Monod, Adolphe - Die großen Seelen.

Monod, Adolphe - Die großen Seelen.

Joh. 6, 68. 69,

„Da antwortete ihm Simon Petrus- Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens; und wir haben geglaubet und erkannt, daß du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes,“

Der Werth einer menschlichen Seele ist so groß, daß es sehr verkehrt wäre, wollte man eine weniger schätzen als die andere, ein Unendliches ist so groß als ein anderes. Und doch müssen wir eingestehen, daß es gewisse Seelen giebt, die wir besonders gern zu Jesus Christus führen möchten, und die wir, nicht ohne großen Kummer dabei zu empfinden, sich ihm entziehen sehen: das sind die großen Seelen. Ich nenne die Seelen so, die sich über das Gewöhnliche nicht durch äußeren Vortheil, sondern durch einen kräftigeren Verstand, ein wärmeres Herz ein zarteres Gewissen, eine lebendigere Einbildungskraft, kurz durch eine höhere Natur erheben. Wir müssen bekennen, daß unter denen, die sich von Jesus Christus entfernen, Geister dieser Art sind; ja, wir können sogar sagen, daß das Gefühl ihrer Ueberlegenheit selbst dazu beiträgt, daß sie sich von ihm entfernen. Sie fragen sich, ob sie sich dem Glauben unterwerfen können, ohne daß sie dadurch etwas von der Größe opfern, welche sie weniger um des persönlichen Stolzes, als, um der menschlichen Würde willen hochhalten. Müßten nicht der Freiheit ihrer Gedanken, der Zärtlichkeit ihrer Zuneigung, der Kraft ihres, sittlichen Verständnisses oder dem Schwung ihrer Sehnsucht die Flügel beschnitten werden? Ich müßte mich täuschen, wenn nicht manche auserlesene Seele durch eine unbestimmte Furcht, sie müsse eine sittliche Verstümmelung erleiden, von Jesu Christo fern gehalten wird, die sich wie sie meint glücklich fühlen würde, könnte sie sich ihm ganz hingeben, wenn sie dies thun könnte, indem alle von Gott erhaltenen Kräfte unverletzt bewahrt. Nun wohl, sie mag sich beruhigen, denn diese Furcht ist nur ein eitles Vorurtheil. Jesus Christus, in dem alle Fähigkeiten unsrer Natur ein ideales Maß erreicht haben, das die größesten Kräfte der Menschen übertrifft, fordert kein Opfer der Art, was er nicht selbst gebracht hat. Wenn eine Seele wahrhaft groß ist, so ist sie um so viel besser vorbereitet, wenn im Uebrigen Alles geebnet ist, Jesum Christum aufzunehmen, denn die menschliche Seele strebt mit allen ihren großen Seiten nach Jesus Christus und entfernt sich von ihm nur mit den kleinen.

Die großen Seelen sind für Jesus Christus und er ist für die großen Seelen! Ach könnte ich diese Wahrheit doch auch außerhalb dieses engen Kreises vielen durstenden und hungernden Seelen vernehmbar machen, die fern von Jesus Christus in einer Luft, welcher der Hauch des Lebens mangelt, dahin schmachten. Wenn uns aber unsre kleine Zahl, unsere religiösen Sitten, vielleicht unsre Trägheit, verhindert, bis zu ihnen zu dringen und uns in der uns umgebenden Gesellschaft zu verbreiten, wie es die Apostel an unsrer Stelle thun würden, so finden sich sogar in diesem engen Kreise mehr große Seelen als wir denken und erwarten; denn auch hier werden die ersten die letzten und die letzten die ersten sein. Doch das wäre noch ein zu großer Vorzug, mir liegt der Gedanke fern, nur zu einigen sprechen zu wollen, noch ferner bin ich davon, einige zu loben und andere zu demüthigen. Es giebt keine Seele, in der nicht die Anlage zur der Größe enthalten ist, denn Gott hat alle (Jesaj. 57, 16) nach seinem Bilde gemacht; damit jeder in sich die eben genannten tiefen Bedürfnisse des Geistes, Herzens, Gewissens und der Einbildungskraft finde, braucht er nur in die Tiefe seines Wesens hinabzusteigen und zu dem vorzudringen, woraus nach dem heiligen Geist „das Leben hervorgeht.“ (Spr. 4, 23.) Es giebt also keine Seele, die nicht groß ist und die nicht ihrerseits nach ihrem Maße gegen das eben von mir bezeichnete Vorurtheil zu kämpfen hat. Deshalb wende ich mich an alle und sage zu einem jeden: Jesus Christus hat nur das, was klein in euch ist, gegen sich, alles Große in euch ist für ihn. Muß ich sagen, daß ich unter Jesus Christus den wahren Jesus Christus, so wie er sich selbst uns darstellt, verstehe: das vom Himmel gekommene Brod, das der Welt das Leben giebt, indem es sich durch die Welt zerreißen läßt; Jesus Christus, Gottes Sohn und des Menschen Sohn, der die göttliche und menschliche Natur in seiner Person mit einander vereinigte, damit er sie durch seinen Tod versöhnte; Jesus Christus, des Menschen Bruder und des Menschen Gott, der aus lauter Gnade den sündigen und verlorenen Menschen versöhnt? Ein anderer Jesus Christus, den die Ketzerei erdacht und den sie seiner versöhnenden Herrlichkeit entkleidet hat, der ein Gott ohne Göttlichkeit, ein Mensch ohne Menschlichkeit, ein Heiland ohne Heil ist, mag vielleicht von seinen Verehrern die von euch gefürchtete Verstümmlung fordern; aber dieses eingebildete Wesen ist eben so verschieden von dem, welchen ich euch verkündige, als des Menschen Wort von Gottes Wort verschieden ist; und es bleibt darum nicht weniger wahr, daß alles Große im Menschen sich nach dem Christus, dem Sohn des lebendigen Gottes (wie ihn Petrus in meinem Text bezeichnet), sehnt.

Ihr findet in diesem Bekenntniß des Simon Petrus dafür den geschichtlichen Beweis, wenn ihr dasselbe gegen die Kälte der Menge und gegen die Zurückhaltung vieler Jünger Jesu Christi haltet. Jesus hatte jene merkwürdige Rede vollendet, die einen Augenblick sein Ansehen und sein Werk zu vernichten drohte, die aber nach Gottes tiefer Einsicht dazu dienen sollte, eine Trennung zwischen Juden und Juden, zwischen Schülern und Schülern, zwischen Aposteln und Aposteln zu bewirken. Er hatte niemals die Herzen so erschüttert, noch die Geister so beunruhigt. Sie hatten ihn einem murrenden Volke gegenüber die feierlichen Worte aussprechen hören: „Niemand kann zu mir kommen, es sei denn, daß ihn ziehe der Vater. - Es stehet geschrieben in den Propheten: Sie werden alle von Gott gelehret sein. Wer es nun höret vom Vater und lernet es, der kommt zu mir. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubet, der hat das ewige Leben. Ich bin das Brod des Lebens;“ und diese geheimnißvollen Worte: „Werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschen-Sohnes und trinken sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch. - „Denn mein Fleisch ist die rechte Speise und mein Blut ist der rechte Trank. Wer mein Fleisch isset und trinket mein Mut. der bleibet in mir und ich in ihm. Wie mich gesandt hat der lebendige Vater und ich lebe um des Vaters willen, also, wer mich isset, derselbige wird auch leben um meinetwillen;“ - es ist, als wollte er bald das Murren seiner Zuhörer durch den Ruf, den er an die menschliche Seele richtet, zu deren Rettung er gekommen, beherrschen, bald sie durch die Herausforderung, die er der menschlichen Weisheit, die er verwirrt hat, hinwirft, reizen. Bei dieser Rede ruft die Menge mit ihrem gewöhnlichen Verstande aus: „Wie kann dieser uns sein Fleisch zu essen geben?“ Viele seiner Schüler theilen dieselbe Verlegenheit, woran sich für sie noch die Schande des Kreuzes knüpfet, das er ihnen auf seinem und ihrem Wege gezeigt hat, sie sprechen: „Das ist eine harte Rede, wer kann sie hören?“ und verlassen ihn; doch nicht Simon Petrus. Simon Petrus sieht dann nur eine Veranlassung, um Jesum Christum im Namen aller Apostel das öffentlichste und zugleich entscheidendste Zeugniß, das ihm je gegeben ward, zu geben: „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens und wir haben geglaubet und erkannt, daß du bist Christus der Sohn des lebendigen Gottes.“ Woher kommt es nun, daß Simon Petrus durch das fest wird, was so viele andere erschüttert.

