Krummacher, Friedrich Wilhelm - Der wachende Knecht.

Krummacher, Friedrich Wilhelm - Der wachende Knecht.

Missionspredigt

gehalten am 12. Oktober 1853.

Lucas 12,35-37.
Lasset eure Lenden umgürtet sein, und eure Lichter brennen. Und seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten, wenn er aufbrechen wird von der Hochzeit, auf daß, wann er kommt, und anklopft, sie ihm bald aufthun. Selig sind die Knechte, die der Herr, so er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch, er wird sich aufschürzen und wird sie zu Tische setzen, und vor ihnen gehen, und ihnen dienen.

Ein Wort des Herrn, ein wichtiges Wort, ein Wort für alle Zeiten, und sonderlich für unsre Zeit! - „Aber auch ein Missionswort?“ - Durch und durch! - Ein Gemälde stellt uns das Wort vor Augen. In demselben sind Knechte um die Mitternachtsstunde auf, und warten auf ihren Herrn, der bei einem Hochzeitsfeste weilt. Kommt, und lasset uns den wachenden Knecht in unserer Zeit betrachten. Vernehmen wir zuerst, was derselbe sieht; dann, wozu er sich aufgefordert fühlt; und endlich, welchen Lohn er erndtet. Sei der Herr mit Seinem Geiste uns nahe, und wolle Er dem „wachenden Knecht“ in uns selbst zu seiner vollen Ausgeburt verhelfen!

l.

In ein Haus treten wir, in ein weites, hochgewölbtes Haus. Ein großer Zimmermann hat's gebaut. Das Haus ist die Kirche; aber weder die aus Kalk und Stein, noch die aus Fleisch und Blut; sondern die Kirche aus erleuchteten Geistern und in Gott lebenden Seelen aufgerichtet. Das „Haus“ ist die Gemeinschaft aller aus der Welt herausgerufenen in Christo vereinigten Seelen; die Gesammtheit aller wahren Gläubigen und mit dem Geist Getauften. Auch in diese Stadt ragt's, Gottlob! herein, das wunderbare Haus; ob mit einem breiten stolzen Flügel, oder erst mit einem winzigen Erkerlein, vermag ich zur Zeit noch nicht zu sagen. Ihr, die ihr euch hier versammelt habt, dürft wohl für Kinder dieses Hauses erachtet werden; denn Feste, wie wir heute eins begehen, pflegen diese Kinder zu vereinigen und offenbar zu machen. Mancherlei Thätigkeiten der kleinen Glaubensschaar hat die Welt in neuerer Zeit in ihrer Weise nachgeahmt; nur die Heidenmission, die ihr zu breit den Stempel des gefürchteten „Pietismus“ an der Stirn zu tragen scheint, hat sie einstweilen noch den Händen der Anbeter des Lammes allein überlassen. Dieser Umstand verbreitet mir über euch, die ich euch hier um mich geschaart erblicke, ein überaus erfreuliches Licht, und läßt mich keinen Augenblick ein Befremden darob empfinden, daß die Versammlung nicht eine noch zahlreichere ist, als ich sie hier vor mir sehe. Wie wohl wird mir bei eurem Anblicke! Mir geht's, wie Paulo, von dem geschrieben steht: „Da er“ (auf seiner Reise nach Rom) „die Brüder sah, dankte er Gott, und gewann Zuversicht.“ - Warum seht ihr mich befremdet an? Ja, auch ihr, die ihr nur erst gebeugt in Schuldgefühl, jenem gnadenhungrigen Weibe im Evangelio gleich, den äußersten Gewandessaum des göttlichen Hausvaters ergriffen habt, seid schon zu seiner Familie mitgezählt. Wir segnen euch, „die ihr vom Hause des Herrn seid“, und grüßen euch mit dem Brudergruße; denn es umfängt uns eine traute Heils- und Friedenshütte.

