Sander, Immanuel Friedrich - Der Gnadenthron.

Sander, Immanuel Friedrich - Der Gnadenthron.

Predigt über Ebräer 4, 1-6.
von
I. F. Sander,
Pfarrer zu Wichlinghausen.

Herr, stehe auf, laß deine Feinde zerstreuet werden, sprach Moses, wenn die Bundeslade sich erhob, die vor den Kindern Israel herging. Dieses Wort des Mannes Gottes sagt uns, daß er den Sieg über die Feinde von dem Herrn, der über der Bundeslade thronte, erwartete; seine Zuversicht im Streit, seine Hoffnung des Sieges gründete sich auf die Erbarmung und Herablassung des Gottes, der in Israel ein Heiligthum hatte aufrichten lassen, das er mit seiner Gnadengegenwart beehrte. Dieser Gott, gnädig und barmherzig, geduldig und von großer Güte, wie er von sich selbst predigte, da er vor Moses seine Herrlichkeit vorübergehen ließ, war Mosis Panier, sein Schild und das Schwerdt seines Sieges. Mit der Losung, die diesem Gott, der über dem Cherubim thronte, Zeugniß gab, Ehre und Huldigung ihm darbrachte, konnte er freudig allen Feinden entgegen treten, und durfte getrost der Erfüllung jener Worte entgegensehen, die er weissagend am Schilfmeer ausgesprochen hatte: Angst kam die Philister an; es erschracken die Fürsten Sodoms; Zittern kam die Gewaltigen Moabs an; alle Einwohner Canaans wurden feig. - Mit dieser Losung, und mit diesem Glaubensblick auf den Gnadenstuhl zog Josua in den Kampf; und seine Erwartung, daß vor dem Herrn, der über dem Gnadenstuhl wohnet, die Fluthen 'des Jordans sich zertheilen und die Mauern Jericho's umfallen würden, - wurde nicht zu Schanden; hier vor der Bundeslade suchte sein geängstetes Herz Trost, da die Kinder Israel vor Ai zurückgeschlagen wurden. - Herr, stehe auf, daß deine Feinde zerstreuet werden - das ist auch noch Davids Feldgeschrei, wie insbesondere aus jenem Siegespsalm zu ersehen, der den Triumphzug des Messias ins himmlische Heiligthum verkündet und ihm zujauchzt: Du bist in die Höhe gefahren und hast das Gefängniß gefangen, du hast Gaben empfangen für die Menschen. - Wir sehen, diesen Glaubenshelden gab Muth und Freudigkeit eben diese Gnade und Herablassung Gottes, der unter dem Volk des Eigenthums, das er aus allen Völkern sich erwählt hatte, eine Hütte mit einem Gnadenstuhl aufrichten ließ, den der Hohepriester zur Versöhnung der Sünden des Volks mit dem Bundesblut besprengen durfte. Und doch war dieß nur ein Schatten, nur ein Vorbild; das Wesen ist in Christo. Die Hütte, die Moses aufrichtete, war nicht die wahrhaftige, das Blut, womit Aaron den Gnadenstuhl besprengte, war noch nicht das, welches die Sünden wegnehmen und die Gewissen reinigen und vollenden kann: der Gnadenstuhl, der alle Jahr von neuem mit dem Opferblut mußte besprengt werden, war noch nicht der, vor dem man einen ewigen Sieg über Sünde, Hölle und Tod feiert, einen Sieg, der auf der Kraft eines ewiggültigen Opfers beruht. - Uns aber ist solcher dargestellt in Christo; wie viel getroster können wir nun seyn, und wie viel freudiger in den Kampf laufen, der uns verordnet ist. - Es möge uns hiezu das Wort des Apostels erwecken, das wir jetzt naher betrachten wollen. Es stehet aufgezeichnet

Ebräer 4, 16. und lautet also:

„Lasset uns hinzutreten mit Freudigkeit zu dem Gnadenstuhl, auf daß wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden, auf die Zeit, wann uns Hülfe noth seyn wird.“

Der Gnadenstuhl, zu dem der Apostel hier die Hebräer einladet, das ist der wahrhaftige, das Urbild, welches dem Moses dort auf dem Berge gezeigt wurde, und wonach er das levitische Heiligthum entwarf. Um desto mehr hervorzuheben, daß hier von dem unendlich herrlicheren Gegenbild des schwachen Vorbildes, von einem viel höhern als aaronitischen Priester die Rede sei, nemlich von dem, der nicht nach dem Gesetz des fleischlichen Gebotes gemacht ist, sondern nach der Kraft des unendlichen Lebens, so gebraucht der Apostel das Wort: Gnadenthron.

Dieß erinnert mehr als das Rom. 3. sich befindende, welches auch: Versühnungsschirm, übersetzt werden kann, an den Hohenpriester nach Melchisedeks Weise, der zugleich König ist, und sich nun gesetzt hat auf den Thron der Majestät zur Rechten Gottes, nachdem er die Reinigung unsrer Sünden durch sich selbst gemacht hat. - Die Hebräer waren in Gefahr, diesen Hohenpriester, von dem Aaron nur ein schwaches Vorbild war, sich aus den Augen rücken und von seinem Gnadenthron sich verscheuchen zu lassen; die ernstliche Ermahnung dieses Hohenpriesters wahrzunehmen und zu diesem Gnadenthron hinzueilen, war daher um so nöthiger. Sie ist aber auch bei uns nicht überflüssig; was die hebräischen Christen von dem Hohenpriester Jesu Christo und von seinem Gnadenthron weglocken und wegreißen wollte, Haß und Feindschaft der Welt, Toben der Hölle gegen das Wort vom Kreuz, Trägheit des Herzens, heimliches Vertrauen auf des Gesetzes Werk, und Mißtrauen gegen die Gnade, Kreuzesscheu u. dgl., - das ist uns ja auch nicht unbekannt. Wir beherzigen daher das Wort des Apostels:

Lasset uns mit Freudigkeit zu dem Gnadenthron treten.

Was das für ein Gnadenthron ist, zu dem wir hingewiesen werden, erwägen wir zuerst; dann die Forderung, mit Freudigkeit hinzu zu nahen, und endlich die Verheißung, welche den sich Nahenden gegeben wird.

I.

