Schlatter, Adolf - Andachten - Juni

Schlatter, Adolf - Andachten - Juni

1. Juni

Petrus sprach zu Simon: „Dass du verdammt werdest mit deinem Geld, dass du meinst, Gottes Gabe werde mit Geld erlangt.“ Apostelgeschichte 8,20

Das Geld zu erwerben und zu verwalten ist auch für die Kirche ein wichtiger Teil ihrer Arbeit. Denn es ist Sünde und Schande, wenn sie zu arm ist, um die Arbeit zu tun, die die Lage von ihr fordert. Das Geld ist nicht nur Lebens-, sondern auch Arbeitsmittel und wird missbraucht, wenn wir es nur für unseren Genuss verwenden. Auch mit der Erhaltung der natürlichen Gemeinschaft, die die staatliche Ordnung beisammen hält, haben wir unsere Pflicht noch nicht getan. Denn die Christenheit hat ihren eigenen Beruf und braucht auch für ihre heilige und geistliche Arbeit Geld. Deshalb muss sie aber stark und tapfer sein, damit sie dir furchtbare, verderbende Macht des Geldes überwinde. Wie es Arbeitsmittel werden kann, wird es auch Mittel zur Sünde. In der Hand des Magiers Simon wurde es zum Mittel der Sünde und deshalb wünscht Petrus nicht nur Simon, sondern auch seinem Geld den Untergang. Der Vorgang zeigt deutlich, wodurch auch in der Christenheit das Geld eine verderbliche Macht gewinnt. In Simon regt sich der geistliche Größenwahn. Er malt sich aus, wie schön es wäre, als der Spender des heiligen Geistes über der Gemeinde zu stehen auf derselben Höhe wie Petrus. Dann wären die anderen von seiner Handauflegung abhängig und er besäße eine erhabene Mittlerstellung zwischen der Christenheit und Gott und sein alter Traum, dass „die große Kraft Gottes“ in ihm wohne, käme doch noch zur Verwirklichung. Er erwog, ob es wohl ein Mittel gebe, um Petrus seinem Wunsch gefügig zu machen. Gibt es nicht einen Schlüssel, der jedes Herz öffnet, ein Machtmittel, das alle zwingt? O ja, sagte Simon; das ist das Geld. Geld gibt wirtschaftliche Macht; Geld gibt politische Macht; also gibt Geld auch geistliche Macht. Indem Simon diesen Gedanken in sich trug, machte er sichtbar, dass er sich für die Berufung zu Gott, die ihm seine Taufe gegeben hatte, verschlossen hat. Du bist, antwortete ihm Petrus, mit deinem falschen Priestertum der Verderber der Gemeinde, und weil du zugrunde gehen sollst, soll auch dein Geld, das dich verführt, mit dir zugrunde gehen. Jede auf das Geld gebaute Macht in der Kirche hat die Verleugnung Gottes in sich.

Das Geld verwirrt, o Herr, barmherziger Gott, meine Gedanken, entzündet meine Begehrlichkeit, macht mich boshaft und treibt mich zur Ungerechtigkeit. Um des Geldes willen vergesse ich Dich. Es ist Dein großes Wunder, wenn mir das Geld nicht zum Verderber wird. Das tust Du an uns dadurch, dass Deine Gabe nicht Geld ist, sondern Geist. Durch Deines Geistes Wirksamkeit heiligst Du uns, dass wir für Dich leben und Dir dienen, und machst dadurch auch unser Geld für uns zum Segen. Amen.

2. Juni

Ich will es, sei rein. Matthäus 8,3

Wusste Jesus, was der Aussatz ist? Auch wir wissen es nicht, wenn uns auch heute der menschliche Leib nicht nur in seinen Umrissen sichtbar ist, wie für Jesus und seine Zeitgenossen. Uns ist aber doch, obschon wir nur einen kleinen Teil von dem sehen, was unseren Leib herstellt, die Wunderbarkeit seines Baus und die Festigkeit der Gesetze, die ihm alle seine Bewegungen geben, deutlicher enthüllt als den früheren Geschlechtern. Wir wissen darum auch etwas mehr von dem, was geschieht, wenn der Aussatz Stück um Stück des Leibes zerstört. Ändert das etwas am Verhalten Jesu? Wird es kleiner, vielleicht untypisch? Nichts ändert sich. Ob wir viel oder wenig vom Leib wissen, immer steht er als das andere vor uns, das wir nicht machen, weil wir es auch nicht kennen, und zu jeder Zeit erkannte jeder im Aussatz einen den Tod bewirkenden Vorgang, wenn er auch die Prozesse nicht im einzelnen kannte, die den Tod bewirken. Das wusste Jesus wie jedermann, als er sprach: „Ich will es, sei rein.“ Wie nahe, wie wirklich war ihm Gott, und nicht nur ihm selbst war er nahe, ihm in der Tiefe seines vom Geist erfüllten Herzens, nein, auch dem Aussätzigen, seinem Leib und seinen verfaulenden Gliedern. Auch bei ihm war Gott gegenwärtig in seiner Schöpfermacht. Nahe ist er, aber unsichtbar. Was hier geschah, ist alles andere als eine Vermenschlichung Gottes und hat nichts mit Träumen eines Visionärs gemein, der Gott zu schauen meint. Alles bleibt ganz in jenes Geheimnis gehüllt, das Gottes Schaffen immer verbirgt. Nur der Ausgang macht es offenbar. Als der Aussätzige vor dem ihn prüfenden Priester stand, sagte auch dieser das Wort, das vor ihm Jesus sprach: „Du bist rein.“ Es gibt nichts, was die Natur so machtvoll heiligt und ihren Zusammenhang mit Gott so deutlich ins Licht stellt als Jesu Wundertun.

Ich bedarf, Vater, Dich und Deine Gnade nicht nur für mein inwendiges Leben, sondern auch für meinen Leib, ohne den ich kein inwendiges Leben habe. Aber auch unser entstellter und sterblicher Leib ist von deiner gnädigen Macht umfasst. Dafür sei Dir Lob und Dank gesagt. Amen.

3. Juni

Wenn du willst, kannst du mich reinigen. Matthäus 8,2

Die helfende Macht Jesu ist wunderbar; aber auch das, was der Aussätzige tat, ist ein strahlendes Wunder und enthüllt Gottes herrliches Wirken. Wenn ein Aussätziger stumm wird und sich willenlos in sein Schicksal ergibt, so ist das kein Wunder, sondern Natur. Auch das ist kein Wunder, wenn er in seiner Verzweiflung nach jedem Strohhalm greift und sich an den herandrängt, der ihn vielleicht retten kann; auch das ist Natur. Wenn er, weil die Wunderberichte von Mund zu Mund liefen, nach dem Unmöglichen haschte und mit stürmischer Bitte Jesus anriefe: du kannst mich reinigen, du musst es tun, so bliebe auch dies noch in den Grenzen der Natur. Darin wäre nur das menschliche Fühlen und Begehren wirksam. Nun sagt aber der Aussätzige: „Wenn du willst, kannst du mich reinigen.“ Das ist Glaube, nicht Zweifel und nicht Trotz; das ist Bitte, nicht Befehl und nicht Klage. Der Glaube kann aber niemals in anderer Weise entstehen als so, dass unser Blick auf Gott gerichtet ist. Darum ist er ein Wunder, weil unser Blick nur dann auf Gott gerichtet ist, wenn Gott ihn auf sich lenkt. Keiner erkennt Gott anders als so, dass er von Gott erkannt ist. Nun entsteht die völlige Beugung: du verfügst über mich und dein Wille bestimmt mein Los; niemand zwingt dir deinen Willen ab; nur wenn du willst, geschieht das, was ich erbitte. Mit der Beugung entsteht aber zugleich die völlige Zuversicht: du kannst, wenn du willst; dein Wille ist durch nichts gebunden; deine Hilfe kennt keine Schranken und deine Liebe sinkt nie in die Ohnmacht hinab. Darum hat Jesus diesen Aussätzigen seinen Zeugen genannt, weil nicht nur die heilende Macht Jesu in ihm sichtbar ward, sondern auch das für den Priester und für jedermann ans Licht trat, wer die Hilfe Jesu erlangt, der Glaubende.

Deine Zeugen, lieber Herr, sind die, die Du glauben lehrst. Sie machen nicht ihre eigene Kraft sichtbar, sondern die Deine; denn sie leben aus Deiner Gnade, nicht aus ihrem eigenen Vermögen. Das ist der Beruf Deiner ganzen Christenheit, die selige Pflicht aller, die Deinen Namen nennen. Schenk auch mir, dass ich Dein Zeuge sei als Glaubender. Amen.

4. Juni

Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht. Matthäus 11,30

Glaube ich das wirklich oder trete ich denen bei, die sagen, das Gebot Jesu sei schwer, sogar unerfüllbar, niemand könne es halten? War es nicht leichter, nach der jüdischen Weise fromm zu sein? Man blieb bei der Sitte, tat, was sie vorschrieb, und war dadurch ein Glied der Gemeinde, vor den Menschen in Ehren und bei Gott wohl angeschrieben. So stellt sich Jesus nicht zu uns, sondern greift nach uns und macht sich unser inwendiges Leben untertan. Er lässt nichts Halbes zu, keinen halben Gehorsam, keine zersplitterte Liebe. Das ist freilich schwer, ja unmöglich, wenn ich auf mich selbst sehe. Ich müsste träumen, wenn ich den Mut nicht verlöre, wenn ich das, was Jesus gebietet, neben das stelle, was ich bin und kann. Allein Jesus ruft uns zu sich, heraus aus der Schar der Lastträger, denen ihre Frömmigkeit wie eine schwere Last auf dem Nacken liegt. Sein Joch nennt er sanft, das, mit dem er uns unter seine Leitung stellt und ihm folgsam macht, und seine Last heißt er leicht, die, die seine Hand uns reicht. Sowie ich meinen Blick von mir los machen kann und ihn anschaue, dann verstehe ich, dass er mir sagt: ich quäle dich nicht und stelle dich nicht in einen freudlosen Dienst und mute dir nichts zu, was dich erdrückt. Sehe ich auf ihn, so weiß ich: hier spricht die Güte, auch wenn er gebietet; hier spricht der Vergebende, auch wenn er verpflichtet; hier spricht der Gebende, auch wenn er fordert. Er fordert alles; denn er gibt alles. Er fordert Glauben; denn er hat die Gnade; er fordert Gehorsam; denn er versöhnt uns mit Gott. Er kann auch verlangen, dass ich mein Kreuz anfasse; denn er gibt das Leben. Weil er gibt, fordert er und darum ist sein Joch sanft und seine Last leicht.

