Ryle, J. C. - "Gedenke des Sabbathtages, daß du ihn heiligest."

Ryle, J. C. - "Gedenke des Sabbathtages, daß du ihn heiligest."

Was in unsern Tagen die ernstliche Beachtung aller Bekenner Christi erfordert, ist der christliche Sabbath oder der Tag des Herrn. Wir müssen davon Kenntniß nehmen, wir mögen wollen oder nicht. Wir dürfen die Fragen nicht abweisen, die sich uns dieserhalb aufdrängen: - Ist ein Christ verpflichtet, den Sabbath zu halten? Haben wir ein Recht Jemanden zu sagen: Du begehst eine Sünde, wenn du an einem Sonntage deine Geschäfte besorgst oder deinem Vergnügen nachgehst? - Ist es wünschenswerth, daß am Tage des Herrn öffentliche Lustbarkeiten stattfinden?„ - Lauter Fragen, welche fortwährend aufgeworfen werden, und auf welche wir eine entschiedene Antwort sollten geben können.

Nun aber sind über diesen Gegenstand gar verschiedene und wunderliche Ansichten verbreitet. Fortwährend werden in Betreff des Sonntags Grundsätze aufgestellt, welche der schlichte, einfältige Bibelleser mit dem Worte Gottes unmöglich in Einklang zu bringen vermag. Würden diese Grundsätze bloß von unwissenden und ungläubigen Menschen ausgesprochen, so könnte das die Vertheidiger des Sabbaths nicht Wunder nehmen. Allein wenn sie selbst gebildete und fromme Leute unter ihren Gegnern finden: so müssen sie wohl erstaunen. Es ist eine traurige Wahrheit, daß in manchen Gegenden der Sabbath von solchen verletzt wird, die seine besten Freunde sein sollten.

Die Sache ist von der größten Wichtigkeit. Es nicht zu viel gesagt, daß das Gedeihen oder der Erfüll des Christenthums von der Heilighaltung des Sabbaths abhängt. Man reiße den Zaun ein, der den Sonntag jetzt schirmend umgiebt, und unsere Sonntagsschulen werden bald eingehen. Man lasse die Fluth der Weltlichkeit und Zerstreuung sich ohne Wehr und Schleuse über den Tag des Herrn ergießen, und unsere gottesdienstlichen Versammlungen werden bald aufhören. Es ist doch heutzutage nicht zu viel Frömmigkeit im Lande. Gott weiß es, und wir solltens auch wissen., Man zerstöre die Heiligkeit des Sabbaths, und es wird deren bald noch viel weniger sein. Kurz, Nichts würde nach meiner Ansicht das Reich des Satans so mächtig fördern, als wenn man dem Tage des Herrn den gesetzlichen Schutz entzöge. Das würde eine Freude sein für die Ungläubigen; aber eine Verspottung und Beleidigung Gottes.

Leser, ich erbitte mir auf einige Augenblicke deine Aufmerksamkeit für die kurzen einfachen Worte, die ich über den Sabbath sagen will. Neue Beweisgründe habe ich nicht vorzubringen; ich kann Nichts sagen, was nicht bereits vor mir und zwar hundertmal besser gesagt worden. Allein in einer Zeit, wie die unsrige, soll jeder christliche Schriftsteller sein Scherflein in den Schatz der Wahrheit legen. Als Diener Christi, als Familienvater, als Vaterlandsfreund fühle ich mich gedrungen, für den Sonntag das Wort zu nehmen. Meine Ansicht ist kurz und bündig enthalten in den Worten der Schrift: „Gedenke des Sabbathtages, daß du ihn heiligest!“

Mein Rath aber an alle Christen ist: für die Heilighaltung des ganzen Tages wider alle Feinde, außen und drinnen, ernstlich zu streiten. Es ist wohl des Kampfes Werth. Unser einmüthiges Feldgeschrei sei: Der Sabbath für immer!

Es giebt vier auf den Sabbath bezügliche Punkte, die besonders zu prüfen sind. Ueber jeden wünsche ich einige Bemerkungen zu machen.

Diese vier Punkte sind:

  • Der Grund, auf welchem der Sabbath ruht;
  • der Zweck, zu welchem der Sabbath eingesetzt worden;
  • die Art und Weise, in welcher der Sabbath gehalten werden soll; und
  • die Sünden, durch welche der Sabbath entheiligt wird.

I. Betrachten wir zuerst den Grund, auf welchem der Sabbath steht.

Es erscheint mir vor Allem wichtig, daß wir über diesen Punkt uns klar werden. Hier eben ist die Klippe, an welcher manche Feinde des Sabbaths Schiffbruch leiden. Sie sagen uns: der Tag sei „eine blos jüdische Satzung“ und wir eben so wenig verpflichtet, ihn heilig zu halten, als Opfer darzubringen. Sie rufens laut in die Welt hinein, die Heilighaltung des Sonntags beruhe auf Nichts als auf kirchlichem Ansehn, und könne aus Gottes Wort nicht bewiesen werden.

Die aber solches behaupten, haben meines Erachtens durchaus Unrecht. So liebenswürdig und achtbar Manche unter ihnen sind, in diesem Stücke kann ich nicht umhin, sie als gänzlich im Irrthum befangen anzusehn. Namen gelten mir nichts in einem solchen Falle. Nicht die Behauptung von hundert Gottesgelehrten, ob alten oder neuen, würde mich überreden, daß schwarz weiß sei, noch mich bewegen, den klaren Sinn der h. Schrift zu verwerfen. Bloß darauf kommt's an: ob diese ihre Aussprüche Glauben verdienen, ob sie wahr oder falsch sind.

Meine eigne feste Ueberzeugung ist, daß die Heilighaltung des Sabbathtages ein Theil des ewig-gültigen Gesetzes Gottes ist. Sie ist nicht eine bloß zeitweilige jüdische Satzung; nicht eine menschliche von Priesterlist erfundene Einrichtung; nicht eine unbefugte Kirchenverordnung. Sie ist vielmehr eine jener unvergänglichen Vorschriften, welche Gott zur Führung der Menschheit geoffenbaret hat. Haben auch viele Völker, die ohne Bibel sind, sie aus den Augen verloren und gleich andern Gesetzen unter dem Schutte des Aberglaubens und Heidenthums begraben: die Heilighaltung des Sabbathtages ist dennoch ein Gesetz, welches für alle Kinder Adams verbindlich sein und bleiben soll.

Was sagt die Schrift? Das ist jedenfalls entscheidend. Was Eisenbahn-Directoren und Zeitungsschreiber denken, gilt uns nichts. Wir brauchen nicht vor ihrem Richterstuhle zu stehn, wenn wir sterben. Der uns richtet, ist der Gott der Bibel. Was sagt der?

Ich wende mich zur Geschichte der Schöpfung. Da lese ich: „Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn.“ (1 Mos. 2, 3.) Also finde ich des Sabbaths gedacht gleich im Anfang aller Dinge. Fünferlei ist's, was dem Stammvater des Menschengeschlechts gegeben worden. Gott gab ihm einen Ort, an dem er wohnen, ein Werk, das er ausrichten, ein Gebot, das er halten, eine Gehülfin, die um ihn sein, und einen Sabbath, den er heiligen sollte. Ich kann durchaus nicht glauben, daß es in der Absicht Gottes gelegen habe, es solle je eine Zeit kommen, wo Adams Kinder keinen Sabbath mehr zu feiern brauchten.

Ich wende mich zu der Gesetzgebung auf dem Berge Sinai. Da finde ich unter zehn Geboten eines, welches ganz dem Sabbath gewidmet ist, und zwar das längste, vollständigste und ausführlichste von allen. (2 Mos. 20, 2-11.) Ich sehe einen handgreiflichen und deutlichen Unterschied zwischen diesen zehn Geboten und jedem andern Theile des mosaischen Gesetzes. Sie allein wurden in Gegenwart des ganzen Volkes verkündigt. Sie wurden in besonders feierlicher Weise, unter Donner, Blitz und Erdbeben vorgetragen. Sie allein wurden von Gott selbst auf steinerne Tafeln geschrieben, sie allein wurden in die Bundeslade gelegt. Ich finde das Sabbathgesetz unmittelbar neben den Gesetzen über Götzendienst, Mord, Ehebruch, Diebstahl und ähnlichen. Ich kann durchaus nicht glauben, daß es bestimmt war, blos eine Zeitlang verbindlich zu sein.

