Müller, Heinrich - Vom unschädlichen Reichthum.

Müller, Heinrich - Vom unschädlichen Reichthum.

Arm bei großem Gut.

Die Nachrede hat insgemein der Geizige und ist auch wahr. Im Gemüth liegt Reichthum und Armuth. Wer nicht mehr begehrt, ist reich; wer noch mehr begehrt, ist arm. So viel ich nicht begehre, hab ich; so viel ich noch begehre, mangelt mir. Der Geizige spricht nimmer, ich habe genug. Er ist arm bei großem Gut, weil er, was er hat, so hat, als hält ers nicht; das Anschauen hat er und sonst nichts, das kann ein Anderer auch haben, der arm genug ist: Anschauen ein fremdes Gut ist mir nicht verboten, wegnehmen darf ichs nicht, weils nicht mein ist; der Geizige sein eigen auch nicht: Gold ist sein Gott. Drum hat der Geizige von seinem eignen Gut nichts mehr, als ich vom fremden. Er ist so arm, daß er auch sich selbst nicht hat. Jener weise Mann vergleicht ihn mit einer Spinne, die indem sie ihr Netz aufspannt für die Fliegen, ihr eigen Eingeweide verzehrt: so frißt der Geizige sich hinweg und tödtet sich, indem er sorgt für sein Leben. Was kann der Mensch haben, der sich selbst nicht hat? Beim Christen schickt sichs besser arm sein bei großem Gut. Du gibst deinem Leibe von allem, was du hast, bloße Nothdurft, fliehest alle Wollust, allen Ueberfluß, so bist du arm bei großem Gut. Wo ist ein Armer, dem es an täglicher Nothdurft mangeln sollte? Gott gibt noch immer ein Stücklein Brods so wunderlich und da mans nicht denkt. Du schreibst deinen Reichthum nicht deiner Klugheit oder Arbeit zu, sondern hältst ihn für ein Bettelbrod, das dir die milde Hand Gottes auf dein fleißiges Gebet zugeworfen; so bist du so arm, als ein Bettler, der täglich vor den Thüren die Almosen sammelt. Du siehst dein Gut nicht an als ein Eigenthum, sondern nur als ein geliehenes, darüber du nicht zum Herrn, sondern zum Haushalter von Gott gesetzt, gönnst daher dem Armen die Nothdurft davon eben so gern als dir; so bist du arm bei großem Gut. Denn wer kann ärmer sein als der nichts eignes hat? Du hängst das Herz nicht an dein Gut, bist bereit, wenn Gott will, dasselbe wieder fahren zu lassen. Leidest du Schaden, wirst du nicht kleinmüthig, sondern bist zufrieden, thust als wenn du es dein Lebtag nicht gehabt hättest, sprichst mit Hiob in wahrer Demuth und Gelassenheit: Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, der Name des Herrn sei gelobt: so bist du arm, ob du gleich in vollem Gut sitzt. Zeitliche Güter sind Niemand an der Seele schädlich, wo man nicht das Herz dran hängt.

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