Uns umtönt, lieber Herr, beständig das Gerede der Menschen und ihre Gedanken setzen sich in uns fest. Sie heißen Dich einen harten Herrn, weil sie nicht gehorchen wollen, und nennen Deinen Weg unmöglich, weil es der der Liebe ist. Ich will nicht auf die Menschen hören, auch nicht auf meine Stimme, sondern auf Dich und Du wirst es mich erfahren lassen, dass Deine Hand, die mich führt, gütig ist. Amen.

5. Juni

Ich ermahne euch durch die Barmherzigkeit Gottes. Römer 12,1

Paulus spricht immer anders als wir. Hätte er gesagt: ich tröste euch durch die Barmherzigkeit Gottes, oder ich verkündige euch die Vergebung durch die Barmherzigkeit Gottes, dann spräche er, wie es unsere religiöse Sprache uns lehrt. Nun nennt er uns Gottes Barmherzigkeit als das, woraus seine Mahnung entsteht, und welche Mahnung! Sie steigt empor auf alle Höhen des christlichen Berufs, greift nach unserem Leib, damit er unser lebendiges Opfer sei, ordnet unser Verhältnis zur Welt, damit wir unserem Verhalten die andere Gestalt gegen als die, die die Welt ihm gibt, und zeigt uns den unerschöpflich reichen Dienst innerhalb der Christenheit, in der jedes Glied an dem vom Leib zu vollbringenden Werk seinen tätigen Anteil hat. Und dies, Paulus, beschreibst du als die Folge der göttlichen Barmherzigkeit. Daran heißt du uns erkennen, dass Gott sich unserer erbarmt. Aber dieses Erstaunen gehört nur meinem kranken Ich an mit seiner Eigensucht. Ihr freilich wäre es lieb, wenn kein Anspruch an mich gerichtet würde, oder doch nicht ein solcher, der mich ganz „mit dem ganzen Herzen und der ganzen Seele und dem ganzen Vermögen“ erfasst. Paulus sah aber in unserem Gottesdienst Gottes Gnade, nicht eine mit Unlust übernommene Notwendigkeit, sondern das innig und völlig von uns begehrte Gut. Darum heftet er den Blick der Christenheit eben jetzt, da er von ihrer Pflicht und ihrem Werk, von ihrer Liebe und ihrem Dienst spricht, auf Gottes Barmherzigkeit. Wäre sie nicht für uns vorhanden, so könnte Paulus nicht von diesen Dingen mit uns reden. Dafür ist es die Voraussetzung, dass Gott ganz nahe zu uns herantritt, ganz in unsere Lage sich hineinstellt, so mit uns fährt, wie es unserem Kraftmaß entspricht, und das von uns verlangt, was wir innerhalb der Natur und der Welt an unserem Ort werden können. So behütet er uns davor, dass wir denken wie jener boshafte Knecht, der das empfangene Geld seinem Herrn zurückgab und sagte: „Ich wusste, dass du ein harter Herr bist.“ Das sagt keiner, der in der christlichen Verpflichtung die Bezeugung der göttlichen Barmherzigkeit erkennt.

Durch Deine Barmherzigkeit, Vater, bin ich an den Ort gestellt, an dem ich stehe, und mit der Pflicht begabt, der ich gehorche. Von Dir kommt sie, der Du Deine Gnade darin vollkommen machst, dass wir Dir gehorchen dürfen. Wir bedürfen alle der Mahnung; Dein Wort gibt sie uns hell und stark. Ich will hören. Amen.

6. Juni

Begebet eure Leiber zum Opfer, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei, welches sei euer vernünftiger Gottesdienst. Römer 12,1

Nichts ist im selben Maß mein Eigentum wie mein Leib. Alles andere, Nahrung und Kleid, Haus und Geschäft, sind es erst im abgeleiteten Sinn und bekommen dadurch ihren Wert, dass ich meinen Leib habe. Was hat es für einen Sinn, dass mir ein solches Eigentum gegeben ist? Damit ist mir der Stoff zum Opfer gegeben. Meinen Leib soll ich, weil er mir als mein Eigentum gegeben ist, Gott dargeben, damit sich das höchste aller Gesetze erfülle, dass das, was von Gott kommt, für ihn bestimmt ist und zu ihm geht. Ist es aber wirklich wahr, dass mein Leib mein Eigentum sei, über das ich Macht habe? Hat nicht mein Leib Macht über mich, so dass er über mich verfügt? So ist es, solange ich von Gott fern bin. Von Gott verlassen versinke ich in meinem Leib. Nun ist mir aber Gott nicht fern, sondern ich lebe in seiner Gnade, bin seines Willens kundig und seiner Gnade teilhaft. Nun bin ich der Herr und Eigentümer meines Leibes; das bin ich aber nicht dazu geworden, damit ich über ihn nach meiner Lust verfüge. Menschliche Gewaltherrschaft lässt sich die Natur nicht gefallen. Wenn ich von ihr verlange, da sie meiner Eigensucht diene, packt sich mich sofort und macht mich sich untertan. Es gibt aber noch eine andere Weise, den Leib zu regieren, die, die ihn unter Gottes Willen stellt und ihn so gebraucht, dass er Gott dient. Nun ist mein Leib heilig. Nicht die Gebeine toter Christen hat Paulus heilig genannt, sondern von lebenden Leibern gesagt, dass sie heilig seien, weil die sie besitzen, die durch sie Gottes Willen tun.

Mein Leib, großer Gott, plagt mich mannigfach. Bald regt er mich auf und bald bedrückt er mich. Aber eben so, wie er ist, darf ich ihn dir übergeben. Nachdem Du der Herr und Regierer meines Herzens geworden bist, machst Du deine königliche Gnade dadurch voll, dass Du auch unsern Leib und alles, was wir in unserem Leibe tun, mit Deinem Wohlgefallen begnadest als unseren vernünftigen Gottesdienst. Amen.

7. Juni

Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, auf dass ihr prüfen möget, welches da sei der gute, wohlgefällige und vollkommene Gotteswille. Römer 12,2

Die Welt kann ich nicht verändern; erneuern aber kann ich meine Gedanken, und wenn diese neu werden, dann wird auch mein Verhalten neu. Dann gibt es eine Umformung und Neubildung, durch die diejenige Gestalt, die diese Welt mir aufprägt, beseitigt wird. Unser Anteil an unserem Volkstum gibt uns allen eine große Ähnlichkeit und diese Gemeinsamkeit ist eine starke Hilfe dazu, dass wir zusammenleben. Der Klang unserer Sprache färbt sich gleichartig mit der der anderen. Mode, Sitte und Staatsgesetz ordnen unser Verhalten nach derselben Regel, und auch im inwendigen Leben werden wir alle von seelischen Wellen bewegt, die mit großer Macht durch uns alle durchfahren und unser Empfinden, Denken und Wollen gleichartig machen. Warum ist es nun nötig, dass ich mich dieser Gemeinsamkeit entziehe und mich dieser Welt nicht anpasse? Was will ich? Den Willen Gottes will ich tun, und dieses Ziel reißt mich aus der nachgiebigen Abhängigkeit von den anderen heraus. Ich kann nicht mehr fragen: was tut jedermann? was ist Brauch und Gewohnheit? was gefällt und trägt Beifall ein? Die Christenfrage ist: was ist Gottes Wille? und für diese Frage reichen die alten Gedanken, die von jeher in der Menschheit vorhanden waren, nicht aus. Dazu brauche ich einen neuen Verstand. Neu muss er werden auch im Vergleich mit dem, was ich selbst von jeher besaß und schon in der Kindheit lernte, weil es in der Kirche so üblich war. Denn jede neue Lage stellt an mich einen neuen Anspruch, dem ich mit meinen alten Gedanken nicht genugtun kann. Es gilt zu erfassen, wohin mich Gott jetzt führt und was er mir in dieser meiner Lage als meine Pflicht zuteilt. Ist es mir denn möglich, neue Gedanken zu bekommen? Vor seine Mahnung hat Paulus das Wort gesetzt: „Durch Gottes Barmherzigkeit ermahne ich euch.“ Wir starren, wenn wir nach Gottes Willen fragen, nicht in einen leeren, finsteren Raum hinein, sondern erheben unseren Blick zu dem, der das Licht der Welt ist. Er lässt keinen im Dunkeln wandern, der nach seinem Willen fragt.

Du hast, lieber Herr, Deinen Jüngern gesagt: Macht es wie der Haushalter: er braucht Altes und Neues je nach Bedarf. Dein altes, längst gesagtes Wort leitet mich und Dein Geist gibt neue Weisung, wie ich sie für den neuen Tag bedarf. Altes und Neues, beides reicht uns die eine Hand dar, die gebende, die Deine. Gib mir Einsicht und Verstand für das, was der neue Tag von mir verlangt. Amen.

8. Juni

Niemand halte weiter von sich, denn sich's gebührt zu halten, sondern er halte mäßiglich von sich, ein jeglicher, nach dem Gott ausgeteilet hat das Maß des Glaubens. Römer 12,3

Vieles mag uns locken, was wir für heilsam halten, wenn es hergestellt würde. Unsere Phantasie versteht es gut, Bilder zu malen, die uns schöner scheinen als das, was uns gegeben ist. Allein solche Wünsche zeigen uns nicht das, was wir erstreben dürfen. Mache nicht, warnt Paulus, aus deinem Glauben einen Übermut. Wo endet die Besonnenheit und wo beginnt der Übermut? Ich verfalle ihm dann, wenn ich über das Maß meines Glaubens hinausfahre. Ergreife ich selbst die Zügel, um die Fahrt selbst zu lenken, so verliert mein Gefährt die Richtung. Nachfolgen, nicht voranlaufen kennzeichnet den, der in Gottes Reich festgewurzelt steht. Nun regiert Gott und nicht das begehrliche und träumende Menschenherz, und nur dann, wenn ich in dieser Folgsamkeit verharre, bleibt meine Freiheit unversehrt. Solange das mir zugeteilte Maß des Glaubens mir das Maß für mein Wirken gibt, handle ich frei, weil nun mein Handeln aus meinem eigenen Glauben erwächst. Wenn ich aber einen fremden Glauben zu meiner Richtschnur nehme und mich nach dem Maß richte, das den anderen gegeben ist, gebe ich meine Freiheit preis und zwinge mich, mich zu verstellen und untreu gegen mich zu sein. Nun muss ich mich stellen, als handle ich im Glauben, während nicht mein Glaube mich bewegt, sondern der der anderen. Gehorche ich dagegen Paulus, der mein ganzes Wirken an das Maß meines Glaubens hängt, so bleibe ich von Schein und Verstellung frei. Nur die Eitelkeit könnte mich verführen, mich auf einen fremden Glauben zu stützen, weil er größer und stärker als der meine ist. Allein Glaube und Eitelkeit vertragen sich nicht. Wo der Glaube einkehrt, ist der eigene Ruhm hinausgesperrt. Somit darf ich dankbar tun, was ich kann, und die Kraft brauchen, die ich habe, und mich an meinem Werk freuen; denn es ist für Gott getan, weil es aus dem Glauben kam.

