Krummacher, Friedrich Wilhelm - III. David und Goliath.

Krummacher, Friedrich Wilhelm - III. David und Goliath.

Ein Erlebniß Josuas gehe unsrer diesmaligen Betrachtung voran, ein Erlebniß, an dem David selbst oftmals seinen Muth gestärkt haben mag. Jos. 5, 13-15 steht's verzeichnet. Der Heerführer Israels, der Sohn Nun's, ist im Begriff, mit seinem Volke die Grenze Canaans, welches schon dem Abraham als das zukünftige Vaterland seiner Nachkommen göttlich zugesagt war zu überschreiten. Er ist sich der ganzen Schwere seiner Aufgabe klar bewußt. Vor ihm liegt die starke, unbezwingliche feindliche Feste Jericho. Der verhängnißvolle Kampf soll entbrennen. Es ist Nacht. Josuas Schaaren liegen umher im Lager, theils schlummernd, theils in aufgeregten Gesprächen die Kräfte bemessend, die jetzt auf einander stoßen sollen. Er selbst, der Führer, wandelt einsam auf den Hügeln, welche in einiger Entfernung Jericho umgeben. Und misset auch, und entwirft den Schlachtplan und erkundet das Terrain? Die Geschichte meldet: „Josua hub seine Augen auf.“ - Wohin wir wissen es. Er hielt seinen Congreß mit Gott. Was widerfährt ihm da? Wunderbares, das aber uns nicht wundern darf, da Gott einmal an seinem auserwählten Volke durch Wunder zeigen wollte, daß er ein lebendiger Gott sei. Plötzlich nemlich steht Josua in einiger Entfernung eine hehre Gestalt in kriegerischer Rüstung vor sich stehen. Ein Mensch? Unmöglich! Ein Engel? Sicher! Etwa der „Engel Jehova“, der nachmals Mensch ward? Josua mochte darüber schwanken. Er stutzt. Dann faßt er sich ein Herz, und ruft sein: „Wer da?!“ - „Gehörst du uns an,“ fragt er, „oder unsern Feinden.“ Die Antwort lautet: „Nein, ich bin ein Fürst über das Heer des Herrn und bin jetzt kommen.“ - Nun weiß Josua, daß er es jedenfalls mit einem Vertreter des Hocherhabenen zu thun hat, der allein entscheidet, wie die blutigen Würfel der Schlachten fallen sollen. Josua ist stolz, auf diesen Bundesgenossen sich stützen zu können. Anbetend fällt er vor dem Herrn auf sein Angesicht, und spricht: „Was sagt mein Her r seinem Knecht?“ - Wir verstehen ihn. Er begiebt sich seiner selbst, und will in Allem seinem Herrn treu, unterthänig und gewärtig sein. Der Fürst über das Heer des Herrn erwidert seinem Knechte: „Zeuch deine Schuhe aus von deinen Füßen, denn die Stätte, worauf du stehest, ist heilig.“ - Eine bildliche Rede. Josua wußte sie sich zu deuten, und kam dem geistlichen Sinne der an ihn ergangenen Aufforderung nach. In aufrichtiger Demuth wandelte er fortan vor Gott, war sich, wo er ging und stand, der Gegenwart Gottes bewußt, getröstete sich ihrer, vertraute auf den Herrn, fragte allewege zuerst nach seinem Willen, und wehrte von sich ab, was Ihm mißfallen könnte. - Und der Herr krönte ihn mit Sieg um Sieg, mit Segen um Segen. - In Josuas Fußtapfen ging auch David, und so bewahrheitete sich auch an ihm das Wort: „Wo ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so werdet ihr Berge versetzen.“ -

1 Samuel 17, 45 u. 46. David sprach zu dem Philister: Du kommst zu mir mit Schwerdt, Spieß und Schild, Ich aber komme zu dir im Namen des Herrn Zebaoth, des Gottes des Hauses Israel, den du gehöhnt hast. Heutigen Tages wird dich der Herr in meine Hand überantworten, daß ich dich schlage und nehme dein Haupt von dir, auf daß alles Land inne werde, daß Israel einen Gott hat.

