass ich es schon ergriffen habe oder schon vollendet sei; ich jage ihm aber nach, ob ich es auch ergreifen möchte, nachdem ich von Christus Jesus ergriffen bin.
Philipper 3,12

Als Jesus seinen Verfolger rief, begann Paulus einen Lauf, für den er seine ganze Kraft verwendete. Sein Lauf hat ihn weit bis nach Rom geführt, aber auch dort noch nicht an das Ziel gebracht. Er dachte bei diesem Urteil nicht nur an seine Arbeit, dass sie weit hinter dem zurückblieb, was seine Liebe begehrte, sondern auch an seinen eigenen Christenstand. Sein eigener Anteil an der Gnade Jesu war auch jetzt noch am Ende seines Lebens das Ziel, nach dem er sich mit allem, was er ist und kann, verlangend streckt. Denn er hing seine Arbeit nicht nur von außen an sein Christenleben an, als bliebe sie innerlich seinem eigensten Wollen fremd. Sein Werk war ganz eins mit Ihm. Unvollendete Arbeit ist unvollendetes Leben. Ist sein Dienst noch nicht ans Ziel gelangt, so heißt das, er selbst ist noch nicht am Ziel. Es gab für Paulus keinen vollendeten Besitz des Heils, ohne dass der Dienst vollendet wird. Damit gab er die Haltung des Glaubenden nicht auf, im Gegenteil, weil er der Glaubende ist, denkt er so, strebt er so, läuft er so, als der, der noch nicht fertig ist. Denn als Glaubender hat er sein Leben in die Hand seines Herrn gelegt und nicht in sich selbst gesucht. Darum bedarf er zum Eingang in sein Reich das Urteil des Herrn über seinen Dienst und dieses steht noch vor ihm und hängt von der Vollendung seines Werkes ab. Es reicht nicht aus, dass er einst den Glauben gehabt hat. Jetzt muss er ihn haben und morgen und er kann ihn nicht haben, wenn er seinen Lauf einstellt und seinen Dienst preisgibt. Er rechnete darauf, dass sein Verhalten der Christenheit seltsam scheine und unverständlich bleibe. Die entgegengesetzte Betrachtung des Lebens liegt uns so nah. Indem wir zum Glauben gelangten, ist unser Verhältnis zu Gott geklärt und befestigt. Was fehlt uns noch? Es gibt darum für viele nur einen hellen Tag in ihrem Leben, den, an dem sie bekehrt wurden; davon zehren sie ihr Leben lang. Deshalb vermuten sie, Paulus rede hier von seiner Sündhaftigkeit. Wie könnte er noch unfertig sein, wenn ihn nicht seine Sünden demütigten? Wäre er sündlos geworden, so verweilte er statt und ruhig bei sich selbst. So sprechen aber nur die, die nicht wissen, was Glaube ist. Sie bewegen sich freilich nur dann, wenn die Pein und der Fluch der Sünde sie aufscheucht. Paulus aber sah auf den Reichtum Jesu, der alles überragt, was Paulus erlebt und erreicht hat, sah auf Gottes Ziel, das hoch über dem steht, was er im Gehorsam seines treuen Dienstes vollbracht hat. Darum blieb er der, der nicht ruhte, sondern lief, und nicht in sich, sondern vor sich den Grund seines Heils und Lebens sah.
O Vater, Du kannst uns bewegen, dass wir vergessen, was hinter uns liegt, und uns dorthin wenden, wohin Dein Ruf uns leitet und Deine Verheißung uns zieht, weil dort Deine Herrlichkeit leuchtet und Dein Wille herrscht. Amen.

Kap. 4

Freuet euch in dem Herrn allewege und abermals sage ich: Freuet euch.
Philipper 4,4

