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Schlatter, Adolf - Jesaja

Schlatter, Adolf - Jesaja

Kap. 1

Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn; aber Israel kennt es nicht und mein Volk vernimmt es nicht.
Jesaja 1,3

Wie lernt ein Tier seinen Herrn kennen? Wenn er es misshandelt, flieht es vor ihm. Sorgt er dagegen für sein Tier, so folgt es ihm willig. Am Wohltun erkennt das Tier seinen Herrn. Auf dieselbe Weise kam Israel zur Erkenntnis Gottes; Er hat ihm wohlgetan. Was hast du, dass du nicht empfangen hast? Warum kennt Israel Gott dennoch nicht? Wir Menschen können Wohltaten empfangen und undankbar sein. Das kann das Tier nicht, weil es in der Regel der Natur bleibt. Der Mensch kann dagegen die Natur in sich zerstören und er zerstört sie, indem er die Gabe empfängt und den Dank verweigert. Wie kann nun das undankbare Volk aus seiner Unnatur und Undankbarkeit herausgezogen werden? Neue Wohltat wirbt mit verstärkter Kraft um den Dank und herrlichere Gabe pocht an die verschlossene Tür des Herzens und versucht sie zu öffnen. Weil Israel das nicht konnte, was der Ochse und der Esel können, gab Gott ihm seinen Sohn. Wir sind aber alle eines Geblüts und tragen dieselbe Art an uns. Israel ging nicht eigene Wege in dem Sinn, dass es in sich eine Not erzeugte, die niemand als ein Jude fertig bringt. Sie quält uns alle. Auch mir zeigt dieses Wort mein Bild. Wir nehmen die natürlichen Gaben hin als unser selbstverständliches Recht, danken nicht und kennen den Geber nicht. Die eigensüchtige Begehrung bäumt sich auf und verfährt mit dem natürlichen Gut, als wäre es ihrer Macht unterworfen, und verleugnet den, der sie uns gab. Darum bedarf ich noch einer größeren Gabe und sie ist uns geschenkt. Gottes Sohn kommt zu mir, bringt mir sein Vergeben, bringt mir seine Gemeinschaft, bringt mir seinen Geist. Nun aber, Herz, sei dankbar. Wenn du auch jetzt nicht kannst, was der Ochse und der Esel können, dann bist du tot.
Gottes größte Gabe, Jesus, das bist Du. Gottes hellstes Wort, Jesus, das bist Du. Schaffende Wundermacht der Gnade, Jesus, das bist Du. Deinen Namen nenne ich, damit meine Seele erwache zu Gottes Preis. Amen.

Kap. 6

Serafim standen über ihm, ein jeglicher hatte sechs Flügel, mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße, mit zweien flogen sie.
Jesaja 6,2