Wir schauen zu den Fenstern unserer geistlichen Wohnung in die Welt hinaus, und fragen: „Hüter, ist die Nacht schier hin? Hüter, ist die Nacht schier hin?“ Aber auch heute noch heißt die Antwort: „Wenn gleich der Morgen kommt, wird's doch noch Nacht sein.“ Ja, tiefe Nacht um uns her, selbst innerhalb der Grenzen, wo das Kreuz errichtet steht und das Wasser der Taufe sich ergoß. Nacht der Unwissenheit in göttlichen Dingen, des Unglaubens, der sittlichen Verwilderung und des geistlichen Todes-Nacht von gottesläugnerischen Vampyren, freigemeindlerischen Fledermäusen, und Dämmerfaltern halbgläubiger Evangeliumsverfälscher durchschwirrt. Ach, wann wird der Morgen tagen! Doch stände es nur in unseren Kreisen, in der Behausung der Gläubigen, überall, wie es stehen sollte! Aber auch hier sind nicht Wenige schläfrig geworden über dem langen Warten auf den Herrn. Nicht Wenige siechen an bedenklicher Glaubensschwäche hin. Nicht Wenige sind nahe daran, der Versuchung des Irrewerdens an dem ganzen Christenthume zu erliegen, und bilden im Vergleich mit ihrem früheren Glaubensleben nur noch ihre eigenen Schatten und Phantome. Aber es liegen, Gottlob! nicht Alle in dieser Erstarrung und Lethargie. Wir treffen in dem weiten Kirchenhause, und mehr als einmal, neben den Todten und den Scheintodten auch noch den wachenden Knecht, der täglich auf's neue das Petrusliedlein anstimmt: „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens!“ und der mit der Sulamith, der glücklichen, ausruft: „Ich sitze unter dem Schatten deß, deß ich begehre, und seine Frucht ist meinem Gaumen süße!“ Ja, dieser Knecht, denke ich, sitzt auch in unserer Mitte. Und schaut auch er zum Fenster hinaus in die Welt, so geschieht's nicht mürrisch, noch mit Zittern und Zagen, sondern mit gutem und getrostem Muthe. Auf den Fels des göttlichen Wortes gelehnt, läßt er die forschenden Blicke in die Nähe und Ferne schweifen. Da sieht er was. Was ist's, das er gewahrt? Ihr sollt es erfahren. -