An Deiner Hand zu wandern, Herr Gott, das gibt die frohe Fahrt. Sehe ich auf Dich, so verwirrt mich der Blick auf die anderen nicht. Was Du mir ins Herz gelegt hast, das ist meine Ausrüstung zu meinem Dienst und zu meinem Kampf. Denn Du gabst jedem Glauben, sei er noch so klein, Deine ganze Verheißung ohne Einschränkung. Amen.

9. Juni

Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen. Psalm 103,1

Einst rief der Priester der Schar, die im Tempelhof versammelt war, zu: Lobt den Herrn! und die Festgenossen wiederholten seinen Ruf und es rief es einer dem anderen zu: Lobe den Herrn! Auch der Psalmist wiederholt diesen Ruf, richtet ihn aber nicht an die anderen, sondern an sich selbst: auf, meine Seele, lobe den Herrn! Paulus hat gesagt: du kannst dir selbst das Gesetz sein, kannst dir selber vorhalten, was Gottes Gebot verlangt, und dich mahnen und ermuntern, dass du es tust. Wie ich mir das Gesetz sein kann, so kann ich mir auch der Evangelist sein und kann und soll mir vorhalten: „Der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöset und dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit.“ Wenn ich aber mir selbst zum Evangelisten geworden bin, dann beginnt und schließt mein Gespräch mit meiner Seele damit, dass ich ihr zurufe: Lobe den Herrn, meine Seele. Sie hat es nötig, dass ein Evangelist sie besuche und sie zum Lob Gottes ermuntere. Denn sie trägt mancherlei Bürden und hat doch nur schwache Schultern. Sie klebt am Leib und dieser füllt sie mit seinen starken Reizen. Sie kennt ihre Not und Schuld und trägt schwer daran. Sie hat vielerlei Wünsche und hätte gern Flügel, damit sie eilig dahin gelange, wohin sie ihr Begehren zieht. Über all dem verlernt sie das Loben. Nun sorge dafür, dass deine Seele den Evangelisten nicht entbehre. Sie braucht nicht zu warten, bis die Glocken läuten und von der Kanzel aus das Evangelium zu ihr kommt oder bis ein Volksmissionar und Evangelist anlangt und es dir sagt. Sei du selbst der Evangelist deiner Seele. Halte ihr das göttliche Wort, das ihr Gottes Gnade zeigt, vor und mahne sie: Lobe den Herrn, und wenn du deine Seele mit dem Evangelium mahnst, wird sie dir zustimmen und aus dem Befehl: lobe den Herrn! entsteht dann wirklich und gläubig Gottes Lob.

Ich habe mich mit dem Psalmisten gemahnt und will seiner Mahnung gehorchen und dir, Vater, danken und mich zu Deiner Schar gesellen, die im Himmel und auf Erden ohne Unterlass Dich preist. Bleibt mein Wort dürftig, weil meine Seele müde ist, so bist Du gnädig und barmherzig; darum darf dich auch meine Seele loben so, wie sie ist. Amen.

10. Juni

Unser täglich Brot gib uns heute. Matthäus 6,11

Anderen mag es scheinen, dass ihr Leben wertlos sei, wert, weggeworfen zu werden. In der Christenheit hat diese Beurteilung des Lebens keinen Raum. Jesus sagte seinen Jüngern: euer Leben hat vor Gott Wert; darum dürft und sollt ihr bitten, dass er es euch erhalte, indem er euch das Brot verschafft. Ihr bedürft zum Leben das Lebensmittel. Ohne Brot könnt ihr nicht leben. Darum ist es ein Teil eures Gebets. Ihr sollt den Vater anrufen, dass er es euch darreiche. Auf das Leben zielt die Bitte Jesu, nicht auf die Zugaben zum Leben, nicht auf das, was es mit Genuss füllt und mit allerlei Lieblichem umkränzt. Braucht denn unser Leben noch eine Verschönerung durch von außen herumgelegten Schmuck, wenn wir den Weg Jesu gehen? Dann hat unser Leben seine Schönheit, seine reizvolle Spannkraft, seine nie verblassende Wonne in sich selbst, eben darin, dass wir nicht für uns selber leben, sondern für ihn, und nicht das Unsere suchen, sondern das Seine. Wer Pflicht empfangen hat, und welche Pflicht! - Pflicht in der Herrlichkeit, wie Jesus sie uns gewährt, Pflicht, Gott in allem zu preisen, seinen Willen zu tun und stets zu seinem Dienst bereit zu sein, den Namen Jesu zu bekennen und die in den Frieden Gottes zu führen, die an ihren Sünden sterben, - der hat ein Leben, das nicht von außen durch irgendeinen Schmuck erträglich gemacht werden muss Für ihn hat die Frage nach dem Sinn seines Lebens die helle Antwort erhalten; denn was von Gott kommt und zu Gott strebt, hat Sinn. Darum gehört auch unser Lebensmittel in unser Gebet hinein, und dies um so mehr, je mehr unser Leben zur Jüngerschaft wird. Denn um so höher steigt sein Wert. Seid ihr nicht mehr als mancher Vogel? hat Jesus zu seinen Jüngern gesagt.

Meine Arbeit dient, Vater, der Erhaltung meines Lebens; sie gibt mir mein Brot. Darum gehört auch meine Arbeit in mein Gebet. Ich tue sie nach Deiner Ordnung und bitte Dich nach Deinem Befehl und Deiner Verheißung: gib zu meiner Arbeit deinen Segen, dass sie uns das gewähre, was unser Leben erhält. Amen.

11. Juni

So jemand unter euch Weisheit mangelt, der bitte von Gott, der da gibt einfältiglich jedermann und rücket es niemand auf, so wird sie ihm gegeben werden. Jakobus 1,5

Wie ernsthaft es Jakobus daran liegt, dass wir zum Werk, und zwar zum vollendeten, fertig werdenden Werk gelangen, wird an dem besonders sichtbar, was er denen sagt, denen die Weisheit fehlt. Wie können sie handeln, wenn sie keine Weisheit haben? Denn die Weisheit würde ihnen zeigen, was sie zu tun haben, und ließe sie auch die Mittel finden, durch die sie das ihnen gezeigte Ziel erreiche. So scheint es zunächst, mit dem Fehlen der Weisheit sein ihnen das Handeln unmöglich gemacht; sie seien vom Werk entbunden. Jakobus beruhigt sich aber nicht mit dem Gedanken, sie könnten nun einmal nicht mehr und müssten sich in ihr Unvermögen schicken, sondern er zeigt dem, dem die Weisheit fehlt, wie er sie erlangt, wie er sich also von seinem Unvermögen befreien und die Ausrüstung zum richtigen Handeln empfangen kann. Er bitte Gott. So nahe ist uns Gott, dass wir, wenn wir nicht wissen, was wir tun sollen, von ihm uns erbitten dürfen, dass er uns sichtbar mache, was zu geschehen hat, und unsere Entschlüsse so leite, dass wir das Richtige vollbringen. Diese Verheißung überschreitet das mit dem Glauben uns gegebene Verhältnis zu Gott nicht; denn sie redet nicht von Zeichen, die uns von außen leiten, auch nicht von plötzlich in uns aufleuchtenden Eingebungen. Nichts anderes als das glaubendes Verhalten ist uns hier beschrieben, das wir dann üben, wenn wir nach Gottes erleuchtendem Wirken begehren. Wie es sich in der Bewegung unserer Seele vollzieht, davon weiß der Glaube nichts und er richtet auch keine Forderungen an Gott, sondern wartet auf Gottes Hilfe, die das Unvermögen unserer Seele heilt, und er wartet nicht umsonst.

Wenn Deine weise Hand, gnädiger Gott, mich leitet, dann zerfällt das, was ich unternehme, nicht. Ich muss mein Werk von Deiner Güte empfangen, damit es mir und anderen heilsam sei, und ich suche es bei Dir, der Du im Licht wohnst und durch Dein Licht unseren Weg hell machst. Amen.

12. Juni

Darum bete ich, dass eure Liebe je mehr und mehr reich werde in allerlei Erkenntnis und Erfahrung. Philipper 1,9

Gott sei Dank, es gibt etwas, was immer reicher werden kann, was nie sein letztes Ziel erreicht und niemals fertig sein wird. Das ist die Liebe. Paulus hat um sie gebetet, nicht nur für sich selbst, sondern auch für seine Gemeinde. Er bittet um sie; denn die Liebe ist nicht ein Erzeugnis und Merkmal der Natur. Gott ist sie und Gott gibt sie und darum muss sie erbeten sein. Nun haben wir einen Gebetsstoff, der uns nie ausgehen kann. Wie klein und arm ist unsere Liebe, die meine, aber auch die unserer ganzen Christenheit! Sie ist umwölkt durch die dichten Nebel unserer Eitelkeit und gefesselt durch die harten Stricke unserer Eigensucht. Wie mehrt sie uns Gott? Durch Erkenntnis und Wahrnehmung. Unsere Blindheit ist ein mächtiger Feind unserer Liebe. Die erste Bedingung für sie ist, da wir sehen lernen. Denn die Liebe wendet uns den anderen zu und macht, dass wir sie suchen. Wir finden sie aber nicht mit geschlossenen Augen, träumender Seele und fabelnden Gedanken. Das ist der tiefe Ernst in unserer Bemühung, unsere Gedanken hell zu machen, damit sich unserer Bemühung, unsere Gedanken hell zu machen, damit sich uns die Welt in ihrer wahren Gestalt zeige. Nur so entsteht die Liebe, freilich nicht dann, wenn einzig die Welt uns sichtbar ist, wohl aber dann, wenn unser Blick auf den gebenden Gott gerichtet ist. Dann sehen wir die Not und die Hilfe, den Hunger und die Speise, das Bedürfnis und die Gabe, und nun geht die Liebe an ihr Werk.

