Melanchthons, Philipp - Vertheidigung wider Johann Ecken, Professor der Theologie.

Melanchthons, Philipp - Vertheidigung wider Johann Ecken, Professor der Theologie.

Philippus Melanchthon entbietet dem geneigten Leser seinen Gruß!

Es ist neulich etwa ein Brief von mir an Oecolampadium unter die Leute kommen, darinnen ich dem rechtschaffenen und redlichen Manne, meinem herzlichen guten Freunde, mit Wenigem einige Stücke der Leipziger Disputation, mehr entworfen, als beschrieben habe: denn ich hatte damals vor andern nöthigen Verrichtungen nicht mehr Zeit übrig, und das Meiste von selbigem Kampf war der Art, daß man ohne Haß nicht wohl davon handeln konnte; und einige Dinge waren auch nicht so viel werth, daß ich damit einen Freund, der weit bessere Dinge zu besorgen hat, belästigen wollte. Und darin habe ich mich mit sonderbarer Achtsamkeit gehütet, daß ich Niemanden beleidigen möchte: maßen ich in meinem ganzen Leben nichts mehr wünsche und suche, als daß mir fromme rechtschaffene Leute günstig sein mögen. Und wie es nicht christlich ist, Einem, der Böses gethan hat, Gleiches zu vergelten: also halte ich es für etwas ganz Unmenschliches, Einen, der uns Nichts zu Leide gethan hat, zu kränken; davon hoffentlich Niemand einige Schuld, ja, nicht einmal den Argwohn solcher Schuld auf mich bringen wird. So hat mich auch die bekannte Tugend und Gelehrsamkeit derer, die disputirt haben, meiner Pflicht erinnern und bewegen können, Niemand unhöflich durchzuziehen; denn ich bin nicht so albern, daß ich nicht sähe, wie schlecht es mir dafür gehen könnte. Kurz: Oecolampadius wird von mir zu gut gehalten, als daß ich seinen Namen mißbrauchen wollte, Jemanden zu lästern. Darum habe ich Alles, was in solchem Briefe stehet, bei Gott! in Einfalt und auf historische glaubhafte Art geschrieben, und nichts weniger gedacht, als daß jemals Einige, die ihn lesen sollten, darüber verdrießlich werden sollten.

Allein Eck ist übel darauf zu sprechen, der doch sogar nicht angegriffen worden, daß viel eher D. Andreas Carlstad und Martin Luther mit mir zürnen müßten, wenn sie unsre Dinge übel auslegen wollten, welche es sowohl als Ecken angehet, was ich von der ganzen Art zu disputiren, ja von den meisten Dingen, so in der Disputation als etwas Untheologisches mit untergelaufen, gesagt habe. Und ich hoffe nichts daß Eck von einer so frechen Art sein sollte, zu läugnen, daß bei solcher Disputation Vieles vorgefallen, welches sich besser für die (schlägerischen) Lapithen im Luciano, als für Theologos geschickt. Ich gestehe, daß ich freilich von Ecken etwas mehr erzähle, nämlich daß er in diesem ganzen Spiel der Vornehmste gewesen, als welcher mit einem mehr als herkuleischen Muth gegen zwei gestritten. Und darum habe ich auch dasjenige etwas genauer bemerkt, welches entweder gar schlau und spitzfindig gewesen, oder so Etwas in sich hat, das mir ein wenig von der theologischen Majestät zu weit abzugehen geschienen hat.

