Schlatter, Adolf - Apostelgeschichte

Schlatter, Adolf - Apostelgeschichte

Kap. 1

Als sie ihm nachsahen gen Himmel fahrend, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Kleidern, welche auch sagten: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr und seht gen Himmel? Dieser Jesus, welcher von euch ist aufgenommen gen Himmel, wird kommen, wie ihr ihn zuletzt habt gesehen gen Himmel fahren.“
Apostelgeschichte 1,10+11

Jedesmal, wenn Jesus sich von den Jüngern trennte, empfanden sie, wie fest und völlig sie mit ihm verbunden waren. So war es schon in der Zeit gewesen, als sie mit ihm wanderten. War er nicht bei ihnen, dann sank ihnen der Mut, so dass sie sich ohnmächtig fühlten. So war es in den Stunden vor der Kreuzigung Jesu. Wenn ich dich nur begleiten dürfte, sagte Petrus, wenn uns nur keine Trennung von dir beschieden wäre. Darum liefen sie, als Jesus tot war, zu seinem Grab, zuerst mit ihren Salben, dann zum leeren Grab und schauten mit verlangenden Blicken nach der Stelle, auf die der Leib Jesu hingelegt worden war. So war es wieder, als Jesus nach der letzten Begegnung in der Osterzeit von ihnen schied. Nun brachten sie ihre Blicke nicht vom Himmel weg, sondern schauten hinauf, als müssten ihre Blicke ihn auch jetzt noch erreichen. Wie die Jünger die Trennung von Jesus immer als Pein empfanden, so war auch Jesus immer bemüht, auch bei der Trennung sie seiner Gemeinschaft mit ihnen gewiss zu machen. Er hat ihnen immer wieder gezeigt, dass nichts ihn von ihnen trennte. Schickte er seine Jünger in stürmischer Nacht von sich weg hinüber über den See, so kam er zu ihnen, damit sie es mit Augen sehen, dass er sie nicht verlässt. Als er, um an das Kreuz zu gehen, von ihnen Abschied nahm, sagte er ihnen so kräftig, als er konnte: Ihr bleibt mit mir verbunden wie die Rebe am Weinstock hängt, und als sein Tod sie getrennt hatte, zeigte er sich ihnen in der Neuheit seines Lebens eben dazu, damit sie wüssten, er bleibe ihr Herr und sie seien die Seinen. Nun hat auch die letzte Begegnung Jesu mit seinen Jüngern denselben Ausgang. Auch sie endet mit der Verheißung: er hat sich nicht für immer von ihnen getrennt; ihr habt ihn nicht zum letzten Mal gesehen; er bleibt euer Herr und kommt wieder zu euch. Durch diese Vorgänge wird völlig klar, was Jesus den Jüngern als ihren Besitz beschrieb, mit dem ihnen das Heil und Leben gegeben sei. Er besteht einzig und allein darin, dass sie ihm gehören und mit ihm verbunden sind. Auch jetzt, da sie ihm nach empor zum Himmel schauen, kann und darf sie kein anderes Verlangen bewegen. Sie haben nicht zu fragen, wo er nun sei, wie nun die Herrlichkeit Gottes an ihm erscheine, wie ihn nun die Himmlischen umringen und ihm dienen. Nach solchen Offenbarungen fragten die Jünger nicht und konnten sie nicht fragen, weil sie Jesus gehorsam waren. Nur eine Frage lebte in ihnen, nur die: hat er sich von uns getrennt oder bleibt er unser Herr? Wir sind für immer die Seinen, das war die Gewissheit, mit der die Ostergeschichte für die Jünger schloss. Sie gab ihnen die große Hoffnung; wir werden ihn wiedersehen.
Jetzt glauben wir, ohne zu sehen. Das ist die große Gabe Deiner Gnade. Aber auch das, Herr Jesus, ist dein herrliches Geschenk, dass über unserem gegenwärtigen Leben Deine Verheißung steht, dass wir Dich sehen werden. Sie ist der Stern, dessen Strahl aus dem Dunkel der Zukunft kommt. Geselle auch mich durch Deine Gnade zu der auf Dich hoffende Schar. Amen.

