Müller, Heinrich - Von der Welt Untreue.

Müller, Heinrich - Von der Welt Untreue.

Ich kenne dich nicht.

So sprech ich in meinem Amt; die Liebe Gottes hat mich geblendet, daß ich keinen Menschen kennen kann. Du seist Freund oder Feind, reich oder arm, hoch oder niedrig, sündigst du? Ich strafe dich; mein Auge ist gerichtet gerad vor mich auf die Sünde, nicht nebenhin auf die Person. Ich kenne dich nicht. So spricht die Welt zu mir in meinen Nöthen. Liegt auch nicht viel dran, Welt. Da meine Kammer voll Schatzes, und mein Tisch voll niedlicher Bissen war, kanntest du mich wohl. Jenes Edelmütterlein klagte einstmals: sie wäre verlassen von ihren Freunden. Da ich fragte, wie denn? Antwortete sie, als ich auf Carossen fuhr, kannten sie mich wohl, jetzt da ich zu Fuß gehe, kennt mich Niemand. Hörst du da? So lange du auf Carossen fährst, kennt dich die Welt, wenn du zu Fuß gehst, kennt dich Niemand; so lang ich helfen kann, stellen sich die Freunde wohl ein, sollen sie mir einmal wieder helfen, so ist Niemand zu Haus. Recht so, denn sie lieben nicht mich, sondern nur das Meine; mit meinem Glück blüht, mit meinem Glück verwelkt ihre Liebe; falsch Gold hält die Probe im Feuer, und falscher Freund im Kreuz nicht. Ach Freund in der Noth, wie rar bist du! Wer ihn hat, der halt ihn werth; er ist mit keinem Golde zu bezahlen. Wenn Gold vergeht, der Freund besteht. Kennst du mich aber nicht in meinen Nöthen, Welt? Darum nicht todt. Du gehst mich nicht an; denn verflucht ist, der sich auf Menschen verläßt. Ich geh dich nicht an, du findest bei mir nicht, was du suchst, wir sind geschieden. Gottlob! von dir getrennt, mit Gott verbunden. Ich gehöre mit zu der Zahl derer, die hier sagen müssen: Wir sind als die Unbekannten, und doch bekannt. 2. Cor. 6. 9. Kennst du mich nicht? Ist doch noch Einer, der mich kennt. Gott kennt die Seinen. Sollte ein Vater sein Kind, ein Hirt sein Schaf, eine Henne ihr Küchlein, ein Bräutigam seine Braut nicht kennen? Ja wahrhaftig kennt er mich. Sorgt keine Welt für mich, Gott sorgt noch. Mein Vater und Mutter verlassen mich, der Herr aber nimmt mich an. Den Trost laß ich mir nicht nehmen. Gott kennt mich, ob mich kein Mensch auf Erden kennt. Ich kenn das Meine, Gott das Seine. Ach mein Gott, ich gehöre ja dir zu, als dein theuer erkauftes Eigenthum. Bin ich nicht werth, daß ich dein Kind heiße, laß mich nur dein Würmlein sein. Für die Würmlein sorgst du ja auch. Dabei bleibts. Gott kennt mich. Welt, nach deinem Kennen frag ich nichts.

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