Murray, Andrew - Der Geist Jesu Christi - 1. Der Geist Jesu Christi. Ein neuer Geist, und Gottes Geist.

Murray, Andrew - Der Geist Jesu Christi - 1. Der Geist Jesu Christi. Ein neuer Geist, und Gottes Geist.

Ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben. Ich will meinen Geist in euch geben“ (Hes. 36,26.27).

Gott hat sich uns durch sein Wort auf zweierlei Weise offenbart. Im Alten Testament finden wir die Zeit der Verheißung und der Vorbereitung, im Neuen die Erfüllung und Verwirklichung. In Übereinstimmung damit unterscheiden. wir auch zweierlei Wirkungen des Geistes Gottes. Im Alten Testament lesen wir, dass der Geist Gottes über die Menschen kam und zu besonderen Zeiten und durch verschiedene Mittel auf sie einwirkte, von oben und von außen her nach innen. Im Neuen Testament kehrt der Heilige Geist bei den Menschen ein, wohnt in ihnen, und wirkt von innen heraus nach außen und nach oben. Im ersteren erscheint uns der Geist Gottes als der Allmächtige und Heilige; in Letzterem finden wir den Geist des Vaters unsers Herrn Jesu Christi.

Der Unterschied zwischen dieser zweifachen Tätigkeit des Heiligen Geistes ist nicht so zu verstehen, als ob mit dem Ende des Alten Testaments die frühere Art der Wirksamkeit abgeschlossen wäre, und es nun sein vorbereitendes Werk des Geistes mehr gäbe. Durchaus nicht. Ebenso wie sich im Alten Bunde selige Ahnungen von der Innewohnung des Heiligen Geistes kund gaben, so fährt auch im Neuen Bunde die zweifache Arbeit fort. Je nach dem Mangel an Erkenntnis oder an Glauben, oder an Treue, kann ein gläubiger Christ in unseren Tagen oft nur wenig weiter geführt werden. als es im Alten Bunde geschah. Wohl wird der innewohnende Geist jedem Kind Gottes gegeben, und doch mag es nicht viel mehr erfahren, als die erste Hälfte der Verheißung, den neuen Geist, der uns bei der Wiedergeburt geschenkt wird; von Gottes heiligem Geist, der persönlich in uns wohnt, hat es aber kaum einen Begriff. Das Werk des Geistes, der uns überzeugt von der Sünde und von der Gerechtigkeit, der uns zur Buße, zum Glauben und zu einem neuen Leben führt, ist nur ein vorbereitendes. Die Herrlichkeit der Haushaltung des Heiligen Geistes besteht darin, dass Er persönlich in dem Herzen des Gläubigen Wohnung macht, um darin den Vater und den Sohn zu verklären. Nur in dem Grade, als wir dies verstehen und uns daran erinnern, sind wir imstande, den vollen Segen, den der Herr Jesus uns zugedacht hat, uns anzueignen.

In den Worten Hesekiels finden wir in der einen Verheißung den zweifältigen Segen, den uns Gott durch seinen Geist mitteilt, sehr augenscheinlich ausgesprochen. Zuerst heißt es: „Ich will einen neuen Geist in euch geben“; das heißt, des Menschen eigener Geist soll erneuert und belebt werden durch das Werk des Heiligen Geistes. Ist dies geschehen, dann folgt die zweite Verheißung: „Ich will meinen Geist in euch geben,“ dass Er in eurem neuen Geiste wohne. Wo Gott wohnen soll, da muss Ihm eine Stätte bereitet werden. Dem Adam musste Er zuerst einen Leib erschaffen, ehe Er den Geist des Lebens ihm einblasen konnte. Die Stiftshütte und der Tempel Israels musste zuerst erbaut und vollendet werden, ehe Gott herab kommen und Besitz davon ergreifen konnte. Ebenso wird uns ein neues Herz, ein neuer Geist in uns gegeben, als unumgängliche Bedingung, wenn Gottes Heiliger Geist in uns seine Wohnung aufschlagen soll. In dem Gebet Davids finden wir dasselbe ausgesprochen; zuerst: „Schaff in mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, gewissen Geist“; und hernach: „Nimm deinen Heiligen Geist nicht von mir.“ - Auch in den Worten: „Was vom Geist geboren ist, das ist Geist,“ finden wir den Unterschied ausgesprochen: Der göttliche Geist zeugt den erneuerten Geist.

