Krummacher, Friedrich Wilhelm - XXVI. Der Aufruhr.

Krummacher, Friedrich Wilhelm - XXVI. Der Aufruhr.

Die heilige Geschichte entrollt uns neben zahlreichen Beispielen wahrer und durchhaltender Gottseligkeit als hebende Folie für den Gnadenrathschluß Gottes auch ein düsteres Sündengemälde. Unter den heiligen zehn Geboten ist nicht eins, das wir in ihr nicht irgendwo gröber oder subtiler übertreten sehen. Was aber in dem engen Rahmen des einzelnen Volkes, der Juden, uns begegnet, ist nur ein Ausschnitt aus dem Sittengemälde der ganzen Menschheit. Die Weltgeschichte, von einer ununterbrochen fortlaufenden Kette von Sünden durchzogen, ist die furchtbare „Handschrift“, die „wider uns zeugt“. Allerdings ist sie insofern das „Weltgericht“, als sie die Welt als eine im Argen liegende kennzeichnet und verdammt. Der Fortbestand der Welt müßte uns an dem Dasein einer heiligen und gerechten Weltregierung irre machen, wüßten wir um den Gottmenschen nicht, der sich mit der Ehre seines Namens für die Entsündigung, Wiedergeburt und Erneuerung der Welt verbürgte. Christus wurde der Fels, an dem die Wogen einer die Erde bedrohenden neuen Sündfluth sich brachen; sein Kreuz die Wetterscheide, über der die Wolken, deren Blitze uns zerschmettern mußten, sich zertheilten. Freilich gewinnt es je zuweilen den Anschein, als sei ein Urtheil über die Menschheit, wie das eben ausgesprochene, ein zu hartes, ja ein ungerechtes. Sieht unser Geschlecht mitunter doch einem Vulkane gleich, der, weil er lange verstummend an sich hielt, ja, mit Blumenschmuck sich umkleidete, den Anblick eines freundlichen und wirthlichen Hügels darbeut. Ehe man sich's aber versieht, bricht die tückische Gluth, die mittlerweile wie gefangen durch die Eingeweide des scheinbar friedlichen Berges sich wälzte, brausend und donnernd aus der Tiefe wieder hervor, um Alles um sich her mit Zerstörung und Schrecken zu erfüllen. Zu einem moralischen Vulkanausbruche, der nachmals viele seines Gleichen gehabt hat, kommen wir im Fortgang unsrer Betrachtungen heute, und werden bei dieser Gelegenheit zugleich das Sprichwort Salomo's (Cap. 17, 14) bewahrheitet sehen. „Wer Hader anfängt, ist gleich als der den Fluchen (nämlich der Sünde) den Damm wegreißt.“

2. Sam. 15, 10. „Absalon hatte Kundschafter ausgesandt in alle Stamme Israels, und sagen lassen: Wenn ihr den Schall der Posaunen hören werdet, so sprechet: Absalon ist König worden zu Hebron.“

Wir heben diese wenigen Worte aus dem weitern Verlauf der Geschichte hervor, weil sie den Ausgangspunkt aller der Schrecknisse bezeichnen, deren wir fortan Zeugen sein werden. Israels Lage, die hochverräterische Verschwörung und Davids Verhalten dieser gegenüber: das die drei Anhaltpunkte unsrer diesmaligen Erwägung.

1.

Dem ungetrübten Verhältnisse, in welchem David nach erlangter Gnade wieder zu seinem Gott und Herrn stand, entsprach dasjenige eines großen Theils des Volks zu ihm, dem Könige, einstweilen keinesweges mehr. Der beklagenswerthe Sündenfall, durch den David sich nach dem Buchstaben des Gesetzes des Todes schuldig machte, hatte, wie wir wissen, seinem Ansehen einen nicht geringen Stoß gegeben. In den Augen Vieler seiner Unterthanen blieb er der dem Gerichte Gottes und der Menschen verfallene Ehebrecher und Mörder. Seine frommen Erlasse, seine gottesdienstlichen Veranstaltungen, ja vielleicht selbst seine Psalmen hatten für den Augenblick ihr Ansehn und ihre Heiligkeit eingebüßt. Zur rechten Würdigung der Reue des Gefallenen und seiner Beugung vor dem Allmächtigen war nicht Jeder geschickt. Das offene Schuldbekenntniß, das er vor sich hertrug, reizte die Gottentfremdeten eher zu Spott und Hohn, als daß es ihre gesunkene Ehrfurcht vor ihm wieder zu heben vermochte. Er erschien ihnen als ein Schwächling; denn die blinde Welt weiß ja nichts von dem Muthe, der der wahren Demuth zu Grunde liegt und ihr zur Seite geht, und vollends nichts von der Größe eines Mannes, der aus dem Tiegel eines aufrichtigen und gründlichen Selbstgerichts vor Gott mit der Krone der göttlichen Gnadenversiegelung geschmückt wieder hervorging. Ihrem Dafürhalten nach ist ein Makel, wie er dem David anhaftete, nur mit dem Blute des Bescholtenen wieder zu sühnen. Von einer andern Abwaschung und Reinigung, zumal von derjenigen mit dem Blute des Lammes Gottes und vermittelst der Feuertaufe des Heiligen Geistes, hat sie keinen Begriff, wie denn überhaupt das Heiligthum der Gemeinschaft mit Gott ihr ein tiefversiegeltes Geheimniß ist.

