Monod, Adolphe - Das lebendige Wort

Monod, Adolphe - Das lebendige Wort

Ev. Joh. 1, 4.
“In ihm war das Leben.“

Die Wahrheit war in Gott und würde, hätte er sie selbst nicht an s Licht gebracht, ewig verborgen geblieben sein; aber Gott sprach, das ist: er brachte sein unsichtbares Wesen durch gewisse fassliche Zeichen in Beziehung zu seinen Geschöpfen, gleich wie auch der Geist eines Menschen sich dem eines andern Menschen durch das unaussprechliche Geheimnis des Wortes mittheilt.

Die erste Form, mit der Gottes Wort bekleidet wurde, und die auch am meisten Ähnlichkeit mit dem Menschenwort hat, ist die Sprache. Der heilige Geist hat Werkzeuge, denen er sich offenbarte, erwählt und ihnen geboten, seine Offenbarungen ihren Mitmenschen durch das gesprochene und geschriebene Wort zu verkündigen. Von diesen beiden kam nur das geschriebene Wort, die heilige Schrift zu uns; sie ist die einzige nie versiegende Quelle, aus der wir die göttliche Wahrheit, von der sie mit göttlichem Ansehen Zeugnis ablegt, schöpfen sollen.

Außer dieser Form hat das göttliche Wort noch eine andere angenommen, nämlich das Leben. Es ward durch Eingebung das geschriebene Wort und durch Menschwerdung das lebendige Wort. Diese wunderbare Lehre, auf die auch sonst im neuen Testament hingewiesen (Apg. 20, 32; Hebr. 4,12) und sogar im alten Testament hingedeutet wird (1. B. Mos. 1, 3; Ps. 33, 6), wird uns nur durch den Apostel Johannes, aber auch in allen seinen Schriften in deutlichen Ausdrücken verkündet. Er fängt sein Evangelium mit der Schilderung dieses Wortes an: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort; alle Dinge sind durch dasselbige gemacht, in ihm war das Leben;“ und dann fügt er hinzu, auf dass Niemand daran zweifele, wovon er spreche: „und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ Er beginnt seinen ersten Brief fast auf die nämliche Art: „Das da von Anfang war, das wir gehöret haben, das wir gesehen haben mit unsern Augen, das wir. beschauet haben, und unsere Hände betastet haben, vom Wort des Lebens was wir gesehen und gehöret haben, das verkündigen wir euch.“ Dann beschreibt er zu Ende der Offenbarung das Haupt der himmlischen Heerschaaren mit Zügen, unter denen wir unmöglich den Sohn Gottes verkennen können; er nennt ihn mit Namen, und dieser Name ist „Gottes Wort.“ (Offb. Joh. 19, 13). Es gibt also ein lebendiges Gottes Wort und dieses lebendige Gottes Wort ist Jesus Christus.

Das eine wie das andere Wort rechtfertigt auf gleiche Art das letzte Gebet des Herrn: „Dein Wort ist die Wahrheit;“ aber die Wahrheit ist zwiefach: sie ist teils die Wahrheit im treuen Zeugnis, teils die Wahrheit in ihrer leibhaftigen Verwirklichung. Diese Unterscheidung wird im Anfang unsers Evangeliums klar bezeichnet: „Es ward ein Mensch von Gott gesandt, der hieß Johannes. Derselbe kam zum Zeugnis, dass er von dem Licht zeugte, auf dass sie Alle durch ihn glaubten.“ Das eingegebene Wort ist nur der Zeuge des Lichtes, das Licht selbst, „das wahrhaftige Licht, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen,“ es ist das Fleisch gewordene Wort: Jesus Christus. Er bringt das, was die Anderen verkündigen, er ist das, was sie sagen. Er selbst drückt sich darüber in Aussprüchen aus, die im Munde eines Jesajas oder Paulus gottlos wären: „Ich bin das Licht, das Leben, die Wahrheit, die Auferstehung, der Weg, die Thür“ und dann in einem Worte, das alles übrige in sich schließt: „ich bin es,“ ein großes Wort, worin man den wiederfindet, welcher im 2. Buch Moses von sich selbst sagt: „Ich bin, der ich bin.“

Diese beiden Worte Gottes sind, da das gesprochene Wort uns im Hinblick auf das lebendige Wort gegeben ward, und das lebendige Wort uns durch das gesprochene Wort bekannt ward, von einander unzertrennlich; zwischen diesen beiden Worten ist die engste Beziehung und doch ein großer Abstand. Beide geben dem unsichtbaren Wesen Gottes einen sichtbaren Ausdruck, deshalb erhielten sie in der vollkommen wahren Sprache des heiligen Geistes den gemeinsamen Namen, der sie dem menschlichen Worte gleichstellt. Aber es liegt ein weiter Raum zwischen diesen beiden Ausdrücken. Das eine Wort bedient sich zu seiner Vermittlung der menschlichen Sprachformen, das andere bietet den Grund der Dinge selbst dar; jenes entfaltet den Ratschluss Gottes, dieses stellt uns Gott selbst vor die Augen; durch jenes offenbart sich Gott, durch dieses zeigt und gibt sich Gott; und wenn der Mann, den der Geist Gottes treibt, spricht: „Wer nun diesen verachtet, der verachtet nicht Menschen, sondern Gott“ (1. Thess. 4, 8), so hat Jesus Christus allein sagen können: „Wer mich stehet, der stehet den Vater.“ (Joh. 14, 9).

Denket euch, damit euch diese Unterscheidung deutlicher wird, einen Menschen, der euch nur durch seine Briefe bekannt ist. Ihr kennt seine Gedanken, seine Gefühle, seinen Willen und seine Geschichte aus seinen Briefen, ihr sucht aber seine Persönlichkeit vergeblich darin. Diese Lücke ist weniger bemerkbar, je vollkommener, wahrer und lebendiger seine Sprache ist, aber ausfüllen kann er sie nie, denn das Leben kann sich nur durch das Leben selbst übertragen. Könnte euer unbekannter Freund auch vermittelst eines Geheimnisses in seinem Styl das Ideal, das ihm vor Augen schwebt, verwirklichen, was kein Dante, kein Homer erreichen konnte, so bliebe doch noch, obgleich so die erste Scheidewand zwischen dem Gedanken und der Sprache gefallen wäre, eine zweite noch unübersteiglichere zwischen diesem Ideal und dem Geist, der dasselbe gezeugt hat, zwischen dem Wort und dem Leben. Käme er nun endlich zu euch, könntet ihr ihn sehen und hören, würdet ihr dann nicht in einer Stunde, die ihr mit ihm sprächet, ihn besser kennen lernen, als durch alle die unbeweglichen Zeichen, die bis dahin zu euch sprachen? Ja würde nicht sogar eine Bewegung, ein Blick, ein Händedruck euch mehr sagen, als dies ganze Seiten voller Beredsamkeit konnten? Ja gewiss, denn in dieser Bewegung, in diesem Blick, in diesem Händedruck ist das Leben, das unteilbare, unübertragbare Leben, und auf jenen Blättern fandet ihr nur dessen halbtote Übertragung. Nun wohl, ein nicht unähnliches Verhältnis besteht zwischen dem geschriebenen und dem Fleisch gewordenen Worte Gottes. In dem ersten habt ihr die Wahrheit Gottes, die mit der vollkommensten Sprache der Welt bekleidet ist; es ist eine Sprache, die aus dem Innersten des göttlichen Lebens auf dem kürzesten Wege hervorkommt; eine so besondere, unnachgemachte und unnachahmliche, natürliche, den Dingen getreue, so wenig mit dem Ich behaftete, ja wenn man es .sagen könnte, so göttliche Sprache, dass man das Herz Gottes darin schlagen fühlt. Allein die Sprache der Schrift, so göttlich sie auch ist, ist dennoch nur Sprache und leistet nur, was eine Sprache leisten kann, Sie kann uns die Gedanken Gottes übertragen und überträgt sie in wunderbarer Klarheit, aber sie kann uns nicht Gott selbst geben, und doch ist Gott, der uns schuf, ein lebendiger Gott, und wir haben ihn nur halb, wenn wir ihn nicht lebendig haben. Das Menschenherz sehnt sich nach der wirklichen Gegenwart seines Gottes so sehr, dass es in Ermangelung der wirklichen, wahrhaftigen Gegenwart sich im Sakrament, wenn nicht gar in den Heiligenbildern eine eingebildete schafft. Könnte man doch dieses Verlangen befriedigen, ohne solche Irrwege zu betreten; gäbe es doch ein Mittel, dass wir Gott selbst besitzen könnten, dass er unter uns wohnte! Nun wohl! dies Mittel ist da, ihr habt das, wonach euch verlangt, in dem Fleisch gewordenen Wort. Jesus Christus tut mehr, als die Apostel und Propheten taten, die von Gott nur sprechen; er bringt Gott in unsre Mitte, denn er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens, ja, um es noch einmal alles mit einem Worte zu sagen: „wer ihn stehet, stehet den Vater.“

Wer Jesus Christus stehet, stehet die göttliche Wahrheit, denn diese Wahrheit wird in Jesus Christus zur Geschichte; es gibt keinen wichtigen Glaubenssatz, der nicht eine That Jesu Christi, und keine große That Jesu Christi, die nicht ein Glaubenssatz wäre. Wer Jesus Christus sieht, sieht die göttliche Heiligkeit, denn sie wird in Jesus Christus zur That das Urbild und die Wirklichkeit vereinigen sich in dem vollkommenen Menschen, dessen Vorbild Gesetz ist, wie das Gesetz. Wer Jesus Christus sieht, sieht die göttliche Allmacht, denn das Übernatürliche wird in Jesus Christus zur Natur; ich brauche nicht von den Wundern zu sprechen, die er so reichlich spendete; das Dasein des Sohnes Gottes selbst, der wahrer Gott und wahrer Mensch ist; ist das Wunder aller Wunder. Wer Jesus Christus sieht, sieht den heiligen Geist, denn der Geist Gottes wird in Jesus Christus zum eigenen Geist: „der vom Himmel kommt, zeuget, was er gesehen und gehöret hat“ (Joh. 3, 31), von den himmlischen Dingen. Kurz, wer Jesus Christus stehet, stehet Gott selbst und ganz, denn die Offenbarung erhebt sich in Jesus Christus zur Menschwerdung: „dieser ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben,“ (1. Joh. 5, 20) der wahrhaftige Gott, der sich uns genähert hat, und das ewige Leben, das von seinen Geschöpfen gehört, gesehen und betastet wird. Wenn wir von dem geschriebenen zu dem lebendigen Worte übergehen, so steigen wir vom Brunnen zur Quelle, vom Herzschlag zum Herzen, vom Zeichen zum Wesen, von der Sprache zum Leben auf.

