Müller, Heinrich - Vom innern Seelengesicht.
Blind und doch viel gesehen.
Nicht uneben redet Plato an einem Ort: Alsdann fangen die Augen des Gemüths erst scharf an zu sehen, wenn die Augen des Leibes nunmehr verblendet und dunkel worden sind. Wie der Mensch von außen, so ist er auch von innen. Der Leib hat seine Augen, die Seele auch. Ihre Lichter sind Vernunft und Glaube; jenes haben wir als Menschen, dieses als Christen; von jenem spricht Salomo: Der Athem des Menschen ist des Herrn Leuchte, die geht durchs ganze Herz. Spr. Sal. 20, 27. Von diesem Johannes: Gott ist ein Licht, und in ihm ist keine Finsterniß. So wir aber im Licht wandeln, wie er im Licht ist, so haben wir Gemeinschaft untereinander. 1. Joh. 1, 5. 7. Das vernünftige Auge war scharf beim Homer. Ob er gleich stockblind gewesen, hat er doch der gelehrten Nachwelt in vielen Stücken ein Licht angezündet. Was ist für eine Landschaft, Stadt oder Ort in Griechenland, was für eine Schlacht und Schlachtordnung, was für Schiffe, was für Menschen, was für wilde Thiere, die er nicht so künstlich entworfen, daß, da er sie selbst nicht gesehen, wir sie doch sehen können? Wie hell war das Glaubensauge beim alten Simeon, da er Jesum auf dem Arme trug! Sein leiblich Auge sah nur ein junges, unvermögendes Kindlein, sein Glaube aber erblickt in diesem Kindlein Licht, Heil und Preis für Israel und alle Welt. Diese beiden Seelenlichter übertreffen unsere beiden leiblichen Augenlichter so hoch, als das Licht selbst übertrifft die Finsterniß. Die Sonne ist die herrlichste Creatur, so deine leiblichen Augen immer sehen mögen; die Seelenaugen dringen in den, der die Sonne erschaffen hat. Ich will mit meinem Gott zufrieden sein. Gibt er, nimmt er, sein Name sei gelobt! Die Beraubung des Geringen ersetzt er mit Verehrung des Größern. Am Fleisch gelitten, am Geist gebessert.