Müller, Heinrich - Von vier süßen Dingen.

Müller, Heinrich - Von vier süßen Dingen.

Je länger, je lieber.

Vier Dinge meine ich. Erstlich das Wort Gottes. Je länger man eine süße Speise kaut, je süßer schmeckt sie. Gottes Wort soll der Seele Speise sein. Ach, wie Vielen ist es fremd und unbekannt, daß es ihnen mehr eine Arzenei als Speise zu sein scheint; der leiblichen Speise will Niemand entbehren, aber die geringste Ursache macht oft, daß wir die Seelenspeise versäumen. Wie? Ist sie denn so sauer, daß man einen Ekel davor haben möchte? Ach nein, süßer denn Honig und Honigseim. Milch und Honig ist unter Jesu Kehle und Rosenzucker trägt er auf seinen Lippen, wie das Lied Salomos zeugt. Die natürliche Speise erquickt, weil sie dem hungrigen Magen eine Zufriedenheit bringt; drum sagt die Schrift, daß Gott erfülle unsere Herzen mit Speis und Freuden. Ap. Gesch. 14, 17. Wäre ein geistlicher Hunger bei uns, ach, wie würden wir uns an dem Wort Gottes erquicken, mehr denn ein Kindlein an den Milchbrüstenl Wenn wir der irdischen Speise genießen, finden wir eine solche Lieblichkeit drin, daß der Appetit zur Speise immer zunimmt, da zieht ein süßer Bissen den andern nach sich; wenn die Kraft und Süßigkeit göttlichen Wortes gekostet wird, wächst in der Fülle der Hunger und können wir sein nicht satt werden, denn der Glaube ergreift die tröstlichen Verheißungen nicht nur als wahrhaftig zur Beistimmung, sondern auch als gut und lieblich zu festem Anhang, will die Brüste nicht lassen, weil die Milch so süß ist. Je mehr man von leiblicher Speise zu sich nimmt, je satter wird man, aber je mehr man sich an Gottes Wort erlustigt-, je begieriger und hungriger wird die Seele. Drum, mein Herz, wenn dich dünkt, Gottes Wort sei dir leid geworden, so hör und lies es desto steißiger, denn im Lesen und Hören fällt dir ein süß Tröpflein nach dem andern ins Herz, da gewinnst du wieder lieb, was dir vorher leid war. Fürs andere das Kreuz. Je länger ichs trage, je leichter wirds (die Gewohnheit macht Alles leicht), und je leichter je lieber. Indem es bei mir wohnt, werde ich bekannt mit ihm und verliebe mich immer mehr und mehr darein; je länger zwei gute Freunde mit einander umgehen, je lieber haben sie einander und je schmerzlicher ist das Scheiden. Das Kreuz hat mich so lieb, es läßt mich nicht und lief ich zum Thor hinaus; so habe ichs auch wiederum so lieb, daß ichs um Welt, Gold und Silber nicht geben wollte, Niemand als der Tod soll uns trennen. Was Gott zusammenfügt, muß kein Mensch scheiden. Fürs dritte den Tod. Je länger ich an ihn gedenke, je lieber wird er mir. Andern ist der Tod ein solch Schreckbild, daß ihnen auch vor dem Anblick graut; mir ist dies Bild so lieblich, daß ich mich nicht satt dran sehen kann. In Christo ist der Tod kein Tod, sondern eine Thür zum Leben, nicht schrecklich, sondern lieblich, nicht häßlich, sondern herrlich, nicht bitter, sondern süß. Durch tägliche Sterbensgedanken befreunde ich mich mit dem Tod, gute Freunde reisen gern mit einander; spannt der Tod an, ich fahre mit und spreche mit Simeon: Herr, nun, ach nun, in diesem nun, in diesem Pünktlein, laß deinen Diener in Frieden fahren, gönne mir doch Feierabend, daß ich meinem guten Freunde das Geleit gebe; der Tod will fort, ich muß mit, ach Herr, halt mich nicht auf! Viertens den Himmel. Je länger hinauf, je lieber hinein. Himmlische Gedanken haben eine magnetische Kraft, entzücken das Herz im Geist, in solcher Entzückung wirds mit himmlischer Wollust gelabt, der Schmack zündet die Himmelslust an und treibt ein Seufzerlein nach dem andern hinauf. Eia, wären wir da! Je kräftiger wir die Süßigkeit des Himmels schmecken, je brünstiger ist das Verlangen in uns nach der Offenbarung der Kindschaft Gottes. Wie ein Kind, wenns ein Bißlein Zuckers gekostet hat, immer nach Zucker schreit und weint, so sehnen wir uns nach der völligen Erndte, wenn wir die Erstlinge haben bekommen. Ach, nimm mich in den Himmel, Herr Jesu, balde!

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