Das schonungsvolle Verhalten, welches der König den entarteten Kindern seines Hauses gegenüber bewies, war ebenfalls nicht dazu angethan, die Achtung des Volkes vor ihm zu stärken. Man meinte, er habe seine Tochter Thamar ohne Barmherzigkeit ertränken, und seinen Erstgeborenen, den Amnon, gleichfalls aus seinem Volke ausrotten müssen. Und wie verhielt sich David gegen den Brudermörder Absalon? Allerdings entflammte ihn die Kunde von dessen Blutthat zu einem heftigen und heiligen Zorne. Auch ließ er den Verbrecher, der zu Thalmai, dem Könige zu Gesur, seinem Großvater von mütterlicher Seite, geflohen war, eine Zeitlang verfolgen. Nach Verlauf von dreien Jahren aber, während deren er ihn erfolglos in seinem Verstecke hatte aufsuchen lassen, söhnte er sich unter Joabs Vermittlung wieder mit ihm aus. „David“, meldet die Geschichte, „ließ ab wider Absalon auszuziehn; denn er hatte sich getröstet über Amnon, daß er todt war.“ Joab, dem daran gelegen war, durch die Begnadigung und Wiederannahme Absalons, des Rächers seiner gemißhandelten Schwester, sich selbst vor der Bestrafung seines eignen Meuchelmordes zu schützen, und für den Fall, daß Absalon einmal den Thron besteigen würde, sich seine Stellung zu sichern, hatte die Sache folgendermaßen eingefädelt. Zu Thekoa, einer fünf Stunden von Jerusalem entfernt gelegenen Stadt, in deren Nachbarschaft einst der zum Propheten berufene Arnos seine Viehheerde weidete, kannte Joab ein kluges aller Ränke fähiges Weib, durch deren List er seine Absicht zu erreichen hoffte. Diese sollte in Trauerkleidern dein Könige nahen, und zu ihm sprechen: „Ich bin eine Wittwe, ein Weib, das Leid trägt; denn mein Mann ist gestorben. Und deine Magd hatte zwei Söhne, die zankten miteinander auf dem Felde, und da kein Richter zugegen war, der den Streit schlichtete, schlug der Eine den Andern, und tödtete ihn. Und siehe, nun erhebt sich (zur Blutrache gewaffnet,) die ganze Verwandtschaft wider mich, deine Magd, und sagen: Gieb her den, der seinen Bruder erschlagen hat, daß wir ihn tödten für die Seele seines Bruders, den er erwürgte, und daß wir in ihm den Erben vertilgen! So wollen sie denn meinen Funken auslöschen, der noch übrig ist, daß meinem Manne kein Name und nichts übrig bleibe auf Erden.“ - So Joabs Rath; und das Weib that, wie er sie angewiesen. Sie kam zum Könige, fiel mit dem Rufe: ,^Hilf mir, o König,„ auf ihr Antlitz, und richtete an ihn die Worte, die ihr Joab in den Mund gelegt. Und als sie wahrzunehmen glaubte, daß sie des Königes Herz getroffen und gerührt habe, ja, da sie sogar seine gnädige Zusage vernahm: „So wahr der Herr lebt, es soll kein Haar von deines Sohnes Haupt auf die Erde fallen,“ spielte sie mit Geschick ihre Rolle weiter, und suchte das in dem Könige wach gerufene Mitleid mit Takt und Gewandtheit dessen eigenem Sohne, dem Absalon, zuzuwenden. Sie deutete dem König leise an, wie er sich an Gott und Gottes Volk versündigen würde, falls er sein Vaterherz so weit verleugnen wollte, daß er sein verstoßenes Kind nicht aus der Verbannung zurückriefe. So unbarmherzig, sagte sie, indem sie leise auf Davids eigne Erfahrung hinüberdeutete, handle Gott der Herr mit seinen gefallenen Kindern nicht. Schmeichelnd fügte sie hinzu: „Deine Magd gedachte, des Königes, meines Herrn, Wort soll mir ein Trost sein; denn mein Herr, der König, ist wie der Engel Gottes, daß er Gutes und Böses hören kann. Darum wird der Herr dein Gott auch mit dir sein.“ David witterte ans den Worten des Weibes die fremde Einflüsterung bald heraus, und entgegnete: „Ist nicht die Hand Joabs mit dir in diesem Allem?“ Das Weib erwiederte mit feiner, ja höfischer Wendung: „Mein Herr ist weise wie die Weisheit des Engels Gottes, so daß er Alles auf Erden merkt,“ und bekannte dann offen, daß an der Einkleidung ihres unterthänigen Bittgesuchs allerdings der Rath seines Feldhauptmanns seinen Antheil habe. David aber, gefangen in der dem Weibe bereits für ihren Sohn gegebenen Entscheidung, glaubte nun auch ihrer ebenso inständigen als ehrfurchtsvoll bescheidenen Bitte für Absalon die Gewährung nicht vorenthalten zu dürfen. Er ließ den Joab zu sich fordern und sprach zu ihm: „Siehe, ich habe Solches gethan,“ (d. i. dieser Bittstellerin Schirm und Schutz für ihren Sohn verheißen;) „so gehe nun hin, und bringe auch den Knaben Absalon zurück!“ Da fiel Joab auf sein Antlitz zur Erde, dankte dem Könige und sprach: „Heute merkt dein Knecht, daß ich Gnade gefunden habe vor deinen Augen, mein Herr König, indem der König thut, was sein Knecht sagt.“ So war denn der fein geschmiedete Plan gelungen, freilich auf Kosten der Gerechtigkeit, mit der wenigstens die Begnadigung, die David dem Absalon angedeihen ließ, nicht im Einklange stand. David unterschied nicht mit gehöriger Schärfe zwischen den beiden seinem Urtheil unterbreiteten Fällen. Absalons Brudermord mußte als ein nicht in der Hitze des Streits, sondern mit allem Vorbedacht begangener nach dem Gesetze Gottes mit dem Blute des Mörders gesühnt werden, während dem Sohne der Wittwe vor seinen Bluträchern mindestens noch die Freistätten offen standen. Doch kam bei dem Handel des ersteren das Vaterherz mit der Pflicht des Richters in starken Widerstreit, was dem Könige bei seinem allerdings übereilten Urteilsspruche zu einiger Entschuldigung gereichen konnte. Bei einem großen Theil des Volkes jedoch hatte das Verfahren Davids auf Entschuldigung nicht zu rechnen. Vielmehr erfuhr dasselbe hier eine um so strengere Beurtheilung, je weniger man fähig war, die tieferen, in dem niederbeugenden Bewußtsein der eigenen Verschuldung des königlichen Richters ruhenden Beweggründe zu würdigen. Man erblickte in Davids Entscheidung nur ein neues Zeichen seiner Schwäche und väterlichen Parteilichkeit, und bei aller Gunst, deren sich Absalon wenigstens Seitens einer gewissen Schicht des Volkes erfreute, trug die Begnadigung desselben doch nur dazu bei, die Bande der Ehrfurcht vor dem Regimente Davids noch mehr zu lockern. So fand denn ein kühner und entschlossener Empörer für seine Umsturzpläne den Boden in Israel schon bereitet, und ein solcher ließ auch nicht lange auf sich warten.

