Müller, Heinrich - Von der Gegenwart Gottes im Kreuz.

Müller, Heinrich - Von der Gegenwart Gottes im Kreuz.

Dem Schwächsten am nächsten.

Die Welt spricht: Der Stärkere gewinnt. Drum verbinden sich die Gewaltigen mit einander, daß sie durch vereinigte Stärke den Sieg erhalten. Aber was ist Menschenstärke, wenn Gott nicht hilft? Gott ist dem Schwächsten am nächsten. Welch eine genaue Aufsicht hat eine Mutter auf ihr krankes Kind, ein Hirte auf sein zartes Lämmlein? Gott ist mütterlich gegen uns gesinnt und kann unser so wenig vergessen als eine Mutter ihres Kindes; er ist unser Hirte, wir liegen ihm auf seinen Schultern, ja in seinem Herzen. Er sorgt für uns, sonderlich wenn wir schwach und verlassen sind. Anfechtungen haben den Nutzen, daß sie Gott die Thür zum Herzen öffnen, den Trost hinein zu bringen, von welchem andere nichts wissen. Adam und Eva hatten beide gesündigt, doch ward Eva getröstet, nicht Adam. Ihr Leid war größer, als die den Mann mit in die Uebertretung gezogen; so war auch ihr als eines Weibes Vermögen, den höllischen Versuchungen zu widerstehen, schwächer als des Mannes. Weil der Satan dem Schwächsten am härtesten zusetzt, so steht ihm Gott am meisten bei. Meine Kraft, spricht er zum Paulus, ist in den Schwachen mächtig. Sollte sich Gottes Stärke mit des Menschen Stärke vereinigen, so muß er auch den Ruhm mit dem Menschen theilen; er will aber die Ehre allein haben. Nicht uns, Herr, nicht uns, sondern deinem Namen gib die Ehre! Wo noch eigene Stärke ist, da ist auch gemeiniglich eine heimliche Abgötterei. Da verläßt sich der Mensch mehr auf sich und seine Stärke als auf Gott. Wie kann Gott dessen Gott sein, der sein eigner Gott ist, und dem mit seiner Hilfe beitreten, der mit seinem Herzen von ihm weicht? Gott will sich nur mit einem solchen Herzen verbinden, das an ihm selbst und an allem seinen Vermögen gänzlich verzagt, sich blößlich mit seinem Vertrauen an ihn hängt und mit Josaphat spricht: Ach Herr, in mir ist kein Vermögen, ich weiß nicht, was ich thun soll; sondern meine Augen sehen nach dir, in deiner Macht ist Kraft und Macht, und ist Niemand, der wider dich stehen möge. Wie sich ein krankes Kind nach der Mutter umsieht und spricht: Ach, Herzensmutter könnt ihr mir nicht helfen? so muß sich die Seele nach Gott sehnen und seufzen: Ach, mein Gott, mein Jesu, mein treuer Gott, du kannst und wirst mir ja helfen; dann gibt Gott Muth und Kraft zu siegen. Drum, liebstes Herz, verzage nicht, wenn du dich schwach befindest. Ob du gleich meinst, Gott sei dann am fernsten, wenn du am schwächsten, so ist er dir doch dann am nächsten. Wenn Gott unter dem Druck seine Kinder läßt kraftlos werden, daß Jedermann meint es habe ein Ende, so ist er doch eben in denselben am stärksten da, so gar verborgen und heimlich, daß sie es selbst nicht fühlen, sondern glaubens nur. Denn wo Menschen Kraft ausgeht, da geht Gottes Kraft ein, doch leuchtets nicht eher hervor, ehe das Leiden aus ist; dann erkennt man erstlich, was für eine Stärke gewesen unter der Schwachheit. Wie kraftlos war Christus am Kreuz, und bewies doch da seine größte Kraft, indem er überwand Sünde, Tod, Teufel, Hölle und alles Elend! Hingegen läßt Gott die Feinde seiner Kinder groß und mächtig werden, zieht aber seine Kraft heraus, wenn sie sich von eigner Kraft aufblasen. Und wenn dann die Blase voll ist, daß Jedermann meint, sie haben gewonnen, so sticht Gott ein Loch darein, da ists aus. Die Narren wissen nicht, spricht Dr. Luther, daß eben indem sie aufgehen und stark werden, sie von Gott geäußert sind und Gottes Arm nicht mehr bei ihnen ist. Darum währet ihr Ding seine Zeit, darnach verschwindet es, wie eine Wasserblase, wird als wäre es nie gewesen. Ich will gutes Muthes sein in meinem Leiden. Denn je schwächer in mir, je stärker in Gott. Begegnet mir ein Teufel und will mir was anmachen, ich wags. Komm an, Teufel, hast du das Herz, ich geh einher in der Kraft des Herrn Zebaoth. Mit Gott kann ich Thaten thun. Solls heißen: Der Stärkere siegt, so hab ich schon gewonnen; Gottes Stärke ist meine Stärke, und Gottes Stärke geht über alle Stärke. Solls auch heißen: Der Schwächere siegt; mir gilts gleich, Gott hilft so bald den Füßen, als den Händen. Durch Weichen und Nachgeben habe ich manchen Sieg erhalten. Gott sei gelobt!

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