Können wir denken, daß Simon Petrus nichts in der Rede seines Meisters gefunden hat, das seinen Glauben staunen macht oder das seiner Ergebenheit Schrecken einstößt? ihn, den wir sonst so langsam im Verständnis; und so rasch zum Aerger sehen? Nein, gewiß nicht. Die Ausdrücke selbst, deren er sich bedient, um Jesus Christus zu bekennen, offenbaren noch aus seinem gefaßten Entschluß heraus einen ihm vorangegangenen, inneren Kampf. „Wohin sollen wir gehen,“ es ist als hätte er einen Augenblick den Gedanken gefaßt, die Versuchung gehabt, sich einen andern Meister zu suchen; „wir haben geglaubet und erkannt,“ als fühlte er das Bedürfniß diese Versicherungen zu häufen, die von schmerzlichen Kämpfen hervorgerufen werden; „du hast Worte des ewigen Lebens“, als suchte er in seinem Geiste und in der Tiefe der eben gehörten Rede etwas, womit er sich selbst gegen den Eindruck, den er von manchen Einzelheiten erhielt, stärken müsse. Auch ist schon die bloße Frage Jesu Christi, auf die er antwortet, hinreichend, um uns zu zeigen, wie verfänglich und gefährlich die Lage für die Apostel selbst war. „Wollt ihr auch weggehen?“ Ich frage noch einmal, was machte Simon Petrus fest?

Simon Petrus hatte eine große Seele, die die Frage nicht nach den kleinen Seiten eines beschränkten Verstandes irdischer Auslegung oder persönlicher Selbstsucht ansah, sondern nach den großen Seiten der Wahrheit, der Heiligkeit und des Lebens, und die unwillkürlich fühlt, daß die Gründe zu zweifeln nur den äußern Menschen berühren, während die Gründe zu glauben den inwendigen Menschen ergreifen und unterwerfen. Ja, Jesus hat in keine seiner Reden soviel kühnes Neue gelegt, welches den Zuhörer zum Staunen und zur Unruhe bringt, aber in welche Rede hat er auch diese Hoheit gelegt, die die Aufmerksamkeit fesselt und den Glauben befiehlt? Ja, das Essen des Menschen-Sohnes, sich von seinem Fleisch und Blut nähren, das übersteigt den Verstand Simon Petrus, das geht über seine Auslegungen hinaus; wie sollte er aber nicht in dieser wunderbaren Lehre eine persönlichere, wahrere, lebendigere Vereinigung zwischen seinem ganzen Wesen und dem seines Heilandes (wie er es nie geahnet hatte) voraussehen? Ja, in diesem Fleisch des Menschen-Sohnes, das gegeben wird, damit es der Welt das Leben giebt, liegt für Jesus die Aussicht auf einen unaussprechlichen Schmerz und für seine Jünger auf einen zu theilenden Märtyrertod; enthält nun diese Aussicht etwas in sich, was einen Judas zurücktreten läßt, so hat sie auch etwas, was das Herz eines Simon Petrus nur um so fester an Jesus fesseln muß. Gewiß, denn alles Aeußere, Fleischliche, Persönliche und Kleine empört sich und spricht mit den geärgerten Jüngern: „Das ist eine harte Rede, wer kann sie hören?“ aber alles Tiefe, Uebereinstimmende, Geistige, Große fühlt sich mehr als je zu ihm hingezogen und ruft gleichsam mit heiliger Harmonie: „Wohin sollen wir gehen?“

Wundert euch nicht darüber, daß wir den Kampf, der sich in Simon Petrus Herzen anspinnt, entwirren zu können glauben. Wir haben nur das, was wir an uns selbst beobachten, auf ihn übertragen: „Wie der Schemen im Wasser ist gegen das Angesicht, also ist eines Menschen Herz gegen den andern.“ (Spr. Sal. 27, 19). Beobachtet euch selbst dem Evangelium Jesu Christi gegenüber, so werdet ihr finden, daß alle große Linien in euch in Jesum Christum zusammenlaufen, und nur die kleinen euch von ihm entfernen.

Versetzt euch nur in eine jener ernsten Stunden, wo euch das Lesen des Evangeliums oder vielmehr die lebendige Stimme eines Menschen, der sagen konnte: „Ich glaube, darum rede ich“ (Ps. 116,10), in Beziehung zu Jesus Christus brachte, mit Jesus Christus, so wie er ist, der von Ewigkeit zu Ewigkeit lebt, daß er selig mache alle, die durch ihn zu Gott kommen. Was ging damals in eurem Innern vor? Ihr ginget von hier hinweg und sprachet leise zu euch, wie ihr es vielleicht heute auch thun werdet und wie Agrippa laut zu Paulus sprach: „Es fehlt nicht viel, du überredest mich, daß ich ein Christ werde.“ Dieses „es fehlt nicht viel“ verräth einen innern Kampf, der euch auch noch außerhalb des Gotteshauses folgt, bis die Sorgen, die Beschäftigungen und vielleicht die Sünden des Lebens ihn besänftigen, verringern und endlich erlöschen. Während des Kampfes fühlt ihr euch bald von dem christlichen Glauben angezogen, bald abgestoßen, wie zwei entgegengesetzten Strömungen übergeben, wovon euch die eine zu Jesus Christus hinträgt, die andere von ihm hinwegzieht; wiederfährt euch solches nicht? Dringet aber weiter vorwärts und betrachtet die entgegengesetzten Strömungen genauer, so werdet ihr finden, daß sie nicht von gleicher Tiefe sind und daß sie nicht derselben Seelenschicht angehören. Die eine strömt lärmend in der der Oberfläche nahen Schicht, wo sich die Fragen der Neugierde, des Federkrieges, der Meinung und der Selbstsucht bewegen; die andere fließt ruhig in der tiefen Schicht, wo sich die Fragen der Wahrheit, der Freiheit,“ der Liebe und des ewigen Lebens bewegen. Welche dieser Strömungen, die oberflächliche oder tiefe, führt zum Glauben und welche treibt zum Unglauben? Sammelt euer Nachdenken und antwortet selbst.