2.

Nach dreijähriger Verbannung kehrte Absalon im Geleite Joabs aus Gesur nach Jerusalem zurück; doch weigerte sich der König, sein Angesicht zu sehen. Damit dem Rechte doch einigermaßen Genugthuung geschehe, blieb dem Brudermörder zu seiner Demüthigung zwei Jahre lang der Zutritt zur Hofburg untersagt, was aber nur dazu diente, das Herz des Verstoßenen gegen den eigenen Vater noch gründlicher zu verbittern. Zuletzt gelang es dem Joab, eine allerdings nur einseitige Versöhnung herbeizuführen. David gestattete dem scheinbar bußfertig vor ihm niederfallenden Sohne wieder den Zutritt, verzieh ihm aufrichtig, und besiegelte den erneuerten Bund sogar mit einem Kusse. Er küßte aber damit den Groll aus dem Herzen des Sohnes nicht weg. Absalons Herz blieb gegen den Vater verstellt und vergällt, und sann auf Rache.

Absalon war ein schöner Mann, ja galt für den schönsten in Israel. Die Anschauung aber, daß in einem schönen Leibe nothwendig auch eine schöne Seele leben müsse, wurde an ihm zur Lüge. Seiner körperlichen Vorzüge war vor Allen auch er selber sich bewußt. Sonderlich scheint er auf den sorgfältig gepflegten Schmuck seines ungewöhnlich starken und üppigen Haupthaars Werth gelegt zu haben. Mit seiner Eitelkeit verpaarte sich ein glühender Ehrgeiz, und schon lange schmeichelte er sich mit der Hoffnung der einstigen Thronfolge in Israel. Daß er jedoch dazu im Wege friedlicher väterlicher Vererbung gelangen werde, mußte er nach Allem, was vorgefallen war, ernstlich bezweifeln. So blieb ihm nur übrig, sich andere Bahnen zu dem glänzenden Ziele zu brechen, das ihm vor Augen schwebte; und was Wunder, daß er dazu grade jetzt bei den mancherlei Trübungen, die das Verhältniß des Volkes zu seinem königlichen Vater erlitten hatte, den günstigen Moment gekommen glaubte.