Denn was sollte ich gemeine Dinge anmerken? Ich gedenke lieber einiger wichtigerer Dinge, die unter dem Disputiren einiger Maßen nachgeschrieben worden. Ecken habe ich sogar nicht tadeln wollen, daß mir vielmehr einige seiner spitzigen Grifflein recht artig geschienen haben. Einige möchte ich wohl ein wenig frei durchzogen haben; aber dazu hat mich mehr eine heilige Sorge und Eifer für die heilige Schrift, der ich solches schuldig bin, getrieben, als irgend ein Affect: denn Eck hat manchmal etwas kühner ausgelegt, als es die Billigkeit leidet. Denn daran ist nichts gelegen, daß er große Autores dazu anführet, deren Meinung man sicher folgen könne. Denn wir werden auch hernach sehen, wie redlich er sie oft angezogen, und man muß nicht Alles gleich für gut halten, was Ambrosius und Hieronymus auf allerlei Weise gesagt haben. Ich bin gegen die heilige Schrift so gesinnet, daß ich Nichts für schändlicher halte, als dieselbe nach Art der menschlichen Fabeln auf vielerlei Verstand zu zerren und zu reißen, ja wie der Penelopes Knaul bald ab-, bald wieder aufzuwinden, wie man Belieben hat: daß ich indeß geschweige, wie gottlos es sei, die Schrift nach menschlichem Willen oder Neigungen zu drehen, und das Allerheiligste mit unreinen Händen, ja Götzenopfer zu besudeln: darinnen Eck wohl weiß, was wir der jämmerlichen Fragentheologie, die den menschlichen Gelüsten so Viel einräumet, zu danken haben, ob er wohl ihr Beschützer und Vertheidiger sein will. Das ist also, geneigter Leser, die ganze Absicht und Vorhaben mit meinem Briefe gewesen. Und wenn ich Etwas darinnen aus Versehen oder durch einen Zufall gefehlet: so wird es hoffentlich zu vergeben sein, aber gewiß nicht übel gedeutet werden können; denn ich bin mir völlig bewußt, daß ich. Nichts aus Bosheit oder Haß geschrieben, und bedaure sehr, daß ich in dieß Spiel gezogen werde, und auf dem Platz, mit Paulo zu reden, ein Schauspiel sein müsse; darinnen, wenn ich es noch so gut mache, das Ansehn des Widersachers doch wider mich ist, und wenn Alles gleich glücklich läuft, dennoch immer eine Anklage aus der andern erwächst, und nach dem bekannten griechischen Sprichworte „immer ein Zank den andern hecket.“ Drum wollte ich Anfangs die Eck'schen Lästerungen in der Stille vorübergehen lassen und kein Aufhebens davon machen; sonderlich, da sie von der Art sind, daß, wenn man sie gegen meinen Brief hält, man gleich siehet, was drauf geantwortet werden könne, und auch das öffentliche Verzeichniß des ganzen Handels vor uns ist; weil aber doch meine guten Freunde ein Andres gerathen, so will ich mich nur mit wenigen, wegen der aufgelegten Falschheiten, entschuldigen, welches Laster mit Stillschweigen zu übergehen sich für keinen gottseligen Menschen schicket, wie sie sagen. Unterdessen will ich mich in der Sache so mäßig verhalten, daß man nicht sagen könne, ich hätte Ecken zu grob und unbescheiden begegnet. Denn Christus ist mir freilich mehr, als eine so kahle Beschuldigung.

1) Ganz unbillig soll ich gehandelt haben, nach Eckens Vorgeben, daß ich einige Stücke der Disputation kund gemacht, weil die Parteien darüber eins worden, daß die Disputation nicht eher ausgehen sollte, bis die Richter in der Hauptsache gesprochen.

Antw. 1) Gehet mich, nichts an, was die Parteien geschlossen; denn ich habe mit Ecken nie Etwas zu schaffen gehabt, und bin als ein müßiger Zuschauer des Leipziger Kampfes unter andern gemeinen Leuten gesessen. 2) Hernach hat man sich verglichen, daß die Disputation nicht gedruckt ausginge; ich aber habe nur einige wenige Sprüche und obenhin daraus aufgeschrieben und ausgehen lassen, daraus man mehr sehen möchte, wovon disputirt worden, als daß man erkennen möchte, wer Recht gehabt, oder was für ein Urtheil über die Sache zu fällen sei. Lieber urtheile ich denn da vom Siege, wenn ich sage: Eck und Carlstad hätten nicht von der menschlichen Gerechtigkeit, oder vom Verdienste dessen, was billig-mäßig ist (congrui), gehandelt, sondern ob der Wille das gute Werk bloß empfahe? Ich melde bloß, worüber gestritten werde, ohne zu sagen, wer gewonnen habe.

