Krummacher, Friedrich Wilhelm - XXV. Des Unheils Anfang.

Krummacher, Friedrich Wilhelm - XXV. Des Unheils Anfang.

„Ich will um meinen heiligen Namen eifern.“ So der Herr Hesekiel 39, 25. Menschlich klingts, und ist doch Gottes in hohem Grade würdig, und geeignet, unsre Knie vor ihm in den Staub zu ziehen. Wohl könnte es dem Allgenugsamen gleichgültig sein, ob sein erhabener Name auf Erden geehrt, ob verlästert werde, ihm, dessen nach apostolischem Ausspruch „nicht von Menschenhänden gepflegt wird als der Jemandes bedürfte, da er allenthalben selbst Jedermann Leben und Odem gibt.“ Schlösse , er die Thüren und Fenster seiner heiligen Wohnung über der Erde, und ließe uns unbeachtet unsre Wege gehn, wer wollte darob mit ihm rechten, und behaupten, daß seiner Majestät dadurch Abbruch geschehe? Aber in wie viel hellerem Glanze umstrahlt seine Herrlichkeit uns da, wo er „eifernd“ um den Ruhm seines Namens, den Sterblichen, als ob ihm an deren Anerkennung etwas liegen könnte, das Zeugniß abzwingt: „Groß bist du, Herr, und dein Name ist groß, und du kannst es mit der That beweisen!“ Da vereinigt sich mit der Glorie, die ihm als dem unumschränkten Gebieter über Alles eigen, die größere seiner Liebe, vermöge deren es ihm Herzenssache ist, daß die Welt zu ihrem Heile huldigend ihm ihre Kniee beuge. Diese Liebe bethätigt sich nicht blos in seinen Wohlthaten und Segnungen, sondern auch in den mehrsten seiner Strafgerichte. In der erwähnten anbetungswürdigen Absicht werden wir ihn heute auch in seinem Verhalten gegen den königlichen Sünder „um seinen heiligen Namen eifern“ sehn.

2. Sam. 12, 14. Weil du die Feinde des Herrn durch diese Geschichte hast lästern gemacht, so wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben.

Dies die Worte, die der Prophet unmittelbar seiner Gnadenankündigung an David folgen ließ. Durch die Botschaft: „Dir ist vergeben“ ward die vorausgeschickte Drohung: „Ich will Unglück über dich erwecken aus deinem eignen Hause“ nicht aufgehoben. In hohem Grade hatte David die Feinde des Herrn lästern gemacht. Seine Gottesfurcht war es gewesen, die ihm einst den Weg zum Throne Israels bahnte. Er sollte die unter Saul so tief erschütterte Theokratie wieder aufrichten, und durch sein persönliches Vorbild der Gottvergessenheit steuern, die in Israel eingerissen war. Die Herbeiführung einer neuen Zeit unbedingter Unterthänigkeit unter die heiligen und unverbrüchlichen Satzungen Jehova's war der ihm zuertheilte Beruf; und nicht zu leugnen ist's, daß er bereits in erfreulichster Weise demselben zu entsprechen angefangen hatte. Und nun mit einem Male der so überaus beklagenswerthe Fall! Natürlich hieß es da in den Kreisen der Abtrünnigen und Spötter: „Das sind die Frommen, und dies die göttliche Leitung, Stärkung und Bewahrung, deren sie sich zu rühmen pflegen!“ Und mit welchem Hohne werden erst die Heiden umher das ganze Israelitenthum und dessen Gott überschüttet haben! So mußte denn, wenn ein Reich Gottes auf Erden fortbestehen sollte, der Allmächtige den Lästerern den Mund stopfen, und in einer durchschlagenden That als einen Gott sich verherrlichen, der nimmer schlafe noch schlummere, und vor dessen Augen die Sünde in jeglicher Gestalt, auch wenn .sie an seinen Lieblingen gefunden würde, immer Schuld und Sünde, und als solche verflucht und strafbar bleibe. Und es geschah so. Schon heute werden wir Gottes richterliche Ruthe sausen hören, und zuerst in der Hinwegraffung des königlichen Kindes, und dann in der Zulassung einer doppelten Unthat in Davids Hause. Aber machen wir uns darauf gefaßt, daß sie noch weiter wird geschwungen werden.