Ihm, der schon durch sein einnehmendes Aeußere die Menge bezauberte, konnte es nicht schwer werden, wenigstens bei einem Theil des Volks, dem leichtfertigeren und gottvergessneren, einen Anhang zu gewinnen. Er maßte sich schon ein fürstliches Ansehn an, indem er sich nicht allein mit Rossen edler Rasse und prunkenden Wagen, sondern auch mit einer Schaar von fünfzig Trabanten umgab. Zu den Leuten aber, auf deren Fauste er seine Hoffnungen bauen mußte, ließ er sich auf's huldreichste herab, indem er sich ihnen in Allem, selbst in ihrer vermeintlichen religiösen Aufklärung und ihrer Geringschätzung der überlieferten Ordnungen und Sitten gleichstellte, und ihnen für den Fall, daß einst auf ihn die väterliche Krone sich vererben werde, ein goldenes Zeitalter in Aussicht stellte. Wenn Leute, die beim Könige Gehör suchten, nach Jerusalem kamen, war er es, der oft schon am frühsten Morgen draußen vor den Thoren sie empfing, und sich auf's freundlichste nach ihrer Heimath und ihrem Anliegen erkundigte. Wurde ihm dann erwiedert: „Dein Knecht ist aus der Stämme Israels einem, und dies und jenes ist der Handel, der ihn herführt,“ so antwortete er mit erheucheltem Mitleid und Bedauern: „Siehe, du hast eine gerechte Sache; aber es wird dir schwer werden, daß du Zutritt zum Throne findest; und wer wird es sein, der dich daselbst vertrete? O, daß man mich zum Richter im Lande setzen wollte, und dann Jedermann, der eine Sache hat, zu mir käme, auf daß ich ihm zu Recht verhülfe!“ Geschah es nun, daß ein so huldreich und tröstlich Angesprochener Miene machte, von Dank und Rührung überwältigt vor ihm nieder zu fallen, um ihm königliche Ehre zu erweisen, so sing er ihn in seine Arme auf, lehnte bescheiden die Huldigung ab, und küßte den Mann, wer er auch sein mochte. Was Wunder, daß er durch solche Kunstgriffe nicht Wenigen in Israel das Herz stahl. Ist es doch bis zu dieser Stunde noch der beliebte Weg derer, die irgendwie Absalonsgelüste hegen, der großen Masse zu schmeicheln, und sie durch Luftspiegelungen und Phantasiegebilde einer goldenen Zukunft zu berücken.

Als Absalon nun im vierten Jahre nach seiner Wiederaussöhnung mit dem Vater sich eines hinreichenden Parteigängeranhangs versichert halten zu dürfen glaubte, erschien er eines Tages vor dem Könige mit der Bitte, er möge ihm gestatten, nach Hebron, seiner Geburtsstadt, und dem Orte, der durch die Gräber der Patriarchen geweiht war, zu reisen, um dort ein dem Herrn dargebrachtes Gelübde auszurichten. „Da ich zu Gesur wohnte,“ sprach er, „gelobte dein Knecht: Wenn mich der Herr wieder gen Jerusalem bringt, so will ich ihm einen Gottesdienst thun.“ Arglos ertheilte der König dem Heuchler die erbetene Erlaubniß, und entließ ihn wohlmeinend mit dem Segenswunsche: „Gehe hin in Frieden!“ Und Absalon machte sich auf, nachdem er heimlich in alle Stämme Israels zur Erforschung der Volksstimmung Kundschafter ausgesendet, und denen, die seinem Plane sich geneigt zeigen würden, hatte sagen lassen: „Wenn Ihr den Schall der Posaunen hören werdet, so sprechet: Absalon ist König geworden zu Hebron.“ Aus Jerusalem folgten ihm zweihundert Männer, jedoch ohne noch zu wissen, was im Werke sei. Sie erfuhren dies erst in Hebron. Unter den in den hochverrätherischen Anschlag des Königssohnes Eingeweihten war auch, und zwar als einer der Vornehmsten, Ahitophel aus der Stadt Gilo, der Bathseba Großvater und Davids Rath, ein wegen seiner Einsicht und Klugheit im ganzen Volk berühmter Mann, den aber schon lange heimlich nach einer Gelegenheit gelüstet hatte, die gekränkte Ehre seiner Familie an dem Könige zu rächen. Ahitophel genoß seines hervorragenden Verstandes wegen ein solches Ansehen bei dem Volke, daß sein Wort fast einem Gottesurtheil gleich geachtet wurde, und nicht wenig trug er dazu bei, den Aufruhrsbrand noch weiter anzufachen und zu nähren. Die Geschichte meldet: „Der Bund ward stark, und das Volk lief zu und mehrte sich mit Absalon.“ Was bei jeder Empörung, das geschah auch hier: allein die Rädelsführer wußten, worauf es abgesehen war, während die große Menge, die nichts zu verlieren, sondern nur zu gewinnen hatte, fast blindlings in den Wirbel mit hineingerissen wurde. Dem Aufruhr förderlich war theils die Langeweile, welche die Leute empfanden, nachdem die schönen Tage glänzender Triumphe und reicher Beuten vorüber waren, theils die Verstimmung über den Druck der Steuerauflagen, über manche Freiheitsbeschränkungen und andere Beschwerungen, durch welche ein geordnetes monarchisches Staatswesen nothwendig bedingt ist. Jedenfalls eröffnet uns das Meutererunternehmen einen überaus betrübenden Blick in den Zustand, in den nach kurzem religiösem Aufschwung ein nicht unbedeutender Theil des auserwählten Volks zurückgefallen war. Fast vergessen war es bei diesen Leuten, daß David ihr König „von Gottes Gnaden“ sei. Nicht minder vergessen die reiche Fülle unvergleichlicher Segnungen, mit denen der Herr sie durch ihn überschüttet hatte. Ueberhaupt schien man das so unzweideutige Gebot gänzlich aus den Augen verloren zu haben, das mit dem Gehorsam gegen Vater und Mutter zugleich denjenigen gegen die göttlich verordnete Obrigkeit einschärft. Ihre Auflehnung gegen David begriff eine gleiche gegen Jehova selbst in sich. Und daß sie sich durch den Vorgang und Aufruf des entarteten Königssohnes zu ihrer Schilderhebung ermuthigen ließen, statt sich dadurch zu einem nur noch um so tiefern Abscheu gegen das hochverrätherische Unternehmen entflammen zu lassen, konnte die Fluchwürdigkeit ihres Verbrechens nur noch um ein Bedeutendes erhöhen.