Drei Flügelpaare hielt Jesaja für nötig, damit die Himmlischen im Tempel Gottes stehen und anbeten könnten. Mit dem einen Flügelpaar deckten sie ihr Gesicht. Denn zur Beschauung für die Augen des Geschöpfes stellt sich Gott nicht aus. Die Augen müssen verhüllt werden, wenn er gegenwärtig ist. Das ist die heilige Regel, die ich auch in jeder stillen Stunde unverbrüchlich bewahren muss. Wenn ich meine Gedanken auf Gott richte, wie rasch wird daraus Sünde, eine gottlose Hoffart, die Gottes Werk betastet, seinen Willen prüft und ein Gutachten über seine Richtigkeit abgibt. Wenn wir unser Auge forschend auf die Natur und die Menschen richten, fährt gleich unser Machtwille in unseren Blick hinein. Wir dringen in die „Gegenstände“ ein, weil wir sie uns dadurch unterwerfen und dienstbar machen, dass wir sie begreifen. Gott ist nicht mein „Gegenstand“, an dem ich meine geistige Macht erproben dürfte. Darum bedarf ich wie die Serafim die Hülle vor meinen Augen gerade dann, wenn ich im Tempel Gottes stehe, dann, wenn ich meine Bibel öffne, dann, wenn ich Jesus auf seinen Wegen mit meinen Gedanken begleite, dann, wenn ich ihn am Kreuze sterben sehe. Jener Blick, mit dem ich die Natur und die Menschen mustere, entweiht Gottes Heiligtum. Das zweite Flügelpaar gibt Jesaja den Himmlischen dazu, damit sie ihre Füße bedecken. Sie müssen ihren Leib vor Gott verhüllen; entblößt hat er nicht Raum in Gottes Licht. Auch dieser Spruch des Propheten gilt uns allen. Nicht nur das, was sündlich ist, bedarf der Vergebung und würde uns von Gott scheiden, wäre er nicht der, der uns verzeiht, sondern auch das, was Natur und darum ein uns gegebener Teil unseres Wesens ist, den wir nicht von uns entfernen können, bedarf der Verhüllung, damit wir vor Gott stehen. Wir brauchen alle vor Gott nicht bloß die Reue, die das, was gottlos und ungerecht ist, beklagt, sondern auch die Scham, die nicht vergisst, dass unser natürliches Wesen uns mit dem Tier verbindet und nicht für Gottes Reich brauchbar ist. Das dritte Flügelpaar dient bei Jesaja den Himmlischen zum Flug. Es gibt keine Erkenntnis Gottes ohne die muntere Bereitschaft zu seinem Dienst. Wer im Heiligtum Gottes steht, muss beweglich sein. Wir müssen laufen können, wenn Er uns schickt, gehorchen können, wenn Er gebietet. Denn Gott macht sich mir dadurch gegenwärtig, dass Er mir seinen Willen zeigt.
Heilig bist du, unser Gott, und weil Du heilig bist, wohnst Du bei dem Loblied Deines Volks. Deine Heiligkeit gibt uns unseren Platz in der Tiefe und führt Deine Gnade aus Deiner Höhe in unsere Tiefe hinab. So richtest Du uns, die wir irdisch sind, auf zu Deiner Erkenntnis und Anbetung. Darum darf auch ich meine Tage beginnen und schließen mit Deinem Lob. Amen.

Und einer rief zum anderen und sprach: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth; alle Lande sind seiner Ehre voll.“
Jesaja 6,3