Daß er aber sagt, ich nähme mir das Amt eines Richters heraus, so spricht mich mein Brief, darinnen dieß steht, genugsam frei. Denn wer den Sieg erlanget habe, das ist mir nicht so leicht zu urtheilen.

2) Daß Eck nicht gewollt, daß man es den Schreibern vorsagen sollte, zum Ausschreiben, davon sind vornehme und redliche Männer Zeuge, die theils vor den Commissarien darauf gedrungen, theils gesehn haben, daß die, so zur Stelle gewesen, ziemlich parteilich gesinnet gewesen. Und ob er gleich vorgibt, man hätte dergleichen doch vor den Commissarien nicht gesucht, so ist doch dieses offenbar, daß er keine Lust dazu gehabt, daß man ausschreiben lassen sollte. Und warum hat man auch nicht zugeben wollen, daß die ganze Welt davon urtheilen möchte, sondern, ich weiß nicht was für einzelne Personen, wenn er es mit des Glaubens Sache, wie er sie nennet, nicht hat finster haben wollen?

3) Carlstad hatte seinen eilften Schluß zu behaupten vor; daß der freie Wille vor der Gnade zu nichts, als zu sündigen tauge. Eck stritt dawider. Man stehet wohl, daß selbiger von menschlichen Kräften handele, und also von der menschlichen Gerechtigkeit, oder Verdienst dessen, was billig-mäßig ist. Und disputire ich jetzt nicht, ob eine besondre Hilfe dazu komme oder nicht; denn die Lehrer der Fragen haben auch hierüber verschiedene Meinungen. Zum wenigsten gestatten die Schulen einmüthig nicht, daß solche besondre Hilfe die Gnade Christi sei. Und das war es, was die Zuhörer begierig erwarteten. Daß er den Leser auf seinen Schluß weiset, so ist wohl Niemand so dumm, der da meine, Carlstad habe den Eckischen Schluß zu vertheidigen auf sich genommen. Von solchem Vorhaben ist die Sache allmälig bloß dahin gezogen worden: Ob der Wille nur empfahe? Da unter Carlstad's Schlüssen doch einer ist, der gleichsam im Vorübergehen behauptet, daß das gute Werk ganz von Gott sei, welchen auch Eck zugibt, wenn nur das Werk nicht auf gänzliche, oder alleinige Weise von Gott sei. Ich bin aber versichert, daß Carlstad nie im Sinn gehabt habe, die Sache in solche Enge zu spielen. Ich glaube, daß er darum dahin kommen, zu sagen, und zwar mit Recht, daß das ganze gute Werk von Gott sei; weil die ruchlose Schule Eckens die Werke der Gnade und der Natur nicht scheidet, als nur in Ansehen der Vernunft, wie sie sagen, und die Handlungen ganz von einerlei Gattung oder Art achtet, welche die Natur entweder ohne Gnade, oder der Wille und die Gnade mit einander wirken. Hier hätte nun der barbarische Heraclitus, Scotus, entweder vertheidigt oder entschuldigt werden sollen, von dem ihr euch erinnert, was für christliche Dinge er in seinem zusammengeraspelten Zeuge hiervon lehre.

Was er von D. Erasmo, dem Fürsten gottseliger Künste, angehänget hat, wird der geneigte Leser bald finden, daß es nur darauf gehe, daß ich bei dem lieben Mann, und bei allen rechtschaffenen Leuten verhaßt werden soll. Eck mag thun, was er will, und uns durchziehen, und über die Kleinen frohlocken; Christus wird uns zu dergleichen Lästerungen Kraft und Muth geben. Ich erkenne es selbst, daß Erasmo sowohl alle Studirende viel zu danken haben, als insonderheit ich, dem er insgemein und sonderlich so viel Wohlthaten erzeiget, welche, so bald ich sie verstehen gelernet, welches durch Christi Gnade und Beistand geschehen: so weiß ich auch, wie dankbar mein Herz dafür gegen ihn dagestanden. Das andre habe ich der Schule, als der Schmiede eines bösen Sinnes, zuzuschreiben.