Was Gnadenthron ist, wird uns deutlich werden, wenn wir dies zusammengesetzte Wort in die zwei Worte, aus denen es besteht, zerlegen und jedes einzeln erwägen. - Wir stellen zuerst den Begriff von Gnade fest. Gnade ist die Liebe Gottes zu den Sündern; Gnade weiset uns also auf das große Wunder der göttlichen Herablassung zu uns armen, elenden und unwürdigen Creaturen, auf die unausdenkliche Barmherzigkeit Gottes hin, wovon uns Luc. 15. in dem Gleichnisse vom verlornen Schaf, vom verlornen Groschen und vom verlornen Sohne so herrliche Dinge erzählt werden. Denn daß Gott, der in der Höhe und im Heiligthum wohnet, der Allgenugsame, der unsrer nicht bedarf, uns so sucht, uns so nachgehet, daß er gegen Sünder seine Arme so ausbreitet, und sie so freundlich aufnimmt, wie wir in den angeführten Gleichnissen sehen, das wäre in keines Menschen Herz gekommen. - Er nimmt die Sünder an, und isset mit ihnen, - das war ja in den Augen der Pharisäer und Schriftgelehrten eine harte Anklage wider Christum, die auch im Volke Anklang fand. Wenn nun selbst denen es schwer wurde, in diese Huld und Liebe eines Sünderheilandes sich zu finden, die doch von dieser Liebe Gottes zu den Sündern so Manches in ihren heiligen Schriften lesen konnten; wie fremd mag dann dem sich selbst überlassenen Menschen, der kein Wort der Offenbarung hat, diese Liebe Gottes seyn? Jeder Blick in die Gottesdienste der heidnischen Priester und in die Bücherrollen der heidnischen Philosophen bestätigt es uns, daß der natürliche Mensch nichts von einem Gott weiß, der das verlorne Geschöpf sucht, und dem das Herz über dem Jammer der sündigen Menschen bricht; er weiß nur von einem solchen Gott, der erst von uns gesucht wird, und durch Opfer und Büßungen des Menschen erst bewogen werden muß, zu ihm sich zu wenden und nach ihm sich umzusehen. Da heißt es: Ich muß hinauf gen Himmel und die Barmherzigkeit herabholen; da tönt uns die ängstliche Frage eines knechtischen Sinnes entgegen: Was soll ich thun, Gott zu versöhnen? Was muß ich geben, seine Gunst zu erkaufen? - Und auch diese Gunst, die der natürliche Mensch mit seinen Opfern, Werken und Verdiensten sich zu erwerben meint, wie armselig ist sie und keiner Rede werth gegen diese Gaben und Liebeserweisungen, die dem verlorenen Sohne zu Theil werden, als der Vater ihn wieder in seine Arme schließt, ihn küsset, den Ring an seine Finger ihm gibt, mit dem schönsten Gewand ihn kleidet, und zu seinen Ehren das Freudenmahl anstellt! - Kein Wunder, daß selbst dem älteren Bruder, unter dem wir uns nichts anders als einen Gläubigen vorzustellen haben, da der Vater ihm sagt: alles, was mein ist, das ist dein - kein Wunder, daß demselben diese Gnade, die wie ein Meer daherwogt, zu groß wird! Konnten doch auch die Gläubigen aus der Beschneidung anfangs es gar nicht fassen, daß die Heiden, ihre jüngern Brüder, jetzt in des Vaters Haus aus der Fremde zurückgekehrt, mit so großem Jubel sollten aufgenommen, so hoch geehrt und so überschwenglich begnadigt werden, als dem Cornelius und seinen Hausgenossen wiederfahren war! Sie zankten mit Petro, daß er zu Cornelio eingegangen war. - Wir meinen wohl, das hätten wir von uns selbst, aus unserem eignen Herzen gefunden, daß Gott den Sündern gnädig ist: aber hierin täuschen wir uns. Es kommt uns so bekannt und so natürlich vor, weil wir von Jugend auf dieses Wort vernommen: Gnädig und barmherzig ist der Herr, geduldig und von großer Güte. Daß Gott den Sündern seine Liebe zuwenden, mit ihnen Gemeinschaft haben, bei ihnen wohnen will, sie zu Kindern annehmen und zu Erben einsitzen, - das wäre in keines Menschen Herz gekommen. Der Eingeborne, der in des Vaters Schooße ist, der hat es uns verkündet; und so groß ist dies in seinen eignen Augen, daß er selbst sein Erstaunen darüber in den Worten ausdrückt: Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen Eingebornen Sohn gab. Und das ist es eben, was diese Liebe so groß, so alle Erkenntniß und alle Erwartung des menschlichen Herzens übersteigend macht, daß Gott seinen Eingebornen Sohn, den Abglanz seiner Herrlichkeit, das Ebenbild seines Wesens für uns dahingegeben, und daß Er, der Herr der Herrlichkeit in diese finstre Welt sich versenken lassen, um ihr einen neuen Schein zu geben. Siehe, welch eine Liebe hat er uns erwiesen, daß Er, der nirgends die Engel annimmt, den Samen Abrahams an sich nimmt, daß Er zu uns herabkommt, unser menschlich Wesen, unsre Natur an sich nimmt, unter uns wohnt, uns in allem gleich wird, sich verkehrt, Knechtsgestalt an sich nimmt, um dadurch ein barmherziger Hoherpriester zu werden, der Mitleid mit uns haben kann. - Das ist das Wunder der Wunder, daß Er selbst, der die Bande des Orion bindet, und die Sterne ausführet, wie ein Hirt seine Schafe, - daß der in eigener Person den Verwundeten und unter die Mörder Gefallnen Oel und Wein in die Wunden gießt, daß Er selbst in Menschlicher Gewalt und Gebehrde auf dieser Erde erscheinet, den Verlornen nachgehet, und sie suchet, wie ein Hirte sein Schaf, - daß Er uns in allem gleich, ausgenommen die Sünde, als unser wahrer Bruder: in unsrer Mitte stehend, den Mühseligen und Beladenen zuruft: Kommt zu mir, ich will euch erquicken. - Dieses Wunder der Herablassung und der Liebe Gottes, daß Er zu Sündern so sein Herz neigt, die Verlornen aus dem Verderben herausliebt, wie Hiskias sagt, - Sünder selig und herrlich machen will, - das ist mit Einem Worte - Gnade.

