Oehninger, Friedrich - Wahrheiten für unsere Tage - Wesen und Beruf der Kirche

Oehninger, Friedrich - Wahrheiten für unsere Tage - Wesen und Beruf der Kirche

Die Kirche ist die durch Christi Geist konstituierte und aus der übrigen Menschheit herausgehobene Gemeinschaft, in der das Leben, das in Ihm persönlich erschienen war, eine korporative Entfaltung empfangen soll.

Die Kirche ist die geist- und blutsverwandte Familie des zweiten Adam.

Eine Grundstelle für die Lehre von der Kirche ist 1. Korinth. 12,13: „Wir sind durch Einen Geist alle zu einem Leibe getauft, wir seien Juden oder Griechen,“ neben der andern: Galat. 3,27.28: „Alle, die ihr auf Christus getauft seid, ihr habt Christum angezogen, und hier ist kein Jude noch Grieche, sondern ihr seid allzumal Einer in Christo Jesu.“ Aus diesen Stellen ergibt sich, wie aus andern, dass die Taufe auf Christus, die Aufnahme des Einzelnen in die Kirche ist; sodann, dass wir durch die heilige Taufe nicht sowohl in die Landeskirche oder irgend eine Sonderkirche, als vielmehr in die Eine allgemeine Kirche eingeführt werden. - Es kann darum Niemand darauf Anspruch machen, ein Glied der Kirche zu sein und als Glied der Kirche behandelt zu werden, der nicht getauft ist, - ein Grundsatz, der notwendigerweise auch auf die Mitgliedschaft oder Zugehörigkeit zur Landeskirche ausgedehnt werden muss. da die Landeskirche ja auch ein Teil der allgemeinen Kirche Christi sein will und nur als solcher befugt ist, die Sakramente zu verwalten. Wenn nur ein Glied der Kirche sein kann, wer getauft ist, so sollte Aktivbürger in der (Landes-) Kirche nur sein können, wer an den ökonomischen Lasten mitträgt, taufen und unterrichten lässt usw.

Die Kirche ist, wie schon in dem Nicänischen Glaubensbekenntnis gelehrt worden ist, eine, sie ist heilig, katholisch und apostolisch. Wie Christus Einer ist, so ist auch sein Leib Einer. Die Kirche ist nach Eph. 4 nicht nur Ein Geist, sondern auch Ein Leib. Nur in Einheit ist die Kirche ein rechtes Zeugnis für die Welt (vgl. Joh. 17,20-23). „Jerusalem, du wohlgebaute, so mit sich selbst in Eins verbunden ist“ (Ps. 122). - Die Wichtigkeit solcher Einheit wird mehr auf der römischen Seite erkannt, wo aber darin geirrt wird, dass diese Einheit ans Papsttum gebunden erscheint, statt ans himmlische, wahre und ewig gegenwärtige Haupt der Kirche; dadurch hat Rom, trotz seiner Betonung der Einheit, gerade zur Spaltung Anlass gegeben und diese mitverschuldet. Wie sehr hat St. Paulus gegen alle Spaltung und unselige Auseinanderreißung des Leibes Christi geeifert! (vgl. 1. Kor. 1 und 3). - Und Zwingli schrieb: „Ich will keinen Namen tragen als den meines Hauptmannes Jesu Christi, des Reisiger ich bin; der wird mir Amt und Sold geben. Ich will nicht lutherisch gescholten werden.“ Ähnlich müssen wir als Christen und im Dienste des Evangeliums im Wesentlichen alle menschlichen Namen und jede Sonderstellung abweisen und uns als Glieder der Einen Kirche, als Beauftragte des Einen Herrn wissen. Die vollkommene Stellung der Getauften ist nach 1. Joh. 1 Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne durch die, die Er gesandt hat, - und nicht vor allem Volksgemeinschaft. Freilich müssen wir, nachdem die Kirche einmal durch menschliche Schuld und göttliche Zulassung gespalten ist, notwendigerweise äußerlich in einem dieser getrennten Teile stehen. Im übrigen aber sollen wir es halten, wie Spener, welcher die Spaltung der Kirche in feindliche Konfessionen und in eine Menge von Denominationen, die sich nicht verstehen und dem Zeugnis des Evangeliums als solche Abbruch tun, als ein göttliches Verhängnis und Gericht über kirchlichen Hochmut beklagte und fand, dieses Gericht könne nicht durch menschliche Einigungsversuche aufgehoben, sondern müsse in bußfertigem Geiste und in Liebe ertragen werden, indem jede kirchliche Partei oder Abteilung der eigenen Sünden und Missbräuche gedenke und die Glieder anderer Kirchen in Liebe als Brüder betrachte. So nur werde die Wiederherstellung der Einheit durch die Hand des Herrn angebahnt.

