Krummacher, Friedrich Wilhelm - IV. David, des Königs Hausgenosse.

Krummacher, Friedrich Wilhelm - IV. David, des Königs Hausgenosse.

Agur, der Weise, führt Spr. Sal. 30, 21. 22 ein Dreifaches auf, wodurch „ein Land unruhig werde,“ oder, wie die Worte auch verdollmetscht werden können, „darunter die Erde erzittere.“ Als Erstes nennt er „einen Knecht, wenn er König wird.“ Nicht der Stand des Knechtes ist es, den er im Auge hat, sondern die knechtische Gemüthsart, die gemeine Gesinnung. Ein Herrscher, der die ihm verliehene Macht, statt sie einzig der Wohlfahrt seines Landes zu weihen, in niederm Egoismus nur seinen menschlichen Privatinteressen dienstbar macht, ist seines Landes Unglück. Die Majestät, womit Gott ihn bekleidete, erbleicht in den Augen seines Volkes, das in ihm den an uneigennützigem Hochsinn alle seine Unterthanen weit überragenden Statthalter Gottes auf Erden verehren soll. Mit den Banden der Ehrfurcht lockern sich im Volke zugleich diejenigen des Gehorsams mehr und mehr, und geht das Reich nicht zuletzt in einer über Alles, was Gesetz und Ordnung heißt, dahinbrausenden Sündfluth zu Grunde, so hat es dies lediglich der Furcht seiner Angehörigen vor Kerker und Strick zuzuschreiben. Mit solchen schmerzlichen Gedanken eröffnen wir eine Betrachtung, die uns dem Throne Sauls, des Königs von Israel, wieder nahe bringt. Preisen wir Gott, wenn es uns vergönnt ist, zu dem Throne unsrer Könige mit wohlthuenderen Gefühlen aufzuschauen.

1 Sam. 18, 1. 2. Und da er hatte ausgeredet mit Saul, verband sich das Herz Jonathans mit dem Herzen Davids, und Jonathan gewann ihn lieb, wie sein eigen Herz.

Zunächst freuen wir uns, wieder mit David zusammen zu treffen. Wer hätte nicht für diese edle Jünglingsgestalt schon ein Herz gewonnen? Er begegnet uns auf's neue am königlichen Hofe; nur in andrer und höherer Stellung, als diejenige, die er früher an demselben eingenommen. Das Glück scheint ihm hold, aber lassen wir uns durch die rosig schimmernde Außenseite seines Lebens nicht täuschen. Er ist in der Schule des Herrn, in welcher man sich vor allem Andern auf Uebung in der Demuth und Selbstverleugnung gefaßt zu halten hat, und als eine Elementarwahrheit auch diejenigen kennen lernt, die der bekannte Liedervers ausspricht:

„Zu dem Schloß der Ewigkeit, Kommt kein Mensch hin sonder Streit; Die in Salems Mauern wohnen Zeigen ihre Dornenkronen,“

Die Frucht, welche dem David zunächst für seine Person aus seinem Triumphe über Goliath erwuchs, war die dreifache eines erfreulichen Fundes, einer verhängnißvollen Ehre, und einer Unheil drohenden Ungnade.

1.