Alles, was die Erde füllt, sagen die Himmlischen, ist Gottes Besitz, zeigt Gottes Größe und macht seinen Reichtum sichtbar, und darum, weil die Erde nichts hat, was nicht Gottes wäre und nicht seine Herrlichkeit offenbarte, preisen sie den Herrn der Heerscharen als den Heiligen. So sehen die himmlischen Augen die Welt an. Wenn die Erde von oben her betrachtet wird, macht alles, was sie beherbergt und was in ihr geschieht, Gottes Heiligkeit offenbar. Auf unserem Standpunkt gibt es dagegen Rätsel, die dunkel bleiben, sowohl in der Natur als in der Geschichte, sowohl da, wo noch kein Mensch mit seiner Arbeit die Erde verändert hat, als auch da, wo der Mensch als Herr Der Erde seine Spuren in ihr Antlitz grub. Weltenräume dehnen sich ohne Ende; was füllt sie? Sterne zerbrechen; trugen auch sie Lebendes, das mit ihrem Sturz zerbrach? Im irdischen Bereich gibt es nichts als Sterbliches und jedes Leben wird durch den Tod anderer ernährt. Darum sind die Pflanzen und Tiere überreich mit den Waffen ausgerüstet, die sie geschickt machen, das Leben der anderen zu vernichten, um ihr eigenes zu erhalten, und da, wo der Mensch an die Arbeit geht, entstehen nicht nur Gärten, sondern auch Verwüstungen. Hätte der Prophet gesagt: die Serafim verhüllten ihr Angesicht, als sie auf die Erde schauten, so brächte uns dies keine Überraschung. Nun hat er aber gesagt: weil ihr Angesicht Gott zugekehrt war, darum bedeckten sie es, und weil sie auf die Erde sahen, in der alles Gottes ist, riefen sie: Heilig, heilig, heilig ist Er, so dass die Schwellen bebten. Wir können unser menschliches Auge nicht mit dem der Himmlischen vertauschen; aber ein starker Trost und reicher Besitz ist uns mit der Gewissheit gegeben, dass die Erde von oben her betrachtet keine Verhüllung der göttlichen Herrlichkeit bewirkt, weil sie von oben her keinen Tod sehen ohne das aus ihm erwachsende Leben, keine Schuld ohne die sie richtende und sühnende Gerechtigkeit und keine gegenwärtige Not ohne die aus der Gegenwart entstehende Zukunft. Diese Kunde von der himmlischen Weltbetrachtung ist uns unentbehrlich, damit wir uns nach der Regel des Glaubens auf unserer Erde und in unserer Welt bewegen als in Gottes Eigentum.
Mir scheint es oft, ich sei, Herr, heiliger Gott, in der Fremde, weit weg von Dir. Ich stehe aber in deinem Eigentum auch in meinem irdischen Stand und an allem, was aus deiner Schöpferhand hervorgegangen ist, finden sich die Züge Deiner Majestät. Ich will es nicht vergessen, dass ich nichts in die Hand nehmen kann, was nicht Dir gehört. Hilf mir, dass ich Dein Werk nicht verderbe. Amen.

Da sprach ich: „Wehe mir, ich vergehe, denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen.“
Jesaja 6,5

Ein Klang aus reinen Lippen drang in die Seele des Propheten, als er die Anbetung der Himmlischen vernahm, und deshalb empfindet er, wie unrein seine Lippen sind, auch wenn er predigt, auch wenn er betet, auch wenn sein Wort Gott und Gottes Werk bezeugt. Wie kann es anders sein, als dass er falsche Worte spricht, Worte, die der Herrlichkeit Gottes widersprechen, statt sie zu preisen, und das, was er will und wirkt, verdunkeln statt es zu enthüllen? Er wohnt ja unter einem Volk von unreinen Lippen. Unsere Sprache ist nicht unser Sondereigentum, sondern Gemeingut, Volksbesitz. Wir haben sie, weil sie alle haben, und reden, wie jedermann spricht. Das gilt aber nicht nur vom Laut der Sprache und ihrem Wortschatz, sondern auch vom geistigen Besitz, der sich in der uns gegebenen Sprache verkörpert hat. Was jeder von uns als seinen persönlichen Erwerb zum gemeinsamen Gut hinzutut, ist klein neben dem, was uns durch die Sprache gegeben wird. Wenn jedermann töricht von Gott redet, wie kann ich wahrheitsgemäß von ihm reden? Wenn sich auch am frommen Wort aller die menschliche Verderbtheit zeigt, wie kann sich mein Wort von ihr frei halten? Sollen wir schweigen? Die Lippen des Propheten wurden entsündigt durch das Feuer vom Altar. Es gibt auch für unsere Frömmigkeit und unsere christliche Gotteslehre nur einen Grund, auf dem sie stehen kann; das ist die unsere Schuld bedeckende Vergebung. Nur deshalb sind unsere unreinen Lippen fähig zu Gottes Lob. Nun wird es uns aber zum heißen Anliegen, dass wir die Unreinheit, die an den Lippen unseres Volkes hängt, nicht noch vermehren. In dieses schmutzige Gewässer, das von Lippe zu Lippe strömt und sich aus einer Seele in die andere ergießt, müssen je und je einige reine Tropfen fallen, Worte, die von entsündigten Lippen gesprochen sind. Wie unentbehrlich ist uns dazu die Schrift! Sie spricht mit entsündigten Lippen. Bilde dein Wort an dem ihrigen; sprich wie sie.
Wecke mein Ohr, dass ich Dein Wort fasse, damit es mein Wort fülle mit der keuschen Wahrheit und der reinen Güte, die Deines Wortes Zierde sind. Amen.