Ihr sagt vielleicht: „Wie glücklich waren die Zeitgenossen Jesu Christi! Aber wir, die wir sein Angesicht nicht sehen, müssen uns mit den biblischen Zeugnissen begnügen, und wir sind nur von dem geschriebenen zu dem lebendigen Wort Gottes hinaufgestiegen, um von dem lebendigen zu dem geschriebenen Wort wieder hinabzusteigen.“ Auf diese Weise werdet ihr nur sprechen, wenn ihr den heiligen Geist noch nicht kennt: „den Geist der Wahrheit, welchen die Welt nicht flehet und kennet,“ den Jesus aber seinen Jüngern verheißen hat, dass er ewig bei ihnen bleibe. Ihr wüsstet, wenn ihr diesen kenntet, dass der Vorteil auf eurer Seite ist im Vergleich mit denen, die den Herrn als Menschen sahen. Jesus sagt zu seinen Jüngern dies merkwürdige Wort: „Es ist euch gut, dass ich hingehe,“ fügt aber gleich als Erklärung hinzu: „denn so ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch. So ich aber hingehe, will ich ihn zu euch senden.“ Wenn die Kirche durch seinen Hingang der Wohltat seiner Gegenwart und der Gegenwart Gottes in seiner Person verlustig geworden wäre, so hätte Jesus niemals so gesprochen. Ach, welches Licht und welche Gnade konnte für seine Jünger besser, als seine anbetungswürdige Gegenwart sein? Der Augenblick, welcher ihnen diese zu rauben scheint, ist es, der sie ihnen wirklicher und lebendiger als früher wiedergibt, doch nicht im Sinne der Welt, die nur in den sichtbaren Dingen Wirklichkeit und Leben sieht, sondern in dem Sinne Gottes, der beide im Gegenteil in den unsichtbaren Dingen sieht, wovon die sichtbaren nur ein flüchtiger Wiederschein sind. Der heilige Geist tut dies; der heilige Geist, der nach einem lehrreichen aber undurchdringlichen Geheimnis nicht eher vom Himmel herniedersteigen konnte, bis der Sohn hinaufgefahren war, nahm das Werk Jesu Christi in den Seinigen auf und setzte es in ihnen fort, aber freilich in der dem Geiste eigentümlichen Weise. Der Geist Gottes allein vermag es, in die innersten Spalten des menschlichen Geistes zu dringen und sie zu erfüllen, er bringt eine neue Erkenntnis; hinein und offenbart ihnen Dinge von ihrem Meister klarer, als dieser selbst that; er tut mehr, als dass er von ihm spricht, er gibt ihnen denselben zurück. Ich sage nicht, er ersetzt ihn, (der Herr lässt sich nicht ersetzen,) sondern er gibt ihn so, dass er, der „unter ihnen“ wohnte, jetzt „in ihnen“ wohnt. Oder vielmehr der heilige Geist ist der Herr selbst, der zu ihnen, verherrlicht unter seinen neuen Namen, nicht wie sie ihn mit leiblichen Augen sahen, zurückkommt; er ist fähig geworden, sich mit seinem innersten Wesen ihrem innersten Wesen zu verbinden zu einer gänzlichen und wesentlichen Vereinigung, wie sie keine Kreatur, selbst Jesus Christus während seines Lebens im Fleisch, nicht mit ihnen hätte eingehen können. Dann, wenn alle Schranken gefallen sind, wenn der Geist vom Geist und das Leben vom Leben gefasst wird, dann geht Christus zu uns ein, wie er so rührend sagt, - „und hält das Abendmahl mit uns und wir mit ihm“ (Offb. Joh. 3, 23), das heißt, er lebt mit uns in der engsten und liebevollsten Gemeinschaft. Dann wohnen wir in ihm und er in uns, wir nehmen ihn auf, wir hören, wir verstehen ihn und sehen ihn: die wahre Anschauung Jesu Christi hat also nicht damit geendigt, als er die Erde verließ, sie hat da erst recht angefangen. Daher ist eure Lage, über die ihr euch beklagen möchtet, dieselbe, über die sich Paulus freute: „Und ob wir auch Christus gekannt haben nach dem Fleisch, so kennen wir ihn doch jetzt nicht mehr.“ (2. Kor. 5,16.) Johannes schreibt lange nachher, als er seinen Meister nicht mehr sah: „Daran erkennen wir, dass wir in ihm bleiben und er in uns, dass er uns von seinem Geist gegeben hat.“ (1. Joh. 4, 13.) Ich fürchte, dass diese Sprache Manchem fremd, ja vielleicht mystisch erscheine, ich weiß aber nicht, wie ich sonst einen Gedanken ausdrücken soll, der so sehr in meiner Seele feststeht, dass ich ihn fortwährend mit dem Predigtamt, das ich unter euch ausüben soll, in Verbindung bringe. Ja, ich fühle ein tiefes Bedürfnis, mich fest an Jesus Christus anzuschließen und zwar nicht nur an das, was von ihm kommt und sich auf ihn bezieht, sondern an sein Wesen, an, seine lebendige Person, wie sie uns das geschriebene Wort offenbart, und der heilige Geist sie uns gibt. Wenn euch und vielleicht auch mir dieser Gesichtspunkt in einem gewissen Maße fremd ist, so ist das nur zufällig, denn an und für sich ist er eben so alt, wie das Evangelium, dessen Wesen und Leben er ist. Um ihn zugleich zu erklären und zu begründen, suche ich ein Beispiel zu dieser Anschauung oder besser zu diesem geistigen Ergriffensein, wie es der heilige Geist durch seinen ganz besonderen Einfluss gewirkt hat. Ich finde es in allen den gottbegeisterten Zeugen, vorzüglich in Paulus und Johannes, die den größten Raum des neuen Testamentes ausfüllen. Ich bleibe aber bei Johannes stehen, der in dieser Beziehung einen ganz besonderen Beruf gehabt zu haben scheint, wie Paulus ihn für die Predigt der Gerechtigkeit aus dem Glauben hatte. Was das geschriebene Wort für Luther war, war das lebendige Wort für Johannes. Eine einzige Tatsache beweist dies genügend: wir würden nicht einmal Jesus Christus als Fleisch gewordenes Wort kennen, wenn Johannes allein unter allen Aposteln ihn nicht so genannt hätte, ohne Zweifel, weil keiner so sehr von dem geheimen Zusammenhang zwischen dem Wort des Lebens und dem Wort des Zeugnisses, zwischen der Fleischwerdung und der Eingebung durchdrungen gewesen ist, wie er. Ich möchte Paulus den Apostel der Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt, und Johannes den Apostel der Person des Gottmenschen nennen. Wenn er auch andere ihn auszeichnende Merkmale hat, so werdet ihr doch sehen, wie sich alle in dieses auflösen. Johannes ist der Apostel des heiligen Geistes, denn es ist kein Schriftsteller des neuen Testamentes, kein Evangelist mehr als er von dieser großen Verheißung des neuen Bundes erfüllt: diese Verheißung ist es, wie ich oben zeigte, von der die Aufnahme Jesu Christi für Jeden abhängt, der, wie wir, ihn nicht gesehen hat oder ihn, wie Johannes, nicht mehr sieht. Johannes ist der Apostel der Liebe; wer sie nicht kennt, muss sie im Johannes suchen: „hat uns Gott also geliebt, so sollen wir uns untereinander lieben; - lasset uns ihn lieben, denn er hat uns erst geliebt; - Gott ist die Liebe“ (Joh. 4, 11, 19, 8.): die Person des Meisters kann nie Gegenstand der Betrachtung werden, ohne dass die Person des Jüngers dabei beteiligt ist, aber hier bildet sich die gegenseitige Beziehung nicht zwischen Geist und Geist, sondern zwischen Herz und Herz, und das ist die Liebe; erst die Liebe zu Jesu Christo und dann ihre natürlichen Früchte, die Liebe zu Gott, zu den Brüdern und zu den Nächsten. Johannes ist ferner, man kann es kühnlich behaupten, der Apostel des Gedankens; Johannes allein ist im Besitz jener so kurzen und zugleich so vollständigen Erklärungen, jener Worte, in die der Geist unabsehbar taucht, ohne den Grund zu finden, jener Blitze, die einen fernen Himmel geräuschlos öffnen, und die in die Seele ein dunkles Licht und eine tiefe Erschütterung werfen: das kommt daher, weil da das Leben ist, wo die Person ist, und weil es nichts wirklicheres und nichts geheimnisvolleres, nichts einfacheres und tieferes, nichts in sich übereinstimmenderes und unfassbareres, als das Leben gibt. Ja, Johannes ist der Apostel des Geistes, der Liebe, des Gedankens, er ist Johannes, weil er vor allem andern der Apostel der Person ist. Öffnet denn seine drei Schriften, deren Gegenstand so verschieden ist, weil er in der ersten den geschichtlichen Christus als Jünger betrachtet, in der zweiten den geistigen Christus als Apostel und in der dritten den in seiner Herrlichkeit kommenden Christus als Prophet! und saget mir dann, ob er sich nicht überall in derselben Stellung zeigt, die Augen beständig auf, die lebendige Person seines Heilandes gerichtet? Ich könnte euch dies in der Offenbarung in einer Reihe von Bildern zeigen, die alle auf Jesus Christus deuten: im Anfang erscheint er als Gottes Sohn und gibt die Verheißung, in der Mitte als Gottes Lamm und entfaltet sie, am Ende als König der Könige und erfüllt sie. Ich könnte dies eben so mit dem Briefe machen; er geht von der Person Jesu Christi als Fleisch betrachtet aus und lässt ihn durch den Geist in das Herz des Gläubigen eindringen, wo er der befruchtende Grund des Lebens, der Heiligkeit und der Liebe wird. Wir wollen aber bei dem Evangelium unsers Apostels stehen bleiben, das von seinen Schriften die charakteristischste ist, weil es umfangreicher, als die Briefe, und für Johannes Persönlichkeit bezeichnender, als die Offenbarung ist.

