Müller, Heinrich - Von kleinen Sünden.

Müller, Heinrich - Von kleinen Sünden.

Kleine Hunde thun oft den größten Schaden.

Das meint der Hirsch nicht, und wirds doch gewahr mit seinem Schaden. Wenn er die großen Jagdhunde bestreitet, entkräftet, und hin an den Baum schmettert, laufen mittelst dessen die kleinen Hündlein hinzu, hängen sich haufenweise an ihn, reißen ihm ganze Stücken Fleisches aus dem Leibe; er achtet der Wunden nicht, bis sie eitern und faulen, so muß er dran sterben. Du bestreitest nur die Hauptsünden, willst nicht gern ein Mörder, Dieb und Ehebrecher heißen, daß du keine Schande vor der Welt habest; unterdessen versucht dich dein Fleisch durch kleine Sünden, derer du nicht achtest; du liebst die Gesellschaft der Menschen, nimmst ihre zierlichen köstlichen Kleidermuster an dich, hältst mit ihnen bald von diesen bald von jenen Dingen ein freundlich Scherzgespräch, wirst dadurch unvermerkt verwundet in deinem Herzen, achtest der Wunden nicht; dein voriger Eifer im Christenthum fault allmählich und verlöscht in dir, endlich geschiehts, daß du an der Wunde des ewigen Todes stirbst. Siehe, also entsteht manchmal größer Unheil aus kleinen als großen Sünden. Denn große Sünde hältst du noch für Sünde, und meidest sie, kleine Sünde aber hältst du nicht für Sünde, und nimmst dich nicht recht in Acht. Ich rathe dir, halt keine Sünde für klein. Wie klein sie mag dir vorkommen, beleidigt sie doch Gott, verwundet dein Gewissen, und wird dir eine Wurzel vieler großen Sünden. Wie bald kann aus einem Fünklein ein Feuer werden, wenn mans nicht wehrt? Wenn man einen Stein in einen Wasserwirbel wirft, macht er viel hin- und wiederschwankende Cirkel im Wasser, da immer einer größer wird als der andere. Denn wenn einer erregt wird, so erregt er einen andern, der größer ist, und der wieder einen andern, der noch größer ist; also verhält sichs auch mit der Sünde. Die kleine ist ein Anfang der großen, die große ein neuer Anfang einer größern; darum sagt Bernhardus recht: Ein gottergebenes Herz hütet sich sowohl vor der kleinen, als vor der großen Sünde, weil von den kleinen einen Anfang machen, die sich mit größern bestecken wollen. Es ist keine einig Sünde, sie sei so klein als sie wolle, die den Tod nicht verdiene. Denn der Tod ist aller Sünden Sold. Röm. 6, 23. Und, so jemand das ganze Gesetz hält, und sündigt an einem, der ists ganz schuldig. Jac. 2, 10. O, wie gar so klein sind die Sandkörnlein, doch wenn derselben zu viel ins Schiff kommen, senken sie dasselbe unter sich, daß es zu Grunde geht; und wie gar klein sind die Regentröpflein, doch machen sie, daß die Flüsse anlaufen und die Häuser einreißen. Kleine Sünden meiden und fliehen, ist ein Zeichen eines erleuchteten Gemüths. Denn gleich wie im Licht der Sonne auch die geringsten Stäublein gesehen werden, da man in der Finsterniß auch eines großen Unflaths nicht gewahr wird; also, je mehr der Mensch von Gott erleuchtet, je schärfer sieht und haßt er auch die geringste Sünde. Ich will alles für Sünde halten, was wider meinen Gott ist, es schein auch so gering wie es immer wolle; keine Sünde ist so klein, die mich nicht verdammen könnte, wenn Gott nicht gnädig wäre.

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