Müller, Heinrich - Vom Zeugniß des Gewissens.

Müller, Heinrich - Vom Zeugniß des Gewissens.

Bin ich denn ein solcher?

Was fragst du mich? Geh in dein Gewissen. Bist du fromm? Das wird dirs sagen. Bist du ein Schalk? Das wird dirs sagen. Mancher bildet sich ein, er sei so, wie die Leute von ihm reden, und ists doch nicht. Wenn er Nachfrage hält bei sich selbst, wird er den Betrug bald merken. Niemand kennt dich besser als du, drum kann Niemand von dir besser zeugen, als du; aber hüte dich, daß du nicht ein falscher Zeuge seist; eigne Liebe blendet, daher kommts, daß Mancher sich vermißt fromm zu sein und ists doch nicht. Je näher du aus Licht trittst, je schärfer siehst du. Beschaue dich beim Licht göttlichen Worts, und deines durch Gottes Wort erleuchteten Gewissens, da wirst du bald erfahren, ob du ein solcher seist oder nicht. Mancher will seine Sünde verhehlen. Wird er beschuldigt, läuft er voll Zorns, fährt in Unmuth aus: Bin ich denn ein solcher? Hältst du mich für einen solchen Mann? Lieber, nicht zu trotzig, gehe in dein Gewissen. Wie fragst du mich, da du es besser weißt als ich? Dein Gewissen ist das Täflein, darauf du Alles geschrieben findest, was du dein Lebtag gedacht, geredet, gethan. Dieser Zeuge weicht nimmer von dir, und ist dir so nahe, als du dir selber bist! Was Niemand sieht, ist ihm doch nicht verborgen; schläft er eine Zeit lang, er wacht doch endlich auf, sonderlich wenn das Kreuz kommt; redet er nicht eher, so redet er gewiß in der Todesstunde. Vor diesem Zeugen gilt keine Entschuldigung. Hast du es unwissend gethan? Ach dein Gewissen überzeugt dich, daß du es wohl gewußt. Hast du es nicht bös gemeint? Der wahrhaftige Zeuge in dir überzeugt dich, daß du ein falscher Zeuge von dir selber seist. Drehe dich, wie du willst, gehe in dein Gewissen, das macht alle deine Ausflüchte zunichte. Höre, wenn ich ein gut Gewissen habe, acht ich nicht, was die Welt von mir redet. Laß sie reden, ich bin mir nichts Böses bewußt. Doch unterlaß ich nicht, mein Gewissen täglich scharf zu fragen: bin ich denn ein solcher? Ja. Warum sollt ich mir heucheln? Ich bin der ärgste unter allen, die ich kenne. Kenne ich doch Niemand besser als mich. Von Andern muß ich glauben, was ich höre oder sehe; Menschen können lügen, Werke können trügen. Von mir hab ich tausend Zeugen in mir selbst, die nicht trügen.

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