Worin besteht die Einheit dieses Evangeliums? Denn es ist doch gewiss eine sehr armselige Auslegung, die im Johannes nur einen ergänzenden Evangelisten sieht, der seinen Korb bescheiden den Schritten der drei ersten Geschichtsschreiber Jesu Christi nachträgt und die Bruchstücke seines Lebens oder seiner Rede, die sie auf dem Wege fallen ließen, aufsammelt; - dann wäre ja die Geschichte die Hauptsache in den Evangelien, dann trüge das Evangelium des Johannes nicht so augenscheinliche Zeichen eines einzigen Gusses und eines beherrschenden Grundgedankens. Die lebendige Person Jesu Christi bildet die Einheit des Evangeliums Johannes: der vertraute Jünger, der seinen Meister dreiviertel Jahrhundert überlebt, ergreift sie, und bei ihm vereinigt sich das Sichtbare und das Unsichtbare, ohne sich zu verwirren in wunderbarem Einklang. Johannes richtet die Augen auf den einigen Sohn, er ist von so viel Majestät ergriffen, von so viel Herrlichkeit entzückt, von so viel Liebe durchdrungen, er bleibt von inniger Ehrfurcht einige Zeit gleichsam gefesselt, bis er endlich der Überfülle seines bewegten Herzens Luft macht und still und groß die Züge eines großen und vertrauten, heiligen und geliebten Bildes mit einer Hand, ja mit einem Herzen hinzeichnet, die der heilige Geist leitet. Er erzählt nicht, nein, er malt; er schreibt nicht eine Geschichte, sondern er zeigt ein Leben, oder er betrachtet es vielmehr, weniger damit beschäftigt, Andre dadurch zu unterrichten, als ein Bedürfnis? seines eigenen Herzens dadurch zu befriedigen. Auch unterscheidet er sich dadurch von den andern Evangelisten, dass er mehr auf das Wort seines Meisters, als auf seine Handlungen achtet, denn jenes enthüllt ihm das persönliche Wesen, das er zu begreifen sucht, besser; er beeifert sich nicht so sehr, seinem Meister zu folgen, wie er von Ort zu Ort geht und Gutes tut, sondern ihn auf einer Stelle festzuhalten, als befürchte er, dass die äußere Bewegung seine innere Bewegung zerstreuen könne, oder damit er sich um so besser über sein Wesen hinneigen könne, wie die Cherubim über die Bundeslade, und hineintauchen bis auf den Grund. Da er in diese Betrachtung versenkt ist, so. hat alles übrige für ihn nur eine untergeordnete Bedeutung. Mag ein Anderer Tag und Nacht die Seiten eines Buches, und wäre es auch die Bibel selbst, durchblättern, mag er „auch bis in den dritten Himmel entzückt sein und dort unaussprechliche Worte, die kein Mensch wiedergeben kann, hören;“ sein liebstes Studium, seine immer geöffnete Bibel, sein dritter immer von ihm aufgesuchter Himmel ist das Herz seines Heilandes; in diesem liest er, ohne die Erde zu verlassen, eben so unaussprechliche Dinge, die sich nicht wiedergeben, aber noch viel weniger verschweigen lassen. Ein Anderer mag die Geschichte Jesu Christi, die Unterweisung seiner Lehre, seine sittlichen Vorschriften in geordnete Folge bringen: dem Johannes hat der heilige Geist diese Darstellungsweise nicht als die seiner Persönlichkeit angemessene zugeteilt. Christus ist es, so wie er ist, der unteilbare und unerklärbare Christus, dessen volles Leben er ergreift, und in dem er die ganze Geschichte, die ganze Lehre, das ganze Evangelium und die ganze Gottesfülle zusammenfasst. Was Paulus so bewunderungswürdig ausdrückt: „Denn in ihm wohnet die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig“ (1. Col. 2, 9), das spricht Johannes nicht aus, sondern atmet, empfängt und gibt es. Er zittert mit Johannes dem Täufer beim Anschauen dieser Fülle vor Freude, er gibt mit Nathanael Zeugnis, er hört mit Maria von Bethanien, er weint mit Maria Magdalena am Grabe, er ruft mit Thomas: „Mein Herr und mein Gott!“ und mit Petrus: „Du weißt alle Dinge. Du weißt, dass ich dich lieb habe!“ - oder vielmehr Johannes der Täufer zittert mit Johannes, Nathanael zeuget, Maria hört, Magdalena weint, Thomas beugt sich mit ihm, und Petrus erklärt mit ihm seine Liebe. Es scheint, als reiße Johannes in seinem Gedankenlauf alles, was ihm begegnet, mit sich fort (ach risse er auch uns mit den Andern hin!), und als unterwürfe er Jeden, den er uns vorführt, dem unwiderstehlichen Übergewicht, das die Person Gottes, der sein Freund war und sein Gott ist, auf ihn ausübt.

Wenn ihr unser Evangelium mit den drei andern Evangelien vergleichet, so werdet ihr diese persönliche Eigentümlichkeit, die dasselbe unterscheidet, vollends erkennen; sie ist nirgends bemerkbarer, als in den hervorragendsten Stellen, die jeder auswendig weiß, und in denen sich Johannes ganz gibt. Welcher Evangelist dringt so mit einem Schlage in die Sache ein, wie er, wenn er uns jene Schilderung gibt, die eben so sehr dem göttlichen als seinem eigenen Geist entsprungen, die eben so erhaben als gedrungen ist, so dass man sagen könnte, sie stamme aus einer andern Welt, wie das Wort, von dem sie uns zeigt, dass es vom Himmel auf die Erde herabgekommen, seine Wohnung unter uns aufschlug und seine Herrlichkeit entfaltete, „eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit?“ Es ist Johannes. Bei wem haben wir jenes „ich bin,“ von dem ich so oft sprach, zu suchen, worin Jesus Christus sich selbst darstellt, sowohl nach dem Wesen seiner Person, als nach der Kraft seines Werkes: „Ich bin die Wahrheit, ich bin das Leben, ich bin das Licht, ich bin die Auferstehung, ich bin der Weg, ich bin die Thür, ich bin der Weinstock!“ Bei Johannes finden wir es. Wer sieht die geistigsten Wahrheiten in der Person Jesu Christi lebendig und gleichsam verkörpert: die Gnade in ihrer Fülle, die er uns allen mittheilt; die Versöhnung in dem Blut des Gotteslammes, das heute vor unsern Augen wandelt und morgen geopfert wird; das Glaubensleben in seinem Fleisch, das er uns zu essen, in seinem Blute, das er uns zu trinken gibt? Wer sieht den heiligen Geist in diesen Strömen lebendigen Wassers, die aus seinem Innern stießen, oder in dem Hauch, der aus seinem Munde geht; die Früchte seines Todes in dem in die Erde gestreuten Samen, der sich nur vervielfältigt, weil er stirbt; unsere Vereinigung mit ihm in der Rebe am Weinstock, die von diesem den nährenden Saft erhält; die Sakramente in dem Blute und dem Wasser, das aus seiner durchbohrten Seite hervorfließt? Johannes sieht es. Wer lässt uns mit Jesus Christus leben, wer lehrt ihn uns persönlich kennen, wer gewinnt ihm unsere persönliche Teilnahme bald durch einen kleinen Charakterzug, der alle Kämpfe, Bewegungen und Schmerzen seiner Seele verrät: „Jesus weinte;“ bald durch einen Zug der Familienliebe, der uns die zärtlichen Neigungen seines Herzens offenbart: „Jünger, siehe das ist deine Mutter; Weib, siehe das ist dein Sohn;“ bald durch ein erhabenes Gebet, welches das ganze Gottesvolk aller Zeiten einschließt, und in dem jeder unter uns seine Stelle findet: „Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, so durch ihr Wort an mich glauben werden“ (Joh. 17, 20)? Es ist Johannes und immer wieder Johannes. Darf ich hinzufügen, dass dieselbe Geistesrichtung, die Johannes zum Evangelisten der Person machte, ihn auch zum Jünger machte, den Jesus lieb hatte? hat ihn Jesus nicht, weil Johannes Augen so sehr auf seine Person gerichtet sind, . einer besonderen Freundschaft gewürdigt, so dass er beim letzten Abendmahl an seiner Brust lag und von seinen Mitjüngern aufgefordert wurde, er möge dem Herrn sein Geheimnis abfragen? Ich gestehe, dass diese Liebe noch mehr der menschlichen Eigentümlichkeit Jesu, als seiner verherrlichten Person angehört; war sie aber nicht das Unterpfand einer herrlicheren Vertrautheit, zu der er denselben Jünger unter der Anordnung des heiligen Geistes zulassen durfte? und können wir uns Johannes nach einer 70jährigen Entfernung von Jesus anders denken, als an Jesu Brust ruhend und durch das Vertrauen der allgemeinen Kirche damit beauftragt, kraft seiner Liebe die verborgensten Geheimnisse und die himmlischsten Eingebungen zu erforschen?