Ich wende mich zu den prophetischen Schriften des Alten Testaments. Ich finde, daß sie wiederholt die Entheiligung des Sabbaths mit den greulichsten Übertretungen des Sittengesetzes zusammenstellen. (Ezech. 20, 13. 16. 24. und 22, 8. 26.) Ich finde, daß sie davon sprechen als einer der größten Sünden, welche über Israel Gerichte und die Juden in Gefangenschaft brachten. (Nehem. 13, 11. und Jerem. 17, 19 - 27.) Es scheint mir klar, daß der Sabbath nach ihrem Urtheil etwas ungleich Höheres ist, als die Waschungen und Reinigungen des Ceremonial-Gesetzes. Wenn ich ihre Aussprüche lese, kann ich durchaus nicht glauben, daß das vierte Gebot zu den Dingen gehöre, die einst aufhören sollten. -

Ich wende mich zu dem, was unser Herr Jesus Christus gelehrt, als er auf Erden war. Ich kann nicht finden, daß unser Heiland je ein Wort hätte fallen lassen, durch welches eines der zehn Gebote an Ansehen verloren. Im Gegentheil ich finde, daß er gleich beim Antritt seines Amtes erklärt hat: „Ich bin nicht gekommen, das Gesetz aufzulösen, sondern zu erfüllen“, und der Zusammenhang der Stelle, an der er diese Worte gebraucht, zeigt zur Genüge, daß er solches nicht sagt vom Ceremonial-Gesetz, sondern von dem Sittengesetz. (Matth. 5, 17.) Ich finde, daß er von den zehn Geboten als einer anerkannten Regel des sittlich Guten und Bösen spricht: „Du weißt die Gebote.“ (Matth. 10, 19 ) Ich finde, daß er eilfmal über den Sabbath sich ausspricht, aber immer nur, um die abergläubischen Zuthaten zu entfernen, mit welchen die Pharisäer die Beobachtung des mosaischen Gesetzes auch hierin erschwert hatten, und niemals, um die Heiligkeit des Tages in Abrede zu stellen. Er schafft eben so wenig den Sabbath ab, als Jemand ein Haus zerstört, wenn er dessen Dach vom Moos oder Unkraut reinigt. Vor Allem finde ich, daß unser Heiland die Fortdauer des Sabbaths als eine ausgemachte Sache ansieht, wenn er die Zerstörung Jerusalems vorhersagt. „Bittet aber“, sagt er zu seinen Jüngern, „daß eure Flucht nicht geschehe am Sabbath“ (Matth. 24,20.) Wenn ich dies Alles bedenke, kann ich durchaus nicht glauben, daß unser Herr das vierte Gebot weniger verbindlich für den Christen erachtet haben sollte, als die übrigen neun.

Ich wende mich zu den Schriften der Apostel. Ich finde da die klarsten Aussprüche über die vergängliche Dauer des Ceremonial-Gesetzes und seiner Opfer und Einrichtungen, die sie „fleischlich und schwach“ nennen, die ihnen blos sind „ein Schatten der zukünftigen Güter“, „ein Zuchtmeister auf Christum“ und „aufgelegt bis zu der Zeit, da Alles neu wird“. Allein in ihren Schriften finde ich keine Silbe, welche lehrte, daß eines der zehn Gebote aufgehoben sei. Ich sehe im Gegentheil, wie der Apostel Paulus von dem Sittengesetze mit der größten Hochachtung spricht, obgleich er mit allem Nachdruck lehrt, daß es uns vor Gott nicht gerecht macht. (Röm. 7, 12.; 13, 3.; Ephes. 6, 2.; 1 Tim. 1, 8.) Ich sehe, daß Jacobus und Johannes das Sittengesetz ansehen als eine unter denen, an die sie schrieben, anerkannte und beglaubigte Regel. (Jac. 2, 10.; 1 Joh. 3, 4.) Nochmals sage ich: ich kann durchaus nicht glauben, daß, wenn die Apostel vom Gesetz sprechen, sie nur neun und nicht zehn Gebote darunter verstanden haben sollten.

Ich wende mich zu dem Verhalten der Apostel bei der Pflanzung der Kirche Christi. Ich finde ausdrücklich erwähnt, daß sie einen Tag in der Woche heilig hielten. (Apostelgesch. 20. 7.; 1 Cor. 16, 2.) und einer von ihnen denselben „den Tag des Herrn“ nennt. (Offb. 1,10.) Ohne Zweifel wurde der Tag verändert. Statt des siebenten wurde der erste Tag, zum Gedächtniß der Auferstehung des Herrn, dazu genommen. Aber ich glaube, die Apostel wurden durch Eingebung des heiligen Geistes zu dieser Aenderung veranlaßt und zugleich von seiner Weisheit geleitet, daß sie kein öffentliches Gebot daraus machten. Ein solches Gebot würde nur eine Gährung in den Gemüthern der Juden hervorgerufen und unnöthiges Aergerniß gegeben haben. Es war besser, diese Aenderung allmählich zu bewirken, als sie dem Gewissen der schwachen Brüder aufzunöthigen. Dem Geiste des vierten Gebots wurde durch diese Aenderung nicht im Mindesten zu nahe getreten. Der Tag des Herrn wurde eben so gut ein Tag der Ruhe nach sechs Arbeitstagen, als der siebente Tag ein Sabbath gewesen war. Warum aber der erste Tag der Woche uns als der Tag des Herrn so ausdrücklich bezeichnet wird, wenn die Apostel keinen Tag heiliger hielten, als den andern, ist mir durchaus unerklärlich.

Endlich wende ich mich noch zu den unerfüllten Weissagungen der Schrift. Da finde ich eine deutliche Vorhersagung, daß in den letzten Tagen, wenn die Erkenntniß des Herrn die Erde bedecken wird, noch ein Sabbath bestehen soll. „Alles Fleisch wird einen Sabbath nach dem andern kommen, anzubeten vor mir.“ (Jes. 66, 23.) Der Inhalt dieser Weissagung ist ohne Zweifel ein tiefer. Ich maße mir nicht an, diese Tiefe ganz zu ergründen. Aber Eins steht mir durchaus fest, nemlich, daß in den Tagen zukünftiger Herrlichkeit auf Erden ein Sabbath sein soll, und das nicht für die Juden allein, sondern „für alles Fleisch.“ Und wenn ich das bedenke, kann ich durchaus nicht glauben, daß es Gottes Wille war, der Sabbath solle zwischen der ersten und zweiten Zukunft Christi aufhören. Ich glaube vielmehr, er wollte, daß der Sabbath eine bleibende Einrichtung in seiner Kirche sein sollte.

Leser, ich lege dir diese Gründe aus der Schrift vor und bitte dich, sie ernstlich zu beachten. Mir ist's völlig klar, daß überall, wo Gott eine Kirche gehabt, seit es eine Bibel giebt, er auch einen Sabbath hatte. Meine feste Ueberzeugung ist, daß eine Kirche ohne einen Sabbath keine Kirche nach dem Muster der Schrift sein würde.

Ich will diesen Theil meiner Betrachtung mit zwei Warnungen schließen, welche mir wegen des Zeitgeistes dringend nöthig scheinen.

Erstlich: Hüten wir uns, das Alte Testament zu unterschätzen. In den letzten Jahren hat sich eine höchst unselige Neigung bemerkbar gemacht, alle dem Alten Testament entnommenen Gründe herabzusetzen und zu verachten, und Jeden, der sie gebraucht, als einen Finsterling, einen unaufgeklärten, hinter unserer Zeit zurückgebliebenen Menschen zu betrachten. Wir werden Alle wohl thun, wenn wir nicht vergessen, daß das Alte Testament eben so gut von Gott eingegeben ist, als das Neue, und daß die Religion beider Testamente in der Hauptsache und in ihrem Grunde eine und dieselbe ist.

Das Alte Testament ist das Evangelium in der Knospe, das Neue ist das Evangelium in der vollen Blüthe. Das Alte Testament ist das Evangelium im Halme, das Neue ist das Evangelium in der vollen Aehre. Die Heiligen des Alten Testaments sahen Vieles als in einem dunkeln Spiegel. Aber sie blickten im Glauben nach demselben Christus hin und wurden durch denselben Geist geleitet, wie wir. Laßt uns daher nie auf diejenigen hören, die alttestamentliche Gründe verächtlich behandeln. Vieler Unglaube beginnt mit der auf Unwissenheit beruhenden Verachtung des Alten Testaments.

