Krummacher, Gottfried Daniel - Das Haupt der Gemeine (5)

Krummacher, Gottfried Daniel - Das Haupt der Gemeine (5)

Fünfte Predigt

Ich bin es, der Gerechtigkeit lehret und ein Meister bin, zu helfen.

Jesaja 63,1.

Wir haben neulich von den Kleidern des Schilo gehandelt, deren auch in diesem Textkapitel gedacht wird. Unser Vers beginnt mit einer Frage: Was das für einer sei, der aufs prächtigste geschmückt und in großer Kraft daher komme? Und die vorgelesenen Worte enthalten die Antwort darauf. Sie nennt zwei Hauptgeschäfte des Erlösers: Das erste ist Gerechtigkeit zu lehren, das andere sich als Meister im Helfen zu erweisen, und beides eignet er sich ausschließlich oder doch vorzugsweise zu, wenn er sagt: Ich bin es.

Zuerst nennt sich die hier redende Person den, der Gerechtigkeit lehret, und wer ist dies anders als Jesus Christus? Meister, Lehrer, war der gewöhnliche Name, den seine Jünger ihm gaben, und Nikodemus mochte wohl sagen: Du bist ein Lehrer, von Gott kommend. Was für ein Lehrer war er aber? Er stellt sich selbst als den einigen und unvergleichlichen dar, so daß er das eine mal sagt: Alle, die vor mir gekommen, sind Diebe und Mörder gewesen, das andere Mal aber sich als den einigen darstellt, der dazu geboren und in die Welt gekommen, die Wahrheit zu bezeugen. Ja, er nennt sich sogar die Wahrheit selbst, so daß alle Wahrheit von ihm ausgeht, und nur der die Wahrheit erkennt, welcher ihn erkennt, weswegen auch sein himmlischer Vater über ihn ausruft: Den sollt ihr hören. Er lehrte deshalb gewaltig oder als gewalthabend, als ein solcher, der schon deswegen Glauben fordert, weil er etwas sagt, und schon das für Beweises genug angesehen wissen will, daß er es sagt, denn sein Zeugnis ist wahr, und sein Urteil recht, darum läßt er sich niemals in Beweise dessen, was er sagt, ein, sondern sagt auch in dieser Beziehung: Glaube nur! Er fordert einen gänzlichen Gehorsam des Verstandes, eine gänzliche Verleugnung aller eigenen Meinungen und will, daß wir auch in dieser Hinsicht Kinder sein sollen, die alles glauben, was man ihnen sagt, und wäre es ganz ungereimt. Jesus lehrte nun teils durch andere; selbst in den Propheten, die vor ihm lebten, war der Geist Christi, so wie er in seinen Aposteln nach ihm war, ihnen gebührt deswegen in ihrer Lehre der nämliche Glaube, wie Christus selbst, denn er sagt: Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf; teils lehrte er in eigener Person während seines Wandels auf Erden, jedoch noch nicht vollständig, denn er sagt: Ich habe euch noch viel zu sagen, aber ihr könnt's jetzt noch nicht begreifen. Christus verwaltet sein Lehramt auch noch immerdar vom Himmel aus, da wir ihn nicht nur in der heiligen Schrift noch immer predigen hören können, sondern da er noch jetzt seinen in alle Wahrheit leitenden Geist aussendet. So ist Christus der eigentliche Pfarrer und Bischof der Gemeine, von den übrigen Lehrern aber, selbst den Aposteln, heißt es: So ist nun weder der da pflanzt noch begießt, etwas. Einer ist euer Meister, Christus. Was die Beschaffenheit seiner Lehre anbetrifft, so ist dieselbe vollkommen und läßt deswegen keinerlei Verbesserung zu, erlaubt aber eben so wenig Zusätze als Weglassungen, welches Offenb. Joh. im letzten Kapitel aufs schärfste verboten ist, wenn es daselbst heißt: So jemand dazu setzt, so wird Gott zusetzen die Plagen, die in diesem Buche geschrieben stehen. Und so jemand davon tut von den Worten des Buchs des Lebens und von der heiligen Stadt und von dem, das in diesem Buch geschrieben stehet, mit welchen Worten die ganze heilige Schrift versiegelt und unverletzlich gemacht wird. ja, der Apostel spricht sogar über den Engel vom Himmel den Fluch aus, der das Evangelium anders predige. Will daher jemand etwas besser oder mehr wissen als die Heilige Schrift, so ist er höchlich zu verabscheuen und gänzlich zu verwerfen. Die