Der Fund, mit dem David nach seinem Siege sich beglückt sah, war die Freundschaft Jonathans, des Erstgebornen Sauls. Dieser dem Sohne Isais an Geist, Gemüth und edlem Streben ebenbürtige Fürstenjüngling hatte wohl früher schon zu dem liebenswürdigen und gleichaltrigen Saitenspieler seines königlichen Vaters einen sympathetischen Zug empfunden. Nachdem er aber Zeuge nicht allein seiner bewunderungswürdigen Heldenthat, sondern auch seines ganzen ebenso anspruchslosen und bescheidenen, als männlich freien, unbefangenen und taktvollen Verhaltens desselben gewesen war, fühlte er sich vollends für ihn eingenommen, und so kam es denn, da die Zuneigung eine gegenseitige war, zwischen den Beiden zu einem Herzensbündniß, welches ihr zeitliches Leben überdauerte, und durch seine Wahrheit und Innigkeit sprichwörtlich geworden ist, ja zum mustergültigen Ideale sich verklärt hat. Nicht war es eine Weltfreundschaft, bei der im Grunde Einer in dem Andern nur sich selbst liebt und egoistische Interessen, wie seiner Natur sie auch immer seien, das verknüpfende Band bilden. Jene Beiden liebten sich wahrhaft in Gott, dem sie sich in heiligen Weihestunden zu Dienst begeben hatten, und ihre Anschauungen, Richtungen, Urtheile und Bestrebungen standen in einem vollendeten Anklang mit einander. Schon auf's halbe Wort pflegten sie Einer den Andern zu verstehen; ja die leisesten Töne, die die Saiten der einen Seele durchzitterten, klangen voll und harmonisch in denen der andern wieder. Wo solche Bedingungen zusammentreffen, da erwächst die holde Blume, welche der Apostel im Unterschiede von der „allgemeinen“ Liebe, die „besondere“ nennt. Es erblüht da die Freundschaft, welche, wie in Gleichartigkeit einer geheiligten Grundgesinnung wurzelnd, so eine gegenseitige Ergänzung wirkend, unter den irdischen Segnungen und Gütern eine der ersten Stellen einnimmt. Es knüpft sich da die Herzensgemeinschaft vermöge deren ein Mensch dem andern wie zu einem lebendigen Kanale wird, durch welchen das innere Leben bereichernd, unablässig eine Fülle von Erquickungen, Tröstungen und Ermuthigungen ihm zuströmt. Glücklicher, wem die Perle solcher Befreundung zu Theil geworden! Sie wird ihm nicht allein das Dasein verschönern, sondern auch den Kampf des Gebens erleichtern, jede Last durch die Macht des Mitgefühls um die Hälfte ihrer Schwere mindern, und die Pilgerfahrt nach der ewigen Heimath in aller Weise ihm versüßen helfen. Zudem ist uns ja das Verheißungswort des Herrn bekannt: „Wo zwei unter euch eins werden auf Erden, um was es ist, daß sie bitten wollen, das soll ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel;“ und nicht minder das auf jenes folgende: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“ Ein Kleophas und dessen Gefährte auf der Emmausstraße, ein Petrus und der Jünger, der an Jesu Brust lag, ein Paulus und sein Timotheus: wie lieblich strahlen uns diese Doppelsterne vom Himmel der heiligen Geschichte an, welche Brunnen der Erfrischung sprudelten diesen Verbrüderten in ihrer Herzensgemeinschaft, und welche Heils- und Friedensernten werden sie zu Tausenden von Malen aus ihrem traulichen Verkehre mit sich heimgetragen haben! Wem denn ein solcher Seelenfreund beschert ward, der achte ihn für einen großen Schatz und halte ihn hoch und werth. Wer dagegen klagen muß, daß ihm ein solcher fehle, suche den Grund hievon nicht in Andern, sondern in sich, da ihm ohne Zweifel, wenn auch nicht jedes edle Streben, so doch die herzgewinnenden Tugenden der Demuth, der Lauterkeit und der Liebe abgehn. Denn wo von diesem Gemüthsadel auch etwas nur sich findet, da bleibt es auch nicht aus, daß es auf Gleichgesinnte seine magnetische Anziehungskraft äußere, während selbstisches Wesen abstößt, statt zu verbinden, und den Menschen, dem es anklebt, jenem amerikanischen allezeit vereinsamten Baume verähnlicht, in dessen Umkreise nichts grünt noch blüht, und nach welchem kein Gewächs seine Ranken ausstreckt, um an ihn sich anzuschmiegen. Niemand sage, er bedürfe keines Menschen, weil ihm sein Herr und Gott genug sei. Dies ist ein hochfahrendes Gerede, dem selten eine innere Wahrheit zu Grunde liegt, und das in den mehrsten Fällen nur einen Deckmantel für die Herzenskälte und Liebesleere bildet, deren man sich anklagen muß. Freilich ist es allein die Freundschaft des himmlischen Friedensfürsten, die uns selig macht; aber ein Theil dieser Seligkeit besteht für unser Erdenleben auch schon mit darin, daß wir, erlöst von der Herrschaft der Selbstsucht, frei athmend im Elemente der Liebe uns bewegen, und der köstlichen Segnungen der „Gemeinschaft der Heiligen“ theilhaftig werden. Christus ist nicht erschienen, die Menschen zu vereinzelnen, sondern erst deren rechte Einigung zu gründen. Er will sich von uns in unsern Brüdern geliebt sehn. Seine Gemeine ist so wenig dazu gesetzt, daß sie aus einer zusammengewürfelten Menge auf sich zurückgezogener Individuen bestehe, daß sie vielmehr unter Ihm, ihrem Haupte, zu einem lebendigen Organismus sich zusammenfasse, und als ein „geistlicher Leib“ sich darstelle, dessen Glieder zu einem Herzen und einer Seele vereint in gegenseitiger Handreichung sich bethätigen sollen.