Ferner werden die beiden unterschieden in der Stelle: „Gottes Geist gibt Zeugnis unserem Geiste, dass wir Gottes Kinder sind.“ Unser Geist ist der erneuerte, wiedergeborene Geist; von demselben aber wohl zu unterscheiden ist der Heilige Geist Gottes, der darinnen wohnt, und in ihm und durch ihn zeugt1). Wie wichtig es ist, dass dieser Unterschied anerkannt werde, liegt auf der Hand. Dadurch wird es uns möglich, das rechte Verhältnis zu verstehen zwischen Wiedergeburt und der Innewohnung des Geistes. Die erstere ist jenes Werk des Heiligen Geistes, wodurch Er uns von unserer Sündhaftigkeit überführt, uns zur Buße und zum Glauben an Jesum leitet, und uns eine neue Natur mitteilt. Hierdurch wird die Verheißung Gottes erfüllt: „Ich will einen neuen Geist in euch geben.“ Nun ist der Gläubige ein Kind Gottes, ein Tempel, der zur Wohnung des Heiligen Geistes zubereitet ist. Wenn der Glaube dies erfasst, so wird der zweite Teil der Verheißung so gewiss in Erfüllung gehen, als der erste. So lange nun der Gläubige aber nur seine Wiedergeburt, die Erneuerung seines Geistes betrachtet, kann er zu der völligen Freude und Kraft, die ihm zugedacht ist, nicht gelangen. Aber wenn er Gottes Verheißung glaubt, dass er noch etwas besseres, größeres zu erwarten habe, als das neue Wesen, den inneren Tempel dass der Geist des Vaters und des Sohnes in ihm wohnen will, da eröffnet sich ihm ein wunderbares Gebiet der Heiligkeit und Seligkeit. Es wird nun sein eines großes Verlangen sein, diesen Heiligen Geist recht kennen zu lernen, zu wissen, wie Er wirkt, was Er fordert, und auf welche Weise er seine Innewohnung und die Verherrlichung des Sohnes Gottes in seinem Herzen vollkommen erfahren könne.

Vielleicht wird nun die Frage laut: Wie werden die beiden göttlichen Teile der Verheißung erfüllt? Geschieht es zu gleicher Zeit oder in einer gewissen Reihenfolge? Die Antwort ist sehr einfach: Von Seiten Gottes wird die zweifache Gabe gleichzeitig mitgeteilt. Der Geist kann nicht getrennt werden indem Gott seinen Geist gibt, gibt Er sich selbst und alles, was Er ist. So geschah es am Tag der Pfingsten. Die dreitausend empfingen an einem und demselben Tage den neuen Geist und damit Buße und Glauben, und als sie dann getauft waren, den innewohnenden heiligen Geist, als Gottes Siegel auf ihren Glauben. Durch das Wort der Jünger wirkte der Heilige Geist, der über dieselben ausgegossen worden war, mächtiglich auf die Menge und änderte ihren Sinn, ihr Herz und ihren Geist. Als sie, kraft des neuen Geistes, der in ihnen schaffte, zum Glauben und Bekenntnis kamen, empfingen sie die Taufe des Heiligen Geistes, der nun in ihnen bleibende Wohnung machte. So geschieht es auch noch immer in den Zeiten, wenn der Geist Gottes kräftiglich wirkt, und die Kirche in der Macht des Geistes lebt da empfangen die Kinder, welche sie zeugt, gleich von Anfang ihres christlichen Lebens an, die bestimmte, bewusste Versieglung und Innewohnung des Heiligen Geistes. Doch haben wir in der Schrift auch einige Andeutungen, dass solche Umstände eintreten können, je nach der Begabung des Predigers, oder dem Glauben der Hörer, da die beiden Teile der Verheißung nicht so nahe zusammenfallen. Wir erinnern uns der Gläubigen zu Samaria, die durch die Verkündigung des Philippus sich bekehrt hatten, und auch an die Jünger, welche Paulus zu Ephesus antraf. In diesen beiden Fällen wiederholt sich die Erfahrung, durch welche die Apostel selbst geführt wurden. Wir müssen sie schon als wiedergeborene Menschen ansehen vor dem Tode Jesu; aber erst zu Pfingsten wurde die Verheißung erfüllt: „Er wird in euch sein.“ Was uns an ihnen entgegentritt, gerade wie im Alten und im Neuen Testament nämlich zweierlei Kundgebungen der Gabe des Heiligen Geistes das kann auch in unseren Tagen noch vorkommen. Wenn der Stand des geistlichen Lebens in der Kirche ein niedriger, schwächlicher ist, wenn weder in der Predigt des Wortes, noch in dem Zeugnis der Gläubigen die herrliche Wahrheit des innewohnenden Geistes bestimmt verkündigt wird, da ist es kein Wunder, wenn auch da, wo Gott seinen Geist gibt, derselbe nur als der Geist der Erneuerung erkannt wird. Seine innewohnende Gegenwart wird ein Geheimnis bleiben. Gott gibt freilich den Geist Christi in seiner ganzen Fülle ein für allemal als einen innewohnenden Geist; aber tatsächlich wird Er nur empfangen und erfahren in dem Grade als Ihn der Glaube ergreift.