Diese Worte bilden ein Bruchstück aus der Geschichte, der wir heute betrachtend nahe treten. Sie bezeichnen übrigens das Wesentlichste ihres Inhalts, und stellen namentlich die Bedeutung ins Licht, welche der Vorgang für uns im Schooße trägt. Dringen wir denn gleich auf den Kern der Begebenheit und betrachten, nachdem wir zuvor einen Blick auf Israels Noth geworfen haben, die göttliche Retterthat durch David.

1.

In Israel umschmettern uns wieder die Kriegsdrommeten. Wir treffen die waffenfähige Mannschaft des Volkes schon zum Kampf gerüstet im offenen Blachfeld. Den Philistern gilt's, den kriegerischen Anwohnern der Meeresküste, die dem Herrn allezeit unbewußt als Zuchtruthe wider das halsstarrige Volk seiner Wahl in Bereitschaft standen. Auf's Neue sind sie in mächtigen Heereshaufen mit Reitern und Streitwagen in Juda hereingebrochen, und bedrohen das Königreich in seinem Mittelpunkte und seinen stärksten Vesten. Diese Nation, allezeit schlagfertig und unruhig wie die Woge des Meeres, die brandend ihr Land bespülte, befand sich seit beinahe tausend Jahren im Besitz der südlichen Küstenebene Palästinas, in welche sie theils von Egypten her, das damals bereits ihre zweite Heimath war, nachdem sie als ein Nomadenstamm ihre erste und ursprüngliche, nemlich das an den persischen Meerbusen grenzende Arabien verlassen hatte, theils von der Insel Creta, woher sie den Namen Creti beibehielt, hereingefluthet war. Schon beim Durchzuge der Israeliten durch die Wüste hatten sich die Philister ihnen furchtbar genug gemacht, um sie zu bestimmen, dem Ungewissen Kampf mit ihnen einen weiten und beschwerlichen Umweg vorzuziehen. Der Hauptgötze jener Heiden war der Dagon, ein Meergott, dargestellt mit einem menschlichen Oberkörper, der in einen Fischleib auslief. Das Centralheiligthum dieses Götzen stand in Gath. Neben dem Dagon verehrten die Philister den Himmelskönig Baal und die Himmelskönigin Astarte. Ihre Kriegsverfassung scheint bereits eine ziemlich geordnete gewesen zu sein. Zur Zeit Sauls, der Blüthenperiode ihrer Macht, geboten sie über nicht weniger als dreißigtausend Streitwagen und sechstausend Reiter, und ihr Fußvolk war wie „der Sand am Meer“. Die Rüstung ihrer Krieger bestand in einem eisernen Schuppenpanzer, einem kupfernen Helm und ehernen Beinschienen. Ihre Angriffswaffen waren der Wurfspieß, die Lanze mit schwerer eiserner Spitze, der Bogen und das Schwerdt. Als Schutzwehr diente ihnen ein lederner Schild, der den ganzen Leib bedeckte. Einen an Stärke und Kühnheit hervorragenden Theil des Heers bildeten die Enakiten, ein Riesengeschlecht, in welchem man den aus Egypten herübergekommenen Ur- und Wurzelstamm des ganzen Volks, und zugleich den auf der Höhe einer ruhmgekrönten Ahnenreihe glänzenden Adel der Nation verehrte.

Wie wir heute in die Geschichte eintreten, sind die Philister schon bis Socho, drei Meilen südwestlich von Jerusalem, vorgedrungen und haben auf einer Hochebene Stellung genommen. Ihnen gegenüber, ebenfalls auf einer Hügelkette, und nur durch ein Thal, den Eich- oder Terebinthengrund von jenen getrennt, lagert Israel. Wir treffen letzteres Angesichts des feindlichen Speer- und Hellebardenwaldes nicht eben in siegesmuthigster Stimmung. Kein Wunder dies, da das israelitische Heer die Stirn seines obersten Führers in eitel düstere Sorgenwolken gehüllt, und sein Auge irr und verlegen blicken sieht. Der König rechnet nur noch mit menschlichen Faktoren, nachdem er jeden Anspruch an die Hülfe von oben verwirkt zu haben glaubt. Was Wunder, daß ihm seine Lage darum überaus bedenklich erscheinen will, und er es für rathsam erachtet - der Unglaube macht feige - seine Kriegsoperationen lediglich auf eine Vertheidigungsstellung zu beschränken.

