Schlachter, Franz Eugen - Was an einem Sonntag verloren gehen kann.

Schlachter, Franz Eugen - Was an einem Sonntag verloren gehen kann.

„Verloren! Verloren! Verloren! Verloren!“ so konnte man kürzlich viermal hintereinander am Montag in einer der hiesigen Zeitungen lesen. Dieser schmerzliche Ausruf betraf lauter Gegenstände, die am Sonntag vorher verloren gegangen waren. Eine Dame hatte ihr goldenes Medaillon samt Kette verloren, eine andere ihr goldenes Armband, eine dritte die Brosche und eine vierte ihre goldene Uhr. Das war viel auf einen Tag! Aber bei genauerer Nachforschung finden wir, daß an jedem Sonntag noch viel mehr und viel Wertvolleres als alle diese goldenen Kleinodien verloren geht. Ein ernstgesinnter Mann setzte einst folgende Annonce in ein Blatt:

„Verloren, zwischen Morgen und Abend, eine goldene Stunde mit 60 diamantenen Minuten besetzt. Dem ehrlichen Finder wird keine Belohnung ausgesetzt, weil das Kleinod unwiederbringlich verloren ist.“

Diese Annonce sollte man jeden Montag in die Zeitungen setzen, denn es ist Tatsache, daß gerade am Sonntag so manche wirklich kostbare Stunde verloren geht. Man muß es unserem heutigen Geschlecht eigentlich wieder in Erinnerung rufen, wie kostbar die Stunden des Sonntags sind.

„Was“ sagt einer, „ich sehe nicht, daß die Stunden des Sonntags kostbar sind, da verdient man ja nichts, man braucht nur viel Geld!“ Gerade deshalb nenne ich aber die Stunden des Sonntags kostbar, weil sie nicht mit Geld zu bezahlen sind, wie die Arbeitsstunden. Der Sonntag ist unser Ruhetag, dazu hat uns ihn unser Gott geschenkt. Nun sage man einmal, ob Ruhe nicht ein kostbares Geschenk unseres Gottes sei? Jeder Sonntag, den du nicht in göttlicher Ruhe zubringst, ist ein verlorener Tag für dich. Und damit geht zugleich ein Segen verloren, den Gott dir zugedacht hat. Gott segnete den Ruhetag und heiligte ihn. Wer nicht in Gott ruht an diesem Tag, dem wird dieser Segen nicht zuteil. Ein verlorener Sonntag ist ein Fluch. Weit entfernt, daß man durch die Sonntagsarbeit Gewinn hätte, verliert man dadurch nicht nur ewige Güter, sondern sogar zeitliche. Aber nicht die zeitlichen, sondern die ewigen Güter sind der beklagenswerte Verlust, den so mancher am Sonntag macht. Wenn derjenige, welcher den Sonntag nur mit Vergnügungen zubringt, anstatt in Gott zu ruhen an diesem Tag, nur sein Geld dabei verlöre, so wäre die Sache noch nicht so schlimm, aber er verliert mehr, er versäumt die angenehme Zeit, den Tag des Heils und darüber geht seine Seele zu Grunde, das Kostbarste, was er hat.

Der Sonntag birgt unstreitig köstliche Kleinodien in seinem Schoße. Da ist Gottes Wort, das uns an diesem Tage besonders verkündigt wird und das zu lesen gewiß jedermann bei gutem Willen wenigstens an diesem Tage Zeit finden wird. Nun sagt David von den Worten Gottes, sie seien köstlicher denn Gold und viel feines Gold, süßer als Honig und Honigseim. Es ist also ein größerer Verlust, wenn jemand am Sonntag Gottes Wort verliert, als wenn eine Dame ihr goldenes Armband an diesem Tag verloren hat. Wer aber Gottes lauteres Wort hört oder liest, der empfängt nicht bloß Worte, sondern es ihm Gelegenheit geboten, daß er die göttliche Gnade gewinnen kann. Und ein kostbareres Kleinod gibt es für uns Menschen nicht, als die Gnade es ist, von der Jesus zum Apostel Paulus sagte: „Meine Gnade ist genug für dich.“ Ob wir diese Gnade gewinnen oder verlieren, davon hängt alles ab.

Ein Jüngling wurde in seinem 22. Jahre durch Gottes Geist aufgeweckt. Er fing an, über sein bisheriges Leben nachzudenken und fand heraus, daß seit seiner Konfirmation schon ein ganzes Jahr von Sonntagen verflossen sei, da es ja in 7 Jahren gerade 365 Sonntage gibt. Alle diese Sonntage kamen ihm als verloren vor, denn er hatte sie nicht zum Preise Gottes zugebracht. Das verlorene Sonntagsjahr lastete wie eine schwere Schuld auf ihm. Aber der Heiland schenkte ihm die Schuld, nahm ihm die Bürde weg und sagte kein böses Wörtlein dazu, sondern nur: „Gehe hin, sündige hinfort nicht mehr!“ Überglücklich ob der erhaltenen Vergebung ging der Jüngling hin und fing eine Sonntagschule an. Obgleich er die Woche über schwere Arbeit zu verrichten hat, bringt er doch seine Sonntage nunmehr damit zu, anderen Gottes Wort zu verkündigen und sich selbst daran zu erquicken. Seitdem ist ein weiteres Jahr von Sonntagen verflossen und als ich den jungen Mann kürzlich hörte, war er voll Lob und Dank für das Gute, das der Herr in dieser Zeit an ihm getan hatte. Er verspürt nicht die mindeste Lust, im neuen Sabbatjahr das weltliche Treiben wieder zu beginnen.

Mein Freund, wie steht's mit dir, was hast du mit deinen Jahren von Sonntagen gemacht?

© 2005 Karl-Hermann Kauffmann, Albstadt Artikel in den „Brosamen“ Nr. 8 vom August 1890

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