Vielleicht erhebt sich aber nun die Frage: Gelingt es auch dieser Gnade, ihr Werk hinauszuführen, und den Schaden zu heilen, den Gott selbst durch den Mund Jeremiä verzweifelt böse nennt? - Sind wir nicht zu tief versunken, hat uns nicht der vierfache Kerker von Sünde, Welt, Tod und Hölle zu fest verriegelt und verschlossen? Es fällt unser Blick etwa auf den 89. Psalm; der heilige Sänger thut anfangs seinen Mund weit auf, und rühmet, daß eine ewige Gnade werde aufgehen. - Von einem seligen Volke weiß er, das jauchzen kann; denn er rühmet von denen, die diesem Volke angehören: Herr, sie werden im Lichte deines Antlitzes wandeln; sie werden über deinem Namen täglich fröhlich seyn, und in deiner Gerechtigkeit herrlich seyn. Denn du bist der Ruhm ihrer Stärke, und durch deine Gnade wirst du unser Horn erhöhen. Denn der Herr ist unser Schild, und der Heilige in Israel ist unser König.„ -Aber bald darauf kommt ein sehr bedenkliches Aber; es heißt nemlich V. 39.: aber nun verstoßest Du, und verwirfst, und zürnest mit deinem Gesalbten, und dann schließt der Sanger Ethan mit der Klage 5 Warum willst du alle Menschen umsonst geschaffen haben? Wo ist Jemand, der da lebet, und den Tod nicht sehe? Der seine Seele errette aus der Höllen Hand? - Wir sehen hieraus, die vorhin aufgeworfene Frage, ob's der Gnade gelingen werde, ihr Werk hinauszuführen, - ist gar nicht überflüssig; sie wird uns vom heiligen Sänger, der von einer ewigen Gnade singt, selbst in den Mund gelegt. - Wer einen tiefern Blick in das Verderben des eigenen Herzens gethan, wer vom Herrn selbst in die Hölle geführt ist, und in diese schauerlichen Abgründe versenkt wurde, aus denen die Klage heraustönt, der Feind verfolgt meine Seele, und zerschlägt mein Leben zu Boden, er legt mich in das Finstre wie die Todten in der Welt,-der kennt diese Frage Ethans, der weiß von Stunden zu sagen, wo es ihm war, als vermöchte die Allmacht selbst nicht, diese Ströme, ja diese Meere des Jammers und des Fluchs zurückzuwälzen, wo es ihm zu Muthe ward, als wäre unser Schade so verzweifelt böse, unsre Krankheit, unser Verderben so groß, daß es allen Bemühungen und Arbeiten der Gnade trotzen würde. - Was sollen wir hiezu sagen? - Die Antwort giebt uns das Eine Wort unsers Textes: Thron der Gnade. Da hör's und vernimm's, armes, zagendes Herz, welches fragte: Wo ist jemand, der seine Seele errettet aus der Höllen Hand; vernimm es, du Erde, und frohlocket, ihr Himmel: die Gnade siegt, die Gnade herrscht als Königin über alles. Denn von einem Gnadenthron hoch über allen Feinden, über Sünde, Welt, Hölle und Tod, redet der Apostel; von einem Gnadenthron im himmlischen Heiligthum, vor dem Angesichte Gottes, wohin der große Hohepriester eingegangen, der sich gesetzt hat zur Rechten der Majestät in der Höhe; ein Thron der Gnade für Alle zeigt sich uns hier, zu dem Alle eingeladen werden, wo Hülfe wider Alles, Trost für allen Jammer dargeboten wird. - Das Wort Gnaden thron würde hier nicht stehen, die Einladung an Alle, an diesem Throne Barmherzigkeit und Gnade zu suchen, würde sich nicht finden, wenn es der Gnade nicht gelungen wäre, alle Feinde zu überwinden, die sich ihr entgegenstellten. - Aber, Gottlob, sie hat überwunden; die Könige der Heerschaaren sind geflohen, und sie theilt die Beute aus, und hat sich als Siegerin über alles hinaufgeschwungen gen Himmel, und dort oben zur Rechten der Majestät sich einen Thron erbaut, von bannen sie nun den Scepter sendet, vor dem Sünde, Tod und Hölle sich beugen müssen; dieser Scepter herrscht mitten unter den Feinden. Und diesen Sieg hat die Gnade in der Person Jesu Christi errungen. Durch ihn und mit ihm, der voller Gnade und Wahrheit unter uns wohnete, hat sie sich hinaufgeschwungen auf den Thron Gottes. Der Sieg Jesu Christi ist der Sieg der Gnade; dadurch ist ihr der Sieg erstritten, daß sich Jesus hat darstellen lassen zum Gnadenstuhl in seinem Blut; daß Er als unser Bürge und Mittler, Hölle und Tod hat auf sich anlaufen, und für uns in das Gericht sich hat stellen lassen, wo seine Seele betrübt wurde bis zum Tode, so daß er des Todes Bitterkeit schmeckte. Aber wie Jakob dort am Jabok den Herrn mit Thränen und Gebet überwand, so hat Christus auch Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Thränen geopfert zu dem, der ihn konnte von dem Tode aushelfen und ist erhöret von seinem Zagen. Da er den Vorhang seines Fleisches am Kreuz zerreißen ließ, ist er siegreich durch Tod und Gericht hindurchgedrungen ins Allerheiligste, in den Himmel selbst, um zu erscheinen vor dem Angesicht Gottes für uns. Die Nägel, die seine Hände und Füße ans Kreuz bohrten, die haben auch den Schuldbrief und die Handschrift zerrissen, die wider uns waren. An diesem Kreuze hat Er aus den Fürsten und Gewaltigen einen Triumph gemacht, und sie Schau getragen öffentlich. Der Fürst der Welt, der des Todes Gewalt hatte, ist nun gerichtet und hinausgestoßen: Christus, der ihm den Harnisch genommen, darauf er sich verließ, konnte vom Tode nicht gehalten werden! Als Sieger über Hölle und Tod drang er durch des Grabes Thor, und ruft als solcher durch die Maria den Jüngern zu: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott; tritt mit dem Friedensgruß in ihre Mitte, erweiset sich ihnen als den Fürsten des Lebens und scheidet von ihnen mit dem Siegesworte: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden; siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende. - Dann fährt er hinauf gen Himmel auf dem Wagen, der viel tausendmal tausend ist, und besteigt den Thron der Majestät, auf dem Johannes ihn sahe, angebetet von allen himmlischen Heerschaaren, und von dannen er die Stimme hörte: Weine nicht, denn es hat überwunden der Löwe aus dem Stamme Juda. Ja, er hat überwunden, und thronet als der Hohepriester nach Melchisedeks Weise, Priesterthum und Königreich verbindend, im Allerheiligsten auf dem Stuhle Gottes, eines bessern Testamentes Ausrichter, ist Pfleger der heiligen Güter, sendet den Geist in die Herzen, schreibt das Gesetz in den Sinn, bleibt ewiglich, hat ein unvergänglich Priesterthum und kann selig machen immerdar, die durch ihn zu Gott kommen. Als der Durchbrecher, den nichts aufhalten konnte in seinem Siegeslauf, ist er heraufgefahren über alle Himmel; ihm müssen sich alle Thore der Welt aufthun, er führet seinen Triumphwagen dahin über die Breiten der Erde, führet ihn über wogende Völkermeere, über die hohen Berge, die mächtigen Weltreiche, und in seinem Auftrag und in seiner Kraft rufen seine Boten denselben zu: Wer seyd ihr hohen Berge, die ihr doch vor unserm Herrn eine Ebene werden sollt! - Auf sein Machtgebot müssen die ehernen Riegel zurückweichen und die ehernen Mauern sich in den Staub beugen. - Von dieser Ueberwinderherrlichkeit dessen, der viele Diademe auf seinem Haupte hat, und auf seiner Hüfte den Namen geschrieben: König aller Könige, Herr aller Herren, geben uns Zeugniß Tage wie jener Pfingsttag, da seine scharfen Pfeile drei Tausenden das Herz durchbohrten, und wie der Tag, da über das Haus Corum der Geist ausgegossen wurde, und wie jener, da Samaria das Wort annahm. Bon dem Siege, den die Rechte des Herrn über alle Feinde davon trägt, hören wir in den Lobliedern, welche die Apostel aus ihren Kerkern heraus, wie dort in Philippi ertönen lassen. Auch in Zeiten, wo sie über die Maßen beschwert sind und des Lebens sich erwägen, danken sie Gott, der ihnen allezeit Sieg giebt in Christo, und den Geruch seiner Erkenntniß durch sie an allen Orten offenbaret. Die Waffen unserer Ritterschaft, rufen sie ihren Mitstreitern zu, sind mächtig vor Gott, zu verstören die Befestigungen und alle Anschläge und Höhe, die sich erhebt wider die Erkenntniß Gottes, und nehmen gefangen alle Vernunft unter den Gehorsam des Glaubens. - Sie sind gewiß, daß sie nichts scheiden kann von der Liebe Gottes, weder Hohes, noch Tiefes, sondern daß sie in allem weit überwinden um deßwillen, der sie geliebt hat. Und was anders predigen uns solche Bekenntnisse und Zeugnisse als dieß, daß die Gnade über alles herrscht, und kein Feind, nicht Sünde, nicht Tod, nicht Welt und Hölle sich ihr entgegenstellen oder ihren Triumphzug aufhalten darf: wo die Sünde mächtig geworden ist, da ist doch die Gnade viel mächtiger geworden, auf daß, gleichwie die Sünde geherrscht hat zu dem Tode, also auch herrsche die Gnade durch die Gerechtigkeit zum ewigen Leben durch Jesum Christum. Nichts ist der Herrschaft der Gnade entzogen, was der Herrschaft der Sünde und des Todes unterworfen war: Denn so an Eines Sünde die Vielen (d. h. Alle) gestorben sind, so ist vielmehr Gottes Gnade und Gabe den Vielen reichlich wiederfahren, durch die Gnade des einigen Menschen Jesu Christi. Wie durch Eines Sünde die Verdammniß über alle Menschen gekommen ist, also ist auch durch Eines Gerechtigkeit die Rechtfertigung des Lebens über alle Menschen gekommen. - Mit einem Worte: Es ist eine ewige Gnade auf. gegangen, deren Thron nimmer wanket, und von keinem Feinde umgestoßen wird, eine allgenugsame Gnade, die aus aller Noth, Aus Meereswuth und Todesnoth erretten kann, eine allumfassende, die Niemanden zurückweiset oder ausschließt, sondern welche das für Alle erworbene Heil Allen anbietet. Und darum, weil es eine Gnade für Alle ist, weil nun für Alle Rath und Hülfe ist, und Niemand sagen darf: An mich ist nicht gedacht, ich bin vergessen, für meine Noth gibt es keinen Trost, so ergehet an Alle die Aufforderung: Lasset uns zum Gnadenthron treten. Den Sinn dieser Forderung, und wie man ihr genüge, das ist es, was jetzt unsrer Betrachtung vorliegt.