Zweitens: Hüten wir uns, das Gesetz der zehn Gebote zu verachten. Es schmerzt mich bemerken zu müssen, wie außerordentlich seicht und unbegründet die Urtheile Vieler Menschen über diesen Gegenstand sind. Ich bin erstaunt über die Kälte, mit der selbst Geistliche zuweilen von demselben als einem Theile des Judenthums sprechen, der mit den Opfern und der Beschneidung gleich zu stellen sei. Ich meinestheils glaube, daß das Kommen des Evangeliums Jesu Christi die Stellung der zehn Gebote nicht um ein Haarbreit verrückt hat. Wenn ja, so hat es ihr Ansehen erhöht. Ich glaube, daß eine Erklärung und Einschärfung derselben am rechten Orte und in angemessener Weise eben so wichtig ist, als die Predigt von Christo dem Gekreuzigten. Durch sie kommt Erkenntniß der Sünde. Durch sie lehrt der Geist die Nothwendigkeit eines Erlösers. Durch sie lehrt der Herr Jesus sein Volk, wie es wandeln und Gott wohlgefällig werden soll. - Ich sollte denken, es wäre gut für die Kirche, wenn die zehn Gebote auf der Kanzel häufiger erklärt würden, als es jetzt geschieht. Jedenfalls dürfte ein großer Theil der Unwissenheit, welche bei der Sabbathsfrage jetzt sich kund giebt, den irrigen Ansichten über das vierte Gebot zuzuschreiben sein.

II. Der zweite Punkt, den ich untersuchen wollte, ist der Zweck, zu welchem der Sabbath eingesetzt worden.

Es erscheint mir unbedingt nöthig, diesen Punkt näher zu erörtern. Ueber keinen Theil der Sabbathsfrage sind so viele lächerliche und irrige Behauptungen vorgebracht worden. Manche erheben ein Geschrei, als thue man ihnen wirklich Unrecht, indem man sie zur Heilighaltung des Sabbaths auffordert, als wäre die Beobachtung dieses Tages ein schweres Joch gleich der Beschneidung, den Waschungen und Reinigungen des Ceremonial-Gesetzes. Sie verhöhnen die Diener der Religion, daß sie den Sabbath vertheidigen, als verfolgten diese dabei lediglich ihre selbstischen Zwecke. Sie geben zu verstehen, daß unsre Beweggründe nicht rein seien und wir für „unser Handwerk“ Gefahr fürchten. All dies Gerede findet nur zu leicht Eingang bei unwissenden Leuten.

Laßt uns doch ein für allemal erkennen, daß all solche Behauptungen auf völligem Mißverständniß beruhen und arge Täuschungen sind. Der Sabbath ist eine gnadenreiche Einrichtung Gottes zum gemeinsamen Wohle aller Menschen. Er wurde „um des Menschen willen“ gemacht. Er wurde zum Besten aller Classen gegeben, der Laien eben so gut als der Geistlichen. Er ist nicht ein Joch, sondern ein Segen; nicht eine Last, sondern eine Gnadengabe Gottes; nicht eine harte, mühselige Forderung, sondern eine große allgemeine Wohlthat. Er ist nicht eine Vorschrift, welcher ein Mensch blindlings folgen soll, ohne zu wissen warum; sondern er trägt seinen Lohn in sich selbst. Er ist gut für den Leib und den Geist des Menschen. Er ist gut für alle Nationen. Vor Allem ist er gut für die Seele.

Der Sabbath ist gut für den Leib des Menschen. Wir alle bedürfen eines Ruhetags. Hierüber sind die Aerzte jedenfalls einverstanden. Wie merkwürdig und wunderbar auch der menschliche Leib gebaut ist, eine unablässige Arbeit ohne regelmäßig wiederkehrende Zeiten der Ruhe kann er nicht ertragen. Das wurde den Goldgräbern in Californien bald klar. Leichtsinnig und gottlos, wie die meisten unter ihnen sein mochten, zudem mächtig angespornt von der Hoffnung auf Gewinn, fanden sie doch, daß die Ruhe des siebenten Tages unabweisbar nöthig sei, um sich am Leben zu erhalten. Ohne diese - davon überzeugten sie sich - würden sie beim Goldgraben nur ihr eignes Grab graben. Ich bin gewiß: könnte der Leib uns seine Bedürfnisse sagen, er würde uns zurufen: „Gedenke des Sabbaths.“ -

Der Sabbath ist gut für den Geist des Menschen. Der Geist bedarf eben so wohl der Ruhe als der Leib. Eine ununterbrochene Anspannung seiner Kräfte kann er nicht ertragen. Er bedarf der Erholung, um neue Kräfte zu sammeln. Ohne das wird er vor der Zeit stumpf, oder plötzlich zusammenbrechen, wie ein überspannter Bogen. Sehr beachtenswerth ist Wilberforces Zeugniß in diesem Punkt. Er erklärte, seine große Ausdauer könne er einzig seiner regelmäßigen Beobachtung des Sabbathtages zuschreiben. - Er erinnerte sich bemerkt zu haben, wie unter seinen Zeitgenossen Männer von den gewaltigsten Geistesgaben endlich plötzlich zusammenbrachen und ein trauriges Ende nahmen. Und er war überzeugt, daß in allen diesen Fällen geistigen Schiffbruchs die Hintansetzung des vierten Gebots die eigentliche Ursache war.

Der Sabbath ist gut für die Nationen. Er hat einen unberechenbaren Einfluß auf den Character und die zeitliche Wohlfahrt eines Volks. Ich glaube fest, ein Volk, welches regelmäßig an einem der sieben Tage ausruht, wird in einem Jahre mehr und bessere Arbeit thun, als ein anderes, welches sich gar keine Ruhe gönnt. Die Hände werden starker, der Geist klarer, die Macht der Beobachtung, des Fleißes und des festen Ausharrens wird ungleich größer sein. Seht auf Großbritannien und Nord-Amerika, die zwei Staaten, in welchen der Sabbath am meisten gehalten wird. Sie haben in den letzten fünfzig Jahren sieben Jahre guter Werktage aufgegeben, um den Tag des Herrn zu heiligen. Haben sie Etwas dabei verloren? Hat ihre Macht, ihr Ansehn, ihr Wohlstand darunter gelitten? - Keineswegs. Vielmehr müssen wir sagen, daß sie das Gute, was sie vor andern Nationen voraus haben, größtentheils eben dem Heilighalten des Sabbaths verdanken.

Endlich - und das ist das Wichtigste - der Sabbath ist ein unzweifelhaftes Gut für die Seele des Menschen. Die Seele hat ihre Bedürfnisse nicht minder, als Geist und Leib. Sie befindet sich mitten in einer geschäftigen lärmenden Welt, in welcher sie beständig Gefahr läuft, ihres Heils zu vergessen. Soll es recht gewahrt werden, so muß ein besonderer Tag dazu angesetzt werden. Es muß eine regelmäßig wiederkehrende Zeit da sein, um den Zustand unserer Seele zu untersuchen, ein Tag, um uns zu erforschen und zu prüfen, ob wir für das ewige Himmelreich vorbereitet sind. Nimm einem Menschen seinen Sabbath, und mit seiner Religion wird's auch bald ein Ende haben. Es gilt als allgemeine Regel: wer keinen Sabbath hat, gelangt stufenweise auch dahin, daß er keinen Gott mehr hat.

Ich weiß wohl, daß Viele sagen: die Religion besteht nicht im Halten von Tagen und Zeiten. Darin stimme ich ihnen bei. Mir ist gar wohl bekannt, daß mehr nöthig ist, als Sabbathhalten, um unsere Seelen selig zu machen. Aber ich wollte, diese Leute sagten nur gerade heraus, was das für eine Religion ist, welche lehrt, gar keinen Tag heilig zu halten. ES mag die Religion der armen verderbten Menschennatur sein. Aber, deß bin ich gewiß, es ist nicht die Religion der Offenbarung; nicht die Religion, die uns sagt: wir müssen wiedergeboren werden, an Christum glauben, ein heiliges Leben führen. Die geoffenbarte Religion lehrt mich, daß man nicht so leichten und wohlfeilen Kaufes in den Himmel kommt, wie Manche heutzutage zu wähnen scheinen, und daß es zu unserm Seelenheil unerläßlich ist, Gott in jeder Woche einen Tag zu weihen.