4) Die spitzfündige Antwort von dem Ganzen und auf gänzliche Weise hat mir nicht übel gefallen. Denn sie ist artig und desto angenehmer, weil sie neu ist, und sich zu Eckens Profession schicket, bei der heutiges Tages das Urtheil über Worte und Sachen ist. Daß er uns nun lehret, was unter solchen für ein Unterschied sei, so ist mir solche Mühe eines Freundes ganz angenehm; wiewohl wir auch ehedem den Porphyrium gelernt haben, und nun ungern sehen, daß man uns zu solchen grillenhaften Possen wieder weisen will. Was aber brauchte es mit solchen neuen und ganz erdichteten Auslegungen die Kraft des freien Willens zu behaupten, da gleichwohl auch bei den höchsten Schullehrern, nämlich den Occamisten, diese Lehre gänzlich im Schwange geht, daß einige Wirkungen des Willens bloß empfangen würden.

5) Martinus ehret und behauptet eines allgemeinen Papstes Gewalt. Er hat aber nur vom göttlichen Recht gestritten, welches Eck aus dem Spruch Matthäi: „Du bist Petrus, und auf diesen Fels rc.“ beweiset und meinet, weil die heiligen Väter diese Stelle von Petri oberster Hoheit erklärt, mit den Conciliis und Universitäten, so würde daraus die Gewalt des Papstes sattsam erwiesen. Mit was für Glimpf und Redlichkeit aber Martinus solches widerlegt, wird die Sache selbst einmal geben. Nun sehe man, was Eck, wenn er der heil. Väter Ansehn so rühmet, und alle Hoffnung seines Sieges darauf setzt, damit ausrichte. 1. Will ich durchaus Niemanden an seinem Ansehn Etwas benehmen: ich verehre so viele Lichter der Kirche, so berühmte Verfechter der christlichen Lehre. 2. Hernach, halte ich, geschehe es nicht umsonst, wenn die heil. Väter verschiedener Meinung sind, wie es zu gehen pflegt, daß sie nach der Schrift Urtheil angenommen werde, nicht aber nach ihrem uneinigen Urtheil die Schrift Gewalt leide. Denn es ist ein einiger und einfacher Verstand der Schrift, wie auch eine einige himmlische Wahrheit, die man mit Zusammenhaltung der Schrift aus der an einander hangenden Rede nehmen muß. Denn darum wird uns geboten, in der Schrift zu forschen, damit wir der Menschen Meinungen und Schlüsse darnach, als nach einem Probierstein, prüfen. 3. Hernach kann man ja wohl die heil. Väter dazu nehmen, daß man von der Schrift urtheile, aber vornehmlich an solchen Orten, wo sie den rechten Verstand derselben zu erklären vorhaben, nicht aber an solchen Orten, wo sie als Redner handeln, oder bisweilen von der Hitze eingenommen sind. Wie wir denn dergleichen auch selbst oft erfahren, daß wir die Schrift auf mancherlei Weise verstehen, nachdem wir von solchen Gemüthsbewegungen geführt werden, da uns bald dieser, bald jener Verstand gefällt, weil ein Jeder sich dahin neiget, wohin ihn seine Lust oder Verlangen neiget. Und wie der Polypus die Farbe eines jeden Felsen annimmt, an den er sich hängt, also suchen wir das nach allem Vermögen gern heraus zu bringen, wozu wir Lust und Belieben haben. Wie oft geschieht es nicht, daß unser Gemüth den Nachdruck oder Verstand eines Spruches für den wahrhaften und eigentlichen hält, und sich einige Zeit auf eine unvergleichliche Art daran ergötzet, den es hernach ganz nicht wieder loswerden kann. So haben auch die heil. Väter die Schrift oft aus dieser oder jener Neigung, wohl nicht zu einem bösen, aber doch ganz ungeschickten Verstande gemißbraucht. Welches ich zwar nicht verdamme, aber doch so annehme, daß ich meine, im Streite könne es wenig gelten. Denn „ sie laufen (nach dem gemeinen griechischen Sprichwort) wohl ganz gut, aber außer dem Wege.“ Ja, ich darf auch dieses sagen, daß die heil. Väter bisweilen die Schrift nach einem solchen Verstande erkläret, den ihnen irgend ein Affect oder Bewegung eingegeben: welcher wohl gut und, nicht ungereimt sein mag, den aber wir arme Leutlein gleichwohl zu dem Buchstaben stimmen sehen. So führet uns immer ein andrer Endzweck oder Absicht auf etwas Anderes. Denn es ist doch eine heimliche Nahrung des Gemüths und ein Manna, welches Paulus vielleicht den geistlichen Verstand nennet, so man eher empfinden, als mit Worten vorstellen kann. Wer aber siehet nicht, daß die Alten die Schrift aufs freieste gemißbraucht? Vieles hat man nach den Zeiten, Vieles nach den Streitigkeiten der Ketzer gethan: dergleichen man unzählige Exempel anführen kann. Bisweilen geschiehet es auch, sonderlich in den Neueren, daß die Auslegung selbst mit ihrem Ursprunge streitet.