Ich gehorche Deinem Wort und bitte um das, worum es mich bitten heißt. Bitte ich um die Liebe, so weiß ich, dass ich es nach Deinem Willen tue. Töte die kranke Eigensucht in mir. Es wird mir wehtun, aber ich will es leiden. Deine Gabe, die Liebe, ist für alles der köstliche Ersatz; sie verschafft mir das Leben und sie verherrlicht Dich. Amen.

13. Juni

Etlicher trug hundertfältig, etlicher aber sechzigfältig, etlicher aber dreißigfältig. Matthäus 13,23

Diese alle hörten das Wort, verstanden es und brachten Frucht. Sie sperrten das Wort nicht in ihren eigenen Herzen ein; es drang aus ihnen hervor und kam auch zu den anderen. Das Wort machte aus ihnen Salz und dieses salzte und entzündete in ihnen ein Licht und dieses leuchtete. Aber der Umkreis, den das Licht hell machte, war verschieden, hier groß, dort klein. Darum sagte Jesus, dass die aus dem ausgestreuten Korn entstandenen Ähren verschiedene Größe haben und die Zahl der neuen Körner, die sie tragen, ungleich sei. Aber alle Ähren, die großen mit den hundert Körnern und die kleinen mit den dreißig Körnern, sind unentbehrlich, damit aus der Saat die Ernte werde und der Sämann seine Scheune fülle. Jesu große Gnade spricht in diesem Wort, und ich stelle, was ich bin und tue, in ihren Glanz. Zu denen, die hundertfältige Frucht bringen, gehöre ich nicht; der Umkreis meines Lebens ist eng begrenzt und es sind nur wenige, mit denen ich in eine fruchtbare Gemeinschaft treten kann. Allein jede Ähre trägt zur Ernte bei und ist unentbehrlich, damit sie ihr volles Maß enthalte. Der Herr schilt die nicht, die nicht hundertfältig tragen. Denn sein Reich hat nicht nur für die Großen Raum, sondern auch für die Kleinen, und das Bürgerrecht der Kleinen in seinem Reich ist ein Reichsgesetz, das immer in Kraft und Wirkung steht. Sonst hörte sein Reich auf, Gottes Reich zu sein, und würde zum Machtbereich des großen Menschen, der sich in seiner Größe geltend macht. Indem er die Großen und die Kleinen in seinem Reich vereint, schützt er die Großen vor ihrer Hoffart und die Kleinen vor ihrer Verzagtheit. Sie alle brauchen Schutz, die hundertfach Tragenden und die dreißigfach Tragenden, jene, dass sie nicht ihrer Stärke wegen an sich Wohlgefallen haben, diese, dass ihre Schwäche sie nicht träge macht. Ob wir uns gefallen oder uns missfallen, jubelnd oder seufzend unsere Arbeit tun, daran liegt nichts. Einzig das ist das richtige Ziel unseres Verlangens, dass die vom Herrn in uns gestreute Saat reife und zur Ernte werde, die Ihn preist.

Dein Wort, Herr, schafft die Ähren, die für Dich reifen. Denn durch Dein Wort machst Du uns zu Deinen Kindern und zu Deiner Gemeinde, die das Werk Deiner Hände ist. Dein Wort nehme ich in mich hinein als mein Licht auf meinem Weg. Amen.

14. Juni

Seid untereinander untertan in der Furcht Gottes. Epheser 5,21

Wer war je so frei wie Paulus? Er war ein Vorkämpfer für die Freiheit in unüberwindlicher Tapferkeit. Wenn sein Evangelium zu mir spricht, springen alle Fesseln. Derselbe Paulus hat aber die Untertänigkeit unter alle aufs höchste gepriesen und aus ihr die für alle gültige Christenpflicht gemacht. Warum hat er die Untertänigkeit so hoch geschätzt? Er wollte die Gemeinschaft und sah in ihr nicht nur eine hübsche Zugabe zum Eigenleben der Einzelnen, sondern das Werk des Christus, der dadurch als der Herr an uns handelt, dass er aus uns die in Gott geeinigte Gemeinde macht. Wenn sich aber der eine über den anderen erhebt und der eine den anderen überbietet, dann stehen wir gegeneinander im Streit. Dieser ist aber sofort verschwunden, wenn sich der eine dem anderen unterwirft und seinen Willen mit dem des anderen vereint. An ein einseitiges Regiment des einen über den anderen hat Paulus nicht gedacht. Denn das Dienen ist in der Christenheit nicht das Geschäft eines besonderen Stands, sondern das Amt aller. Es gibt in der Kirche nicht solche, für die die Liebespflicht gilt, die sie für die anderen leben macht, und solche, die eine vornehme Selbstsucht pflegen dürfen, die die anderen ihnen dienstbar macht. Ist jemand an Verstand und Willen stark, so hat er damit die verstärkte Dienstpflicht empfangen und er kann diese nicht ausführen, wenn er seinen Willen herrisch auf die anderen legt, sondern kann den anderen nur dann wirklich dienen, wenn er sein Verhalten unter ihren Willen stellt und sein Vermögen für ihr Bedürfnis fruchtbar macht. So kommt zwischen uns die Eintracht zustande. Zu ihr treibt uns Paulus durch die Furcht vor dem Herrn. Lassen wir uns von Begehren nach Macht treiben, so entsteht daraus jene Selbsterhöhung, die Gott zerbricht, und wenn wir aus der Gemeinde Jesu den Frieden verscheuchen und ihre Eintracht zerbrechen, so haben wir Christus gegen uns, der seine Gemeinde dazu schafft, damit sie einträchtig sei.

Herr, gnädiger Gott, Du bist unsere Zuflucht in allen Nöten, auch in den Nöten, die uns unsere Eigensucht bereitet. Nur in Deiner Nähe endet unser Streit; nur vor Dir verstummt der Zank. Mache es mir in allen meinen Verhältnissen deutlich, dass Du mich zu den Menschen führst, nicht von ihnen trennst, mich zu Deinem Diener, nicht zum Herrn über die anderen machst, weil meines Lebens Sinn und Zweck darin besteht, dass es für die, die Du zu mir führst, heilsam sei. Damit bereitest du Deinen Frieden über mich. Amen.

15. Juni

Meine lieben Kinder, welche ich abermals mit Ängsten gebäre, bis dass Christus in euch Gestalt gewinne. Galater 4,19

Wir Menschen können nicht miteinander verkehren, ohne dass wir uns aneinander anpassen und das Bild des einen dank des anderen ähnlich wird. Das macht unseren Verkehr miteinander gefährlich, so dass er uns oft schweren Schaden zufügt. Darum will ich auf Paulus achten. Er hat zwischen sich und den Galatern die innigste Berührung hergestellt. Aus seinem Herzen heraus strömt sein Wort, damit es auch ihnen in ihr Herz hineingehe. Sein Brief war die Frucht angestrengter Arbeit und ein heißes Ringen um die Einigung mit ihnen. Darum vergleicht er sein Schreiben mit der Anstrengung, die die Mutter leisten muss, damit das Kind den Weg ins Freie finde. Dabei ist aber nicht das sein Ziel, dass sein eigenes Bild in ihnen erscheine; denn er hat nur den einen Wunsch, dass Christus in ihnen Gestalt bekomme. Seine Gestalt erscheint an uns in dem Maße, als wir sein Werk sind. Das Werk ist immer ein Abbild dessen, der es macht, und dies hat die tiefste Wahrheit dann, wenn der Geist das Werk erzeugt. Indem Jesu Geist in uns wirksam wird, wird unser Wille durch seinen Willen bestimmt und dies gibt unserem Verhalten die Ähnlichkeit mit ihm. Paulus war nicht mehr imstande, im Verhalten der Galater den Christus wahrzunehmen. Denn wenn sie dem Gesetz dienen, weichen sie von Gottes Gnade und stützen sich auf das, was sie bei sich selber finden. Dadurch verschwindet Christus aus dem geistigen Antlitz der Gemeinde und darum bemüht sich Paulus um sie, damit Christus an ihnen wieder erkennbar sei. Damit hat er uns allen das Ziel für jeden Verkehr gezeigt, in den wir miteinander treten.

Ein Bild, Vater, gibt es, das Dir wohlgefällt und durch das wir zu Deinem Bild werden. Das ist das Bild Deines einigen Sohnes. Ihn gabst Du uns, damit wir Sein Bild empfangen, einst im Licht Deines ewigen Reichs, jetzt in der Übung des Glaubens, der Dein Wort bewahrt. So wollest Du mir in Deiner Gnade geben, dass Dein Name in meinem Munde nicht unkräftig und Dein Bild in meinem Leben nicht verdunkelt sei. Amen.

16. Juni

Darnach war Samgar, der Sohn Anaths; der schlug sechshundert Philister mit einem Ochsenstecken und auch er erlöste Israel. Richter 3,31

Keine farbige Erinnerung an Samgar und seinen Kampf mit den Philistern lebte in Israel fort, und doch blieb er unvergessen. Denn es prägte sich dem Volk unvergänglich ein, dass er keine Waffen hatte, nichts als den Stecken, der vorn eine Spitze hatte, mit dem er die den Pflug ziehenden Rinder leitete. Ohne Waffen gewann er den Sieg; das vergaß Israel nicht. Gott ist stark auch ohne Waffen und gibt dem, dem er gnädig ist, den Sieg, auch wenn er nichts als einen Ochsenstecken hat. Durch die Erinnerungen an David wurde dieselbe Überzeugung im Volk befestigt. Sauls Waffenrüstung taugte für den jungen David nichts. Er trat vor den schwer bewaffneten Philister nur mit seiner Schleuder und war in diesem ungleichen Kampf der Sieger. Diese Erkenntnis hat Israel damals empfangen, als Mose das Volk führte, verfolgt vom ägyptischen Heer in seiner vollen Rüstung, während Mose nichts trug als seinen Stab, und mit diesem Stab schlug er das Meer und führte das Volk in die Freiheit. Auch dieser Teil der Schrift lebt in Jesus fort und leuchtet über seinem Kreuz. Als er zum letzten Kampf nach Jerusalem zog, war er waffenlos, und die Schar, die er führte, war ohne Waffen. Ihre Waffe war ihr jubelndes Gebet, ihr Hosianna, das nach Gottes Hilfe verlangte für den, der in seinem Namen kam. Gott war ihr Schild. So führt auch die Christenheit ihren Kampf ohne Waffen, nicht nur ohne Schwert und Gewehr, sondern auch ohne jene Methoden des Angriffs, die noch tiefer verwunden als ein Schuss, ohne Bosheiten, ohne Verspottung des anderen, ohne Enthüllung seiner Schwächen, ohne Verleumdung und Verdammung. Wer in der Christenheit solche Waffen braucht, verwundet sich selbst und schwächt die Kirche. Ergreift das Schwert des Geistes, sagte Paulus, welches das Wort Gottes ist. Dieses schlägt aber keine vergifteten, eiternden Wunden. Damit vollendet sich in der Christenheit das, was Israel an seinen Helden sah, die mit dem Ochsenstecken und der Hirtenschleuder vor den Philistern standen, auf Gottes Kraft gestützt.