Heilige Schrift ist auch so klar und deutlich abgefaßt, daß zu ihrem Verständnis weder ein besonderer Scharfsinn und Verstand, noch eine große Gelehrsamkeit erforderlich ist. Damit soll aber keineswegs geleugnet werden, daß der Inhalt der heiligen Schrift, besonders in einzelnen Stücken und lehren, so hoch und so tief sei, daß das Senkblei unseres Fassungsvermögens außer stande ist, den Grund zu erreichen, und kein Verstand alle Schwierigkeiten auszulösen vermag, sondern anbeten muß, wo er weiter nichts antworten kann. Es gilt von einem großen Teil der heiligen Schrift, was Petrus insbesondere von den Schriften Pauli sagt: Es seien einige Stücke schwer zu verstehen, was von Petri Brief auch gilt. Dies ist aber auch von der Natur wahr, die uns umgibt, und je schärfer der Verstand ist, der die Ereignisse derselben ermißt, desto unerforschlicher sind die Geheimnisse, welche ihm begegnen, so daß ein Weiser, der übrigens auch einer der demütigsten Verehrer der heiligen Schrift war, durch den einfältig scheinenden Gedanken: Woher es wohl komme, daß ein Apfel vom Baum auf die Erde und nicht in die Wolken falle, auf die wichtigste Untersuchung und Entdeckung geleitet wurde, wiewohl doch noch keiner sagen kann, was z.B. die Schwere eigentlich sei, mag man sie auch als eine Neigung irdischer Körper beschreiben, sich gegen den Mittelpunkt der Erde zu bewegen, und mag es auch 1000 Menschen, die an kein scharfes Nachdenken gewohnt sind, gar nicht einleuchten, was dabei schwierig sei. Wie dürfen wir es uns dann wundern lassen, wenn es auch der heiligen Schrift nicht an Dingen fehlt, wo wir ausrufen mögen: O welche ein Tiefe des Reichtums, beide der Weisheit und der Erkenntnis Gottes, wie unbegreiflich sind seine Wege und unerforschlich seine Gerichte! Oder wie dürften wir uns unterstehen, solche Stellen, die dergleichen Tiefen verraten, so zu deuten, daß sie nicht so scheinen. Übrigens kann ja die Klarheit nicht größer sein, als womit sie die Heilige Schrift ausspricht: Über das allgemeine und große Verderben der menschlichen Natur und ihre Untauglichkeit zum Guten, über den Zorn Gottes wider die Sünde, über die Unzulänglichkeit aller Werke zur Gerechtigkeit und Seligkeit, über die Rechtfertigung allein durch den Glauben, über den Opfertod Jesu als den einigen Grund unserer Rechtfertigung, Heiligung und Heiligmachung, über die Notwendigkeit der Wiedergeburt, der Buße, des Glaubens, der Heiligkeit, des Gebets und des geistlichen Streites, so wie über einzelne Pflichten der Gottseligkeit. Über alle diese und damit verwandte Gegenstände redet die Heilige Schrift mit einer Bestimmtheit und unumwundenen Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig läßt, so daß Nikodemus wenigstens von der Notwendigkeit der Wiedergeburt überzeugt wurde, wenn er auch die Art derselben nicht begriff. Ja, die Heilige Schrift drückt sich über vieles deutlicher aus, als manchem lieb ist, die sich Mühe geben, das Licht zu verdunkeln, weil es sie beleidigt; wer aber das Licht lieb hat, der kommt an dasselbe, mag es ihn auch bestrafen, demütigen und betrüben, um durch dasselbe durchleuchtet, erquickt und belebt zu werden. Ist uns die Schrift nicht klar, so liegt die Schuld in uns selbst, und wir haben mit David zu bitten: Öffne du mir die Augen, damit ich sehe die Wunder in deinem Worte!

Das, was Christus lehret, ist ferner geistlich, muß derhalben geistlich gerichtet werden, die Schrift kann deswegen nur von Frommen und solchen, die es werden wollen, recht verstanden werden, den andern widerfährt alles in Gleichnissen, wovon sie keine rechte Einsicht erlangen und wohl gar noch ärger und böser dadurch werden, oder sich dagegen auflehnen und empören, wie sie Jesu Lehre bald der Härte, bald des Unsinns, bald der Gottlosigkeit beschuldigten, denn die Weisheit kommt in keine boshafte Seele, aber meine Rede ist lieblich den Frommen.

