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Luther, Martin - Von der Erbsünde

Luther, Martin - Von der Erbsünde

  1. Erstlich ist zu merken, was die Erbsünde sey, auf dass wir verstehen können, wie die Jungfrau Maria von derselbigen sey gefreiet. Erbsünde, wie alle Doctores einträchtiglich schreiben, ist nichts anders, denn eine Darbung der Erbgerechtigkeit, mit welcher Erbsünde wir im Paradies durch die erste Sünde Adams sind gestraft worden;
  2. und heisst darum eine Erbsünde, dass wir sie nicht gethan haben, sondern wir bringen sie mit uns von unsern Eltern her, und wird uns nicht weniger zugerechnet, denn als hätten wir sie selbst gethan. 
  3. Denn gleichwie ein Sohn die väterlichen Güter, so er nicht gewonnen hat, erblich und mit Recht besitzet; also ist er auch verpflichtet, nach der Art derselbigen erblichen Gerechtigkeit, die Schuld, nach dem Tode seines Vaters gelassen, zu bezahlen, dieweil er die väterlichen Güter besitzt und inne hat.
  4. Denn wer den Nutz will haben, der trägt auch billig den Schaden. Also gehet's hier auch zu mit der Erbsünde, die wir nicht gethan haben, sondern unsere Eltern; die müssen wir auch mit helfen tragen und bezahlen.
  5. Das ist also zu verstehen: Ehe Adam von dem verbotenen Baun ass, war er gerecht, fromm und heilig von Gott geschaffen, hatte in ihm keine Lust noch Zuneigung zum Bösen, weder zu Hoffart noch zu Zorn, weder zur Unkeuschheit, noch zu keinem Laster, sondern war nur zum Guten geneiget, zur Keuschheit, Sanftmüthigheit, Liebe, Demuth und andern Tugenden, welche er that von der Natur, ohne Unterscheid, und hatte keine Achtung auf etwas anders, derohalben er's thäte;
  6. gleichwie wir jetzt natürlich mögen sehen, hören, essen, trinken, gehen, fühlen, reden, und also leicht wäre es uns daselbst gewesen alle Tugend zu halten, wie leicht uns jetzt ankommt, sehen, hören, reden und dergleichen, und es wären uns alle gute Werke lustig und leicht zu thun möglich gewesen, welche wir jetzt ohne gross harte Arbeit, Mühe, Anfechtung, Gefährlichkeit, Sünde und Beschwerniss nicht thun können.
  7. Denn, wie Adam dazumal war, also wären wir alle, die wie von ihm geboren sind, gewesen. Und derohalben, wie gesagt ist, heisst es auch eine Erbgerechtigkeit, dass sie von Ankunft und von unserm ersten Vater, durch die Geburt, uns wird angeboren: gleichwie einer das Gesicht und Hören möchte erblich nennen.
  8. Denn wie Sehen und Hören in Adam und Eva ist gewesen; also ist es uns durch die Geburt auch angeboren. Dass aber solche erbliche Gerechtigkeit in unsern ersten Eltern, Adam und Eva, gewesen sey, bezeuget Moses im 1. Buch 2, durch diese Worte: „Sie waren beide nacket, der Mensch und sein Weib, und schämeten sich nicht;“ wie denn wären gewesen alle Menschen, so von ihnen waren geboren worden, und sie hätten sich auch nacket können enthalten: denn sie fühleten dazumal keine böse Neigung eines zu dem andern, wie jetzt alle Menschen fühlen.
  9. Zum andern, alsbald aber da sie von dem verbotenen Baum assen, und gesündigt hatten, da ist so bald diese erbliche Gerechtigkeit gefallen und verdorben. Da begunnten sich in ihnen böse Lüste zu erregen und zu wachsen; da wurden sie geneigt zu Hoffart, Unkeuschheit, Wollust des Fleisches, und zu allen Sünden, wie wir jetzt sind; denn wie Adam und Eva dazumal waren nach der Uebertretung, also sind alle ihre Kinder.
  10. Denn gleichwie er da hatte ein Fleisch mit Sünden vergiftet; also haben auch alle seine Kinder, von ihm geboren, gleich ein solch Fleisch, geneiget zu allem Bösen, und die Sünde, die in den Eltern war, wird auch allen ihren Kindern angeboren. Gleicher Weise wie ein aussätziger Vater gebiert aus einer aussätzigen Mutter aussätzige Söhne und Töchter, eben des Fleisches wie die Eltern sind; also werden wir alle in und mit Sünden geboren aus unsern sündigen Eltern.