Jonathans Liebe zu David muß als eine ganz besonders köstliche Geistesblüthe gepriesen werden. Hohe, ja scheinbar unübersteigliche Schranken erhoben sich trennend zwischen dem Königssohne und dem geringen Hirtenknaben. Aber die Zuneigung des Fürstensprößlings, die lediglich auf Gleichheit eines dem Heiligsten und Hehrsten zugewandten Sinnes und Strebens sich gründete, schwang sich nicht blos mit Leichtigkeit über die Scheidewände des Ranges und Standes hinweg, sondern erwies sich auch noch viel schwereren Proben gewachsen. Jonathan sah den ruhmgekrönten Freund von seinem Volke mit einer Begeisterung auf den Schild gehoben, die wohl dazu angethan war, ihm etwas von dem Gifte einzuflößen, das Salomo in seinen Sprüchen „einen Eiter in den Gebeinen“ nennt. Aber Jonathan's aus Gott geborene Liebe war lauter und stark genug, um auch das Gezüchte des Neides und der Eifersucht unter die Füße zu treten. Wohl mochte ihm sogar auch schon früher eine Ahnung sagen, daß einst die väterliche Krone nicht ihm, dem natürlichen Erben derselben, sondern seinem Freunde David zufallen könne. Aber auch dies war nicht vermögend, seiner Freundschaft irgend einen Abbruch zu thun. Fürwahr, ein Großes dies; aber freilich keine Blüthe der Natur, sondern eine Wirkung des Geistes Gottes, wie man sie in solcher Vollkommenheit in der Zeit des alten Bundes kaum hätte suchen sollen. Allerdings ließ auch David nichts an sich vermissen, was dem Jonathan diesen innigen und vertrauten Anschluß an ihn erleichtern mußte. Davids edles, seiner ungeheuchelten Bescheidenheit und Demuth überall zur Seite gehendes Selbstgefühl, so wie sein ganzes maßvolles, eben so weit von einer kleingeistigen Ueberschätzung der durch die Gunst eines Fürstensohnes ihm zu Theil gewordenen Ehre, wie von jedem anmaßlichen Gebahren entferntes Verhalten des gleichgearteten Jünglings, wie hätte es nicht des Freundes ganzes Herz erobern sollen?

„Jonathan,“ lesen wir, „liebte David wie sein eigenes Herz.“ Als äußeres Pfand seiner aufrichtigen Freundschaft schenkte er ihm seinen Mantel und andere Stücke der eigenen Rüstung sammt dem Gürtel, dem Schwert und dem Bogen. Ein bedeutungsvolles Geschenk dies! Wollte der Königssohn etwas mehr damit sagen als: „Ich halte dich wie meiner Brüder einen?“ Saul, noch unter dem frischen Wogenschlage der Freude über die ihm gewordene Erlösung aus der Philister Hand, sah der Befreundung seines Sohnes mit dem kühnen Schleuderer einstweilen noch ohne Mißbehagen zu. Ja, er überwand sich, letzterem zu erklären, daß er ihn in seiner Nähe zu behalten gedenke, und übertrug ihm sogar die Befehlshaberstelle über eine Abtheilung seines Heeres, vielleicht seiner Leibgarde. David stellte sich in Allem seinem Könige zur Verfügung, fest vertrauend, daß der Herr es sei, der durch die Hand Sauls, seines Gesalbten, ihn führe und regiere. „Er hielt sich klüglich,“ meldet die Geschichte. Unter allen den Ehren, womit er sich anfänglich überhäuft sah, blieb er seines Muthes Herr und überall sich gleich. Wie hoch man ihn erhob, sein Herz erhob sich nicht. Mit allem seinem Thun und Lassen verharrte er sein innerhalb der Schranken eines gehorsamen und unterthänigen königlichen Knechtes. So ersparte er sich jede Beschämung und entzog sich am erfolgreichsten dem Neide der übrigen Hofbeamten, wenn demselben überhaupt zu entgehen war. Auch sicherte er sich durch dieses sein Verhalten vor einem allzu tiefen Sturze, falls einmal, was freilich bald genug geschah, die Gnade seines hohen Gönners sich von ihm wenden, und auch er die Wahrheit des bekannten Dichterspruchs erfahren müßte:

„Wie ein Meer sind Königsgnaden, Perlen fischt man, wo es ruht; Aber hüte dich vor Schaden, Wenn ein Sturm erregt die Fluth.“

Zur Tugend der Bescheidenheit räth also, wie wir sehen, auch schon die Klugheit, wie dies von dem Herrn selbst Luc. 14 angedeutet wird, wo wir ihn sagen hören: „Wenn du von Jemanden zur Hochzeit geladen wirst, so setze dich nicht obenan, daß nicht etwa ein Ehrbarerer oder Vornehmerer, denn du, von ihm geladen sei, und dann, der dich geladen hat, komme und zu dir spreche: Weiche diesem; und du müßtest mit Schaam zu unterst sitzen. Sondern wenn du geladen bist, so gehe hin und setze dich unten an, auf daß, wenn der kommt, der dich geladen, zu dir spreche: Freund, rücke hinauf! So wirst du Ehre haben vor denen, die mit dir zu Tische sitzen; denn wer sich selbst erhöht, der soll erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, soll erhöhet werden.“ Von selbst versteht sich's, daß das Verhalten, welches der Herr hier empfiehlt, ein solches ist, das in der Einfalt wurzelt, und von Heuchelei und Schalkheit sich unbefleckt erhält. Wie zu so Manchem, den wir einst hochfahrend sein Haupt erheben und sich in die Brust werfen sahen, hat es schon geheißen: „Weiche diesem!“ und wir sehen ihn jetzt zu unterst sitzen, während Andere aus tiefer Verborgenheit hinaufrücken durften, ohne vielleicht es selbst noch zu wissen, wie hoch sie in der Achtung und Liebe ihrer Brüder gestiegen sind.

David ging also eine Weile einen ebenen und glatten Weg; aber kurz genug war diese „Zeit der Erquickung“ ihm zugemessen. Schon auf dem Rückmarsche aus dem Feldlager aus der königlichen Residenz begann das Herz Sauls sich gegen ihn zu verstellen, und um so weniger gelang es dem Könige, die in ihm aufsteigende Verstimmung zu verbergen, je mächtiger der Huldigungsjubel erscholl, womit das Volk die Großthat des bethlehemitischen Helden feierte. Namentlich waren es die Frauen, die sich von Stadt zu Stadt in Huldigungen aller Art überboten. Mit Saiteninstrumenten, Pauken und Trompeten gingen sie den rückkehrenden Siegern entgegen und stimmten immer aufs Neue jauchzend und in rhythmischen Reigentänzen sich bewegend den Wechselgesang an: „Saul hat Tausend geschlagen, aber David Zehntausend!“ Dies drohte dem Könige mehr und mehr den ganzen Triumph zu vergällen. Eine böse Eifersucht kochte in seinem Innern auf. „Mir,“ murmelte er verdrossen vor sich hin, „geben sie Tausend, und Zehntausend Jenem! Das Königreich will noch sein eigen werden!“ Wirklich begann schon eine düstere Ahnung ihm dergleichen zuzuraunen, und eine dem David Gefahr drohende Gluth in seiner Seele anzufachen. Dem David konnte das nicht entgehen, vielmehr las er schon deutlich genug aus den sich mehr und mehr verfinsternden Zügen des Königs heraus, daß die ihm gespendete Ehre für ihn eine verhängnißvolle werden solle. Wie gerne hätte er die Ruhmeskränze alle, die man ihm gewunden, auf seines Königes Haupt zusammengehäuft; aber wer hätte es verhüten sollen, daß dies in den Augen des Volkes nur einer Verhöhnung des Königes gleich erschienen wäre.