Es geht die Sage von einigen Fürstenhäusern in der Welt, daß, wenn irgend etwas Großes und namentlich Ernstes denselben bevorstehe, auf den Zinnen der Schlösser zur Mitternachtsstunde eine geheimnißvolle Gestalt sich zeige, und durch ihre Erscheinung die drohende Katastrophe ankündige, die im Anzüge sei. Dies ist weiter nichts, als ein Mährchen. Der wachende Knecht dagegen sieht von seinem offenen Kirchenfenster her in der That solche, die Nähe außerordentlicher Dinge anzeigende Gestalten durch die Nacht der Gegenwart schreiten. Was erblickt er? Zuerst ein Wesen, pomphaft in Scharlach gekleidet und Gold, auf dem Haupte eine dreifache Krone, den Bannstrahl schleudernd auf Alle, die da rufen: „Jesus allein!“ und mit dem Anathema belegend, was irgend evangelisch heißt, sei es Kirche oder Bibelgesellschaft oder Mission, oder was es sei. Der wachende Knecht sieht's, wie dasselbe alle seine Kräfte zusammen nimmt, um seine blutgenetzte Fahne in die protestantische Kirche zurück zu tragen, und sich auf's äußerste anstrengt, um, wo möglich, die ganze Welt seinem hierarchischen Scepter zu unterwerfen. Und wie er es sieht, stutzt er, und spricht bei sich selbst: „Ist dies nicht jene Macht, die vor drei Jahrhunderten mit dem Schwerte, „Reformation“ genannt, verwundet ward, von der aber geschrieben steht, daß kurz vor der Wiederkunst des Herrn ihre Wunde wieder heil werden würde?! Und siehe, die Wunde heilt. Ich ahne, welche Stunde geschlagen hat. Der Herr ist nahe!“ - Er denkt's, der wachende Knecht, und wie feierlich wird ihm dabei zu Sinne! - Er späht auf's neue, und siehe, eine zweite Gestalt stellt sich ihm dar, ein Ungethüm mit aufgeworfenem Haupte und eisernem Nacken. Aug' und Stirn, wie trotzig und frech! Der Mund, wie schäumend von Großsprecherei und Lästerungen. „Vorwärts!“ schreit das gräßliche Wesen; „Zügel ab, Schranken weg, und fort mit den bestehenden Ordnungen und Gesetzen! - Bibel? Wir sind über sie hinaus! - Kirche? Wir bedürfen ihrer nicht mehr! - Christus? Er war ein Menschenkind, wie wir! - Gott? Hier ist er! Wir sind es selbst! - Himmel? Wir kennen nur einen diesseitigen: Freiheit, Lust und Ehre! - Hölle? Die Vernunft hat ihre Flammen längst gelöscht!“ - Furchtbar! Wer ist dieser Himmelsstürmer, der tausendfach die heutige Zeit durchjagt? - Der wachende Knecht durchblättert sein heiliges Buch; da fällt sein Auge auf 2. Thessalonicher 2,3 und 4: „Der Herr kommt nicht, es sei denn, daß zuvor der Abfall komme, und geoffenbaret werde der Mensch der Sünde, das Kind des Verderbens, der da ist ein Widerwärtiger, und sich überhebt über Alles, das Gott oder Gottesdienst heißt, also, daß er sich setzet in den Tempel Gottes, als ein Gott, und giebt vor, er sei Gott.“ - Erliest's, und denkt: „Hier ist sein Bild!“ Doch nein, wie jener Widerwärtige in Tausenden von Antichristen jetzt schon hervortritt, kündet er den „Boshaftigen, deß der Herr ein Ende machen wird durch die Erscheinung seiner Zukunft,„ nur erst als in der Nähe an. Beschreitet aber dieser Grausige erst selbst den Schauplatz, dann - Hallelujah! - ist auch der Herr im Anzug! Der wachende Knecht hat sich orientirt. Ihm schaudert vor solchen Nachtwandlern und Schreckensbildern; aber er fürchtet sich Angesichts ihrer nicht mehr. - Abermals schaut er hinaus auf das düstere Welttheater. Was gewahrt er nun? Wieder eine Erscheinung, und zwar eine Gruppe jetzt. Fünfe sieht er selbander gehen; aber sie vertreten eine große Schaar. Ihr Ansehen ist freundlicher. Wie Jungfrauen erscheinen sie gekleidet, und sind geschmückt mit christlichem Bekenntniß, christlicher Redeweise, christlichen Lebensformen, und christlichen Thätigkeiten in vielen frommen Gesellschaften und Vereinen. Sie tragen Lampen in den Händen, und sagen, daß sie dem Bräutigam entgegen gingen. Der Knecht sieht sie, und erachtet diese Wesen beim ersten Anblick für seine Hausgenossen. Bald aber bemerkt er, daß es nicht das Oel des Heiligthums ist, von dem ihre Lampen brennen, sondern eine Essenz ihrer unverneuerten Natur, und daß sie von einer inneren Bekehrungsgeschichte nicht zu sagen wissen, sondern nur von einer äußeren. Allerlei von Außen her hat ihr Christenthum ihnen angethan; nur nicht der Geist von Oben, der himmlische Tröster. Und ach, der Knecht nimmt wahr, wie sie, kaum scheinerweckt, schon wieder schläfrig werden: denn der natürliche Eifer für das Reich Gottes und dessen Angelegenheiten hält niemals lange vor. - „Ich verstehe“, denkt er. „Die „thörichten Jungfrauen“ sind es, die dort vorüber schreiten, während die klugen bei mir drinnen sind, und theilweise gleichfalls schon zu ermüden und zu entschlummern beginnen!