II.

Ist dem also, wie wir so eben vernommen, daß ein Gnadenthron aufgerichtet ist, vor dem alle Feinde unsrer Seligkeit, die Sünde, Tod und Hölle sich beugen müssen;- ist es also, daß eine Arzenei wider alles Todesverderben, ein Lösegeld für alle Gebundene gefunden ist, so ist es auch nicht der Wille Gottes, daß Jemand verloren gehe, daß Jemand unter der Obrigkeit der Finsterniß bleibe, wo Sünde und Tod, Ungnade und Zorn herrschen. Es ist demnach der ernstliche Wille Gottes, daß Alle dieser Herrschaft sich entreißen, dem Fürsten der Welt den Gehorsam aufkündigen, seine Bande zerreißen, den Kerker verlassen, der sie gefangen hielt, und dagegen des Segens theilhaftig werden, und zum Genuß der herrlichen Güter gelangen, welche so theuer erkauft sind; daß sie alle die Kraft des Blutes Christi an ihrem Herzen erfahren, und in seine Gemeinschaft kommen. - Eile, deine Seele zu erretten, ruft daher Jedem die Stimme aus dem Heiligthum zu, bleibe nirgends stehen auf verbannetem Lande; verlaß die Welt, das große Diensthaus, und mache dich los von ihrem schweren Frohndienste, wirf von dir die Banden deines Halses, und gehe ein in das Salem, die freie, wo der Gnadenthron aufgerichtet ist. An uns Alle ergehet der Ruf: Lasset uns Fleiß thun, einzukommen zu der Ruhe, die noch vorhanden ist, daß unser keiner dahinten bleibe. - Alle Durstigen ladet der Herr nun ein zum Wasser; und die nicht Geld haben, sollen kommen und kaufen, ohne Geld kaufen und umsonst, beides Wein und Milch. - Es ist sonach der ernstliche Wille Gottes, daß alle diese Gnade, ihr Werk und Amt, ihre Herrlichkeit und ihren Reichthum erkennen, ihr huldigen, ihr Vertrauen ganz auf dieselbe setzen, und sich ihr völlig zum Eigenthum hingeben, so daß sie in ihnen herrscht und das Herz mit allen seinen Sinnen und Gedanken regiert. - Das Endziel aber, wohin die Gnade führen will, ist, - uns heilig und unsträflich darzustellen vor Gottes Angesicht; das Bild Gottes will sie wiederherstellen in uns, die neue Kreatur, die nichts von Sünde weiß, wie Christus nichts davon wußte, so daß wir gesinnet werden, wie Jesus Christus auch war. Wo die Gnade regiert, da hat es mit der Herrschaft des Fleisches ein Ende; hui, hinaus, spricht man da zum Hochmuth, Stolz und Geiz, und statt dessen ziehet da ein Liebe, Friede, Freude, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Sanftmuth, Keuschheit. Ja, nichts Geringeres will die Gnade als daß unser Herz mit aller Gottesfülle erfüllet werde, und daß wir, durch und durch geheiligt nach Leib, Seele und am Geist, ein heiliger Tempel des dreieinigen Gottes werden. - Dieser Gnade nun, die von Schuld und Herrschaft der Sünde erlöset und ins Bild Christi uns verklärt, sich hingeben, das heißt, zum Gnadenthron hinzutreten. Zum Gnadenthron treten ist nichts anders, als nach dem Vorbilde Davids bitten: Sey mir gnädig, tilge meine Sünde, wasche mich wohl von meiner Missethat; - schaffe in mir ein neues Herz, gieb mir einen neuen gewissen Geist. - Mit dem verlornen Sohne umkehren aus der Irre, und mit dem Bekenntniß zum Vater im Himmel kommen: Ich habe gesündigt und bin nicht werth, daß ich dein Kind heiße; - mit dem Zöllner beten: Gott sey mir Sünder gnädig; wie Zacchäus des Heilandes begehren, und wie er mit Freuden ihn aufnehmen in Herz und Haus, wie er mit Bereitwilligkeit dem Genuß der Welt und ihrer Ungerechtigkeit absagen, - das beißt zum Gnadenthron treten. - An diesem Thron sehen wir jene Sünderin, die Jesu Füße mit ihren Thränen wusch, mit den Haaren ihres Hauptes trocknete, und aus seinem Munde das süße Evangelium hörte: deine Sünden sind dir vergeben, gehe hin in Frieden; da sehen wir Petrum, als er? zu Jesu Füßen niedersinkend ausruft: Gebe von mir hinaus, ich bin ein sündiger Mensch. Sein scheinbares Fliehen vor dem Herrn ist doch, im Grunde besehen, ein Herzunahen. Am Gnadenthron erblicken wir Petrum, da er hinausgehet aus des Hohenpriesters Palast und bitterlich weinet, und dann, als er durch des Meeres Fluchen zu dem Herrn eilet und dreimal ihm bezeuget, daß er ihn lieb habe. — Zu dem Gnadenthron eilen die Dreitausend, die am ersten Pfingsttage auf den Namen Jesu sich taufen ließen zur Vergebung der Sünden; zitternd nahet zu ihm der Mann, der aus der Tiefe gen Himmel rief: Was willst du, daß ich thun soll? - und der von sich bezeugt, daß er alsobald zugefahren und sich nicht mit Fleisch und Blut besprochen, da es Gott wohlgefiel, seinen Sohn in ihm zu offenbaren.