Kap. 9

Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben und die Herrschaft ist auf seiner Schulter.
Jesaja 9,5

Der Prophet spricht wie ein Bote, der vom Bett einer Mutter, die eben geboren hat, zum Vater des neugeborenen Kindes eilt und mit dem freudigen Bericht: „Das Kind ist geboren und es ist ein Sohn!“ Seine Botschaft unterscheidet sich aber von dem, was im natürlichen Verlauf des Lebens geschieht. Uns ist das Kind geboren, uns der Sohn gegeben, sagt der Prophet; geboren ist ein Kind nicht dem König, damit er für seinen Thron einen Erben habe, nicht dem Priester, damit er ihm einst sein Amt übergeben könne; nicht diesem oder jenem in Jerusalem, damit sein Geschlecht in Israel nicht erlösche, nein, uns ist er geboren. Durch dieses „uns“ wird die Anzeige seiner Geburt zur frohen Botschaft für alle und dem entspricht die zeitlose Höhe, in der die Weissagung schwebt. Wann ist er geboren? Der Prophet weiß es nicht und sagt es nicht. Dennoch bekommt seine Botschaft nicht die Form einer Hoffnung, die von Zukünftigem spricht, sondern mit der Gewissheit gefüllt, als spräche der Prophet von Geschehenem: das Kind ist für uns geboren. Ebenso stellt er das Kind, wenn er von seinem Amt spricht, bereits in die Gegenwart hinein und verkündigt nicht, dass es einst herrschen werde, sondern sagt, es sei der Herr. Auf seine Schultern ist die Herrschaft gelegt; denn die Schultern dieses Kindes sind stark genug, um die wuchtige Last der Herrschaft zu tragen. Woher kam Jesaja diese Gewissheit? Sie entstand aus der Erfassung des göttlichen Willens, aus der Wahrnehmung der von Gott gesetzten Notwendigkeit. Ein führerloses Volk sündigt und die königslose Stadt fällt. Den Führer schuf aber nicht die Wahl des Volks, auch nicht der natürliche Erbgang von David her. Der Prophet hörte den Herrn reden: „Ich gebe ihn euch“, und nun springt in der Seele des Propheten die Gewissheit auf in vollendeter Pracht und er lässt seinen Jubelruf schallen: das Kind ist geboren, das Kind, welches herrscht.
Heiliger Gott! Du hast schon Jerusalem den Evangelisten gegeben, der das, was uns die Weihnacht brachte, geschaut und verkündet hat. Du hast auch mir Dein Evangelium gesagt und mir meinen Herrn gezeigt. Das ist die Gabe Deiner Gnade. Ich schaue sie und bete an. Amen.

Kap. 40

Alles Fleisch ist Heu und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Feld. Das Heu verdorrt, die Blume verwelkt; aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.
Jesaja 40,6-8.