“ - Er denkt's, und nimmt wieder sein göttlich Buch zur Hand, schlägt auf Matthäi 25. und liest: „Da sie nun entschliefen, zur Mitternacht, ward ein Geschrei: „Siehe, der Bräutigam kommt, gehet aus ihm entgegen!“ Und wie er es lies't, meint er diesen Ruf in der Wirklichkeit schon in seinen ersten Vor-Accorden zu vernehmen, und ist fast schon im Begriffe, sein Fähnlein auszustecken, und den nahenden Bräutigam mit Hosiannajubeln zu begrüßen. Doch läßt er es noch anstehen; aber „lange“, spricht er, „verzieht Er nicht mehr;“ und ruft recht sehnsuchtsvoll in die Wolken hinauf': „Komm, Herr Jesu, ja komm balde!“ - Nach diesem legt er sich wieder in sein Fensterlein, und siehe, ein neues Gesicht stellt sich ihm dar; aber jetzt ein erhebendes. Er sieht „einen Engel mitten durch den Himmel stiegen, der hat in seiner Hand ein ewiges Evangelium, zu verkünden denen, die auf Erden sitzen, und allen Heiden und Geschlechtern und Sprachen und Völkern, und ruft mit großer Stimme: Fürchtet Gott, und gebet Ihm die Ehre: denn die Stunde seines Gerichts ist gekommen; und betet an den, der gemacht hat den Himmel, und die Erde, und das Meer und die Wasserbrunnenl“ - „Wie,“ fragt ihr, „einen fliegenden Engel mit dem Evangelienbuche sieht er?“ Allerdings; aber verstehet nur recht! Unter diesem lieblichen Sinnbilde erblickt er eine der bedeutsamsten und erfreulichsten Erscheinungen der Gegenwart, nämlich den großen, die ganze Welt durchreichenden Bibelbund, den der Herr in's Leben rief, und im Leben erhält, um durch dessen Handreichung, wie durch eines Engels Dienst, die Erde mit dem Gottessaamen seines Wortes zu besäen. Der wachende Knecht sieht die Millionen von Bibeln in allen Sprachen unter alle Nationen ausgestreut. Da denkt er: „Ich merke! mein König bereitet sich den Schauplatz für die Wunder seiner zweiten Zukunft, und bahnt die Vollendung seines Reichs auf Erden an! Erst die Ackerbestellung, erst die Aussaat in der Stille; dann ein Geistesregen über Nacht, und die Wüste wird blühen und fröhlich stehen, wie die Lilien. - Hosianna! mein König kommt!“ Er ruft's, und sinkt vergnügt auf seinen Friedenspfühl zurück, der aus lauter Verheißungen ihm bereitet ist. - Hier sitzt er eine Weile, in hoffnungslichten Gedankenbildern sich ergehend, siehe, da beginnt eine fünfte Erscheinung vor ihm sich zu entschleiern. Eine flehende Gestalt steht vor ihm. Er schreckt zurück. „Wer bist du?“ ruft er. Da gewahrt er, der „macedonische Mann“ sei wieder da, den Paulus einst im Traumgesicht gesehen; aber jetzt erscheint er nicht mehr als Macedonier nur, sondern bald als Neger, bald als Kaffer, bald als Chinese, oder als Südsee-Insulaner, oder was er sonst für einen Völkerstempel trägt, und beginnt mit freudigem Antlitz zu erzählen, wie ein großes Licht über der Finsterniß seines Landes aufgegangen sei, ja „die Herrlichkeit des Herrn“ demselben leuchte, und wie das Feld überall „weiß sei zur Erndte,“ aber der Arbeiter nur zu wenig. Und dann spricht der Mann, wie weiland: „Komm herüber, und hilf uns.“ „Hilf ackern,“ will er sagen, „hilf säen, schneiden und Garben binden; du persönlich komm, oder hilf durch Boten, die du sendest!“ - Und der Knecht fährt freudig auf, und spricht: „O melde Weiteres, erwünschter Herold!“ Da fliegen ihm tausende von Blättern und Blättlein in den Schooß: Missionsberichte, mit den neuesten Nachrichten aus der Heidenwelt. Begierig greift der Knecht sie auf, und was liefet er? Die Füße des Herrn rauschen durch die Heidensteppen. Seit fünfzig Jahren hat sich die Physiognomie der Völker wunderbar verändert. Sind sie nicht schon bekehrt, so harren sie doch ihrer Wiedergeburt in nächster Zukunft. Wohnen sie nicht bereits im Heiligthume, so versammeln sie sich doch schon in Haufen vor dessen Pforte, und begehren Einlaß. Sechstausend Herolde, mehr oder minder mit apostolischer Aufopferungsfreudigkeit gerüstet, brechen den Söhnen und Töchtern der Wildniß das Brod des Lebens. Zehntausend Heiden gehen jährlich zum Reiche Christi ein. Hunderttausende von Kindlein werden in christlichen Schulen mit der Milch des Evangeliums getränkt. Er liest's, und faltet die Hände, und spricht: „Das ist ja wahrlich, was Er gesagt hat: Es wird geprediget werden dieses Evangelium vom Reich in der ganzen Welt, zu einem Zeugniß über alle Völker, und dann wird das Ende kommen! - Ja, Er ist im Anzug! Gelobet sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!“