Für wen sind die lebhaften, raschen, leidenschaftlichen Gefühle? Für wen sind die durch ernste Unterhaltung gereiften Gedanken, die in der Stille der Betrachtung oder des Gebetes gesammelten Gefühle? Für wen ist der beurtheilende Verstand, der sich plötzlich auf die Form, auf die Einzelheiten, auf Nebenumstände, auf unbedeutende Schwierigkeiten wirft? Für wen ist die ernste Aufmerksamkeit, die sich an die Tiefe der Dinge, an das Ganze der Rede, an die Kraft der Vernunftschlüsse, an die Richtigkeit der Gesinnungen hält? Für wen ist der gefaßte Entschluß des Eigenwillens, der Eigenliebe, der eigenen Ehre, des eigenen Vortheils? Für wen ist der Antrieb der Fügsamkeit gegen Gott, der Demuth gegen die Menschen, der Selbstverleugnung, des aufrichtigen Suchens nach dem Guten und Wahren? Für wen ist die Liebe zum Vergnügen, zum Gelde, zur Unabhängigkeit, zur Sünde? Für wen ist der Geist der Heiligung in Gott, der Hingabe an das Gute, des Widerstandes gegen das Böse, des Gehorsams gegen Pflicht? Nun fangt ihr an euch zu erkennen? Ich könnte euch noch näher durch solche Fragen, die in das Leben des Lebens eindringen, rücken. Als ihr vom Rachegeist gespornt oder von der Meinungsherrschaft unterjocht waret, als ihr durch die Gier nach Beifalls - Bezeugungen zu einer schimpflichen Verbindung getrieben wurdet, nach welcher Seite zogen euch diese unwürdigen Lüste? Als ihr aber das Bedürfniß fühltet, einen ernsten Zweck für das Leben zu finden, Gott zu verherrlichen und den Menschen zu dienen, euch in Einklang mit dem Gesetz der Heiligkeit und Liebe zu bringen, nach welcher Seite rief euch solches edle Sehnen? Ach wozu ist Rücksicht in einer Sache nöthig, die so klar wie der Tag ist? Die Strömung, die euch von Jesus Christus entfernt, ist oberflächlich, unruhig und trübe; die Strömung, die euch zu ihm hinzieht, ist tief, friedlich und rein. Wollt ihr das unbequeme Joch einer euch beunruhigenden Predigt abschütteln, so braucht ihr euch nur zügellos den Neigungen, eurer gefallenen Natur zu überlassen; wollt ihr euch ganz dem Glauben anschließen, so braucht ihr nur den bekennenswerthen Neigungen eures Herzens freien Lauf zu lassen. Alles Große, Gute, Wahre in euch wendet sich nach einander zu Jesus Christus und der Herzensschrei des Simon Petrus: „Wohin sollen wir gehen?“ ist der einstimmige Ruf alles dessen, was euch zum Menschen macht und weshalb ihr euch selbst achtet. Widersprecht mir, wenn ihr es könnt; ich werde mich dann kühn gegen das Zeugniß eures eigenen Mundes, das gegen mich ist, auf das Zeugniß eures inwendigen Menschen, der ganz für mich ist, berufen.

Wir wollen nicht bei diesem allgemeinen Eindruck stehen bleiben. Wenn wir die Wahrheit naturgemäß im Ganzen fühlen, so finden wir sie deutlich in den Einzelheiten wieder; es verhält sich mit ihr wie mit dem Leben, das, obgleich es seinen Sitz im Kopf oder im Herzen hat, darum nicht weniger fühlbar in den Bewegungen eines Fingers oder in der äußersten Spitze eines Haares ist. Ihr habt einen Verstand, der nach der Wahrheit strebt, ein Herz, das nach Liebe, ein Gewissen, das nach Heiligkeit, eine Einbildungskraft, die nach dem schönen Vorbilde strebt; ihr findet diese Wahrheit, Liebe und Heiligkeit in Jesu Christo, vorausgesetzt, daß diese verschiedenen Fähigkeiten eures inwendigen Menschen sich ihm mit ihren großen, nicht den kleinen Seiten nähern.

Unser Verstand trachtet nach Wahrheit; er sucht und verfolgt sie und kann nur in ihr ruhen. Jesu Christo zeigt sich uns als der, der die Wahrheit bringt, ja der sie ist: „Ich bin die Wahrheit.“ (Joh. 14, 6.) Denkt euch nun zwei Menschen, die mit ihm in Beziehung gebracht werden, der eine entfernt sich, Weiler, wie er behauptet, in der Religion Jesu Christi keinen Zug findet, woran man die Wahrheit erkennen kann, während der andere beim ersten Schritt angezogen, gerührt, durchdrungen und gewonnen wird, er kann Jesus Christus nicht verkündigen hören, ohne daß er zu sich selbst spricht: „Gewißlich ist der Herr an diesem Ort und ich wußte es nicht.“ (1. B. Moses 28, 16.) Wie lassen sich diese entgegengesetzten Eindrücke erklären? wir könnten jedem leicht einen Eigennamen geben, ohne daß wir aus unserem täglichen Beobachtungskreise heraus zu gehen brauchten. Wenn ihr es genauer beobachtet, so werdet ihr sehen, daß unter dem allgemeinen Namen Verstand sehr verschiedenartige Kräfte in beiden Fällen in Frage kommen. Der eine Mensch hat Jesus Christus mit der kleinen Seite des Verstandes, der andere mit der großen beobachtet; der erste hat nur Belehrung über allgemeine Meinungen gesucht, die weniger im eigenen Wesen haften, als vielmehr durch andre auf die Oberfläche seines Verständnisses niedergelegt wurden; der zweite ist in sich selbst hinabgestiegen, damit er mit Ehrfurcht die Stimme Gottes vernehme, die in der Tiefe des Menschenherzens spricht.

Wenn es sich darum handelt, daß er erfahre, ob Jesus Christus von Gott gesendet ist, oder ob er aus sich selbst redet, so gefällt es ihm, sich auf kleine Seitenwege zu begeben, statt daß er sich mit seinem Herzen und seiner Vernunft Jesu Christi, seinem Wort, seinen von ihm vollbrachten Wundern und den von ihm verwirklichten Weissagungen gegenüber stellt. Er hält sich bei einer leichten, vielleicht scheinbaren Verschiedenheit in den Erzählungen der Evangelisten oder bei der wirklichen oder vermeintlichen geschichtlichen Unmöglichkeit einer Zahl oder eines Datums auf; eine verschiedene Lesart, ein schwierig zu übersetzender Satz stößt seinen Glauben ganz und gar um; in Lucas hat er nur das Geschlechtsregister beobachtet, das er dem des Matthäus entgegengesetzt findet und in Salomons Regierung hat er nur die unglaubliche Zahl von Opfern, die er bei der Einweihung des Tempels darbringt, beobachtet. Der zweite aber, der sich über diese unbedeutenden Einzelheiten erhebt und der seinen Glauben nicht von der Genauigkeit eines Abschreibers oder von einer Streitfrage der biblischen Kritik will abhängen lassen, stellt sich vor das jüdische Volk und seine wunderbare Geschichte, vor Moses und sein wunderbares Werk, vor David und sein vorbildliches Königthum vor die Propheten und ihre himmlischen Lehren, vor das einzige Buch der Welt, so eins und so verschieden, das aus vielen vereinigten Händen hervorging. Er thut noch besseres, er stellt sich vor Jesus Christus selbst, vor sein barmherziges Thun, seinen durchdringenden Ruf, sein so fruchtbares und seiner selbst sicheres Wort; er glaubt keine zu große Vernunftanstrengung zu machen, wenn er mit jener Menge spricht! „Was ist das für ein Mann, daß ihm Wind und Meer gehorsam sind?“ (Matth. 8, 27.) oder mit den Knechten des großen Rathes: „Es hat nie ein Mensch also geredet wie dieser Mensch.“ (Joh. 7, 46.)