Auch die Philister verzögern, nur aus andern Gründen, den Angriff. Sie beabsichtigen zur Mehrung ihres Ruhms der Welt zu zeigen, daß ihre kriegerische Stärke nicht etwa in der Ueberzahl ihres Heers, sondern in der persönlichen Kampfgeübtheit und Schlagfertigkeit jedes einzelnen Mannes desselben beruhe. Sie schlagen darum, wie es - schon Homer ist deß Zeuge - in den Kriegen der Alten häufig geschah, dem Feinde einen Zweikampf vor. Einer aus dem alten Riesengeschlechte, gebürtig aus Gath, nicht weniger als dreizehn Spannen messend - Goliath ist sein Name - tritt in Begleitung eines Schildträgers in voller Rüstung aus dem Feindeslager hervor, und ruft mit weithin dröhnender Stimme dem Zeuge Israels zu: „Was seid ihr ausgezogen, euch zu rüsten zur Schlacht? Frommt's wohl, daß wir uns untereinander erwürgen? Sehet her, ich bin ein Philister und ihr seid Knechte Sauls. Wohlan, laßt uns die Sache kürzen, damit des Blutes weniger fließe. Erwählet einen unter euch, der es mit mir aufnehme. Der Einzelkampf entscheide den Streit. Ueberwindet euer Kämpfer mich, so sind wir eure Knechte. Schlage ich ihn, so seid ihr die unsern!“ So in maßlosester Selbstüberhebung der Philister. Auf die Spitze seines Degens setzt er das Geschick und den Fortbestand seines ganzen Reichs. Die Geringschätzung, die sich in seiner Herausforderung gegen das Volk Jehovas aussprach, konnte nicht ärger sein. Der Prahler selbst ist sich dessen wohl bewußt und ruft, seines Sieges gewiß, mit frevelndem Trotze in das feindliche Lager hinüber: „Ich habe heute dem Zeuge Israels Hohn gesprochen; wohlan sendet her, welchen ihr wollt, daß er sich mit mir messe!“ Jetzt war es an Israel, und an dessen Könige zuerst, auf das Mosiswort zurückzugreifen: „Der Herr ist der rechte Kriegsmann; er wird für euch streiten und ihr werdet stille sein,“ und sich in die Erinnerung zurückzurufen, wie so oft in vergangenen Zeiten der Herr dieses Wort seines treuen Knechtes an den Vätern wahrgemacht und tatsächlich besiegelt habe. Um so mehr hatten die Kinder dieser Väter sich jetzt ein Herz zu fassen, da der bittre Hohn des Philisters nicht ihnen blos, sondern zugleich dem Gotte galt, der sie in Gnaden zu seinem Volke erwählet hatte. Es lag dem neu ausgebrochenen Kriege wie den mehrsten Kriegen des Alterthums überhaupt eine eng mit der Religion verknüpfte Bedeutung zum Grunde. Die Heiden kämpften für die Ehre ihres Götzen Dagon. er sollte aller Welt als der rechte Gott erscheinen. Jehova dagegen sollte als ein Phantom, als ein Trugbild ohne Wesen offenbar und zu Schanden werden. Wie große Ursache war mithin den Kindern Israel hier geboten, mit freudigster Zuversicht auf den Arm des Allmächtigen zu trotzen, und siegesgewiß den angebotenen Kampf des Heiden aufzunehmen. Was aber begibt sich? Israel ist zag, weil das Herz seines Königes es ist. Man wagt nicht, die Verheißungen Jehova's sich kindlich zuzueignen. Die Flügel zu dem vertraulichen Aufschwunge zu dem Herrn der Heerschaaren sind gelähmt. Was wird es werden?!