Von den Schullehrern (Scholastikern) will ich nicht viel sagen, denen die Schrift oft ganz etwas Andres ist, als etwas Einfältiges; ja sie machen, so zu reden, einen Proteus (oder aller Gestalten Mann) daraus, daß sie ihnen bald einen allegorischen (oder Gleichniß-), bald einen tropologischen (oder heil. Lebens-), bald einen anagogischen (oder Himmelsverstand), bald einen buchstäblichen, bald einen sprachmäßigen, bald eines historischen geben muß.

Ich komme wieder auf die Alten, von welchen ich gesagt, daß sie die Schrift mißbrauchen; nun sage ich aber, daß sie oft auch irren. Lieber, wie oft hat Hieronymus, wie oft Augustinus, wie oft Ambrosius gestrauchelt? Denn sie sind mir so fremd nicht, daß ich es nicht frei sagen dürfe; ja sie sind mir vielleicht etwas bekannter, als Ecken sein Aristoteles. Wie oft sind sie unter einander uneinig? Wie oft widerrufen sie ihre Irrthümer? Kurz: die einige Schrift des göttlichen Geistes ist rein und durchgehends wahrhaftig, die man kanonisch nennet. Was ist es also für eine große Sünde, wenn Martinus bisweilen von einigen zweifelhaften Auslegungen der Alten abgehet? Und warum sollte er es nicht thun? In Auslegung des Orts Matth. 16: „Du bist Petrus: und auf diesen Felsen folget Martinus Origeni, der so gut als viele Andre ist, und zwar an so einem Ort, da Origenes eben über dem Auslegen ist: ingleichen Augustino in Homil., nämlich in Erklärung des Evangelii: Ambrosio Lib. VI in Luc., der Andern zu geschweigen. Laß es sein, daß Eck seine Meinung auch mit etlicher Väter Zeugnissen bestätigt, nämlich Hieronymi und Cypriani, darauf er sonderlich trotzet; denn Bernhardus und Leo werden hierbei nicht Viel zu sagen haben: so siehet man doch, daß auch die andre Meinung der Väter Zeugnisse auf ihrer Seite habe. Was ist es denn nun? Streiten sie selbst mit sich? Was ist das Wunder? Es folget so viel daraus, daß aus den heil. Vätern nicht erwiesen werde, daß der Ort Matthäi eines allgemeinen Bischofs Gewalt in sich halte. Denn ich glaube den Vätern, weil ich der Schrift glaube, welcher ich durch ihre verschiedenen Meinungen keine Gewalt geschehen lasse. Drum hat Martinus aus dem rechten Zusammenhange der Schrift und Ordnung der Materie einen festen und gewissen Verstand nehmen müssen: dem die besten Ausleger, so solchen Ort recht ganz erklären, zu Statten kommen. Nun sehet ihr ja, auf wessen Seite der stärkste Haufe der Väter stehe. Bei Martino halten die, welche den Ort recht aus dem Grunde erklären; bei Ecken, die den Ort Matthäi, obwohl in einer ganz andern Materie, mißbrauchen: so daß sie, wenn man es recht augenscheinlich sehen will, ihre eignen Sachen oft wieder in Zweifel ziehen und bestreiten. Hieronymus verbessen seine Meinung und mäßigt sie also: du sprichst aber: die Kirche ist doch auf Petro gegründet; wiewohl dergleichen an einem andern Ort mit allen Aposteln geschehen, und sie alle die Schlüssel des Himmelreichs empfangen, und auf sie alle die Festigkeit der Kirchen gebauet wird, so wird doch Einer unter Zwölfen erwählet, daß die Ursache der Spaltung weggeräumet werde. Ihr sehet also, wie Hieronymi Meinung hier gemildert und gemäßigt wird. Eck mag also sagen: Wie der Kirchen Festigkeit auf alle gleich gebauet werde, und doch Einer um Spaltungs halber auserwählet werde. Und wie viel andre Stellen kann man gegen diese einige Hieronymi stellen! Cypriani Stelle an Pupian kommt hier gar gelegen her: es müsse Einer sein, dem das Volk gehorche, nicht das Volk der ganzen Welt, sondern in allen Bezirken. Wer den Brief recht lesen will, der wird es bald also finden.