Der Unterschied, den ich zwischen den beiden Beobachtern bezeichnete, wird noch fühlbarer, wenn es sich darum handelt, statt der Sendung Jesu Christi den Grund seiner Lehre zu unterscheiden und zu würdigen. Der erste findet sie übertrieben, dunkel, unausführbar, weil er sie nach dem Maß der hergebrachten Gedanken, der philisterhaften Weltweisheit beurtheilt, die bald in der Dorfschenke, bald im städtischen Gesellschaftszimmer und auf dem Professorenstuhle ertönt, und die in der Sünde nur eine Schwäche, in Gott nur einen zur Strafe zu gütigen Vater, in Jesus Christus nur ein Beispiel vollkommener Tugend und in seinem Tode nur einen hochherzigen Märtyrertod sieht. Der zweite nähert sich der Lehre Jesu Christi oder besser gesagt Jesu Christo selbst, seiner Geburt, seinem Leben, seinem Tode, seiner Auferstehung mit einem Geiste, der seit lange, aber bisher vergeblich, die Befriedigung seiner Bedürfnisse, die Lösung seiner Räthsel und das Ende seiner Kämpfe suchte. er erblickt von diesem Gesichtspunkte aus in dem, was den andern in Staunen und Aerger versetzte, eine klare Deutlichkeit, die ihn entzückt, neue Erkenntnis), die ihm Selbsterkenntniß giebt und die ihm das Räthsel des Lebens erklärt; der Fall, die Sünde und ihr Fluch, die Heiligkeit Gottes und die Geschichte seines Reiches sind ihm wie Schlüssel, die man ihm in die Hand giebt, damit er eine ihm früher verschlossene Welt öffnen kann. Die Erscheinung Jesu Christi in dem Geschlechte des sündigen und verlorenen Menschen verwandelt den Glauben für ihn in Schauen und bringt den Himmel auf die Erde. Ein solches Wort: wer mich stehet, stehet den Vater, dringt in die Tiefe seiner Seele und erlaubt ihm weder Zweifel noch Zögern; er würde lieber seinen eigenen Gedanken und sein eigenes Wesen leugnen, als daß er den Heiligen der Heiligen, den Sohn Gottes, wie er sich selbst nennt, verkennen sollte. Um es kurz zu sagen - ich liebe sonst keine Eigennamen auf der Kanzel, aber es giebt solche, die nur das Bild der Sache sind, - der erste von diesen Menschen betrachtet Jesus Christus mit dem leichtfertigen Geist eines Voltaire, der zweite mit dem ernsten Geist eines Pascal und ist ganz damit beschäftigt, wie er sich mit Gott und mit sich selbst versöhnen soll, wie er den Lebenszweck erfüllen, die Unordnung seiner Seele verbessern, wie er in Frieden leben und sterben kann? Jeder, der dies will, mag sich demnach wundern, daß beide die Sachen nicht mit gleichem Auge ansehen, daß der eine wahr nennt, was der andre unwahr nennt; wen haltet ihr aber für den würdigsten Stellvertreter des menschlichen Geistes, Voltaire oder Pascal? Wer hat auf Jesus Christus die oberflächliche und kleine Seite des Verstandes und wer die große und tiefe auf ihn angewendet? Ein Pascal braucht nur, damit er an Jesus glaube, seinem eigenen Geiste, wie ihn Gott schildert, treu zu sein: „Die Leuchte des Herrn ist des Menschen Odem; die gehet durch das ganze Herz.“ (Spr. Sal. 20,27.) „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh. 20, 29), das heißt nicht, selig ist der, der ohne Grund glaubt, sondern der, der auf das Zeugniß der innern Gründe glaubt, die sich in der Tiefe der Seele verbergen und die, wenn sie sich auch nicht in ein Schauspiel, das das Auge betrachtet, oder in einen Ton, der das Ohr trifft, übertragen, darum doch die klarsten und entscheidendsten von allen sind!

Unser Herz trachtet nach Liebe. Ach, wer kennt sich selbst und weiß es nicht, daß Liebe das Leben des Herzens ist und daß man lebendig todt ist, wenn man lebt, ohne daß man geliebt wird oder liebt? Ich rufe die Stellung zum Zeugen an, welche das Wort Liebe in der Menschensprache eingenommen, wie auch die, welche es sich angemaßt hat, ich rufe es zum Zeugniß auf noch in feinem falschen Gebrauch und seinen Entstellungen, die traurige Zeichen ihrer natürlichen Fähigkeit sind, die sich nur auf solche traurige Weise verirren konnte, weil sie mit einer solchen wunderbaren Macht bekleidet war. Wohlan, Jesus Christus stellt sich uns als Gott dar, der „die Liebe“ ist, er bietet uns seine ganze Liebe an und fordert dagegen unsere ganze Liebe. Es scheint, als müsse unser Herz alle Flügel entfalten, damit es diesem Rufe entgegen eile, als müsse es glücklich, ja überglücklich sein, daß es einem vollkommen liebenden und liebenswürdigen Wesen begegne, in dem dieses doppelte und große Bedürfniß, zu lieben und geliebt zu werden, endlich vollkommenes Genüge finden wird, das ihm alle Geschöpfe, auch die besten versagt haben. Ja das ist, beim Anblicke Jesu, der Ausruf eines Herzens, das den Werth wahrer Liebe empfindet; aber was das große Herz anzieht, wird ein kleines Herz vielleicht nur ärgern und zurückstoßen, da es sich damit begnügt, die Befriedigung eines Tages mit oberflächlichen Bedürfnissen zu verfolgen, die weniger Liebe als Empfindsamkeit, um nicht zu sagen Empfindelei, verrathen.

Bittet dies Herz, das sich im engen Kreise irdischer Zuneigungen und im selbstsüchtigen Familienkreise abschließt, daß es Jesu den ersten Platz geben, daß es ihn mit einer vorherrschenden, ja mit der höchsten Liebe lieben möge; sagt ihm, es möge Jesu Christo die Liebe widmen und bewahren, die der heilige Geist mit Feuerzügen schildert, und von der die irdische Liebe nur ein bleicher Wiederschein ist: „Denn Liebe ist stark wie der Tod, und Eifer ist fest wie die Hölle - daß auch viele Wasser nicht mögen die Liebe auslöschen, noch die Ströme sie ersäufen. Wenn einer alles Gut in seinem Hause an die Liebe geben wollte, so gälte es alles nichts“; (Hohelied Tal. 8, 6, 7) sagt ihm mit Jesus Christus: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt denn mich, der ist meiner nicht werth. Und wer Sohn oder Tochter mehr liebt denn mich, der ist meiner nicht werth“ (Match. 10, 37); oder wenn ihr es wagt, so sagt ihm noch ohne Furcht vor falscher Auslegung, vor der sich ein aufrichtiges Herz wohl zu hüten weiß: „So Jemand zu mir kommt und hasset nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigenes Leben, der kann nicht mein Jünger sein“ (Luc. l4, 26)-da sehet ihr dies zärtliche aber von fleischlicher Zärtlichkeit erfüllte Herz, wie es über Gefühllosigkeit schreit, wie es euch, ja wie es vielmehr Jesum Christum in euch beschuldigt, daß er die natürlichen Banden und Freuden des Familienlebens herabwürdigt, und wie groß wird diese Anklage werden, wenn die Liebe, die in Jesus Christus ist, die Ruhe der häuslichen Zuneigung stört, wenn sich des Meisters ernstes Wort verwirklicht: „Denn ich bin gekommen, den Menschen zu erregen wider seinen Vater, und die Tochter wider ihre Mutter und die Schnur wider ihre Schwieger; und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.“ (Matth. 10, 35. 36.) So findet Jesus Christus, der die Liebe selbst ist, seine erklärtesten Feinde unter den wärmsten Anhängern menschlicher Zuneigung, ja unter denen, die in der Welt als Muster aller häuslichen Tugenden angeführt werden; das rührt daher, weil sie die Liebe von der kleinen Seite aufgefaßt und auf des Herzens Oberflache festgehalten haben.