Jeder aufmerksame Leser des Johannes hat sicherlich meinen Gedanken erfasst und zugleich seine Wahrheit erkannt. Übrigens sagte und wiederhole ich, ich will keinen Unterschied unter den Werkzeugen des heiligen Geistes machen, denn sie haben alle in Gottes Plan ihren angewiesenen Platz, und wir sollen sie alle mit gleichem Vertrauen befragen, wenn wir nicht einseitig oder gar ungläubig bleiben wollen. So ist auch die Lehre, die ich euch hier auslege, zwar deutlicher im Johannes, als in dem übrigen neuen Testament enthalten, doch ist sie ihm nicht allein eigen. Johannes Geist ist auch der Geist eines Paulus, eines Petrus, denn es ist der Geist aus Gott. Wenn Johannes aus der lebendigen Person Jesu Christi den Kern seines Apostelamts macht, so fing Gott schon vorher an, daraus den Kern der heilsamen Wahrheit zu machen; „Gott wollte, dass alle Dinge zusammen unter ein Haupt verfasset würden in Christo“ (Eph. 1, 10), denn „es ist Alles durch ihn und zu ihm geschaffen.“ (Col. 1, 16). Der Standpunkt, den ich euch eben darlegte, und wozu ich Johannes als Beispiel und Muster nahm, ist derselbe, auf den sich gleicherweise alle andern Apostel gestellt haben, mit geringen Abweichungen, auch ist es vielmehr kein Standpunkt: es ist das Leben selbst: „in ihm,“ sagt unser Apostel vom Fleisch gewordenen Worte, „in ihm war das Leben,“ - in ihm das Leben des Glaubens, also dem zufolge auch das Leben des Apostelamtes.

Ich sagte: das Leben des Apostelamtes. Warum, meine teuren Amtsgenossen und Knechte Jesu Christi, ist es denn nicht auch das Leben unseres Amtes, das nur die Fortsetzung des Apostelamtes ist? Wir beschäftigen uns oft damit, Paulus nachzufolgen, der vorzüglich unser Apostel ist, weil er der Apostel der Heiden ist, und ihr wisst, dass ich dies mit besonderem Eifer tue; heute wollen wir uns aber Rechenschaft geben, was wir zu tun haben, damit wir Johannes nachfolgen, auf den als auf den Jünger, „welchen Jesus lieb hatte,“ unsre Aufmerksamkeit besonders hingelenkt wird. Fühltet ihr es nicht, wie euer Herz in euch brannte, als ich den Geist des Johannes und die Eigentümlichkeit seiner Rede mit euch erforschte? Wandtet ihr das, was er vom Jünger als Jünger sagt, nicht auf den Prediger als Prediger an: „wer den Sohn hat, hat das Leben,“ - und wollt ihr nicht in der Predigt der lauteren unwandelbaren Lehre des Evangeliums, in der Predigt über die lebendige Person Jesu Christi den Spuren sowohl eines Johannes, als eines Paulus und aller Apostel folgen? Mein Gewissen nimmt es auf sich, für das eurige gut zu sagen. Nur die Predigt von der lebendigen Person Jesu Christi zeigt den christlichen Glauben als einen lebendigen Glauben, dass heißt einen Glauben, dessen Grund eine lebendige Tatsache ist. Sie gibt uns Jesus Christus zur Heiligung, zur Weisheit, zur Gerechtigkeit und zur Erlösung, denn Gott hat ihn uns dazu gemacht (1. Kor. 1, 29), und lehrt uns beim ersten Anblick, was so wichtig und schwierig zu erkennen ist, dass das Christentum, das schon in der ersten Zeit von einem Engel „für Worte dieses Lebens“ erklärt wurde, wesentlich nicht nur ein Lehrgebäude oder eine Lehre ist, sondern ein Leben, ja noch mehr, das Leben. Es besteht nicht in der einfachen Annahme des Gedankens, der Vorschrift oder der Tatsache, sondern in der Erneuerung des ganzen Wesens durch Jesus Christus und in einer Art geistiger Verkörperung, wodurch sich die göttliche Natur der menschlichen Natur eines jeden von uns mittheilt.

Das ist noch nicht alles. Wer das Leben hat, hat mit ihm und in ihm alles. - Wer vom Leben spricht, spricht vom innersten Wesen der Dinge; und die Predigt vom lebendigen, persönlichen Jesus Christus lenkt die Aufmerksamkeit gerade auf die wesentliche unterscheidende Eigentümlichkeit des Evangeliums, die wir in der Person des Erlösers suchen müssen, der durch seine Geburt die göttliche und die menschliche Natur vereinigt, um sie durch seinen Tod zu versöhnen. - Wer vom Leben spricht, spricht vom höchsten Prinzip, von dem alles ausgeht; die Predigt vom lebendigen, persönlichen Jesus Christus stellt den Gläubigen in den Mittelpunkt des Glaubens, von wo sein Glauben und sein Wirken frei nach allen Richtungen ausgehen können, ohne die Verhältnisse und das Gleichgewicht des Ganzen zu stören, denn jedes Ding nimmt von diesem Mittelpunkt aus gesehen in natürlicher Weise den Platz und den Umfang ein, der ihm gebührt. - Wer vom Leben spricht, spricht vom ganzen Wesen; die Predigt vom lebendigen, persönlichen Jesus Christus gibt uns die ganze Wahrheit, die in ihrem fruchtbaren Keime zusammengefasst ist. Nichts geschriebenes, und wäre es das Wort Gottes selbst, kann alles ausdrücken. Es bleiben gleichsam Lücken zwischen den Zeilen, in welche die Sprache nicht einzudringen vermag, die nur das Leben ausfüllen kann. Nur das Leben ist ganz, ja das Leben kann nur als Ganzes bestehen; man zergliedert nur, was tot ist. - Endlich spricht, wer vom Leben redet, von der ursprünglichen Einheit, in deren Schoß sich Alles, was ist, wieder vereinigt und sich alle Gegensätze mit einander aussöhnen; die Predigt vom lebendigen, persönlichen Jesus Christus besitzt allein das Geheimnis, sich allen Bedürfnissen, auch den entgegengesetzten, durch die Biegsamkeit, die dem Leben eigen ist, zu fügen. Durch diese Predigt wird das ganze Evangelium in seinem Wesen und seinem Mark zusammengefasst und ruft den ganzen Menschen mit seinem Verstand, Gefühl und Willen zu sich, durch sie wird die Fülle des göttlichen Lebens auf allen Punkten mit der Fülle des menschlichen Lebens in Berührung gebracht.

Meine lieben Amtsbrüder, ich möchte meines Theils nach dem mir gegebenen Maße solchen heiligen Beispielen folgen und allen meinen Predigten die Eigentümlichkeit aufdrücken, die ich so eben in Johannes Schriften hervorhob; ich möchte der Betrachtung meiner Zuhörer den lebendigen, persönlichen Jesus Christus beständig vorführen, nachdem ich angefangen habe, ihn selbst zu ergreifen. Ich möchte euch weniger vom Christentum, von seiner Lehre, seiner Geschichte, seiner göttlichen Eingebung sprechen, als euch Jesus Christus selbst zeigen und geben. Ja ich wünschte noch mehr; nicht damit zufrieden, der Person Jesu Christi den ersten Platz vorzubehalten, möchte ich den Mittelpunkt und den Kern meines ganzen Amtes aus ihr machen, möchte sie in jedem andern Gegenstande und diesen in ihr betrachten. Was die Glaubenslehre anbetrifft, so möchte ich sie mit Schärfe herleiten, mit Methode auslegen und mit Kraft verteidigen, denn das ist zweifellos gut und oft notwendig; aber ich möchte sie vor allem auf die Tatsache der Person Jesu Christi beziehen: ich möchte die göttliche Barmherzigkeit in der Sendung seines lieben Sohnes zeigen, das Geheimnis der Dreieinigkeit in dem Wunder seiner Geburt, die unverdiente, dem Glauben verheißene Gnade in den Heilungen, die er bewirkt, den Fluch der Sünde und die Versöhnung in seinem Tode, das Pfand unsrer Auferstehung in seiner Auferstehung, den für die Seinigen geöffneten Himmel, dessen Herrlichkeit und Freude er selbst ist, in seiner Himmelfahrt. Was die Sittenlehre anbelangt, so ist es gut, dass man die Verpflichtungen klar darlegt, dass man sie auf die Grundwahrheiten zurückführt, sie durch die Schrift rechtfertigt und sie dem Gewissen einschärft; ich möchte sie aber vor allen Dingen mit der Person Jesu Christi, diesem lebendigen Gesetz, in dem sich die That mit dem Gesetz vereinigt, beleuchten; ich möchte die Liebe aus seiner Sendung, die Entsagung aus seinem Gehorsam, die Frömmigkeit aus seinen Gebeten, die Wahrheit aus seinen Reden, die Geduld aus seinem Leiden und die Heiligkeit aus seinem ganzen Sein dartun. Was sodann die Geschichte anbetrifft, so ist die biblische Geschichte ohne Zweifel die wahrste, die schönste und lehrreichste unter allen Geschichten und reich an heilsamen Worten und Beispielen, ich möchte aber vor allem die zerstreuten Glieder unter die lebendige Einheit der Person Jesu Christi sammeln, der für sich allein vor und während und nach seiner kurzen Erscheinung auf der Erde alle Geschichtsbücher der Menschheit ausfüllt: ist er doch gegenwärtig figürlich in den Vorbildern des alten Bundes, leibhaftig in den Begebenheiten des Evangeliums, geistig in der Entwicklung der Kirche, auf Hoffnung in der Verheißung seiner Zukunft. Was endlich das göttliche Ansehen der Schrift anbetrifft, so müssen wir dies unstreitig auf die Weissagungen, Wunder und Taten gründen, die einen schlichten Verstand unwiderstehlich überzeugen; aber ich möchte auch hier vorzüglich auf die Person Jesu Christi hinweisen, wie Jesus Christus sich auf das geschriebene Wort stützt, wie er dasselbe bezeugt und von ihm Zeugnis erhält, wie Jesus bei den Propheten anerkennt und bei seinen Aposteln verbürgt, dass sie vom Geist Gottes getrieben sind; wie er durch die That die schwierigsten Fragen der heiligen Kritik löset; - kurz wie Jesus Christus ohne Irrtum und ohne Sünde ist, zwei Sätze, welche die Hauptstücke der Glaubens- und der Sittenlehre, die unbeweglichen Pole des menschlichen Gewissens bilden. Ja, mein Herr und mein Gott, ich und jeder gläubige Prediger mit mir möchte nur in dir den Anfang, die Mitte und das Ende meines Amtes finden. Mich hungert und dürstet nach dir, nach deinem Leben, nach deinem Geist, deinem Fleisch und Blut; mich verlangt danach nicht nur für mich, sondern auch für Alle, die mich hören. Dich will ich auf dieser Kanzel predigen, dich dem Volk verkündigen, über dich meine Schüler belehren, dich in den Sakramenten austeilen, dich und nur dich.