Kap. 8

Petrus sprach zu Simon: „Dass du verdammt werdest mit deinem Geld, dass du meinst, Gottes Gabe werde mit Geld erlangt.“
Apostelgeschichte 8,20

Das Geld zu erwerben und zu verwalten ist auch für die Kirche ein wichtiger Teil ihrer Arbeit. Denn es ist Sünde und Schande, wenn sie zu arm ist, um die Arbeit zu tun, die die Lage von ihr fordert. Das Geld ist nicht nur Lebens-, sondern auch Arbeitsmittel und wird missbraucht, wenn wir es nur für unseren Genuss verwenden. Auch mit der Erhaltung der natürlichen Gemeinschaft, die die staatliche Ordnung beisammen hält, haben wir unsere Pflicht noch nicht getan. Denn die Christenheit hat ihren eigenen Beruf und braucht auch für ihre heilige und geistliche Arbeit Geld. Deshalb muss sie aber stark und tapfer sein, damit sie dir furchtbare, verderbende Macht des Geldes überwinde. Wie es Arbeitsmittel werden kann, wird es auch Mittel zur Sünde. In der Hand des Magiers Simon wurde es zum Mittel der Sünde und deshalb wünscht Petrus nicht nur Simon, sondern auch seinem Geld den Untergang. Der Vorgang zeigt deutlich, wodurch auch in der Christenheit das Geld eine verderbliche Macht gewinnt. In Simon regt sich der geistliche Größenwahn. Er malt sich aus, wie schön es wäre, als der Spender des heiligen Geistes über der Gemeinde zu stehen auf derselben Höhe wie Petrus. Dann wären die anderen von seiner Handauflegung abhängig und er besäße eine erhabene Mittlerstellung zwischen der Christenheit und Gott und sein alter Traum, dass „die große Kraft Gottes“ in ihm wohne, käme doch noch zur Verwirklichung. Er erwog, ob es wohl ein Mittel gebe, um Petrus seinem Wunsch gefügig zu machen. Gibt es nicht einen Schlüssel, der jedes Herz öffnet, ein Machtmittel, das alle zwingt? O ja, sagte Simon; das ist das Geld. Geld gibt wirtschaftliche Macht; Geld gibt politische Macht; also gibt Geld auch geistliche Macht. Indem Simon diesen Gedanken in sich trug, machte er sichtbar, dass er sich für die Berufung zu Gott, die ihm seine Taufe gegeben hatte, verschlossen hat. Du bist, antwortete ihm Petrus, mit deinem falschen Priestertum der Verderber der Gemeinde, und weil du zugrunde gehen sollst, soll auch dein Geld, das dich verführt, mit dir zugrunde gehen. Jede auf das Geld gebaute Macht in der Kirche hat die Verleugnung Gottes in sich.
Das Geld verwirrt, o Herr, barmherziger Gott, meine Gedanken, entzündet meine Begehrlichkeit, macht mich boshaft und treibt mich zur Ungerechtigkeit. Um des Geldes willen vergesse ich Dich. Es ist Dein großes Wunder, wenn mir das Geld nicht zum Verderber wird. Das tust Du an uns dadurch, dass Deine Gabe nicht Geld ist, sondern Geist. Durch Deines Geistes Wirksamkeit heiligst Du uns, dass wir für Dich leben und Dir dienen, und machst dadurch auch unser Geld für uns zum Segen. Amen.

Kap. 9

Saul fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?“
Apostelgeschichte 9,4

Du siehst, sagte Jesus zu Paulus, in mir deinen Feind und willst mich vertreiben. Warum tust du das? Früher war Paulus beredt, wenn diese Frage an ihn gerichtet wurde. Zwingende Gründe in Menge hatte er in der Hand, um sein Urteil zu rechtfertigen, das die Vernichtung der Christenheit verlangte. War nicht das Kreuz Jesu Beweis genug, dass er von Gott verlassen und gerichtet starb? Sollte er einem Weib wie Maria Magdalena glaube, dass Jesus auferstanden sei? Warum blieb er denn jetzt unsichtbar? Scheiterte nicht die christliche Botschaft an der Schrift, die den König verhieß, der in Gottes Macht regiert und, wenn ihn Gott dem Volk gegeben hat, bei ihm bleibt? War nicht das Wort Jesu eine kindliche Rede neben der Gelehrsamkeit, die in den Lehrsälen Jerusalems zu finden war? War denn Jesus allein vom Geist Gottes erfüllt und ganz Israel von Gott verlassen und alle seine Gerechten verblendet und gestürzt? War denn Petrus imstande, der Fels zu sein, auf dem das Haus Gottes aufgebaut wurde? Früher wusste Paulus, was er zu sagen hatte, wenn er gefragt wurde, warum er Jesus verfolgte. Aber nun verstummte er und alle seine sicheren Gründe waren verschwunden. Denn er sah Jesus, und was er an Ihm sah, war Gottes Herrlichkeit. Jeder von uns kann sich die Gründe wiederholen, die einst für Paulus Bedeutung hatten, und sie können auch für ihn Gewicht besitzen. Aber es gibt auch für uns Stunden, in denen wir verstummen, wenn die Frage vor uns steht: warum verfolgst du mich? Siehst du nicht Gottes Herrlichkeit an mir, in meinem Kreuz den vollendeten Gehorsam, der Gott ehrt, in meinem Bergeben Gottes Gnade, die dir verzeiht, in meinem verklärten Leben Gottes Verheißung, die auch über deinem Leben leuchtet? Wenn wir aber Gottes Herrlichkeit an Ihm sehen, dann zerfallen alle Gründe und an die Stelle der verstummten Gründe tritt der Glaube, der nun sagt: was willst Du, Herr, dass ich tun soll?
Du, Herr, beschirmst Deine Schar. Sie steht auf dem Kampfplatz und wäre wehrlos, wenn Du Dich nicht zu ihr bekennst. Aber weil es Gott je und je wohlgefällt, Dich und uns zu offenbaren, darum kann Deine Gemeinde nicht verschwinden und Dein Wort nicht sterben. Gib mir, dass ich es mir und anderen nach Deinem Willen sage. Amen.

Kap. 14

Gott hat in vergangenen Zeiten lassen alle Heiden wandeln ihre eigenen Wege.
Apostelgeschichte 14,16

Paulus war nicht überrascht, wenn er überall in allen Städten reges Treiben, fröhliche Feste, muntres Spiel und tüchtige Leistungen in mancherlei Künsten fand. Gott ließ, sagt er, die Völker ihre Wege durchwandern. Wandern lässt uns Gott und sperrt uns nicht in einen Kerker ein und macht aus der Natur nicht eine Höhle, in der wir begraben lägen. Freie Bahn bietet sie uns dar, Gelegenheit zum Wandern in ungemessene Fernen. Den Weg zu wählen steht uns frei. Es gibt der Wege viele. Du kannst den erproben, der dir gefällt. Was soll ich mir noch mehr wünschen? Ist das nicht Glück, dass ich mir einen Weg wähle, mir ihn bahne und ihn durchwandere, soweit meine Wanderlust mich führt? Glück ist das nur, solange mir Gott verborgen ist. Tritt er vor mich, dann wird es zur bitteren Pein, dass ich meine eigenen Wege gehen muss. Gott konnte uns aber auch dann nicht ganz verborgen sein, als wir ohne ihn unseren Weg wählten und ohne ihn wanderten. Gott ließ sie, sagt Paulus, ihre Wege gehen. Dass ich der muntere Wanderer bin, beweglich und wohlgerüstet zur Fahrt nach einem fernen Ziel, dass es für mich Wege gibt, gangbare und erfolgreiche, dass ich sie gehen kann nach meines Herzens Lust, das ist nicht mein eigener Erwerb. Kindisch wäre ich, meinte ich, ich finge mit nichts an und stellte den Boden, auf dem ich wandere, selbst her. Über meinen eigenen Wegen waltet ein Wille, der mich meine eigenen Wege gehen lässt. Aber auf meinen eigenen Wegen begleitet Gott mich nicht und macht sich nicht zu meinem Weggenossen. Das wollte ich ja auch nicht; es sollten ja meine eigenen Wege sein, und nun wird, wenn die Stunde kommt, in der Er mir begegnet, das, was mein Glück war, meine Not. Nun hasse ich die Frage: Welchen Weg ziehe ich vor? Welchen wähle ich mir aus? Denn nun erschallt die andere Frage in mir: muss ich denn immer nur meine eigenen Wege gehen? Paulus sagt: Die Zeiten sind vergangen, in denen es keine anderen Wege für euch gab als euere eigenen. Wann sind diese Zeiten vergangen? Damals als Jesus geboren ward, damals als der Menschheit ihr Herr gegeben wurde, damals, als über dem Kreuz Jesu die Inschrift prangte: Christus, euer König. In der Stunde, da mir gegeben ward, dass ich meinen Herrn erkenne, endete auch für mich die harte Notwendigkeit, meinen eigenen Weg zu gehen. Nun darf ich sagen: Herr, was ist dein Wille? Und das Ziel meines Lebens liegt nicht mehr in mir selbst, auch nicht in unserer Kultur und unserem Staat, sondern im Herrn und Seinem Reich.
Unsere Gedanken, Herr Gott, sind nicht Deine Gedanken und unsere Wege sind nicht Deine Wege. Schreibe mir das mit der kräftigen Schrift Deines Geistes in meine Seele, damit ich nicht meinen Willen für den Deinen halte, sondern Deiner Führung gehorsam sei. Amen.

Er hat sich selbst nicht unbezeugt gelassen, hat uns viel Gutes getan und vom Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gegeben, unsere Herzen erfüllt mit Speise und Freude.
Apostelgeschichte 14,17

In Israel machte Gott die zu seinen Zeugen, die in seiner Sendung dem Volk halfen und ihm durch seinen Geist sein Wort sagten. Solche Männer, die mit dem Zeugnis Gottes begnadet waren, empfingen die anderen Völker nicht. Er hat aber noch andere Zeugen, die von seinem königlichen Wirken zu uns reden, und diese gab er allen. Das sind die Wohltaten, die uns durch die Natur zuteil werden, der Regen, der die Ernte reifen macht, die fruchtbaren Zeiten, die uns froh machen und nähren. Diese Zeugen stellen fest, dass die Macht, von der wir abhängen, gütig ist und für uns sorgt, und den, der uns mit allmächtiger Güte hilft, heißen wir unseren Gott. Sein Wohltun gibt auch nicht nur unserem Leib, was ihn erhält, sondern begnadet auch unseren inwendigen Menschen; denn am reichen Erntetag werden die Herzen froh. Diese Gnade ist nicht so groß wie die, die der Prophet erhielt, wenn er in seinem Herzen Gottes Wort vernahm, oder die, die Israel zuteil wurde, wenn Gottes Gesetz Licht in ihre Herzen trug. Aber Gnade, die uns Menschen gilt, empfangen wir auch dann, wenn die natürliche Segnung den Jubel erweckt, der aus einem frohen Herzen schallt. Manches griechische Fest sah Paulus mit an; denn die Griechen verstanden es, Feste zu feiern. Vieles, was dabei geschah, widersprach dem, was die Zeugen Gottes sagten; es war ja immer auch das Götterbild dabei; und aus den mit Freude gefüllten Herzen kamen nicht nur reine Töne heraus. Paulus sieht aber nicht nur auf das, was der Mensch in seiner Torheit aus Gottes Gaben macht, sondern horcht mit warmem Dank auf den Jubel, mit dem die göttliche Segnung die Menschen beschenkt; denn dieser Jubel ist ihre Antwort auf die Rede der göttlichen Zeugen, die ihnen sagen, dass Gott gütig ist und sich an allen als den bewährt, der gerne gibt. An die Botschaft dieser Zeugen schließt sich nun in fester Eintracht das an, was Paulus den Völkern als Gottes Zeuge zu sagen hat. Auch sein Zeugenamt besteht darin, dass er ihnen Gottes Gnade zeigt, die ihre Herzen mit Freude erfüllt, und an dieser Freude werden sie nun wirklich satt und für immer froh.
Lass mich, Herr, Deine gnädige Hand in allem erkennen, was uns wohltut und heilsam ist, dass mir jede Deiner Gaben das gewähre, was Du mir geben willst, den Blick zu Dir in Glaube und Dank. Erst dann wird die Freude, mit der Du uns froh machst, in uns heimisch, wenn Deine Gaben uns Dich zeigen. Amen.

Kap. 15

Gott machte keinen Unterschied zwischen uns und ihnen und reinigte ihre Herzen durch den Glauben.
Apostelgeschichte 15,9

Unrein sind sie, sagten die Juden von den anderen Völkern und schlossen ihnen damit die Türe zur Gemeinde zu. Aber das Urteil des Menschen hat hier keine Geltung. Petrus fragte: wie urteilt Gott? Und er antwortet: Er hat uns rein gemacht. Wieso kann dies Gott, da sein Gesetz sie unrein heißt? Gibt es denn in Gott einen zwiespältigen Willen, einen, der sie durch das Gesetz als unrein verwirft, und einen anderen, durch den sie jetzt rein werden? Gott, antwortet Petrus, sprach nicht nur zu den Alten, sondern spricht auch zu uns. Er ist der Voranschreitende und Neues Schaffende. Was einst geschah, setzt ihm keine Grenzen. Denn das, was er im Gesetz vorschrieb, ist nicht das Ziel und Ende seines Vermögens. Die einst Israel gewährte Gabe ist nicht sein ganzer Reichtum. Auf das haben wir, sagt Petrus, zu achten, was Gott jetzt tut, und jetzt macht er auch Heiden rein. Sprach der Jude von der Reinheit, so dachte er an seine körperlichen Zustände. Mit dem reinigenden Bade gab er seinem Leib diejenige Beschaffenheit, die ihm erlaubte, vor Gott zu treten. Petrus hatte aber von Jesus gelernt, woher die Unreinheit des Menschen kommt, die wirklich vor Gott entehrt. Sie entsteht in unserem Herzen und dort hat Gott die Heiden gereinigt. Nur das rein gemachte Herz hat diejenige Reinheit, die uns den Zugang zu Gottes Heiligtum gewährt. Das gab ihnen Gott durch den Glauben. Der Glaube ist unsere Reinheit vor Gott; denn mit dem Glauben ist die Schuld gelöscht, der Wirrwarr des Herzens geheilt und der beständig sprudelnde Quell der inneren Unreinheit verstopft, weil wir uns mit dem Glauben empfangend und gehorchend in Gottes Hand legen. So trat die Gemeinde zusammen als die Genossenschaft der Reinen, die geheiligt sind, nicht auf Grund eines Urteils, das sie über sich selbst abgaben, sondern auf das göttliche Urteil gestützt, nicht im Besitz einer Reinheit, die sie sich selbst erwarben, sondern einer solchen, die Gott ihnen gab, die nicht ihr eigenes Verhalten erglänzen, sondern Gottes Gnade ans Licht treten ließ, die ihre Gaben den Glaubenden gibt.
Rein vor Dir zu stehen, dieses Dein Wunder, Herr, heiliger Gott, ist größer als dass ich es auszudenken vermöchte. Ich kann nur eins, Dich anbeten mit Danksagung. Gib mir, dass ich es nicht nur für mich, sondern auch für die anderen festhalte, dass sie vor Deiner Gnade als die Reinen stehen, durch Glauben rein. Amen.

Kap. 16

Sie sprachen: „Glaube an den Herrn Jesus Christus, so wirst du und dein Haus selig.“
Apostelgeschichte 16,31

Was sich in jener Nacht im Gefängnis zu Philippi zutrug, das hat zunächst nur den Kerkermeister mit Paulus zusammengebracht. Seien Frau, seine Kinder, sein Gesinde, sein Haus waren durch das, was geschah, noch nicht berührt. Der Hausvater allein war erschüttert und zur Frage getrieben, was er tun solle, damit er selig werde. Lag denn irgendwelche Bürgschaft dafür vor, dass das, was er empfing, auch in sein Haus hinüberströme? Aber Paulus zweifelt nicht, sondern greift sofort nach dem ganzen Haus des Kerkermeisters. Er trennt den Mann nicht von denen, mit denen er zusammenlebt. Indem er ihm die Verheißung gibt, gilt sie nicht ihm allein, sondern ihm und seinem Haus. Der Vorgang zeigt besonders deutlich, wie gläubig Paulus im natürlichen Geschehen Gottes Wirksamkeit erfasst und geheiligt hat, nicht nur dann, wenn der natürliche Prozess ohne unsere Mitwirkung vor sich geht, sondern auch dann, wenn unser eigener Wille mit seiner Blindheit und Bosheit an unserer natürlichen Lage beteiligt ist. Das Gefängnis von Philippi war kein sonniger Ort und die Familie, die dort heimisch war, lebte in tiefem Schatten. Grund zum Zweifeln und Fragen lag reichlich vor; wie kam wohl diese Ehe zustande und wie sieht die Frau des Kerkermeisters aus und was haben sie aus ihren Kindern gemacht? Aber Paulus kennt kein Zaudern und kein Zweifeln. Sie sind verbunden, sind ein Haus; in ihrem Haus kehrt Gottes Gnade ein. Sie kehrt aber dazu bei ihnen ein, damit ihr geglaubt werde. Nicht so wird sie zum Besitz der Familie, dass sie nur ein Gemeingut bliebe, das sich dem Besitz und Gebrauch der Einzelnen entzieht. Vielmehr entsteht aus der Gegenwart der göttlichen Gnade der persönliche Anspruch, der sich an alle Glieder des Hauses richtet und sie alle zum Glauben beruft. Glauben kann nicht das Haus, sondern die, die es bilden, und Paulus hat oft die Erfahrung gemacht, dass die natürliche Gemeinschaft durch das Evangelium zersprengt wurde. Er musste die Glaubenden von der ehelichen Pflicht entbinden, wenn ihre Gatten ungläubig blieben. Du weißt nicht, sagte er, ob du deinen Mann retten wirst. Doch dies war erst die zweite Möglichkeit, die dann eintrat, wenn der menschliche Widerstand das Ziel des Evangeliums vereitelte. Zunächst hat Paulus in der natürlichen Gemeinschaft ein Mittel gesehen, durch das die göttliche Gnade von einem zum anderen hinübergeht.
Ich stehe an meinem natürlichen Ort, lieber Gott, nicht in der Ferne von Dir, sondern da, wo Du mich hingestellt hast, und hier an meinem natürlichen Ort besucht mich Deine Gnade durch Dein Wort und durch die Gemeinschaft Deines Geistes. Nichts zerstört Deine Gnade, was Du geschaffen hast. Was Du durch die Natur mir verleihst, das heiligst Du durch Deinen Geist, füllst es mit Deiner Gnade und machst es Deinem Willen dienstbar. Darum schulde ich Dir, Herr, Dank für alles, was ich habe, für das, was die Natur mir gibt, und für das, was Dein Geist mir schenkt. Amen.

Kap. 17

In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir, wie auch etliche Poeten bei euch gesagt haben: „Wir sind seines Geschlechts.“
Apostelgeschichte 17,28

Das Wort des Dichters: Wir sind Gottes Geschlecht, dem Paulus seine Zustimmung gibt, bedeutet nicht nur, dass unser Ursprung in Gottes Schaffen liegt. Denn Gott gleicht nicht einem Menschen, der, nachdem er der Ahnherr seines Geschlechts geworden ist, verschwindet. Sind wir sein Geschlecht, so besteht zwischen uns und ihm ein Zusammenhang, der uns mit ihm verwandt macht und uns etwas Gemeinsames mit ihm gibt. Es wird uns aber schwer, in der Menge der Menschen, wie sie sind, Gottes Geschlecht zu ehren. So wie wir sie nicht nur aus der Ferne betrachten, sondern in wirklichen Verkehr mit ihnen treten, vergeht uns rasch die Erinnerung an ihre Zugehörigkeit zu Gottes Geschlecht. Auch Paulus wendet den Blick von allem weg, was der Mensch eifrig zur Schau stellt und laut preist. Er spricht nicht von der menschlichen Sprache, Wirtschaft, Kunst und Religion; er nennt aber drei Dinge, Leben, Bewegung, Dasein als das, was der Mensch nur dadurch haben kann, dass er an Gott hängt. Schon das Dasein, unser erstes, einfachstes Merkmal, macht Paulus zum Zeichen unserer Verbundenheit mit Gott. Denn das Wirkliche entsteht durch den Wirker aller Wirklichkeiten. Auch der Mensch, von dem ich mich mit Abscheu wegwende, ist nicht vorhanden ohne Gott. Weiter, wir bewegen uns und haben nicht das gebundene, unbewegte Dasein der ruhenden Natur. Wie peinlich ist uns oft die Weise, wie die Menschen sich bewegen! Hielten sie sich doch still, seufzen wir. Dass aber aus ihrem Dasein eine stetige Tätigkeit wird mit unablässiger Bewegung, das haben sie von Gott. Die Formel „Bewegung“ reicht aber noch nicht aus, um auszusprechen, was den Menschen als Gottes Werk kennzeichnet; er lebt! Seine Bewegung kommt aus dem, was er inwendig ist. Dort hat er ein Bewusstsein, das ihm zeigt, was er ist und tut, und dort hat er den Willen, der aus seinen Bewegungen seine Taten macht. Wie könnte der Mensch lebendig sein ohne Gott? Ehre das Wirkliche, ehre die arbeitsame Beweglichkeit und gib ihr Raum, ehre das Leben. Das sind die Markenzeichen des Zusammenhanges, durch den der Mensch an Gott hängt, auch wenn du, was er tut, nicht lieben kannst und nicht lieben darfst.
Wohin mein Weg mich führt, überall bin ich bei dem, was Dir gehört, der Du unser Schöpfer und Vater bist. Welcher Mensch es sei, der mir begegnet, er gehört zu seinem Geschlecht. Wecke mir den Blick, dass ich nicht bloß die Bosheit und die Schande der Menschen sehe, sondern in der Wahrheit bleibe, die mir sagt, dass sie, solange sie sind und leben, Dir gehören. Amen.

Es geschah aber, da ich (Paulus) wieder gen Jerusalem kam und betete im Tempel, dass ich entzückt ward und sah IHN. Da sprach er zu mir: „Eile und mache dich behende aus Jerusalem hinaus; denn sie werden nicht aufnehmen dein Zeugnis von mir.“

Kap. 20

Ihr wisset selbst, dass mir diese Hände zu meiner Notdurft und derer, die mit mir gewesen sind, gedient haben. Ich habe es euch allen gezeigt, dass man also arbeiten müsse und die Schwachen aufnehmen und gedenken an das Wort des Herrn Jesu, das er gesagt hat: „geben ist seliger denn nehmen.“
Apostelgeschichte 20, 34+35

Keiner hat die Arbeit so wirksam geehrt wie Paulus, der mit dem höchsten Amt begnadet war und an dieses in herrlicher Stärke seine ganze Liebe wandte. Dennoch blieb er der Handarbeiter, mitten unter den Griechen, die es für das Merkmal des Freien hielten, dass er müßig sei und die Arbeit auf die Schultern der Rechtlosen lege, mitten in der großen Schar, die er zu Gott berufen hat, deren dankbare Liebe ihm gern alles gab, was er brauchte und die es fast als Kränkung empfand, dass er ihre Gaben zurückwies, obwohl er auf seinem Weg die Lebensmittel nur kärglich fand. Weil die Arbeit den größeren Teil unseres Lebens füllt, wollen wir uns daran freuen, dass wir dadurch an der Seite des Paulus stehen. Ihr müsst arbeiten, sagte er der Christenheit; denn die natürliche Ordnung lässt unsere Lebensmittel aus unserer Arbeit entstehen, und ein Riss durch das, was natürliche Ordnung ist, ist keinem erlaubt, auch nicht der Christenheit, auch nicht denen, die den Beruf haben, die Gegenwart des heiligen Geistes in ihrem Wirken aufzuzeigen. Ich nahm mich, sagt er weiter, weil ich arbeitete, der Schwachen an. Im griechischen Aufbau des Volks war nur die untere Schicht die Arbeitenden. Daher waren alle, die arbeiteten, „Schwache“, ohne Besitz und ohne Einfluss und ohne Ehre. Darum gesellte sich Paulus zu ihnen und wurde mit den Schwachen schwach. Indem er in ihre Reihe trat, nahm er die Verachtung von ihnen weg. Ich habe, sagt er, euch das Wort des Herrn deutlich gemacht: nicht nehmen, sondern geben! Dadurch gibt Paulus seinem arbeitssamen Leben göttlichen Glanz. Denn geben ist Gottes Art. Zugleich zeigt er uns, was unser Arbeiten und Erwerben für uns heilsam macht. Es wird uns zum Verderben, wenn es nur zum Nehmen führt, dagegen heilsam, wenn es uns zum Geben fähig macht.
Alle unsere Gedanken bedürfen der Erneuerung, auch die, die wir uns über unsere Arbeit und unseren Besitz machen; denn was jedermann tut, hat das Merkmal dieser Welt an sich, aus der du, Herr Christus, uns herausgeholt hast, und der wir uns nicht anpassen dürfen, weil wir mit Dir Deinen Weg gehen und nicht den der Welt. Amen.

Kap. 22

Apostelgeschichte 22,18

Im Tempel ging der Gottesdienst seinen gewohnten Gang. Die Rauchsäule stieg vom Altar und die Priester besorgten in feierlicher Stille ihre Geschäfte und die Beter berührten mit ihrer Stirn den Boden des Tempelhofs. Unter den Betern war auch Paulus und nun trat Christus so nah und so wirksam an ihn heran, dass Paulus sein Wort vernahm. Die anderen rings um ihn ahnten nichts von dem, was geschah. Sie hielten Jesus für gerichtet und tot. Er war aber auch im Tempel bei dem, den er zu seinem Werkzeug gemacht hatte, und hier schickte er ihn aus Jerusalem fort, hinaus zu den Völkern. Sein Gebot schmerzte Paulus tief. Es waren mehr als zwei Jahre, seit er zur Vernichtung der Christenheit nach Damaskus gezogen war. Nun stand er wieder im Tempel nicht mehr als Gottes Widersacher, der sich an Christus ärgerte, sondern mit der großen Dankbarkeit in der Seele, die Gottes Gnade pries, die ihm den Christus geoffenbart hatte. Wenn er hier reden könnte, wie gerne täte er es, hier, wo Gottes Name seit alters her wohnte, wo die ihm geheiligte Gemeinde sich zu Gott nahte, wo alle wussten, wie er sich einst dem Christus widersetzt hatte. Wenn er hier reden dürfte nach seiner Regel: „Ich glaube, darum rede ich“, und die, die mit ihm gesündigt hatten, bitten dürfte: „Seid versöhnt mit Gott,“ wie gern täte er es! Aber der Wunsch seiner Seele muss schweigen; denn Jesus sagt ihm: „Geh!“ Wie Jesus einst seine Gemeinde gegen Paulus schützte, so schützt er nun auch ihn gegen seine Verfolger. Weil er aber weiß, wie fest das Herz des Paulus an Jerusalem hängt, macht er ihn selbst durch sein eigenes Gebot von der heiligen Stadt los, die bereit war, ihn zu töten. Somit verließ Paulus den Tempel in der Gewissheit, sein Weg führe ihn in die Weite, und er begann ihn im Gehorsam gegen Jesu Gebot. Was ist schöner als ein solcher Anblick, schöner als der Gehorsam, der den eigenen Wunsch verleugnet, nicht einem sündlichen, sondern einen wohlbegründeten, aber eigenen, und dem Herrn gehorcht? Wenn ich mich besinne, was Paulus seine Stärke gab, so gibt mir dazu Lukas die Antwort: Paulus hat Jesus gehorcht.
Ich will den Gehorsam nicht nur an Dir, o Jesus, schauen und verehren und an denen, die Du zu Deinen Boten machtest, sondern möchte ihn auch selber haben. Dass sie Dir gehorchen, das ist nicht nur die Ehre und Kraft Deiner ersten Boten, sondern Deiner ganzen Schar. Um dieses Geschenk Deiner Gnade bitte ich Dich. Amen.

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