Laßt uns nun im Gegentheil voraussetzen, sie hätten dieselbe aus dem tiefsten Grunde, wo sie ihren wirklichen Sitz hat, geschöpfte dann hätten sie es begriffen, daß diese Liebe ihre Befriedigung vergeblich im Geschöpf sucht, daß sie gegen die unvollkommenen, zweifelhaften, beweglichen, alternden, sterbenden, irdischen Zuneigungen wie ein verzweifelnder Gefangener gegen die Wände seines engen Kerkers anrennt; die himmlische und reine Liebe, die in Jesus lebt, würde ihnen allein als fähig erscheinen, daß sie den Durst zu lieben und geliebt zu werden, der sie verzehrt, stille, ohne daß er jemals aufhöre, und wenn sie diese Liebe um des Geschöpfes willen versäumten, so hätten sie geglaubt, sie thäten „eine zwiefache Sünde: mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und machen ihnen hie und da ausgehauene Brunnen, die doch löchricht sind und kein Wasser geben.“ (Jer. 2,13.) Dann hätten sie erkannt, daß es das Kreuz Jesu Christi ist, das allein der Welt die Liebe gegeben hat (1. Joh. 3,18). und daß es keine andere dieses Namens würdige Liebe giebt, als die, die ihre Quelle am Fuße dieses Kreuzes hat. von der aus sie die Canäle der Familie, der Kirche und des Staates, die keine andere wahre Hingebung als die, welche sie ihr verdanken, haben, speisen wird. Dann hätten sie in das Innere ihrer Familie ein von Christo erfülltes Herz gebracht, und diese Familie, ein ergreifendes Beispiel häuslichen Lebens, wie Gott es gemacht hat, eine lebendige Darstellung des von Paulus gezeichneten Bildes, hätte die eheliche, die kindliche, die väterliche, die brüderliche Liebe gezeigt, wie sie von einer Anmuth und Tugend, von einer ganz neuen Zärtlichkeit beseelt ist, weil sie Jesum Christum als Mittelpunkt und Seele aller Beziehungen genommen hat. Dann wird die Liebe, die bis dahin kalt im Innern gerann, sich nach Jesu Beispiel nach außen über alles erstrecken, was sie an körperlichen oder sittlichen Leiden zu lindern findet; und sie werden zu lieben lernen, wie Gott liebt und wie er will, daß wir lieben sollen: „Wandelt in der Liebe, gleich wie Christus uns hat geliebet und sich selbst dargegeben für uns“ (Eph. 5, 2); und sie hätten sich um dieser Liebe willen, die sie von Jesu Christo gelernt und empfangen hätten, als das köstlichste von allen seinen Gütern, an ihn hingegeben. - Und warum denn das? Einzig darum, weil sie die scheinbare Liebe, die sich selbst sucht, die von Künstelei und Selbstsucht lebt, gegen die wahre Liebe, die sich hingiebt, die von Entsagung und Opfern lebt, oder weil sie die kleine Liebe mit der großen Liebe vertauscht haben!

Es giebt nur eine über das Herz erhabene Macht, das ist das Gewissen, das nach Heiligkeit trachtet. Wenn uns das Herz von Gefühl spricht, so unterhält uns das Gewissen von Verpflichtung, und die Verpflichtung ist das Wichtigste, das Unverjährbarste auf der Welt. Wir sind verpflichtet, uns mit dem Gesetze Gottes in Einklang zu bringen; wir müssen dies, wenn wir jemals mit uns selbst in Einklang sein und einen festen Frieden erlangen wollen. Auch hier ist es Jesus Christus, der sich erbietet, zwischen uns und dem Gesetze Gottes die von der Sünde zerstörte Uebereinstimmung wieder herzustellen; und weil er weiß, was im Menschen ist, so wendet er sich an das Gewissen als an die bedeutendste Fähigkeit, damit es seiner Sendung als Bürge diene: „So Jemand will deß Willen thun, der wird inne werden, ob diese Lehre von Gott sei oder ob ich von mir selber rede.“ (Joh. 7,19.) Dies ist ein prophetisches Wort, das an jedem erfüllet wird, der entschlossen ist, seinem Gewissen ohne Rückhalt vor Gott zu gehorchen, doch unter der Bedingung, daß es das große Gewissen ist, das dem wahren Willen Gottes folgt und nicht das kleine oder vielmehr das verdrehte Gewissen, das sich bei einem tauschenden, scheinbaren Willen Gottes aufhält.

Ein aus der evangelischen Geschichte genommenes Beispiel, das des reichen Jünglings, wird meinen Gedanken erklären. (Matth. 19, 16-22.) Jesus sprach, zu ihm: „Du sollst nicht tödten, du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsches Zeugniß geben. Ehre Vater und Mutter, und du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst.“ Der reiche Jüngling hätte bei einem ernsten Gewissen, das in den Geist des Gesetzes dringt, sogleich gefühlt, daß er kein einziges von diesen Geboten vollkommen erfüllt habe, und da er nach seinem Sprechen den Willen Gottes zu thun wünschte, so hätte er sich beeilt, von Jesus die nothwendige Gnade zu erbitten, damit er den begangenen Ungehorsam wieder gut machen und den künftigen Gehorsam leisten könne. Statt dessen ist er durch das leichte Gewissen, das sich an die Beobachtung des Buchstabens hält, verführte „Das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf, was fehlet mir noch?“ De giebt ihm Jesus als Antwort auf seine wiederholte und anscheinend aufrichtige Frage die Weisung, wodurch er sich selbst klar werden soll: „Willst du vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe was du hast und gieb es den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und komm und folge mir nach.“ Dies mal ist kein Mißverständniß mehr möglich, es handelt sich nicht mehr um einige bequeme Tugenden, die für den reichen Jüngling Tugenden der Erziehung, der Verhältnisse, der Natur sein konnten; es handelt sich darum, eine große Begierde, die vorherrschende Begierde als Opfer darzubringen, nur der feste Entschluß, Alles dem Willen Gottes unterzuordnen, konnte ihn dazu vermögen. Dies mal steht er stille, hört mit Fragen auf und geht betrübt von dannen, das heißt, er verweigert den Gehorsam und verdammt sich selbst. So ist ein Mensch, der sich von Jesu Christo entfernt, weil er ihn mit dem kleinen Gewissen gesucht hat und weil er den Willen Gottes thut, wie es ihm zusagt, anstatt ihn mit dem großen Gewissen zu suchen und Gottes Willen zu thun, wie er an sich ist. Hätte es dem reichen Jüngling am Herzen gelegen, Gottes Willen zu thun, hätte er im Geiste des frommen Samuel sprechen können- „Rede Herr, denn dein Knecht hört,“ so hätte er die bestimmte Anweisung, die ihm von Jesu Christo gegeben wurde und an deren Beobachtung Jesus für ihn das himmlische Heil knüpfte, als ein großes Glück aufgenommen. Wie würde eine ähnliche Unterweisung Augustin in seinen Zweifeln, Luther in seinen Kämpfen und Pascal in seinen Nachforschungen erquickt haben? wie würde sie noch heute die aufrichtigen Seelen, die dem Herrn dienen und die nichts zu theuer halten, daß sie den Weg seines Willens finden und ihn gehen, erquicken. Der reiche Jüngling ist auf alle Opfer vorbereitet, doch nicht auf die, die ihn etwas kosten; er ist geneigt, alles zu thun, was Gott will, doch nicht das, was er selbst nicht will. -