Die Lehre Jesu ist jedem geistlichen Alter und Zustande der Menschen angemessen, oder jeder kann etwas ihm dienliches darin antreffen. Wie viele dringende Aufforderungen zur Sinnesänderung und Bekehrung sind nicht für diejenigen in der heiligen Schrift enthalten, welche noch unbußfertig und unbekehrt sind! Mit welchen kräftigen Bewegungsgründen werden sie unterstützt, wenn es z.B. heißt: So bekehret euch nun zu dem Herrn euerm Gott. Gott ist barmherzig und reuet ihn bald der Strafe. Die wirklich Gottseligen stehen nicht alle auf der nämlichen Stufe der Gottseligkeit, aber das Wort Gottes enthält sowohl Milch für Kinder, als starke Speise für Erwachsene und stellt allen ein so erhabenes Ziel vor, daß auch diejenigen, welche vollkommen sind, sagen: Ich jage ihm aber nach, ob ich's ergreifen möchte, nachdem ich von Christo Jesu ergriffen bin. Diejenigen aber, welche unordentlich wandeln, und die erste Liebe verlassen, finden darin sowohl ihre Bestrafung und Ermahnung, als die Traurigen und Ängstlichen Aufmunterung und freundlichen Zuspruch. Der denkende Verstand findet hier Gegenstände, woran er sich üben mag, wie dem Herzen eine reichliche Nahrung angeboten wird.

Die Lehre Christi ist ferner dem verderbten Sinne und der natürlichen Denkweise der Menschen nicht angemessen und heißt deshalb eine törichte Predigt. Denn so kam und kommt sie in manchen Stücken jenen vor, wiewohl sie wirklich eine göttliche Predigt ist. Wer seinen Verstand durch die Unterweisung der Weltweisen ausgebildet und ihre Grundsätze angenommen hat, dem wird das Evangelium äußerst befremdend vorkommen, denn was weiß jene Weisheit von dem menschlichen Verderben, und noch viel weniger von dem Glauben an Jesum, und dies sind doch die beiden Punkte, um welche das Evangelium sich dreht. Wie seltsam dünkt es der Natur, daß wir umkehren und werden sollen wie die Kinder. Wer darf hoffen, der Welt Grundsätze zu empfehlen, wie die sind, welche Christus Matth. 5 empfiehlt, wo er selig preiset die Armen am Geist, nicht zu gedenken, was Paulus sagt: Man soll ein Narr werden vor der Welt, und wenn ich schwach bin, bin ich stark. Kein Wunder, wenn die Lehre Christi teils in der Welt sehr heftig bestritten und sehr feindselig angefochten ist, teils gar nicht in derselben hat geduldet werden wollen, und daß überhaupt diese Lehre selten ohne allerhand menschliche Zutat und Verbrämung in ihrer wahren Lauterkeit und Reinheit erscheint.

Sie setzt auch eine große Selbstverleugnung voraus und fordert sie so entschieden, daß Christus erklärt, wer sich nicht verleugnen könne, auch sein Jünger nicht sei. Aber freilich, wie kann man nun seiner heilsamen Forderung: „Lernet von mir,“ ohne Selbstverleugnung entsprechen? Denn, wollen wir von ihm lernen, so müssen wir uns von aller eigenen Weisheit leer achten, wiewohl man freilich auch im natürlichen keine Kunst erlernen kann, es sei denn, daß man glaube, man verstehe sie nicht, der Meister aber verstehe sie. Jesu Lehre geht auch überhaupt so schnurstracks gegen den eigenen Willen, gegen die Eigenliebe und Eigengerechtigkeit, sogar gegen das eigene Thun und Wirken an, daß man tausendfachen Anlaß zur Selbstverleugnung findet, sie setzt sich überhaupt in Streit wider den alten Menschen, den sie ans Kreuz und in den Tod bringt und ihm Schmerzen genug verursacht. Die Lehre Jesu bleibt aber in Ewigkeit, so daß er es sogar für leichter erklärt, daß Himmel und Erde vergehen, als eins seiner Worte. Wie er es sagt, so hat es sich, so wird es kommen und sich machen, es streite dagegen oder spotte darüber, wer und wie es auch sei. Von der Apostelzeit her hat sich List und Gewalt, Bosheit und Klugheit gegen die Lehre Jesu aufgelehnt, und unzählige Ketzereien sind entstanden; wirklich ist sie auch aus Asien und Afrika, wo sie sonst blühte, ganz verdrängt; aber immer hat sich ein Häuflein gefunden und wird sich eins finden, das ihm von ganzem Herzen anhängt, und endlich wird sie über alles triumphieren und alles ein Hirt und eine Herde werden.