3.

Bald genug erfuhr der König, was im Anzuge sei, und wie er in Absalon nur eine Schlange an seinem Busen genährt habe. Die Nachricht von dem, was vorgehe, wollte ihn zu Boden schmettern, und um so mehr, da er in diesem Unglück eine neue von dem Allmächtigen ihm zugemessene Strafe erkennen mußte. Aus diesem Grunde war die vorwiegende Stimmung, in welche die Schreckenskunde ihn versetzte, nicht sowohl Zorn und Rachegefühl, als vielmehr Beugung und Zerknirschung. Da er hörte, „das Herz Jedermanns in Israel folge Absalon nach,“ und die Aufruhrswogen wälzten sich bereits seiner Hauptstadt und Residenz Jerusalem zu, fand er es gerathen, letztere zu räumen, zumal da er Grund zu der Befürchtung zu haben glaubte, daß dieselbe durch verkappte Mitverschworene in ihrer Mitte den Rebellen in die Hände gespielt werden würde, und überdies hoffte, durch seinen Abzug eine Sichtung des Volks herbeiführen, und die treu Gebliebenen um sich sammeln zu können. „Laßt uns fliehen,“ sprach er zu seinen Freunden, „denn hier wird kein Entrinnen sein vor Absalon. Machen wir uns unverzüglich auf, daß man uns nicht übereile, ein Unglück auf uns treibe und die Stadt mit der Schärfe des Schwertes schlage.“ Die Männer sind ihrem königlichen Herrn zu Befehl, und erwiedern wie mit einem Munde: „Was mein Herr und König erwählt, das geschehe! Siehe, hier sind deine Knechte!“ Und nun bietet sich uns ein herzbrechendes Schauspiel dar. Unter Zurücklassung seiner „Weiber,“ die wir von seinen Gattinnen wohl unterscheiden und mehr als zu seinem Hofstaat gehörige Palastfrauen anzusehen haben, zieht der König mit seinem ganzen Hause im Geleite seiner Feldhauptleute und seiner Leibwache, der „Crethi und Plethi,“ und zwar zu Fuß von dannen. Ein Philister, der zur Erkenntniß des wahren Gottes gelangt, und eben erst aus Gath in Jerusalem eingetroffen war, - Ithai war sein Name, - schloss sich mit 600 Reisigen ihm an. Wähnend, es befinde sich dieser Mann in einem Irrthum, lehnte David anfangs seine Begleitung ab, indem er zu ihm sprach: „Wie, du gehest mit uns? Ich bin wohl der König nicht, dem du dich verdungen hast; es wird ein anderer sein.“ Den Absalon meinte er, ohne ihn zu nennen. „Kehre nur wieder um,“ fuhr David fort, „und deinen Brüdern widerfahre mit dir Barmherzigkeit und Treue!“ Ithai aber erwiederte, den abtrünnigen Söhnen Israels zu tiefster Beschämung: „So wahr der Herr lebt, und so wahr mein Herr, der König, lebt: an welchem Ort der Herr mein König sein wird, es gerathe zum Tode oder zum Leben, da wird dein Knecht auch sein.“ Gerührt durch diesen Edelmuth entgegnet David: „So komme denn, und gehe mit!“ Diese überraschende Begegnung unmittelbar vor den Thoren der eben verlassenen Stadt erschien dem königlichen Flüchtling fast einem freundlichen Gruße seines Gottes gleich, und träufelte den ersten lindernden Balsamtropfen in die Schmerzenswunden seines tief zerrissenen Herzens.