Es wird in der Kirche allgemein anerkannt, dass dem Heiligen Geist nicht die Stellung eingeräumt wird, die Ihm gebührt, als derjenigen göttlichen Person, durch welche der Vater und der Sohn erkannt und ins Herz aufgenommen werden können, und welche allein der Kirche Herrlichkeit und Seligkeit ist. Zur Zeit der Reformation, gesegneten Andenkens, musste das Evangelium Christi von dem sich daran hängenden schrecklichen Irrtum, als könnte die eigene Gerechtigkeit der Menschen der Grund ihrer Annahme bei Gott werden, befreit, und die freie Gnade Gottes aufrecht erhalten werden. Später sollte auf diesem Grund weiter gebaut und ausgeführt werden, welche Schätze der Gnade dem Gläubigen durch die Innewohnung des Geistes Jesu eröffnet seien. Allein die Kirche begnügte sich zu sehr mit dem schon Erhaltenen und bis jetzt hat die Verkündigung dessen, was der Heilige Geist einem jeden einzelnen Gläubigen sein will, durch seine Leitung, seine heiligende und stärkende Kraft, noch nie in unserer evangelischen Lehre und Tätigkeit die ihr zukommende Stelle eingenommen. Mancher aufrichtige Gläubige müsste wohl dem Geständnis beistimmen, das kürzlich ein junger, begabter Christ aussprach: „Ich glaube, ich verstehe das Werk des Vaters und des Sohnes, und ich freue mich darüber, aber ich sehe kaum, welche Stelle der Heilige Geist dabei einnimmt.“ Darum wollen wir uns vereinigen mit allen, welche Gott um mächtige Erweisungen des Geistes in seiner Kirche anflehen, damit ein jedes Kind Gottes die Erfüllung der doppelten Verheißung an sich erfahren möge: „Ich will einen neuen Geist in euch geben“ und „ich will meinen Geist in euch geben.“ Wir wollen den HErrn bitten, dass wir die wunderbare Segnung des innewohnenden Geistes so tief erfassen mögen, dass wir uns nach innen kehren, und unser innerstes Wesen der vollen Offenbarung der Liebe des Vaters und der Gnade Jesu aufschließen können.

„In euch! In euch!“ Dies zweimal wiederholte Wort unsers Textes ist das Losungswort des Neuen Bundes. „Ich will geben mein Gesetz in ihren Sinn, und in ihr Herz will ich es schreiben.“ „Ich will ihnen meine Furcht ins Herz geben, dass sie nicht von mir weichen.“ Gott hatte das Menschenherz zu seiner Wohnung erschaffen; aber die Sünde ist darin eingekehrt und hat es verunreinigt. Vier tausend Jahre lang hat Gottes Geist gerungen, um aufs neue Besitz davon zu ergreifen. Aber erst durch die Menschwerdung Jesu und durch sein Werk der Versöhnung ward die Erlösung vollbracht und das Reich Gottes aufgerichtet. Jesus konnte nun sagen: „Das Reich Gottes ist zu euch gekommen;“ „das Reich Gottes ist in euch.“ In unserem Innern sollten wir die Erfüllung des Neuen Bundes erleben; durch die Kraft des unendlichen Lebens wird nun das Gesetz und die Furcht Gottes in unser Herz gegeben; ja der Geist des Herrn Jesu selbst soll nun in uns die Kraft unsers Lebens sein. Nicht nur auf Golgatha, ober bei der Auferstehung, oder auf dem Thron wird die Herrlichkeit Jesu Christi, des Siegers, offenbart sondern auch in unseren Herzen; in uns, in uns soll die Herrlichkeit der Erlösung tatsächlich zur wahren Entfaltung kommen. In uns, in unseren Herzen ist das verborgene Heiligtum, wo die mit Blut besprengte Bundeslade zu finden ist, die das, durch den innewohnenden Geist, mit unauslöschlichen Buchstaben geschriebene Gesetz enthält, und wo nun durch den Geist der Vater und der Sohn Wohnung machen wollen.