Heilig heißt ferner die Kirche. Sie ist es trotz dem vielen Unreinen und Menschlichen, das ihr anhaftet; sie ist es, „weil sie von Seinem Fleisch und von Seinem Gebein ist“ (Eph. 5,30). „Ich in ihnen und sie in Mir“ (Joh. 17) - durch diese wunderbare Einheit mit ihrem heiligen auferstandenen Haupt, der die Kirche durch die Taufe in sich verpflanzt hat und sie mit Seinem Fleisch und Blute speist, mit seinem Geist belebt, durch sein Wort reinigt, ist die Gemeinde geheiligt, der Herrschaft des Todes und der Sünde entnommen. Die verheißene und allezeit erfahrene Gottesnähe und Gegenwart des Herrn ist's, was diesen Tempel heilig macht. - Man hat sich an der menschlichen Schwäche und Unreinheit, die der Kirche anhaftet, gestoßen, und weil man dieselbe mit ihrer Heiligkeit nicht reimen konnte, zwischen einer sichtbaren und unsichtbaren Kirche unterschieden und sich also über den traurigen Zustand der ersteren getröstet und beruhigt. Oder man hat umgekehrt, über das vorhandene Unkraut unter dem Weizen des Menschensohnes erschrocken, selbst Hand anlegen und die Kirche von allen Elementen, die nicht hineingehören, säubern und eine reine sichtbare Kirche herstellen wollen. - Beides ist nicht richtig. Wir halten es mit Spener, der in seinen Bedenken (III. 502) sagt: „In dieser Zeit wird die Kirche nie aus lauter Gläubigen bestehen. Indessen heißt und ist die sichtbare Kirche, die Anteil hat an der Lehre Christi und an seinen Gnadenmitteln, dennoch das Himmelreich oder die wahre Kirche.“ - Und wir halten es ferner mit Armstrong, welcher schreibt (in seinen Sermons, Wheat and Tares): „Brüder, es ist ein verhängnisvoller Irrtum, alle Getauften als Kinder Gottes zu betrachten, ohne Rücksicht auf die Grundsätze, an welchen sie festhalten. Nicht alle, die in die sichtbare Kirche hineingebracht sind, sind in dieselbe durch Gott hineingebracht; das Unkraut ist vom Feind gesät.“ Doch gab es eine Zeit, wo die Knechte Gottes mehr gewacht haben und wo es schwerer gewesen ist, Unkraut unter Weizen zu säen. Setzt wird die Kirche nur mehr durch göttliche Gerichte und Heimsuchungen geläutert und das Böse ausgeschieden werden.

„Katholisch“ ist eine Eigenschaft der Kirche, die im Anfang der Reformation auf evangelischer Seite mehr bekannt wurde als jetzt; denn die Reformatoren wollten mit ihrem Werk und Anhang in der „katholischen“ d. h. allgemeinen Kirche bleiben. Besonders die „Helvetische Konfession,“ von Bullinger verfasst, betont mit großem Ernste, dass die Evangelischen trotz der Spaltung fortfahren wollten, Glieder der katholischen Kirche zu bleiben. Heutzutage geht insofern ein katholischer Zug durch die Welt, als man anfängt sich auf Allianzen mit Angehörigen anderer Kirchenabteilungen brüderlich zusammen zu tun. Aber diese „Allianzen“ haben den Fehler, dass sie etwas machen wollen, was wir, als durch göttliche Tat schon bestehend, nur glauben und anerkennen sollen, die „Eine, allgemeine, christliche Kirche,“ - und den andern Fehler, dass sie von ihrem Bunde die römischen Brüder ausschließen und somit wieder ins Parteiwesen zurücksinken. Auf der andern Seite bekennt die römische Kirche wohl kräftig die Wahrheit, dass die Kirche katholisch sei. Aber indem sie sich die „römisch-katholische Kirche“ nennt, hebt sie mit einem Atemzuge wieder auf, was sie mit dem andern behauptet; denn römisch und allgemein (katholisch) sind entgegengesetzte Begriffe. Entweder ist die Kirche römisch, dann ist sie nicht allgemein; oder sie ist allgemein, dann darf sie sich nicht ausschließlich römisch nennen. - Die römische Kirchenabteilung ist zu wenig katholisch.

„Apostolisch“ nennt viertens das Nicänische Glaubensbekenntnis die Kirche und sagt damit aus, dass sie eine göttliche Stiftung ist, kein menschlicher Verein, der sich selber zusammentut, sich selber die Statuten gibt und sich selber wieder auflösen kann. Gott sandte seinen Sohn und der Sohn seine Apostel in die Welt, um die Menschen hereinzubringen in das Haus, das des Herrn ist. Es gibt darum keine andere Gewalt in der Kirche als die Christi und derer, die Er mit Seiner Gewalt bekleidet, mit Seinem Auftrag und Dienst belehnt.

„Wir sind Botschafter an Christi Statt“ (2. Kor. 5). - Das ist die Wahrheit des Wortes „apostolisch.“ Göttliche, d. h. von Gott erwählte und, gesandte Baumeister haben den Grund zum Bau der Kirche gelegt, indem durch sie der wirkte, der gesprochen hatte: Ich will meine Kirche bauen. Darum kann kein anderer Grund, keine andere neue Kirche gegründet werden, die diesen Namen verdiente, sondern es gilt nun, im Hause des Herrn zu bleiben immerdar und in diesem Hause, so verwüstet, zertrennt und verarmt auch das Erbteil Christi ist, auf die Hilfe des Herrn zu warten, der seines Leibes Heiland ist, nicht bloß Heiland einzelner Seelen, und der nach göttlichem Plane, mit göttlichen Mitteln seinen Leib erbauen wird, bis dass wir alle hinankommen zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes (Eph. 4,11-13).

„Ich befehle euch Gott und dem Worte Seiner Gnade,“ sprach St. Paulus beim Abschied von den Ältesten in Milet und deutete damit an, welches das hauptsächlichste Gnadenmittel ist, dadurch Gott Seine Kirche erbaut; - es ist das Wort, die „gesunde Lehre,“ das dem apostolischen Lehrtypus gemäße Wort, das Mittel der Seelenrettung. Darum heißt auch die Gemeinde im Neuen Testament Ecclesia, d. h. die zusammen- und herausgerufene, weil sie durch das göttliche Wort berufen ist zur Anrufung Jesu Christi als des Herrn und Heilandes und weggerufen und abgelöst vom alten sündhaften Lebensverband. - Dieses Wort der Berufung ist das zuerst den Aposteln anvertraute Zeugnis von der Erlösung im Namen Jesu und vom Reiche Gottes oder das Evangelium, das nicht menschlich, sondern göttlich ist, durch keine andere Lehrnorm ersetzt werden kann und kräftig ist zur Wiedergeburt, Reinigung und Heiligung der Seelen. Darum haben die Apostel so sehr Sorge getragen für die reine, mündliche und schriftliche Überlieferung dieses Lehrwortes, wie schon ihr Herr geboten hatte: „Lehrt die Menschen alles, was ich euch befohlen habe.“ - „Der Herr will im Dunkeln wohnen,“ unerreicht vom Tageslicht des unreinen Zeitgeistes. Wie die Stiftshütte ihr eigenes Licht hatte im goldenen Leuchter, so bedarf die Kirche zu ihrer Erleuchtung nicht der Weisheit und Wissenschaft ihrer Zeit. „Ihr bedürft nicht, dass euch, die Gemeinde, Jemand lehre, sondern wie euch die Salbung alles lehrt, so ist es wahr und keine Lüge“ (1. Joh. 2 27). - Im Gegenteil soll die Kirche, die von Anfang an Überfluss gehabt hat an weltlichen Gedanken, diese Gedanken, wenn auch mit Schmerzen, von sich tun und verleugnen und sich nicht von irgend einer menschlichen Philosophie ins Schlepptau nehmen lassen, so wenig als von menschlicher Überlieferung und Traditionslehre (vgl. Kol. 2,8; 1. Kor. 2,1-4). - Auch vor menschlicher Überredungskunst werden wir vom Apostel gewarnt. Auch ein Plato und ein Kant hielten nicht viel auf die Kunst der Überredung. Die ungeschminkte Wahrheit ist's, der wir uns ergeben sollen. Hierüber sagt Fenelon: „Plato duldete in seinen Staat keine Musik mit der weibischen Tönen der Lydier. Die Lacedämonier schlossen von ihrem Staat alle künstlichen Instrumente aus, die die Herzen verweichlichen könnten. Die Harmonie, die nur dem Ohr zu schmeicheln weiß, ist nur eine Kurzweil für schwache und müßige Leute. Die Harmonie ist nur gut, wenn die Töne den Sinn der Worte ausdrücken, und dieser Sinn große und edle Gefühle erweckt.“

Nichts als den Gekreuzigten wusste St. Paulus in Korinth, und Melanchton betete: Fac ut possim demonstrare, Quam sit dulce, Te amare, Tecum pati, Tecum flere, Tecum semper congaudere1).

Was die Ämter und Sakramente betrifft, so müssen wir, freilich mit Schmerzen, kirchliche Ordnung und kirchliche Zucht wieder lernen. Man hat dem Volke die Zügel schießen lassen und sich in falschem Sinne zum Diener der Gemeinde und zu Knechten der Menschen gemacht. Man hat diese Laxheit entschuldigen und rechtfertigen wollen, indem man auf hierarchischen Missbrauch des geistlichen Amtes, auf das allgemeine Priestertum aller Christen, auf das vorbildliche Dienen des Herrn verwies. - Allein nie hebt der Missbrauch den rechten Gebrauch auf, und Tatsache ist es doch, dass der Herr, wiewohl alle Gläubigen einen offenen Zugang zum Gnadenthron haben, für gewisse Handlungen und Funktionen in der Kirche Ämter verordnet hat. durch die Er wirken und die Gemeinde eben in priesterlichem Stande und Dienst erhalten und fördern will. Ja, Diakonie, Dienst heißt das Amt des Neuen Testamentes; Dadurch ist aber nur der Geist der Liebe und der Demut und die Methode, wie dieses Amt geführt werden soll, bezeichnet, keineswegs aber geleugnet, „dass dies Amt auf göttlichem Auftrag und höherer Vollmacht und Mitwirkung beruht. „Wer euch hört, der hört Mich.“

Die Bibel kann die Ämter nicht ersetzen, nicht einmal den gewöhnlichen Religionslehrer, geschweige denn jene Ämter, durch welche der Herr in Predigt, Seelsorge, Gottesdienst und Segnungen der Gemeinde besondere mannigfaltige Gnaden zuwendet. Daher heißt es wörtlich in Röm. 10,17: „Der Glaube kommt aus dem Hören“, das Hören aber durch das „Sprechen“ Gottes. Persönliche Wirksamkeit derer, die das Amt Christi hatten, ging bei der Gründung der Kirche voran, und erst die so persönlich Gewonnenen erhielten zu ihrer Bewahrung und Festigung das schriftliche Wort.

Immer hat sich daher der aufgeblasene Sinn der Menschen von der persönlichen Leitung des Amtes loszumachen und wie die Galater gegenüber dem apostolischen Amte hinter das Gesetz, hinter die Bibel und alles Mögliche verschanzen wollen. Sene Galater offenbarten gerade durch ihr Verlangen, unter dem Gesetze stehen zu wollen, ihre Gesetzlosigkeit, die im neuen Bunde am Amt des Geistes ihre Schrank und ihren Tod finden soll. - Es ist daher nicht ohne innerne Grund, dass St. Paulus da, wo er vor der Offenbarung des „Gesetzlosen“ warnt (2. Thess. 2), als Bewahrung empfiehlt, festzuhalten an den Überlieferungen der Apostel. - Durch die Bibel allein, in der jeder seine Meinung suchen und finden kann, wird die eigene persönliche Richtung nicht so sehr getroffen, geprüft und gelenkt wie durch die göttliche Wahrheit, wenn sie uns gegenüber persönlich von Dienern des Herrn gehandhabt und gezeigt wird. Mit Recht sagt daher Beck (Ethik I. 402): ,Die Ämter sind nach Eph. 4,11 selbst für einen Gemeindezustand, wo jedes Mitglied eine geistliche Gabe vom Herrn hat, ein unerlässliches Mittel des Herrn für den Ausbau des Leibes Christi, so lange als die Kirche nicht zur Mannesreife Christi gelangt ist.“ Das Aufgeblasensein, der geistliche Hochklugheit den Gottesordnungen in der Kirche entgegensetzt und Autoritäten verachtet, ist eine schlimme und sehr gefährliche Sünde, ein falsches Christentum. - Treffend sagte von Orelli F. 3. im evang. kirchlichen Verein: „Selbst haben wir einerlei Amt und mancherlei Geister.“

Was für eine schöne Ordnung war in der Urkirche und in allen den Gemeinden, die sich jenen Vorbild wieder genähert haben! - Ignatius (gest. 116) schrieb an die Gemeinde in Smyrna Kap. 8: „Folgt alle dem Bischof wie Jesu Christo, und dem Presbyterium wie den Aposteln. Niemand tue ohne den Bischof etwas, was zur Kirche in Beziehung steht. Diejenige Eucharistie (das Dankopfer der Kirche beim heiligen Abendmahl) ist gesetzmäßig, die unter dem Bischof oder in seinem Auftrag stattfindet.“ (Siehe das ganze Kap. 8). An die Magnesier schreibt Ignatius: Christus ist Bischof Aller (Universalbischof). Tut alles in Vereinigung mit Gott, dass der Bischof den Vorsitz führe und die Priester die Stelle des Rats der Apostel einnehmen. Die Apostel sind das Gesamtpresbyterium der allgemeinen Kirche.“ (Ignatius an die Philadelphier Kap. 5). Ohne Ordination will man laufen und werben? - ruft Cyprian, der Bischof von Karthago, aus. - Eine schöne Ordnung, und auch hierin vieles aus der alten apostolischen Überlieferung bewahrt, hatte die Böhmisch-Mährische Brüderkirche (Siehe die treffliche Schrift darüber von Köppen). Da war eine feste Gliederung. Jeder an seinem Platz muss wissen, wen er zu respektieren hat nach oben und für wen er zu sorgen hat nach unten. - Die Kirchendiener sind uns Sacerdotes (Priester), weil dem Heiligtum, sacris, gewidmete Personen. Damit die Pfarrer wissen, wer eigentlich sich ihnen anvertraut hat, und desto größere Freimütigkeit und Treue an ihnen beweisen können, so ist der alte Ritus der Übergabe an das Hirtenamt wieder eingeführt worden, wobei die Neulinge aufgenommen werden, teils Erwachsene, die dem Glaubensgehorsam der Kirche sich ergeben, teils Kinder, die dem Seelsorger übergeben werden.“ - Eine solche Übergabe ans Hirtenamt, verbunden mit der Erneuerung der Taufgelübde, ist wieder Bedürfnis geworden jetzt, wo die Massen zwar evangelisiert werden, aber ohne geistliche Zucht, Organisierung und Seelsorge nicht zur Reife heranwachsen können. Man kann wohl predigen, aber für die Seelsorge und Hirtenpflege fehlen im Allgemeinen, besonders in dem protestantischen Teil der Kirche, die Vorbedingungen. Nur die Kranken lassen sich noch besuchen und trösten. Hirten können wir eigentlich nur denen sein, welche unser evangelisches Zeugnis von der Kanzel aufgenommen und dies auf irgend eine Weise zu erkennen gegeben haben. Allerdings gibt es ein Seelsorger-, Trost- und Strafamt. Die Ungehorsamen sind zu strafen; doch erst dann, wann die Gemeinde im Ganzen gehorsam worden ist. Dann erst darf der Einzelne herausgesucht werden. Siehe die Ausübung des apostolischen Strafamtes in 2. Kor. Kap. 10-13.

Die Hochhaltung des Amtes ist keine Menschenverehrung, sondern nichts als ein lebendiger Glaube, dass der HErr, des die Ämter sind, das lebendige, göttliche und nahe Haupt der Kirche sei und ihr nicht abwesend. Einen einzelnen Menschen halten wir nicht für unfehlbar. Das Beispiel Petri in Antiochien (Galat. 2) zeigt, dass sogar ein Apostel irrtumsfähig ist; Petrus unterlag der Versuchung, seinen Mandatkreis, seine gewiesenen Schranken zu überschreiten. Die höchsten Ämter der Kirche sind vorgebildet durch jene Cherubim über der Bundeslade, wo der HErr sich offenbaren wollte; aber nicht aus einem einzelnen Cherubim redete der HErr, sondern „von zwischen den Cherubim.“ 4. Mose 7,89. Ein wichtiger Fingerzeig!

Was die Verschiedenheit der Ämter betrifft, so beschränken wir uns hier auf die Andeutung, dass die drei Ämter des Diakons, des Ältesten oder Priesters, und des Bischofs drei Stufen des Amtes in der einzelnen Gemeinde sind, während jene vier Ämter in Ephes. 4,11 nicht Stufen, sondern eine vierfach verschiedene geistliche Wirksamkeit bezeichnen, entsprechend der vierfachen Anlage des Menschen, dessen Wille, Phantasie, Gemüt und Verstand nicht durch Ein Amt völlig in Anspruch genommen und geleitet wird.

Das griechische Wort „Diakon“ bezeichnet eigentlich einen Mann, der durch den Kot hin seine Botengänge macht.

Über die Sakramente als göttliche Gnadenmittel für die Kirche siehe unten in besondern Abschnitten. So wahr es ist, dass diese Geheimnisse uns göttliche Gnade und Kraft vermitteln, so wahr ist es anderseits, dass ohne ein redliches Herz man weder Teil noch Anrecht am Weil der Sakramente hat, vergl. Apost. 8,20-23.