  11. Daher kommt's, dass alle lebendige Menschen zum Bösen geneiget sind, wie in Mose stehet: „Da der Herr sahe, dass der Menschen Bosheit gross war auf Erden, und alles Dichten und Trachten des Herzens nur böse war immerdar, da reuete es ihn, dass er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und bekümmerte ihn in seinem Herzen,“ 1. Mos 6.
  12. Und nach der Sündfluth sprach der Herr: „Ich will hinfort nicht mehr die Erde vefluchen um der Menschen willen, denn das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von der Jugend auf.“ 1. Mos. 8.
  13. Daher aus dieser ersten, angeborenen Sünde fliessen so viel Sünden, damit der Mensch beladen ist, als Mord, Ehebruch, Diebstahl und unzählige andere Laster, dass es auch wohl schier darum sollte Originale Peccatum heissen, dass ein Ursprung und Anfang ist aller anderer Sünden;
  14. denn alle Sünden kommen her aus der bösen Zuneigung unsers Herzens, wie Christus saget im Matthäus 15: „Aus dem Herzen kommen arge Gedanken, Mord, Ehebruch, Hurereu, Diberei, falsch Zeugniss, Lästerung.“ Und an einem andern Ort saget er auch: „Wess das Herze voll ist, dess gehet der Mund über.“ Matth. 12.
  15. Aus diesem allen ist nun klar und offenbar, dass die Erbsünde nichts anders ist, denn die ganze Bosheit und Neigung zum Bösen, welche alle Menschen in ihnen fühlen, die da geboren ist zur Hoffart, Zorn, Neid, Unkeuschheit, und andern Lastern mehr; denn also sind Adam und Eva auch gewesen nach der Uebertretung.
  16. Zum dritten. Nun aber hat's Gott also geordnet, dass niemand selig soll werden, er sey denn rein von dieser Sünde. Und derohalben hat Gott Gebote gegeben, dadurch er diese Sünde verbeut, und will, dass wir wiederum sollen fromm und gerecht seyn, wie Adam war vor der Sünde.
  17. Dieweil wir aber solches nicht thun können, so hat er Christum, seinen eingeborenen Sohn, für uns in den Tod gegeben, auf dass er uns durch sein Blut von dieser Erbsünde und von allen Sünden, so von der Erbsünde herfliessen, errettete und frei machete. 
  18. Darum lehret uns Christus, dass wir an ihn glauben sollen, und ihn um Gnade anrufen, durch welche diese Sünde wird gereiniget. Welches nichts anders ist, denn das Evangelium predigen, wie er zu seinen Jüngern sprach: „Gehet hin in alle Welt, prediget das Evangelium allen Creaturen: Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubet, der wird verdammt werden,“ Marc. 16,16.
  19. Denn, wenn wir getauft sind und glauben, so empfangen wir Gnade, welche wider die böse Zuneigung in uns streitet, und die Erbsünde austreibet und vertilget; da erheben sich denn in uns gute und ehrliche Begierden, zur Demuth, Keuschheit, Sanft-müthigkeit und zu allen Tugenden, und alsdann geschehen gute Werke auch mit einem lustigen Herzen.
  20. Das richtet alles die Gnade an, die wir in der Taufe durch den Glauben in Christum empfangen haben; denn es ist unmöglich, dass solche Gnade in uns sollte müssig seyn, sie muss gute Werke thun. Das saget der Herr Christus gar fein, durch ein hübsches Gleichniss zu seinen Jüngern nach dem Abendmahl, da er also sprach: „Ich bin ein rechter Weinstock, und mein Vater ein Weingärtner, einen jeglichen Reben an mir, der nicht Frucht bringet, wird er abschneiden, und einen jeglichen, der da Frucht bringet, wird er reinigen, dass er mehr Frucht bringe.
  21. Ihr seyd jetzt rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe: bleibet in mir und ich in euch. Gleichwie der Rebe kann keine Frucht bringen von ihm selber, er bleibe denn am Weinstock; also auch ihr nicht, ihr bleibet denn in mir. Ich bin der Weinstock; ihr seyd die Reben: wer in mir bleibet, und ich in ihm, der bringet viel Früchte; denn ohne mich könnet ihr nichts thun. Wer nicht in mir bleibet, der wird weggeworfen wie ein Rebe, und verdorret, und man sammelt sie, und wirft sie ins Feuer und verbrennet sie. So ihr in mir bleibet, und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch wiederfahren. Darinnen wird mein Vater geehret, dass ihr viel Frucht bringet, und werdet meine Jünger.“ Joh. 15.