6) Es steht in unserm Briefe nicht: Nachdem Christus zu Petro gesagt: „Weide meine Schafe rc.“, sei alsdann den Aposteln gleiche Gewalt gegeben worden rc., sondern also: Nach der gegebenen gleichen Gewalt, d. i. nachdem in den Worten: Nehmet hin rc. gleiche Gewalt gegeben worden, alsdann ist zu Petro gesagt worden: „Weide meine rc.“ Wenn nun Eck hier entweder die Sprachkünstler, wie er sie nennt, zu Rathe gezogen hätte, so hätte er unsern Brief nicht gefälschet. Ihr sehet, mein Eck, daß ich immer bei meinem Leisten bleibe. Und werden wir durch Euch wohl nicht bei unserm Martin verhaßt werden, da ihr selbst so schlecht von unsern Dingen urtheilen könnt.

7) Daß die Bücher der Maccabäer so viel gälten als das Evangelium, hat er offenbarlich gesagt, und kann er es nicht läugnen, ob er es wohl mit einigen verstellen will. Und kann ein Jeder sehen, wie recht das geredet ist, der nur den Hieronymum gelesen, welcher also spricht: „Wie nun also die Kirche zwar Judith, Tobiä und der Maccabäer Bücher lieset, aber nicht zur kanonischen Schrift rechnet, so lieset sie auch die zwei Bücher, nämlich die heil. Weisheit und Jesus Sirach, zur Erbauung des Pöbels, aber nicht die Lehren der Kirche damit zu bestärken. Es ist also ein Unterschied zwischen den Büchern der Kirche, die einige Bücher anders annimmt; daß also daraus nicht folget: dieß ist mit unter den Büchern der Unsern; darum ist es auch eine Schrift des heil. Geistes.