Beeilt euch indeß nicht, den Stein auf ihn zu werfen. Der reiche Jüngling, der Jesu eine lebhafte Theilnahme eingeflößt hat, stellt die ehrenwertheste, wenn auch nicht zahlreichste Masse derer dar, die sich von Jesum Christum entfernen. Sie sind gewissenhafte Beobachter des Theils vom Gesetz, das das sittliche Betragen bestimmt, sie sind rechtschaffen in ihren Sitten, ehrlich in ihren Geschäften, zartfühlend in ihrem Verfahren, liebreich in der Familie, vielleicht sogar religiös in ihren Gewohnheiten, und würden ohne Aufschub für Jesum Christum sein, wenn er sich mit dieser äußern Heiligkeit begnügen wollte. Wenn ihnen aber dieser selbe Jesus Christus eine gänzliche Verleugnung alles dessen, was sie haben, die mit ihrer Selbstgerechtigkeit anfängt, auferlegt, wenn er sie eben so wirklich und ernstlich heilig haben will, wie er dies selbst ist, wenn er sie auffordert, daß sie dem Gekreuzigten, wohin er auch gehe, mit ihrem Kreuze beladen, nachfolgen, daß sie bereit sein sollen, ihm alles, was er von ihnen fordert, zu opfern, dann ziehen sie sich zurück und ärgern sich, denn sie kennen nur das kleine Gewissen, das ihnen nie etwas ähnliches sagte; wenn sie das große kenneten, so würden sie gerade darin die Nahrung, deren es bedarf und nach der es, ohne sie zu kennen, verlangte, finden. Uebrigens hindert sie derselbe Gewissensirrthum, der sie nicht in das Leben des Gekreuzigten eingehen läßt, gleichfalls, daß sie nichts von seiner Gerechtigkeit und von seinem Heil verstehen. Sie haben sich niemals nach dem geistigen Gesetze Gottes gemessen: da dieses Maß die Tragweite des kleinen Gewissens übersteigt, so haben sie niemals die Rechte Gottes über sich gefühlt, noch die Größe ihrer Sünden, noch das Bedürfniß eines Heilandes, noch den Werth seines Opfers. Sie haben mit dem Pharisäer des Gleichnisses gesprochen: „Ich danke dir Gott, daß ich nicht bin wie andere Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner; ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich habe“; aber sie haben nicht gelernt zu sagen: „Gott, sei mir Sünder gnädig“. Dieser von den andern verachtete Zollner „ging hinab gerechtfertigt in sein Haus vor jenem“ (Luc. 18, 9-14); denn er verdammte sich selbst und sein sündiges Leben, er erzeigte der Heiligkeit des göttlichen Gesetzes mehr Hochachtung, als dies der tadellose Pharisäer that, der sich auf seinen äußern, fleischlichen Gottesdienst viel zu Gute that.

Wie könnten solche Menschen, die weder die von ihm verlangte Heiligkeit, noch die von ihm gebrachte Gnade wollen, zu Jesu Christo kommen? Ist es aber nicht die Kleinheit ihres Gewissens, die sie gegen beides einnimmt? Findet mir nur in dieser Versammlung ein großes Gewissen, wie ich es nenne, findet einen Menschen, der von dem Gefühl seiner Sünden gedrückt wird und sich nach einem neuen Leben sehnt, und der entschieden ist, alles zu thun und zu dulden, damit er Gnade für Vergangenes und Kraft für Zukünftiges finde; findet einen Menschen, der mit Wahrheit sagen kann: „Deinen Willen, mein Gott, thue ich gern.“ (Ps. 40, 9.) Dieser Mensch braucht nur Jesu Christo mit Ernst gegenüber gestellt zu werden, so wird er sich ihm ohne Verzug und auf immer ergeben.

Es bleibet noch eine Fähigkeit, die man gewöhnlich nicht mit Jesu Christo in Verbindung bringt, es ist die Einbildungskraft, ja man macht sich fast ein Gewissen daraus, da sie ihm so fremd zu sein scheint. Ja, die Einbildungskraft selbst, wenn sie groß ist und dem schönen Vorbilde nachstrebt, findet nur in Jesu Christo ihr Genüge; die Einbildungskraft wendet sich nur unter der Bedingung, daß sie sich verkleinert, von ihm ab. Ich will damit nicht sagen, daß sich alle große Dichter, Schriftsteller, Künstler zu Jesu Christo wenden; ach die Erfahrung, wenn wir auch nur die gleichzeitige, die heimische oder fremde nehmen, würde mich auf's grausamste widerlegen. Ich sage und behaupte aber, daß die auserlesenste Einbildungskraft sich nur mit ihrer kleinen Seite von Jesus Christus entfernt und daß sie nur mit allen Segeln auf ihn loszusteuern braucht, damit sie sich selbst Rechenschaft von ihrer Größe und ihrer wahren Bestimmung gebe.

Laßt mich ein Beispiel, die Dichtkunst, nehmen, damit ich meinen Gedanken erkläre. Nehmen wir den Dichter von der großen Seite seiner Aufgabe, so ist er nicht ein Mensch, der in großem Ueberfluß gereimte und rhythmische Sätze hervorbringt, wenn sie auch in sich die tadellosesten Gedanken, die mit dem richtigsten, glücklichsten Ausdruck bekleidet wären, enthielten: der Dichter ist der Mann der Menschlichkeit, der in sich die Bewegung des Geistes seiner Zeit darstellt und zusammenfaßt und der mehr aus angeborner Kraft als aus Studium, obgleich dieses jene übt und stärkt, kräftiger als die andern das fühlt, was sie fühlen, und zuweilen vorher ahnet, was sie noch nicht ahnen, der den Gedanken aller in's Tageslicht bringt, aus dem er, um ihn hervorzuheben, indem er ihn lenkte, seinen persönlichen Gedanken gemacht hat. Nach dieser Anschauung hat der Dichter mehr zu thun, als daß er einen Namen gewinne, die Ohren kitzele und den Augen Thronen entlocke, er hat ein Amt zu erfüllen, das keinem andern an Verantwortlichkeit, ja an Heiligkeit nachsteht. David, Salomo, Jesajas, Jeremias, Hiob's Verfasser waren zu gleicher Zeit Dichter und Propheten; von Gott begeisterte aber wahre und große Dichter, deren Beispiel den nicht begeisterten Dichtern den Geist offenbaren soll, mit dem sie ihrerseits eine Aufgabe erfüllen sollen, die in ihrem Gegenstand eine andere, im Geiste aber dieselbe ist. Glaubt mir. Dante, Milton, Klopstock, Corneille und Racine haben etwas von dem gewußt, was ich eben sagte; diese Ansicht von ihrer Bestimmung hat nicht weniger Antheil als ihr Genius an dem gehabt, was sie gewesen sind, und die heilige Schrift, auf die sie ihre Blicke richteten, hat ihnen ihre bewundertsten Seiten geliefert. Nun wohl stellt einen auf diese Weise vorbereiteten Dichter Jesu Christo gegenüber, wird er sich nicht von ihm als von einer unerschöpflichen Quelle angezogen fühlen, aus der er mit vollen Händen Erkenntniß, Kraft, Begeisterung und Dank schöpfen kann, deren er bedarf, um sein Werk zu vollenden, indem er darauf wartet, daß er ihrer bedarf, um sein Kreuz zu tragen, das Kreuz des Dichters, das keinem großen Stimmführer des launenhaften Geschlechtes, das immer bereit ist den zu verkennen, der ihm Selbsterkenntniß lehrt, gefehlt hat? Wo sonst als in der menschlichen Gestalt des Sohnes Gottes findet der Dichter das Vorbild des Wahren, Guten und Heiligen? Wo findet er das Vorbild des Friedens, welcher die Bitterkeiten des Lebens ertragen kann, als in dieser kleinen Heerde, die sich auf ihn „im Geist und in der Wahrheit“ beruft? Wo findet er das Vorbild der Seligkeit, nach der die ganze Schöpfung seufzt, wenn er es nicht in dem prophetischen Bilde seiner Wiederkehr und seines herrlichen Reiches sieht? Wo findet er das Vorbild aller Schönheit der Tugend, des Gedankens, ja selbst der Darstellung, als in seinem Worte, das sich, ohne die Erde zu verlassen, in den höchsten Himmel zu erheben und in den tiefsten Abgrund zu stürzen versteht?