So wandelt er denn nun hin, er, einstmals Israels Stolz und der Schrecken aller umwohnenden Völker, jetzt ein armer Exulant, wohin er kommt von Vielen mit lautem Weinen begrüßt und von Manchen im Volke auch mit der Bitte bestürmt: „Laß uns mit dir ziehen, daß wir für dich oder mit dir sterben!“ Auf diesem seinem Leidensgange erst recht ein Vorbild des großen Zukünftigen, der ihm verheißen war, überschreitet er weinend und verhüllten Hauptes den Bach Kidron, um dann über den Gipfel des Oelbergs seinen Weg weiter der Wüste entgegen fortzusetzen. Nachdem er so, in sich versunken, eine Strecke weit fortgeschritten, lüftet er die Decke seines Angesichts und schlägt die thränenfeuchten Augen auf. Da gewahrt er zu seiner Ueberraschung in dem Zuge auch die beiden Hohenpriester Zadok und Abjathar, und hinter ihnen Leviten, die ihm die Bundeslade nachtragen. Aber des Geleits dieses Heiligthums sich nicht würdig achtend gebeut er den Trägern: „Bringt sie in die Stadt zurück. Werde ich Gnade finden vor dem Herrn, so wird er mich wieder umholen, und mich die Lade in seinem Hause sehen lassen. Spricht er aber zu mir: “„Ich habe nicht Lust zu dir,““ - siehe - so bin ich hier. Er mache es mit mir wie es ihm wohl gefällt!„ Diese allem eigenen Willen entsagende Hingebung, in der sich eine Buße und Beugung des Königes vor dem Herrn kund gibt, wie sie gründlicher und aufrichtiger nicht sein könnte, erregt unsere ganze Bewunderung. David ist von Herzen bereit, allen Folgen seiner Sünde, und wären sie die vernichtendsten, sich zu unterwerfen, wofern nur Gott ihm seine Huld und Gnade nicht entziehen werde. Assaphs Worte: „Wenn ich nur dich habe, frage ich nichts nach Himmel und nach Erde,“ waren ganz aus Davids Herzen geredet. Indeß vergaß er auch nicht, daß er König, und als solcher schuldig sei, das Unheil, das er über sich persönlich mit Resignation ergehen zu lassen bereit war, nach Kräften von seinem Volk und seinem Reiche abzuwenden. Darum ertheilte er den mit der Bundeslade nach Jerusalem zurückgewiesenen Priestern den Auftrag, den Stand der Dinge daselbst sorgfältig zu erforschen, und ihn durch zuverlässige und verschwiegene Boten davon in Kenntniß setzen zu lassen. Ein Gleiches trug er seinem betagten und weltklugen Freunde, dem Arachiter Husai, auf, der ihm auf der Höhe des Berges an der Stelle, wo man, das Angesicht dem Tempel und dessen Allerheiligstem zugewendet, häufig zu beten pflegte, mit allen Abzeichen tiefster Trauer in zerrissenem Gewande und das Haupt mit Erde bestreut entgegentrat, und ihn um die Erlaubniß bat, sein Schicksal mit ihm theilen zu dürfen. David jedoch stellte ihm vor, wie er, Husai, seines hohen Alters wegen ihnen nur beschwerlich werden, dagegen ihm weit ersprießlichere Dienste leisten würde, wenn auch er nach Jerusalem zurückkehren, das Vertrauen Absalons zu gewinnen suchen, und zugleich sich bemühen wollte, in die Pläne Ahitophels, von dessen Abfall David nicht ohne Bestürzung Kunde erhalten, und wider den er mit dem Seufzer: „Herr, mache den Rathschlag Ahitophels zur Narrheit!“ den Arm des Allmächtigen herausgefordert hatte, einzudringen und dieselben wo möglich zu vereiteln. Was Husai den Verschworenen ablauschen werde, solle er nur den beiden Hohenpriestern anvertrauen, die es durch ihre Söhne Ahimaaz und Jonathan ihm, dem Könige, übermitteln würden. Und der Alte unterzog sich dem Rathe seines königlichen Freundes, und kehrte nach Jerusalem, das bereits von Absalon und dessen Spießgesellen in Besitz genommen war, zurück.

Als hierauf der König mit dem Zuge seiner Getreuen, welcher übrigens, da die Mehrsten in demselben gleichfalls gesenkten Hauptes und schweigend einhergingen, einem Leichengefolge ähnlicher sah, als- einem Schutzgeleite, eine Strecke weiter fortgeschritten war, sah er den Ziba, den Diener Mephiboseths, dem er, wie uns bekannt, die hinterlassenen Erbgüter Sauls zur Verwaltung für dessen Hinterbliebene übergeben hatte, auf sich zukommen, und einige gesattelte und mit Brod, Rosinen, Feigen und Wein beladene Esel vor sich hertreiben. „Ziba,“ redete der König ihn an, „was und wohin willst du mit dieser deiner Ladung?“ Ziba antwortete: „Die Esel sind für das Gesinde des Königs bestimmt, daß sie darauf reiten; die Brode und Feigen aber, wie auch der Wein, für die Knechte, daß sie sich damit erquicken, wenn sie müde geworden in der Wüste.“ Wieder eine wohlthuende Ueberraschung für den König; wäre ihm nur die Freude nicht gar bald wieder durch eine niederschlagende Eröffnung vergällt worden. Auf die an Ziba gerichtete Frage, wo Mephiboseth, der Sohn seines, des Ziba, Herrn, des Jonathan, sich befinde, erhält er die betrübende Antwort: „Er blieb zu Jerusalem; denn er sprach: Heute wird mir der Herr das Haus Israels, das Reich meines Vaters, wiedergeben!“ Also auch Mephiboseth irregeleitet und treulos! Mit tiefer Entrüstung, aber nicht ohne Uebereilung, spricht der König: „Ziba, hinfort sei Alles dein, was Mephiboseth hat,“ und Ziba neigte sich mit erheuchelter Rührung zur Erde und sprach: „Ich bete an; laß mich Gnade finden vor dir, mein Herr König!“ Er sah den Zweck seiner nichtswürdigen Verleumdung erreicht; denn in der That war seine Mittheilung nichts Anderes, als eine solche. Wohl mag auch Mephiboseth in der Aufruhrsbrandung, die ihn umtoste, einen Augenblick gewankt, und dem Gedanken bei sich Raum gegeben haben, es könne die gewaltsam unterdrückte Partei, die insgeheim immer noch dem Hause Sauls und dessen Regierung anhing, und letztere zurückwünschte, die Oberhand gewinnen. Aber förmlich zur Fahne der Verschworenen überzutreten, war ihm nicht eingefallen, und so blieb auch dem David später eine bittere Reue über sein allzu schnelles Strafurtheil nicht erspart. Wohl konnten die zahlreichen schmerzlichen Erfahrungen, die er an Freunden machen mußte, für deren Treue er sein Leben zum Pfande hätte setzen mögen, seinem Argwohn zu einiger Entschuldigung dienen. Doch blieb die Bewältigung und Zügelung seines leicht erregbaren und rasch aufbrausenden Temperamentes eine Aufgabe, deren Lösung ihm bis an das Ende seiner Tage viel zu schaffen machte.