O mein Gott, ich danke dir für diesen zweifachen Segen. Ich danke dir, dass du dir in mir einen wunderbaren heiligen Tempel aufgerichtet hast, dass du mir einen neuen Geist gegeben hast. Und ich danke dir für deine noch wunderbarere heilige Gegenwart, für deinen Heiligen Geist, der in mir wohnen und da den Vater und den Sohn verklären will.

O mein Gott, ich bitte dich, öffne meine Augen für dies Geheimnis deiner Liebe! Lass mich durch deine Worte: „in euch“ mit tiefer Beugung, mit Furcht und Zittern, deine Herablassung erkennen, und möge mein einer Wunsch der sein, dass mein Geist in der Tat eine würdige Wohnstätte deines Geistes werde. Lass mich dadurch ermutigt werden, mit heiligem Vertrauen alles das zu erwarten und zu beanspruchen, was in dieser Verheißung verborgen liegt.

O mein Vater! Ich danke dir, dass dein Geist in mir. wohnt. Lass mich, durch seine Innewohnung, in Lebensgemeinschaft mit dir bleiben, und in immer zunehmender Macht. seine erneuernde Kraft erfahren, durch die stets aufs neue mitgeteilte Salbung, welche mir seine Gegenwart und die Innewohnung meines verherrlichten Herrn Jesu verbürgt. Möge ich meinen täglichen Wandel in dem ehrfurchtsvollen Bewusstsein seines heiligen Naheseins in mir führen, und dadurch immer mehr die freudige Erfahrung machen, dass Er in mir und durch mich wirksam ist. Amen.

  1. Liegt nicht hier die Ursache, warum es so manchen nicht gelungen ist in Jesu zu bleiben, nach seinem Bilde zu wandeln, und heilig in Jesu zu werden? Sie wissen nicht, welche wunderbaren, allgenugsamen Vorkehrungen Gott getroffen hat, um ihnen dies möglich zu machen. Sie hatten nicht das klare, gläubige Bewusstsein, dass der Heilige Geist dies in ihnen ausführen wolle. Lasst uns vor allem an der Verheißung festhalten, dass Gott, der uns einen neuen Geist gegeben hat, auch seinen Heiligen Geist uns geben will.
  2. „Der Geist wird uns gegeben als der Erbauer und Bewohner seines Tempels. Er kann nicht darinnen wohnen, ehe Er ihn erbaut hat: Er erbaut ihn, damit Er darin wohnen könne.“ (Howe.)
  3. Von der tiefsten Bedeutung ist hier die richtige Unterscheidung: In dem neuen Geist, der mir gegeben ist, sehe ich ein Werk Gottes in mir, ein Haus das Gott erbaut; indem mir Gottes Geist gegeben wird, kommt Gott selbst als lebendige Person in mir zu wohnen. Es ist ein großer Unterschied, ob mir ein reicher Freund ein Haus baut, in dem ich wohnen kann, daneben aber arm und elend bleibe, oder ob der reiche Freund selbst kommt um bei mir zu wohnen und alle meine Bedürfnisse zu stillen!
  4. Ein Haus muss zu seinem Bewohner passen. Je besser ich den Heiligen Geist in mir kennen lerne, desto mehr werde ich mich in Demut und tiefer Ehrfurcht vor Ihm beugen, und mein Inneres Ihm hingeben, dass Er es einrichte und ausschmücke wie es Ihm gefällt.
  5. Der Heilige Geist ist das innerste Wesen des Vaters und des Sohnes. Mein Geist ist mein innerstes Wesen. Der Heilige Geist erneuert dieses innerste Wesen, und dann wohnt Er darinnen und erfüllt es mit sich selbst. Auf diese Weise wird Er mir, was Er dem Herrn Jesu war, das eigentliche Leben seiner Persönlichkeit. In heiliger Stille und Ehrfurcht beuge ich mich vor diesem Geheimnis und spreche: „O mein Vater, ich danke dir: dein Heiliger Geist wohnt in mir, in meinem innersten Wesen.“
1)
Diese Unterscheidung zwischen der vorbereitenden Einwirkung des Geistes auf den Menschen vermittelst Offenbarung von außen und seiner wesentlichen Einwohnung im Menschen scheint dem christlichen Bewusstsein beinahe entschwunden zu sein. Godet zu Joh. 14,17. „Der Geist wirkt also erst durch Wort und Tat von außen auf und in dem Menschen, ehe er innerlich dem Menschen als selbständiges Eigentum zu teil wird, ehe er innewohnt. Die Einwirkungen des Geistes und die Einwohnung sind zu unterscheiden.“ Beck Ethik I. 131.
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