Ich will, Herr Christus, an Deine Verheißung glauben, die Deiner Schar als ihren Anwalt und Beschützer den Geist der Wahrheit versprochen hat. Der Geist der Wahrheit, einzig er, hat die Macht, die Welt zu überführen, und der verleiht uns, dass wir den Kampf, in den wir hineingestellt sind, im Frieden führen. Amen.

17. Juni

Es sei denn eure Gerechtigkeit besser denn der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. Matthäus 5,20

Spricht hier Jesus wirklich das Todesurteil über die ganze pharisäische Schar? Schließt er sie alle von seinem Reich aus? Wäre das sein Wille, so müsste die Christenheit tief erbeben. Denn die Antwort auf die Frage, ob ihr Gottesdienst höher stehe als die pharisäische Frömmigkeit, ist nicht leicht zu finden. Es gibt auch unter uns viele, deren Anteil an der Kirche darin besteht, dass sie „die religiösen Pflichten“ erfüllen, viele, die nur durch die Sitte der Gemeinde zusammenhängen, die Taufe begehren, weil die Sitte es verlangt, und am Grabe beten lassen, weil es üblich ist. Auch bei uns haben manche gelernt, was Frömmigkeit sei, und wissen dies auch darzustellen, bleiben aber inwendig zerrissen und legen die christliche Tracht über ihren inneren Jammer, und für manche besteht ihr Christenstand in ihrer Theologie, sie sei überliefert oder selbst erworben, nach der pharisäischen Weise: Du lehrst die anderen, aber dich selber nicht. Soll über diesen allen das Urteil Jesu stehen: ihr kommt nicht in das Himmelreich hinein, so drängte es auf unsere Lippe die bange Frage, die einst die Jünger aus ihrem erschütterten Herzen hervorstießen: Wer kann dann selig werden? Aber vom Schicksal der Pharisäer spricht Jesus in diesem Wort nicht, sondern vom Schicksal seiner Jünger. Ihr, sagt Er, müsst etwas anderes sein als die, die in der Schule fromm sein lernten, ihr etwas anderes als die, die nur der Ritus bei der Gemeinde erhält, ihr etwas anderes als die, die nur das Gesetz kennen und es eifrig einüben, weil es ihnen zum Verdienst vor Gott verhilft. Ihr meine Jünger, kommt so nicht in Gottes Reich hinein. Ihr habt anderes empfangen und darum auch eine heiligere und herrlichere Pflicht. Ihr habt an mir den Sohn Gottes gesehen und das bedeutet: ihr habt Gottes Gnade geschaut, die den Glauben schafft und das Herz durch den Glauben reinigt und die Liebe gibt. Ihr dürft nicht sagen: so war es immer in Israel üblich gewesen und so hat es der Meister in der Schule befohlen. Ihr habt auf mich zu hören, nicht auf das, was zu den Alten gesagt wurde, sondern auf das, was ich euch sage, und werdet nicht ins Himmelreich kommen, wenn ihr nicht eine bessere Gerechtigkeit habt als die, die auch die anderen haben. Mit ihrem eigenen Schicksal hat Jesus seine Jünger beschäftigt und ihnen den Ernst ihrer Lage enthüllt, in die sie als die Seinen, als die zum Himmelreich Geladenen, versetzt worden sind.

In Deinem Wort und Willen, Herr Christus, sind die Gnade und die Gerechtigkeit vereint. Das von dir gegebene Pfund soll sich mehren und die von dir ausgestreute Saat reifen. Deine Gerechtigkeit, mit der Du die anderen richten wirst, ist Dein Geheimnis; wird es offenbar, so zeigt es Dich in Deiner ganzen Majestät. Dein Wort heißt mich achthaben auf mich selbst und treu sein in dem, was Du mir gabst. Das ist mein Verlangen und mein Gebet. Amen.

18. Juni

Wer den Sünder bekehrt hat von dem Irrtum seines Weges, der wird seiner Seele vom Tode helfen und wird bedecken die Menge der Sünden. Jakobus 5,20

Heilsgewißheit, Gewißheit der Vergebung der Sünden und des ewigen Lebens, ist eine große Gabe. Du kannst sie haben, sagt Jakobus, ich zeige dir, wie der Tod für dich vergeht und die Menge der Sünden bedeckt wird. Dort ist der Bruder; er irrt. Ratlos stürmt er durch das Leben. Ihm leuchtet keine Wahrheit und nichts schützt ihn vor tiefem Fall. Hole ihn zurück auf Gottes Weg. Mache ihn frei von dem, was ihn blendet, und löse seine Fesseln. Er ist in Gefahr, rette ihn und dann sei gewiss: du hast deine Seele vom Tod errettet und die Menge deiner Sünde ist bedeckt. Gott lässt den nicht sterben, der den anderen vom Tod rettet, und rechnet dem die Sünden nicht an, der den anderen vom Sündigen befreit. Ist dieser Weg nicht schwer und ungewiss? Wird es mir möglich sein, einem anderen zu helfen, und weiß ich, ob ihm wirklich geholfen ist? Ich hätte lieber, dass Jakobus mich tröstete, statt dass er mich zum Dienst beruft. Finde ich nicht das, was Jakobus mir verspricht, auch schon im Sakrament, in der Beichte, die mir die Vergebung verkündigt, in der Taufe, die mich unter die Versöhnung bringt, die Jesus uns erworben hat, im Abendmahl, bei dem uns Jesus Gottes Vergeben schenkt? Gewiss bedarf ich die Sakramente, die mir Gottes gnädigen Willen zeigen. Hätte Jakobus sie nicht gekannt, woher nähme er dann die Verheißung: er wird die Menge der Sünden bedecken? Sicherlich brauche ich Trost; denn Schuld schmerzt und Sünde macht leiden und dem, der leidet, ist der Trost süß. Allein solch banges Fragen und Zweifeln ist doch nur das Zucken meines kranken Herzens. Jesus hat mir sein Sakrament nicht dazu gegeben, damit es ohne Frucht und Wirkung sei, und es bleibt ohne seine heilsame Wirkung, wenn ich aus ihm nur Trost für mich gewinne, der mich labt. Wie kann ich am irrenden und sündigenden Bruder achtlos vorübergehen, wenn ich weiß, was Jesus für uns hingegeben hat, und erfasse, wozu er sein Kreuz trug? Wenn mich sein Sakrament unbarmherzig macht, habe ich es missbraucht. Sieh doch die Menschen um dich her an; sind sie nicht Irrende und Sterbende? Damit ich ihnen die Gnade Jesu zeige, dazu hat er sie mir gezeigt. Wenn ich aber das kann und die Kraft habe, ihnen Gottes Gnade so sichtbar zu machen, dass sie ihnen fasslich wird, dann ist sie auch mein Besitz.

Ich könnte, Herr Gott, nicht so groß von dem denken, was Du mir anvertraut hast, wenn es nicht Dein Wort mir sagte. Ohne den starken Ruf Deines Wortes bliebe ich an mir selber hängen und dächte einzig an meine Not und an mein Heil. Nun aber legt mir Dein Wort die Bitte in die Seele: gebrauche mich nach dem Willen Deiner Gnade für die, die im Dunkeln sind. Amen.

19. Juni

Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz. Prüfe mich und erfahre, wie ich es meine, und sieh, ob ich auf bösem Wege bin und leite mich auf ewigem Wege. Psalm 139,23+24

Diese Bitte sprach der Psalmist in der Gewissheit, dass sie erhört sei; denn er beginnt mit den Worten: „Herr, du erforschest mich und kennest mich“, und er preist den Blick Gottes, der ihn in allen seinen Lagen begleitet und auch dann über ihm war, als ihn noch kein menschliches Auge sah, schon damals, als er im Mutterschoß bereitet wurde. Indem er aber um das bittet, was Gott tut, macht er aus dem, was Gott tut, sein eigenes Verlangen und bekennt sich mit entschlossenem Willen dazu, dass er als der stets und völlig von Gott Gekannte sein Leben führt. Es ergibt einen großen Unterschied, ob wir das, was Gott ist und tut, nur wissen oder ob wir uns mit Willen und Liebe dazu bekennen und uns mit ihm einigen. Die Gewissheit, dass wir von Gott gekannt sind, kann das Sträuben in uns erwecken, das sich ihm entziehen möchte. Wir wissen zwar, dass dieses Sträuben Torheit ist, weil es keinen Erfolg haben kann, und doch zwingt uns die Furcht vor Gott dazu, diese Erkenntnis von uns abzuschütteln. Das ist jener Kampf gegen die Wahrheit, von dem Paulus gesagt hat, er bringe Gottes Zorn auf uns herab. Anders macht es der Psalmist mit der ihm geschenkten Erkenntnis, dass nichts in ihm vor Gott verborgen ist. Er verdrängt sie nicht, sondern macht sie zu seinem Begehren und begründet mit ihr seine Bitte: Herr, erforsche mich; das ist mein Heil, dass dein Licht mich durchleuchtet und dein Urteil mir vernehmlich wird. Jede Bitte hat das Geständnis unseres eigenen Unvermögens in sich, und dies gilt auch von diesem Gebet. Wie kann ich mich selbst erkennen, mich selbst erforschen? Ich bleibe für mich ein Geheimnis, das ich nicht aufschließen kann. Vor dir sind aber alle Wurzeln meines Lebens aufgedeckt. Schuld und Unschuld, was ich sollte und was ich konnte, was die anderen aus mir machten und was ich selbst aus mir machte, alles liegt klar vor dir. Unser Unvermögen, uns richtig zu beurteilen, kann uns schwer ängstigen; aber was uns ängstigt, wird uns dadurch zum Segen, dass es uns zu Gott hintreibt. Über unserer Unwissenheit steht sein göttlich klares Wissen und über unserem schwankenden Urteil, das uns heute Zuversicht gibt und morgen uns anklagt, sein unfehlbares Gericht, das ohne Trübung der Wahrheit dient. Der im Glauben an Gott gerichteten Bitte wird auch die Erhörung nicht versagt. Gottes Urteil über das, was wir sind und tun, bleibt uns nicht verborgen. Sein Gericht enthüllt, was wir verstecken, und seine Gnade gibt uns durch seinen Geist das Zeugnis, dass wir Gottes Kinder sind.