Doch außer diesen bleibenden Gründen, die mich zu jeder Zeit bestimmen würden, die lebendige Person Jesu Christi hoch zu erheben, habe ich noch einen unserer Zeit angehörenden Grund in der Eigentümlichkeit der religiösen Erweckung, die unser Jahrhundert auszeichnet. Ihr wisst, was ich unter Erweckung verstehe. In jenen unglücklichen Zeiten, wo ganze Nationen und die unsre mit an der Spitze den Bund ihres Gottes verlassen hatten, waren unsre Kirchen in unvermeidlicher Folge des allgemeinen Abfalls allmählich von ihrem ersten Glauben abgewichen und hatten die eigentümlichen, lebendigen Lehren des christlichen Glaubens verlassen. Gott hatte aber Erbarmen mit uns und erinnerte sich unserer Väter, er nahm sich nach einander aller protestantischen Kirchen an, er gab ihnen das Evangelium von der Gnade wieder und schaffte im Innern der Reformation eine neue Reformation, die sich nach gewissen Seiten an eine größere Bewegung anschließt, an welcher alle christlichen Gemeinschaften Theil nehmen. Muss ich es erwähnen, dass diese Erweckung sich meiner ganzer Teilnahme erfreut? In meinen Augen ist sie wert, dass man sie der des 16. Jahrhunderts zur Seite, ja, gewissermaßen über sie stellt; die Werkzeuge dieser Erweckung scheiden schon allmählich von der Erde; sie verdienen es, dass man die noch Lebenden segnet und die Gestorbenen beweint, denn sie gehören zu den ersten Wohltätern ihres Geschlechts; kurz diese Erweckung ist eine solche, der Gottes Hand sichtbar aufgedrückt ist, und der er die Hoffnung der Kirche und die Keime einer bessern Zukunft anvertraut hat. Es ist aber noch keine vollkommene Erweckung, auch keine Erweckung, die ihr letztes Wort bereits gesprochen hat. Nun, dieses letzte noch nicht gesprochene Wort ist das, was ich heute zu stammeln versuche, mit Andern und nach Andern und gewiss auch mit jedem gläubigen Prediger Jesu Christi. Ja, ich behaupte, dass die Betrachtung der lebendigen Person Jesu Christi nicht gänzlich, aber doch sehr in unsrer Erweckung vernachlässigt ist. Diese ist sich mehr der Gegenwart des geschriebenen als des lebendigen Wortes bewusst; sie ist also mehr biblischer, als geistiger Art, um es mit einem Worte zu sagen. Man hat den Werth des geschriebenen Wortes klar begriffen und laut anerkannt. Man hat es ohne Rückhalt als göttliche und einzige Richtschnur des Glaubens angenommen, und der protestantische Grundsatz, den man in dem Ausdruck zusammenfasste: „die ganze Bibel und nur die Bibel!“ ist in seiner ganzen Wahrheit, ja in seiner ganzen Strenge verkündigt. Daher rühren diese lauteren Meinungen, diese bestimmten Überzeugungen und ein seltenes Maß von Glaubensreinheit, wie man auf bezeichnende Weise gewöhnlich die Reinheit der Lehre benennt. Es rührt daher eine Klarheit des Unterrichts und eine Kraft der Predigt über einige wesentliche Stellen des Evangeliums: über das menschliche Verderben, über die Rechtfertigung durch den Glauben, die göttliche Herrlichkeit Jesu Christi, die Erneuerung durch den heiligen Geist, über die unverdiente Gnade Gottes im Erlösungswerke, - eine Klarheit und Kraft, wie sie seit den Tagen der Ausgießung des heiligen Geistes vielleicht in keiner Zeit ähnlich vorgekommen oder übertroffen ist. Eben daher rührt endlich auch ein dem 16. Jahrhundert fremder Eifer, der Welt das Evangelium zu predigen durch die Bibel, daher die Arbeiten, die die ganze Erde umfassen; man bedient sich der zunehmenden Leichtigkeit der Verbindungen zwischen Land und Meer zum Dienste Gottes, und so entsteht diese ganze große Bewegung, die einen christlichen Denker (Stapfer) zu dem Ausspruch veranlasste: „war das erste Jahrhundert die Zeit der Erlösung und das 16. die Zeit der Reformation, so ist das 19. Jahrhundert die Zeit der Bibel.“ Dies Wort schildert die Vorzüge unsrer Erweckung vortrefflich, zeigt aber zugleich, was ihr fehlt. Sie ist mit den Früchten des geschriebenen Wortes reich bedacht, hat aber die Früchte des lebendigen Wortes in geringerem Maße gesammelt.

Ich berufe mich hierbei auf eure eigenen Erinnerungen.

Wo sind die, welche Jesu Christi lebendiger Person, seiner geistigen Gegenwart, der Inneren Gemeinschaft mit ihm die Stelle einräumen, die der heilige Geist ihnen im Evangelium anweist, während seine Lehre, sein Sittengesetz, sein Werk und seine Geschichte sorgfältig studiert und offen und klar verkündigt werden? Hat diese Frage, die ich jetzt an euch richte, nicht für Manche etwas Neues, was als Antwort genügt? Wenn man einer gewissen Predigtart vorwerfen kann, dass sie ein Christentum ohne Christus gibt, kann man denn nicht der unsrigen vorwerfen, dass sie manchmal mehr Christentum als Christus gibt? Und wenn sie ihn predigt, ist es nicht mehr ein äußerer, als innerer Christus, oder wenn ich so sagen darf, mehr ein gesprochener oder geschriebener, als der empfangene, empfundene, erlebte Christus, den sie predigt? Freilich kann man, wenn man den Platz betrachtet, der dem heiligen Geist bei der Erweckung eingeräumt ist, nichts anderes erwarten. In unsern Tagen werden der Vater und seine unverdiente Gnade, der Sohn und sein Versöhnungsopfer viel mehr in Betracht gezogen, als der heilige Geist, seine Person, sein Werk und alles neue, was er in dem Herzen schafft. Wenn man gewisse Mitglieder dieser Versammlung anredete, wie einst Paulus jene Jünger zu Ephesus fragte: „Habt ihr den heiligen Geist empfangen, als ihr gläubig geworden seid?“ würden dann nicht einige die gleiche Antwort geben: „Wir haben auch nie gehöret, ob ein heiliger Geist sei?“ Und doch ist dieser Geist die unterscheidende Verheißung des neuen Bundes, das besondere Kennzeichen der christlichen Kirche, die Krönung des göttlichen Werkes und der apostolischen Lehre. Es war bei dieser Lücke in der Erweckung nicht möglich, dass der lebendige, persönliche Jesus Christus, der uns nur durch den heiligen Geist offenbart oder vielmehr mitgeteilt werden kann, den Platz erhielt, der ihm zukommt.

Wir leben nicht mehr in einer Zeit, in der man diese Schwäche in der Erweckung weder gefühlt noch erkannt hat, wir leben aber noch nicht in einer Zeit, in der man sie klar unterscheiden oder entschieden aufgeben könnte. Lasst mich euch das unbestimmte Missbehagen erklären, woran die Erweckung leidet, und das sich unmöglich verkennen lässt. Es scheint uns, als seien die Tage der ersten Freude und der ersten Freiheit vorüber; wir sind trübe, unschlüssig, ja sogar niedergeschlagen, als hätte das Evangelium seine alte Kraft verloren und hätte nicht alle Verheißungen erfüllt; wir sind mit der Vergangenheit unzufrieden und fordern von der Zukunft in der Erweckung eine neue Erweckung. Nun wohl, wir glauben aus Herzensgrund, dass diese Erweckung in der Erweckung darin besteht, dass wir die lebendige Persönlichkeit Jesu Christi ergreifen. Wenn ihr euch selbst Rechenschaft gebt von den unbestimmten Klagen über die Erweckung, so werdet ihr finden, dass es kein wirksameres Mittel sie zu verscheuchen gibt, als dass ihr von nun an der Person Jesu Christi alle Ehre erweist, die ihr gebührt, und die ihr nicht erwiesen ist.