  22. Dass wir aber dess nicht vergessen sollten, hat's Gott also geordnet und geschickt, dass wir den Glauben sprechen, und das Vater Unser beten, auf dass wir uns täglich übeten im Glauben und Gebet, und rufen allezeit an seine Gnade wider die Erbsünde.
  23. Denn so lange als wir hier leben, seyn wir nicht ohne Sünde, es bleiben noch allezeit böse Lüste und Begierden in uns, die uns zu Sünden reizen, wider welche wir streiten und fechten müssen, wie St. Petrus in seiner 1. Epistel saget: „Lieben Brüder, ich ermahne euch als die Fremdlinge und Pilgrim, enthaltet euch von den fleischlichen Lüsten, welche wider die Seele streiten. Und führet einen guten Wandel unter den Heiden, auf dass die, so von euch afterreden, als von Uebelthätern, eure gute Werke sehen, und Gott preisen, wenn's nun an den Tag kommen wird“.
  24. Derohalben, so müssen wir uns stets üben, und müssen allezeit beten, und wider die Sünde fechten, weil wir hier leben, bis wir sterben; denn da wird allererst das ganze Fleisch getödtet.
  25. Zum vierten. Dieweil die Erbsünde in der Taufe weggenommen wird, warum sagest du denn, dass sie noch da bleibe, und man müsse mit ihr immerdar streiten? Darauf antwortet Augustinus also: Es wird die Erbsünde zwar in der Taufe vergeben, nicht, dass sie nicht mehr da sey, sondern dass sie Gott nicht will mehr zurechnen;
  26. gleichwie der Samariter dort im Luca. 10. da er dem Verwunderen Oel und Wein in die Wunden goss, machet er ihn nicht so bald gesund, sondern führet ihn in die Herberge, und liess den Wirth erst seiner pflegen, bis er wieder käme. Also werden wohl durch die Taufe alle Sünden weggenommen, so doch dass sie Gott nicht zurechnet; aber darum sind sie nicht hinweg, sondern man muss sie immer zuheilen, wie man denn angefangen hat sie zu heilen.
  27. Wenn wir aber nun sterben, da werden sie alle vollkömmlich geheilet seyn. Derohalben, so oft du fühlest, dass du gereizet wirst zur Ungeduld, Hoffart, Unkeuschheit, und zu andern Sünden, so oft sollst du wissen, dass du fühlest tödtliche Pfeile der Erbsünde, welche der Teufel in Adams Fleisch, daher deines geboren ist, geschossen hat, und sollst alsobald gedenken, dass du diesen Pfeilen widerstehest, und bittest den Herrn Jesum, dass diese Sünde nicht ûberhand nehme, und dich überwinde, sondern dass sie durch seine Gnade überwunden werde.
  28. Also sagt Paulus zu den Galatern 5: „Wandelt im Geiste, so werdet ihr die Lüste des Fleisches nicht vollbringen; denn das Fleisch gelüstet wider den Geist, og den Geist gelüstet wider das Fleisch: dieselbigen sind wider einander, dass ihr nicht thut, was ihr wollet“. Und zu den Römern 13,13.14. spricht er also: „Lasset uns ehrbarlich wandeln, als am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Kammern und Geilheit, nicht in Hadern und Eifern, sondern ziehet an den Herrn Jesum Christ, und thut nicht nach des Fleisches Klugheit, seine Lüste zu büssen“.
  29. Davon magst du auch besehen das ganze siebente Kapitel zun Römern. Der nun also mit seinen Sünden streitet, dem wird nicht allein die Sünde von Gott nicht zugerechnet, wie sehr sie auch noch in ihm lebe; sondern er wird auch eine Krone erlangen, und davon errettet werden. Die aber nicht wider ihre Sünden streiten, sondern bewilligen darein, die fallen gar wiederum in die Erbsünde, und werden, wie sie vor der Taufe sind gewesen.
  30. Zum fünften. Aus diesem entspringet nun eine Frage, mit der man hin und wieder umgehet:Wie es doch zugehe, dass die Eltern in der Erbsünde Kinder gebären, so sie doch getauft sind, und die Erbsünde sey ihnen vergeben? 
  31. Darauf antwortet abermahl Augustinus, und sagt ein schön Gleichniss und spricht: Gleicherweise wie ein Körnlein, das man ohne Aehren und Hülsen oder Spreue in den Acker wirft, nicht von sich giebt andere Körnlein, ohne Hülsen, ohne Stengel und ohne Aehren, wie es öffentlich am Tage ist; also zeugen die getauften Eltern keine Kinder ohne die Erbsünde, ob sie, die Eltern, gleich getauft sind, und durch die Taufe von der Erbsünde gefreiet. 
