Müller, Heinrich - Die Heilung des Gichtbrüchigen.

Müller, Heinrich - Die Heilung des Gichtbrüchigen.

Aus einer Predigt von H. Müller.

Da trat er in das Schiff und fuhr wieder herüber und kam in seine Stadt. Und siehe, da brachten sie zu ihm einen Gichtbrüchigen, der lag auf einem Bette. Da nun Jesus ihren Glauben sahe, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: Sey getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben. Und siehe, etliche unter den Schriftgelehrten sprachen bei sich selbst: Dieser lästert Gott! Da aber Jesus ihre Gedanken sahe, sprach er: Warum denket ihr so Arges in euren Herzen? Welches ist leichter, zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben! oder zu sagen: Stehe aus und wandle! Aus daß ihr aber wisset, daß des Menschen Sohn Macht habe aus Erden, die Sünden zu vergeben, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: Stehe auf, heb dein Bette auf und gebe heim. Und er stund auf und gieng heim. Da das das Volk sahe, verwunderte es sich und preisete Gott, der solche Macht den Menschen gegeben hat. Matth. 9, 1 - 8.

Der Heiland war eine Zeit lang bei den Gergesenern gewesen und hatte große Wunder gethan, da er aus zween Besessenen die Teufel getrieben und ihnen gestattet hatte, in die Säue zu fahren. Hierüber wurden die Gergesener unwillig, und baten den Herrn, daß er von ihren Gränzen wiche. Sie wollten lieber die Teufel als Jesum bei sich haben, hielten von ihren Säuen mehr, als von ihren Seelen, verwarfen den Himmel und erwählten die Hölle. Wie giebts noch heute viele solche Gergesener. die sich in Sünden wälzen, wie die Sau im Koth, die des Himmlischen nicht achten, sondern ihren Bauch begehren zu sättigen mit den Träbern dieser Welt, der Augenlust, der Fleischeslust und hoffärtigem Wesen. Ein Solcher mag der Gichtbrüchige gewesen seyn. Gewesen ist aber ein Anderes; als: noch seyn. Gott hatte ihm die Gicht zugeschickt, daß er weder stehen noch gehen konnte. Also thut Gott an Vielen; er reißt sie mit Gewalt von ihrem Sündenleben weg und legt sie aufs Krankenbette. Das ist eine gnädige Fürsorge. Gott thut es nicht, daß sie verderben sollen, sondern daß sie auf ihrem Lager in sich schlagen und sich bekehren. Schlimm, wenn sie doch in Sicherheit verharren! Daran kennt man die Sündengicht, daß der Mensch im Bette der Sicherheit liegt. Ein gutes Zeichen ist es, so ein Sünder unruhig ist über die Sünde, daß er sagen muß: Ich leide Unruh. Aber ein böses Zeichen ists, so man im Sündenbette sanft schläfet und darin erkaltet.

Weil sich der Kranke nicht rühren konnte, finden sich etliche liebreiche Herzen, die ihn zu Jesu brachten. Das thut die Liebe. Sie nimmt sich des Nächsten an; sie wird sein Aug, sein Fuß und seine Hand, pfleget und dienet und läßt sichs sauer werden mit ihm. Ja, sagt man heute: Wer Zeit hätte? Die Liebe nimmt sich Zeit und siehet auf des Kranken Bestes mehr, als auf ihr eigenes. Das ist aber das Beste, so sie thun kann, daß sie ihn zu Jesu bringt.

Du sollst deinen Nächsten zum Heiland führen, ihn unterrichten, wenn er nichts weiß, ihn trösten, wenn er betrübt, mit ihm beten, wenn er in Schmerzen ist. Die Leute ließen den Kranken zu den Füßen Jesu nieder. Da nun Jesus, heißt es, ihren Glauben sahe, ist geredet in der Vielheit, und wird sowohl der Träger, als des Gichtbrüchigen Glauben von Jesu angesehen. Durch Gebet und Glauben kann man dem Nächsten Gutes zuwege bringen von Gott. Paulus betete im Glauben und erhielt durch sein Gebet, daß ihm nicht nur sein eigen Leben geschenkt wurde, sondern auch das Leben Aller, die mit ihm auf dem Schiffe waren. Apostelgesch. 27, 24. Darum sagt Jakobus (5, 16.), daß Einer für den Andern beten solle, und das Gebet des Glaubens werde dem Krauten helfen. Doch muß dieser selbst auch glauben. Der Gichtbrüchige hatte Glauben; wenn der Heiland nicht hätte Glauben bei ihm gefunden, so hätte er ihm auch nicht die Sünde vergeben, denn Vergebung der Sünden kommt durch den Glauben. Er hätte ihn auch nicht Sohn genannt, denn wir sind Gottes Binder durch den Glauben (Gal. 3. 26.). Woher hatte der Gichtbrüchige den Glauben? Aus eigenen - Kräften kann Niemand glauben. Gleichwie ein Stein nicht mag Feuer geben, man schlage denn daran, so mag im Herzen kein Glaube anglimmen, es werde denn gerührt vom heiligen Geiste; der hatte des Kranken Herz gerührt durch das Gerücht von den Wunderwerken Christi. Ohne Zweifel hatte der Kranke gehört, daß der Heiland bald Diesen, bald Jenen gesund gemacht; daraus hat er ein solch Vertrauen geschöpft: Siehe, der fromme Mann, der Dem und Dem geholfen, wird auch mir helfen. Da ist ohne Zweifel im Herzen solch Seufzen gewesen: Ach Jesu, stehe doch an nicht meine Sünde, sondern mein Elend, und hilf mir! Solchen Glauben sahe der Heiland und sahe ihn mit Gnaden an. Nichts gefällt Christo besser, als wenn man ein gutes Vertrauen zu ihm hat. Wenn der Mensch ihm nicht trauet, da bleibt er aus mit seiner Hülfe. Wenn aber der Mensch eine recht kindliche Zuversicht zu ihm hat, daß er helfen werde, da kann er mit seiner Hülfe nicht außen bleiben. Wie du glaubest, so geschieht dir.