Stumm nimmt man die freche Herausforderung des Unbeschnittenen hin. Keiner in Israel meldet sich, den höhnisch hingeworfenen Fehdehandschuh aufzunehmen. Da ereignet sich etwas, das im ersten Momente den tiefernsten Handel mit einem fast erheiternden Zwischenspiele unterbrechen zu wollen scheint. Zur Aufnahme des angebotenen Kampfes mit dem Riesen erbietet sich ein zarter Jüngling, „bräunlich und schön,“ im schlichten Hirtengewande. Der junge Ephraemite ist uns kein Fremdling mehr. Als die Kriegswolke am Horizonte Israels heraufzog, hatten seine drei älteren Brüder, Eliab, Abinadab und Samma den Pflug mit der Lanze und dem Schwerdt, daß Gewand des Ackerers mit dem Waffenrock des Königs vertauschen müssen. Den Jüngsten dagegen, den Saitenspieler David, hatte sich der Vater Isai zu seiner Hülfe nach Bethlehem zurückerbeten, was er denn auch, da den König jetzt sein Beruf in's Feld rief, um so eher erreichte, da Saul, wie es scheint, ohnehin schon des frommen Harfenspielers, wahrscheinlich seines religiösen Ernstes halber, längst überdrüssig geworden war. David hütete nun wieder, wohl zufrieden mit diesem Wechsel seiner Lage, auf den stillen Fluren der Heimath des Vaters Heerden. Isai aber, seiner Söhne auch im fernen Kriegslager väterlich eingedenk, sprach eines Tages zu David: „Nimm hier dieses Epha Sangen (geröstete Hülsenfrüchte), und diese zehn Brode, und begieb dich damit zu deinen Brüdern auf den Kampfplatz. Diese zehn frischen Milchkäse aber überbringe dem Hauptmann, und siehe, ob es deinen Brüdern wohlgehe, und melde mir dann, was sie dir auftragen werden.“ - David, als ein treu gehorsamer Sohn, gewohnt die Befehle seines Vaters, auch wenn sie nicht seinen Neigungen entsprachen, ungesäumt auszurichten, machte sich alsobald früh Morgens auf, und langte grade in dem Augenblicke bei der Umgebung des Lagers an, als die Heere in Schlachtordnung einander gegenüber standen. Nachdem er sein Gepäck den Hütern des Heergeräthes zu einstweiliger Verwahrung übergeben hatte, eilte er zur Wahlstatt, suchte in den Kriegerreihen seine Brüder auf, und als er sie gefunden, grüßte er sie herzlichst, überbrachte ihnen die Grüße von daheim, setzte sie von dem Zweck seines unerwarteten Besuchs in Kenntniß und überreichte ihnen die freudig willkommen geheißenen Gaben aus dem Vaterhause. Da erscholl plötzlich von dem Vorsprung der Anhöhe her, über welche das Philisterlager sich ausbreitete, die Löwenstimme des riesigen Prahlers; denn zur Schmach Israels durfte der Raufbold mehrere Tage nacheinander, ohne daß ihm Jemand das Maul zu stopfen wagte, seinen Kampfesruf erneuern. Ueberall hin drang das Gerücht von dem furchtbaren Manne, der sich unterfange, Israel und dessen Gotte öffentlich Hohn zu sprechen. Man erzählte sich, daß der König dem, der den Lästerer in den Staub strecken werde, goldene Berge verheiße, ja daß er sich sogar bereit erklärt habe, demselben seine Tochter zum Weibe zu geben, und das Vaterhaus des Siegers von jeder Steuerpflicht zu entbinden, d. h. es in den Freiherrnstand zu erheben. Und allerdings war bis zu solcher glänzenden Preisausstellung die Flamme des Kriegermuthes in Saul herabgebrannt. Wie glücklich wäre er, würde ihm der Sieg so unblutigen Kaufes auf dem Pfühl seines Königszeltes in den Schooß geworfen.

Mit höchstem Erstaunen nimmt David wahr, was eben vorgeht. Er glaubt weder seinen Ohren trauen zu dürfen, als er auf's neue den frechen Ruf des Unbeschnittenen herüberschallen hört, noch seinen Augen, da er im Lager seiner Landsleute Niemanden in heiligem Zorn entbrennen und sich anschicken sieht, für die Ehre Jehovah's in den Riß zu treten. „Wie,“ denkt er, „ist denn der letzte Glaubensfunke in Israel erloschen, oder der Arm Dessen verkürzt, der einst den Pharao mit seinen Reisigen und Rossen in den Wogen des rothen Meers begrub, auf Mosis Gebet die starke Uebermacht Amalek's dämpfte, den Gideon anzog, daß er mit seinen Dreihundert die Tausende Midian's das Feld zu räumen zwang, ja den Nacken des Canaaniters Sissera, der ein Schrecken des ganzen Landes war, unter den Fuß eines schwachen Weibes beugte? Hat, der solches einst vermochte, der „Herr der Heerschaaren“ etwa sein Regiment an den Götzen der Philister abgetreten, und Israel in solchen Thronwechsel sich finden müssen?“ Er denkt's, und hoch lodert die heilige Eifersflamme wie gegen den Lästerer im Lager des Erbfeindes, so wider die Verzagten des eignen Volkes in ihm empor. Er erkundigt sich bei den umstehenden Kriegsleuten nach dem Wortlaut des königlichen Aufrufs, damit er sicher sei, daß ihm auch gezieme, wozu für Jehova's Ehre sein heilig entflammtes Herz ihn drängt. Er fragt, was man dem thun werde, der diesen Philister in den Staub strecke und die Schande von Israel wende. Uebrigens vermag er, was er im Schilde führt, vor seiner Umgebung nicht ganz zu verbergen, und der Ungestüm, womit er zu seiner Frage hinzufügt: „Wer ist dieser Unbeschnittene, daß er den Zeug des lebendigen Gottes zu höhnen wagt?“ verräth es vollends, was in seinem Innern vorgeht. Auch seinen Brüdern entgeht es nicht; es erfüllt sie aber nur mit Sorge und Zorn. „Was willst du hier?“ schnaubt ihn der älteste derselben, Eliab, an. „Wem hast du die väterliche Heerde zurückgelassen, die deiner Hut anvertrauet ward? Wohl kenne ich deinen Uebermuth und deines Herzens Unart. Neugierde nur hat dich hierhergetrieben. Es gelüstete dich, an dem Schauspiel des Kampfes dich zu weiden.“ So Eliab; doch spricht er damit seine wahre Meinung nicht aus. Er kennt den kühnen Knaben genugsam, um ihm, wo es die Ehre Gottes gilt, das kühnste Wagstück zuzutrauen. „Was aber,“ denkt Eliab, „würde das Ergebniß solchen Unterfangens sein? Nicht allein des Knaben Tod, sondern zugleich der Untergang Israels und Aergeres noch denn dies: eine Niederlage seines Gottes in den Augen der Heiden!“ Ebenso rechneten mit Eliab auch dessen beide Brüder. Wir sehen, daß auch ihnen Glaube und Muth entschwunden waren. David erwiedert den Vorwurf Eliabs mit der ruhigen Doppelfrage: „Was habe ich gethan? ist mir's denn nicht befohlen?“ und überläßt es seinen Brüdern, bei den letztern Worten an einen Auftrag seines Vaters Isai, oder an irgend einen anderen höheren und geheimnißvolleren Befehl zu denken. Er selbst ist sich's mit Klarheit bewußt, was er nach dem Willen seines Gottes zu thun habe. In seinen fortgesetzten Unterredungen mit den Kriegern, die ihn umstehen, tritt dies immer unzweideutiger hervor, so daß man endlich glaubt, dem Könige von der Erscheinung des Hirtenjünglings im Lager und von seinen räthselhaften Andeutungen Kunde geben zu müssen.

Es geschieht. „Bringet ihn her zu mir,“ sprach Saul. David erscheint und grüßt den König ehrerbietig mit den Worten: „Es entfalle Keinem das Herz um des Lästerers willen. Dein Knecht soll hingehen und mit dem Philister streiten!“ - „Was?“ entgegnete Saul, „du mit dem Philister? Mit dem, der ein Kriegsmann war von Jugend auf, du junger Knabe?“ David nimmt auf's neue das Wort und beruft sich auf die Kämpfe, die er in noch jüngeren Jahren als Hirte zuerst mit einem Löwen und dann mit einem wüthenden Bären siegreich bestanden habe, und fügt hinzu: „Gleich wie derer einem soll es auch diesem Philister, dem Unbeschnittenen, ergehen; denn er hat den Zeug des lebendigen Gottes geschändet. Der Herr, der mich von dem Löwen, und von dem Bären errettet hat, der wird mich auch erretten von diesem Philister!“ Hier sehen wir das Herz des Sohnes Isai bis auf den Grund vor uns erschlossen. Jehovah, der Gott seiner Väter, auf dessen Beistand er mit voller Zuversicht vertraut, weil das Bewußtsein ihn beseelt, nur seine Ehre zu suchen, ist sein Halt und seine Stärke. Auch dem Könige nöthigt dieser Glaube Verwunderung und Achtung ab. Ja, es theilt sich sogar etwas von der Siegesgewißheit des Jünglings seinem eignen verzagten Herzen mit. „Gehe hin,“ spricht er, „der Herr sei mit dir!“ Ungeschickt aber, und von arger Mißkennung des Standpunktes zeugend, den David bei der Kundgebung seines heldenmüthigen Entschlusses einnimmt, ist das, was der König weiter vornimmt. Er befiehlt, daß man seine Rüstung, Helm, Panzerschienen sammt dem mächtigen Schwerte dem Jüngling anlege. David widerstrebt nicht, denn es ist ja so seines Gebieters Wille; doch zweifelt er nicht, der König werde sich bald selbst überzeugen, daß diese Gewandung ihm nicht eigene. So geschah es. „Du siehst,“ spricht David, „daß ich nicht also gehn kann; denn ich bin's nicht gewohnt;“ und so hatte denn auch Saul nichts dawider, daß er zu nicht geringem Erstaunen Aller den schweren Waffenschmuck wieder mit seinem leichten Schäfergewande, der Hirtentasche, dem Stabe und der Schleuder vertauschte. So tritt er denn aus dem Lager Israels hervor, und schreitet, nachdem er fünf glatte Kiesel aus dem ausgetrockneten Bette eines den Eichgrund durchschneidenden Baches aufgegriffen und in seine Tasche geborgen, unter dem Gespötte der Einen und unter der gespanntesten Erwartung der Andern dem Philister entgegen.

Geistliche Nachbilder dieses Heldenganges hat die Geschichte manche und mancherlei aufzuweisen. Nur an einen Luther erinnere ich, der trotz der Bedenken ängstlicher Stubengelehrten die schwere Armatur scholastischer Schulweisheit von sich warf, und frei einhertretend mit den fünf Hauptstücken seines Catechismus den Riesen zu Rom siegreich darniederstreckte. Und dürfte nicht hier auch an solche Zeugen und Kämpfer auf dem kirchlichen Gebiet erinnert werden, welche in geheiligter Kühnheit eine hergebrachte Schnürbrust homiletischer oder liturgischer Form sprengten, und in freieren Ergüssen und Schöpfungen ihres gottgesalbten Geistes zu einer durchschlagenderen Predigtweise den Ton angaben, und durch sie eine neue Befruchtung, Frischung und Hebung des kirchlichen Lebens anbahnten?