Ich weiß wohl, daß es wohlmeinende Leute giebt, welche uns mit der Behauptung entgegentreten, jeder Tag müsse einem wahren Christen heilig sein, und aus diesem Grunde die besondere Heiligung des ersten Tages in der Woche verwerfen. Ich achte die gewissenhafte Ueberzeugung dieser Leute. Ich bin auch, wie nur irgend Einer, auf das Entschiedenste dafür, daß wir „täglich“ uns als Christen erweisen müssen, und Protestiren gegen ein bloßes Sabbaths-Christenthum. Aber das steht mir fest, daß diese Lehre nicht eine heilsame und unbiblisch ist. Wie die menschliche Natur einmal ist, würde nach meiner Ueberzeugung der Versuch, jeden Tag als einen Tag des Herrn zu betrachten, dahin führen, daß man gar keinen Tag des Herrn mehr hätte. - Nur ein ausgemachter Schwärmer, meine ich, könnte sagen, es sei nicht recht, besondere Zeiten für das Gebet im Kämmerlein festzuhalten, weil wir ja „ohne Unterlaß“ beten sollten. Und ich bin überzeugt, Niemand, der die Welt mit nüchternen Augen ansieht, wird sich der Einsicht entschlagen können, daß, wenn die Religion ihre volle Wirkung auf die Menschen üben soll, ihr ein Tag in der Woche besonders gewidmet werden muß.

Leser, ich bitte dich, das eben Gesagte wohl zu erwägen. Ich glaube, Nichts vorgebracht zu haben, dem man mit Grund widersprechen könnte. Ich glaube, daß, wenn alle Kirchen und Kapellen niedergerissen und alle Diener der Religion aus unserm Lande verbanne würden, es doch eine unverkennbare Wohlthat für dasselbe wäre, die Einrichtung des Sabbaths unangetastet zu erhalten, und eine That selbstmörderischer Thorheit, ihn aufzuheben. England, es mags wissen wollen oder nicht, hat in seinem Sabbath eines seiner köstlichsten Besitzthümer; er ist das große Geheimniß seiner Stellung in der Welt. -

III. Ich will drittens die Art und Weise angeben, in welcher der Sabbath gehalten werden soll.

Ueber diesen Punkt sind die Ansichten sehr verschieden, und selbst die Freunde des Sabbaths stimmen hier nicht völlig überein. Manche, glaube ich, würden eines Sabbaths eben so entschieden sich annehmen, wie ich, aber nicht des Sabbaths, für den ich kämpfe. Jedoch in einer Sache, wie dieser, kann ich keinen Menschen Meister nennen. Meine Absicht ist, einfach darzulegen, was Gottes Wille, wie er in der heiligen Schrift offenbart ist, zu sein scheint.

Ein für allemal muß ich offen bekennen, daß ich nicht völlig mit denen übereinstimmen kann, die da sagen: sie wollen keinen jüdischen Sabbath, sondern einen christlichen. Ich glaube, diese Leute sind sich nicht klar über das, was sie damit meinen. Sind sie gegen einen pharisäischen Sabbath: so bin ich mit ihnen einverstanden. Sind sie aber gegen einen mosaischen Sabbath, so mögen sie wohl bedenken, was sie sagen. Ich finde nirgends einen deutlichen Beweis, daß nach Mosis Absicht der Alttestamentliche Sabbath strenger gehalten werden sollte, als der christliche Sonntag. Daß ein Mann gesteinigt wurde, weil er am Sabbath Reisig gelesen, gehört offenbar nicht hieher. Es war ein besonderes Vergeben, begangen unter besonders erschwerenden Umständen, gar im Angesichte des Berges Horeb, und nachdem eben das Gesetz gegeben worden. Dieser Fall kann über spätere eben so wenig entscheiden, als der erschütternde Tod des Ananias und der Sapphira in der Apostelgeschichte wegen ihrer Lüge, und es kann nicht bewiesen werden, daß jemals eine solche Bestrafung wieder statt gefunden. Ich meinerseits glaube, daß die Erklärungen unsers Herrn über das Sabbathgesetz keine andern sind, als welche Moses selbst gegeben haben würde. Ich habe guten Grund zu vermuthen, daß, abgesehen von der Verschiedenheit der alt- und neutestamentlichen Ordnungen, David, Samuel und Jesajas ihren Sabbath nicht viel anders werden gehalten haben, als Johannes und Paulus.

Was scheint denn der Wille Gottes in Betreff der Art und Weise zu sein, wie der Sabbathtag gehalten werden soll? - Es sind zwei allgemeine Regeln aufgestellt, die uns zur Richtschnur dienen und nach denen alle Fragen entschieden werden müssen. -

Die eine deutliche Regel ist, daß der Sabbath als ein Ruhetag gehalten werden muß. Alle und jede Arbeit, sowohl leibliche als geistige, soll soviel als möglich aufhören. „Du sollst kein Werk thun, noch dein Sohn, noch deine Tochter, noch dein Knecht, noch deine Magd, noch dein Vieh, noch dein Fremdling, der in deinen Thoren ist.“ Werke der Noth und der Liebe darf man thun. Unser Herr Jesus Christus lehrt uns das, und ebenfalls, daß alle solche Werke im A. Testamente erlaubt waren. „Habt ihr nicht gelesen,“ spricht er, „was David that? - Habt ihr nicht gelesen, daß die Priester den Sabbath brachen und sind doch ohne Schuld?“ (Matth. 12, 5.) Kurz, Alles, was zur Bewahrung und Erhaltung des Lebens, sei's unsers eignen oder des anderer Geschöpfe, nöthig oder dem Wohl der Menschenseelen förderlich ist, kann am Sabbath ohne Sünde gethan werden.

Die zweite Hauptregel über den Sabbath ist, daß er heilig gehalten werden muß. Unsere Ruhe darf nicht die Ruhe eines Thieres sein, wie eines Ochsen oder Esels, die weder Geist noch Seele haben. Sie darf nicht eine fleischliche, sinnliche Ruhe sein, wie die der Anbeter des goldenen Kalbes, die „sich niedersetzten um zu essen und zu trinken, und aufstanden um zu spielen.“ Sie soll durchaus eine heilige Ruhe sein, eine Ruhe, bei der, so viel möglich, man die Angelegenheiten der Seele wahrnehmen, sich mit der zukünftigen Welt beschäftigen, und die Gemeinschaft mit Gott und Christo pflegen soll. Kurz, es sollte nie vergessen werden, daß es „der Sabbath des Herrn unsers Gottes ist.“ (2 Mos. 20, 10.)

Leser, ich erbitte mir deine Aufmerksamkeit auf diese beiden Hauptregeln. Ich glaube, daß durch sie alle Sabbathsfragen vollständig erledigt werden können. Ich glaube, daß innerhalb der Grenzen dieser Regeln jedes erlaubte und vernünftige Bedürfniß der menschlichen Natur seine volle Befriedigung findet, und daß Alles, was darüber hinausgeht, Sünde ist.

Ich bin kein Pharisäer. Kein hart arbeitender Mann, der sechs mühselige Tage lang in einem engen Raum eingeschlossen gewesen, lasse sich's einfallen, ich habe Etwas dagegen, wenn er seinem Leibe am Sonntag eine Erholung gönnt. Ich sehe nichts Verfängliches in einem ruhigen Spaziergange am Sonntage, vorausgesetzt, daß nicht der Kirchengang darüber versäumt wird und er wirklich ruhig und gleich dem eines Isaak ist. (1 Mos. 24, 63.) Ich lese von unserm Herrn und seinen Jüngern, wie sie am Sabbath durch die Kornfelder gingen. Ich sage nur: Hüte dich, daß du die Freiheit nicht in Zügellosigkeit verkehrst; daß du nicht der Seele Andrer schadest, indem du für dich Erholung suchest, und vergiß es nie, daß du sowohl eine Seele als einen Leib hast.