2.

Dies die Gesichte, die der wachende Knecht in unseren Tagen sieht, und zugleich deren Sinn und deren Deutung! Wozu fühlt er nun sich angeregt und innerlich aufgefordert? Hier könnt ihr's lesen: „Er gürtet seine Lenden“ (buchstäblich: läßt sie sich gürten,) „läßt brennen sein Licht, und öffnet dem heranziehenden und anklopfenden Herrn die Thür.“ Lauter bildliche Ausdrücke, deren Sinn auf der Hand liegt.

Der Knecht wird rührig. munter, frisch. Eine festliche Stimmung bemächtigt sich seiner. Er hebt sein Haupt empor, und die Kerze seiner Hoffnung leuchtet helle auf. Er muß selbst mit Hand anlegen, so weit es ihm gegeben ist; muß seinem nahenden Könige die Steine aus dem Wege räumen, die Bahn Ihm ebnen helfen, und sich als Schild- und Waffenträger bei seinem Welteroberungswerke Ihm erbieten. Da heißt er denn mit Freuden die Mission willkommen. Er wird vielleicht selbst Missionar, wenn auch nur zwischen den Wänden seiner Hütte und innerhalb der Grenzen seiner Freundschaft; oder er hilft Missionare rüsten und ihnen die Anker lichten. Und er zweifelt hinfort nicht mehr am gesegneten Erfolge dieses Werkes. Er denkt: „Es ist ja Deine Sache, Immanuel! und deine Zeit ist da!“ - „Nun geht es vorwärts,“ ruft er; „der Stein Daniels rollt, und wird bald die Welt erfüllen!“ Ihn macht's nicht mehr irre, daß der Boten noch so wenige, und sie so arm sind, so gebrechlich, und so schwach. Er liefet, was Josua 23,10. geschrieben steht: „Euer Einer wird Tausend jagen; denn der Herr, euer Gott, streitet für euch, wie er euch geredet hat;“ und gedenkt daran, wie der Herr nach Marc. 6. seine ersten Herolde ausgesendet, und in dieser Sendung alle nachfolgenden, auch die heutigen, vorgebildet habe.

„Gehet hin!“ sprach der Herr zu seinen Fischern, Zöllner n und Teppichmachern. Wohin sollten sie gehen? „Gehet hin in alle Welt!“ sprach der Herr, und sprach's mit einer Ruhe, als wäre es ein Geringes, was er ihnen hiemit auferlegte. Groß ist der Herr, wo Er den Sturm und die Wellen bedräut! aber größer ist Er in der Ertheilung dieses seines Auftrags. O Herrlichkeit unseres Friedensfürsten! O Königsbewußtsein und Siegesgewißheit sonder Gleichen, die Ihm den Busen schwellen! Hatte Er doch jetzt auch den allergegründetsten Rechtsanspruch an den Besitz der Welt, nachdem er von derselben den Fluch und Bann der ewigen Gerechtigkeit gelöst, um den schwerwiegenden Preis seines Blutes sie sich erkauft, und dem Teufel rechtmäßig das letzte Anrecht an sie entrissen, ja diesem alten Weltgott mit durchstochener Ferse den Kopf zertreten hatte. Auf dieses Alles gestützt, sprach Er sein: „Gehet hin!“ Die Jünger sahen Ihn bedenklich an; denn sie verstanden wohl, daß dies Wort nichts Anderes sei, als ein Tagesbefehl für sie, die Welt Ihm zu erobern. Sie wogen in ihrer Hand, was sie an Verstand, Muth und Kräften aufzuwenden hatten, und leicht, wie ein Federlein, deuchte ihnen, wessen sie sich rühmen zu dürfen glaubten. Wie flog ihre Wagschale gegen diejenige der Listigen Judäas, der Weisen Griechenlands und der Gewaltigen Roms so luftig auf! Aber der zu ihnen sprach, war der Herr. Freilich geschah es wohl schon, daß auch ein menschlicher Feldherr mit stolzer Ruhe zu einer Handvoll seiner Krieger sprach: „Gehet hin, und nehmt mir diese Festung mit ihren himmelhohen Zinnen und ihren ehernen Wällen!“ Aber indem er solchen Befehl ertheilte, füllte er den Soldaten die Taschen mit Pulver und Blei, und gab ihnen Züge donnernder Geschütze zum Geleite. Der Herr dagegen sprach zu den Seinen: „Traget nichts bei euch auf dem Wege, denn allein einen Stab; keine Tasche, kein Brod, kein Geld im Gürtel, und ziehet nicht zween Röcke an!“ - Vernehmet ihr? Was hieß dies anders, als: „Ich stehe für Alles!“ O herrlich! Ja, Freunde! tragt ihr immer eure Scherflein zum Altar, bereitet den Missionaren Kleider und Strümpfe, und füllt ihnen ihre Säckel so reichlich ihr könnt. Dies ist der Liebe Bedürfniß, wie der Liebe Beruf und Amt. Aber hütet euch vor dem Gedanken, als wäret ihr es nun, durch deren Dienst sie gingen und ständen, kämpften und siegten. Ach, wie oft geht Alles wieder verloren, was ihr so mühsam und sorglich beschafftet; und doch büßt die Sache darum nichts ein; denn nun giebt seinen Herolden der Herr, und Ihm allein verbleibt der Ruhm. - Was gab er seinen Fischern und Zöllnern mit? Nichts als sein Wort, das Wort vom Kreuz. „Und dieses that's?“ - Das that's, und wird es ewig thun. Keine Weisheit der Welt, kein Menschenwitz, kein Verstand der Verständigen: das Wort vom Leben in Christi Blut allein überwindet den Tod, und schafft ein Neues im Lande, Dieses Wort ist der stolzen Akademien und Philosophenschulen der Griechen und Römer Meister worden, und wirst noch heute die Götzentempel um, wie Kartenhäuser. Der Herr sprach: „Gehet mit diesem Worte hin, und wenn ihr in ein Haus kommt, grüßet dasselbige mit dem Friedensgruße.“ „Aber,“ fügte er hinzu, „welche euch nicht aufnehmen noch hören, da gehet heraus von dannen, und schüttelt den Staub ab von euren Füßen, zu einem Zeugniß über sie. Ich sage euch, wahrlich, es wird Sodom und Gomorrha am Tage des Gerichts erträglicher ergehen, als solcher Stadt!“ Merkt ihr? Unser Verhältniß zu seinem Worte bildet den letzten Entscheidungsgrund für unser ewiges Schicksal. An der Aufnahme und Nicht-Aufnahme dieses Wortes hängt für uns ewige Seligkeit oder ewige Verdammniß. Hier betheuert Er dies selbst auf's unzweideutigste mit einem feierlichen: „Wahrlich, ich sage euch!“

Der wachende Knecht hat die göttliche Missions-Instruction gelesen, und tief bewegt, hoch erfreut und mächtig gestärkt am Glauben denkt er bei sich selbst: „Siehe, die Mission ist des Herrn, und Sein sind die Boten, die er selbst beruft, und geleitet auf ihren Wegen. So muß es ja zu Siegen und Triumphen kommen. Er selbst erobert sich die Welt, und Ihm alleine kommt sie zu! Uns aber würdigt er der hohen Ehre, unsere Handlangerdienste auf seinem Siegesgange anzunehmen. Wohlan, hin ist auch mein Herz für die große Sache, und meine Hand, und mein Scherflein zugleich, und daneben mein Kleid und mein Palmzweig über Seine Straße!“ - Er denkt's der wachende Knecht, und ist fortan ein Missionsfreund, ein rechter, ein thätiger und warmer; aus Lust an seinem Könige ist er's, und aus Mitleid mit den armen verlorenen Brüdern.

3.

Eine thätige Beteiligung an der Missionssache aber belohnt sich überschwenglich. Als Theilnahme an einer Sache, die, ernstlich betrieben, eine Sonder-Angelegenheit der Erlöseten Christi ist, drückt sie uns den Stempel eines hehren Adels an die Stirn, und bezeichnet uns als Genossen des Reiches, das über alle Reiche der Welt erhaben ist. Wie man aus den Lieblingsbeschäftigungen der Kinder, ja aus ihren Lieblingsspielen schon nicht ohne Grund auf ihre künftige Bestimmung und den Berufszweig schließt, darin sie sich einmal mit Auszeichnung bewegen dürften, so verräth ein lebendiges Interesse für die Mission den Menschen, der einst, wenn das Stückwerk hinter ihm liegt, am Throne Gottes die Geschäfte der Engel theilen wird. - Die Theilnahme an der Missionsthätigkeit befriedigt ferner ein tiefes unvertilgbares Bedürfniß in der menschlichen Brust. Es wohnt in uns Allen ein wenn immer auch gefallener und entthronter, doch noch nicht dem Tode anheimgefallener König, dem es auf die Dauer nicht genügt, daß er seine Kräfte nun an zeitliche Tagelöhnerarbeit verwende. Er verrichtet diese Arbeit, weil er darin das ihm beschiedene Erdenloos erkennt. Er treibt sein Handwerk, liegt seinem Handel ob, schreibt seine Akten; denn er weiß, im Schweiße seines Angesichtes soll er sein Brod essen, und ein Segen liege für ihn darin, daß er dies solle. Aber es ist Etwas in ihm, das außer dem Vergänglichen auch Unvergängliches, außer dem armen Menschenwerk auch Werke Gottes, und nicht blos für die Zeit, sondern zugleich für die Ewigkeit wirken und schaffen will; und siehe, da beut ihm nun die Mission vortreffliche und erwünschte Gelegenheit, mitzubauen an einem Bau, der auch dann noch aufrecht stehen wird, wenn die Welt mit aller Pracht ihrer Menschenschöpfungen längst zusammenkrachte, und sich an Thaten mit zu betheiligen, deren Früchte ihn noch erlaben werden, wenn die Zeit längst von der endlosen Ewigkeit verschlungen ward. - Die Missionsthätigkeit erhält nicht minder das eigene Glaubensleben gesund und frisch. Wie das Meer, um nicht zu stagniren noch in Fäulniß zu gerathen, der Ebbe und Fluth bedarf, so muß das Geistesleben der Kirche in Werken des Glaubens und der Liebe immer wieder seine Strömung vom Ufer ab in die Ferne nehmen, damit es neu befruchtet und neu gekräftigt zurücke kehre. Ja, es widerfährt den Freunden der Mission schon hienieden etwas von dem, was am Schlüsse unseres Textes angedeutet wird: „Selch sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch, Er wird sich aufschürzen, und wird sie zu Tische setzen, und hingehen, und ihnen dienen.“ O wie manchmal sitzen wir schon jetzt an seinem Tische, wenn das Missionsschiff wieder bei uns einlief, und neue Nachrichten vom großen Garbenacker der Heidenwelt uns überbrachte! O diese Wunder göttlicher Retterliebe, die dort tagtäglich zur Erscheinung kommen! Diese glaubensinnigen und liebseligen Aeußerungen neubekehrter Söhne und Töchter der Wildniß, die da verlauten! Dieser Himmelsfrühlings-Duft, der aus den jungen kaum geborenen Gemeinlein uns entgegen schlägt; und dann der hohe Muth, die heilige Todesfreudigkeit, und die Alles überwindende Thatkraft, die wir fast apostolisch mehr als zwölf und auch mehr als siebenzig entsendete Friedensboten dort wieder bewähren sehen. Und daneben die durchaus an das urchristliche Zeitalter erinnernden wunderbaren Durchhülfen, welche diese Männer ohne Unterlaß erfahren! O, wie erquickt dieses Alles, wie stärkt, wie belebt und erfrischt es Geist und Gemüthe! -