  32. Und sagt auch ein ander Exempel, von dem Oelbaum, wenn man davon eine Frucht pflanzet, so wächst kein guter, sondern ein wilder Oelbaum daraus; also gehet es hier auch zu: obgleich die Eltern durch die Taufe von der Erbsünde errettet sind, so gebären sie doch ihre Kinder mit der Erbsünde. 
  33. Das ist aber die ganze Ursache; denn das Fleisch der Menschen kann nimmermehr in diesem Leben vollkömmlich zu seiner Reinigkeit kommen, so, dass es ohne Lust und sündliche Begierde wäre; derohalben können die Eltern ohne solche Lust und Begierde nicht Kinder empfahen noch gebären.
  34. Daher sagt auch David im 51. Psalm: „Siehe, ich bin in Untugend gemacht, und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen.“ Und das ist das, welches St. Augustinus sagt: Die Erbsünde bringet nicht der Stamm oder die Geburt, sondern die Lust; als wollte er sagen: Wenn die Eltern ohne Lust und Begierde könnten empfahen und gebären, so würde kein Kind in Erbsünde geboren.
  35. Aber Gott der Herr duldet solche Lust und Begierde in den Eltern, um der Ehe willen des menschlichen Geschlechts, sonderlich aber und am vornehmsten um der Taufe und Glaubens willen an Christo. Denn solche Lust kann in diesem Leben nicht ganz und gar hinweg genommen werden; auch muss das menschliche Geschlecht gezeugt und also gemehret werden.
  36. Und derohalben prediget man viel von der Jungfrauschaft im neuen Testament, lobet und erhebet sie sehr hoch, so dass, wenn einer nicht wollte, dürfte er solcher Lust nicht, sondern löchete von Stund aus die Erbsünde; aber man siehet es wohl, was es ist.
  37. Zum sechsten. Das ist nu auch die Ursach, warum Christus hat wollen von einer Jungfrau geboren werden, durch den heiligen Geist, ohne Mann; nämlich darum, dass er nicht auch mit der Erbsünde befleckt würde, welche natürlich der menschlichen Geburt von Mann und Weib folget; wie wir gehöret haben.
  38. Daher sagt man alleine von diesem Sohn Mariä, wie Elisabeth zu Maria sprach: „Gebenedeiet ist die Frucht deines Leibes,“ Luc. 1. Denn die Frucht aller anderer Weiber ist vermaledeiet: denn sie ist in Sünden empfangen, wie gesagt ist; von welcher Vermaledeiung sie nicht entlediget wird, denn wenn sie sich hält zu dieser gebenedeiten Frucht der Jungfrauen Mariä, zu dem Herrn Christo; welches denn geschieht durch die Taufe und den Glauben an denselbigen Christum.
  39. Denn da wird sie wiedergeboren in eine andere Frucht, und wird eine geistliche Frucht daraus. Darum sprach Christus zu Nicodemo: „Es sey denn, dass jemand von neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes sehen,“ Joh. 3.
  40. Wie aber dieser Wiedergeburt soll zugehen, und wie sie geistslich geschehen soll, sagte er ihm ferner und sprach: „Es sey denn, dass jemand geboren werde aus dem Wasser und Geist, der kann nicht in das Reich Gottes kommen“.
  41. Und um der Ursach Willen auch sagt man, wie der Engel Gabriel zu Maria sprach: „gebenedeiet bist du unter den Weibern,“ Luc. 1. Denn kein Weib ist so heilig, ist auch keine gewesen, wird auch keine kommen, die da die Frucht ihres Leibes gebenedeiet gebäre; sintemal keine ohne Lust und Sünde empfähet. 
  42. Der Spruch Davids bleibt wohl wahr: „Siehe, ich bin in Untugend gemacht, und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen;“ den Titel müssen führen alle Menschenkinder, den einigen Christum ausgeschlossen.
  43. Allhier wird auch der freie Wille darnieder gestossen; den niemand kann durch den freien Willen solcher Lust widerstehen, sintemal sie den Menschen durchfressen hat von der Scheitel bis auf die Fersen.
  44. Zum siebenten. Dieweil aber die Jungfrau Maria auch von Vater und Mutter natürlich geboren ist, haben ihrer viele wollen sagen, dass sie auch in Erbsünde empfangen sey; doch dieselbigen alle halten das einträchtiglich, dass sie im Mutterleibe geheiliget sey, und dass ihre Eltern ohne Lust und Begierde empfangen haben. 