Als wäre des Herzeleids, das dem Könige widerfahren, noch nicht genug gewesen, widerfuhr ihm bald darauf bei dem benjaminitischen Flecken Bahurim eine neue empfindliche Demütigung. Ein Mann vom Geschlechte Sauls, mit Namen Simei, trat aus dem genannten Orte hervor, und hub an, ihn, den er nunmehr von Gott wie von dem ganzen Volke verlassen glaubte, zu verfluchen, und ihn und seine Umgebung mit Steinen und Erdschollen zu bewerfen. „Heraus, heraus aus dem Lande, du Bluthund, du loser Mann!“ schrie der Tobende ihm nach. „Der Herr hat dir vergolten alles Blut des Hauses Saul, daß du an seiner Statt bist König geworden. Nun hat der Herr das Reich in die Hand deines Sohnes Absalon gegeben; und siehe du steckst nun im Unglück, denn du bist ein Bluthund!“ - Auch an diese wie mit vergifteten Stacheln sein Herz durchbohrende Kränkung mochte David gedenken, als er später den durch Einwirkung des Heiligen Geistes durchgehends zu einer messianischen Weissagung gestalteten Psalm, (den 22.) der gleichsam ein Programm der Kreuzigung Christi bildet, niederschrieb, u. u. A. in die Worte ausbrach: „Ich bin ein Wurm und kein Mensch, ein Spott der Leute und Verachtung des Volks.“ Da aber Simei also wider ihn tobte, griff Abisai, der Sohn der Zeruja, aufs äußerste empört, nach seines Schwertes Knauf, und sprach: „Sollte dieser todte Hund meinem Herrn, dem Könige, fluchen? Laß mich, daß ich hingehe, und dem Menschen den Kopf abreiße!“ Aber was erwiedert der König? Man höre! Hier ist er seines Muthes Herr, und darum „mehr, denn Einer, der Städte erobert.“ „Ihr Kinder Zerujas,“ spricht er zu Abisai, und dessen Bruder Joab, der sich in gleicher Weise ausgelassen hatte, „was habe ich mit euch zu schaffen? Lasset ihn fluchen, denn der Herr hat's ihn geheißen: Fluche David! Wer mag drum zu ihm sagen: Warum thuest du also? Siehe, mein Sohn, der von meinem Leibe kommen ist, stehet mir nach dem Leben; warum nicht auch jetzt der Benjaminite? So lasset ihn, daß er fluche; denn der Herr hat's ihn geheißen!“ Diese Worte bedürfen keiner Erklärung. Sie sind der unmittelbare Ausdruck der tiefsten Demüthigung und Beugung vor Gott. Mußte er doch das Urtheil Simeis, der ihn einen „Bluthund“ und „losen Mann“ nannte, als ein nur allzu begründetes bejahen, und in demselben, weil dem Fluchenden der Mund ja nicht durch Gottes Hand geschlossen ward, nur einen Widerhall des Urtheils Jehova's, und eine neue von Oben her über ihn verhängte, wohlverdiente Züchtigung erkennen. Ohne Widerspruch und Murren nahm er dieselbe hin; doch ließ er dem entschiedenen „Halt,“ welches er den beiden aufbrausenden Rittern zu seiner Seite zuherrschte, zum Beweise, daß er trotz alles Unglücks mit seinem Glauben an Gottes Gnade doch noch keinesweges Schiffbruch gelitten habe, die Worte folgen: „Vielleicht wird der Herr mein Elend ansehen, und mir mit Güte vergelten sein (des Benjaminiters,) heutiges Fluchen.“ So fuhr denn Simei unbehindert, an einem Bergabhange neben dem Zuge herlaufend, mit seinen von Steinwürfen begleiteten Verwünschungen fort, und setzte die Geduld der allezeit schlagfertigen Feldhauptleute auf eine nicht geringe Probe, bis der König mit seinem ganzen Gefolge in den Flecken Bahurim, der in der Mehrzahl seiner Bewohner die Treue gegen ihn nicht verleugnet hatte, einlenkte, um sich daselbst erschöpft wie er war von dem langen und bitteren Schmerzensgange, mit den Freunden einige Ruhe und Erquickung zu gönnen. Nachdem dies geschehen, bewegte der Zug sich weiter, der Wüste Juda zu.