Wir wollen uns nähern und eine Voraussetzung aufstellen, die uns näher berührt. Es steht in unsern Tagen ein Dichter auf, der dieses Namens würdig ist; ein Dichter, der sich einer wirklichen eben so edlen als heiligen Sendung an sein Volk und an seine Zeitgenossen bewußt ist; ein solcher Dichter, der wie ein Abgesandter Gottes zu diesem unruhigen, keuchenden, ermüdeten, Ungewissen Jahrhundert spricht, damit er ihm den Weg des Friedens und der Würde, des Glückes und der Ehre, der Ordnung und der Freiheit in der christlichen Annahme, das heißt in der wahren Annahme aller dieser Worte zeigt. Glaubt ihr, daß ein Dichter des 19. Jahrhunderts ungestraft von Jesu Christo entfernt bleiben kann; von Jesu Christo, in dem allein sich der Frieden mit der Würde, das, Glück mit der Ehre, die Ordnung mit der Freiheit verbindet? von Jesu Christo, der allein das entscheidende Wort für das gesellschaftliche, staatswissenschaftliche, philosophische, religiöse Räthsel hat, denn er löst allein in seiner lebendigen Person das Räthsel des Lebens aus Gott im Menschen auf. Wenn ich nicht den bösen Schein des Urtheils über Personen fürchtete, der dem Geist des christlichen Lehrstuhls zuwider ist, so würde es mir leicht sein, den verneinenden Beweis dieser Wahrheit in einem unserer volksthümlichsten und gerühmtesten Dichter unserer Zeit zu finden. Wodurch hat sich dieser Mann, in den Gott solchen herrlichen Geist gelegt hat, aus dessen Herzen große Gedanken emporstiegen und dessen Muttersprache ihm außer den ihm von ihr zugeführten Hülfsquellen noch die zuführte, womit er sie bereichert hatte, um sie auszudrücken, von Jesu Christo entfernt? Sind es wohl die großen, edlen, heiligen Seiten seiner Natur und seiner Einbildungskraft? Oder sind es nicht, ich will nicht sagen die niedrigsten Seiten, der Ehrgeiz, die Geldgierde, die Fleischeslust - wenigstens die kleinsten: das eitle Trachten nach dem Beifall der Menge, die wechselnde Verehrung der Abgötter, die einander auf der Weltbühne folgten, die verführerische Lobrede einer falschen Weltweisheit oder einer erträumten Religion, die fleischliche und leidenschaftliche, hinreißende Gewalt gesellschaftlicher oder politischer Streitigkeiten? Ach, wenn sie die Sachen erkannt hätten, die zu ihrem Frieden dienen, weil sie ihrem Gewissen als Dichter zukommen, so hätten sie sich gleich anfänglich in eine höhere Region begeben; da hätten sie Jesum Christum, den Gott des Dichters, weil er der Gott der Menschheit ist, deren Stimme der Dichter ist, als Meister gefunden. Zweifelt nicht daran, daß in der Dichtkunst, Gelehrsamkeit und Kunst, in allen wahren, liebenswerthen und lobenswerthen Dingen bis zu denen, die am wenigsten seine Sendung zu berühren scheinen, Jesus Christus den Menschen an sich zieht durch alles, was der Mensch wahrhaft Großes und Menschliches hat, und daß er ihn nur in dem zurückstößt, was er Kleines und Falsches in seiner gefallenen Natur hat.

Das oft angeführte und mit Recht bewunderte Wort eines alten Schriftstellers: „ich bin ein Mensch, und Nichts Menschliches soll mir fremd sein,“ findet nur in dem Munde des Herrn Jesu Christi seine vollkommene Wahrheit. Ihm ist als Mensch, der eine Menschenseele in einem Menschenkörper trägt, keine der Menschheit eigenthümliche Größe fremd und gleichgültig. Ach, und wie könnte dies sein, da er in seiner menschlichen Natur jede zu der größesten Vollkommenheit gebracht hat? Denn welcher Verstand hat mehr Erkenntniß, welches Herz mehr Reinheit, welche Einbildungskraft mehr Schönheit besessen, als Jesu Christi? Alles was wahrhaft menschlich groß und herrlich ist. strömt durch die eigne Schwere Jesu zu. wie die Flüsse dem Meer und suchen in ihm ihren Mittelpunkt und ihr Gleichgewicht; und er nimmt sie naturgemäß und ohne Anstrengung in sich auf wie ein ihm angehöriges Gut. Dies ist aber eine der wesentlichen Wahrheiten, bei denen der christliche Redner nicht weiß, ob er sprechen oder schweigen soll; wenn er seinen Gegenstand nicht entwickelt, fürchtet er, nicht begriffen zu werden, und wenn er ihn entwickelt, zittert er. daß er ihn schwächt. Wenn wir die menschliche Seele in Verstand, Herz. Gewissen und Einbildungskraft zersetzten, so zergliederten wir sie und wie können wir etwas Lebendiges zergliedern, ohne daß wir ihm dadurch den Tod geben? Die menschliche Seele ist weder die eine noch die andere von diesen Fähigkeiten; sie vereint alle diese Fähigkeiten in einer innerlichen Macht, aus der sie ihren gemeinsamen Ursprung nehmen, der aber zu sehr unserm Wesen verbürgen ist, als daß die menschliche Sprache ihn daselbst suchen könnte. Ich möchte die Grundlehre, die den Gegenstand dieser Predigt ausmacht, auf diese innerliche Macht, auf die Fähigkeit aller Fähigkeiten anwenden. Was ich von dem Verstande, der nach der Wahrheit strebt, von dem Herzen, das nach Liebe trachtet, von dem Gewissen, das nach Heiligkeit trachtet, von der Einbildungskraft, die der urbildlichen Schönheit nachstrebt, gesagt habe, fühle ich, ohne daß ich es ausdrücken kann, für die ganze menschliche Seele, die dem ihr eigenthümlichen Glücke nachstrebt, was die Schrift „das Leben“ nennt, ein Wort, das in der Sprache der Weltweisheit nicht übersetzt werden kann, ein Wort, was jedem unverständlich bleibt, der seinen Sinn nicht aus persönlichen Erfahrungen kennen gelernt hat. Eine Seele muß sich freiwillig klein machen, wenn sie außerhalb Jesu Christi ihr Genüge finden will, denn es handelt sich für sie um nichts Geringeres, als daß sie, die das Bedürfniß des Unendlichen und Ewigen hat, sich mit einer zeitlichen und endlichen Befriedigung begnüge; sie, die das Streben nach Vollkommenheit und himmlischer Herrlichkeit hat, begnügt sich dann mit einer fleischlichen, unvollkommenen Befriedigung. Wenn sie aber im Gegentheil groß ist, das heißt, wenn sie das ist, was sie sein soll und dies bis zu Ende bleibt, bann fordere ich sie gleichfalls auf, daß sie nur in dem bleibe, was ewig, unendlich, vollkommen und himmlisch ist, oder daß sie dies in „keinem andern finde, als in dem, der da sprach: „Wen da dürstet der komme zu mir und trinke.“ (Joh. 7, 37.)