Als Goliath den Hirtenjüngling auf sich zukommen sieht, und sich überzeugt, daß es demselben ein wirklicher Ernst sei, unbewehrt, wie er war, den Kampf mit ihm zu wagen, schreitet auch er, sein Schildträger voran, dem Vermessenen entgegen, und überschüttet ihn schon von ferne mit Ausbrüchen des bittersten Hohnes und der tiefsten Verachtung. „Bin ich ein Hund,“ ruft er ihm zu, „daß du mit einem Stecken zu mir kommst? Verflucht seist du bei meinem Gott, dem Dagon! Heran nur, daß ich dein Fleisch den Vögeln unter dem Himmel zur Speise gebe, und die Thiere des Feldes dich fressen!“ Wen hätte dieses Gebrüll des wuthschnaubenden Leuen nicht sollen erzittern machen? Aber David, der sich im Schooße dessen geborgen weiß, für dessen Ehre er eintritt, erzittert nicht, sondern entgegnet mit großartiger Ruhe: „Du kommst zu mir mit Schwert, Spieß und Schild; ich aber komme zu dir im Namen des Herrn Zebaoth, des Gottes des Zeuges Israel, den du gehöhnt hast. Heutiges Tages wird dich der Herr in meine Hand überantworten, daß ich dich schlage, und nehme dein Haupt von dir, und gebe den Leichnam des Heers der Philister (d. h. den deinigen, in welchem ja das Philisterheer sich concentrirt und gipfelt), den Vögeln unter dem Himmel und dem Wild auf Erden, daß alles Land erkenne, daß Israel einen Gott hat, und daß alle diese Gemeine inne werde, daß der Herr nicht durch Schwert und Spieß hilft. Denn des Herrn ist. der Streit, und er wird euch in unsre Hände geben!“ Kaum noch hat David diese Worte geredet, als der Philister mit gefälltem Riesenspeere wider ihn vorrückt. Aber eben so schnell hat sein jugendlicher Gegner einen der Kiesel aus seiner Hirtentasche herausgelangt und denselben hurtig in die Schleuder gelegt. Dann schwingt er diese mit nervigtem, wurfgeübtem Arm, und mit Blitzesschnelle schwirrt der Stein dahin, trifft mit furchtbarer Wucht sein Ziel, des Philisters Schläfe, dringt zerschmetternd und hirnerschütternd in sie ein, und der Enakssohn wankt, bricht zusammen und stürzt mit krampfhaft zuckenden Gliedern und schaurigem Todesstöhnen zu Boden. Der Sieger aber eilt hinzu, zieht dem Dahingestreckten das Schwerdt aus der Scheide und trennt ihm damit das Haupt vom Rumpfe. „Da aber die Philister sahen,“ erzählt die Geschichte weiter, „daß ihre Stärke todt war, flohen sie;“ brachen aber hierdurch den geschlossenen Vertrag, laut welchem sie verpflichtet waren, vor Israel jetzt die Waffen zu strecken, und sich der Obmacht der Sieger zu unterwerfen. Darum geschah es mit gutem Rechte, daß die Mannschaften Israels und Judas unter lautem Triumphgeschrei den Flüchtlingen bis nach Ekron, einer der angesehensten der fünf großen Philisterstädte, nachsetzten, viele derselben auf ihrem Rückzuge niederschlugen, und ihres hinterlassenen Lagers sammt Allem, was es in sich barg, als guter Beute sich bemächtigten. David brachte das Haupt des Getödteten später nach Jerusalem, die Rüstung desselben aber barg er vorläufig in dem Zelt, das er wahrscheinlich mit seinen Brüdern theilte. Ein großer, herrlichem, folgenreicher Sieg war erfochten; ein Sieg Jehova's, kein Menschensieg, ein Sieg des wahren lebendigen Gottes über das ganze Reich der falschen Götter, ein Sieg des Glaubens an den Gott Abrahams, Isaak's und Jakob's über allen damaligen und zukünftigen Unglauben und Aberglauben der ganzen weiten Welt. Kaum je hat der Herr sein zu Israel gesprochenes Wort: „Ich will euch erlösen durch meinen ausgereckten Arm, auf daß ihr erfahren sollt, daß ich der Herr euer Gott bin“ so wie das andere: „Ich will Ehre einlegen unter den Heiden“ majestätischer und glänzender besiegelt, als eben hier.

Was sagt nun aber Saul zu dieser unverhofften Wendung der Dinge? Natürlich ist auch er nicht wenig darob erfreut, sich so plötzlich und in so überraschender Weise aus der beängstigenden Klemme, in der er sich befand, erlöst zu sehn. Aber weder wird uns auch nur leise angedeutet, daß er über sein ungläubiges Verzagen sich gerichtet, noch daß er dem Herrn am Staube sein Dank- und Lobopfer dargebracht habe. Viel eher scheint sich schon jetzt der giftige Wurm des Neides in ihm geregt zu haben. Er erkundigt sich nur bei seinem Feldhauptmann Abner, wer der Sieger, und wessen Sohn er sei. Abner erwiedert: „So wahr deine Seele lebt, König, ich weiß es nicht.“ „So forsche,“ gebietet Saul, „von wannen er stammt.“ Als nun bald darauf David mit dem Haupt des Philisters in der Hand persönlich an Abners Seite vor dem König erscheint, wiederholt dieser selbst an ihn die Frage: „Weß Sohn bist du, Knabe?“ David erwiedert einfach mit dem Ausdruck aufrichtigster Bescheidenheit: „Ich bin ein Sohn deines Knechtes Isai, des Betlehemiten,“ und ist mit Ruhe der weiteren Befehle seines königlichen Herrn gewärtig.