Es wird darüber geklagt, dass es unsrer Erweckung, wenn man sie in ihrer Beziehung zu dem einzelnen Menschen nimmt, an geistigem Leben fehlt. Ich verstehe unter geistigem Leben weniger das allgemeine religiöse Leben, als eine wesentliche Form des religiösen Lebens, die aber so wesentlich ist, dass man sie eher Inhalt als Form nennen müsste, denn es ist die innere Gnade des heiligen Geistes, das mit Christo verborgene Leben in Gott, die aus Liebe und Demut!) bestehende Weihe des Heiligtums, die das Eigentum und Geheimnis christlicher Heiligkeit sind, und die sich nach außen durch genaue und ruhige Pflichterfüllung kund geben. Gehe ich nun, meine lieben Brüder, zu weit in euerm Namen, wenn ich behaupte, dass ihr mit mir euch nach diesem Leben aus Gott sehnet, und dass ihr voll Schmerz mit mir bekennt, dass es, ich will nicht sagen, zu wenig erblickt, (das liegt nicht in seiner Natur), sondern dass es nicht genug unter uns gesucht wird? Hat die Frömmigkeit unserer Erweckung nicht zu viel Dogmatisches in ihrer Auffassung, zu viel Unruhe in ihrer Handlung, zu viel Äußerlichkeit in ihren Bestrebungen, zu viel Glänzendes in den Werken, zu viel Menschliches in den Mitteln? Freilich, man musste tun was man that, aber man musste es auf bessere Weise tun. Man musste Gott, seinem Geist, seiner Kraft, die in der Schwachheit mächtig ist, einen größeren Platz einräumen und einen kleineren dem Menschen, der gesellschaftlichen Einrichtung, der öffentlichen Besprechung; und obgleich viel Gutes geschehen ist, so dürfen wir doch fragen, ob nicht mit mehr Gebet und mit weniger Erregtheit, mit mehr Sammlung und weniger Reden noch mehr geschehen wäre. Wir müssen uns, indem wir vor vielen Zeugen ein gutes Bekenntnis des ewigen Lebens ablegen, auch in dem Heiligtum unsers häuslichen Lebens als Gotteskinder beweisen; wir müssen unser Herz zügeln, uns darf nicht nach Reichtümern gelüsten, wir müssen der Gerechtigkeit, der Frömmigkeit, dem Glauben, der Liebe und Sanftmut!) nachstreben. Wir müssen nicht nur das Evangelium an s Ende der Erde schicken, sondern auch den täglichen Verpflichtungen des häuslichen Lebens genügen, die Frau zärtlich lieben, die Kinder christlich erziehen, über die Seelen der Untergebenen wachen und jeden Anschein vermeiden, als versäumten wir die unsrigen, denn sonst wären wir, wie Paulus sagt, ärger denn die Heiden. Kurz, wir müssen uns eine weniger äußerliche, aber wesentlichere, tätigere, demütigere, ja lebendigere Heiligkeit aneignen und vor allen Dingen Menschen voll Entsagung und Liebe werden. Woher, meine teuren Brüder, kommt es, dass dies noch nicht der Fall ist? Man richtete sich bis jetzt zu viel auf den Gedanken und zu wenig auf das Leben, zu viel auf das, was ein Mensch denkt und sagt, und zu wenig auf das, was er tut, oder vielmehr was er ist; man beschäftigte sich zu viel damit, zu erfahren, ob Einer die Lehre Jesu Christi, die Bekenner Jesu Christi und seinen Dienst annehme und zu wenig damit, ob er Jesus Christus selbst in sein Herz aufgenommen habe und ihn überall bei sich trage. Wenn es einen Zug gibt, der Jesus Christus in seinem menschlichen Leben bezeichnet, so ist es diese innere und friedliche Weihe, von der ich spreche; und was ihr selbst den Geist Jesu Christi nennt, ist nicht der Geist der Tätigkeit, des Eifers, der Wahrheit, der Kraft, des Mutes, obgleich sich alle diese Eigenschaften in dem vollkommenen Menschen vereinigt finden, sondern es ist der Geist der Geduld, der Demuth, der Entsagung und der Liebe, den auch ihr vor allem andern für euch und für die Erweckung begehrt. Was können wir nun anderes tun, um ihn zu erlangen, als dass wir mit Jesus Christus und in seiner Gemeinschaft leben, ja dass wir ihn in uns aufnehmen, dass wir durch den heiligen Geist in ihm bleiben und er in uns, oder dass wir mit andern Worten uns an seine lebendige Persönlichkeit halten, damit man nicht auch von uns, so rechtgläubig wir auch sein mögen, sagen könne, was man mit eben so viel Geist als Wahrheit von dem kalten, verneinenden Christentum, dem Gott uns gnädig entzogen hat, sagte: „Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben?“ Trauet nur eurer eigenen Erfahrung. Sehnet ihr euch nicht nach solchen Tagen und Augenblicken, in denen ihr mit Jesus Christus lebtet und euch jenem geistigen Leben am nächsten fühltet, wo ein demütiges und brünstiges Gebet euer Herz mit dem heiligen Geist erfüllte und eure Seele aufs innigste mit dem wahren Gott, dem ewigen Leben und dem Lebensfürsten vereinigte? O, lasset uns immer in ihm leben, so werden wir das Leben und volle Genüge haben.

Es wird ferner darüber geklagt, dass es unsrer Erweckung in Bezug auf die Kirche an der brüderlichen Einheit fehle, die unter wahren Christen stattfinden soll. Wenn die wahre Eintracht auch von der ganzen Erde verbannt wäre, so sollte sie doch noch im Herzen der Gotteskinder eine Zuflucht finden. Ich würde meine Zeit verlieren, wenn ich beweisen wollte, wie köstlich diese Eintracht ist, sowohl für die Kirche, die daran die erste Bedingung ihres Gedeihens hat, und die daraus Hoffnung ans die Einheit des Gottesdienstes und des Bekenntnisses schöpft, von denen man so viel spricht, - als auch für die Welt, denn sie glaubt ihr mehr als allem übrigen, und glaubt nichts ohne sie und bewahrheitet so auf ihre Weise des Herrn Wort: „Dabei wird Jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, so ihr Liebe unter einander habt.“ Fehlt diese Eintracht, so ist es eine Trauer für die Kirche und ein Ärgernis für die Welt; und leider bestehet dies Ärgernis. Jeder weiß mehr davon, als ich hier sagen kann und will. Wenn wir nur einen vorübergehenden Blick auf unsre Zeitschriften, auf unsre religiösen Einrichtungen, auf unsre Kirchen werfen, so ist er hinreichend, um mit Beschämung zu erkennen, dass der Grundzug der brüderlichen Liebe, der sich gottlob bei einigen großen Gelegenheiten zeigt, gewöhnlich von traurigen, Trennungen durchkreuzt wird, die nicht immer im Innern der religiösen Familie verschlossen bleiben. Wir wollen aber der Erweckung Gerechtigkeit widerfahren lassen: diese Trennung hat ihren Grund in den Gewissen; sie geht mehr von Grundsätzen als von Leidenschaftlichkeit, mehr von Meinungsverschiedenheit als von Hass aus; ja wir wollen ihr noch mehr zugestehen, sie ist der Missbrauch oder das Verkennen einer an sich guten Sache. Jeder von uns (und das gilt sowohl von Kirchen, als von Einzelnen) hat seine Stellung, Fähigkeit und persönliche Zuneigung im Verhältnis zur gemeinschaftlichen Wahrheit, und vielleicht hat er nach diesen Verschiedenheiten, welche die Gnade heiligt, ohne sie aufzuheben, seine besondere Aufgabe in dem Plane Gottes. Da nun kein Geist fähig ist, die Wahrheit nach allen Seiten vollständig zu erfassen, so ist das gut, denn ohne diese Verschiedenheit von Gaben und Meinungen würden einige Seiten unbeleuchtet bleiben. Doch bleibt dies nur so lange gut, als sich die besonderen Interessen dem großen, allgemeinen Wohl unterordnen, und die Hauptsachen, worin wir alle einig sind, in unsern Sitten die Nebensachen, worüber man nicht einig ist, wie es in der Schrift geschieht, beherrschen. Das fehlt aber gerade; man hat sich gegenseitig das bei solchen Sachen ansteckende Beispiel gegeben, dass man dem den ersten Platz anweist, was Gott an den zweiten stellte, und man hat sich bei dem Untergeordneten eben so bestimmt und unbeugsam als bei dem Wesentlichen gezeigt, und dadurch ist die brüderliche Eintracht unmöglich geworden. Es wird jetzt allgemein anerkannt, und zu gleicher Zeit, da das Herz der Gotteskinder in allen Weltteilen sich nach der Vereinigung sehnt, erkennt ihr Verstand, von der Erfahrung belehrt, dass man diese nur dann erlangen kann, wenn man freimütig die Nebensache der Hauptsache unterordnet; die „evangelische Alliance“ legt davon ein Zeugnis ab; sie bildet sich an allen Orten, und was man auch von ihr denken mag, so entsteht sie doch aus einem christlichen Bedürfnis und wird sich gewiss auch Bahn brechen. Ich frage aber alle meine Brüder, wie gelangt man dahin, dass man den Hauptwahrheiten den ersten Platz, der ihnen ausschließlich zukommt, einräumt, wenn man nicht den persönlichen, lebendigen Jesus Christus, der der Grund selbst ist, am höchsten stellt? Hätte man sich wohl um Nebensachen trennen können, wenn man die Augen immer auf den gerichtet hätte, in welchem alle eins sind, der uns alle gleich liebt und von uns gleich geliebt wird? Wenn der Streit der Apostel, der uns in den Evangelien erzählt wird, auch eben so ernst gewesen wäre, als er leicht war, glaubt ihr, dass er ihnen noch bedeutend genug erschienen wäre sie zu trennen, als sie sich bald darauf um ihren Meister versammelt sahen? Selbst wenn er sie nicht gefragt hätte: „Was handeltet ihr mit einander auf dem Wege,“ so würde schon seine bloße Gegenwart, sein Blick, der gemeinsame Schatz, den sie an ihm haben, sie vereinigen; und werden sie nicht, indem sie sich ihm nähern, auch sich einander unwillkürlich nähern? Denket euch nun eine Versammlung wahrer Christen, welche durch alle die Meinungsverschiedenheiten getrennt sind, die heutigen Tags das Volk Gottes teilen; sie sprechen über die unierte Kirche und die freie Kirche, über die Lutherische und Calvinische Ansicht vom Abendmahl, über Prädestination und allgemeine Erlösung, und man hat sich ereifert, hat gestritten und sich erbittert; plötzlich erscheint Jesus in der Mitte seiner Jünger, wie damals in dem hohen Saal; er begrüßt sie mit seinem: „Friede sei mit euch;“ er betet, und sie hören das Wort aus seinem Munde: „Auf dass sie alle eins sein, gleichwie du Vater in mir und ich in dir!“ - aber wenn er auch nicht mit ihnen betet oder redet, wenn er nur in ihrer Mitte ist und alle Augen auf ihn gerichtet sind, was wird aus allen jenen Streitigkeiten! wie sinken sie auf den zweiten, den dritten, den zehnten Platz hinab! Das rührt daher, weil ein Augenblick gekommen ist, der nicht ausbleiben könnte, wenn der lebendige, persönliche Jesus Christus das für uns wäre, was er sein sollte. Ach gebt mir nur die lebendige Persönlichkeit Jesu Christi, wie sie war oder vielmehr ist, so gebe ich euch die Eintracht der Brüder und mit ihr das Wohl der Kirche und die Erbauung der Welt. Ich sagte, dass wir alle unsre Stellungen, Fähigkeiten und Neigungen haben ; wir besitzen aber alle nur einen Christus, und wer möchte einen andern dafür nehmen? Stellen wir ihn an seinen rechten Platz, so werden wir einander, ohne darum unsre eigene Überzeugung aufzugeben, verstehen, ertragen und suchen und der Welt zeigen, dass wenn es mehr als eine Hürde gibt, es doch nur eine Herde und einen Hirten gibt.

