Sattler, Michael - Artikel und Handlung, die Michael Sattler zu Rottenburg am Neckar mit seinem Blut bezeugt hat

Sattler, Michael - Artikel und Handlung, die Michael Sattler zu Rottenburg am Neckar mit seinem Blut bezeugt hat

(1527)

Nach mancherlei Verhandlungen (am Tag seines Abschieds von dieser Welt), als die Zahl der Anklagepunkte angewachsen war, begehrte Michael Sattler, sie ihm noch einmal zu verlesen und ihn weiter über sie zu verhören. Dawider stellte sich der Schultheiß als Anwalt seines Herrn (des Kaisers) und wollte es nicht gestatten. Darauf bat Michael um eine richterliche Entscheidung. Als die Richter darüber beratschlagt hatten, gab man zur Antwort, die Richter seien damit zufrieden, sofern ihm sein Prozeßgegner solches zulassen wolle. Darauf sprach der Stadtschreiber von Ensisheim als Fürsprecher des erwähnten Anwalts: „Fürsichtige, ehrsame und weise Herren! Er hat sich des Heiligen Geistes gerühmt. Wenn dem so ist, scheint es mir nicht vonnöten zu sein, ihm solches zu erlauben. Denn hätte er den Heiligen Geist, wie er sich rühmt, würde ihm derselbe wohl sagen, was verhandelt worden ist.“ Darauf antwortete Michael Sattler: „Ihr Diener Gottes! Ich bin der Hoffnung, es wird mir nicht abgeschlagen werden. Denn die erwähnten Anklagepunkte sind mir jetzt nicht gegenwärtig.“ Der Stadtschreiber antwortete: „Fürsichtige, ehrsame und weise Herren! Wiewohl wir nicht schuldig sind, solches zu tun, wollen wir es ihm doch überflüssigerweise gestatten, damit seine ketzerischen Anhänger nicht denken können, ihm geschehe Unrecht oder man wolle ihn zu kurz kommen lassen. Deshalb soll man ihm die Artikel noch einmal mündlich lesen.“ Es waren die folgenden Artikel:

Zum ersten, daß er und seine Anhänger wider kaiserliches Mandat gehandelt haben.

Zum zweiten hat er gelehrt, gehalten und geglaubt, daß Leib und Blut Christi nicht im Sakrament seien.

Zum dritten hat er gelehrt und geglaubt, daß die Kindertaufe zur Seligkeit nicht förderlich sei.

Zum vierten: Sie haben das Sakrament der Ölung verworfen.

Zum fünften: Die Mutter Gottes und die Heiligen verachtet und geschmäht.

Zum sechsten: Er hat gesagt, man soll der Obrigkeit nicht schwören.

Zum siebten: Eine neue unerhörte Art angefangen, das Nachtmahl des Herrn zu feiern; Wein und Brot in eine Schüssel gelegt und dasselbe gegessen.

Zum achten ist er aus dem Orden ausgetreten und hat ein Eheweib genommen.

Zum neunten hat er gesagt, wenn der Türke ins Land käme, sollte man ihm keinen Widerstand leisten, und wenn Kriegen recht wäre, wollte er lieber wider die Christen ziehen als wider die Türken. Das ist ein starkes Stück: den größten Feind unseres heiligen Glaubens uns vorzuziehen.

Darauf begehrte Michael Sattler, sich mit seinen Brüdern und Schwestern zu unterreden. Das ward ihm zugelassen. Als er sich nun eine kleine Weile mit ihnen besprochen hatte, hob er an und antwortete unerschrocken also:

„Auf die Artikel, die mich, meine Brüder und Schwestern betreffen, hört diesen kurzen Bescheid:

Zum ersten: Daß wir wider kaiserliche Mandate gehandelt haben sollen, geben wir nicht zu. Denn diese beinhalten, daß man nicht der lutherischen Lehre und Verführung anhangen soll, sondern allein dem Evangelium und Wort Gottes. Das haben wir gehalten. Denn wider das Evangelium und Wort Gottes weiß ich nichts gehandelt zu haben. Ich berufe mich dabei auf die Worte Christi.

Zum zweiten: Daß im Sakrament der Leib Christi des Herrn nicht wesentlich ist, gestehen wir zu. Denn die Schrift sagt: Christus ist aufgefahren gen Himmel, sitzt zur Rechten seines himmlischen Vaters, von dannen er kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten. Daraus folgt: So er im Himmel und nicht im Brot ist, kann er leiblich nicht gegessen werden.

Zum dritten sagen wir der Taufe halber: Die Kindertaufe ist nichts nütze zur Seligkeit. Denn es steht geschrieben (Röm. 1,17), daß wir allein aus dem Glauben leben. Desgleichen (Mark. 16,16): „Wer glaubt und getauft wird, der wird selig.“ So sagt Petrus ) (I. Petr. 3,21): „Welches nun euch auch selig macht in i der Taufe, die durch jenes bedeutet ist, nicht das Abtun des Unflats am Fleisch, sondern der Bund eines guten Gewissens mit Gott durch die Auferstehung Christi.“

Zum vierten: Wir haben das Öl nicht verworfen. Denn es ist eine Kreatur Gottes. Was Gott gemacht hat, ist gut und nicht zu verwerfen. Aber Papst, Bischöfe, Mönche und Pfaffen haben es besser machen wollen. Davon halten wir nichts. Denn der Papst hat nie etwas Gutes gemacht. Wovon aber die Epistel Jakobi (5,14) spricht, das ist nicht das Öl des Papstes.

Zum fünften: Wir haben die Mutter Gottes und die Heiligen nicht geschmäht. Vielmehr ist die Mutter Christi zu preisen ob allen Weibern. Denn ihr ist die Gnade geschehen, daß sie den Heiland aller Welt geboren hat. Daß sie aber der Mittler und eine Fürsprecherin sei, davon weiß die Schrift nichts. Denn sie muß mit uns auf das (letzte) Gericht warten. Paulus sagt zu Timotheus (I. Tim. 2,5): „Christus ist unser Mittler und Fürsprecher bei Gott.“ Was die Heiligen betrifft, sagen wir, daß wir die Heiligen sind, die da leben und glauben. Das belege ich mit den Episteln Pauli: Röm 1,7; I. Kor. 1,2; Eph. 1,2 und anderswo schreibt er allezeit: “ … den geliebten Heiligen.„ Deshalb sind wir, die da glauben, die Heiligen. Die im Glauben Verstorbenen aber halten wir für die Seligen.

Zum sechsten halten wir, daß man der Obrigkeit nicht schwören soll. Denn der Herr sagt Matth. 5, 34. 37: „Ihr sollt keinen Eid schwören, sondern euer Reden soll sein ja, ja; nein, nein.“

Zum siebten: Als mich Gott berief, sein Wort zu bezeugen, und als ich Paulus las, dazu auch den unchristlichen, gefährlichen Stand, in dem ich gewesen, betrachtete, und ansah der Mönche und Pfaffen Pracht, Hoffart, Wucher und große Hurerei, da bekehrte ich mich und nahm nach dem Befehl Gottes ein Weib. Denn Paulus hat wohl davon geweissagt (I. Tim. 4,3 ff.): „Es wird in den letzten Tagen geschehen, daß man wird verbieten die Ehe und die Speisen, die Gott geschaffen hat, sie mit Danksagung zu gebrauchen.“

Zum achten: Wenn der Türke kommt, soll man ihm keinen Widerstand leisten. Denn es steht geschrieben (Matth. 5,21): „Du sollst nicht töten.“ Wir sollen uns des Türken und anderer Verfolger nicht erwehren, sondern in strengem Gebet zu Gott anhalten, daß er wehre und Widerstand leiste. Daß ich aber gesagt habe: Wenn Kriegen recht wäre, wollt ich lieber wider die angeblichen Christen ziehen, welche die frommen Christen verfolgen, fangen und töten, als wider den Türken, das hat folgenden Grund: Der Türke ist ein rechter Türke und weiß vom christlichen Glauben nichts; er ist ein Türke nach dem Fleische. Ihr dagegen wollt Christen sein, rühmt euch Christi, verfolgt aber die frommen Zeugen Christi und seid Türken nach dem Geist.

Zum Schluß: Ihr Diener Gottes, ich ermahne euch, zu bedenken, warum ihr von Gott eingesetzt seid: den Bösen zu strafen, den Frommen zu beschützen und zu beschirmen. Weil wir nun wider Gott und das Evangelium nicht gehandelt haben, so betrachtet, was ihr tut. Ihr sollt ruhig fragen! Ihr werdet finden, daß ich, meine Brüder und Schwestern weder mit Worten noch mit Werken wider irgend eine Obrigkeit gehandelt haben. Deshalb, ihr Diener Gottes, wenn ihr das Wort Gottes weder gehört noch gelesen habt, schickt bitte nach den Gelehrtesten und nach den göttlichen Büchern der Bibel, in welcher Sprache sie auch seien, und laßt sie sich mit uns im Wort Gottes besprechen. Wenn sie uns mit der Heiligen Schrift zeigen, daß wir irren und im Unrecht sind, wollen wir gern davon abstehen und widerrufen, auch das Urteil und die Strafe für unsere Verschuldung gern leiden. So uns aber kein Irrtum nachgewiesen wird, hoffe ich zu Gott, ihr werdet euch bekehren und euch lehren lassen.“

Auf die Rede lachten die Richter, stießen die Köpfe zusammen, und der Stadtschreiber von Ensisheim sprach: „Ja, du ehrloser, verzweifelter Bösewicht und Mönch, sollte man etwa mit dir disputieren? Ja, der Henker wird mit dir disputieren, das glaube mir!“

Michael sagt: „Was Gott will, das wird geschehen.“ Sprach der Stadtschreiber: „Es wäre gut, daß du nie geboren wärst.“

Antwortet Michael: „Gott weiß, was gut ist.“ Stadtschreiber: „Du Erzketzer! Du hast die frommen Leut verführt. Wenn sie nur noch von ihrem Irrtum ließen und sich unter die Gnade begeben würden!“

Michael: „Gnade ist allein bei Gott.“

Es sprach auch einer von den Gefangenen: „Man soll von der Wahrheit nicht abweichen.“

Stadtschreiber: „Du verzweifelter Bösewicht und Erzketzer! Ich sage dir das: Wenn kein Henker hier wäre, ich wollte selber dich henken und dabei meinen, Gott einen Dienst zu tun.“

Michael: „Gott wird wohl richten.“ Darauf redete der Stadtschreiber etliche Worte mit ihm auf Latein, ich weiß nicht, was. Darauf antwortete Michael: „Judica!“

Also ermahnte der Stadtschreiber die Richter und sprach: „Er hört mit diesem Geschwätz heute nicht auf. Darum, Herr Gerichtspräsident, fahrt bitte mit dem Urteil fort! Ich rufe die Entscheidung des Gerichts an.“

Der Richter fragte Michael Sattler, ob er auch die Entscheidung des Gerichts anrufe. Der antwortete: „Ihr Diener Gottes, ich bin nicht gesandt, über das Wort Gottes zu rechten. Wir sind gesandt, davon zu zeugen. Deshalb werden wir uns unter kein anderes Recht begeben. Denn wir haben darüber keinen Befehl von Gott. So wir uns aber dem Gericht nicht entziehen können, sind wir bereit, um des Wortes Gottes willen zu leiden, was uns zu leiden auferlegt wird und auferlegt werden kann, und das alles im Glauben an Jesus Christus, unsern Heiland, solange wir einen Atem in uns haben, es sei denn, daß wir durch die Schrift davon abgebracht werden.“

Sagt der Stadtschreiber: „Der Henker wird dich wohl überführen. Der soll mit dir disputieren, du Erzketzer.“

Michael: „Ich appelliere an die Schrift.“

Danach standen die Richter auf, gingen in eine andere Stube, blieben dort wohl anderthalb Stunden und beschlossen das Urteil. Unterdessen handelten etliche in der Stube mit Michael ganz erbärmlich und schmähten ihn. „Was hast du dir und den andern versprochen, daß du sie so verführt hast?“ Er zog dabei auch ein Schwert, das auf dem Tisch lag, und sagte: „Siehst du, damit wird man mit dir disputieren.“ Aber Michael antwortete auf kein Wort, das seine Person betraf, sondern ertrug alles willig. Einer von den Gefangenen sprach: „Man soll die Perlen nicht vor die Schweine werfen“ (Matth. 7,6). Als Michael auch gefragt wurde, warum er nicht ein Herr im Kloster geblieben wäre, antwortete er: „Dem Fleische nach wäre ich ein Herr. Aber es ist besser so.“ Er äußerte auch nicht mehr Worte, als wie hier berichtet sind, und er tat es unerschrocken.

Als nun die Richter wieder in die Stube kamen, verlas man das Urteil, das folgendermaßen lautete: „Zwischen dem Anwalt kaiserlicher Majestät und Michael Sattler ist als Recht erkannt worden, daß man Michael Sattler dem Henker in die Hand geben soll. Der soll ihn auf den Platz führen und ihm die Zunge abschneiden, danach auf einen Wagen schmieden und dort zweimal mit glühenden Zangen seinen Leib reißen und danach, wenn man ihn vor das Tor bringt, ihm gleicherweise fünf Griffe geben.“

So ist es geschehen. Danach wurde er wie ein Ketzer zu Pulver verbrannt, seine Mitbrüder durchs Schwert gerichtet, die Schwestern ertränkt, sein Weib aber nach vielem Bitten, Ermahnen und Drohen, wobei sie ganz beständig blieb, nach einigen Tagen auch ertränkt.

Geschehen am 21. Mai 1527.

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