Krummacher, Gottfried Daniel - Das Opfer Christi und seine Frucht (2)

Krummacher, Gottfried Daniel - Das Opfer Christi und seine Frucht (2)

In welchem Willen wir sind geheiliget, einmal geschehen durch das Opfer des Leibes Jesu Christi.
Hebräer 10,10

Wir haben unlängst von Christo als dem einigen Opfer für unsere Sünde geredet. Die Betrachtung der Frucht desselben blieb zurück. Der Herr verleihe denn Licht und Gnade, um dies jetzt zu unserm Nutzen nachzuholen. Wir gedenken einiges von der Wirkung dieses großen Opfers teils in Absicht auf Gott, teils in Absicht auf uns, zu bemerken.

I.

Es darf sich's wohl keiner anmaßen, als vermöchte er alle Zwecke des großen Opfers, von welchem wir reden, erschöpfend darzustellen. Ist die Größe des Opfers selbst einem eingeschränkten Verstande unerreichbar, so ist es auch der ganze Umfang seines erhabenen Zwecks. Beides durchschaut nur Gott. Jedoch können wir soviel davon verstehen lernen, als erforderlich ist, uns zu seligen Menschen zu machen.

Unser Text belehrt uns, daß durch das große Opfer des Sohnes Gottes sein Wille, sein Rat und Vorhaben geschehen und erfüllet sei. Von welcher hohen Bedeutung muß also dies Opfer sein, durch welches alle Ratschlüsse Gottes ihre Vollendung, ihr Ziel erreichen. Von Anfang, ja von Ewigkeit ward alles darauf an- und hingeleitet, weshalb Christus auch Off. 13,8 wunderbarer Weise das Lamm genannt wird, das geschlachtet ist von Anfang der Welt. Kein Wunder, wenn es deswegen so oft in der Leidensgeschichte heißt: Auf daß die Schrift erfüllet werde, weil sie es ist, welche uns, soweit es uns dienlich ist, die göttlichen Vorsätze und Ratschläge kund tut, woher es auch leichter ist, daß Himmel und Erde vergehen, welches einmal wirklich geschehen wird, als irgend eins von den Worten Gottes. Merkwürdig ist's derhalben auch, daß bei der Vollendung dieses Opfers das Wort „es ist vollbracht“ ausgesprochen ward, dies Wort, das dreimal in der Schrift bei sehr wichtigen Ereignissen gebraucht wird. Das erstemal nach vollendeter Schöpfung, das zweitemal auf Golgatha, kurz nach der dreistündigen Finsternis und unmittelbar vor dem Tode Jesu, das drittemal Off. 21,6, wo Jerusalem als eine geschmückte Braut vom Himmel herabfährt, wo ein neuer Himmel und eine neue Erde wird, denn der erste Himmel und die erste Erde verging, und das Meer ist nicht mehr (Vers 1 und 2). Dies sind die drei größten Begebenheiten, wo das Opfer in der Mitte liegt, gleichsam die Achse, um welche sich alles in seinen großen Kreisen bewegt. Dies Opfer war also gleichsam der ganze Wille Gottes und der Mittelpunkt aller seiner Wege, am vierten großen Welttage gebracht, wie die Sonne auch einst am vierten Tage ward. nach seiner Vollendung begab sich der, der's gebracht, wieder am siebenten Tage zur Ruhe, wie er einst getan. Er, durch den alle Dinge gemacht sind.

Dies ist genug davon gesammelt, und es ist vielleicht überflüssig, nachzuweisen, wie durch dies Opfer Gott die höchste Verherrlichung über der Sünde dargebracht, ihm die allerglänzendste Genugtuung geschehen, seine Gerechtigkeit erwiesen, und zugleich der Reichtum seiner Barmherzigkeit verherrlicht sei, wie nützlich und angenehm sonst auch diese Betrachtung ist, und wie gründlich sie auch erscheinen mag.

Eine erleuchtete Vernunft schon wird es einsehen, daß Gott, als dem höchsten und zuletzt alleinigen Monarchen das Begnadigungsrecht zustehe, daß er es in dem Umfange und unter gewissen oder auch ohne alle Bedingungen nach seinem Wohlgefallen ausüben könne, ohne jemand Rechenschaft zu geben; daß er sich, wie Elihu (Hiob 37) sagt, auch in dieser Hinsicht vor niemand zu fürchten brauche, wie weise sie sind. Aber wer will nachweisen können, warum, wie der Apostel sagt, ohne Blutvergießen keine Vergebung geschieht, und wenn er's nachgewiesen zu haben glaubt, meinen, daß er das rechte getroffen? Genug, Christus mußte solches alles leiden, und dadurch ward die Missetat versöhnet, und die Sünde zugesiegelt, und die ewige Gerechtigkeit zuwege gebracht.

II.

Was die Wirkung des Opfers Christi in Absicht auf die Menschen betrifft, so verdienen die herrlichen Ausdrücke beachtet zu werden, welche das Bekenntnisbuch unserer höchst ehrwürdigen Kirche hiervon braucht, ich meine den Heidelberger Katechismus. Er redet von dem Opfer Christi und allen seinen Gütern, er nennt's den einigen Grund unserer Seligkeit und sagt: Unsre ganze Seligkeit stehe in dem einigen Opfer Jesu Christi, für uns am Kreuz geschehen. Dies ist das herrliche Bekenntnis unserer Kirche und der wahren Kirche überhaupt, deren Bund ja eben über diesem Opfer gemacht ist, welche Gott als eine feste Stadt, auf Bundesblut gegründet hat.

Hiermit wird erstens jeglicher andere Grund, sowohl der Seligkeit selbst, als der Hoffnung derselben, wie auch des Vertrauens zu Gott als unstatthaft und falsch zurückgewiesen. Daher eifert dieser Brief und die Schrift im ganzen gegen alle sonstigen Opfer, das etwa eines geängsteten Geistes und zerschlagenen Herzens ausgenommen. Abgewiesen wird der Hoffnungsgrund, der etwa außer dem geopferten Christus sich auf die ursprüngliche Güte, Liebe und Barmherzigkeit Gottes stützen wollte, ein Grund, der, ich weiß nicht warum, bei der vornehmen, weisen und törichten Welt so beliebt, so gang und gäbe ist, daß sie auch die Liebe Gottes wunderbar herausstreicht und rühmt, während sie zu gleicher Zeit den höchsten und eigentlichen Beweis derselben umgeht oder gar abweiset. nein, nein. Außer Christo ist Gott ein verzehrend Feuer, und alle Gottlosen Stroh. Außer ihm donnert und blitzt es auf alle Sünder los, die nur durch Christum zum Vater kommen können, außer ihm aber im Tode und Kinder des Zorns sind und bleiben. Die Liebe Gottes außer dem geopferten Christus ist ein Hirngespinst, und wer den Sohn nicht hat, hat überhaupt keinen Gott (2. Joh. 9). Eben so unstatthaft ist ein Hoffnungsgrund, den der Mensch auf seine eignen Werke baut. Wie verrufen ist dies im Worte Gottes, welches erklärt, daß durch des Gesetzes Werk niemand gerecht wird, daß es nicht aus den Werken sei, daß, die mit des Gesetzes Werk umgehen, unter dem Fluche sind, und dergleichen nachdrücklicher Stellen mehr. Dennoch gibt es eine große Menge grober und subtiler Werkgerechten außer der sorglosen Anzahl derer, welche weder Werke noch Gnade achten. Jene groben Werkgerechten glauben, ehrbar und rechtschaffen genug zu sein, um sich die Seligkeit als ein unbezweifeltes Recht zuzuschreiben, und wie leicht mag es, daß ein verdüsterter Mensch sich für gerecht und gut genug hält. Subtil hängt dies auch noch Heilsbegierigen und Begnadigten mehr oder weniger an, und sie sind sehr geneigt, halb auf Christum und halb auf sich selbst zu bauen, und wo sind die zu finden, welche, wie Petrus ermahnt, ihre Hoffnung ganz auf die Gnade setzen? Dahin zielen auch die mannigfachen Führungen der Gnade, welche der Seele nach und nach alle falschen Stützen rauben, um ihr nichts als Christum übrig zu lassen.

Indem aber jeder andre Hoffnungsgrund außer dem Opfer Christi abgewiesen wird, wird zugleich dieses als der vollkommene dargestellt. Es hat eine vollkommene Versöhnung der Welt mit Gott bewirkt, weshalb auch das Wort von der Versöhnung unter uns aufgerichtet ist. Die Sünde ist so vollkommen getilgt, als wäre sie nie geschehen. In die Tiefe des Meeres ist sie versenkt, in die Wüste getragen, und soweit von denen getan, welche Teil an diesem Opfer haben, als der Aufgang der Sonne ist vom Niedergang. Die Handschrift, so wider uns war, ist ans Kreuz geheftet und aus dem Mittel getan, und er hat uns geschenkt alle Sünde, so daß gefragt werden mag: Wer will verdammen oder auch nur beschuldigen? indem sich die Seele auf dieses Opfer stützt. Ja, die Sünde ist nicht nur getilgt wie ein Nebel, und die Missetat wie eine Wolke, sondern sie ist auch überschwenglich doppelt und vielfach bezahlt. Der versöhnende Gehorsam überwiegt den strafbaren Ungehorsam unendlich, und jener hat Gott, seine Ehre, seine Vollkommenheit, sein Gesetz und seine Rechte, bei weitem mehr verherrlicht, als dieser imstande war, sie zu verdunkeln, so daß die Begnadigung des Sünders nicht bloß als Barmherzigkeit, sondern auch als ein Recht betrachtet wird. Der Gehorsam, das Leiden, der Tod eines Gottes, den uns das kündlich große Geheimnis des Evangeliums lehrt, muß den Ungehorsam der Menschen mehr überwiegen, als aller Sand am Meer ein einziges Körnlein. Wurde nun 3. Mos. 16 von dem alttestamentlichen alljährlichen Sühnopfer, welches doch nur ein Schatten des zukünftigen war, dennoch gesagt: An diesem Tage geschieht eure Versöhnung, daß ihr gereiniget werdet, von allen euren Sünden werdet ihr gereiniget vor dem Herrn. Darum soll es auch der größte Sabbat sein, und ihr sollt euren Leib demütigen. Ein ewiges Recht sei das. Wie vielmehr gilt dies in seiner vollen Kraft von dem großen Opfer des Sohnes Gottes, der sich selbst ohne allen Wandel durch den heiligen Geist Gott geopfert hat, unser Gewissen zu reinigen von den toten Werken, zu dienen dem lebendigen Gott. daher wird ins einem Namen gerecht aller Same Jakobs. Daher heißen diejenigen, für welche dies Opfer gebracht ist: Heilige, Gerechte, Herrliche, Abgewaschene, eine Gemeine, die herrlich ist, ohne Flecken, Runzel oder des etwas. Ja, der Apostel braucht etlichemal einen erstaunenswürdigen Ausdruck, wiewohl ihn Luther nicht in seine Übersetzung aufgenommen, weil er ihn in seinem Mönchsstande einst sehr geängstigt hatte, weil er ihn verkehrt begriff, ich meine die gewaltige Redensart, wo er sagt: Wir sind Gerechtigkeit Gottes in ihm. Stärker, gewaltiger konnte der Apostel nicht reden. Er redet aber nicht in Worten menschlicher Weisheit, sondern in Worten, welche der Heilige Geist lehret. Es wäre genug und viel gewesen, wenn er gesagt: Wir sind in ihm gerecht wie die Engel. Wenn er aber so redet, wie er tut, so zerrinnen alle menschlichen Gedanken und Berechnungen. Eben so heißt es bei dem Propheten Jeremia Kap. 23: Dies wird sein Name sein, daß man ihn nennen wird: Herr, der unsre Gerechtigkeit ist. Kap. 22 aber, wo die vorigen Worte noch einmal vorkommen, werden sie dahin abgeändert, daß es heißt: Man wird sie, die Stadt nennen: Jehova, unsere Gerechtigkeit. Ich bin überzeugt, daß eine Seele, die dies im Lichte erkennt und versteht, alle ihre Sünde wie einen Nebel vor der kräftig durchbrechenden Sonne schwinden sieht, daß Schmerz und Seufzen weg müssen, und Freude und Wonne sie ergreifen. Und Gott Lob, daß die eigenen Erfahrungen nicht weniger unter uns dies bestätigen, und sie auch schon ausrufen konnten (Jes. 61,10): Ich freue mich in dem Herrn, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott, denn er hat mich angezogen mit Kleidern des Heils und mit dem Rock der Gerechtigkeit gekleidet. Wagte der mutige Luther es nicht einmal, was er fand, so zu übersetzen, wie er's fand, wiewohl er dadurch nur ängstlicher Personen schonen wollte, wer würde es gewagt haben, so zu reden, redete nicht so ein Mann kraft göttlicher Autorität! Jedoch zog Luther vor, zu übersetzen: Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, um bekümmerten Gemütern einen ähnlichen Schrecken zu ersparen, als er über den Ausdruck, Gerechtigkeit Gottes, gehabt, welchen er so mißverstanden, daß er eine Zeitlang glaubte, im Evangelio werde die den Sünder strafende Gerechtigkeit eben so wie im Gesetz geoffenbaret, worüber er beinahe in Verzweiflung niedergesunken wäre, wie er selbst erzählt, bis er es zu seinem großen Entzücken anders einsehen lernte.

Nachdem dies große Opfer vor mehr als anderthalb Tausend Jahren einmal geschehen, braucht unsererseits nicht nur nichts zur Tilgung unsrer Sündenschuld vorgenommen zu werden, sondern es darf's auch nicht einmal. Es braucht's nicht, denn es ist vollkommen geschehen, ist für alle Arten und Staffeln der Sünde, des Ganzen, dadurch so teuer erkauften Volks und währt ewiglich in seiner Kraft und Gültigkeit fort. Du brauchst nicht aus der Ursache deine Sünden zu bereuen und zu betrauern, nicht aus der Ursache dein Leben zu bessern, um, verstehe es wohl, deine Schuld damit wieder gut zu machen, was du auch nicht vermagst, sondern beides, die Neue und Lebensbesserung, muß einen andern Grund und Zweck haben. Jene, um dein also zerknirschtes Herz für den heilenden Balsam des Blutes Christi empfänglich zu machen, diese, um deine Dankbarkeit zu bezeugen, beides nicht durch Furcht, sondern vielmehr durch Liebe bewirkt. Und o wohl dir, wenn die Liebe deine Wangen mit bußfertigen, reuevollen Tränen netzt, wenn die Liebe dich zu einer genauen Gottseligkeit dringt, ohne daß du dich dadurch Gott angenehm zu machen gedächtest, was doch in dem Geliebten geschehen ist. Hiernach mag man auch beurteilen, was davon zu halten sei, wenn man klagt, man fühle keine rechte Reue und Leidwesen, keine rechte Liebe und Eifer. O, daß du glauben könntest, so würdest du die Herrlichkeit Gottes sehen! Meinest du etwa, es werde dem Herrn gefallen, wenn du dich übel hast und dein Haupt hängen lässest wie ein Schilf? Ach, nichts ist ihm angenehm und nichts macht angenehm als der heiligende Weihrauch des Opfers und der Fürbitte seines Sohnes. Glaubst du das?

Es darf's auch nicht, und alles, was nicht aus Glauben geschieht, ist Sünde. Schon unter dem Alten Testament war's jeden, außer den Priestern, scharf und gänzlich untersagt, priesterliche Handlungen zu verrichten, so klein oder groß sie auch waren. Nur die Priester durften Sünd- und Dankopfer zurichten, nur sie salben und räuchern. Wie dürfte denn unter dem neuen Testament etwas vorgenommen werden, das der einmal durch Christum gestifteten Versöhnung zu nahe käme? Bereuen wir derhalben unsre Sünde, beten wir, befleißigen wir uns eines ehrbaren Lebens in der Absicht, uns dadurch Gott gnädig zu machen, so wird aus diesen sonst nötigen, heiligen und heilsamen Dingen ein schrecklicher Eingriff in das hohe Geschäft des einigen Priesters, eine Verleugnung seines ewigen und allein gültigen Opfers und folglich eine schwere Sünde wider das Evangelium. Und wer kann merken, wie oft er diese Sünde, die gar nicht als Sünde betrachtet wird, begeht, und wie sehr er auch darüber des einigen Sühnopfers bedarf! Wer ist, der stets in einem so lautern, evangelischen Sinne einhergeht? Und wer es tut, den bewahrt der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle Vernunft, Herz und Sinne in Christo Jesu. Wer hätte nicht Ursache, auch in dieser Beziehung zu bitten: Verzeihe mir auch die verborgenen Fehler, und zu begehren: Verkläre deinen Namen! Doch wäre es auf der andern Seite auch ein seltsamer und ungeheurer Irrtum, den man aus diesem wahren Grundsatz herleitete, wenn man überhaupt von Reue, Gebet und gottseligem Wandel verächtlich hielte, wiewohl das verkehrte Menschenherz leicht von einem Äußersten zu einem noch schädlichern andern überspringt; von Werkgerechtigkeit zur Gesetzlosigkeit, von eigenem Werk zur Werklosigkeit. Dein guter Geist führe mich auf ebener Bahn! Es soll hinter ihnen herrufen und sagen: Dies ist der Weg, denselbigen gehet; sonst weder zur Rechten noch zur Linken (Jes. 30,21)!

Der Vollkommenheit dieses Opfers gemäß ist also nichts mehr zu verrichten, um sich die Vergebung der Sünden oder irgend eine Gnade und Gabe zu erwerben, oder sich Gott gnädig zu machen. Es ist dieses schon auf die allervollkommenste Weise durch die Aufopferung Christi ein für allemal geschehen. Es ist alles bereitet. Die Vollkommenheit dieses Opfers stellt der Apostel in dieser Epistel sehr fleißig und gründlich vor, um die süßen Früchte desselben desto genießbarer zu machen, welche vornehmlich in einer völligen, furchtlosen Freimütigkeit zu Gott besteht, in welchem der Glaube durch die Aufopferung Christi nichts als lauter Gnade erblickt.

So das Opfer Christi zu fassen, daß unser Herz und Gewissen ganz dadurch gestillt und beruhigt wird, ist eine Aufgabe, die wir aus eigenen Kräften und durch daraus hergeleitete richtige Schlüsse nicht zu lösen vermögen, es sei denn, daß der Heilige Geist uns dabei leite und unterstütze. Es hat das Geschäft übernommen, Christum zu verklären, und nur in seinem Licht sehen wir das Licht.

Es ist dieses ein Weg, worauf kein reißend Tier ist, worauf auch die Toren nicht irren, worauf aber auch kein Unreiner wandelt (Jes. 35,8). Diese Lehre macht keine sorglose, sichere Leute, und wenn so etwas daraus erwächst, so beweiset es nur, daß sie mißverstanden, nicht aber im Licht des Heiligen Geistes erkannt wird, denn wo der Heilige Geist das eine schenkt, da läßt er's auch an dem andern nicht fehlen. Er schafft einen ganzen, wohlgestalteten neuen Menschen, wo nichts Unförmliches ist. Wo sich derhalben eine große Einsicht in die Vollkommenheit des Opfers Christi findet, da kann, darf und wird es auch nicht an einer derselben entsprechenden Liebe und Gottseligkeit mangeln. Darum soll man aber auch den Kindern, den Mühseligen und Beladenen das Brot nicht vorenthalten, sondern ihnen vielmehr einen vollen Tisch bereiten und ihnen zurufen: Esset meine Lieben, und trinket meine Freunde und werdet trunken; ihnen predigen: So hat man Ruhe, so erquickt man die Müden, so wird man stille, ihnen zurufen:

Es ist nichts mehr auszumachen,
Es gibt nichts mehr abzutun.
Und bei allen unsern Sachen
Lassen wir die Hände ruhn;
Wir genießen nur die Früchte
Dessen, was er ausgemacht,
Da er uns in dem Gerichte
Längst mit Ehren durchgebracht.

und zu ihnen sagen:

Nun, ihr halb gewes'ne Knechte
Und halb Kinder in dem Haus,
Macht‘s vor Gott in Christi Rechte
Einst auf alle Sünden aus!
Ihr habt nichts mehr zu versprechen,
Ihr habt vor den Schulden Ruh,
Und ein jedes neu's Gebrechen
Rechnet immer mit dazu!

Kurz, mit einer Opfergabe

Hat das Lamm so viel getan,
Daß das Volk von seiner Habe
Sich vollendet nennen kann.
Unsere Gerechtigkeiten
Wachsen nicht mit unsrer Kraft,
Weil ihr Grund vor unsern Zeiten
In dem Opfer Jesu haft'.

ob es dem heiligen Geist gefiele, als ein kindlicher Geist über sie kommen, daß sie das Abba, lieber Vater, sagen lernten, und schreien könnten: In dem Herrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke; wodurch eben der köstliche Eckstein zum schönsten Gebäude der Gottseligkeit in der Seele gelegt würde, welches ja ein großer Gewinn wäre. Hungert und durstet denn nach der Gerechtigkeit, strebet nach den besten Gaben, denn ihr sollt satt werden!

Der Apostel sagt nun: In welchem Willen wir sind geheiligt. Der Wille Gottes, von welchem hier die Rede ist, ist derjenige, nach welchem Gott kein anderes Opfer als dasjenige seines eigenen Sohnes wollte, welcher ihn vollbrachte, indem er sich selbst opferte, wodurch alle, die es angeht, geheiligt sind. Der Hohepriester braucht selbst dies Wort, wenn er sagt: Ich heilige mich selbst für sie, auf daß auch sie geheiliget sein in der Wahrheit. Und der Apostel sagt nicht: Geheiligt werden, wie Christus vor der Vollendung des Opfers, sondern geheiligt sind, nachdem jene Aufopferung geschehen.

Die Heiligung, ohne welche wird niemand den Herrn sehen, wie der Apostel 12,14 sagt, hat einen engeren und weiteren Umfang und Sinn. Im engeren Sinn ist die Heiligung die Fortsetzung der Bekehrung, oder dasjenige Werk des Geistes Gottes in der Seele, wodurch ein Bundesgenosse Gottes von seinen Sünden immer mehr gereiniget und zum Guten immer tüchtiger gemacht wird. Sie ist die, bis zur gänzlichen Vollendung fortgesetzte Reinigung der Seele von Irrtum, Sünde, Unfriede und Ohnmacht, und vollkommene Umgestaltung in das herrliche Ebenbild des Sohnes Gottes, dermaßen, daß endlich keine Spur von der alten, sündlichen Art mehr übrig bleibt, sondern die ganze Seele voll Licht und Leben, voll Gottes und seines Heiligen Geistes ist, voll Friedens und voll Freude. Diese Heiligung ist allein eine Frucht des Opfers Christi am Kreuz. An dasselbe hat er auch unsern alten Menschen angeheftet, daß er samt ihm und sodann in uns gekreuzigt, getötet und sogar begraben würde, und wir können keinen Teil an dem Opfer haben, wenn dies nicht in uns vollzogen wird. So müssen wir samt Christo sterben aller Sünde. Durch seine Auferstehung, welche die Vollkommenheit der gestifteten Versöhnung bewies, brachte er ein neues geistliches Leben ans Licht. Und wenn dieses in uns kommt, stehen wir mit Christo auf von den Toten. Diese Heiligung aber kommt in dieser Welt nicht zur Vollkommenheit. Das Fleisch wird hienieden nicht gänzlich abgetan, und der Geist nicht in seine volle selige Herrschaft gesetzt, sondern beide sind wider einander, daß ihr nicht tun könnet, was ihr wollt. Wenn nun der Apostel auch von dieser Heiligung in der völlig vergangenen Zeit redet und sagt: Wir sind geheiligt, nicht wir werden geheiligt, so ist diese Art, von mehrenteils zukünftigen Dingen als völlig gegenwärtig oder schon geschehenen zu reden, vollkommen der Gewißheit des Gnadenbunds und der Mitteilung seiner Güter angemessen. Der völlige Glaube redet und rechnet also. Vom geringsten Erstling schließt er zuversichtlich auf die völlige Ernte. Wer hungert und durstet nach Gerechtigkeit, hat sie selbst offenbar noch nicht, wie könnte er sonst hungern, welches ja einen Mangel andeutet. Dennoch ist es so gut, als ob er schon wirklich satt wäre, und darum preiset Jesus ihn schon selig, eben so wie die Armen und Leidtragenden wegen des ihnen so gewiß zuteil werdenden Trostes, als ob sie ihn schon wirklich genössen. Wer nun Teil an dem Opfer hat, der wird auch kraft desselben gewiß geheiligt. Wer das aber nicht wird, sondern in Sünden bleibt und gern darin bleibt, der hat, so lange dieser Sinn in ihm fortdauert, durchaus keinen Grund, zu hoffen, er habe an diesem Opfer und seinen Früchten den allergeringsten Anteil. Vielmehr hat er daran einen deutlichen Beweis, daß er noch zu der Welt gehöre, für welche Jesus nicht einmal bitten will, geschweige sich opfern wollte.

Im ausgedehnteren Sinne aber umfaßt das Wort Heiligung die ganze kostbare Frucht des großen Opfers Christi am Kreuz. Dazu gehört erstens die Aufhebung des Fluchs des Gesetzes, weil Christus am Kreuz ein Fluch ward für uns, sintemal nicht nur jeder verflucht ist, der nicht in allem bleibet, was geschrieben stehet in dem Buch des Gesetzes, sondern auch, wer am Holz hänget. Diesen schrecklichen Fluch, welcher ein gänzliches Verderben nach sich zieht, und den die Sünde über uns und die ganze Erde gebracht hat, hob Christus ans Kreuz, um uns davon zu erlösen, und des alles Heil mitteilenden Segens teilhaftig zu machen. Welch' eine unnennbar herrliche Frucht! Wie von dem einen Holz im Paradies sich alles Unheil ergießt, so ergießt sich wie ein Strom von dem andern Holz auf Golgatha alles Heil; dort Tod, hier Leben; dort Finsternis, hier Licht; dort Zorn, hier Gnade; dort das Urteil zum Tode, hier die Rechtfertigung des Lebens. Kurz, es ist gar nicht auszusprechen, was für eine segens- und folgenreiche Umgestaltung der Dinge an den verabscheuungswürdigen Sparren des Kreuzes bewirkt wurde, so daß Paulus sich auch keines Dings als nur des Kreuzes Christi rühmen will. Hier offenbart sich eine Torheit Gottes, welche klüger, und eine Schwachheit Gottes, welche stärker ist, als alle Menschen sind. Eine andere Frucht des am Kreuz vollbrachten Opfers Christi ist die Aufhebung und Abschaffung der mangelhaften und lästigen alttestamentlichen Verfassung, die einer Zwangsanstalt glich, wo die Gläubigen mehr wie Knechte, als wie Freie und Kinder gehalten wurden. Schimmerten auch überall etliche Lampen der Gnade, so war doch viel Dunkelheit, Furcht und Zagen und ängstliches Wahrnehmen auch der geringsten Formen, deren Versäumung den augenblicklichen Tod nach sich ziehen konnte. Dennoch war's ein Gebot und Befehl, alles mit Freuden zu tun, und wiederum alles was sie taten, ungültig und vergeblich. Dachte man bei dem Altare, die Versöhnung sei geschehen, so hieß Gott nach einem Jahre, immer wieder opfern gehen. Ehe man dem Herrn zur Gabe Gottes Lämmlein dargebracht, ward aus aller unsrer Habe weniger als nichts gemacht. Daher zerriß im Augenblick des Opfertods Christi der Vorhand im Tempel, anzudeuten, daß jetzt der wahre Weg zur Heiligung eröffnet sei, vermittelst des, durch Leiden des Todes vollendeten Herzogs unsrer Seligkeit. Drittens ward der herrliche neue Bund begründet, weshalb Christus bei dem heiligen Abendmahl sagte: Dieser Kelch ist das Neue Testament in meinem Blut. Dieser vortreffliche Bund, der so ganz den Bedürfnissen blutarmer Sünder angemessen ist, weil in demselben nichts gefordert wird, als was er auch zugleich geben will. Heißt es derhalben: Macht euch ein neu Herz, so heißt es auch: Ich will euch ein neu Herz geben, und so spricht die gläubige Seele: Schaffe in mir Gott, ein reines Herz! Heißt es: Waschet, reinigt euch, so heißt's auch wiederum: Ich will den Unflat der Tochter Zions waschen und die Blutschulden Jerusalems vertreiben von ihr durch den Geist, der richten und ein Feuer anzünden wird. Und dem gemäß spricht die gläubige Seele: Wasche mich, daß ich rein werde! Dieser Gnadenbund macht die, welche nichts haben, so reich, daß sie alles haben, macht die Unvermögenden so stark, daß sie alles können, verleiht Gottlosen eine Gerechtigkeit Gottes. O, heißt's deswegen Jes. 48,18, daß du auf meine Gebote merktest, so würde dein Friede sein wie ein Wasserstrom, und deine Gerechtigkeit wie Meereswellen. Wer die Beschaffenheit dieses neuen Bundes, vom heiligen Geist unterwiesen, recht versteht, der versteht's auch, sich in dem Herrn zu freuen alle Wege.

So macht dieses große Opfer freie und heilige Menschen, welche, durch dasselbe erlöset von der Dienstbarkeit der Sünde, des Unglaubens, des Gesetzes, welches fordert ohne zu stärken, des Teufels und der Welt, Gott dienen ohne Furcht ihr Lebenlang. Es macht freie und starke Menschen, welche stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke alles vermögen, in allem weit überwinden, und deren Glaube der Sieg ist, der die Welt überwindet. Es macht reiche und herrliche Menschen, die, weil sie in ihm bleiben, alles bitten mögen, was sie wollen, und es soll ihnen werden, denen alles zum Besten dienen muß, deren alles ist, weil sie Christi sind. Es macht freie und fröhliche Menschen, die über diesem Opfer, durch welches sie geheiligt und vollendet sind, kein Gewissen mehr haben von der Sünde, sondern mit aller Freimütigkeit zu allen Zeiten zum Gnadenstuhl hinzunahen, als ihrem lieben und allmächtigen Vater, als ihrem allergnädigsten und getreuesten Freund und Schutzherrn, als ihrem majestätischen König und Regierer, die sich deswegen allewege freuen.

O kostbare Frucht dieses kostbaren und einzigen Opfers! Warum wird sie dann, ach, warum wird sie dann so wenig begehrt, so selten gesucht, so selten in ihrer Fülle genossen? Soll sie denn umsonst sein die Einladung: Kommt, denn es ist alles bereitet? Bedarf man denn dieses Opfers nicht, oder gibt's außer demselben einen Weg zum Heil? Will man denn die Glückseligkeit nicht, die sie gewährt, während man jeder andern nachrennt? So wird denen endlich auch nichts übrig bleiben als ein schreckliches Warten des Gerichts und des Feuereifers, der die Widerspenstigen verzehren wird, denn unser Gott ist ein verzehrend Feuer. Wer entrinnen will, mache sich hierher und lasse nicht ab, bis an ihm die Fülle der Frucht des großen Opfers recht offenbar, und er ein freier und heiliger, ein fröhlicher und starker, etwas werde zu Lobe der herrlichen Gnade! Amen.

Quelle: Krummacher, G. D. - Gesammelte Ähren

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