Der Schmuck, mit dem der Frühling die palästinische Erde kleidet, stellt Wunder neben Wunder; sie sind durch die Pracht ihrer Farben und die Zierlichkeit ihres Baus unvergleichlich schön, ein Ueberfluß von Leben und Blühen, das kein Kargen kennt. So ist die Menschheit, sagt der Prophet; in Kraft ihrer natürlichen Regsamkeit gleicht sie der blühenden Flur. Sie bringt vieles hervor, was Bewunderung verdient, Kraft betätigt und schimmernde Pracht besitzt. Aber auf die Blätter- und Blütenfülle fällt die unbarmherzige Glut der Sonne herab. Darum verschwindet die ganze Pracht und der ausgedörrte Boden wird dürr. Der Prophet dachte zunächst an das emsige Schaffen und künstlerische Bilden, das die Babylonier betrieben, an die Pracht ihrer Städte und Tempel, an die imponierenden Leistungen ihrer Kunst, an die gewaltigen Machtmittel ihres Staats. Doch mehr als das Werk des Fleisches ist dies alles nicht; es entsteht aus dem, was die Natur dem Menschen reicht, und schafft nichts Bleibendes. Von ihr hat der Prophet seinen Glauben gänzlich weggezogen und er tut dies ohne Groll und Gram; denn er hat einen Besitz, der nicht vergeht. Er hat die Rede Gottes vernommen und sagt dem Volk das göttliche Wort. Mit klarer Deutlichkeit unterscheidet sich dieses von allem, was das Fleisch in seiner natürlichen Regsamkeit erzeugt. Denn das Wort, das der Prophet hört und sagt, beschreibt nicht den Menschen und seine Pracht, sondern verkündet Gottes Willen. Gibt es etwas Flüchtigeres als ein Wort? und dennoch besteht es, wenn Babylons Größe im Wüstensand versunken sein wird. Denn es gibt nichts, was so innig und vollständig mit Gott eins wäre als sein Wort. Darum ist es mit ewiger Kraft und Wirkung gefüllt.
Nicht deshalb, weil wir das Wort deiner Hand und das Gebilde deiner schaffenden Macht sind, ist ewiges Leben in uns hineingelegt. Du hast uns, die von dir Geschaffenen, der Eitelkeit und Vergänglichkeit untertan gemeacht. Aber zu uns, die wir blühen und welken, ist dein Wort gekommen und nun, Herr, empfangen wir das, was bleibt. Dir, dem ewigen bleibenden Wort, gebührt mein Dank und meine Anbetung. Amen.

Die Knaben werden müde und matt und die Jünglinge fallen. Aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht matt werden, daß sie wandeln und nicht müde werden.
Jesaja 40.30.31.

Unermüdlichkeit ist nicht ein Segen, den uns die Natur spenden könnte. Denn die natürlichen Kräfte haben alle ein bestimmtes Maß und jeder Bewegung sind Widerstände entgegengestellt, so daß sie langsamer werden muß und schließlich endet. Nur die Verheißung spricht von einer unermüdlichen Bewegung. Der Prophet verspricht sie Israel und sagt ihm, sein Lauf werde nicht enden, sondern durch den Zufluß frischer Kraft immer wieder erneuert werden. Was aber der Gemeinde verheißen ist, senkt sich auch als göttliche Gabe in das Leben jedes Einzelnen hinein, der an der Gemeinde Anteil hat, da sich ja die Gemeinde dadurch bewegt, daß sich ihre Glieder bewegen. Ihnen allen ist die Füllung des Lebens mit einer Kraft verheißen, die nicht versagt. Ihnen ist ein Lauf beschieden, bei dem sie nicht erlahmen, eine Arbeit geschenkt, an der man nicht satt wird, und eine Liebe gewährt, die nicht verwelkt. Denn sie harren auf den Herrn. Daß sie auf ihn warten, das gibt ihnen die Unermüdlichkeit. Wie kann ich ermatten, wenn Gott noch am Werke ist, wie die Arbeit beiseite legen und mich zur Ruhe begeben, solange Gott sein Ziel noch nicht erreicht hat? Gehöre ich zu den Wartenden und Hoffenden, so bin ich in Spannung und diese bringt mich in eine Bewegung, die nicht aufhören kann, solange mich die Hoffnung treibt, und diese kann nicht verblaßen, weil sie in Gott begründet ist. Wer müde geworden ist, schaut nur noch rückwärts; wer aber harrt, der schaut vorwärts, und wer vorwärts schaut, bewegt sich und diese Bewegung kann nicht enden; denn Gottes Gnade endet nicht und sein Werk geht voran nicht bloß von Tag zu Tag oder von Geschlecht zu Geschlecht, sondern auch von Ewigkeit zu Ewigkeit, weil Gottes Reichtum nie ausgeschöpft wird. Der Quell des Lebens, der in ihm entspringt, läßt neues Leben Welle um Welle strömen und verarmt nie.
Wie der Glaube und die Liebe, so bleibt, Herr Gott, auch die Hoffnung, die du uns schenkst. Auf dich hoffen wir, der nicht schläft noch schlummert und weder arm noch müde wird, und du erneuerst mit jedem Erweis deiner Gnade auch die Kraft der Hoffnung, die auf dich harrt. Amen.