8) Daß wir Ambrosium zu verwegentlich tadeln, gibt uns Eck wohl Schuld, dem ich hier billig etwas hart begegnen sollte; aber ich habe von Matthäi Stelle geredet; er aber erklärt Lucä seine. Nun ist es gewiß ein andrer Widersacher bei'm Luca, von dem wir uns losmachen sollen, ein andrer bei'm Matthäo, mit dem man sich soll zu setzen suchen: auf welchen ich etwas härter geredet, wegen derer, die es für etwas bald zu Versöhnendes, und, wie sie es nennen, Erläßliches halten, dem Feinde kein willfähriges Gemüthe zu zeigen; kurz: auf die, die uns die Gebote und evangelischen Räthe so in einander gebrauet haben, daß ein ehrlicher Heide oft mehr thut, als ein Christ. Wiewohl auch der Ort im Matthäo etwas mehr in sich zu halten scheint, weil im Griechischen stehet: Gegenrechtender. Hernach erklärt Ambrosius bei'm Matthäo den „Kerker“ durch „äußerste Finsterniß,“ so ohne Zweifel eine Beschreibung der Hölle ist. Hernach will er, welches Ecken scheinet zu Statten zu kommen, daß durch das Bild des Hellers die Gutthuung der Schulden verstanden werde; allein wie der Text darinnen steht: „bis du den letzten Heller bezahlest,“ nicht saget, daß der letzte Heller abgetragen werde: so setzt auch Ambrosius, der da saget, daß durch das Bild des Hellers der Abtrag der Schuld bedeutet werde, nicht dazu, daß solcher Ersatz oder Abtrag an den Todten geschehe, ja vielmehr widerspricht er dem offenbarlich, wenn man es auf den Abtrag der Strafen an den Todten ziehen will. Ich werde mit dem Orte eher fertig werden , wenn ich nach der öftern Redegestalt der hebräischen und griechischen Sprache in dem Worte bis das Nöthige erklären werde. Also seht ihr, daß ich Ambrosio Nichts benehme, wiewohl ich es für keine Sünde halte, mit ihm nicht einig zu sein, wenn er etwa den rechten Verstand fahren läßt. Hernach hat er auch allerhand Gedanken in demselbigen Kapitel von dem Heller (oder Quadranto), da doch im Griechischen ein Wort stehet, welches einen Theil des Hellers beträgt. Ja, was er vom Teufel da saget, gefällt Hieronymo selber nicht. Daß er nun saget: ich werde hier ganz dunkel, hat gute Wege. Denn es ist mir ganz lieb, unter dem Schatten des Eck'schen Namens verborgen zu stecken. '.

9) Wir haben nur so obenhin auf etwas Weniges geantwortet. Es gibt noch mehr in Eckens Büchlein, welches wohl eben nicht groß nöthig sein wird zu widerlegen, weil es das Verzeichniß der Notarien selbst genugsam zeigen wird. Denn ich hätte auch dieses lieber stillschweigend übergehen wollen, wenn sich's hatte wollen thun lassen. Ich habe ihm sonst kein unfreundlich Wort gegeben. Drum bitte ich, er lasse anstatt der Schmähungen die Sache streiten. Wir sind das der Liebe schuldig, die ich, so gewiß ich einen gnädigen Gott haben will, von Herzen ungekränkt und unbeleidigt zu haben wünsche.

Daß er uns aber zu plump hält, als, daß wir von den hohen Fragen der Theologen etwas abhandeln möchten, das lasse ich mir gefallen. Wem, er nur auch dem gemeinen Christenvolk bisweilen zuläßt, daß es, von einigen gottseligen Fragen Gespräch halten dürfe, und wir also, die wir den theologischen Studien nicht feind sind, bisweilen unser Gemüth mit solchen heiligen Leckerbißlein laben dürfen. Wie viel besser wäre es, die Kleinen, unter denen wir auch sind, mit Wohlwollen und Gunst zu der heiligen Wissenschaft zu ermuntern, ja wenn sie auch etwas aus Unwissenheit versähen, ihnen solches zu übersehen, als sie mir solchem Geplerr abschrecken? Gehab dich wohl, lieber Leser, und nimm diese Vertheidigung nicht übel. Denn Eck selber wird Zeuge sein, daß ich diese Sache an manchen Orten feindlicher hätte ausführen mögen, wo ich meiner Lust und Muthwillen hätte folgen wollen. Lebe nochmals wohl! Aus der berühmten Sachsenstadt Wittenberg, Anno 1519.

Philipp Melanchthon’s Werke
In einer auf den allgemeinen Gebrauch berechneten Auswahl
Herausgegeben von Dr. Friedrich August Koethe.
In sechs Theilen
Erster Theil
Leipzig:
F. A. Brockhaus.
1829

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