Ich bin kein Schwärmer. - Möge kein müder Arbeitsmann mich mißverstehen, wenn ich ihn auffordere, den Sabbath heilig zu halten. Ich sage Niemanden, ,er solle den ganzen Sonntag beten, oder den ganzen Sonntag in der Bibel lesen, oder den ganzen Sonntag in der Kirche zubringen, oder den ganzen Sonntag der Betrachtung widmen, ohne alle Unterbrechung.

Ich sage nur, daß die Sonntagsruhe eine heilige Ruhe sein soll. Gott soll man vor Augen haben. In Gottes Wort soll man forschen. Gottes Haus soll man besuchen. Die Hauptsorge soll auf die Seele gerichtet sein. Und ich sage, daß Alles, was eine solche Heilighaltung des Tages hindert, möglichst vermieden werden soll.

Ich bin kein Verehrer einer finstern Religion. Niemand denke, ich wolle den Sonntag zu einem traurigen und freudenlosen Tage machen. Mein Wunsch ist, daß jeder Christ ein seliger Mensch sei; daß er „Freude und Frieden im Glauben“ habe und daß er „in Hoffnung sich der zukünftigen Herrlichkeit Gottes freue.“ Ich will, daß Jeder den Sonntag als den heiligsten, fröhlichsten unter allen sieben Tagen betrachte. Und ich sage Jedem, der einen solchen Sonntag, wie ich ihm das Wort rede, für einen mühseligen Tag hält, daß in der Verfassung seines Herzens ein trauriges Etwas ist, was anders sein sollte. Ich sage ihm geradezu, daß, wenn er eines heiligen Sonntags sich nicht freuen kann, die Schuld nicht an dem Tage, sondern an ihm selber liegt.

Wohl mögen Manche denken, ich stecke die Fahne der Sonntagsfeier viel zu hoch. Die Gedankenlosen und Weltlichgesinnten, die Geldgierigen und Vergnügungssüchtigen werden allesammt schreien, ich fordere Unmögliches. Das zu behaupten, ist eben nicht schwer. Die einzige Frage für den Christen sollte sein: „Was lehrt die Bibel?“ Gottes Maaßstab für das, was recht ist, darf doch wahrlich nicht dem des Menschen angepaßt werden. Vielmehr hat dieser sich nach jenem zu richten. -

Ich verlange für die Heilighaltung des Sabbaths nicht mehr noch minder, als was das dritte Gebot darüber feststellt, und was die besten und heiligsten Christen in jeder Kirche und unter jedem Wolke fast ohne Ausnahme festgehalten haben. Höchst merkwürdig ist die Uebereinstimmung, welche unter ihnen in diesem Punkte sich zeigt, während sie doch in andern religiösen Dingen weit auseinander gingen und selbst über die Gründe, mit denen sie die Heilighaltung des Sabbaths vertheidigen, nicht einig waren. Sobald man jedoch aus die praktische Frage kommt, wie der Tag des Herrn gehalten werden kann, ist ihre Einigkeit wahrhaft zum Erstaunen.

Endlich - und auch das verdient alle Beachtung - ich verlange keine andere Heiligung des Sabbaths, als zu welcher ein ruhiges vernünftiges Nachdenken über die zukünftigen Dinge jeden besonnenen Menschen führen muß.

Müssen wir wirklich einmal sterben und diese Welt verlassen? Müssen wir bald in einem andern Leben vor Gott erscheinen? Dürfen wir hoffen, daß wir eine endlose Ewigkeit in Gottes unmittelbarer Gegenwart zubringen sollen? Ist dem so oder nicht? Wenn dem so ist, ist's wahrlich nicht zu viel verlangt, daß wir von sieben Tagen einen Gott geben; nicht zu viel, daß wir für eine andere Welt geschickt zu werden suchen, indem wir den Sabbath der besondern Vorbereitung dazu widmen. Der gesunde Menschenverstand, die Vernunft und das Gewissen werden, glaube ich, darin übereinstimmen, daß, wenn wir für Gott nicht einen Tag in der Woche übrig haben, wir nicht so leben können, wie die leben sollen, welche dem Tode mit jedem Augenblick näher kommen.

IV. Zuletzt will ich noch Einiges sagen über die Sünden, durch welche der Sabbath entheiligt wird.

Das ist ein schmerzliches und trauriges Geschäft. Allein es gehört wesentlich mit zur Sache. - Der Sabbath wird jetzt ohne Zweifel besser gehalten, als vor hundert Jahren. Doch wie viel auch geschehen ist, es bleibt immer noch ein ungeheures Maaß von Sabbathsentheiligung übrig, welches allwöchentlich zu Gott schreit. Wie Viele giebts unter uns, die den Gottesdienst gar nicht besuchen, und wie viel Andere, die blos dann und wann im Hause des Herrn sich einfinden?

Es giebt zwei Arten der Sabbathsentheiligung. Die eine, deren Tausende fortwährend sich schuldig machen, geschieht mehr im Stillen, und ihr kann nur durch Erweckung des Gewissens Einhalt gethan werden. - Die andere ist mehr öffentlicher Art, und diese kann nur durch die Macht der öffentlichen Meinung und durch den starken Arm des Gesetzes abgestellt werden. -

Wenn ich von geheimer Sabbathsentheiligung spreche, so meine ich jene leichtsinnige, gedankenlose, weltliche Weise, den Sonntag hinzubringen, welche, wie der aufmerksame Beobachter weiß, gewöhnlich ist. Wie Viele verbringen den Tag des Herrn damit, daß sie ihre Freunde besuchen und Gastmähler halten, ihre Rechnungen durchsehen und ihre Bücher in Ordnung bringen, Reisen machen und ruhig weltliche Geschäfte verrichten, Zeitungen oder neue Romane lesen, Briefe schreiben, oder politisches und leeres Geschwätz treiben, kurz, mit allem Möglichen sich befassen, nur nicht mit göttlichen Dingen.

Alles das ist nun unrecht, entschieden unrecht. Tausende, davon bin ich überzeugt, denken niemals daran. - Sie sündigen aus Unwissenheit und Unüberlegtheit. Sie thun eben, was Andere thun. Sie verbringen den Sonntag, wie's ihre Väter und Großväter vor ihnen gethan. Allein das ändert die Sache nicht. Man kann doch unmöglich sagen, daß den Sonntag in der gedachten Weise verbringen denselben heiligen heiße. Es ist eine offenbare Verletzung des vierten Gebots, sowohl dem Buchstaben als dem Geiste nach. Unmöglich können von tausend Fällen auch nur in einem Werke der Noth oder der Liebe vorgeschützt werden. Und wie gering und unbedeutend diese Übertretungen des Sabbaths auch scheinen mögen, so werden doch gerade durch sie Menschen verhindert, mit Gott zu verkehren und Segen von seinem Tage zu erlangen.

Wenn ich von öffentlicher Sabbathsentheiligung rede, so meine ich das offene schamlose Treiben, welches an Sonntagen in der Nachbarschaft großer Städte uns entgegentritt. Ich rechne Hieher das Offenhalten von Läden, das Kaufen und Verkaufen an Sonntagen; ferner die Sonntagsfahrten auf Eisenbahnen und Dampfbooten, und die Ausflüge nach Kaffee- und Biergärten und öffentlichen Vergnügungsorten.

Was von allen diesen Punkten zu halten, ist mir nicht im Mindesten zweifelhaft. Diese Weise den Sonntag zuzubringen, ist unrecht, entschieden unrecht. So lange die Bibel Bibel und das vierte Gebot viertes Gebot ist, kann ich zu keinem andern Schlusse gelangen.

Auf diese Weise den Sonntag hinbringen heißt nicht Werke der Noth oder der Liebe verrichten. Zwischen jenem und dem, was der Herr Jesus als erlaubt am Sabbath bezeichnet, besteht nicht die entfernteste Aehnlichkeit. Einen Kranken, heilen oder einen Ochsen oder Esel aus dem Brunnen ziehen, ist etwas ganz Anderes, als einen Ausflug auf der Eisenbahn machen oder eine Gemäldegallerie besuchen. Der Unterschied ist so groß, wie der zwischen Licht und Finsterniß.

Auf diese Weise den Sonntag hinbringen zeugt nicht von einer heiligen Gemüthsrichtung, noch von der Absicht, den Seelen Gutes zu thun. - Solches hat, wo's versucht worden, auch nie sittlich oder geistig genutzt.

Und versucht hat man's vielfach, in Italien, Frankreich, auch in unserm Lande. Allein was ist damit gewonnen worden? Die gehoffte gute Frucht hat sich nirgend zeigen wollen.

Endlich - und auch das ist wohl zu beachten - durch diese Art und Weise, den Sonntag hinzubringen, wird den Seelen gar vieler Menschen ein grausames Unrecht angethan. Eisenbahnzüge und Dampfboote können am Sonntag nicht fahren, ohne Hunderte von Personen in Anspruch zu nehmen. Kassierer, Lastträger, Billetabnehmer, Polizeibeamte, Wärter, Lokomotivführer, Heizer, Omnibuskutscher müssen am Sabbath alle arbeiten, wenn wir den Sonntag zum Reise- und Vergnügungstage machen wollen. Museen, Ausstellungen, Bildergallerien können am Sonntage nicht geöffnet werden, ohne Diener und Aufwärter, die Acht auf die Gegenstände haben und den Besuchenden an die Hand gehen. Und haben nicht alle diese Unglücklichen unsterbliche Seelen? Bedürfen sie nicht eines Ruhetages eben so gut, wie jeder andere? Sicherlich das. - Allein der Sonntag ist für sie kein Sonntag, so lange diese öffentlichen Sonntagsentheiligungen gestattet sind. Ihr Leben wird eine lange ununterbrochene Kette von Arbeit, Arbeit, nichts als Arbeit. Kurz, was für Andere ein Spiel ist, gereicht ihnen zum Tode. Weg mit den Gedanken, ein Sabbath, da man dem Vergnügen nachjagt und die Ausstellungen besucht, sei für irgend Jemand eine Wohlthat! Es ist eitel Betrug, und ein gar großer Betrug, das zu behaupten. Ein solcher Sonntag bringt Niemanden rechten Segen, aber offenbar Vielen Unheil. -

Mit Kummer schreibe ich dieses nieder. Ich weiß wohl, wie unzählig viele meiner Landsleute es trifft. Ich habe manchen Sonntag in großen Städten zugebracht. Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, wie der Tag des Herrn von einer großen Menge von Leuten zu einem Tage der Weltlichkeit, der Gottlosigkeit, fleischlicher Lust und zu oft zu einem Tage der Sünde gemacht wird. Doch die Größe des Schadens darf uns nicht abhalten, ihn aufzudecken. Die Wahrheit muß gesagt werden.

Es läßt sich ein allgemeiner Schluß aus dem Verhalten Derjenigen ziehen, welche den Sabbath in der angegebenen Weise entheiligen. Sie zeigen offenbar, daß sie jetzt „ohne Gott“ in der Welt sind. Sie gleichen jenen aus alter Zeit, die sagten: „Wann wird der Sabbath ein Ende haben?“ - „Er ist nur Mühe.“ (Amos 8, 5. Mal. 1, 13.) Es ist ein schrecklicher Schluß; allein man kann unmöglich daran vorbeikommen. Schrift, Geschichte und Erfahrung lehren uns übereinstimmend, daß Lust an dem Worte des Herrn, am Dienste des Herrn, am Volke des Herrn und am Tage des Herrn allezeit Hand in Hand gehen. Die Sonntags auf Eisendahnen Ausflüge machen und dem Vergnügen nachjagen, zeugen wider sich selbst. Sie erklärens allwöchentlich durch die That: „Wir lieben Gott nicht - wir wollen nicht, daß er über uns herrsche.“

Unter den Gründen, die man gegen das von mir Gesagte anführt, ist nicht der geringste der, daß viele große und gelehrte Männer in dem Reisen und Besuchen von Ausstellungen am Sonntage nichts Verfängliches sehen. Bei religiösen Fragen kommt's nicht darauf an: wer Etwas thut. - Wir haben einzig und allein uns zu vergewissern: ob es recht ist, Es bleibe also: daß Gott sei wahrhaftig, und alle Menschen falsch. Wir müssen nie dem großen Haufen folgen und unrecht thun.

Leser, wenn du viele Jahre in unserm Lande lebst, wird dir wohl die öffentliche Entweihung des Sabbaths in der von mir angeführten Weise bemerkbar geworden sein. Denke daran, was ich dir gesagt habe. Es ist eine offenbare Uebertretung des vierten Gebots. Habe du nichts damit zu schaffen. Benutze jedes erlaubte Mittel, welches dir zu Gebote steht, öffentlich und im Stillen, um Andere vor dieser Sünde zu bewahren. Achte nicht die Beinamen: Puritaner, Pharisäer, Methodist, Frömmler, beschränkter Kopf. Laß dich durch die Scheingründe der Zeitungsschreiber nicht bethören. Wären sie so bewandert in der Bibel, als in der Politik: sie würden ganz anders schreiben. Greife stets wieder zu dem alten Buche, welches die Prüfung von achtzehn Jahrhunderten bestanden und in dem jedes Wort wahr ist. Stelle dich auf die Schrift und beharre bei ihrer Lehre. Was Andere auch für erlaubt halten mögen, bleibe du dabei, daß ein Tag von sieben und ein ganzer Tag Gott geheiligt werden soll.

Und jetzt beim Schlüsse dieses Schriftchens will ich noch einige Worte des Abschieds an verschiedene Personen richten, in deren Hände es fallen kann. Ich schreibe als ein Freund unsterblicher Seelen. Mir liegt dabei Nichts am Herzen als die Sache der wahren Religion. Ich bitte, mich ruhig und geduldig anzuhören. -

1) Ich wende mich zuerst an alle Leser dieses Schriftchens, die gewohnheitsmäßige Sabbathsbrecher sind. Ob ihr nun öffentlich oder im Geheimen, ob ihr in Gesellschaft oder allein ihn brechet, ich habe euch Etwas zu sagen. Verschmähet nicht es zu lesen.

Ich bitte euch ernstlich zu erwägen, wie ihr euer gegenwärtiges Verhalten am Tage des Gerichts verantworten wollt. Ich lege es euch feierlich ans Gewissen. Ich bitte euch, ruhig zu bedenken, wie durchaus ungeschickt ihr seid, vor Gott zu erscheinen. Ihr könnt nicht immer leben. Ihr müßt einmal euch niederlegen und sterben. Ihr könnt dem großen Gericht in der zukünftigen Welt nicht entfliehen. Ihr müßt vor dem großen weißen Throne stehen, und Rechenschaft geben von allen euern Werken. Ihr habt vor euch nur die Wahl zwischen einem ewigen Himmel und einer ewigen Hölle. Dies sind große wichtige Wahrheiten, und ihr wißt, daß sie Wahrheiten sind. Ich wiederhole das absichtlich. Ist es nicht dahin mit euch gekommen, daß ihr zu den thörichten Fabeln menschlicher Erfindung euch gewandt, gehört ihr nicht zu jenen armen leichtgläubigen Wesen, den Zweiflern: so wißt ihr, daß es Wahrheiten sind.

Wo ist denn nun eure Bereitschaft zu der feierlichen Veränderung, die euch bevorsteht? Seid ihr geschickt, vor dem Gott der Bibel zu erscheinen und mit ihm Abrechnung zu halten? Seid ihr vorbereitet für eine Ewigkeit in seiner Gemeinschaft und im Umgang mit den Heiligen und Engeln? Seid ihr tauglich für einen Himmel, welcher Nichts als ein ewiger Sabbath, ein fortwährender Sonntag, ein Tag des Herrn ohne Ende ist! Ja, ich darf wohl also fragen. Ihr könnt keine Antwort darauf geben. Ihr könnt Gott nicht einen einzigen von sieben Tagen weihen! Es langweilt euch, ein Siebentel eurer Zeit zu verwenden, um den kennen zu lernen, vor dessen Richterstuhle ihr dereinst stehen müßt! Seine Bibel langweilt euch! Seine Diener langweilen euch! Sein Haus langweilt euch! Sein Lob langweilt euch! Ein Ausflug auf der Eisenbahn ist besser! Das Zeitungsblatt ist besser! Eine lustige Tischgesellschaft ist besser! Kurz, Alles ist besser als Gott! Ach, welch ein schrecklicher Zustand! Und doch wie gewöhnlich!

O, Sabbathsbrecher, unseliger Sabbathsbrecher, bedenke deine Wege und sei weise! Was hat der Sonntag der Welt zu Leide gethan, daß du ihn also hassest! Was hat Gott dir zu Leide gethan, daß du seinen Gesetzen so hartnäckig den Rücken kehrst? Was hat die Religion den Menschen zu Leide gethan, daß du dich so fürchten solltest, deren zu viel zu haben? Siehe deinen Leib an, und denke, wie bald er Staub und Asche sein wird. Siehe die Erde an, auf der du wandelst, und denke, wiesobald du sechs Fuß unter ihrer Oberfläche liegen wirst. Siehe den Himmel über dir an, und denke an das allmächtige Wesen, welches dein ewiger Gott ist. Sieh in dein eignes Herz und denke, wie viel besser es wäre, Gottes Freund als Gottes Feind zu sein. Willst du auf deinem Todesbette nicht trostlos daniederliegen, willst du diese Welt in guter Hoffnung verlassen: laß ab von deiner Sabbathsentweihung und sündige hinfort nicht mehr. Laß es genug sein, daß du bisher Gott seinen Tag geraubt hast. Von nun an gieb Gott, was Gottes ist.

Geh gleich den nächsten Sonntag, nachdem du dies gelesen, zum Hause Gottes und höre die Predigt des Evangeliums. Bekenne deine vorige Sünde am Throne der Gnade, und bitte um Vergebung durch das Blut, welches von aller Sünde rein macht. Theile deine Zeit am Sonntag so ein, daß du Muße zu ruhiger nüchterner Betrachtung über die Ewigkeit hast. Meide die Gesellschaft, die dich verleiten würde, nur von den Dingen dieser Welt zu reden. Nimm deine lange vernachlässigte Bibel zur Hand und forsche in ihr. Morde keines Menschen Seele dadurch, daß du ihn nöthigst am Sonntag zu arbeiten, damit du dich vergnügen könnest. Thus, thus bald, laß auch nicht Eine Woche darüber hingehen. Anfangs mags schwer sein, aber es ist des Kampfes Werth. Thus, und es wird dir zum Segen gereichen für Zeit und Ewigkeit.

2) Ich wende mich ferner an alle Leser dieses Schriftchens, die zu den arbeitenden Klassen gehören. Ob ihr in der Stadt oder auf dem Lande arbeitet, ob auf dem Acker oder in den Fabriken: ich habe euch etwas Wichtiges zu sagen. Schenkt mir Gehör.

Ich bitte euch, laßt euch nicht bethören und täuschen von denen, welche der öffentlichen Heilig-Haltung des Tags des Herrn noch mehr Abbruch thun möchten, und doch sich „eure Freunde“ nennen. Glaubt mirs, wie wohlmeinend diese Leute auch sein, wie schön sie auch reden mögen, eure wahren Freunde sind sie nicht. Sie sind in der That eure ärgsten Feinde. Sie schlagen den sichersten Weg ein, eure Lasten zu vermehren. Allem Anschein nach ist das nicht ihre Absicht, aber sie thun euch wirklich grausames Unrecht.

Seid versichert, werden die Sonntage in Tage des Spiels und des Vergnügens verkehrt, so werden sie bald Tage der Mühe und Arbeit sein. Vergebens bildet ihr euch ein, das könne vermieden werden. Anderwärts ist es nie vermieden worden, und in unserm Lande würde es eben so wenig vermieden werden. Stellt einmal als Grundsatz fest, daß Gallerien und Museen und Crystallpalläste am Sonntage geöffnet werden sollen, und ihr habt damit dem Feinde Thür und Thor geöffnet. Er wird bald innerhalb der Mauern sein. Die Heiligkeit des Ruhetages würde ganz verschwinden. Die Läden würden sich öffnen. Die Landleute würden ihr Feld bebauen wollen. Die Fabriken würden ihre Arbeit fortsetzen. Unternehmer würden ihre Geschäfte nicht ruhen lassen. Ihr würdet euren Sonntag und mit ihm euren besten Freund verloren haben.

Saget denen, die gerne unsre Sonntage mehr weltlich und gleich den Werktagen machen möchten, daß ihr eine Veränderung der Art nicht begehret. Saget ihnen, daß, wenn sie euch etwas mehr Zeit zur Ruhe und Erholung zu verschaffen gedächten, sie nicht versuchen sollten, diese Zeit dem Sonntage zu entnehmen. Saget ihnen, sie möchten dazu wo möglich ein Wenig von einem der sechs Werktage nehmen, aber nicht das Geringste von dem Tage des Herrn. Saget ihnen, daß, da die Welt sechs Tage zu ihren Geschäften bekomme, und Gott nur Einen für sich behalten, es nicht mehr als recht und billig wäre, wenn die Welt von ihrer Zeit Etwas abgäbe, anstatt Gott der seinigen zu berauben. Arbeitsleute, in deren Hände dieses Schriftchen kommen sollte, ich bitte euch inständigst, laßt euch über diese Sonntagsfrage nicht täuschen! Von allen Menschen auf Erden betrifft sie Niemand mehr als euch. Seid fest entschlossen, euch euren Sonntag nicht nehmen zu lassen. Gedenket an Esaus Thorheit. Verkauft nicht euer köstlichstes Vorrecht für ein Kartoffelngericht. Glaubt mirs, Niemand hat in dieser Sache so viel zu verlieren, Niemand so wenig zu gewinnen, als ihr.

3. Ich wende mich weiter noch an alle Leser dieses Schriftchens, welche angeblich den Sabbath in Ehren halten, und Nichts an ihm geändert haben wollen. - Ich habe euch nur noch Eins zu sagen, was die ernstlichste Beachtung verdient.

Ich bitte euch also, zu bedenken, ob ihr mit der Heilighaltung des Sonntags es nicht genauer nehmen könntet, als ihr bisher gethan. Ich fürchte gar sehr, daß in dieser Hinsicht nach vielen Seiten hin eine traurige Lauheit sich findet. Ich fürchte, daß Viele, denen es nicht in den Sinn kommt, das vierte Gebot zu übertreten, sich doch durch die Art und Weise, wie sie dessen Vorschriften beobachten, einer strafbaren Unbedachtsamkeit und Gleichgültigkeit schuldig machen. Ich fürchte, daß die Welt an den Sonntagen mancher achtungswerthen kirchlichen Familie einen weit größern Antheil erhält, als sich gebührt. Ich fürchte, daß Manche, die den Sonntag selbst feiern, doch ihrem Gesinde nicht die nöthige Zeit lassen, ihn heilig zu halten. Ich fürchte, daß Manche, die zu Hause den Tag des Herrn mit geziemendem Anstand halten, in der Fremde oft arge Sabbathsübertreter sind. Ich fürchte, daß Hunderte von Reisenden an Sonntagen Dinge thun, die sie daheim sich niemals erlauben würden.

Das ist ein wunder Flecken. Das schwächt ganz ungemein die Hände aller derer, die die Sache des Sabbaths verfechten. Das giebt den Feinden des Tages des Herrn Waffen in die Hand, die sie nur zu gut zu gebrauchen wissen. Laßt uns alle deß eingedenk sein. Haben wir den Tag des Herrn in Wahrheit lieb, so laßt uns diese Liebe auch beweisen durch den Gebrauch, den wir von demselben machen. Wo wir auch sein mögen, daheim oder draußen, in evangelischen oder katholischen Ländern: laßt uns den Sonntag feiern, wie sich's gebühret. Laßt uns nie vergessen, daß die Augen des Herrn überall sind, und daß das vierte Gebot in Italien und Frankreich und England für uns eben so heilig ist, als in unserm eignen Lande. Endlich - und auch das ist gar wichtig - laßt uns eingedenk sein, daß das vierte Gebot eben so gut von „Knecht und Magd“ redet, wie von uns selbst.

4. Schließlich wende ich mich an Alle, welche den Herrn Jesum aufrichtig lieb haben und seiner Sache eifrig dienen. Ich habe in Beziehung auf die Sonntagsfrage euch ein Wort zu sagen, welches ich eurer ernstlichen Beachtung empfehle.

Ich bitte euch also zu erwägen, ob es nicht eine heilige Pflicht aller wahren Christen ist, viel wirksamere Maßregeln zu ergreifen, als wir bisher gethan, um dem Tage des Herrn seine Heiligkeit zu erhalten. Mir steht's fest, daß es unsere Pflicht ist, und daß wir die Sache ganz anders angreifen müssen, als in der bisherigen Weise.

Wir alle klagen über Sabbathsentheiligung in großen Städten. Wir seufzen über die Massen von Menschen, die jeden Sonntag an Orten zubringen, wo man der Sinnenlust fröhnt, oder zu den Dampfbooten und Eisenbahnzügen sich drängen. Sie alle sind offenbar in einem beklagenswerthen Zustande geistlicher Unwissenheit. Das ist ein wachsendes Uebel, das Unheil droht. Allein ergreifen wir auch die rechten Mittel, dem Uebel abzuhelfen? Ich sage unbedenklich: nein.

Wir kommen bei den Behörden ein, bitten um den Erlaß von Gesetzen, welche der Sabbathsentheiligung zu wehren geeignet sind. Allein ist das genug? Nein, es ist nicht genug.

Wir bilden Gesellschaften zum Schutz des Sonntags, und schlagen eine Maßregel nach der andern vor, um dem Sonntagsverkehr Einhalt zu thun. Allein ist das genug? Nein, es ist nicht genug.

Die Wahrheit muß gesagt werden. Wir müssen gründlicher verfahren. Durch Sabbathsgesetze allein können wir die Welt nicht frömmer machen. Wir müssen eben so wohl das Rechte lehren, als das Unrechte verbieten. Wir müssen eben sowohl das drohende Uebel zu verhüten, als das vorhandene zu unterdrücken suchen. Wir müssen die Uebel, die wir beklagen, an der Wurzel angreifen. Wir müssen versuchen, die Massen von Männern und Weibern, die jetzt den Sabbath allwöchentlich entheiligen, zu evangelisiren. Wir müssen ihnen einen bessern Weg zeigen. Wir müssen die Quelle der Sabbathsentheiligung in verschiedene Kanäle ableiten, und uns nicht damit begnügen, ihre Wasser abzudämmen, wenn sie überfließen.

Giebts in unsern großen Städten nicht mehrere Pfarrsprengel, in denen auf einen Geistlichen 12000 bis 15000 Seelen kommen, für die nur eine Kirche vorhanden ist? Dürfen wir uns da wundern, wenn ein großer Theil dieser Bevölkerung allwöchentlich den Sabbath bricht? Die große Masse des Volks in solch einem Kirchensprengel weiß kaum Etwas von der Art und Weise, wie sie den Sonntag heilig halten soll. Sie haben kein Gotteshaus, in das sie gehen könnten, wenn sie ihn halten wollen. Von einer solchen Bevölkerung zu erwarten, daß sie den Sabbath heilige, ist verkehrt und unvernünftig. Sie ist eben so sehr zu bemitleiden, als zu tadeln. Wir dürfens ihnen wahrlich kaum verargen, daß sie den Tag des Herrn nicht in Ehren halten, während wir sie in völliger Unwissenheit über dessen Bedeutung lassen.

Was sollen wir denn thun? Wir sollten diese übergroß gewordenen Kirchensprengel in Bezirke von übersehbarem Umfange theilen, jeden mit höchstens 3000 Seelen. Wir sollten zugleich in jedem dieser Bezirke einen Diener des Evangeliums und zwei Laiengehülfen anstellen, und ihnen die geistliche Aufsicht über das Volk übergeben. Wir müssen nicht damit warten, bis erst eine schöne Kirche gebaut ist. Wir müssen einen Mann senden, der im Stande ist, überall zu predigen, in einer Dachstube, unter einem Wagenschuppen, in einer Allee, oder gar auf der Straße, und ihm volle Freiheit des Wirkens geben, durch Herkommen und Gewohnheit ihn nicht hindern wollen. Das ist das beste Gegengift für die Uebel, die wir beklagen.

Die Predigt des Evangeliums ans Gewissen gelegt, und nicht körperliche Züchtigung oder Geldstrafen oder Gefängniß, die Predigt des Evangeliums in jedes Haus des Kirchsprengels getragen, das ist das große Heilmittel für die Sabbathsübertretung.

Ich weiß wohl, daß dieses Alles unausführbar und überspannt in manchen Ohren klingt. Kirchengesetze, pfarramtliche Rechte, Mangel an Geldmitteln, Mangel an geeigneten Männern, diese und hundert andere ähnliche Einwürfe wird man sofort erheben. Mag sein. Ich sage nur, daß, so lange nicht Etwas der Art geschieht, wir der Sabbathsübertretung in großen Städten nie Einhalt thun werden. Es wird eine eiternde Beule im Angesicht unsers Landes sein, welche immer wieder aufbrechen und unsägliches Unheil stiften wird. Ich für mein Theil sehe in dem von mir gemachten Vorschlage Nichts, das nicht leicht auszuführen wäre, wenn man nur die Sache recht angreift. Gesetze werden leicht genug aufgehoben, wenn sie einmal als unangemessen und nachtheilig allgemein erkannt sind. Auf pfarrherrliche Rechte wird man, wo sie mit dem Bedürfniß unsterblicher Seelen in Widerspruch stehen, gern verzichten, zumal da eine Ausgleichung nicht schwer hält. Die geeigneten Männer werden sich finden, wenn nur erst der Ruf an sie ergeht. Das dazu erforderliche Geld wird sich leicht beschaffen lassen, wenn erst die rechte Liebe zu dem Herrn und zu seiner Sache vor, Händen ist.

Ich empfehle diese Vorschläge der Berathung Aller, die den Herrn Jesum Christum aufrichtig lieb haben. Laßt die großen Städte erst durch und durch evangelisiert werden, damit wird der Wurzel aller Sabbathsübertretung der Todesstreich versetzt. Ueberlaßt sie sich selbst, oder treibts in der bisherigen Weise, und, das ist meine feste Ueberzeugung: die Sonntagsfrage wird immer wieder die Gemüther in Ausregung und Unruhe versetzen. Sie wird periodisch wiederkehren, wie ein Fieberanfall, bis die Quellen verstopft sind, aus denen sie genährt wird.

Die einfache Wahrheit ist, daß die Sabbathsentheiligung unserer Tage einer unter den vielen Beweisen ist, wie traurig es um das lebendige Christenthum steht und wie wenig Einheit unter den Christen selbst sich findet. Wir haben unsere Zeit mit kleinlichen innern Streitigkeiten vergeudet und darüber das große Werk der Seelenbekehrung versäumt. Wir haben um Minze, Dill und Kümmel gezankt und gehadert, und unsers Herrn Sache darüber vergessen. Wir haben die Volksmasse in unsern großen Städten in halb heidnischer Unwissenheit aufwachsen lassen, und erndten jetzt die Frucht unsrer groben Nachlässigkeit in ihrem Hang zur Sabbathsentweihung. Kurz, während die Aerzte sich herumstritten, hat die Krankheit zugenommen und der Kranke ist dem Tode nahe.

Ich bitte Gott, er wolle uns alle lehren, daß wir weise werden und unsere Wege bessern, ehe es zu spät ist. Wir brauchen weniger Partei- und Sektengeist, und mehr Arbeit für Christum. Wir bedürfen der Rückkehr zu den alten Wegen der Apostel auf allen Gebieten der Kirche. Wir bedürfen ein Geschlecht von Dienern, die ihre Arbeit ohne ein gothisches Gebäude von 70,000 Thalern thun können, und deren Ehrgeiz darin besteht, jede Hütte ihres Pfarrsprengels zu besuchen und den Gekreuzigten zu predigen.

Ich hege nicht zu hohe Erwartungen. Gewohnheit und Herkommen scheinen die Leute heutzutage mit eisernen Ketten zu binden. Allein ich sage nochmals aus vollster Ueberzeugung, wenn unsere großen Städte nicht gründlicher evangelisirt werden, wird der Kampf um die Heilighaltung des Sabbaths sich stets erneuern.

Quelle: „Heilige ihn“ Ein Tractat über die Sonntagsheiligung von J. C. Ryle, Rector zu Helmingham Nro. 431. Herausgegeben von der Wupperthaler Traktat-Gesellschaft Barmen 1859 Gedruckt bei J. F. Steinhaus

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