Dieser Zug, unserer Geschichte hat allerdings etwas Befremdliches. Saul erkennt in David den jugendlichen Saitenspieler nicht wieder, der einst mit den feierlichen Tönen seiner Harfe den bösen Geist von ihm bannte, und den er darum lieb gewonnen und sogar in die Zahl seiner Edelknaben und Waffenträger aufgenommen hatte. Viele Ausleger haben sich durch diesen jedenfalls auffallenden Umstand dazu verleiten lassen, unser Textkapitel nur als einen geschichtlichen Nachtrag Zu dem Inhalte des unmittelbar vorhergehenden anzusehen, und den Kampf mit dem Philister in die Zeit vor dem ersten Erscheinen Davids am königlichen Hofe zu verlegen. Aber dies Verfahren trägt unverkennbar den Stempel der Willkühr an sich. Wie aber erklären wir uns das Räthsel der Unbekanntschaft des Königes mit David? Zuvörderst hatte Saul zur Hebung des Glanzes seines Thrones sich bereits nicht allein mit einer stehenden Leibwache von Tausend und einem Chor von Spielleuten, sondern auch, wie schon bemerkt worden, mit einer Schaar von Edelknaben und jungen Waffenträgern umgeben, und diese sämmtlich nach Namen und Herkunft zu kennen und im Gedächtniß zu bewahren, war ihm zumal unter den unablässigen Stürmen, die seine Regierung bezeichneten, auf seiner Herrscherhöhe nicht zuzumuthen. Zudem hatte sich David ja auch wieder, wie es scheint, für eine längere Zeit durch seine Rückkehr zu der väterlichen Heerde aus den Augen Sauls verloren gehabt, und dem Könige waren aus dem trostlosen Zustande, in welchem er sich während der früheren Anwesenheit des Hirtenknaben befunden hatte, wohl nur noch einige dämmernde Erinnerungen, aber kein klares Bild mehr zurückgeblieben. Endlich könnte es auch sein, daß Saul sich nur der Herkunft und des Geburtsorts des Knaben nicht mehr zu erinnern gewußt habe, da er an Abner nur die Frage richtet, wessen Sohn der Jüngling sei. Wir sehn also, daß man an der Lösung der vorliegenden Schwierigkeit keineswegs zu verzweifeln braucht. Daß übrigens David selbst mit seiner Antwort über die Frage des Königs nicht hinausging, gebot ihm die Ehrfurcht, die er der Majestät seines höchsten Gebieters zu schulden glaubte.

So sah sich denn Israel mit einem neuen großartigen Zeugniß begnadigt, daß der Gott seiner Väter wohl noch mit ihm sei, und daß der Glaube an die Verheißungen dieses Gottes, wo er nur im Geleite der Einfalt gehe und fest zuzugreifen wisse, Alles vermöge. David singt im dritten unserer Psalmen: „Du Herr bist der Schild für mich, und bist es, der mich zu Ehren setzet und mein Haupt aufrichtet; ich fürchte mich nicht vor vielen Hunderttausenden, die sich wider mich legen!“ - Im achtzehnten: „Du kannst mich rüsten, o Herr, mit Stärke zum Streit; mit dir kann ich Kriegsvolk zerschmeißen und mit meinem Gott über die Mauern springen;“ - im sechzigsten: „Mit Gott wollen wir Thaten thun, er wird unsre Feinde untertreten;“ - im achtundsechzigsten: „Wir haben einen Gott, der da hilft und den Herrn Herrn, der vom Tode errettet!“ - Wer vernimmt in diesen Jubellauten nicht die Stimme des Besiegers Goliaths? Diese Glaubensakkorde seiner Harfe, wie sind sie dazu angethan, auch heute noch die Geister des Kleinmuths und des Verzagens zu bannen! Erfahre ein jeglicher dies, der es bedarf, ja lerne er, was ein David noch nicht vermochte, mit dem Apostel triumphiren: „Ich vermag Alles durch den, der mich mächtig macht, Christus!“

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