  45. Aber etliche haben des Mittels rühmen wollen, und gesagt, dass des Menschen Empfängniss sey zweierlei: eins, welches aus natürlicher Vermischung des Mannes und Weibes herkomme; das andere Empfängniss geschehe denn, wenn der Leib in Mutterleibe ist zugerichtet, und wenn die Seele von Gott, dem Schöpfer, eingegossen werde. 
  46. Von dem ersten Empfängniss sagen wir hier nicht; es liegt auch nicht viel daran, obgleich die Jungfrau Maria nach gemeiner Weise aller Menschen empfangen sey; so, dass auf diese Weise alleine Christus ausgenommen sey, welcher auch alleine sonderlich auf diese Weise empfangen ist, ohne Zuthun eines Mannes.
  47. Denn es musste so seyn, dass Christus empfangen würde, Gott und Mensch, vollkommen in allen Gliedmassen; und derohalben war es vonnöthen, dass allda das allergeistliche und heiligste Empfängniss wäre.  
  48. Aber in der Jungfrauen Mariä Empfängniss, welcher Leib mit der Zeit , nach andrer Kindlein Gewohlheit, gemacht ist bis zur Eingiessung der Seele, ist nicht vonnöthen gewesen, dass ein solch Empfängniss wäre; denn sie hat können enthalten werden vor der Erbsünde bis auf die Seele. 
  49. Aber was Gott in der andern Empfängniss mit Marien gethan habe, ist uns nicht in der Schrift angezeigt; darum auch hier nicht gewisses zu glauben mag gepredigt werden. Gedanken aber sind zollfrei, mag denken jedermann, was er will; aber doch, dass er keinen Artikel des Glaubens daraus mache.
  50. Aber das andere Empfängniss, nämlich die Eingiessung der Seele glaubt man mildiglich und seliglich, dass es ohne Erbsündesey zugegangen; so, dass im Eingiessen der Seele sie auch zugleich mit von der Erbsünde sey gereiniget worden, und mit Gottes Gaben gezieret, zu empfahen eine heilige Seele, ihr von Gott eingegossen, und also den ersten Augenblick, da sie anfieng zu leben, war sie ohn alle Sünde.
  51. Denn ehe sie lebete, möchte man wohl sagen, dass weder Sünde noch nicht Sünde da sey gewesen, welches allein der Seelen und einem lebendigen Menschen zustehet.
  52. Also hält die Jungfrau Maria gleich das Mittel zwischen Christo und andern Menschen. Denn Christus, da er empfangen ward und lebete, ist er gleich denselben Augenblick voller Gnade gewesen. Die andern Menschen sind ohne Gnade, beide, in der ersten und andern Empfängniss.
  53. Aber die Jungfrau Maria, wiewohl sie dem ersten Empfängniss nach ohne Gnade war, doch nach dem andern Empfängniss war sie voller Gnade, und das nicht unbillig, denn sie ist ein Mittel gewesen zwischen aller Geburt, denn sie ist geboren von Vater und Mutter, sie aber hat geboren ohne Vater, und ist eine Mutter worden, zum Theil eines leiblichen, und zum Theil eines geistlichen Sohnes. 
  54. Denn Christus ist beide, von ihrem Fleisch und von dem heil. Geist empfangen. Christus aber ist ein Vater vieler Kinder, ohne leibliche Vater und ohne leibliche Mutter. Wie nun die Jungfrau Maria recht ist ein Mittel zwischen leiblicher und geistlicher Geburt, ein Ende der leiblichen, und ein Anfang der geistlichen; also hält sie auch recht das Mittel zwischen dem Empfängniss.
  55. Denn wie die andern Menschen empfangen werden in Sünden, beide, an der Seele und am Leibe, Christus aber ohne Sünde, beide, am Leib und Seele; also ist Maria, die Jungfrau, empfangen worden nach dem Leibe wohl ohne Gnade, aber an der Seele voller Gnade.
  56. Das wollen nun diese Wort, da der Engel Gabriel zu ihr saget: „Gebenedeiet bist du unter den Weibern“. Denn man könnte zu ihr nicht sprechen, gebenedeiet bist du, wenn sie je unter der Vermaledeiung gelegen wäre; es war auch recht und billig, dass diese Person ohne Sünde enthalten würde, von welcher Christus nehmen sollte das Fleisch, das da überwinden sollte alle Sünden.
  57. Denn das heisst eigentlich gebenedeiet, was mit göttlicher Gnade begabet ist, das ist, was da ohne Sünde ist. Davon haben andere viel mehr geschrieben, und schöne Ursachen angezeiget, welche zu lang wären, du zu erzählen. Das sey auf diessmal genug: wollen Gott um Gnade anrufen.
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