Und solches Herzunahen läßt sich der Herr nicht allein gefallen, sondern er hat es auch auf's nachdrücklichste geboten. Wer es nicht thut, verachtet den Rath Gottes zu seiner Seligkeit, verschmähet die dargebotene Gnade, und ruft dadurch ein ähnliches Gericht über sich herbei, als jene Verächter traf, welche die Boten des Königs verhöhnten, der sie zum großen Hochzeitsmahl geladen hatte. - Diese Eine Sünde, und wenn wir sonst keine hätten, dieses schnöde sich Hinwegwenden von der Barmherzigkeit und Liebe Gottes, die uns segnen will, - macht uns der Verdammung werth. - Mit Nichts ist solches Widerstreben zu rechtfertigen; ja, wenn der Herr große Opfer, Gaben und Werke von uns forderte, um uns seiner Liebe würdig zu machen, - wenn er verlangte, wir müßten uns zuvor rein und herrlich darstellen, müßten das Feierkleid der Unschuld und Gerechtigkeit mitbringen, ehe wir zu Ihm naheten, dann könnten wir uns eher entschuldigen. Ja, wenn von den in Sünden Todten gefordert würde, daß sie sich selbst zum geistlichen Leben erwecken sollen, und wenn darum das Gericht sie träfe, weil sie das nicht vermögen, so hätte die Klage über einen harten Herrn, der erndten will, wo er nicht gesäet hat, einen Sinn. Aber so ist es nicht. Ehe wir etwas gethan haben, uns der Liebe Gottes werth zu machen, hat Er uns seinen Sohn gegeben; wir sind Gott versöhnet durch den Tod seines Sohnes, da wir noch Feinde waren. Es ist alles bereitet, kommet zur Hochzeit, lautet die Botschaft. Die Feierkleider, in denen wir allein dem König gefallen können, werden uns geschenkt; die gläubige Seele rühmet vom Herrn, er habe sie mit dem Rock der Gerechtigkeit gekleidet, und die Kleider des Heils ihr angezogen. Es wird uns im Worte Gottes nicht nur das Gebot vorgehalten, heilig zu sein, wie Er heilig ist, und vollkommen, wie der Vater im Himmel vollkommen ist: sondern auch der uns gezeigt, der durch sein Opfer uns vollendet, sich für uns geheiligt hat, daß auch wir geheiligt seyen in der Wahrheit. Das Opfer, das der Herr für uns gebracht hat, giebt uns die Kraft, das Opfer des zerschlagenen Herzens, das Opfer des Dankes und jedes andere Opfer Ihm darzubringen. Das Wort des Herrn: Stehe auf von den Todten, und wache auf, der du schläfst, giebt uns auch die Kraft aufzustehen: denn seine Worte sind Geist und Leben. - Die ernste Ermahnung, zum Gnadenthron hinzuzutreten, ist daher zugleich Evangelium, Verheißung, ist freundliche Bitte, die Jeder erfüllen kann, der nicht muthwillig das Herz verhextet. Die Forderung an uns, daß wir zu dem mächtigen Ueberwinder der Hölle und des Todes nahen, um durch ihn alles uns nehmen zu lassen, was uns quält, - das schuldbeladene Gewissen, die Ohnmacht, die uns an der Sünde Joch fesselt, den Unfrieden, die Zerrissenheit des Gemüths, die drückende Decke der Unwissenheit, - die ist ja lauter Evangelium, eine Kraft Gottes zum Seligwerden.-Darum lasset uns hinzutreten zu dem Gnadenthron, und zwar mit Freudigkeit oder Freimut hi gleit. - Diese Freudigkeit ist der Furcht, dem Zittern und Zagen entgegengesetzt, das in der Zeit des Alten Testamentes heim Nahen zum Heiligthum Statt fand. Man denke an Sinai; da durfte Niemand nahen außer Moses. Ein Gehege umgab den Berg, und wer's überschritt, mußte getödtet werden. Die Herrlichkeit, in welcher der Herr erschien, war den Kindern Israel ein verzehrendes Feuer. Dunkle Wetterwolken umgaben den Thron Gottes, der Berg brannte mit Feuer, die Berge hüpften wie die Lämmer, und die Posaune Gottes ertönte; da mit Freudigkeit zu nahen, war allerdings schwer, wenn nicht unmöglich; selbst Moses sprach: Ich bin erschrocken und zittere. - Man denke ferner an das Erscheinen des Hohenpriesters im Allerheiligsten vor der Bundeslade. Nur einmal im Jahre durfte er, nachdem er sich vorher casteyet hatte, daselbst erscheinen, und zwar nicht in der herrlichen hohenpriesterlichen Kleidung. Ehe er nahete zum Heiligthum, mußte er für sich selbst ein Sündopfer darbringen, und durfte nicht daselbst erscheinen ohne das köstliche Rauchwerk, mit der Gluth vom Brandopferaltar angezündet. Wenn er siebenmal mit dem Blut des Sündopfers den Gnadenstuhl besprengt, mußte er das Allerheiligste wieder verlassen. So erinnerte alles daran, daß der Weg zur Heiligkeit noch nicht geoffenbaret sey und nur solche Gaben und Opfer geopfert wurden, welche nicht nach dem Gewissen können vollkommen machen den, der da Gottesdienst thut. Durch die Opfer geschah nur ein Gedächtniß der Sünden; sie wiesen nur hin auf das ewig gültige Opfer, das noch kommen sollte; bis dahin blieb die Sünde unter göttlicher Geduld. Der Hohepriester konnte unter solchen Umständen nicht ohne Zittern und Zagen zu dem Herrn nahen, der über den Cherubim thront. - Aber nun ist das Opfer gebracht, das die Sünde wegnimmt; Christus unser Hoherpriester, ist mit seinem eigenen Blut ins Allerheiligste eingegangen, zu erscheinen vor dem Angesichte Gottes für uns und hat eine ewige Erlösung erfunden. Er gehet nicht mehr heraus aus dem Allerheiligsten, sondern bleibet ewiglich darin; er stehet nicht, wie jene Priester zitternd und bebend vor dem Gnadenstuhl, sondern er sitzt auf demselben in göttlicher Majestät, ist eingegangen in seine Ruhe, und wartet nun bis alle seine Feinde, Welt, Hölle und Tod sich zum Schemel seiner Füße legen. Diese Feinde und ihren Zorn brauchst du daher nicht mehr zu fürchten, wenn du im Glauben zum Throne des allmächtigen Ueberwinders nahest, der jetzt Pfleger der heiligen Güter ist, und Macht hat, Gnade und Segen über alle seine Erlöseten auszugießen, sein Leben ihnen mitzutheilen, sie schweben zu lassen über den Höhen der Erde, hoch über Welt, Hölle und Tod, und sie zu speisen mit dem himmlischen Erbe. Trittst du im Glauben zu diesem Throne hin, so siehst du da nichts von einem Richter, der mit uns ins Gericht gehet, nichts vom Zorne, der uns niederwirft, und vor dem auch die Helden erbleichen, sondern der Allerschönste aller Menschenkinder stellt sich hier dem Auge der Gläubigen dar. Vor seinem Angesicht ist Freude und liebliches Wesen; keine Anklage des Satans, keine Gewalt des Todes reicht da hinan, sondern Mit Jubeln der Errettung umgibt er, die seine Barmherzigkeit suchen, und mit eitel Güte und Erbarmen umsähet er sie; um so mehr bricht ihm sein Herz, wenn ein zerschlagenes Gemüth sich ihm nahet, da er ja selbst allenthalben versucht ist, wie wir, und da er weiß, wie es einem Angefochtenen und Bedrängten zu Muthe ist; er ist nicht ein Hoherpriester, der nicht Mitleiden