Über die Charismen oder Gaben des Heiligen Geistes werden wir besonders in 1. Kor. 12 und 14 belehrt. Sprüche 29,18 heißt es: Wo keine Offenbarung, keine Weissagung ist, wird das Volk zügellos. Wir leben in einer Zeit, wo des HErrn Wort teuer und wenig Weissagung ist wie zu Samuels Zeit (1. Sam. 3,1 ff.) und wo man versucht ist, übernatürliche Äußerungen des Heiligen Geistes natürlich zu erklären und gering zu schätzen. Allein wir sollen im Glauben an den Heiligen Geist, den wir bekennen, auch seine Offenbarungen erwarten und sind gewarnt, die Weissagung zu verachten und Äußerungen des Geistes durch Spott und Widerstand zu dämpfen. 1. Thess. 5, 19-20. „Fleißigt euch der geistlichen Gaben, am meisten dass ihr weissagen könnt“ mahnt St. Paulus in 1. Kor. 14 und nach 1. Kor. 1,7 wird nur die Gemeinde in der Verfassung sein, auf die Offenbarung des HErrn Jesu Christi zu warten, die keinen Mangel hat an irgend einer Gabe des Geistes. Diese Gaben sind freilich verschieden und mannigfaltig. Darum sollen wir wirken mit den Mitteln, die Gott uns darreicht, und nicht tun wollen, was Andere besser verstehen, weil sie dazu Gabe und Aufgabe haben. Wirken aus dem Vermögen, das Gott darreicht, und nicht darüber hinaus, - darin liegt ein Geheimnis des Erfolgs der Knechte Gottes, vergl. 1. Petri 4,11.

Baer in seiner vortrefflichen Schrift über den protestantischen Gottesdienst zeigt, wie es ein Hauptfehler bei uns ist, dass die heilige Eucharistie (hier des hl. Abendmahles) nicht mehr Zentrum jedes Hauptgottesdienstes, sondern durch die Predigt verdrängt ist. Er zeigt ferner, wie der Kultus sowohl Produkt des Glaubens der Gemeinde ist, als auch ihn produzierend und stärkend, gerade wie das Wort nicht bloß Ausdruck des Gedankens ist, sondern ihn auch bei Andern erzeugt. - Passavant schreibt über die Idee des Kultus also: „Der Mensch als Schlussstein der Schöpfung wirkt solarisch auf die Natur ein, entweder indem er ihr etwas von seiner Kraft mitteilt, oder indem er die Natur bestimmt, seine Gedanken auszusprechen; jenes ist die Magie, dieses die Kunst. Beide sind im Kultus zusammen und beide prophezeien die Verklärung der Natur.“

Wie viel haben wir von der Macht und Fülle des Gottesdienstes der Urkirche mit ihrer herrlichen Liturgie verloren und preisgegeben, nachdem derselbe im römischen Kultus entstellt und von menschlichen Zusätzen überwuchert war! Begreiflich, dass Luther (in seiner Schrift über die deutsche Messe 1525) auf eine Zeit hoffte, wo der Gottesdienst so wiederhergestellt wäre, wie es im Reformationszeitalter mit der Predigt des Evangeliums geschehen. - Zwingli sogar behielt in der Zürcher Ordnung von 1529 von der alten Messordnung fast alles noch bei: Eingang, Sündenbekenntnis, Herr erbarm dich, Ehre sei Gott, Sanctus, Glaubensbekenntnis, Benedictus, Schriftlesung, Fürbitte rc. - Und Bersier in Paris, der seiner reformierten Gemeinde eine Liturgie gegeben, die Erbe nicht bloß der Reformatoren sondern hauptsächlich der alten Kirche sein will, ließ die Gemeinde das Credo (Glaubensbekenntnis) singen, dem Sündenbekenntnis eine feierliche Absolution folgen und die Gemeinde beim Gebet knien, alles mit Berufung auf den Ritus der alten Reformierten in Frankreich und der nach Deutschland geflüchteter Calvinisten. Wohin sind wir gekommen und wohin werden wir noch kommen, wenn laodiceische Lauheit und Sattheit ihr Wesen noch weiter treiben können und wenn wir nicht auf dem Steine, der bei Menschen verworfen, aber bei Gott auserwählt und köstlich ist, als lebendige Steine wieder recht erbaut werden zum geistlichen Hause, zum heiligen Priestertum, zu opfern geistliche Opfer auf dem Altar Jesu Christi? - (1. Petri 2,4.5. Hebr. 13,10).

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Gib, dass ich zu zeigen vermag, wie süß es ist, dich zu lieben, mit dir zu leiden, mit dir zu klagen, stets sich mit dir zu freuen.
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