Schweiget denn mit euren stolzen Tauschungen! Ihr haltet euch zu groß, als daß ihr an Jesum Christum und sein heiliges Evangelium glauben könnt? Was sagt ihr da? Fühlt ihr nach allem, was ich euch zeigte, nicht die Gottlosigkeit oder wenigstens das Lächerliche einer solchen Sprache? Wie Jesus Christus und sein Evangelium alles beherrscht was auf Erden, um nicht zu sagen, was im Weltall vorgeht, so beherrscht er alle Entwicklungen der Geschichte und alle Jahrbücher des menschlichen Geschlechts, die Berathungen der Fürsten und ihre Gelüste, die Bewegungen der Völker und ihre Empörungen, Kriege und Kriegslärm und alle von der unruhigen Menschheit herbeigeführten Umwalzungen, er beherrscht das alles, damit es zur Erfüllung seiner Absichten der Gnade und Herrlichkeit beitrage. Hätte er das Alles nur dazu unter seine Füße gelegt, damit er euch allein über sich in irgend einem dritten Himmel erblicke, wohin euch die Einbildung eurer Größe verbannt hat? Ich sage euch, ihr seid nicht zu groß, sondern zu klein, um glauben zu können, denn Alles, was euch von Jesu Christo entfernt, ist klein und das eitle Rühmen eurer Größe, ist noch kleiner als alles Uebrige. Dazu, daß ihr in vollem Frieden zweifeln könnt, seid ihr aber noch nicht klein genug, denn gesteht es nur ein, daß das heute Gesagte eure Seele in Unruhe versetzt hat. Soll ich euch zeigen, was ihr zu thun habt, wenn ihr sie abschütteln und mit Jesu Christo nichts zu thun haben wollt? Ihr müßt dann euch noch mehr verkleinern, ihr müßt jedesmal, wenn ein großmüthigcr Gedanke oder eine edle Gesinnung in euerm Geiste aufsteigt, sie unterdrücken und ersticken, ihr müßt jedesmal, wenn sich ein unwürdiger Gedanke oder eine niedrige Gesinnung zeigt, sie frei schalten lassen. - Ist diese Uebung so oft von euch wiederholt worden, daß sie euch zur zweiten Natur geworden ist, - dann, nur dann, habt ihr gelernt, in Ruhe zu leben, indem ihr von Jesus Christus entfernt lebt! -

Meine lieben Brüder, der seine Spott schickt sich eben so wenig zu meinem ernsten Worte, als für euch die Gesinnungen, die ich nur bei euch voraussetzte, um euch einen um so größeren Abscheu dagegen einzuflößen. Laßt uns zur Wahrheit zurückkehren und schließen. Die wahre Seelengröße hält euch nicht von Jesu Christo zurück, sie wird euch ihm im Gegentheil nähern; die falsche Seelengröße hält euch zurück, mit der ihr euch schmeichelt und die sich zwischen euch und seine Gnade stellt, das ist keine Grüße, sondern Stolz. Wer sich Jesus nähern will, muß sich demüthigen, und diese Demüthigung ist für die Seelen doppelt nothwendig und zugleich doppelt schwierig, die sich für größer als andere halten und die zu bereit sind, den Ruhm und die Kraft, die sie in sich fühlen oder zu fühlen meinen, sich selbst zuzuschreiben, statt sie einzig auf Gott zurückzuführen. Die größesten sind die, die sich am meisten bücken müssen, damit sie ihre Sünden bekennen, damit sie sich ohne Rückhalt verdammen und einwilligen, aus lauter Gnade selig zu werden und damit sie sich in den Himmel durch die niedere Pforte eines Zachäus und einer Maria Magdalena gebückt einschleichen. Ein christlicher Prediger hat gesagt: Das Evangelium ist für alle Seelen gleich geeignet, wie das Gras der Erde, von dem sich die Thiere nähren, aber die größesten müssen den Kopf am tiefsten neigen. (Felix Neff.)

Ja, meine Freunde, es widersteht euch, daß ihr euch bücken müsset, es .ist aber der einzige Weg, der euch offen steht. Jesus ist für die Kleinen gekommen, und den geistlich Armen hat er das Himmelreich verheißen. Der stolze Verstand muß auf gleiche Linie mit den Kindern heruntersteigen, denn ihnen offenbart sich Gott gern. Die leidenschaftlichen Herzen müssen die Vergötterung ihrer natürlichen Neigungen erkennen und aufgeben. Selbstzufriedene Gewissen müssen ihrer Selbstgefälligkeit entsagen und ihre Gerechtigkeit zu den unreinen Dingen zählen. Die lebhafte Einbildungskraft muß ihrem unzarten Ausbruch den Zügel der Heiligkeit anlegen und die unreine Flamme in dem reinen Himmelsfeuer erlöschen. Erkennt die doppelte Nothwendigkeit dieses Opfers an der doppelten Anstrengung, die es euch kostet: wie könntet ihr aber dem, der sich selbst als unaussprechliches Opfer zuerst für euch dahin gegeben hat, dieses Opfer verweigern? „Kommt, laßt uns anbeten und knieen und niederfallen vor dem Herrn, der uns gemacht hat“ (Ps. 95,6), und vor seinem Christus, der uns erlöset hat. Laßt uns am Fuß seines Kreuzes unsere eitle und vermeintliche Größe niederlegen, und wenn es nicht genügt, daß wir sie bis zur Erde erniedrigen, so wollen wir dieselbe unter dem Kreuze aushöhlen und sie auf immer darin begraben!

Klaget nicht über diese Nothwendigkeit; eure Erniedrigung wird euer Ruhm sein: wer sich selbst erniedriget wird erhöhet werden. Es ist mit des Menschen Größe wie mit seinem Leben: „Denn wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verlieret um Jesu willen, der wird es finden.“ (Math. 19, 25.) Ihr werdet die Größe, die ihr am Fuße des Kreuzes Jesu niedergelegt habt, mit seinem Blute getauft, durch seinen Geist erneuert, zum ewigen Leben erweckt wieder finden, und ihr verliert eure wahre Kraft und euern wahren Ruhm nur wie sie ein Moses oder Samuel verlor, ein Petrus oder Paulus, ein Augustin oder ein Chrysosthomus, ein Luther oder Calvin, ein Pascal oder Whitefield, - und warum soll ich nicht hinzufügen wie der Mensch Jesus Christus die seinige „verlor, indem er sich erniedrigte bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze?“ daß es erniedriget werde; auch über alle hohe und erhabene Cedern auf dem Libanon und über alle Eichen in Nasan; über alle hohe Berge und über alle erhabene Hügel; über alle hohe Thürme und über alle feste Mauern; über alle Schiffe im Meer und über alle köstliche Arbeit; daß sich bücken muß alle Höhe der Menschen, und demüthigen was hohe Leute sind und der Herr allein hoch sein zu seiner Zeit.“ (Jesaj. 2, 12 - 17.)

Weigert ihr euch aber, ihm die Ehre zu geben, so steht dies Wort fest: „wer sich selbst erhöhet, soll erniedriget werden“ und ihr werdet dann, bedenket es wohl, die letzten sein. Dann wird sich jede Größe in Verwirrung verwandeln: eure Erkenntniß in Verblendung, eure Liebe in Verführung, euer Ehrgeiz in Unruhe, euer Entzücken in Thorheit. „Denn der Tag des Herrn Zebaoth wird gehen über alles Hoffärtige und Hohe, und über alles Erhabene, daß es erniedriget werde; auch über alle hohe und erhabene Cedern auf dem Libanon und über alle Eichen in Basan; über alle hohe Berge und über alle erhabene Hügel; über alle hohe Thürme und über alle feste Mauern; über alle Schiffe im Meer und über alle köstliche Arbeit; daß sich bücken muß alle Höhe der Menschen, und demüthigen was hohe Leute sind und der Herr allein hoch sein zu seiner Zeit.“ (Jesaj. 2, 12-17.)

Wohl dem, der sich an jenem Tage unter den Kleinen findet, die sich unter dem Schatten deines Kreuzes halten, Herr Jesus, damit sie mit dem Blut deines Opfers besprengt werden! Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/m/monod/monod-die_grossen_seelen.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain