Luther, Martin - Letzte Predigt in Wittenberg.

Luther, Martin - Letzte Predigt in Wittenberg.

Am 17. Januar 1546 über Röm. 12, 3 ff. 1).

„Denn ich sage euch durch die Gnade, die mir gegeben ist“. Röm. 12, 3 ff.1)

Der heilige Paulus hat erstlich gelehrt, wie er pflegt, die Hauptstücke christlicher Lehre, vom Gesetz, Sünde, Glauben, wie man sollt gerecht werden vor Gott und ewiglich leben. Wie ihr denn wißt und oft gehört habt und noch täglich hört, nämlich daß zwei Stücke zu lehren und zu predigen sind: zum ersten soll man dafür sorgen, daß der Glaube an Christum recht gepredigt werbe, zum andern, daß die Früchte und guten Werke recht gelehrt und getrieben werden.

Zum Glauben gehört, daß wir wissen, was da sei die Sünde, das Gesetz, der Tod, und was er thut: item, wie wir wiederum zum Leben kommen und darin bleiben. Auf diese Weise lehrt Paulus in allen seinen Episteln erstlich vom Glauben an Christum und setzt den guten Baum. Gleich als wer einen guten Garten will zeugen, der muß gute Bäume haben. Also thut Paulus auch vornher setzt er gute Bäume und lehrt, wie wir sollen gute Bäume werden, das ist, gläubig und selig werden.

Solches hat er nun beschrieben bis hierher an das 12. Capitel. Hier lehrt er die Früchte des Glaubens bis an's Ende der Epistel, auf daß wir nicht falsche Christen seien, die allein den Namen haben, sondern rechte, wahrhaftige Gläubige. Dies ist die Predigt von guten Werken, welche Gott gebietet vornehmlich in der ersten und andern Tafel, daß wir, so da durch den Tod des Sohnes Gottes erlöst sind, gottseliglich leben sollen, als die wir nicht gehören in dies Leben, sondern in das ewige, so wir anders recht glauben, daß wir nicht nach dem Glauben wiederum in die Welt gerathen. Wie er denn kurz zuvor sagt (V. 2): Reformamini in novitate sensus vestri2) etc. Zählt also die guten Werke auf, so man thun sollt, bis zum Ende der Epistel. Erstlich nimmt er vor sich die Früchte, welche die Christen unter sich selbst thun, als wäre sonst kein Regiment, denn das Kirchenregiment mit der Taufe rc. Darnach im 13. Capitel lehrt er von weltlicher Obrigkeit, wie sich gegen dieselbe die Christen halten sollen; im 14. vermahnt er, daß die Starken die Schwachen im Glauben aufnehmen sollen.

Nun lehrt er von den Werken der Christen. Wir sind jetzt, will er sagen, reich gemacht durch den Herrn Christum, aus der Gewalt des Teufels und Welt in sein Reich versetzt, das ist, in die Kirche Christi, durch's Wort und die Sacramente, und sind Erben Christi, des Sohnes Gottes, der uns das ewige Leben gegeben hat; so ist vonnöthen, daß wir nun zusehen, und schicken uns recht in die herrliche Berufung und Gaben. Nach der Taufe bleibt noch viel vom alten Adam. Denn, wie oft gesagt ist, die Sünde ist wohl in der Taufe vergeben, aber wir sind noch nicht ganz rein; als in der Parabel3) von dem Samariter (Luc. 10, 34), der den von Räubern Verwundeten in die Herberge trug, angezeigt wird. Er nahm ihn nicht so an, daß er ihn flugs heil machte, sondern verband ihm seine Wunden und goß ihm Oel darein.

Der unter die Mörder gefallen war, hat zwei Schaden empfangen: alles, was er hat, haben sie ihm genommen, haben ihn beraubt und verwundet, daß er halb todt war, hätte auch sterben müssen, wenn der Samariter nicht gekommen wäre. Adam ist unter die Mörder gefallen und hat die Sünde auf uns alle gebracht; wenn der Samariter Christus nicht gekommen wäre, so hätten wir alle müssen verderben: derselbige verbindet uns nun, trägt uns in die Kirche und heilt uns; also sind wir unter dem Arzt. Die Sünde ist wohl gänzlich vergeben, aber noch nicht gar ausgefegt. Wenn der heilige Geist die Menschen nicht regierte, würden sie wieder faul; aber der heilige Geist muß die Wunden täglich reinigen. Darum ist dies Leben ein Spital: die Sünde ist wohl vergeben, aber noch nicht heil.

Da muß man nun predigen und Jedermann auf sich Achtung haben, daß ihn seine eigene Vernunft nicht verführe. Denn siehe, was die Schwarmgeister thun; das Wort und den Glauben haben sie angenommen, so kommt die Klugheit hergelaufen, die noch nicht ausgefegt ist, und will klug sein in den geistlichen Sachen, will Schrift und Glauben meistern, und macht Ketzerei. Wenn wir ganz rein wären, so bedürften wir des Predigtamts nicht überall4), wir ermahnt werden, bedürften wir keines Zuchtmeisters, sondern würden von uns selbst alles willig thun, wie die Engel im Himmel. Aber weil wir noch stecken im schändlichen Madensack5) (den die Schlangen mit der Zeit fressen sollen, hätte wohl ärgers verdient, daß er in der Hölle brennte ewiglich), so ist noth, daß man immer dem alten Menschen wehre und ihn ausziehe mit seinen Werken und ziehe den neuen Menschen an, der da verneuert wird zu der Erkenntniß, nach dem Ebenbilde des, der ihn geschaffen hat.

Wucherei, Säuferei, Ehebruch, Mord, Todtschlag rc., die kann man merken, und versteht auch die Welt, daß sie Sünde seien; aber des Teufels Braut, ratio6), die schöne Metze7), fährt herein und will klug sein, und was sie sagt, meint sie, es sei der heilige Geist : wer will da helfen? Weder Jurist, Medicus8), noch König oder Kaiser. Denn es ist die höchste Hure, die der Teufel hat. Die andern groben Sünden sieht man; aber die Vernunft kann Niemand richten: die fährt daher, richtet Schwärmerei an mit der Taufe, Abendmahl, meint, alles, was ihr einfällt und der Teufel in's Herz gibt, soll der heilige Geist sein. Darum spricht Paulus: So wahr ich ein Apostel bin, und Gott mir hat den Geist gegeben, also ermahne ich.

Ja, sprichst du, bin ich doch ein Christ. Siehe dich vor vor dir selbst: die Sünde ist noch nicht rein ausgefegt oder geheilt. Wie, wenn ich zu einem jungen Gesellen oder einer Metze9) sage: Daß du nicht solltest des Vaters oder der Mutter Krankheit haben, ist unmöglich; wenn du aber der Lust folgst, so wirst du ein Hurer. Da vermahnt sich das Evangelium: Thue es nicht, folge der bösen Begierde nicht: die Sünde ist wohl vergeben, allein sieh zu, auf daß du in der Gnade bleibest. Das übrige Unglück, so dem Fleisch noch anhängig, ist vergeben, aber noch nicht rein ausgefegt, wie der, so unter die Mörder gefallen. Ich rede von der Brunst, welche eine grobe Sünde ist und Jedermann fühlt. So Jemand der Vermahnung Gottes nicht folgt, zu widerstehen dem Teufel, wenn man versucht wird, dem ist die Sünde nicht vergeben.

Und was ich von der Brunst, so eine grobe Sünde ist, rede, solches ist auch von der Vernunft zu verstehen: denn dieselbige schändet und beleidigt Gott in geistlichen Gaben, hat auch viel greulichere Hurenübel, denn eine Hure. Ein Abgöttischer läuft hier einem Abgott nach, der einem andern, wie die Propheten reden, unter einem Baum10); wie ein Hurentreiber einem unzüchtigen Weibe nachläuft. Darum heißt's die Schrift Abgötterei, Hurerei, der Vernunft Weisheit und Heiligkeit. Wie haben sich die Propheten mit der schönen Hurerei, Abgötterei, zerscholten: die ist ein Wild, das sich nicht leichtlich fangen läßt, und ist ihr die Thorheit angeboren, welche sie für die höchste Weisheit und Gerechtigkeit hält, und kann doch in Gottes Sachen nicht klug sein. Da müssen wir wehren, wie die Propheten sagen: Ihr sollt Gott nicht auf den Bergen oder in den Thälern noch unter den Bäumen dienen, sondern zu Jerusalem, da sein Wort, und der Ort, ihm zu dienen, verordnet ist. Hierwider sagt die Vernunft: Es ist wahr, ich bin wohl berufen, beschnitten, und ist mir auch befohlen, daß ich gen Jerusalem gehe, aber hier ist eine schöne Wiese, ein feiner, grüner Berg, wenn man hier einen Gottesdienst anstiftet, das wird Gott und allen Engeln im Himmel gefallen: ist denn Gott ein solcher Gott, der sich allein zu Jerusalem läßt anbinden? Solche Weisheit der Vernunft heißen die Propheten Hurerei.

Also, wenn wir vom Glauben predigen, daß man nichts soll anbeten, denn allein Gott, der da ist ein Vater unsers Herrn Jesu Christi, wie wir im Glauben sprechen: „Ich glaube an Gott den Vater, allmächtigen, und an Jesum Christum“; da bleiben wir bei dem Tempel zu Jerusalem. Dies ist mein geliebter Sohn, den hört, ihr werdet ihn finden in der Krippe, der soll's allein thun. Aber die Vernunft sagt hier das Widerspiel: Soll man denn allein Christum anbeten? Ei, soll man die heilige Mutter Christi nicht auch ehren? Die ist das Weib, welches der Schlange hat den Kopf zertreten11). Erhöre uns, Maria; denn dein Sohn ehrt dich also, daß er dir nichts kann versagen. Hier hat sich Bernhardus12)) zu viel gethan im Evangelio, Missus est angelus etc.13)) Gott hat befohlen, man soll die Eltern ehren, ich will Maria anrufen, die wird für mich den Sohn bitten, und derselbige den Vater, welcher den Sohn wird erhören. Daher ist das Gemälde, wie Gott zürnt, und Christus dem Vater die Wunden, Maria aber Christo ihre Brüste zeigt. Das treibt die hübsche Braut, der Vernunft Weisheit: Maria ist des Herrn Christi Mutter, fürwahr, so wird sie Christus erhören; Christus ist ein gestrenger Richter, ich will S. Georg14), S. Christophel15) anrufen.

Nein, wir sind aus Gottes Befehl getauft im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, gleichwie die Juden beschnitten sind. Darum, wie die Juden durch's ganze Land von sich selbst erwählte Gottesdienste angerichtet haben, gleich als ob Jerusalem zu eng wäre, also haben wir auch gethan. Derhalben, wie ein junger Gesell muß der bösen Lust wehren, ein Alter dem Geiz: also ist die Vernunft von Art und Natur eine schädliche Hure. Aber sie soll mir nicht schaden, wenn ich allein16) ihr widerstrebe. Ja, sie ist aber schön, sie gleißet über die Maßen fein! Da sollen Prediger sein und die Leute weisen auf den Kinderglauben: Ich glaube an Jesum Christum, nicht an S. Georg und S. Christophel. Denn allein von Christo wird gesagt: „Siehe, das Lamm Gottes, welches die Sünde der Welt hinweg nimmt!“ nicht von Maria oder Engeln, Der Vater schreit vom Himmel herab (Matth. 17, 5): „Diesen hört“; nicht vom Gabriel rc.

Darum soll ich bei dem Kinderglauben bleiben, da kann ich mich der Vernunft erwehren, wenn die Wiedertäufer geifern: Die Taufe ist Wasser, was kann's ausrichten? Oder Geist muß es thun. Hörst du es, du schäbichte, aussätzige Hure, du heilige Vernunft, daß geschrieben steht: Diesen hört, der da sagt: „Geht hin und tauft alle Heiden; wer glaubt und getauft wird [der wird selig]“ (Marc. 16, 15 ff.). Es ist nicht schlechtes17) Wasser, sondern die Taufe, so im Namen der heiligen Dreifaltigkeit gegeben wird.

Darum siehe, daß du die Vernunft im Zaume hältst und folgst nicht ihren schönen Gedanken: wirf ihr einen Dreck in's Angesicht, auf daß sie häßlich werde. Gedenkst du nicht daselbst an das Geheimniß der heiligen Dreifaltigkeit und an das Blut Jesu Christi, damit du von deinen Sünden gewaschen bist? Item, vom Abendmahl sagen die Schwarmgeister, die Sacramentirer: Was soll Brod, Wein? Wie kann Gott der Allmächtige seinen Leib in Brod geben? Ich wollte, daß du müßtest mit dem Hintermaul rc.! Sind so klug, daß sie Niemand zu Narren kann machen: wenn sie einer in einem Mörser hätte und mit dem Stempel zerschlüge, so wiche doch die Thorheit nicht von ihnen. Die Vernunft ist und soll in der Taufe ersäuft sein, und soll ihr die närrische Weisheit nicht schaden, allein so sie den Sohn Gottes hört, der da sagt: „Nehmt hin, das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; dies Brod, das dir dargereicht wird, sage ich, sei mein Leib“. Wenn ich solches habe, trete ich die Vernunft mit ihrer Weisheit mit Füßen. Du verfluchte Hure, willst du mich verführen, daß ich mit dem Teufel Hurerei treiben sollte ? Also wird die Vernunft durch das Wort des Sohnes Gottes gereinigt und frei gemacht

Also laßt uns auch handeln mit den Rotten, wie die Propheten mit den geistlichen Hurern, den Abgöttischen, mit den Klüglingen, die es besser machen, denn es Gott macht, und sollen zu ihnen sagen: Ich habe einen Bräutigam, den will ich hören, deine Weisheit ist die größte Thorheit rc. Dieser Streit währt bis auf den letzten Tag. Das will S. Paulus, wir sollen nicht allein die andern Lüste, sondern auch die Vernunft und hohe Weisheit dämpfen. So dich Hurerei anficht, schlage sie todt, und thue solches vielmehr in der geistlichen Hurerei. Es gefällt einem nichts so wohl, als die philautia18), wenn einer seine eigene Lust an seiner Weisheit hat; die Begierde der Geizigen ist nichts dagegen. Wenn einem sein eigener Dünkel herzlich gefällt und bringt dann die schönen Gedanken in die Schrift, das ist der Teufel ganz und gar. Diese Sünde ist vergeben; aber wenn sie in der Natur, so noch nicht gar gereinigt ist, herrscht, da verliert man bald die rechte Lehre; da ist Christus auch hinweg, und sie, die Lehrer, fallen auf dem Berge vor dem Teufel nieder und beten ihn an, Matth. 4,9.

Darum vermahne ich euch, spricht Paulus, durch die Gnade, die mir Gott gegeben hat. Als wollte er sagen: Ihr habt noch einen Dünkel bei euch, wie andere grobe Sünde; darum seht euch vor vor euch selbst. Bisher habt ihr das rechte, wahrhaftige Wort gehört, nun seht euch vor vor euren eignen Gedanken und Klugheit. Der Teufel wird das Licht der Vernunft anzünden und euch bringen vom Glauben, wie den Wiedertäufern und Sacramentsschwärmern widerfahren ist, und sind nun mehr Ketzereistifter vorhanden. Ich habe mehr denn dreißig Rottengeister. vor mir gehabt, die mich haben lehren wollen; aber ich widerlegte alle ihre Dinge mit diesem Spruch (Matth. 17,5): „Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe, den hört“. Und mit diesem Spruch habe ich mich durch Gottes Gnade bisher erhalten, sonst hätte ich müssen dreißigerlei Glauben annehmen.

Die Ketzer suchen allerwegen Ränke, daß wir ihnen sollen weichen, nachlassen, zugeben, aber wir wollen es mit Gottes Hülfe nicht thun. So sprechen sie denn: Ihr seid stolze Tropfen. Ich will gern allerlei Scheltworte leiden, aber nicht eines Fingers breit weichen von dessen Munde, der da sagt: „Diesen hört“. Ich sehe vor Augen, wenn uns Gott nicht wird geben treue Prediger und Kirchendiener, so wird der Teufel durch die Rottengeister unsere Kirche zerreißen, und wird nicht ablassen, noch aufhören, bis er's geendet hat. Das hat er kurzum im Sinne. Wo er's nicht kann durch den Bapst und Kaiser, so wird er's durch die, so noch mit uns in der Lehre einträchtig sind, ausrichten. Derhalben ist hoch vonnöthen, daß man von Herzen bete, daß Gott uns reine Lehrer geben wolle. Jetzt sind wir sicher und sehen nicht, wie greulich uns der Fürst dieser Welt durch den Bapst, Kaiser und unsere Gelehrten allhier nachtrachtet, welche sagen: Was schadet es, daß man das nachläßt? Nein, nicht ein Haar breit sollen wir nachlassen. Wollen sie es mit uns halten, gut; wollen sie nicht, so lassen sie es! Ich habe von ihnen die Lehre nicht empfangen, sondern durch göttliche Gnade von Gott. Ich bin wohl gewitzigt. Darum bittet Gott mit Ernst, daß er euch das Wort lasse, denn es wird greulich zugehen. Ei, sagen die Juristen und die Klugen zu Hofe: Ihr seid stolz, es wird ein Aufruhr darauf erfolgen rc. Unser Herr Gott helfe, daß wir uns getrost wider diese gefährliche Anfechtung wehren!

Du magst wohl von dir halten, daß du vor Andern mit sonderlichen Gaben begnadet seiest, und Gott dafür von Herzen danken; aber nicht zu weit, sondern so weit, daß sich's reime19) mit dem Glauben und daß es dem Glauben ähnlich sei. Wenn dir ein Dünkel einfällt, ich will ihn nicht verwerfen so ganz, sondern etwas gelten lassen; aber halte da ein. S. Paulus spricht: mit Maßen, laß dich ihn nicht verführen. Wie kann ich denn wissen, wie fern? S. Paulus antwortet, secundum analogiam fidei, das ist, so fern, daß er dem Glauben gemäß sei. So sollst du deinen Dünkel unter dem Zaum halten, wie die bösen Lüste des Fleisches zu zähmen sind.

Dünkel ist Erbsünde, als, daß einer Lust habe zu einer jungen Metze20). Was ist das? Antwort: Also sollst du die Metze lieb haben, daß du sie nicht anders begehrst, denn zum ehelichen Gemahl, denn das sechste Gebot verbietet die ungebührliche Liebe. Es ist ja in der verberbten Natur die Lust; wenn du sie aber so mäßigst: Ich will die Metze lieb haben, nicht, daß ich Hurerei mit ihr treiben wollte, - da hat die Lust ihr Maß, nämlich, daß es nicht ist wider das sechste Gebot, daß also das sechste Gebot die Maße sei, darnach die Lust gehen soll. Also hier in der höllischen, hurerischen Lust: daß es fein herrlich ist zugegangen im Papstthum, da hast du eine Freudenlust an deinem Dünkel; aber hänge der Lust einen Knüttel an den Hals, mache ihr ein Maß, daß sie nicht überfahre, sondern bleibe unter dem Glauben, welcher ist Oberherr über alle Gaben, die wir haben, nicht allein über den Dünkel: es soll alles unter dem Glauben sein; vielmehr der schöne Dünkel soll nicht klüger sein, denn der Glaube. Siehe derhalben, daß er sich damit reime und demselben gemäß sei.

Wenn du einen Sacramentschwärmer hörst, der daher lästert: Im Sacrament des Altars ist nur Brod und Wein; item: Sollte Christus auf dein Wort vom Himmel steigen in dein Maul und Bauch? - Ei, es gefällt mir wohl, was du sagst! Ei, hat der Teufel so eine gelehrte Braut ? Aber was sagst du mir hierzu: „Dies ist mein geliebter Sohn, den hört“; und der sagt: „Dies ist mein Leib“? Troll dich mit deinem Dünkel auf das heimliche Gemach! Höre auf, du verfluchte Hure; willst du Meisterin sein über den Glauben, welcher sagt, daß im Abendmahl des Herrn sei der wahre Leib und das wahre Blut; item, daß die Taufe nicht schlechtes Wasser ist, sondern Wasser Gottes des Vaters, Gottes des Sohnes und Gottes des heiligen Geistes. Diesem Glauben muß die Vernunft unterthan und gehorsam sein. Item, die von uns sagen, wir sind stolz, wir sollten weichen. Reden sie von leiblichen Sachen? Nein, sondern von Glaubenssachen. Nun ist aber also geschrieben, daß uns der Dünkel gefallen soll, so fern er nicht wider den Glauben ist, aus welchem du nicht sollst einen Knecht machen21), noch Christum vom Himmel herab stürmen22).

Also hat uns Paulus vermahnt, daß wir widerstehen den hohen, bösen Lüsten, nicht allein den niedrigen und geringen. Den hohen Lüsten soll ich das Wort vom Glauben an den Hals hängen. Vernunft, Weisheit, willst du mich auf einen schönen, grünen Berg führen, daß ich da Gott anbete? Ich will es nicht thun, sondern zu Jerusalem will ich Gott anbeten; es geht mich nichts an, daß man Gott auch an anderm Ort anbeten kann, sondern Gott hat verboten, ihn unter einem grünen Baum anzubeten. Ich weiß wohl, daß Gott durch die Mutter des Sohnes könnte helfen, aber er will nicht helfen, denn nur allein durch den Sohn Jesum Christum, den Herrn, auf welchen wir alle unser Vertrauen und Hoffnung setzen sollen. Gott könnte wohl sagen: Wenn du diesem Heiligen ein Pater noster 3) betest, so sollst du selig werden; aber Gott will nicht, daß du es thun sollst, ja, er hat's hart verboten. Das ist das böse Unglück, das S. Paulus hier berührt, daß wir uns vorsehen, nicht allein vor den groben Lüsten, sondern auch vor den hohen Lüsten, welche die Einigkeit des Glaubens zerreißen und richten Hurerei, das ist, Abgötterei an.

1)
Am 17. Januar (2. nach Epiph.) 1546, am letzten Sonntag, den Luther in Wittenberg verlebte, hat er auch das letzte Mal an der Hauptstätte seiner Lebensarbeit gepredigt. Am Sonnabend darauf brach er nach Mansfeld auf, dahin ihn die Grafen von Mansfeld zur Schlichtung ihrer Streitigkeiten gerufen hatten. Am 22. Februar brachte man Luthers Leiche nach Wittenberg.
2)
„Verändert euch durch Verneuerung eures Sinnes!“
3)
Gleichniß
4)
Wodurch
5)
In diesem irdischen, verweslichen Leibe.
6)
Vernunft
7)
Buhldirne
8)
Arzt
9)
Mädchen, Magd
10)
Vgl. z. B. 1. Kön. 14,23
11)
1. Mos. 3, 15 übersetzt die römische Kirche nicht, derselbe wird dir den Kopf zertreten„, sondern dieselbe“, nämlich Maria.
12)
Auch sonst tadelt Luther den heiligen Bernhard von Clairvaux, den „güldenen Prediger“ (1091-1153), deshalb, weil er der Maria göttliche Ehre zuspreche. z. B. „S. Bernhard, der sonst ein frommer Mann gewesen ist, saget auch also: Siehe im ganzen Evangelio, wie greulich oft Christus schilt, straft und verdammt die Pharisäer und geschwinde mit ihnen fährt, dagegen die Jungfrau Maria immerdar freundlich und sanftmüthig ist und hat nie kein hart Wort geredet, und daher dann die Gedanken geschöpft: Christus schilt, straft, aber bei Maria, da eitel Süßigkeit und Liebe. Drum so hat man vor Christus sich gefürchtet, und sind von ihm wir alle gelaufen zu den Heiligen, und Maria und andere angerufen für Nothhelfer; und waren dieselbigen alle heiliger, denn Christus: denn Christus war allein der Henker, die Heiligen aber waren unsere Mittler“. (Erl. Ausg. 47, 23.
13)
„Es wurde ein Engel gesandt“. (Luk. 1, 26 ff.
14)
S. Georg, nach der Legende aus Kappadocien, Patron von Deutschland und Genua, gest. 303, ist einer der 14 Nothhelfer.
15)
Christoph=Christophorus, war nach der Sage ein heidnischer Riese, der nur dem Mächtigsten dienen wollte. Nachdem er als den Mächtigsten erst seinen König, dann den Teufel angesehen, trat er endlich in den Dienst Christi, indem er um seinetwillen Pilger ohne Lohn über einen reißenden Strom trug. Einst trug er auch das Christkind hinüber und empfing von ihm die Taufe. Christophorus ist auch einer der vierzehn Nothhelfer.
16)
nur
17)
gewöhnliches
18)
Eigenliebe
19)
vertrage, übereinstimme
20)
Magd, Mädchen
21)
Ihn knechten durch deine Vernunft
22)
Christo seine Gottheit rauben
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