Dem Gesetz nach hatte David unwidersprechlich das Leben verwirkt. Wäre aber die verdiente Steinigung an ihm vollzogen worden, so würde in der That das Volk härter bestraft gewesen sein, als er selbst. Denn wer hätte ihn auf dem Thron ersetzen, wer verhüten sollen, daß das Land alsobald wieder zum Schauplatz wildester Partheikämpfe und erneuter Ueberfälle und Verheerungen Seitens der kaum gebändigten Nachbarvölker wurde? Das mit Gottes Hülfe erfolgreich begonnene Werk der staatlichen und kirchlichen Wiedergeburt Israels wäre nicht allein in's Stocken gerathen, sondern dicht vor dem Ziele in Trümmer zerfallen, und überdies dem Herrn die Gelegenheit benommen worden, das: „Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten“ viel leserlicher noch für alle Welt in Davids Leben hineinzuschreiben, als es durch dessen Wegnahme von der Erde geschehn konnte. Aus diesen Gründen schon erließ der Herr dem Könige die Todesstrafe, aber nur, um dieselbe in eine Reihe noch empfindlicherer Züchtigungen umzusetzen. Zuerst sah David sich an einer seiner verwundbarsten Seiten angefaßt. Sein Söhnlein, das Kind der Bathseba, wurde urplötzlich von einer tödtlichen Krankheit befallen. Für die Lästerer im Volke schon dies ein unzweideutiges Merkzeichen, daß der Allmächtige über seinen Geboten halte, und keine Uebertretung derselben ungerochen hingehn lasse. Wie aber verträgt sich's mit der Gerechtigkeit Gottes, daß das unschuldige Kind die Missethat des Vaters büßen muß? Allerdings legt sich diese Frage dem menschlichen Vorwitz nahe. Gott der Herr aber wird in dergleichen Fällen um die Verantwortung nicht verlegen sein. Dem Kindlein erwuchs daraus kein Nachtheil, daß es vorübergehend als ein Leuchter für das scheinende und brennende Licht des heiligen Richterernstes Gottes dienen mußte. Wohl schneidet's dem Vater und der Mutter tief in die Seele, ihre Kinder, und schon die unmündigen unter des Lebens Roth sich winden zu sehen. Sicher aber pflegt der Herr mit den leidenden Kleinen alsdann glimpflicher zu verfahren, als es jenen, auf deren Züchtigung das häusliche Kreuz vornehmlich abzielt, bedünken will. Und nimmt der Herr es zu sich, das kranke Kind, wer will es darum beklagen, daß auch von ihm gesagt werden dürfe: „Seine Seele gefiel Gott wohl; darum eilete er mit ihm aus diesem bösen Leben.“ Als David seinen Liebling bleich und stöhnend darniederliegen sah, was Wunder, daß da sein Herz vom tiefsten Schmerz ergriffen ward? Er hätte vielleicht seine stolze Hofburg mit einer armen Tagelöhnerhütte vertauschen mögen, hätte er dadurch das Leben des Knaben erkaufen können. Wohin aber nun mit seiner Noch? Das steht ihm nicht einen Augenblick in Frage. Der Zugang zu seinem Gott ist ihm ja wieder eröffnet. Er begibt sich in sein Betkämmerlein, und mag weder essen noch trinken. Er legt sein Angesicht in den Staub, und ringt die ganze Nacht hindurch mit dem Herrn um das Leben des geliebten Kindes. Aber kein „Amen“ begegnet seinem brünstigen Gebet. Er kann sich's nicht mehr verhehlen, daß er den Knaben werde opfern müssen, und ach! er weiß ja auch, warum. Unaussprechlich gebeugt und beschämt gesteht