Müller, Heinrich - Von Lesung der Bibel.

Müller, Heinrich - Von Lesung der Bibel.

Ein Buch gelesen, genug studirt.

Du rühmst dich, daß du die Bibel so und so viel mal durchgelesen. Das Lesen ist gut, der Ruhm taugt nicht. Der Nutzen ist dein, der Ruhm soll Gottes sein. Ich muß dirs nachrühmen, wenn du begraben wirst, daß du in der Bibel fleißig studirt. Was nützt der Ruhm? Nicht uns, Herr, nicht uns, sondern deinem Namen gib die Ehre! Die Bibel lieb und lies, sie ist ein köstlich Buch, goldner als Gold. Gehst du auf dem breiten Wege? Sie richtet deine Füße auf den engen Weg, und umschränkt deinen Wandel mit der Lehre und dem Leben Jesu Christi. Ist im Herzen Irrthum und Zweifel? Sie erleuchtet und vertreibt alle Finsternis. Neigt sich das Herz zur Welt? Sie zieht es zurück. Ihr Feuer verzehrt alle weltliche Lust. Gibt sie Gottes Liebe zu schmecken, so verliert sich bald alle Weltliebe. Sie trägt das Herz wie ein Magnet in die Höhe, wenns gleich die natürliche Unart noch so sehr zur Erde drückt. Ist das Herz träg zum Guten? Sie lockt es mit erzeigter göttlicher Güte an sich, zieht durch die Barmherzigkeit Gottes. Sollten solche Liebesschläge das Herz nicht erweichen? Sollten solche Liebesflammen das kalte Herz nicht erwärmen? So feurig ist Gottes Güte, wenn sie das Herz recht berührt, zieht sie dasselbe mit einer starken jedoch süßen Gewalt dermaßen nach sich, daß es mit Lust thut, was Gott gefällt. Ist das Herz traurig? Sie erfreut es. Denn Gott ist, der da redet. Seine freundliche Mutterstimme müßte ja dem weinenden Kinde tröstlich sein. Ist das Herz schwach? Sie stärkt es. Wie ein Gewürz, wenns zertrieben wird, das matte Herz: so stärkt das Wort Gottes, wenn es in heiliger Andacht zu Herzen gezogen wird, die entkräftete abgemattete Seele. Aber, mein Christ, liest du die Bibel, so lies sie nicht zu dem Ende, daß du eine bloße historische Wissenschaft daraus schöpfst, sondern daß du dein Gemüth mit Andacht wie ein Bienlein mit Honig anfüllst, die Andacht im Gebet offenbarst, durch Gebet die Kraft des Wortes, wie der Baum den Saft durch die Wurzel, in dich ziehst, und die Kraft hernach im Leben beweisest. Die Bibel ist dir nicht zur Kunst, sondern zur Brunst; nicht zur Gelehrtheit, sondern zur Gottseligkeit gegeben. Der Teufel bewies in der Wüste, daß er auch in der Bibel gelesen, aber nicht sich selbst fromm zu machen, sondern Christum und seine Glieder damit zu bestricken. Mancher gelehrter Streitkopf liest die Bibel emsig, doch nicht zu seiner eignen Besserung, sondern zu Anderer Verwirrung. Ein solcher ist des Teufels Saame. Mir soll die Bibel ein Spiegel sein, darin ich beschaue, was ich in Adam vor dem Fall gewesen, durch den Fall geworden; was ich in Christo sein könne und solle; was ich endlich in der Ewigkeit sein werde. Das erste wird in mir erwecken eine reine Liebe Gottes, und die aus der Liebe fließende Sündenreue; das andere wird in mir wirken den Haß mein selbst, die Tödtung des Fleisches, Demuth, Sanftmuth und Geduld. Das dritte wird in mich pflanzen den Glauben und die Gottesfurcht. Das vierte wird mich lehren, die Eitelkeit zu verschmähen, und die Ewigkeit zu suchen. In diesen vier Stücklein besteht das ganze Christenthum.

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