Wenn Gott Sünde vergeben und gerecht machen will, so stehet er nicht auf die Werke, sondern auf den Glauben, der allein machet selig. Hätte er die Werke des Gichtbrüchigen ansehen wollen, so hätte er ihn verdammen müssen, aber er sahe seinen Glauben an und sprach: Sey getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben! Hier ist wohl zu merken, wie der Heiland die Kur beginnet, nämlich an der Seele des Kranken. Was ist ein gesunder Leib, wenn die Seele in Todesnöthen liegt? Heutzutage, wenn Krankheit ansähet, läuft man zum Arzt, erst aber, wenn der Tod auf den Lippen, läuft man zum Seelsorger; der soll kommen, das Abendmahl reichen und Trost bringen, nun die Seele bald ausfahren will. Ist das recht, daß der Leib gepflegt und die Seele versäumet wird? Erst den Prediger gesucht und sich mit Gott versöhnt, darnach dem Arzte die Kur anvertraut, das ist recht; dann mag auch die leibliche Arznei besser wirken. Wohl stehts, wenn leibliche Aerzte auch für die Seele sorgen. Das soll das erste Recept seyn, das sie dem Kranken geben sollen: Mein lieber Patient, bitte Gott die Sünde ab, vertraue auf Christum, sey geduldig, bete, stehe, seufze! Darnach die Recepte für den Leib gegeben. So machts Jesus.

Sey getrost, spricht er. Mosis erste Stimme ist: Erschrick! und muß ja wohl der Mensch erschrecken, wenn er bedenkt die Majestät Dessen, den er mit seinen Sünden beleidigt, und erwägt, was er dadurch verloren und was er verdient. Aber was Moses verwundet, das verbindet Jesus, was jener erschreckt, das erquickt er und spricht: Sey getrost! Mit diesem Wort wollte der Heiland den glimmenden Glaubensdocht bei dem Kranken anfachen. Ebendazu fähret er fort: mein Sohn! Der Gichtbrüchige mochte in seinem Herzen denken: Wie sollt' ich getrost seyn? Ich habe gesündiget im Himmel und für Gott und bin nicht werth, daß ich sein Sohn heiße. Solchen zweifelhaften Gedanken begegnet der Heiland und saget ihm: Sey nur getrost, du bist dennoch mein Sohn! - In uns ist freilich keine Würdigkeit; der Herr würdiget uns aus Gnaden und dann am allermeisten, wenn wir uns halten für die Allerunwürdigsten.