er sich die traurige Ursache dieser über ihn ergehenden Heimsuchung; aber ohne knechtisches Bangen und Zittern. Hat ja doch, nachdem ihm Vergebung geworden, die Strafe bei aller ihrer Bitterkeit ihren vernichtenden Stachel für ihn verloren. Die züchtigende Vaterhand des Allerhöchsten ist's ja jetzt, die ihn schlägt, und ob das Schmerzlichste ihm widerführe, an seinem Gotte wird er nicht mehr irre. Den Beamteten seines Hauses flößte jedoch der Gram und Kummer ihres Herrn ernste Sorge für dessen Gesundheit ein. Sie nahen ihm mit der Bitte, daß er doch einige Speise zu sich nehmen möge, damit ihm nicht selbst ein Leid geschehe. Aber erfolglos. So lange noch ein Odem in dem Kinde ist, kann er trotz der Eröffnung Nathans: „Dein Sohn wird des Todes sterben,“ nicht ablassen, den Herrn mit seinen Seufzern zu bestürmen. Der siebente Tag, - ob nach des Kindes Geburt oder nach dem Beginn seiner Krankheit, ist ungewiß, - bricht an. Plötzlich tritt eine feierliche Stille in der Hofburg ein. Leiseren Schrittes bewegen sich die Diener durch die Hallen. Ihre gesenkten Blicke verraten, was sich ereignet hat. Doch wissen sie sich noch kein Herz zu fassen, es dem Könige zu melden. „Sie gedachten bei sich,“ bemerkt die Geschichte: „Siehe, da das Kind noch lebte, redeten wir mit dem Könige und er gehorchte unsrer Stimme nicht: wie viel mehr wird er sich wehethun, so wir zu ihm sagen: das Kind ist todt.“ So dachten sie und schwiegen. Endlich begann der König zu ahnen, was dies stille, feierliche Wesen um ihn her zu bedeuten habe. „Ist der Knabe todt?“ fragt er. Ein wehmüthiges „Ja,“ und keine Silbe mehr war die Antwort. Was werden wir rinn erleben? In lauten Klagen, denken wir, werde der schwergeprüfte Vater sich ergießen, und wohl gar an der Kraft des Gebetes irre werden, am Glauben Schiffbruch leiden, und die Begründung seines Bewußtseins, daß Gott ihn wieder zu Gnaden angenommen habe, in Zweifel ziehn. Nur zu häufig begegnet uns ja unter ähnlichen Umständen selbst in den „Hütten der Gerechten“ solch kläglich Schauspiel. Im Hause Davids aber bietet sich uns ein anderes dar, das uns höchlich überrascht, und uns einen Spiegel vorhält, in dem ohne tiefe Beschämung hineinzuschauen auch uns, den Genossen des neuen Bundes, die wir berufen sind, auch unter dem schwersten Kreuze „des Evangeliums würdig zu wandeln,“ kaum gelingen wird. Nicht so bald nemlich hatte der König die Trauerkunde vernommen, als er vom Staube wieder aufstand, sein Angesicht wusch, das Haupt salbte, und, nachdem er, als ginge es zu einem Freudenfeste, Feierschmuck angelegt, der heiligen Hütte wieder zueilte, um daselbst den Rathschluß Gottes als einen in jeder Gestalt und unter allen Umständen heiligen und preiswürdigen anzubeten. Einen schöneren Gottesdienst, als diesen, sah das heilige Gezelt wohl lange nicht. Hier wurden dem Herrn die Opfer dargebracht, die allein ihm wohlgefallen. Was hier der König ihm zu Füßen legte, war die eigne Weisheit: „Deine Thorheit, Gott, ist weiser, als alle Menschen sind;“ die eigne Gerechtigkeit: „Wolltest du, o Herr, mir unnützem Knechte nach Verdienst vergelten, wie viel Schwereres, als du ihm zugemessen, würde ihn treffen müssen!