Eine patriotische Siegesfeier war jetzt in Israel allerdings an ihrem Orte; aber eine anders geartete und würdigere, als sie vom Volke begangen wurde. Die Preisgesänge hätten vor Allem dem Herrn ertönen müssen, der ja nur darum des geringen, unbewehrten Hirtenknaben als seines Werkzeugs sich bediente, damit es um so unzweideutiger zu Tage trete, daß es Sein, des Allmächtigen, Arm gewesen, der Israel errettete. Das Volk verkannte dies, und vergötterte das Werkzeug. ist aber diese beklagenswerthe und von tiefer Gottentfremdung zeugende Verirrung nicht ein hervorstechender Characterzug auch des heutigen Geschlechts, das den Ausdruck: „Cultus des Genius“ erfand, und bei dem wir die Menschenvergötterung nicht selten bis zum Wahnsinn sich steigern sehen? Immerhin feiere man seine Helden, verewige in Denkmälern ihr Gedächtniß, winde Lorbeerkränze Allen, die sich um das Gemeinwohl verdient gemacht, oder vermöge ihrer schöpferischen Begabung das Reich erhebender und heilsamer Ideen erweitert haben. Nur vergesse man nicht, sich durch das, was Großes, Edles und Segensreiches durch Menschenkinder vollbracht ward, zuerst an den Vater der Geister sich erinnern zu lassen, von dem jedwede gute und vollkommene Gabe zu uns herabkommt, und gebe in demüthiger Selbstbescheidung und vor allen Andern Ihm die Ehre, die ihm gebührt. Dann halte man in seinen Sterblichen geweihten Ruhmesspenden Maß, und hüte sich sonderlich, das Unwürdige zu verherrlichen wodurch man sich selbst erniedrigt, und dem Niedern und Verächtlichen nur die Schleusen und das Strombett erweitert. Man schäme sich, seinen Weihrauch an Solche zu vergeuden, die als Lustigmacher, als Possenreißer oder in welchen Rollen ähnlicher Gattung sonst um den Preis einiger klingender Scherben oder des Pöbelbeifalls ihre Persönlichkeiten zur Schau stellen, ja ihre Menschenwürde zu Markte tragen. O welche klägliche Scenen rückt uns in unsern Tagen die tägliche Erfahrung nach dieser Seite hin vor Augen! Da sehen wir die bethörte Welt, nachdem sie von dem lebendigen Gott und seinem Worte abgefallen, bald einem frivolen Roman- und Novellenschreiber, bald einem vermessenen Leugner und Bestreiter alles Heiligen, bald einem vorgeblichen Reformator, einem lächerlichen Affen derer, denen dieser Name wirklich gebührt, bald einem in seinen hochtrabenden Phrasen sich selbst bespiegelnden und die Majestäten lästernden Kammerredner, wo nicht gar einer leichtfertigen Bühnentänzerin und welchen Ebenbürtigen dieses Gelichters etwa sonst noch huldigend zu Füßen liegen, und bald darauf nach kurzem Rausche diesen ihren Angebeteten wieder den Rücken wenden, um Andere desselben Ordens mit dem rasch verflackernden Strohfeuer ihres Enthusiasmus zu beglücken. O daß die heutige Welt doch merken wollte, wie schon in der Selbsterniedrigung, die sie durch ihr götzendienerisches Gebühren sich selber auferlegt, das Gericht Gottes an ihnen seinen Anfang genommen hat, und wie ihr, die dem Allerhöchsten die Ehre zu versagen sich erkühnt, dasjenige widerfährt, was im 4. Vers des 2. Psalms ihr gedroht wird: „Der im Himmel wohnt, lachet ihrer, und der Herr spottet ihrer!“

Doch zurück zu unserm David. Wir preisen ihn glücklich, daß der Herr ihm zur guten Stunde seinen Jonathan zugesellte. Denn wie vereinsamt stände er binnen kurzem da, da die Sonne der Königsgnade für ihn mehr und mehr ihrem Untergange sich zuneigt. Wo fände er in dem Kreise, dessen Luft er gegenwärtig athmet, noch ein aufrichtig teilnehmendes Herz, an dem er die Bitterkeiten alle verschmerzen könnte, die ihm von nun an werden eingetränkt werden? Ja, ihm wird jetzt, und sicher nicht zu seinem Nachtheil, Gelegenheit zu der Wahrnehmung gegeben, wie es in Fällen, gleich dem, in welchem er sich gegenwärtig befindet, gemeiniglich an den Hoflagern der Großen der Erde herzugehen pflege. Alles hängt hier, wie's sich ja auch geziemt, an den Augen des Fürsten; aber nicht blos, um dessen Befehle zu erspähen, sondern auch, um nach der Richtung und dem Maße seiner Gunstgewährungen auch die eigenen abzuwägen und zuzumessen. Wehe demjenigen, gegen welchen an höchster Stelle eine Erkältung eingetreten zu sein scheint. Meist wird er solchen Temperaturwechsel zuerst an dem veränderten Benehmen derer gegen ihn verspüren, die, so lange seine Course noch höher standen, als seine aufrichtigsten Verehrer sich zu geberden pflegten. Jetzt sieht er plötzlich die warme Anhänglichkeit derselben zu einer formellen Höflichkeit abgekühlt, wenn er nicht gar die Entdeckung machen muß, daß die sogenannten Freunde es darauf abgesehen haben, seinen völligen Sturz zu beschleunigen. Friedrich der Große schöpfte die Menschenverachtung, die er namentlich in seinen spätern Jahren oft in herbster Weise kund gab, aus der Beobachtung der nächsten Umgebung seines eigenen Thrones; und gleich bittere Enttäuschungen sind auch unserm David zu der Zeit, da die Gnade Sauls sich von ihm wandte, nicht erspart worden. Er deutet's mehrfach in seinen Psalmen an, wo wir ihn einmal klagen hören: „Meine Lieben und Freunde stehen wider mich,“ und wo er ein ander Mal Gott um Errettung von den „falschen und tückischen Leuten“ anruft. Doch gründete David von vorne herein sein inneres Glück nicht auf menschliches Wohlwollen, dessen Wandelbarkeit ihm nicht lange verborgen blieb, sondern auf die Huld seines Gottes. Nichtsdestoweniger wußte er's dem Herrn herzlichst und ewig Dank, daß er ihm durch das köstliche Geschenk der lautern Liebe Jonathans das Verwinden so mancher schmerzlicher Erfahrungen wesentlich erleichterte, und ihn der Wahrheit des Sirachswortes inne werden ließ, laut welchem „ein treuer Freund ein starker Schutz und ein Trost des Lebens“ ist.

Saul ist in Folge seiner glühenden Eifersucht gegen den Ueberwinder Goliaths allmälig in seinen früheren bejammernswürdigen Zustand zurückgefallen. Das „Saul hat Tausend geschlagen und David Zehntausend“ verklingt nicht in seinen Ohren. Er sah den jungen Helden, durch welchen Jehova Israel so großes Heil gegeben, und der dadurch zum Mann des Tages geworden war, wie die Geschichte sich ausdrückt: „sauer an.“ Armer Saul, der Keim der Kainsthat regt sich in deiner Seele! „Warum ergrimmst du, hieß es einst zu dem ersten Brudermörder, „und warum verstellen sich deine Geberden? ist's nicht also: wenn du fromm bist, so bist du angenehm; bist du aber nicht fromm, so ruhet die Sünde vor der Thür. Laß du ihr aber ihren Willen nicht, sondern herrsche über sie!“ Wir rufen diese Worte der Warnung auch dem Könige Israels zu; aber trotz ihres erschütternden Ernstes gleiten sie an seinem sich mehr und mehr verhärtenden Herzen ab. Immer tiefer verdüstert sich des Königs Stirn, immer wilder durchzucken unheildrohende Blitze seine Züge. Der gottlose Gedanke in ihm eilt der Reife zu. Auf's neue erfaßt ihn mit ganzer Macht der böse Geist. „Saul,“ sagt die Geschichte, „hub an zu weissagen,“ d. h. es erschien an ihm das finstere Afterbild der Verzückung, in welche die Propheten zu Zeiten von der Macht des Heiligen Geistes übermannt in Reden und Ausdrucksweise sich ergossen, die für Momente, wenn nicht ihr Bewußtsein, so doch ihr Verständniß hinter sich zurückließen. Saul schwärmte und raste wie ein Wahnsinniger in seiner Hofburg umher, und sah in seiner ungläubigen und von Argwohn erfüllten Phantasie Gesichte, die ihn bald vor Furcht erzittern und zusammenschauern machten, bald zu Tobsucht und wilden Wuthausbrüchen ihn fortrissen. Wäre uns vergönnt, in unsern eignen Ortsbezirken überall hinter die Vorhänge zu schauen, wer weiß, wie oft auch unsern Blicken ähnliche Scenen begegnen würden: Scenen, wüster Ergüsse eines beleidigten Ehrgefühls, oder ungezügelten Aergers über erlittene Verluste, oder feuerflammenden und herzverzehrenden Neides, so daß auch wir uns zur Bezeichnung dieser Parorismen des Andrucks „dämonisch“ nicht würden enthalten können.

Das Hofgesinde sieht sich durch den Zustand ihres hohen Gebieters in die äußerste Bestürzung versetzt. Aber was Raths? Der Harfenspieler muß wieder herzu. David ist bereit, stellt sich, seinem Gott vertrauend, dem wüthenden Könige so arglos wie mitleidsvoll gegenüber, und beginnt, wie einstmals, sein Saitenspiel zu rühren. Aber diesmal sänftigten seine Feierklänge den Tigergrimm des Tyrannen nicht mehr. Ehe der Harfner sich's versieht, hat der König seinen Wurfspeer gefaßt, den er, wie die Könige des Alterthums überhaupt zu thun pflegten, überall an des Zepters statt bei sich führte, und schleudert ihn mit der ganzen Wucht seines nervigten Armes wider den Retter seiner Krone, um ihn mit demselben an die Wand zu spießen. Das mörderische Geschoß verfehlte jedoch sein Ziel, und blieb, an dem schwer Bedrohten vorüber schwirrend, in der Mauer stecken. Hoffend, Saul werde ja nun die unsichtbare Hand erkennen, die wunderkräftig mit ihrem Schilde ihn, den Harfner, bedecke, greift David auf's neue in seine Saiten. Als aber auch Saul in seiner Raserei seinen Mordversuch erneuert, denselben jedoch abermals und in gleicher Weise vereitelt sieht, beginnt er endlich doch zu merken, wider wen er streite. Zu seinem Haß und Groll gesellt sich jetzt eine Furcht, die ihn aber freilich noch nicht von der Verfolgung Davids abstehen läßt. Nur sinnt er jetzt auf einen Plan, der es ihm möglich mache, den Gegenstand seiner Eifersucht ohne dem Verdachte persönlicher Mitschuld sich bloß zu stellen, aus dem Wege zu räumen. Er ertheilt demselben zu dem Ende zunächst den gemessenen Befehl, an der Spitze von tausend Bewaffneten sich sofort den Philistern, die auf's neue das Land beunruhigten, entgegen zu werfen. Er rechnete darauf, David werde diesmal unter den Händen des Rache schnaubenden Feindes auf der Wahlstatt bleiben. Um aber die Feinde um so mehr zu reizen, den verhaßten Ueberwinder ihres großen Vorkämpfers Goliath als Zielscheibe ihrer Geschosse ins Auge zu fassen, beeilte er sich, denselben gemäß seiner einmal vor allem Volke ausgesprochenen und darum unwiderruflichen Verheißung, wie widerwillig auch immer, zur Würde seines Eidams zu erheben. „In ihm,“ mochte er denken, „werden sie nun zugleich mich selbst zu treffen vermeinen.“ Uebrigens ging, wie wir gleich hören werden, die Berechnung seiner Schlauheit noch weiter. Er verlobte dem David seine älteste Tochter Merob, obwohl David in aufrichtiger Demuth einer so hohen Ehre sich unwerth erklärte, und zum Könige sprach: „Wer bin ich, und was ist mein Stand und das Geschlecht meines Vaters in Israel, daß ich des Königs Eidam werden soll?“ Etwas später übrigens besann sich Saul aus unbekannten Gründen insofern wieder eines Andern, als er die Merob dem Meholathiter Adriel zum Weibe gab, dem David dagegen seine Tochter Michal vertraute, von der er vernommen hatte, daß sie den jungen Helden wirklich lieb gewonnen habe. David erinnerte auf's neue an die Niedrigkeit seines Standes und an seine Armuth. Der König aber bestand auf seinem Willen und ließ arglistig dem jungen Verlobten eröffnen, daß er von ihm als Morgengabe nichts Anderes, als hundert Philisterköpfe begehre. So glaubte er ihm die Falle gestellt zu haben, der er nicht entgehen werde. David begab sich denn aller weitern Einreden, und zog mit seiner Mannschaft dem wortbrüchigen Erb- und Erzfeinde seines Volks entgegen. Und nicht mancher Tag war vergangen, als er abermals ruhmgekrönt und sogar mit der doppelten Zahl der von ihm erforderten blutigen Trophäen zurückkehrte. So war der sein eingefädelte Mordplan des Königes wiederum gescheitert. Er hatte bei seiner Rechnung außer Anschlag gelassen, daß Jehova der Herr seinem Knechte David zur Seite stehe. Uebrigens durfte er schon um des Volkes willen demselben die Michal nicht mehr vorenthalten. Die Geschichte aber berichtet: „Saul fürchtete sich fortan noch mehr vor David, und ward sein Feind sein Leben lang.“

Kaum läßt sich eine schwierige Lebenslage denken, in der sich David nicht während seiner Erdenwallfahrt irgend einmal befunden hätte. Schon um seiner selbst willen, damit er sich der überreichen Gnaden, deren er gewürdigt wurde, nicht überhöbe, bedurfte er der fortwährenden Erinnerungen an seine Abhängigkeit von dem, der in der Höhe und im Heiligthume, und bei denen wohnt, die zerschlagenen und gedemüthigten Geistes sind. Zudem sollte David ja für Jahrtausende den Bedrängten und Mühseligen jeder Art ein lieber und tröstlicher Geselle werden, und auch darum durfte kein Trübsalsbecher ungekostet an ihm vorübergehen. Durch welche Leidenstiefe hätte ihn nicht sein Weg hindurchgeführt? Aber in jedes Dunkel, das ihn umschattete, fiel das Licht des geöffneten Himmels herein, und auf jeden Sturm, der ihn umtobte, folgte, allen seinen Nachfolgern auf dem Kreuzeswege zur Ermuthigung, ein sanftes lindes Sausen göttlicher Tröstung. So ward er zubereitet, für alle angefochtenen Seelen, der Saitenspieler zu bleiben, der er einst für den König Israels gewesen war; und bis heute geschieht es, daß, wo die Töne seines Psalters verlauten und in den Herzen wiederklingen, die Schatten des Trübsinns und der Schwermuth sich zerstreuen, und Muth, Friede und Freude wiederkehren müssen.

Als Psalmenklänge, in denen das, was David am Hoflager Sauls erlebte, seinen Ausdruck fand, erscheinen unter Andern folgende: „Gieb mich nicht in den Willen meiner Feinde, o Herr; denn falsche Zeugen stehen wider mich auf, und thuen mir Unrecht ohne Scheu. Ich glaube aber doch, daß ich sehen werde das Gute des Herrn im Lande der Lebendigen. Er decket mich in seiner Hütte zur bösen Zeit, er verbirget mich heimlich in seinem Gezelt, er erhöhet- mich auf einen Felsen, und wird erhöhen mein Haupt über meine Widersacher, die um mich sind.“ (Ps. 27.) Ferner: „Herr, ohne Ursache haben sie mir Netze gestellt, mich zu verderben, und haben ohne Ursache meiner Seele Gruben zugerichtet. Aber freuen müsse sich meine Seele, und alle meine Gebeine müssen sagen: Herr, wer ist dir gleich, der du den Elenden errettest von dem, der ihm zu stark ist, und den Armen von seinen Räubern.“ (Ps. 35.) „Herr, mein Fels, meine Burg, mein Erretter, mein Gott, mein Hort, auf den ich traue, mein Schild und Horn meines Heils und mein Schutz: Dich will ich loben und anrufen, so werde ich von meinen Feinden erlöset werden.“ (Ps. 18.) Endlich: „Gepriesen sei der Herr tagtäglich. Legt man uns eine Last auf, so ist Gott unser Heil. Wir haben einen Gott, der da hilft, und einen Herrn Herrn, der vom Tode errettet!“

Wie manchmal schon haben Töne, wie die eben vernommenen, geprüften Gottespilgern auf ihren dornenvollen Wegen neue Ermuthigung eingehaucht! Möge es ihnen verliehen sein, dies köstliche Werk in immer weiteren Kreisen auszurichten! Gott walte es!

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