In diesen Tagen kehrt in manches Herz Freude ein und so ist es recht. Die Christenheit ist nicht dazu beisammen, damit wir weinen und uns mit dem quälen, was uns fehlt, sondern damit wir uns freuen. Aber die festlichen Zeiten erinnern uns daran, dass es bei uns nicht so steht, wie die Mahnung des Paulus uns haben möchte. Wir brauchen die Anregung durch die festlichen Tage, damit die Freude einigermaßen in uns erwache, und regen sie durch viele andere Dinge an, nicht nur durch den auf den Herrn gerichteten Blick. Darum geht die Freude, die die Festzeit hervorlockt, auch wieder weg und hat nur kurze Dauer. Nur das, was in Gott seinen Grund hat, bleibt. In dem, was Gott uns zeigt und für uns tut, ist uns der Grund einer Freude gegeben, die immer bei uns bleibt, unabhängig vom Kalender, unabhängig von unserer Lage, unabhängig sogar von dem, was sich in uns selbst als Not und Kampf anhäuft. Solange uns der Blick zum Herrn hinauf gegeben ist, fällt ein Lichtstrahl in unsere Seele hinein, der uns so innig und völlig froh macht, wie keine von der Natur uns gereichte Gabe es uns gewähren kann. Gott kennen, Gottes Eigentum sein, ihm gehören und in seinem Dienst stehen, wie soll ich ein solches Wort auf meine Lippen nehmen, ohne dass daraus ein Jubel wird? Solange ich sagen kann: Abba Vater, ist die Freude in mir daheim. Darum mahnt Paulus zu ihr und heißt sie die Pflicht der Christenheit. Denn wenn sie uns erlischt, sei es durch Schmerz der Reue oder im Getriebe unserer dienstfertigen Arbeitsamkeit, dann hat sich eine Wolke zwischen uns und Gott gelegt und der Mensch reckt und streckt sich in die Höhe, sei es mit klagend gegen den Himmel erhobenen Armen, sei es in der Größe seiner Verpflichtungen und unentbehrlichen Leistungen. Unser christlicher Beruf ist aber nicht der, zu zeigen, was ein Mensch vermag, auch nicht, wie jämmerlich ein Mensch ist, sondern sichtbar zu machen, wie hoch und tief Gottes Gnade ist, und zu dieser Pflicht gehört das frohe Herz.
Heile allen inneren Schaden, heilender, helfender Herr. Wenn uns Deine Hand berührt, dann jubeln wir. Spüre ich sie nicht, so ist mein Auge blind und der Glaube mir entschwunden. Dir wende ich mich zu und sage Dir Dank, dass Du uns, Deiner Kinder Schar, jene Freude gibst, die bei uns bleibt. Amen.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Phil. 4,7.

Kein Schwung meiner Denkkraft hebt mich zu einer Höhe empor, auf der ich begreifen und ermessen könnte, was der Friede Gottes ist. In staunender Ehrfurcht neigt sich unser Denkvermögen vor der Tatsache, daß Gott für uns ist und alles wegtut, was uns von ihm trennt. Daß sich gegen unser Verhalten Gottes Grimm und Abscheu richtet, das begreifen wir. Daß aus dem, was wir sind und tun, Verlassenheit von Gott entsteht, das ist ein vernünftiges Urteil, das als Maßstab das Gesetz handhabt, das mit heller Deutlichkeit unser ganzes inneres Leben beherrscht. Daß aber zwischen Gott und mir kein Zwist besteht, daß ich nicht fürchten muß, ich stoße auf seinen Widerstand, daß ich vielmehr weiß, daß er aus meiner Schuld und meiner Not den Grund seiner Hilfe macht, das begreift niemand; denn das ist die schöpferische Tat dessen, der sich erbarmt, weil er sich erbarmen will. Damit ist uns der Wächter gegeben, der unser Herz und die aus ihm sprudelnde Menge von Gedanken in seine sichere Hut nimmt. Wer kann es hüten, das schwankende Herz, das so leicht einem Stoß erliegt, und die wirbelnden Gedanken, die von unserer Leidenschaft gepeitscht finster werden? Der Hüter ist zur Stelle und schläft und schlummert nicht. Daß Gott Frieden mit uns hält, das ist unseres Herzens Schutz.
Hüter, wir fragen oft: will die Nacht nicht schwinden? Ich bitte dich, halte allen Unglauben von mir fern, der mir verbirgt, daß dein Friede die Hut über mich hat. Weil dein Werk größer ist als unser Wissen und unser Verstehen, murren unsere Gedanken und haben Lust, sich aufzulehnen. Aber dein Friede ist unerschütterlich. Zu ihm flüchte ich mich und berge mich in seine mich bewachende Hut. Amen.

Ich kann niedrig sein und kann hoch sein; ich bin in allen Dingen und bei allen geschickt, beides, satt sein und hungern, beides, übrig haben und Mangel leiden. Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus.
Philipper 4,12+13