Insbesondere ist es Gerechtigkeit, die er lehrt, das Evangelium ist die einzige Lehre, in welcher die Gerechtigkeit offenbaret wird, welche vor Gott gilt. Keine menschliche Weisheit vermag uns in dieser wichtigsten Angelegenheit Aufschluß zu geben, nicht einmal das Gesetz Gottes, denn dasselbe ist nicht für Sünder berechnet und fordert von ihnen selbst eine Gerechtigkeit durchs Thun des Gesetzes, die sie nie erreichen können. Das Evangelium allein macht den wunderbaren Weg bekannt, wodurch auch Sünder aus freier Gnade gerecht und Erben des ewigen Lebens werden. Ja, Christus lehrt nicht nur, sondern ist selbst unsere Gerechtigkeit, durch welche Sünder ohne Verdienst der Werke, vermittels des Glaubens, gerecht werden. Er lehrt auch Gerechtigkeit, das ist Gottseligkeit, das tut er nicht bloß dadurch, daß er Gebote gibt, wie Moses auch tat, sondern vielmehr durch das Gesetz des Geistes, das da lebendig und frei macht von der Sünde. Seine allen heilsame Gnade ist erschienen, daß sie sollen verleugnen das ungöttliche Wesen usw. Er ist's demnach, der Gerechtigkeit lehret, und ist es ausschließlich. Er ist zugleich der alleinige Weg, um dazu zu gelangen, wohl war also ein wichtiger Grund vorhanden, zu fragen: Wer ist, der da kommt? Wichtiger: Wer ist der, so gekommen ist? Wohl mögen wir ihn recht kennen lernen, denn das ist das ewige Leben.

Sein zweites Geschäft ist in der Antwort enthalten: „Ich bin ein Meister zu helfen.“ Das hebräische Wort, durch „helfen“ übersetzt, ist das nämliche, was jene Kinder brauchten, als sie ihm bei seinem Einzug in Jerusalem zuriefen: Hosianna, hilf; ist das Wort, wovon er den Namen Jesus, oder wie er auf hebräisch klingt: Hosea, Helfer, Seligmacher, hat. Bemerkenswert ist es ja auch, daß das Wort „Meister“ im Hebräischen „Rabbuni“ oder „Rabbi“ heißt, also der helfende, seligmachende Rabbi, ein Titel, der nur sehr gelehrten Männern gegeben wurde.

Als ein Helfer ward er lange verheißen und erwartet, als ein Helfer war er uns nötig. Ein bloßer Rabbi oder Lehrer, mochte er auch noch weiser sein als Salomon, war nicht genug, er mußte auch zugleich Hosea, ein Helfer sein. So hatten und haben wir ihn im ganzen nötig, was den allgemeinen Umfang unseres Elendes anbetrifft, wider sie Sünde und ihre Folgen.