Schließet denn auch ihr euch mit immer regerem Eifer der schönsten und verheißungsreichsten aller Thätigkeiten der neusten Tage an! Es ist Niemand unter euch, der nicht vermögend wäre, irgendwie auch sein Steinlein zum Bau des Reiches Gottes herzu zu tragen. Erinnert euch der Geschichte jenes jungen wohlhabenden und gebildeten Engländers, der, als er einem Arzte sein Uebelbefinden klagte, und demselben bemerkte, wie nichts auf Erden mehr einen Reiz für ihn habe, von diesem die Antwort erhielt: „Es fehlt Ihnen nichts, mein junger Freund, als eins, nämlich eine Ihre Kräfte in Anspruch nehmende durchhaltende Thätigkeit. Wir wollen uns hierüber näher mit einander besprechen, und ich ersuche Sie deshalb, mich Morgen auf einige Stunden auf meinen Fahrten zu meinen Patienten zu begleiten.“ Der junge Mann erklärte sich dazu bereit, und schon frühe am folgenden Tage hielt der Arzt mit seinem Wagen vor jenes Thür, um ihn abzuholen. Nachdem er ihn zu sich hereingenommen, wurde in eins der ärmsten Quartiere der Stadt London eingelenkt, und vor einem alten baufälligen Haufe Halt gemacht. Hier forderte der Arzt seinen Begleiter auf, mit ihm auszusteigen. Sie traten zu der niederen Pforte der elenden Hütte ein, und eine steile, ausgetretene Treppe, an der statt des Geländers ein schmutziges Tau herunterhing, führte sie in eine enge, dunkle Kammer, wo bei ihrem Eintritt von einem ärmlichen Krankenlager her ein junger italienischer Gypsfigurenhändler dem Arzte grüßend die abgemagerte Hand entgegen streckte. Der Arzt erwiederte freundlich diesen Gruß; und nachdem er den körperlichen Zustand seines Patienten untersucht hatte, redete er ihm in der Sprache seiner Heimath herzlich zu, er möge doch vor Allem an die Rettung seiner unsterblichen Seele denken, und zu Jesu, als dem einigen Heilande, seine Zuflucht nehmen. Hierauf ertheilte er einem alten Krankenwärter einige Weisungen, und kehrte dann mit seinem jungen Gefährten zu seinem Wagen zurück. Kaum hatten sie ihre Plätze wieder eingenommen, als der Jüngling nicht ohne leisen Spott zu seinem Mentor anhub: „Es scheint ja, daß Sie neben dem Doktor zugleich den Pastor und Priester spielen?“ - „Ich denke,“ erwiederte ruhig der Arzt, „daß wir als Christen verpflichtet sind, jegliches Pfund, das uns von Gott geliehen ward, und wäre es an und für sich das geringste, irgendwie zu Seiner Ehre und zum Heil der Brüder rentbar zu machen; und entschlössen auch Sie sich einmal, mein junger Freund, dieser Vorschrift nachzuleben, so verbürge ich Ihnen, daß Sie sich bald wohler und heiterer fühlen würden, als Sie es gegenwärtig nach ihrem eigenen Geständniß sind.“ - „Aber was besäße ich für Pfunde,“ erwiederte der Jüngling stutzend, „mit denen in Ihrem Sinne zu wuchern wäre?“ - „Ich glaube,“ fuhr der Arzt fort, „daß Sie deren manche empfingen; und von einem weiß ich sicher, daß Sie es besitzen; Sie sind der italienischen Sprache mächtig. Wie, wenn Sie sich nun dazu entschlössen, so lange der junge Mensch, den Sie eben gesehen haben, noch leben wird, den Stadtmissionar, der denselben täglich besucht, zu begleiten, dessen Ansprachen dem armen Kranken zu verdolmetschen, und vielleicht nebenher noch einen Abschnitt aus dem neuen Testamente ihm italienisch vorzulesen?“ - Der junge Herr, den das Elend des unglücklichen Fremdlings tief gerührt hatte, sprach seine Bereitwilligkeit dazu aus, und der Arzt reichte ihm mit der Versicherung die Hand, daß ihn sein schöner Entschluß nie gereuen werde. Gleich am folgenden Tage schon wurde das gegebene Wort gelöst. Wie wir im Geiste in das Krankenzimmer des armen Patienten zurücke treten, finden wir den jungen Mann dicht an dessen Bette sitzend, und diesen, der mit sichtbar wachsender Spannung und Freude das lauschende Ohr ihm neigt, die Ansprache des am Fußende des Lagers stehenden Missionars Wort für Wort in's Italienische übertragend. Täglich wiederholte sich fortan diese liebliche Scene, und dem jungen Freunde selbst gereichte der Dienst der Liebe, den er an dem Fremden übte, mehr und mehr zu wahrer Freude. Da geschah es eines Tages, nachdem derselbe wieder ein gesalbtes Gebet des Missionars mit der nämlichen Innigkeit und Wärme, mit der es gesprochen ward, verdolmetscht, und dann dem Kranken auf dessen Begehr das Evangelium von dem Schächer am Kreuze italienisch vorgelesen hatte, daß jener plötzlich sein Haupt erhub, mit lauter Stimme ausrief: „Herr, gedenke auch mein!“ und gleich darauf im Frieden Gottes selig in die Ewigkeit hinüber schlummerte. Der Eindruck, den diese Scene auf das Herz des jungen Mannes machte, ist nicht zu beschreiben. Genug, mit dem Italiener, dem unser junger Freund das Verständniß des göttlichen Wortes vermitteln durste, war zugleich er selbst durch Gottes Gnade zu einem neuen Leben auferstanden. Und fragt ihr, wie es gegenwärtig um ihn stehe, so möget ihr wissen, daß er den Arzt nicht hoch genug zu loben weiß, der ihm einst so trefflichen Rath ertheilte, und daß die Londoner Stadtmission ihn jetzt ihren rührigsten und einsichtsvollsten Leitern und Beförderern zuzählt.

So erfüllt sich noch fort und fort das Gleichniß des Herrn von den anvertrauten Pfunden. Auch das geringste, das er dir lieh, wickele nie in dein Schweißtuch, noch vergrabe es in die Erde; sondern lege es im Dienste Jesu an, und sei versichert, daß es dir viele neue bringen wird. Die herrlichste Rentbank ist die Mission, die innere, vornehmlich aber die äussere. Hundertfältige Zinsen träget hier, was man an Arbeit, oder an Gaben oder an Fürbitten eingelegt. Und Zinsen, nicht für die Zeit nur, sondern auch für die Ewigkeit. O wie wird der Herr uns einst „zu Tische setzen“, wenn er alle seine Feinde zum Schemel seiner Füße gelegt, und die Fülle der Heiden um das Panier seines Kreuzes wird gesammelt haben! Möge dann auch aus dieser unserer Versammlung Keiner und Keine unter den seligen Gästen fehlen, die Er als die einstmaligen Werkzeuge seiner Siege zu dem großen geistlichen Triumph- und Erndtefeste laden wird!

Welch' ein Lied in höher'n, Chor
Wird von den Erlösten allen
Dann erschallen,
Und wie wird sich Groß und Klein
D'rüber freu'n.
Wenn bei allem Volk der Erde
Nur Ein Hirt und Eine Heerde
Offenbar zu seh'n wird sein.

Amen, Jesu Wort ist wahr!
Er wird Sein Versprechen halten.
Laßt ihn walten!
Nehmt d'ran Theil und helfet gern
Nah und fern.
Unter aller Art von Leuten
Gottes Gnadenreich ausbreiten,
Ihr Erlöseten des Herrn! Amen.

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