mit uns haben könnte. - Er weiß und hat es erfahren, was für einen Kampf wir hier haben; er hat die Bitterkeit des Todes geschmeckt, über ihn ergossen sich alle Bäche Belials und zitternd stand der Heilige, vor dem Seraphim ihr Angesicht verhüllen, als unser Bürge vor dem großen Schuldbuche des menschlichen Geschlechts, ja als ein Wurm lag er im Staube und rief: Ists möglich, so gehe dieser Kelch vorüber. - Das kann er ja in Ewigkeit nicht vergessen, das wird nicht alt bei ihm; es stehet ewig vor seinen Augen und in seinem Herzen, welches vor Mitleid ihm bricht, wenn eine arme Kreatur, die ihr Sündenelend fühlt und beklagt, zu ihm nahet. Er kann ihr kein hartes Wort sagen; und wenn er sich auch einen Augenblick, wie Joseph dort vor seinen Brüdern und vor Benjamin, verstellt, - wenn es auch einen Augenblick aussieht, als sei keine Hülfe und keine Gnade da, sein Herz entbrennt ihm nur desto mehr, und seine Liebe dringt ihn, bald zu uns hinzuzutreten und uns zuzurufen: Ich bin euer Bruder, und nun bekümmert euch nicht, denket nicht, daß ich euch zürne. - Die große Herrlichkeit, in die unser erstgeborner Bruder eingegangen, soll uns nicht blöde machen. Zwar sind die Räder des Stuhls, auf dem er thront, eitel Feuerflammen, und ein krystallnes Meer, wie mit Feuer gemengt ist vor seinem Stuhl, und sieben Fackeln mit Feuer brennen vor demselben, und Blitze, Donner und Stimmen gehen von ihm aus: aber um den Stuhl ist auch ein Regenbogen, anzusehen wie ein Smaragd, und unter den Stimmen hören wir auch die liebliche und tröstliche: das Lamm, das erwürget ist, ist würdig zu nehmen Kraft, und Reichthum, und Weisheit, und Starke, und Ehre, und Preis, und Lob. - Wir brauchen nicht zu erschrecken vor dem Glanze dieses Thrones: denn das Lamm ist da zu sehen, wie es erwürget wäre, also die Wundenmaale, durch die wir genesen. Wir müssen nur nicht vergessen, daß der Hohe und Erhabene, welcher mit seiner Stimme die Berge hüpfen machte wie die Lämmer und jetzt auf dem Throne der Majestät sitzt, in den Tagen seines Fleisches selbst gezaget und gebetet hat: Errette mich, Gott, daß ich nicht versinke, daß mich die Fluth nicht ersäufe, und die Tiefe nicht verschlinge, und das Loch der Grube nicht über mir zusammengehe. - Wie er selbst es nicht vergessen kann und will, daß er hier gelitten hat, und Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Thränen geopfert, so sollen auch wir es nicht vergessen; wir brauchen nicht zu denken, als lasse Er sich nicht gern daran erinnern, als schäme er sich seiner tiefen Erniedrigung und seiner Leiden: nein, um derselben willen ist er ja auch als Menschensohn mit ewigem Preis gekrönt und durch dieselben ist er zum großen Hohenpriester vollendet. Darum prangt er mit seinen Wundenmaalen dort im Throne der Herrlichkeit. - Wir dürfen daher den Herrn getrost daran erinnern, wie Er dort gezittert, und mit dem Tode gerungen hat. Die Herrlichkeit, in die er nun eingegangen, soll uns die tiefe Erniedrigung, die vorher ging, und die Schmach am Kreuz nicht vergessen machen, noch verbergen; sie soll uns auch nicht blöde und furchtsam machen, sondern vielmehr Freudigkeit und Zuversicht geben: denn als unser Haupt ist er ja in diese Herrlichkeit eingegangen, und wir sind mit Ihm zur Herrlichkeit erhoben, mit Ihm lebendig gemacht und ins himmlische Wesen versetzt. Als unser Bürge führt er ja unsere Sache und stehet eben so gut dort oben an unsrer Statt, wie er vorher in Gethsemane und auf Golgatha an unsrer Statt gestanden. Da er ist vollendet, ist er uns die Ursache, der Urheber und Schöpfer einer ewigen Seligkeit geworden, und kann uns nun sein Leben mittheilen, seines Sieges uns theilhaftig machen, daß wir mit ihm über Sünde, Hölle und Tod triumphiren, und in seiner Herrlichkeit einhergehen. Darum können wir nun aller Feinde Trotz begegnen, und kühn mit der Frage ihnen entgegen treten: Wer will verdammen? Christus ist hie, für mich gestorben, für mich auferwecket und vertritt mich zur Rechten Gottes! Siehe dort oben den, der meine Sünde getragen! - Zu ihm zu nahen, darf uns der Blick auf unsre Unreinigkeit, das Gefühl unsrer Unwürdigkeit um so weniger abhalten, da wir ja nicht unsre Gerechtigkeit und Heiligkeit wollen geltend machen, und darauf uns nicht berufen, sondern auf Christi Gerechtigkeit; das Lamm, das erwürget ist, ist würdig zu nehmen Preis und Ehre. So tretet denn mit aller Freudigkeit zum Gnadenthron, die ihr nur die Würdigkeit dieses Lammes wollet geltend machen, und nur in seinem Schmucke wollet erfunden werden! Was wollen wir zur Entschuldigung unsers Zurückbleibens sagen, da wir zum Throne Gottes, als er noch mit dunkeln Wetterwolken umhüllet und die ewige Erlösung noch nicht erfunden war, so Manche mit nicht geringer Zuversicht hinzunahen sehen! - Siehe Mosis Kühnheit!, da er dem Zorn des Herrn sich entgegenstellt, und ihn nicht läßt, bis er sein Strafurtheil zurückgenommen! - Wie bittet Abraham so freimüthig für Sodom, wie dringt Jacob in das Herz Gottes, als er spricht: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn; wie schmiegt sich David an den Herrn, da er selbst über die Höhe erstaunt, zu der ihn sein Gebet hinaufgetragen, als er spricht: Darum hat dein Knecht sein Herz gefunden, daß er dieß Gebet zu dir betet! - Und wie vertraulich reden Jesaias, Jeremias, Hosea, Jonas und die andern Propheten mit dem Herrn! - Konnten diese also nahen, in jener Zeit der anbrechenden Dämmerung, o, wie viel mehr müssen wir es können, da nun die Sonne der Gerechtigkeit über uns aufgegangen! Weg daher mit allen Zweifeln und mit aller Bedenklichkeit! Siehe an alle die Exempel derer, die unter den Flügeln dieser Sonne der Gerechtigkeit Genesung gefunden, siehe an die ganze Geschichte der Kirche und merke auf die Bekenntnisse aller Begnadigten: alles bezeuget, daß der Thron der Gnade aufgerichtet ist, so daß Zweifel nun Unsinn ist. - Weg mit aller Bedenklichkeit, du dürfest noch nicht kommen, weil du noch so elend so arm und schwach seyest: nicht dein Elend, deine Schwachheit, nicht dein beflecktes Kleid, sondern nur der Unglaube, der das befleckte Kleid für ein Feierkleid ausgeben will, macht dich unwürdig. - Siehe, die Thore thun sich weit auf, die Arme der Barmherzigkeit breiten sich uns entgegen, und die Gnade ruft uns zu: Her zu mir, ihr Mühseligen, ich will euch erquicken; ihr sollt Barmherzigkeit und Gnade finden für die Zeit, da Hülfe noth ist. Den Inhalt dieser Verheißung haben wir jetzt noch naher zu erwägen.

