Müller, Heinrich - Von der recht geordneten Liebe sein selbst und des Nächsten.

Müller, Heinrich - Von der recht geordneten Liebe sein selbst und des Nächsten.

Das Hemd ist dir näher als der Rock.

Mancher erbarmt sich Anderer, und erbarmt sich sein selbst nicht. Ich habe mit Verwunderung gesehen, wie viel sind, die Andere speisen und tränken, ihre eigene Seele aber verschmachten lassen; Andere Neiden sie, ihre eigene Seele lassen sie nackt; Andere heilen sie, und selbst liegen sie krank an mancher Seuche; Andere strafen sie, ihnen selbst liebkosen und heucheln sie; gleich den Rinnen, die andern Wasser geben, und selbst keines behalten. Diese Leute verstehen noch nicht das Gebot des Herrn: Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst. Wen sollst du lieben? Den Nächsten. Wer ist dir der Nächste? Du oder dein Freund? Die Seele oder der Leib? Wie sollst du den Nächsten lieben? Als dich selbst. Kannst du auch Andere lieben als dich, wenn du dich nicht liebst? Wie kannst du wissen, ob du im Strafen deinem Bruder zu linde oder zu strenge fallen werdest, wenn du nicht an dir selbst versucht hast, was sich für ein Pflaster auf die Wunde schickt? Augustinus sagt wohl: Willst du deinen Nächsten strafen? So ist dir Niemand näher, als eben du selbst. Was gehst du weit, du hast dich selbst vor dir? Wo du dich nicht selbst liebst, wie willst du deinen Nächsten lieben? Alles, was du am Nächsten thust, und wärs noch so künstlich, ist verloren, wenns nicht ist abgezirkt nach der Liebe dein selbst. Im Lieben mach den Anfang von dir selbst, und den Vorzug gönne deiner Seele. Die Frau oben, die Magd unten. So viel du für deine Seele sorgst, so viel sorgt Gott für deinen Leib, und die Seele selbst, wenn sie wohl versorgt ist, hilft für den Leib mit sorgen. Es findet sich leicht ein Stücklein Brods, das den Leib nährt, wenn die Seele zuvor erquickt ist mit Gottes Wort. Und solche Ordnung halt auch in der Liebe des Nächsten. Was hilft ein Almosen, wenn kein Trost dabei ist? Du gibst dem Armen Brod, und läßt ihn vor deinen Augen in Todsünden liegen; wärs doch besser, daß er Hungers stürbe, als daß er in Sünde lebt. Siehe zu, daß du nicht an seiner Seele zum Mörder werdest, indem du den Leib erhältst.

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