In Jerusalem hielten die Rebellen mittlerweile Kriegsrath, und überlegten, wie sie dem flüchtigen Könige und seinem Anhang am sichersten den Weg verlegen könnten. Husai hatte sich wirklich in die Kreise der Hochverräther einzuschleichen gewußt, und unter dem Schein eines seiner Parteigänger dem Absalon mit dem Huldigungsrufe sich genähert: „Es lebe der König!“ Als aber Absalon die Doppelfrage an ihn richtete, ob das die Treue sei, die er seinem Freunde David geschworen, und warum er sich dem Zuge desselben nicht angeschlossen habe, hatte er die zweideutige Antwort ertheilt: „Welchen der Herr, und dieses Volk, und alle Mannschaft in Israel erwählet haben, deß will ich sein und bei ihm bleiben. Wem sollte ich dienen? Sollte ich nicht vor des Königes Sohne dienen? Wie ich vor deinem Vater gedient habe, so will ich auch vor dir sein.“ In der That hatte Absalon sich täuschen lassen, und diese auf Schrauben gestellten Worte Husais dahin verstanden, daß auch Husai von David ab- und der Aufruhrsfahne zugefallen fei. Fortan glaubte der Rebell kein Geheimniß mehr vor ihm haben zu dürfen. So wurde Husai auch in den schändlichen Plan eingeweiht, welchen Ahitophel dem Absalon dahin ertheilt hatte, daß er sich der zurückgelassenen Weiber Davids bemächtigen, dieselben sich zueignen, und dadurch in den Augen des Volks die Brücke zu jeder möglichen Versöhnung mit dem königlichen Vater hinter sich abbrechen, und sich thatsächlich zugleich als den Erben der väterlichen Krone und Herrschaft kennzeichnen solle. Der Verabredung gemäß wurde dieses Alles nun auch durch Husais Vermittelung auf sicheren Wegen dem David hinterbracht. Absalon befolgte den nichtswürdigen Rath Ahitophels pünktlich, und hoffte dadurch seinen Anhang nur noch kühner und entschiedener zu machen. Die Geschichte meldet: „Zu der Zeit, wenn Ahitophel einen Rath gab, so war es, als hätte man Gott in einer Sache um Rath gefragt. So hoch angesehen waren alle Rathschläge Ahitophels bei David und bei Absalon.“ Also auch bei David einst. Das war zu beklagen; denn Ahitophel war im innersten Kerne seines Wesens ein gottloser und durchtriebener Mann, der überall nur das Seine suchte. Er hatte sich aber in einen Schein der Frömmigkeit zu kleiden gewußt, durch den auch ein David in seiner Arglosigkeit sich hatte täuschen lassen. Im Kreise der Freunde Davids war Ahitophel der Judas Ischarioth. An wie manchen Fürstenhöfen aber ist man seit jener Zeit bis zu dieser Stunde in der Person irgend eines Begünstigten und reich Besternten dem Nachbilde Ahitophels begegnet!

Davids Stimmung in den Tagen seiner Flucht vor Absalon hat unter Anderen in dem 3. Psalme ihren Ausdruck gefunden. Allem Anscheine nach war es in der ersten Nacht nach seinem Wegzuge aus Jerusalem, daß sein Herz in diesem Liede sich ergoß. „O Herr,“ beginnt der Sänger, „wie sind meiner Feinde so viele! Wie Viele erheben sich wider mich! Viele sprechen von meiner Seele: Für ihn ist kein Heil mehr bei Gott,“ (und sind darüber aus, mich meines letzten und einigen Trostes zu berauben). „Aber“ - fährt er dann zu kindlicher Zuversicht sich wieder erhebend fort: „Du Herr, bist der Schild um mich; du meine Ehre, und der mein Haupt aufrichtet. Mit meiner Stimme rufe ich den Herrn an, so erhört er mich von seinem heiligen Berge,“ (dem Berge Zion, wo die Bundeslade stand, dieses Unterpfand, daß 'er, der Herr, unter seinem Volke wohnen wolle). „Ich lege mich nieder und schlafe ein; ich erwache, denn der Herr unterstützt mich.“ (Ein Abend- oder Nachtlied also ist der Psalm, aus dem Lager in der Wüste zu uns herübertönend.) „Ich fürchte mich nicht vor Myriaden Volks, die sich ringsum wider mich setzen.“ Hierauf folgt nun die von der ermuthigenden Erinnerung an früher erfahrene Hülfen getragene Bitte: „Auf Herr, und rette mich, mein Gott; denn du schlugst alle meine Feinde auf den Backen, und zerbrachest die Zähne der Bösen.“ Endlich schließt der Sänger mit dem Bekenntniß:, „Bei dem Herrn ist das Heil,“ und mit der Fürbitte für Israel, obgleich Israel in seiner Verblendung alle das Unheil auf ihn häufte: „Ueber dein Volk, o Herr, den Segen!“ - Ein herrlicher Triumph Davids dies über sich selbst, über seinen alten Menschen! - Der Herr wird ihn nicht verlassen noch versäumen! -

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