Deine Sünden sind dir vergeben! spricht er zu dem Gichtbrüchigen. Das ist es, was ihm vor Allem noth that und dir und Allen noth thut. Der Heiland führt im Vaterunser von der Bitte ums tägliche Brod zu der Bitte um Vergebung; warum? Weil so nöthig das tägliche Brod zur Erhaltung des Leibes, so nöthig die Vergebung der Sünden zur Erhaltung der Seele. Wo Vergebung der Sünden ist, da ist Leben und Seligkeit; darum trachte nach diesem Schatz. Was ists nütz, wenn du hast Geld und Gut und keinen gnädigen Gott, und kein Tröpflein Trosts? Durch die Vergebung der Sünden erquicket der Heiland Leib und Seele; doch nicht die Sichern tröstet er, sondern die da Leid tragen über ihre Sünden. Hast du herzlich Leid über deine Sünden, so sprich: Hab ich Sünde, so hat Christus Vergebung. Ist die Sünde voll Gifts und Tods, so ist die Vergebung ein köstlich Mittel wider solches Gift und tödtet die Sünde. Vor dem Worte der Vergebung aus Jesu Munde muß die Sünde vergehen, wie die Stoppeln, wenn das Feuer darein kommt. Aus der Vergebung der Sünden kommt Trost. Wo keine Vergebung ist, da drücket die Sünde, wie eine schwere Last, und hindert auch des Leibes Genesung. Die Vergebung macht gutes Muths. Der Gichtbrüchige lag da in Schmerzen, konnte weder Hand noch Fuß rühren und-sollte dennoch gutes Muths seyn; wie konnte er das? In der Gnade Gottes. Eine Seele, die der Gnade Gottes gewiß ist, ist großherzig in allem Unglück, denn sie weiß, daß Alles, was sie trifft, aus der Vaterhand Gottes kommt, und daß es Gott mit seinen Kindern nicht böse meine, noch übel mache. Sie weiß, daß ungeachtet des Kreuzes doch um Christi willen nichts Verdammliches an ihr ist, und weder Leben noch Tod sie scheiden könne von der Liebe Gottes, die da ist in Christo Jesu. Obgleich der Leib krank- und voller Schmerzen, ist darum doch der Geist beherzt und voll Muths. Gott ihr Gut, Gott ihr Muth. Wenn Leib und Seele verschmachtet, ist er dennoch ihr Theil, ihres Herzens Trost, mitten im Leid ihre Freude. Die Begnadigten sind als die Traurigen und allezeit fröhlich - das Aug in vollen Thränen, das Herz in vollen Sprüngen.

Laß fallen, wie es füllt,
Wer Gottes Gnad' im Herzen hält,
Der ist ein Held und bleibt besteh'n,
Wenn Erd' und Himmel untergeh'n:
Und wenn ihn alle Welt verläßt,
Bleibt ihm doch Gottes Gnade fest.

Wer einen gnädigen Gott hat, dem schadet Nichts, auch die Krankheit nicht. Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen. Röm. 8, 28. Daran lerne: Man soll am ersten sorgen, daß die Seele gesund werde.

Die Kur der Seelen war bei dem Gichtbrüchigen vollendet, wurde aber von den Schriftgelehrten hart angefochten. Sie deuten das Wort des Heilands, als lästere er Gott. Der Heiland sah ihre Gedanken und sprach: Warum denket ihr so Arges über mich? Was ist leichter, zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben? oder zu sagen: Stehe auf und wandle? Wer zu dem einen die Macht hat von Gott, der hat sie auch zu dem andern. Darnach sprach er zu dem Gichtbrüchigen: Stehe auf, heb dein Bett auf und gehe heim! Was der Heiland sagte, geschah alsbald. Der Kranke war gesund, stund auf und nahm das Nett und trug es in sein Haus. Hie lerne, bei wem die Macht ist, gesund zu machen. Sie ist bei Christo, den mußt du darum anrufen. Die Noth lehrt beten. Deine Krankheit soll dich beten lehren.

Weiter nimm von dem, was der Geheilte auf das Wort Jesu leiblich that, ein Fürbild, was du geistlich thun sollst. Er stund auf. Du sollst aufstehen von dem Sündenbette, lassen die sündliche Gewohnheit, nicht mehr sündigen, sondern mit Petro büßen. Wer aufsteht, der richtet sich empor, ein Zeichen des geistlichen Emporrichtens, da du aufwärts nach dem Himmlischen dich sehnest. Trachte nach Dem, das droben ist, und nicht nach Dem, das auf Erden ist. Tritt in einen andern Stand, aus der Sünde in die Gerechtigkeit, aus dem Zorn in die Sanftmuth, aus der Hoffart in die Demuth; lege den alten Menschen ab, der durch Lüste in Irrthum sich verderbet, und ziehe den neuen Menschen an. der nach Gott geschaffen ist m Gerechtigkeit und Heiligkeit. Stehe auf und heb dein Bett auf; statt in Sicherheit zu liegen, sorge um deine Seele, und gehe heim, in dein Haus. Dein Herz ist das Haus, darein du gehen sollst. Darein gehst du durch tägliche Prüfung deines Gewissens, wenn du das Herz vor Gott aufdeckest, die Sünde erkennest und dich mit Gott versöhnest. Dein Haus ist das Grab. Darein gehest du durch ernstliche Betrachtung des Todes. Gedenke, daß es hier ein Ende mit dir haben muß. Dein Haus ist endlich der Himmel. Darein gehst du durch stetes Wünschen und Seufzen um das ewige Gut, durch ein sehnlich Verlangen: Jesu, mein Trost, hör' mein Begier, Ach, mein Jesu, war ich bei dir! Wer im Himmel ist. dem ist wohl. Wandle und leide dich dem Himmel zu. Jetzt steht dir die Gnadenthür noch offen, wer weiß, wie lange? Vielleicht ist heut dein letzter Tag. Bekümmere dich nur um die Gnade Gottes und versichere dich deiner Versöhnung. Morgen kann es zu spät seyn; darum heute, da du des Herrn Stimme hörest, verstopfe deine Ohren nicht. Sorge für deine Seele!

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