Alles können, Mangel haben und Überfluss haben ohne Störung für das inwendige Leben, ohne Schwankung, die aus Gottes Wegen weicht, das ist herrliche Freiheit. Wen lockt sie nicht? Wir fürchten den Mangel, weil er mit seiner nagenden Pein unsere Kraft verzehrt, und wir fürchten den Überfluss, weil er unsere Phantasie aufregt, unsere Begehrlichkeit entzündet und uns mit Bedürfnissen belastet, die uns knechten. Eine Freiheit, wie Paulus sie hatte, gibt uns die königliche Haltung sowohl gegenüber unserem eigenen Leib als auch gegenüber den Menschen, von denen die Menge unserer Bedürfnisse uns abhängig macht. Auch andere haben nach dieser Freiheit gestrebt, aber auf anderem Wege als Paulus, dadurch nämlich dass sie ihren Leib misshandelten, um von den natürlichen Gründen des Lebens loszukommen. So kamen sie aber nicht in die Freiheit, die alles kann, nicht nur hungern, sondern auch satt sein und Überfluss haben. Sie haben darum ihren Gewinn mit einem schweren Verlust erkauft, da sie die Freiheit durch die Verkürzung des Lebens erstrebten. Paulus gewann seine Freiheit nicht durch eine Mönchsregel, an die er sich gewaltsam gewöhnt hätte, und nicht durch ein System, in das er sein Leben einzwängte. Der, von dem ihn kein Mangel losriss und kein Überfluss weglockte, war sein Herr, der in jeder Lage mit seiner allmächtigen Gnade bei ihm war. Weil Paulus am Christus das tiefste Verlangen seiner Seele stillte und von jenem Hunger, der im innersten Grunde unseres Wesens entspringt, frei geworden war, darum konnte er darben ohne Pein, und weil Christus in ihm eine Liebe erweckt hatte, die seine Seele völlig füllte, darum verwirrte und verdarb ihn kein Überfluss.

Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von denen mir die Hilfe kommt. Aus erhobener Höhe kommt sie herunter zu mir, der ich ihrer bedarf, um von dem frei zu werden, was an mir zerrt und mich bedrückt. Sehe ich zu Dir empor, dann verliert das seine Kraft, was mich erschreckt und lockt, zieht und fesselt. Du, Herr, bist meine Stärke und mein Gut. Nach Dir verlangt meine Seele; denn Du machst uns frei. Amen.

Nicht, dass ich das Geschenk suche, sondern ich suche die Frucht, dass sie reichlich in eurer Rechnung sei.
Philipper 4,17

Mit Geld haben die Philipper Paulus beschenkt. Er sah aber darin mehr als ein Geschenk, nämlich Frucht. Hätte er bei dem, was ihm die Philipper schickten, nur an das Geschenk gedacht, so hätte er nur auf die Menschen gesehen, die in dankbarer Liebe an ihn dachten. Unser Blick reicht freilich oft nur bis zum Menschen und bedenkt bloß, wie er sich zu uns stellt und sich freundlich an uns erinnert. So machen wir aber unsere Gemeinschaft oberflächlich. Sie bekommt dann Tiefe, wenn wir nicht vergessen, dass wir Menschen in der Gemeinschaft mit Gott leben und deshalb imstande sind, zu geben, weil wir empfangen haben. Hat der Mensch Liebe, so hat er sie, weil Gott sie ihm schenkt; dankt er, so tut er es, weil er Gottes Gaben bekommen hat und ihren Wert schätzt. Dadurch wird aus dem Geschenk die Frucht, die es nicht nur für den Empfänger, sondern auch für den Geber wertvoll macht. Auf die Frucht hat Paulus gehofft. Bleibt sie aus, so ist er betrübt; kommt sie zustande, so ist er hoch erfreut. Denn mit der Frucht kommt das zum richtigen Ziel, was Gott an uns tut. Sie ist der von Gott gewollte Abschluss der uns gewährten Gnade. Nun hat sie uns so erfasst, dass wir ihr folgen, und uns so bewegt, dass wir handeln. Nun sind wir wirklich geheilt und wirklich reich gemacht. Für den unfruchtbaren Baum, der vergeblich gepflegt wird, gibt es in Gottes Reich keinen Raum; er muss weg. Nur dadurch, dass das uns Gegebene fruchtbar wird, wird es für uns heilsam und unser Eigentum. Darum ist die Liebe auch für den, der sie übt, nicht nur für den, dem sie hilft, ein unentbehrlicher Gewinn, ein seliger Schritt, der uns vorwärts und aufwärts führt.

Alles, was Du, Vater, mir gewährst, hat die Kraft eines lebendigen Keims in sich, der zur Frucht ausreifen will. Fehlt die Frucht, so liegt das nicht an Deiner Gnade, sondern an meiner Eigensucht, die nicht treu werden mag. Darum komme ich als Dürstender zu Dir nach Deinem seligen Gebot: wer da dürstet, der komme zu mir und trinke. Trinken will ich aus dem Quell Deiner Liebe, damit das, was Du mir gabst, die reifen Früchte trage. Amen.

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