Kap. 43

Nicht, dass du mich hättest gerufen, Jakob, oder dass du um mich gearbeitet hättest, Israel. Mir zwar hast du nicht gebracht Schafe deines Brandopfers, noch mich geehrt mit deinen Opfern. Mich hat deines Dienstes nicht gelüstet im Speisopfer, habe auch nicht Lust an deiner Arbeit im Weihrauch. Mir hast du nicht um Geld Kalmus gekauft. Mich hast du mit den Fetten deiner Opfer nicht gefüllt. Ja, mir hast du Arbeit gemacht in deinen Sünden und hast mir Mühe gemacht mit deinen Missetaten. Ja, ich tilge deine Übertretung um meinetwillen und gedenke deiner Sünden nicht.
Jesaja 43,22–25

Auch aus der tiefsten Not entsteht Segen und das harte Gericht, das den ganzen Bestand Israels zerbrach, macht die Größe der göttlichen Gnade erkennbar. Im Elend Babyloniens hörte für den Juden jede Möglichkeit auf, sich um Gott verdient zu machen. Es gab keinen Tempel mehr, der geschmückt werden konnte, keinen Altar mehr, der sich mit reichen Gaben anfüllen ließ. Zu irgendeiner Leistung, die als Gott geleisteter Dienst gewertet werden konnte, fehlte jede Möglichkeit. Aus der Lage des Volkes erwuchs ihm nur immer neue Demütigung, nur Grund, sich zu schämen, nur die Nötigung zur Reue. Wie soll dieses zertretene, machtlose, in das tiefste Elend hinabgestossene, als schuldig verworfene und gerichtete Volk noch der Zeuge Gottes sein? „Mein Name wird euretwegen geschmäht“, sagte der Prophet. Aber gerade diese Lage gibt dem göttlichen Wort einen besonders hellen Glanz und macht Gottes Willen offenbar. Nun kommt seine Barmherzigkeit ans Licht und es ist allen sichtbar: Hier handelt Gott um seiner Güte willen. Er verzeiht; warum tut er es? Weil er gnädig ist. Er erlöst; weshalb? Weil er Gott ist, euer Gott. Nun lernt Israel das, was wir Menschen schwer lernen, nicht sich rühmen, nicht seine Verdienste zählen, nicht seinen Gottesdienst preisen. Jetzt hört jene Versündigung auf, die dadurch entsteht, dass wir Gottes Güte durch unsere Gaben erwecken und seine Hilfe durch unser Werk begründen. Nun lernt Israel glauben. Nachdem ihm alles genommen ward, was es selber hatte, nimmt er wahr, dass es Gott hat, und lernt ahnen, was das bedeutet, Gott für sich zu haben.
Wenn ich vor Dir, Herr Gott, stehe, dann will ich mich ganz in den Anblick Deiner Gnade versenken. Mögen sich meine Tage mit redlicher Arbeit füllen, die nach Deinem Willen geschieht, und ich will meinen Fleiß in sie legen und gesammelte Kraft. Aber vor Dir, Vater, gilt nicht mein Opfern und Räuchern, nicht mein Wollen und Laufen, sondern Deine Gnade, die alles gibt, und Deine Ehre, die ewig leuchtet. Amen.

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