Es wird endlich noch darüber geklagt, dass es der Erweckung in ihrer Beziehung zur Welt an Kraft gebricht, das Evangelium auszubreiten. Man kann nicht sagen, dass die Verkündigung des Evangeliums vernachlässigt wird; sie ist vielleicht seit den Arbeiten der Apostel nie so tätig noch so hingebend gewesen, niemals wenigstens so rein und so ausgebreitet, selbst nicht in den Tagen der Reformation. Die Predigt des Evangeliums ohne Leidenschaft und ohne Grenze, sie ist die hervorleuchtendste und herrlichste That der jetzigen Erweckung. Nun fehlt es freilich dieser Predigt nicht an Erfolgen, aber sie stehen in keinem Verhältnis zu ihren Anstrengungen und Opfern. Nichts gleicht hier jenen großen Bewegungen der Reformation, die ganze Völker hinriss. Und mag man auch den Einwand machen, dass die Politik dabei eben so großen Einfluss als die Religion ausübte, und die erste Kirche eben so wenig die großen Volksbekehrungen kannte, so gibt es doch jetzt nichts, was sich mit jener allgemeinen, großen und tiefen Bewegung vergleichen ließe, die das Wort der Apostel und der Reformatoren um sich verbreitete. Der heutige Erfolg ist beschränkt, die Gewalt über das Jahrhundert fehlt, wir bleiben vereinzelt. Woher kommt das? Es gibt unstreitig unter den Menschen, die sich vom Evangelium fern halten, solche, die „ihr eignes Gewissen vor Gott verdammt, und die das Licht fliehen, um die Werke der Finsternis zu verbergen; zweifelt aber nicht daran, dass es andere, ja dass es viele gibt, die eine höhere Gesinnung haben, und die in ihrem Widerstand gegen die Wahrheit, die sie bewundern, den Bedürfnissen des Verstandes, des Herzens und vielleicht des Gewissens zu gehorchen glauben. Weshalb findet keine Annäherung zwischen uns und solchen Menschen, die des Evangeliums ohne ihr eigenes Wissen bedürfen, statt, da es uns doch am Herzen liegt, sie dazu heranzuziehen? Müssen wir uns den Fehler nicht selbst zuschreiben? haben wir uns ihnen nicht zu viel mit dem geschriebenen Wort und dem Gedanken und zu wenig mit dem lebendigen Worte und dem Leben genähert? Wir haben ihnen die Bibel geboten, aber man liest die Bibel erst, wenn man sich zu ihr hingezogen fühlt; um aber sich zu ihr hingezogen zu fühlen, muss man sie gelesen haben; wie soll man diese Schwierigkeit lösen, wenn nicht ein erster Anstoß erfolgt, den ein Buch, selbst Gottes Wort selten gibt? Wir haben ihnen durch Wunder und Weissagungen bewiesen, dass die Bibel geoffenbart ist; diese Beweise, wie begründet sie auch sind, dringen nicht bis in das Innere des Menschen, wo sich die großen Fragen entscheiden, und sind nicht nach dem Zeitgeschmack, der keine belehrenden Auseinandersetzungen liebt. Dies unmittelbarere, eindringendere, eingänglichere, lebendigere gewisse Etwas, dieser Punkt, auf den man immer zurückkommen muss, wo finden wir es? Ihr habt schon statt meiner geantwortet: „In der Person Jesu Christi.“ Ich sage euch, rechnet denn auf sie, sie wird sich bewähren, sobald sie sich zeigt. Stellt euren Zuhörer vor Jesus Christus, den Heiligen der Heiligen, wie er Gottes Gesetz in gänzlicher Vollkommenheit erfüllt; stellt ihn vor Jesus Christus, das irdische Ebenbild der himmlischen Liebe, der umher geht und Segen verbreitet; vor Jesus Christus, der da heilet, tröstet, vergibt und selig macht; - und dann sehet zu, ob die Tiefe seiner Seele nicht durch Jesu Sendung, Geschichte und Leben bei der Aussicht, dass auch er ihn als Tröster und Heiland haben kann, erschüttert wird? Ihr habt ihn nicht von der Bibel zu Jesus hinführen können, versuchet es denn, ihn von Jesus zur Bibel zu führen. Reichet ihm aus Jesu Händen die Bibel als sein Buch, als das Buch, dem Jesus sein ganzes Herz ergeben hatte, das ihm im Tempel, in der Wüste, auf dem Berge und bis zum Kreuz als Stütze diente; und dann sehet zu, ob er es wagt, Gott in einem Zeugnis zu verkennen, worin Jesus Gott ganz fand. Ihr Protestanten, die ihr vielleicht gegen unser Evangelium eingenommen seid, würdet ihr nicht, wenn wir euch in allem Jesus Christus predigten, und euch kein Ausweg bliebe, als das, was wir predigen, anzunehmen, oder Jesus Christus zu verwerfen, eure Wahl bald getroffen haben? Ihr römischen Katholiken, würdet ihr nicht im Geist und im Herzen, wenn auch nicht dem Namen nach unser sein, sobald wir euch in unsern Predigten nur Jesus Christus in der Fülle seines gottmenschlichen Lebens darstellten, wenn wir euch in seiner lebendigen Person die Wirklichkeit seiner wahren Gegenwart darböten, die ihr mit Recht sucht, die ihr mit Unrecht leiblich und augenscheinlich verlanget, statt sie vom Glauben und vom heiligen Geiste zu erwarten? Und auch ihr Klugen und Weisen dieser Welt, ihr Lichter der Erde, die wir in Lichter Gottes verwandeln möchten, würdet ihr nicht in ihm das finden, was euer Geist ahnt, was euer Herz verlangt und euer Gewissen fordert, wenn wir vor euch alles andre auslöschten oder zurückstellten und nur Jesus Christus erscheinen ließen? Nein, meine Brüder, ehe wir nicht Jesus Christus, seine Person und sein Leben in ganzer Herrlichkeit verkündigt haben, wissen wir nicht, welche Gewalt und welchen Einfluss das Evangelium auf jeden Menschen übt, - ja auf alle Menschen, wie der Apostel sagt. Alle großen und wahren Gedanken begegnen und vereinigen sich auf der Höhe, auf der wir uns dann befinden, wie in einer höheren Luftschicht; und Jeder, der aufrichtigen Herzens ist, erkennt auf seine Art, dass Jesus Christus des Menschen Ruhe, sein Licht, sein Heil und sein Gott ist; dass er in sein Eigentum kam, als er in die Welt kam, und dass die Seinigen ihn aufnehmen müssen, wenn sie sich nicht selbst verdammen wollen.

Hatte ich nun Unrecht, meine lieben Brüder, dass die Predigt von der lebendigen Person Jesu Christi, die zu allen Zeiten nötig ist, in unserer Zeit doppelt notwendig ist, da sie allein alle Hoffnungen der Erweckung verwirklichen, sie allein den gegenwärtigen Entscheidungskampf zu einem glänzenden Erfolg führen kann?

Das Christentum hat zwischen der apostolischen und unserer Zeit zwei große Zeitpunkte des Ruhmes und des Gedeihens gehabt: die erste Kirche und die Kirche der Reformation. Wenn sie gleich im Glaubensgrunde einig sind, so verfolgen sie doch so verschiedene Bestrebungen, dass jede für sich allein unvollständig ist, sie sich aber gegenseitig ergänzen. Das ist nun einmal die Eigentümlichkeit der menschlichen Dinge; die Offenbarung allein hat das Vorrecht, alles in vollkommenem Gleichgewicht zu umfassen, weil in ihr nicht der Mensch, sondern der heilige Geist wirksam ist.