Mit dem Psalmisten betet Deine ganze Schar: Herr, erforsche mich. Sie haben es alle gelernt, die Wahrheit lieb zu haben, weil Du, Herr Christus, unser Weg bist, der Du die Wahrheit bist. Mein Schutz gegen alles, was mich blendet und mich über mich täuscht, bist Du, Herr, allein. Amen.

20. Juni

Wo soll ich hingehen vor deinem Geist und wo soll ich hinfliehen vor deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist du da. Bettete ich mich in die Hölle, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde mich doch deine Hand daselbst führen und deine Rechte mich halten. Psalm 139,7–10

Auf der Flucht vor Gott sind wir Menschen alle. Der eine flieht hinein in das Gewimmel der Menschen, in den Tumult der Wirtschaft und des Staats, um im Erwerben und Genießen Gott zu vergessen. Ein anderer flüchtet sich zur Natur, um zu singen, wie der Vogel singt, der in den Zweigen wohnt, und um zu rauben, wie das Raubtier raubt, das seinen Hunger füllt. Ein dritter flieht in das Gemach des Denkers, der sich aus seinen Gedanken eine eigene Welt aufbaut, oder in die Zelle des Büßers, der seine Frömmigkeit als seine Decke über sich sieht. Ihnen allen sagt der Psalmist, was sie gewinnen: und wenn ich wie das Morgenrot mich über die weiteste Ferne schwänge, so bliebe ich von deiner Hand gefasst. Wohin soll ich denn fliehen, wenn es mir bange ist vor Gott? Zu ihm. Das ist die einzige Flucht vor Gott, die uns rettet. Mit all dem, womit uns Gott erschreckt, lockt er uns zu ihm. Die unabänderliche Festigkeit der Natur, die uns so oft weh tut, verwirrt und erschreckt uns. Sieh, sagt mir Gott, wie fest meine Ordnung ist; du beugst sie nicht; unterwirf dich mir und traue mir. Sein Gebot erschreckt uns, das unsern Willen verwerflich heißt, und wer steht nicht unter seinem verdammenden Spruch? Sieh, sagt mir Gott, ich bin das Gute und darum dem Bösen feind; nun weißt du, dass du meiner Güte trauen sollst. Siehst du an deiner Bosheit, dass ihr Lohn Tod ist, so weißt du, was dir der gibt, dessen Güte Wahrheit ist in Ewigkeit. Führt uns unser Weg zum Kreuz, so überfällt uns ein tiefes Erschrecken. Ist das Gottes Wahrzeichen, dies die Erscheinung seiner Liebe? Gibt es denn keine Versöhntheit mit Gott als durch den Tod seines Sohnes, und keinen Weg ins Leben als das Auferstehen? Damit lockt uns aber Gott zu sich. Sieh, sagt er mir, auf dieses von mir errichtete Kreuz; da siehst du den, der dich tot für deine Sünde macht. Hast du ihn nicht nötig? Und hier siehst du den, der dich ins Leben führt; willst du nicht nach dem Leben streben? Fleisch und Blut erlangen es nicht. Es ist die Gabe dessen, der gestorben und auferstanden ist. Flieh nicht von ihm weg; flieh zu ihm; flieh zu mir.

Vor dir, heiliger und ewiger Gott, fliehe ich, weil ich vor mir fliehe. Vor dem, was ich bin und mache, kann ich mich nur so retten, dass ich mich zu Dir flüchte, und ich darf mich zu Dir flüchten; denn Du bist unsere Zuflucht für und für. Amen.

21. Juni

Denn du hast meine Nieren in deiner Gewalt; du warst über mir im Mutterleib. Es war dir mein Gebein nicht verhohlen, da ich im Verborgenen gemacht ward, da ich gebildet ward unten in der Erde. Psalm 139,13.15

Wir bringen viel aus dem Mutterschoß mit. Was wir hernach in eigener Kraft erwerben, ist wenig neben dem, was uns mitgegeben wird, und jeder eigene Erwerb wird uns nur durch das möglich, was von Anfang an uns verliehen war. Verletzt das meinen Stolz? Das wäre ein Zeichen, wie gottlos ich mich selbst in die Höhe strecke und in mir den suche, den ich verehren möchte. Nur so kommt es zu dem wahnsinnigen Gedanken, dass nur das ein wertvolles und richtiges Eigentum sei, was ich mir selber erworben habe. Um zu erwerben, brauche ich ein Kapital. Das gilt nicht nur vom Ertrag der natürlichen Arbeit, sondern auch vom inwendigen Bilden und Erwerben. Wo nichts ist, wird nichts, und wer hat, erwirbt. Das ist Gottes Ordnung, die uns sichtbar macht, dass wir von dem leben, was Gott uns gab. Für das erleuchtete Auge des Psalmisten haftet am Zusammenhang seines Lebens mit dem, was vor seinem Bewusstsein und vor seiner Entschließung lag, nichts Schreckliches. Denn Gottes Wirken vollzog sich durch das, was seine Eltern ihm mitgaben. Hat er recht? Bringen wir nicht aus dem Mutterschoß die schweren Lasten mit heraus, die uns zeitlebens quälen? Wie bitter kann uns Ererbtes demütigen, das wir nicht von uns wegbringen, eben weil es ererbt und schon im Mutterschoß entstanden ist! Nie ist das uns gegebene Erbe nur Kraft; immer ist auch Schwächung dabei. Dennoch erschrickt der Psalmist vor dem Erbgang nicht; denn du, sagt er, warst dabei. Ich bekam meine Gestaltung nicht ohne dich. Ist dies ein Trost oder wird etwa die ererbte Last dadurch erst recht schwer? Habe ich nun nicht das Recht, nicht bloß die Natur zu schelten, sondern auch Gott, der den natürlichen Vorgang in seinen Händen hält? Gott schelten! Wollte ich das, so wäre es Wahnsinn und Gottlosigkeit. Der Töpfer macht das Gefäß nach seinem eigenen Willen, und dies ist ein starker, voll tröstender Trost, dass ich auch vom Erbgang mit allen seinen Folgen weiß, dass er nach Gottes Willen vor sich geht. Jede Last wird leicht, wenn ich sie aus Gottes Hand empfange.

Was Du gibst, Herr Gott, das nehme ich. Ist es Kraft, so dient sie mir. Ist es Schwachheit, so preist sie Dich, weil Du durch Deine Kraft auch Dein schwaches Kind bewahrst. Ich kann an mir nicht teilen, was ich ererbt und was ich erworben habe; denn die Wurzeln meines Lebens sind in einer Tiefe verborgen, die Du allein kennst. Was ich wissen muss, ist das Eine: Du kennst mich. Das ist mein Trost. Amen.

22. Juni

Ihr wisset selbst, dass mir diese Hände zu meiner Notdurft und derer, die mit mir gewesen sind, gedient haben. Ich habe es euch allen gezeigt, dass man also arbeiten müsse und die Schwachen aufnehmen und gedenken an das Wort des Herrn Jesu, das er gesagt hat: „geben ist seliger denn nehmen.“ Apostelgeschichte 20, 34+35

Keiner hat die Arbeit so wirksam geehrt wie Paulus, der mit dem höchsten Amt begnadet war und an dieses in herrlicher Stärke seine ganze Liebe wandte. Dennoch blieb er der Handarbeiter, mitten unter den Griechen, die es für das Merkmal des Freien hielten, dass er müßig sei und die Arbeit auf die Schultern der Rechtlosen lege, mitten in der großen Schar, die er zu Gott berufen hat, deren dankbare Liebe ihm gern alles gab, was er brauchte und die es fast als Kränkung empfand, dass er ihre Gaben zurückwies, obwohl er auf seinem Weg die Lebensmittel nur kärglich fand. Weil die Arbeit den größeren Teil unseres Lebens füllt, wollen wir uns daran freuen, dass wir dadurch an der Seite des Paulus stehen. Ihr müsst arbeiten, sagte er der Christenheit; denn die natürliche Ordnung lässt unsere Lebensmittel aus unserer Arbeit entstehen, und ein Riss durch das, was natürliche Ordnung ist, ist keinem erlaubt, auch nicht der Christenheit, auch nicht denen, die den Beruf haben, die Gegenwart des heiligen Geistes in ihrem Wirken aufzuzeigen. Ich nahm mich, sagt er weiter, weil ich arbeitete, der Schwachen an. Im griechischen Aufbau des Volks war nur die untere Schicht die Arbeitenden. Daher waren alle, die arbeiteten, „Schwache“, ohne Besitz und ohne Einfluss und ohne Ehre. Darum gesellte sich Paulus zu ihnen und wurde mit den Schwachen schwach. Indem er in ihre Reihe trat, nahm er die Verachtung von ihnen weg. Ich habe, sagt er, euch das Wort des Herrn deutlich gemacht: nicht nehmen, sondern geben! Dadurch gibt Paulus seinem arbeitssamen Leben göttlichen Glanz. Denn geben ist Gottes Art. Zugleich zeigt er uns, was unser Arbeiten und Erwerben für uns heilsam macht. Es wird uns zum Verderben, wenn es nur zum Nehmen führt, dagegen heilsam, wenn es uns zum Geben fähig macht.

Alle unsere Gedanken bedürfen der Erneuerung, auch die, die wir uns über unsere Arbeit und unseren Besitz machen; denn was jedermann tut, hat das Merkmal dieser Welt an sich, aus der du, Herr Christus, uns herausgeholt hast, und der wir uns nicht anpassen dürfen, weil wir mit Dir Deinen Weg gehen und nicht den der Welt. Amen.

23. Juni

Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich mit Purpur und köstlicher Leinwand. Es war aber ein Armer mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voller Schwären. Lukas 15,19+20

Das Bild, das uns Jesus zeigt, ist schrecklich, gerade deshalb, weil er bei der Beschreibung des Reichen jeden grellen, hässlichen Zug vermieden hat. Er beschreibt ihn nicht als harten Wucherer oder als mit Dirnen schmausend. Seine Kunst besteht darin, dass er sich aus jedem Tag ein Fest zu machen weiß und die Bedeutung seiner Person zur Geltung bringt, auch im kostbaren Gewand mit seiner farbigen Pracht. und unmittelbar vor seinem behaglichen Heim, in dem jeder Tag zum Festtag wird, liegt menschliches Elend in nackter Schrecklichkeit. Wie sollte ich den Zorn Jesu nicht verstehen? Heißt er es Sünde, reich zu sein? So reich zu sein, heißt er freilich eine den Reichen verderbende Sünde, und sie ist es auch. Was wird an einem solchen Menschen Göttliches sichtbar? Nichts als Gottes Geduld, die ihn durch Güte zur Buße leiten will, doch umsonst. Blindheit wird hier sichtbar, die nichts kennt als das eigene ICH und seine Wünsche. Hier ist jeder Strahl der göttlichen Wahrheit erloschen und der purpurne Mantel zur Decke geworden, die das Auge völlig blendet. Härte macht sich hier breit, die das Leben des anderen als gleichgültig zerstört. Das ist nicht Gottes Art. Dieses Leben fällt unter das hart klingende und doch so wahre Wort des Paulus: sein Gott war sein Bauch. Wie können wir an Jesus glauben, wenn Er hier nicht zürnte, wie Ihn ehren, wenn Er hier nicht richtete? Aber auch indem er richtet, bleibt er der Zeuge der göttlichen Güte. „Dein Gutes hast du empfangen in deinem Leben“, so lautet der Urteilsspruch, an dem das Flehen des Reichen scheitert. Dir ward Gutes gegeben; du aber hast aus dem Guten, das du empfangen hast, das Böse gemacht, und was dir zum Leben gegeben ward, in Tod verwandelt.

Barmherziger Gott, ich und nicht ich allein, sondern unser Volk bedarf den Schutz gegen das Verderben, das unser Besitz uns bereitet. An Gütern fehlt es uns nicht; aber wir töten uns mit ihnen. Denn wir vergessen Dich. So wird aus dem, was Deine Güte unserem Volke gab, unsere Schuld. Gib uns Dein weckendes und heilendes Wort in Kraft. Kein Name ist uns zum Heil gegeben als der Deine, der uns über unseren Besitz hinauf in die Freiheit führt. Amen.

24. Juni

Vergib uns unsere Schulden, wie wir unseren Schuldigern vergeben. Matthäus 6,12

Jesus hat seinen Jüngern ein großes Vertrauen erwiesen, als er ihnen das Wort in den Mund legte: „wir haben unseren Schuldnern vergeben“. Denn die Schulden, die ihr Volk ihnen gegenüber anhäufte, wurden riesengroß. Verdächtigung, Hohn, Gewalttaten begleiteten sie bei jedem Schritt. Es war wahrhaftig nichts Geringes, dass die Jünger als die, die vergeben haben, aus jenem Synedrium weggingen, das ihnen die vierzig Streiche gab und ihnen damit das Schandmal anhängte, das sie als die Ungehorsamen kennzeichnete. Jesus war aber seiner Jünger Gewiss; sie können vergeben. Könnten sie es nicht, so wären sie nicht sein. Wie stimmt nun aber dazu die Bitte: Vergib uns unsere Schulden? Wenn sie vergeben können und zum Hassen unfähig geworden sind, sind sie dann nicht, wie Johannes sagt, aus dem Tod ins Leben hinübergeschritten und nicht mehr imstande, zu sündigen? Wie aber die Notwendigkeit und Fähigkeit, zu vergeben, aus der Lage der Jünger entstand, so sieht auch die Bitte um die Aufhebung ihrer Schulden auf das, was ihnen ihre Jüngerschaft bringen wird. Weil sie sonderlich begnadigt und zu Großem berufen sind, entstehen auch innerhalb ihrer Wirksamkeit die großen Schulden, da sie hinter dem zurückbleiben, was ihr Dienst von ihnen fordert, und von Unverstand und Eigenliebe gehindert werden, jedem das zu geben, was sie ihm schulden, weil er es von ihnen als den Jüngern Jesu empfangen soll. Jesus hat nicht erwartet, dass sie seinem Befehl vollständig genügen, ohne Versäumnisse und ohne Fehltritte, in immer wacher Liebe, die jedem dient. Er will, dass ihr Versagen als Schuld von ihnen erkannt und anerkannt werde, hat ihnen aber zugleich die Zusage gegeben, dass ihre Schulden nicht von ihnen eingetrieben und nicht unter die göttliche Rechtsverwaltung gestellt werden, die an ihrem Schwanken und Fallen Vergeltung übte. Sie sind von Gott gesandt, weil er verzeiht, um Israel seine Vergebung anzubieten, und werden sie auch selbst für alles empfangen, was der Vergeltung bedarf. Ohne diese Bitte gäbe es keine Möglichkeit, im Dienst Jesu zu arbeiten. Wir können nur deshalb zu ihm willig sein, weil wir bitten dürfen: vergib uns unsere Schulden, und diese Bitte ist uns vollends unentbehrlich, wenn wir hochbegabt und reich begnadet sin.

Mein Verkehr mit den anderen, Vater, bringt mir nicht nur das Gelingen, sondern auch das Versagen, nicht nur das fruchtbare, sondern auch das strauchelnde Wort, nicht nur den wachen, sondern auch den müden, stumpfen Blick. Ich bedarf wie die Deinen alle der von dir uns gegebenen Ermächtigung, die uns die Bitte schenkt: Vergib mir meine Schulden, und will Deines Worts gedenken, das uns sagt, dass wir im Glauben bitten sollen. Amen.

25. Juni

Unser Wissen ist Stückwerk und unser Weissagen ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und war klug wie ein Kind und hatte kindische Anschläge. Da ich aber ein Mann ward, tat ich ab, was kindisch war. 1. Korinther 13,9–11

Gibt es ein einziges Wort Jesu, das ich ganz richtig und vollständig verstanden habe? Das gibt es nicht und kann es nicht geben. Gibt es in meinen Gedanken über die Natur, über die Weltgeschichte, über die gegenwärtigen Zustände unseres Volks und unserer Kirche, über mich selbst und meinen eigenen Zustand, einen Gedanken, der ganz richtig und völlig wahr wäre? Das gibt es nicht und kann es nicht geben. Es gibt keine Erkenntnis, die bleibt. Was war doch Paulus für ein wunderbar begnadeter Lehrer gerade auch in diesem Wort, mit dem er die verwelkende Vergänglichkeit aller unserer Gedanken ausgesprochen hat! Warum gibt es keine vollständige Erkenntnis, nicht einmal dann, wenn sie zur Weissagung wird, also mit der inneren Ermächtigung verbunden ist, dieses Wort im Namen Gottes zu sagen? Weil ich, der Erkennende, nicht vollkommen bin. Warum denkt ein Kind nicht wie ein Mann? Weil es ein Kind ist und erst dann wie ein Mann denken kann, wenn es ein Mann geworden ist. So kann auch ich erst dann Vollkommenes denken, wenn ich vollendet worden bin. Ich bin aber noch unfertig, nicht am Ziel, sondern unterwegs, und darum ist mein geistiger Besitz provisorisch und mir für die jetzige Stunde gegeben. Zwar ist mir Großes geschenkt, was ich nicht vergeuden darf; es ist mir aber bis auf die Zeit gegeben, in der mir noch Größeres geschenkt werden wird. Soll ich deshalb schweigen, weil ich nichts Vollkommenes sage? Damit würde ich Gottes Gabe missachten. Ich bin nicht allein das Kind, während die anderen die Vollkommenen sind. Wir wandern Hand in Hand und handeln gegen Gottes guten Willen, wenn wir stumm nebeneinander wandern. Das Wort ist uns gegeben, damit es von einem zum andern ströme, weil jeder dem andern mit seinem Besitz dienen soll. Dies aber ist uns unmöglich geworden, wenn wir auf Paulus hören, da wir eigensinnig unsere Gedanken zanken und sie den anderen herrisch aufzwingen. Sind wir nicht am Ziel, sondern auf der Wanderung, so bedeutet dies: auch das, was wir denken und wissen, ist bewegt und muss beweglich bleiben, nach beiden Seiten hin, so, dass wir lernen, und so, dass wir verlernen.

Du bist nicht der Gott der Weisen, sondern der Gott der Glaubenden und machst nicht unsere Gedanken zu unserer Gerechtigkeit, sondern unseren Glauben. Ich danke Dir für jede Erkenntnis, die Du mir geschenkt hast, und danke Dir, dass das, was ich erfasst habe, nicht Deine letzte und höchste Gabe ist, weil Du uns zu jenem Tag bereitest, an dem wir erkennen von Angesicht zu Angesicht. Amen.

26. Juni

Nun aber bleibet Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. 1. Korinther 13,13

Diese drei bleiben, nur diese drei. Die Erkenntnis bleibt nicht. Kann ich denn glauben, ohne dass Gewissheit in mir ist? Geschieht nicht das Glauben dadurch, dass ich das, was sich mir zeigt, als Wahrheit erfasse, und ist die Wahrheit nicht gestern, heut und in Ewigkeit wahr? Den, dem ich glaube, behandle ich als Wirklichkeit. Wer an die Natur glaubt, sagt, dass die natürlichen Vorgänge, die ihn berühren, die wirksamen Mächte seien, die sein Erleben bestimmen. Dagegen sagt er damit nicht, dass seine Vorstellungen und Deutungen der natürlichen Vorgänge vollkommen und unwandelbar seien, sondern weiß sehr wohl, dass jeder Vorgang ein unergründliches Geheimnis bleibt. Ich glaube an Jesus; das heißt, ich sehe in seiner irdischen Geschichte und in seiner gottheitlichen Gegenwart die wirksame Macht, die mich erfasst Deshalb sind aber meine Gedanken über Jesus und sein Wirken nicht von jeder Beschränkung und Beengung frei. Ich glaube an Gott, das heißt, ich weiß mich von seinem Willen regiert und von seinem Wirken umfasst, sage aber nicht, dass meine Gedanken so hell und reich wären, dass er für mich aufhörte, der verborgene Gott zu sein. Von unserem Anschluss an Jesus, den wir im Glauben herstellen, hat Paulus gesagt, er bleibe, weil durch den Glauben zwischen mir und ihm ein Band geschaffen ist, das nicht zerreißt. Dasselbe hat er von unserem Hoffen gesagt, weil unserem Leben damit die Bewegung gegeben ist, die uns bis zum Ziele trägt. Aber auch das Dritte, auch die Liebe bleibt, obwohl das, was sie schafft, dem Bedürfnis des heutigen Tages dient und sich darum beständig wandelt, wie unsere Verhältnisse sich ändern. Dennoch bleibt die Liebe, weil sie Gottes Willen tut, und was eins mit Gott geworden ist, das hat Bestand und unvergängliche Wirkung, die beide reich macht, den, der in der Liebe handelt, und den, dem er sie gibt. Wir haben beide durch die Liebe etwas empfangen, was der Zeit überlegen ist. Denn indem sie unseren Willen mit Gottes Willen einigt, stiftet sie zwischen uns eine Gemeinschaft, die nicht vergeht.

Du bleibst für und für, ewiger Gott. Darum bleibt Dein Werk in mir. Denn mein Glauben führt zum Schauen und mein Hoffen zum Empfangen und meine Liebe wird von jeder Hemmung frei. Amen.

27. Juni

Der Jüngere unter ihnen sprach zum Vater: „Gib mir, Vater, das Teil der Güter, das mir gehört.“ Lukas 15,12

Was ist Sünde? Das, was dieser Sohn hier tat. Mir gehört, was du besitzest, sagt er zum Vater, wenn auch nicht dein ganzer Besitz, so doch der mir gebührende Teil. Ich will ihn haben, selbst über ihn verfügen und ihn brauchen, wie es mir gefällt. Und als er das Gut seines Vaters an sich genommen hatte, ging er weg in ein fernes Land. Am Guten entsteht das Böse, an Gottes Gabe. Wir können nur deshalb sündigen, weil uns Gottes Gnade mit ihren reichen Gaben beschenkt hat. Weil uns Gott durch die Natur begabt, gibt es Versündigungen im natürlichen Bereich unseres Lebens. Weil uns unser Leib mit seinen wunderbaren Kräften gegeben ist, können wir ihn missbrauchen, und es gibt nur deshalb Unzucht, weil unser Leib das Geheimnis der Vater- und Mutterschaft in sich trägt. Weil uns unsere inwendigen Vermögen, unser Denkvermögen und unsere Willenskraft, gegeben sind, sind wir imstande, verwerfliche Gedanken hervorzubringen und Ungerechtes zu begehen. Da uns schon die Natur die Erinnerung an Gott gewährt, können wir närrische Religionen erzeugen oder auch Gottlosigkeit zustandebringen, die Gott missachtet. Wir können auch von denjenigen Gaben, die uns Jesus verleiht, sagen: Gib sie mir, ich brauche sie nach meiner Lust. Weil die Vergebung unserer Sünden uns geschenkt ist, können wir uns die Busse ersparen und mit uns zufrieden sein. Weil uns Gottes Gesetz gezeigt ist, können wir es dazu missbrauchen, um die anderen zu richten. Weil uns Gottes Geist bewegt, können wir uns zu stolzer Hoffart aufrichten, die nichts anderes als unsere Meinungen und Wünsche gelten lässt. Darum gewinnen wir die Erkenntnis der Sünde nicht dadurch, dass wir unser Elend betrachten. Damit suchen wir die Sünde nicht da, wo sie ist. Denn aus der missbrauchten und vergeudeten Gabe entsteht die Schuld.

Du stellst, Herr, unser Sündigen in Dein Licht, weil Du gnädig bist. Dass wir es erkennen, ist der Anfang unseres Heils, und dass wir von ihm frei werden, ist Dein seliges Werk. Du hast mich mit Deiner ganzen Christenheit reich gemacht durch die Güter Deines Hauses. Nun gib mir auch, dass das, was Dein ist, Dir diene, nicht mir, und Deinen Namen preise, nicht den meinen. Amen.

28. Juni

Fürchtet Hiob Gott umsonst? Hiob 1,9

Was dürfte ich wohl sagen, wenn diese Frage ernsthaft an mich gestellt würde? Beantworten kann sie keiner, bevor ihn die Versuchung geschüttelt hat und er in jenem Siebe lag, von dem Jesus zu Petrus sprach, als er ihn für die Nacht, in der er stürzte, vorbereitete. Gottes Güte hat unsere Herzen mit Speise und Freude gefüllt und sein Geist hat in sie sein süßes Wort mit seiner Freude gelegt und macht unseren Anteil an Gott zu unserem Glück. Wer kann sagen, was er ist, wenn alles, was ihn erquickt, zerbrochen ist? Das ist aber klar: aller Stolz vergeht vor dieser Frage. Sie macht uns deutlich, wie gnädig und weise Gott dadurch an uns gehandelt hat, dass er unsere Gerechtigkeit nicht in das setzte, was wir tun, sondern in das, was Er uns gibt, und unser Leben nicht auf unser Werk begründete, sondern auf sein Werk, an das wir im Glauben angeschlossen sind. Müssten wir uns Ruhm erwerben, so würde er immer verstummen, wenn die Frage des Verklägers an uns gerichtet wird: suchst du nicht das Deine? Wo liegt dein Ziel, in dem, was dir zuteil wird, oder in dem, was Gottes ist? Darum treibt uns die Frage des Satans zu Jesus, zum Einen, dem wir es glauben dürfen: er diente Gott umsonst. Darum beugen wir uns vor dem, der in Gethsemane betete: „Nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ Das war jene Liebe, die nicht das Ihre sucht, jener Gehorsam, der nicht des eigenen Glückes wegen nach Gottes Willen fragt, jene Verherrlichung Gottes, die nichts begehrt, als dass Gott verklärt werde. In diesem Gehorsam sind wir gerechtfertigt, nicht in dem, was wir selber sind und tun.

Du weißt, Herr, alle Dinge; Du weißt, dass ich Dich lieb habe, auch wenn es nur eine kümmerliche, kranke und beschmutzte Liebe ist. Ich kann die Kette nicht lösen, die die Natur uns allen anlegt. Du aber hast sie zerbrochen. Darum haben wir durch Dich den Zugang zur Gnade, in der wir stehen und empfangen unser Kindesrecht vor Gott als Deines Todes Frucht. Amen.

29. Juni

Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedeckt ist. Psalm 32,1

Schuld, die nicht vergeben ist, ist Pein und fressendes Gift. Alles wird durch sie zerstört. Ich kann nicht glauben, wenn die unvergebene Schuld auf mir liegt. Ich kann nicht beten; denn sie steht zwischen mir und Gott. Ich kann nicht lieben; denn die Schuld sperrt mich in mich selbst hinein und zwingt mich zur Betrachtung meiner eigenen Not. Ich kann nicht arbeiten; wie sollte ich fähig sein, etwas Gutes zu wirken, während ich Sünder bin? Das ganze Leben stockt. Alles wird welk, kalt und zerdrückt unter der Last der unvergebenen Schuld. Darum sage ich mit dem Psalmisten: Wohl dem Menschen, dem die Sünde vergeben ist. Das ist die Hilfe, die alles erneuert, was in mir ist. Wie vergibt mir Gott? Er allein vergibt; ich kann nicht selber mir vergeben und kein Mensch hat dazu die Macht. Allein ich muss nicht fragen und kann nicht zweifeln, wo wir Menschen allzumal die Vergebung finden. Dazu ist Jesus gekommen und dazu ist Er gestorben und dazu auferstanden, damit ich dasjenige Wort Gottes empfange, das zu mir spricht: deine Sünden sind dir vergeben. Er hat alles getan, damit ich dieses Wort glauben kann. Darum stellte Er sich unter Gottes Gericht und trug sein Kreuz, darum vollendete Er seine Gemeinschaft mit uns bis in den Tod, darum gab Er uns auch sein letztes, sein Blut, damit ich weiß: Mein Sündigen hat ihn nicht von mir getrennt. Darum macht er auch seine Gnade in unserem Inneren mächtig und gibt es mir, dass ich an Ihn denke und Ihn nicht vergesse, an Ihn glaube und mich zu Ihm halte und Sein Werk; dann habe ich Lust und Recht, mit dem Psalmisten zu sagen: Wohl dem, dem die Sünde vergeben ist.

An Dir allein, heiliger Gott, habe ich gesündigt. Darum bist Du allein der, Der mir verzeiht, und Du hast uns dadurch vergeben, dass Du Deinen Sohn zu uns gesandt und uns zu Ihm berufen hast. Amen.

30. Juni

Habt ihr nicht gelesen, was David tat, da ihn und, die mit ihm waren, hungerte, wie er in das Gotteshaus ging und aß die Schaubrote, die ihm doch nicht ziemten zu essen, noch denen, die mit ihm waren, sondern allein den Priestern? Matthäus 12,3+4

Schaubrote aß David und es fiel kein Blitz vom Himmel, der ihn zerschmetterte, und kein Kennzeichen ward an ihm sichtbar, das ihn in das Elend trieb. Obgleich er Schaubrote gegessen hatte, blieb er der Mann nach Gottes Herzen, der Besitzer der königlichen Sendung, der dem Volk zum Herrn gegeben wurde, damit durch ihn Gottes Regierung zuteil werde. und doch war es eine unzweifelhafte Satzung des Gesetzes, dass die Schaubrote Gottes Eigentum seien und daher, wenn sie durch neue ersetzt wurden, allein dem Priester gehören. Kann denn ein Mensch gegen das Gesetz handeln, ohne dass das Gesetz ihn zerbricht? Den Pharisäer machte diese Frage stumm; denn sie warf seine ganze Frömmigkeit um. Jesus sah dagegen in diesem Bericht der Schrift nichts Dunkles, weil Er auch im Gesetz den Willen des Vaters vernahm, der das Gesetz um des Menschen willen gab. Für die anderen war das Gesetz eine schreckliche Macht, die zwischen ihnen und Gott stand wie der Cherub mit dem feurigen Schwert vor dem Paradies. Wehe dem, der es brach; er hat Gott gegen sich. Ist die Schuld geschehen und das Schaubrot gegessen, dann gibt es für den, der schuldig geworden ist, weder Rat noch Hilfe. Für Jesus dagegen gibt es kein göttliches Wort, das Gott nicht als den Gebenden offenbarte, auch dann, wenn Gott gebietet und ein Heiligtum aufrichtet, das der Willkür des Menschen entzogen ist. Für mich ist Gottes Gesetz gegeben, nicht gegen mich. Begehrt David die Schaubrote im Aufruhr gegen Gottes Gesetz, dann fällt er. Gibt sie ihm der Priester, weil David Brot braucht, dann sah Jesus in Gott nichts von Eifersucht; dann gönnt ihm Gott auch die ihm gehörenden Brote gern.

Deine Güte, Herr, gibt mir mein Gebot. Deine Gnade bindet mich an meine Pflicht. Behüte mich vor allem Murren gegen Dein Gebot. Mache es mir süß und zu meinem eigenen Willen und binde in mir fest zusammen, was ich soll und was ich will, damit ich Lust habe an Deinem Gesetz. Amen.

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