III.

Barmherzigkeit sollen wir finden und Gnade, das ist es, was uns verheißen wird. Barmherzigkeit empfahen wir am Thron der Gnade: denn er ist erbaut über dem Kreuz, an dem die Handschrift ausgelöscht ist, die wider uns zeugte. Die Inschrift, die Moses am Stuhle Gottes las: Krieg wider Amalek für und für, - die hat sich nun in die Andere verwandelt: Es hat überwunden der Löwe aus dem Stamme Juda. Alle unsere Feinde, die uns ängsteten, sehen wir hier überwunden zu Jesu Füßen. Da ist die Freistadt, wo das Gesetz, das dem Bluträcher gleich uns verfolgte, sein Verdammungsurtheil nicht aussprechen, viel weniger geltend machen darf. Das Wort des Sündentilgers: dir sind deine Sünden vergeben, tönt uns hier entgegen, wie jener Sünderin, die zu seinen Füßen lag; und dies Wort macht verstummen alle unsere Ankläger, und gibt uns einen Geleitsbrief, daß wir frei, sicher dahin gehen dürfen in einem Frieden, der höher ist als die Welt, mächtiger denn die Hölle. Mit dieser Absolution im Herzen können wir mit Hiob sagen: Wer gibt mir einen Verhörer, daß Jemand ein Buch schreibe von meiner Sache? So wollte ich es auf meine Achseln nehmen, und mir wie eine Krone umbinden. Ich wollte die Zahl meiner Gänge ansagen, und wie ein Fürst wollte ich sie darbringen. So freudig im Gericht stehen können, das heißt Barmherzigkeit empfangen haben. In diesem einen Geschenk, da uns unsre Sünden geschenkt sind und unsere Schulden erlassen, ist uns schon eine solche Gabe geschenkt, die mit Seligkeit, mit Friede und Freude das Herz erfüllet, und zu ewigem Lob und Dank uns verpflichtet. - Wem seine Sünden zu schwer geworden, daß sie als eine schwere Last über sein Haupt gingen; wer aus der Tiefe hat rufen müssen: Herr, gehe nicht ins Gericht mit mir, denn vor dir ist kein Fleisch gerecht; - wem ob seiner Sünden Schuld sein Herz in seinem Leibe verzeihen würde, daß er nicht wußte, wo aus und ein, der weiß auch, daß es schon Seligkeit genug ist, von diesem Druck und dieser Angst erlöset zu seyn. Und wenn wir weiter nichts fänden vor dem Gnadenthron als den Schatz der Vergebung der Sünden, und wenn wir sonst die Aermsten und Elendesten wären, so wären wir reich genug, und könnten uns wohl genügen lassen, da hingegen Kronen und Thronen, aller Reichthum und alle Herrlichkeit, alle der Besitz großer Weisheit und Erkenntniß, der Glanz großer Thaten und Werke unser Herz nicht stillen können, so lange unsre Schuld uns nicht vergeben, und die Anklage in unserm Gewissen wie ein Wurm an uns nagt. - Wo ist ein solcher Gott wie du, der Sünde vergiebt und Missethat erläßt, ruft darum vor Erstaunen die gläubige Seele aus, die mit ihrer Erfahrung es versiegeln kann, daß die Seligkeit des Mannes ist, dem die Sünde vergeben ist. - Aber nicht bloß Barmherzigkeit, sondern auch Gnade empfangen wir; nicht allein, daß uns die Schuld erlassen, die Sünde bedeckt, und die Missethat nicht zugerechnet wird, nicht allein, daß wir uns ansehen dürfen als mit Christo gestorben und begraben, und uns deß trösten können, daß unser alter Mensch sammt Christo gekreuzigt ist, und sein Urtheil also schon empfangen hat: es wird uns auch, wenn wir vor dem Gnadenthron erscheinen, die Gerechtigkeit Christi zugerechnet; er schenkt uns seine Herrlichkeit, und in Ihm, dem Geliebten, werden wir Gott angenehm und wohlgefällig gemacht, daß die Liebe, womit der Vater den Sohn liebt, in uns ist. In und mit dieser Gnade bekommen wir zugleich den neuen Namen, den Niemand kennt, denn der ihn empfängt, das Zeugniß des Geistes, daß wir Gott wohlgefallen, und seine Kinder sind. Wir sehen, indem wir den neuen Namen bekommen, seinen Namen in unser Herz geschrieben, das ist, wir sehen sein Bild in uns, und je mehr wir mit aufgedecktem Angesicht die Klarheit des Herrn anschauen, desto heller strahlt dies Bild in uns und desto mehr werden wir in dasselbe Bild verwandelt von einer Klarheit zu der andern. Die Klarheit, die Moses in dem alttestamentlichen Heiligthum bekam, die verschwand wieder; diese Klarheit aber, die wir vor dem neutestamentlichen Gnadenthron bekommen, die bleibt und wird immer herrlicher, bis der volle Tag anbricht und alle Finsterniß in uns vom Lichte verschlungen ist. -

Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, Gottes Erben und Miterben Christi; zu diesem Erbe gehören auch die Kräfte der zukünftigen Welt oder die Gabe des Heiligen Geistes; mit dem neuen Namen, mit dem Zeugniß, das wir Gottes Kinder sind, empfahen wir daher auch die Gabe des heil. Geistes. Sind wir aber mit solcher Gabe und mit solchen Kräften ausgerüstet, sind wir also mit den reichen Gütern des Hauses Gottes gesegnet, mit Gnade und Barmherzigkeit gekrönt, so vermögen wir auch alles, überwinden weit in allem, und haben alles reichlich für die Zeit, wo Hülfe noth ist, oder, wie es genauer heißt, zur rechtgelegenen Hülfe.

Wir finden Hülfe wider das Todesverderben in uns, wider die Macht der Welt und Hölle um uns. Will der Unglaube oder Kleinglaube in uns sich regen, will unsre Schuld uns ängstigen, unsre Ohnmacht uns drücken: zum Gnadenthron wollen wir treten, d. h. wir wollen den ansehen, der für uns erhöhet ist ans Kreuz, wie Moses in der Wüste eine Schlange erhöhete. Das Gesetz giebt keine Kraft, sondern richtet Zorn an; dieß bringt uns keine Genesung, daß wir unsre Wunden immer ansehen, und mit der Betrachtung unsres Elendes uns aufhalten, sondern daß wir die Wunden deß ansehen, der um unsrer Missethat willen zerschlagen ist. Sein Blut reinigt das Gewissen von den todten Werken zu. dienen dem lebendigen Gott. - Wie dem Josua, da er vor der Bundeslade niedersiel, der heimliche Bann enthüllet wurde, der über Israel lag, und wie ihm die Kraft daselbst gegeben wurde, denselben wegzuthun, so wird uns jeder heimliche Bann, der noch auf uns ruhet, in dem Gnadenlicht gezeigt, das vom Gnadenthron ausstrahlt, und ebenso empfahen wir da die Kraft, den Bann wegzuthun.

Wie von dem heimlichen Bann das Herz entbunden wird, wenns zum Gnadenthron tritt, so empfahen wir daselbst die Geisteskraft, das offenbare Widerstreben des Fleisches zu überwinden, und des Fleisches Geschäfte zu tödten. Bei dem Kämpfen wider die Sünde ohne diesen Gnadengeist verzehrt man sich in einem gesetzlichen Ringen, zerarbeitet sich in der Menge seiner Wege, geräth in selbst erwählten Gottesdienst, oder in Murren und Hadern mit Gott, oder in Selbstvergötterung. Aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren wie mit Adlersflügeln und nicht müde werden; die aus seiner Fülle schöpfen, deren Kraft versiegt nicht; die auf seine Gnade ihr ganzes Vertrauen setzen, die kommen weder in Gefahr, sich selbst zu vergöttern, noch wider den Herrn zu murren. Sie können mit Paulo rühmen, daß Gott ihnen allezeit Sieg giebt. Zwar sehen sie diesen Sieg nicht immer vor Augen, es ängstet sie oft, wenn sie die Welt im Siegesgepränge vor sich sehen, und das Hohngeschrei der Gottlosen hören müssen: Wo ist nun dein Gott? - Es kommen Stunden, wo sie einen Tag des Menschensohnes zu sehen begehren, und ihn nicht sehen; aber es bleibt dabei: der Glaube ist der Sieg, der die Welt überwindet, und durch alle Dunkelheiten, die uns umhüllen wollen, stehet das Auge des Glaubens hindurch, und liefet jene Inschrift, die in großen, leserlichen Zügen in den Thron Gottes eingegraben ist: Es hat überwunden der Löwe aus dem Stamme Juda. - Dies Wort bleibt unsre Losung, wenn der Kampf auch noch so heiß wird, wenn der Herr sich verbirgt, lange zu unserm Gebete schweigt, und wenn dagegen Satan desto lauter seine Stimme erhebt, unsre alten Schulden und neuen Versäumnisse und Gottes Gericht uns vorhält und seine feuerigen Pfeile auf uns abdrückt, d. h. seine lästerlichen Gedanken in die Seele wirft, und mit seinen Schrecken uns erschreckt.

In solchem Kampf da sollen wir gründlich lernen das Hoffen, da nichts zu hoffen ist; in solchem Feuer will uns der Herr reimen wie Gold und Silber, will das Holz, Heu und Stoppeln verbrennen, das wir auf den köstlichen Grund, der Jesus Christus ist, miterbauet hatten, will uns befreien von heimlicher Abgötterei, da wir uns noch Fleisches rühmten; denn da erfahren wir, daß mit unsrer Macht nichts gethan ist, daß unsre Weisheit keinen Ausweg aus solchen Dunkelheiten weiß, und daß nur Einer ist, der Ausgänge des Todes hat, und daß nichts uns erretten kann, als wenn wir ganz und gar in seine Arme uns werfen und seiner Gnade allein die Ehre geben. - Thun wir aber dieß, d. h. lassen wir uns nicht von dem Gnadenthron wegtreiben, bleiben wir Trotz allen Einwendungen unsres eignen Fleisches, Trotz allem Hohngeschrei der Welt, der das Kreuz eine Thorheit ist, und Trotz allem Toben, Lästerungen und Anklagen der Hölle und ihres Fürsten fest und unbeweglich an dem Worte der Gnade hangen, und halten wir fest an der Verheißung, daß vor dem Gnadenthron Barmherzigkeit und Gnade zu finden ist zur rechtgelegenen Hülfe wider alle Noth, so geschiehet uns nach unserm Glauben. - Wil überwinden dann in allem weit und dringen mit dem Siegesgeschrei: Christus ist mein Leben, Sterben mein Gewinn; Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg, - auch durch des Todes Thal und einst durch des Grabes Thor, und schwingen uns hinauf, oder vielmehr werden hinauf getragen in die Herrlichkeit, die Christus im hohenpriesterlichen Gebet den Seinen erbeten, dürfen als Priester und Könige, Gottes Namen auf der Stirn, vor dem Stuhle Gottes und des Lammes erscheinen, und, weil wir Ihm gleich seyn werden, Ihn sehen, wie Er ist, und werden dann satt werden an seinem Bilde. Amen.

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