Die erste Kirche, dieser Zeitraum der kindlichen Natürlichkeit, ist noch ganz von jenem ursprünglichen Leben beseelt, das nicht daran denkt, sich auf sich selbst zu stützen, sondern ganz von den Erinnerungen des persönlichen Heilandes durchdrungen, fast Zeuge seiner Gegenwart im Fleisch und auf's Innigste mit dem lebendigen Wort erfüllt ist. Sie spricht von Jesus Christus, wie von einem Freunde, der verreist ist und wiederkommen wird; deshalb können wir uns nicht über die ihr so eigentümliche, liebliche, lebendige Freude und Hoffnung wundern. Die erste Kirche wird auf s Treffendste bezeichnet durch das Wort eines ihrer gläubigsten Vertreter, des heiligen Polykarpes: „Jeder Christ muss ein Christophorus sein“, das heißt ein Träger Christi. Sie beschäftigt sich weniger mit dem geschriebenen Worte, namentlich mit dem neuen Testament, das sie auch zu sammeln kaum Zeit hatte. Wir können sagen, dass sie, da sie sich erst so wenig von dem Leben selbst entfernt fühlt, weniger als wir das Bedürfnis nach geschriebenen Zeugnissen hat, oder dass sie die Apostel noch zu nahe sieht, als dass sie die ganze Höhe, mit der sie sich über ihre Umgebung erheben, ermessen könnte. Es ist mehr der Zeitraum des Lebens als der Schrift. Wir können es uns denken, dass Johannes ihr Lieblingsapostel ist; ihn hat sie denn auch mit dem Namen: der Theologe geehrt, während unsere Erweckung wie auch die Reformation diesen Namen ohne Zweifel eher für Paulus in Anspruch nehmen würde.

Im sechszehnten Jahrhundert hat sich alles geändert. Es ist dieselbe Frömmigkeit, aber es sind andere Zeiten. Die Aufgabe der Reformation ist, das geschriebene Wort unter dem Scheffel hervorzuziehen, mit dem man es so lange zugedeckt hatte, um seinen Namen ungestraft missbrauchen zu können. Diese Aufgabe löst sie auf s Rühmlichste. Man sammelt die Macht der Kenntnisse und der aufblühenden Wissenschaften und sucht damit dies Wort zu ergründen, seinem Ursprung nachzugehen, seine Rechte anzuerkennen und sein göttliches Ansehen, vor dem sich alle menschliche Erkenntnis; beugen muss, zu verkündigen. Die Buchdruckerkunst, die eigens zu diesem Zwecke erfunden zu sein scheint, gibt diesem Worte eine bis dahin unbekannte Verbreitung. Sie erklärt es in Kommentaren, die gleich zu Anfang alles übertreffen, was das Mittelalter oder auch die erste Kirche hervorbrachte. Dann fasst sie alles in Glaubensbekenntnissen zusammen, die durch das Verständnis der Lehre, durch die Klarheit der Auslegung, durch die Anordnung des Stoffes, durch die Fülle der Unterweisung alles Vorhergegangene bei weitem übertreffen, und welche allen diesen Verdiensten noch das hinzufügen, dass sie eine wesentliche Übereinstimmung zeigen, die durch ihre Zahl und ihre untergeordneten Verschiedenheiten nur um so deutlicher hervorgehoben wird. Das ist nun wirklich der Zeitraum des geschriebenen Wortes und im geringeren Maße der Zeitraum des lebendigen Wortes. Wir können nicht sagen, dass der heilige Geist und die Person Jesu Christi nicht in der Reformation ergriffen und verkündigt sei, aber sie sind nicht so hervorgehoben, wie das Ansehen der Schrift. Auch dieser Zeitraum hat seinen Lieblingsapostel, und das ist, wie man sich wohl denken kann, Paulus; und wenn die Reformation ihm nicht einen Lieblingsnamen, wie die erste Kirche dem Johannes gegeben hat, so fürchtete sie wahrscheinlich einen Grundsatz zu verletzen; aber Paulus ist darum doch augenscheinlich der Mann Luthers, Calvins und der Reformation im Allgemeinen.

Für uns handelt es sich nun nicht darum, unter diesen beiden Zeiträumen zu wählen und noch weniger unter diesen beiden großen Aposteln, in deren Person sie sich vorzugsweise verkörpern, sondern es handelt sich darum, sie mit einander zu vereinigen. Wir finden etwas aus dem ersten in dem sechszehnten Jahrhundert, wie dies auch umgekehrt der Fall ist; auch ist es überflüssig, hinzuzufügen, dass wir etwas im Paulus, der auf die Lehre hält, vom Johannes finden, und im Johannes, der auf das Leben dringt, vom Paulus.

Es gilt die Richtung der ersten Kirche und der Reformation zugleich anzunehmen, nicht um sie einander entgegenzusetzen, sondern sie durcheinander zu kräftigen; es gilt sie zu einem neuen Zeitraum mit einander zusammenzufassen, der den vollen Inhalt des Evangeliums, aus dem jene beiden geschöpft haben, verwirklichen und so dem geschriebenen und dem lebendigen Worte gleiche Ehre geben wird; dadurch wird er zugleich dem doppelten Bedürfnis! des Glaubens und dem doppelten Verlangen der Natur genügen, indem er der Lehre und dem Leben, der Schrift und dem Geist gleiches Recht einräumt. Das ist meiner Ansicht nach die Aufgabe des kommenden Zeitraums, die Eigentümlichkeit der kommenden Kirche, die ich von ganzem Herzen herbeiwünsche.

Sollte Jemand unter der Kirche der Zukunft eine freie Gemeinde verstehen, in der das geschriebene Wort etwas von seinem uralten, durch die Jahrhunderte anerkannten, geprüften und bewährten Ansehen verloren hätte, und in der die feste und beständige Lehre dieses Wortes der beweglichen und persönlichen Lehre des menschlichen Geistes gewichen wäre, so will ich keine solche Kirche der Zukunft. Versteht man aber unter Kirche der Zukunft eine solche, in der das geschriebene und lebendige Wort zu gleichen Rechten herrschen, weil sie göttlich sind; in der das geschriebene Wort sein ganzes Ansehen behält, uns aber das lebendige Wort in seiner ganzen Fülle gibt, und in der das lebendige Wort dem geschriebenen Wort Ehre um Ehre erweist und es uns auf s Neue darbietet, als wäre es von der Hand desjenigen geschrieben, der es offenbarte; in der Jesus Christus nicht nur mit seiner Gegenwart Himmel und Erde erfüllt, sondern die Schrift der Wahrheit und das Herz des Gläubigen, in der er sich dem Bewusstsein der Kirche darstellt, als Heiland und Gott, als ewiger Fels; in der die Glaubens- und die Sittenlehre, die Geschichte, die Offenbarung, die apologetische und selbst die kritische Wissenschaft von dem innersten Mittelpunkt seines Wesens aus betrachtet und in seiner Person zusammengefasst wird; in der Jesus Christus der Zeuge der Wahrheit, der Ausleger der heiligen Schrift, die Kraft der Wunder, der Inhalt der Weissagungen, der Abriss der Geschichte, der Inbegriff der Lehre, der Heilsweg, das Gesetz des Gläubigen, der Schatz seiner Seele, das Leben seines Lebens ist; o! dann möge sie kommen, die Kirche der Zukunft, herbeigerufen durch die Gebete Aller derer, die von dem geliebten Jünger sagen lernten: Komm, Herr Jesus, komm! Möge sie kommen mit Flügeln von Gottes Odem angeschwellt, und möge sie über uns ausschütten einen neuen Tau der Kraft aus der Höhe, eine neue Weihe brüderlicher Liebe und eine neue Ernte, die dem Himmel entgegenreift. Möge Sie kommen und möge sie vereinigen in Einem Glauben, in Einem Geiste, in Einem Werke das denkende Deutschland, das gewissenhafte England, das unternehmende Amerika, das tätige Frankreich und alle Völker aus allen Zonen. Möge sie kommen und möge herbei führen die gnadenvollen Tage, in denen der Name Calvinist, Lutheraner, Anglikaner, Herrnhuter, und warum sollte ich nicht hinzufügen, die Namen Protestant, Katholik, Grieche in Einem Namen aufgehen werden, in dem Namen ihres und unsers Herrn Jesus Christus. Möge sie kommen, und mögen die Propheten sie herbeirufen, die Apostel sie begrüßen, die Väter sie loben, die Reformatoren sie segnen, alle Heiligen sie voll Freude begrüßen, und die Engel selbst ihre Ankunft erwarten, um mit ihr einen neuen Lobgesang anzustimmen zu Ehren des Herrn, dessen Namen und Bild sie tragen wird. Möge sie kommen, - oder vielmehr „komm du, Herr Jesus, komm,“ auf dass keine menschliche Eitelkeit uns deinen Geist entziehe, die uns vorspiegelt, wir hätten ihn aus eigner Kraft ergriffen. Komm und schütze uns, dass unsere Gedanken auch bei dieser Predigt nicht Gefahr laufen, den Gedanken an die Stelle der lebendigen Person zu setzen. Komm und lass uns schweigen, damit wir Dich um so inniger ergreifen in der Stille des Gebetes und im Schweigen der Liebe! - Amen.

Quelle: Das lebendige Wort Zwei Predigten von Adolf Monod Aus dem Französischen Zum Besten der reformirten Kirche in Lengerich Oldenburg Schnellpressendruck von Büttner & Winter. 1863

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/m/monod/monod-ausgewaehlte_predigten/monod_-_das_lebendige_wort.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain