Schlatter, Adolf - 1. Timotheusbrief

Schlatter, Adolf - 1. Timotheusbrief

Kap. 1

Mir ist Barmherzigkeit widerfahren; denn ich habe es unwissend getan im Unglauben.
1. Timotheus 1,13

Damals, als Paulus den Kampf gegen die Christenheit führte, hieß das, was er dachte, seine völlig gewisse Erkenntnis und meinte, seine Überzeugungen seien unangreifbar, da die klaren Aussagen der Schrift sie begründeten. Jetzt aber nennt er alles, was er damals dachte, Unwissenheit. Von allem machte er sich ein völlig falsches Bild, von dem, was die Judenschaft war und mit ihrem Gottesdienst erreichte, von dem, was Jesus war und an seinem Kreuz geschaffen hat, von dem, was die Jünger Jesu waren und in ihrer neuen Gemeinde taten. Alles stellte er sich anders vor, als es war, alles so, wie es zu seinem eigenen Willen passte. Aus der Unwissenheit können aber nur verkehrte Schritte entstehen; sie führt zur Verdammung der Gerechten, zum wahnsinnigen Wagen, das Gottes Werk stören will. Paulus hat aber im Rückblick auf das, was er einst getan hat, nicht nur von seiner Unwissenheit gesprochen, sondern sich auch ungläubig genannt. Hätte er nur in Unwissenheit gehandelt, so diente ihm das zur Entschuldigung. Dann bedurfte er nur das, dass ihm zur Erkenntnis geholfen wurde. In der Tat war er dessen bedürftig, der den Nebel seiner blinden Gedanken verscheuchte und ihm die Wahrheit enthüllte. Er brauchte aber eine noch größere Gabe als Unterricht, nämlich Vergebung, weil er nicht nur aus Unwissenheit, sondern aus Unglauben gehandelt hat. Es gab auch in der Zeit, da er Verfolger war, Stunden, in denen die Decke riss, die seine wirren Gedanken über die Dinge bereiteten, in denen die Schrift so zu ihm sprach, dass sie das Wort Jesu bestätigte, und er der herrlichen Heiligkeit Jesu nicht widersprechen konnte und das Bekenntnis der Jünger an ihm seine Wahrheitsmacht bewährte. Solche Stunden, in denen ein Lichtstrahl zwischen unsere eigenen dunklen Gedanken hineinfällt und uns die Dinge anders zeigt, als wir meinen, tragen den Ernst der Entscheidung in sich. Dann ringen Wahrheit und Unwissenheit in uns miteinander und es kommt ans Licht, wohin unser Wille strebt, woran wir unsere Liebe hängen. Unsere Unwissenheit und unser Unglaube stützen sich gegenseitig. Unsere verkehrten Gedanken widersetzen sich dem Glauben, den wir der Wahrheit schulden, und unser Unglaube, der ihr nicht gehorchen mag, macht unsere törichten Gedanken in uns fest. Wir durchschauen das, was in uns geschieht, nie ganz und können darum uns und die anderen weder entschuldigen noch beschuldigen. Aber keiner von uns urteilt redlich, wenn er nur seine Unwissenheit sich zum Schutze geltend macht. Sie hat immer ihren Bundesgenossen in unserem Unglauben, und deshalb gibt es keinen, der nicht das bedurfte, was Paulus als Jesu große Gabe preist, die Barmherzigkeit, die uns vergibt.
Nicht aus dem, was mir fehlt, entsteht, mein Herr und Gott, meine schwere Not, sondern aus dem, was Du mir gabst und ich nicht schätzte und wegstieß. Ich fühle freilich beständig die dunkle Beschattung und enge Begrenzung meines Blicks; aber die Klage, vor der es keine Rechtfertigung gibt, entsteht aus dem, was ich vergeblich weiß, aus der Erkenntnis, die unfruchtbar bleibt, weil ich inwendig ihr Gegner bleibe. Darum ist das Wort vom Kreuz in seiner Torheit mein Heil, weil ich für meinen Unglauben Dein Vergeben brauche und es empfange am Kreuz Deines Sohnes, unseres Herrn. Amen.

Kap. 3

Kündlich groß ist das Geheimnis der Frömmigkeit: es ist geoffenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt unter den Heiden, geglaubt in der Welt, hinaufgenommen in Herrlichkeit.
1. Timotheus 3,16

Jedermann, sagt Paulus, muss zugestehen, dass die Weise, wie Gott uns fromm und zu seinem Dienst geschickt macht, ein Geheimnis ist, das uns alle überrascht und unsere Gedanken völlig überragt. Wenn ich mir selber ausdenken wollte, wie ich Gott erkennen und ehren könne, so geriete ich sicher auf eine ganz andere Bahn. Ich würde vermutlich in der Welt eine Stelle suchen, an der Gottes Herrlichkeit hervorstrahlt und seien Macht Wunder wirkt, damit aus meinem Gottesdienst ein erhabener Beruf werde, den ich in feierlichen Handlungen ausübe. Nun ist die Weise, wie Gott mir die Frömmigkeit bereitet, die, dass er uns Jesus gab, den, der im Fleisch für uns sichtbar geworden ist, nicht in Gottes Gestalt, sondern so, dass er das war, was die Natur aus uns macht. Darum bedarf er einer Rechtfertigung, die seine Sendung von oben beweist und sein königliches Recht sicherstellt, und diese Rechtfertigung geschah und geschieht dadurch, dass er sein Werk im Geist vollbringt, nicht in offenkundiger, sichtbarer Machtwirkung, sondern so, dass er Gottes Gnade in unser inwendiges Leben hineinlegt. Sichtbar wurde er darum nicht uns Menschen, wohl aber den Engeln, und dennoch geht das ihm verkündende Wort durch die Menschheit durch und macht ihn den Völkern bekannt, und sein Wort ist so mächtig, dass es in uns, die wir in der Welt drin stehen, Glauben schafft, und doch ist seine Herrlichkeit uns nicht sichtbar, sondern er hat sie dadurch empfangen, dass er von der Erde schied und hinaufgenommen ward. Dass ich an dieser Geschichte Gott erkenne, seine Gnade schaue und seine Gabe empfange, das ist meine Frömmigkeit und die Weise, wie ich Gott zu ehren habe und ihm dienen kann. Das ist freilich ein Geheimnis nicht nur für mich, sondern für jedermann. Gott ist anders, als ich mir ihn denke, und größer, als ich meine. Dieses Geheimnis ist aber in der Tat geeignet, mich vor Gottes Willen zu beugen und mir seine herrliche Gnade zu zeigen. Dass ich mich vor Jesus beuge, das ist Anbetung; dass ich an ihn glaube, das ist Gottesdienst.
Behüte mich, lieber Herr, vor aller eigenen Frömmigkeit, vor allem Gottesdienst, der mir gefällt, weil ich ihn erfinde. Deinen Weg will ich gehen, auf Dein Werk bauen. Vor den, der Fleisch war und durch Geist mich bewegt, vor den, den nicht ich, sondern die Engel schauen und Der Sein Wort zu mir schickt, stellst Du mich, damit ich in der Welt im Glauben mit Ihm verbunden sei. So gibst Du uns Menschen Dein Wohlgefallen. Amen.

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