Wir sind unvermögend, uns in einem Kampf mit derselben einzulassen, oder den Sieg herbeizuführen, so mußte er als Held und Durchbrecher vor uns hergehen, um die Sünde und den daraus erwachsenen Fluch des Gesetzes, den Tod und die Macht des Satans zu überwinden. Er tat's, obschon bei den meisten verachtet und nicht einmal dafür anerkannt, den Gläubigen aber ein köstlicher Rabbi, brachte er dies große Werk zu stande, jedoch auf die wundervollste Weise. Die Sünde, die bisher aller Opfer ungeachtet geblieben war, vertilgte er auf einmal als einen Nebel, und zwar dadurch, daß er, der von keiner Sünde wußte, für uns von Gott zur Sünde gemacht ward. Den Fluch wandelte er wunderbarer Weise dadurch in Segen um, daß er für uns ein Fluch ward, wo man erst einsah, warum Gott erklärt hatte, der sei verflucht, der am Holze hange. Dem Tode nahm er den Stachel, indem er sich selbst in des Todes Staub legen ließ, dadurch aber auch zugleich dem die Macht nahm, der des Todes Gewalt hatte. So erwies er sich im allgemeinen als Helfer. Aber in wie unzählig vielen einzelnen Beziehungen bedürfen wir ihn als Helfer! Wer soll den Anfang des guten Werkes in uns machen, da wir's nicht können, und wenn wir's könnten, nicht täten, sintemal die Gesinnung des Fleisches Feindschaft wider Gott ist. Er heißt aber der Anfänger. Ist der Anfang gemacht, so ist nun die Erhaltung und der Fortgang von der größten Wichtigkeit, damit wir, wie Joh. In seinem 2. Kap. sagt, nicht wieder verlieren, was wir erarbeitet haben, sondern wollen Lohn empfangen. Der Glaube ist das Mittel, um alles Heils teilhaftig zu werden, aber welch' einen Abgrund des Unglaubens werden wir in uns entdecken, wenn der Heilige Geist uns von demselben überzeugt! Wo nun mit diesem Unglauben hin, der so groß ist, daß Hiob Kap. 9,16 sagte: Wenn Gott auch wirklich sein Gebet erhöre, er es doch nicht glaube. „Er ist der Anfänger und Vollender des Glaubens.“ Was soll in der Versuchung aus uns werden, da der Teufel umher geht, wie ein brüllender Löwe und suchet, welche er verschlinge, und wir so schwach sind und nicht einen Augenblick bestehen können, und doch nur der selig wird, welcher bis ans Ende beharret. „Getreu ist, der euch rufet, der wird's auch tun.“ Was gibt's in den Anfechtungen, von denen in den Psalmen so kläglich geredet wird, so daß man sich versucht fühlen könnte, zu glauben: Jakobus müßte gar nicht gewußt haben, was Anfechtungen sind, wenn er schreibt: „Lieben Brüder! Achtet es eitel Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen fallet?“ Wohin, wenn das Wasser bis an die Seele, und seine Wellen übers Haupt gehen? „So du durchs Wasser gehest, will ich bei dir sein, daß dich die Ströme nicht sollen ersäufen.“ Wie viele einzelne Pflichten sind zu erfüllen, der Sanftmut nicht zu gedenken, die die andere Wange hinhält, wenn sie auf die eine geschlagen wird, so soll man sich doch im Leiden geduldig verhalten. Und welch' eine Menge sonstiger Pflichten gibt es nicht, welche aus unserm Beruf, Verhältnis und Lage entspringen? Wer ist hierzu tüchtig? Und doch ist's gewiß, daß man den Glauben in seinen Werken zeigen soll. „Er kann euch stärken und behüten ohne Fehl. Er wird euch vollbereiten, stärken, kräftigen, gründen.“

So haben wir ihn in unzähligen einzelnen Verhältnissen in obiger Beziehung als Helfer nötig, uns aber auch seines also zu getrösten, denn er sagt: Ich bin ein Helfer, ja ein Meister zu helfen. Das bewies er gleich bei seinem öffentlichen Auftreten. Nie war ihm ein Elend, eine Not zu groß, daß er nicht eine schnelle und vollkommene Hilfe hätte leisten können, und wenn er sie verschob, geschah es nur darum, sie desto herrlicher zu machen. Er heißt ein Meister, ein Rabbi, ein ausgelernter Doktor im Helfen, der kein Stümper in seiner Kunst ist, sondern sie vollkommen versteht. Wo also niemand zu helfen und zu raten weiß, da bleibt er doch noch übrig. Dies enthält nicht nur eine Aufmunterung zum Zutritt zu ihm, für alle überhaupt, welche sich hilfsbedürftig fühlen und Hilfe begehren, sondern insbesondere für solche, deren Schaden verzweifelt böse, und deren Wunden unheilbar sind; für solche, denen keine kleine und mittelmäßige Hilfe genügt, sondern die eine große, viel umfassende bedürfen, da ist er ein Meister zu helfen.

Aber eben, weil er ein Meister zu helfen ist, so ließ er und läßt er nicht selten die Not sehr hoch steigen. Die Ägypter waren schon im Begriff, um über das wehrlose Israel herzufallen, da erst spaltete sich das rote Meer und ließ sie wie zwischen kristallene Mauern durchpassieren. Der Ungestüm des Meeres stieg so hoch, daß die Wellen über das Schifflein herrollten, ehe der Meister dem Sturme und den Wellen gebot, und nun beide sich ehrfurchtsvoll legten. Des Jairi Töchterlein war sehr krank, es hörte aber auf krank zu sein, indem es starb, ehe der „Meister zu helfen“ sprach: Talitha kumi!

Man darf es sich also nicht befremden lassen, wenn man in Umstände gerät, wo die Aushilfe ein wirkliches Meisterstück ist.

Weil er ein Meister zu helfen ist, so verschob und verschiebt er die wirkliche Hilfe zuweilen so lange, bis sie wirklich unmöglich geworden ist, aber freilich nur ihm nicht. Mit des Jairi Töchterlein geriet es dahin, daß man dem Vater sagte: Bemühe den Meister nicht. Er bekommt die Nachricht von seines Freundes Lazarus Krankheit, und bleibt nun noch zwei Tage da, wo er ist. Am dritten Tage macht er sich erst nach Bethanien auf den Weg und kommt erst an, nachdem er schon seit 4 Tagen begraben, folglich schon in Verwesung übergegangen ist. Harte Wege, auf welchen die liebenden Schwestern eines mehrfachen Todes sterben müssen, bevor sie Hilfe sehen und so zugleich für den Aufschub derselben reichliche Schadloshaltung empfangen! Weil er ein Meister zu helfen ist, so redet er auch recht meisterhaft vom Helfen, als einer, der's aus dem Fundament versteht, und von der größten Hilfeleistung als von einer Kleinigkeit spricht. Den Zustand des Lazarus, über den die Martha ausrief: Herr, er stinket schon, nennt er einen Schlaf, und sagt: Er gehe hin, ihn aufzuwecken, und weckte ihn leichter aus dem Tode auf, als man manchmal jemand aus dem natürlichen Schlaf zu wecken vermag. Wenn die Jünger schreien: Meister, wir verderben, da sie nichts als den Untergang vor sich und keine Rettung sehen, fragt er, als ob's nichts zu bedeuten habe, warum sie doch eigentlich so erschrocken seien. Bittet ihn ein Aussätziger, so heißt's ganz einfach: Ich will's tun. Wer würde irgend vor einer Not erschrecken, kennte er den Meister recht.

Weil er ein Meister zu helfen ist, so bedient er sich zuweilen solcher Mittel, wie dort bei dem Blindgeborenen des Kots, der eher geeignet zu sein schien, einen Sehenden blind zu machen. Und wenn er ein reiches Geschenk an Wein machen will, läßt er eine ganze Menge Wasser beieinander bringen, als wollte er des Mangels an Wein noch spotten. Oft ist auch das Hilfe, was das Gegenteil zu sein scheint, kurz, er ist ein Meister zu helfen, und wenn er sagt: Ich bin das, so stellt er sich ausschließlich als den einigen Helfer dar. Und wahrlich hat Israel keine Hilfe als an diesem Herrn. Er ist's, der alle Hilfe tut, die auf Erden geschieht, und unsere Hilfe steht in seinem Namen, in seinem Namen allein; bei ihm ist sie zu finden, bei ihm zu suchen.

Habt denn auch ihr seine Hilfe erfahren? Ist nicht zu besorgen, daß viele gar nicht einmal begreifen werden, was man durch diese Frage eigentlich will, und daß man zur Antwort erwarten muß: Die Zeit der Wunder ist ja vorüber! Du hast also bei diesem Meister im Helfen nichts zu suchen? Schlimm für dich! Hast du keine Seele? Fehlt dir nichts? Bist du dir selbst genugsam? Dir wäre kein neues Herz, kein neuer Geist nötig? Du hättest für diesen Meister nichts zu tun.? Armer Mensch! Freilich daran fehlt's, woran es doch eigentlich gar nicht fehlt, an Bedürfnis für diesen Meister zu helfen. Wo das erst gefühlt wird, da wird man auch schon Hosianna schreien. Ihr Hilfsbedürftigen, ihr seid's demnach. Wohl euch, daß ein solcher Meister da ist! Er versteht seine Kunst, meistert ihn deswegen nicht und besteht nicht hart darauf, daß dieser Meister sich nach eurem Gutdünken richten soll. Ihr könnt ihm wohl sagen lassen: Herr, den du lieb hast, der liegt krank; ob er sich aber dadurch wird bewegen lassen, zu eilen oder zu zögern, das weiß er als Meister am besten zu beurteilen, und ihr versteht es nicht. Will er ein Meisterstück an euch liefern, so habt ihr vor der Hand nicht viel Erfreuliches zu erwarten.

Er hilft uns aber überschwenglich besser
Als wir ihn bitten und verstehn.
Wird die Verwirrung täglich größer,
Er läßt uns doch viel Gut's geschehn.
Wenn man nichts schaut, doch ihm vertraut,
So zeigt er der Gelassenheit
Am Ende seine Herrlichkeit.

Amen.

Quelle: Krummacher, G. D. - Gesammelte Ähren

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