“ den eignen Willen: „Nicht, was mir, sondern was dir gefällt, geschehe allewege;“ ja seinen Leib und sein Leben: „Erheischt es deines Namens Ehre, mein Gott, so schlage zu und schone nicht; nur daß Deine Gnade sich nicht von mir wende!“ - Ganz hingegeben an seinen Gott begehrt er das Eine nur, daß der Herr sich verherrliche und die Ehre seines Namens rette. Ihm für seine Person genügt's, daß er ihm die Missethat vergab. Dieses Bewußtsein ist, wie seine Krone, so die Rüstung, in der er sich nunmehr Allem gewachsen fühlte. In gehobener Stimmung kehrt er aus dem Heiligthume in die Hofburg zurück. Hier angelangt befiehlt er, daß man ihm Brod auftrage und beginnt zu essen. Seine Hofleute stehn erstaunt, und wagen's zu ihm zu sagen: „ Was ist das für ein Ding, das du thust? Da das Kind lebte, fastetest du und weintest; nun es aber gestorben ist, erhebst du dich und issest?“ Hört nun den König! Er spricht: „Um das Kind fastete ich und weinte, da es noch lebte; denn ich gedachte: wer weiß, ob mir der Herr gnädig sein wird, daß das Kind lebendig bleibe.“ Also nicht allein aus Vaterzärtlichkeit zu dem geliebten Knaben, sondern zugleich, ja vorzugsweise, aus Verlangen nach einem neuen göttlichen Gnadensiegel hatte er so brünstig um die Erhaltung des Lieblings gefleht. Er fährt fort: „Nun es aber todt ist, was soll ich fasten? Kann ich es auch wieder umholen? Ich werde wohl zu ihm fahren; es kommt aber nicht wieder zu mir.“ In den letzteren Worten spricht David unverkennbar die Hoffnung auf eine einstige Wiedervereinigung mit seinem ihm vorangegangenen geliebten Kinde aus. Es fragt sich nur, wo er sich die Stätte des Wiedersehens dachte. Im Grabe? Unmöglich. Wie hätte er dann, was er im Sinne hatte, als eine Hoffnung aussprechen können? Im Hades, oder Todtenreiche? Auch dahin würde er mit so festlich froher Erhebung dem Knäblein schwerlich nachgeblickt haben. Allerdings war, wie uns bewußt, den Heiligen des alten Bundes das Jenseits noch ein tief verschleiertes, und mehr erst Gegenstand dunkler Ahnung als eines klar durchschauenden Glaubens. Aber hier überzeugen wir uns wieder, daß auch ihnen wenigstens Momente besonderer Erleuchtung nicht fremd blieben, in denen sie hellere Aussichten in die zukünftige Welt vor sich erschlossen sahen. Ein solcher Augenblick geistlichen Hellsehens war auch für David eingetreten, da er in jene hoffnungsvollen Worte ausbrach. Die Welt der Seligen, der vollendeten Gerechten schwebte ihm, wenn auch nur in duftigen Umrissen, vor, und so fühlte er sich reichlich getröstet über dem Heimgange seines geliebten Kindes.

Mit dem Troste, der ihm geworden, tröstete David auch „sein Weib, die Bathseba.“ Auch sie, die unbezweifelt wie die Buße und Zerknirschung des Gemahls über die begangene Missethat, so auch dessen Trauer um den Verlust des Kindes theilte, bedurfte in hohem Grade der Versicherung, daß Gott vergeben habe und wieder gnädig sei. Und diese Versicherung ward ihr. Ja, Gott ging in seiner Barmherzigkeit so weit, daß er sich gar herabließ, das in Sünde geknüpfte Band zu reinigen und zu heiligen, und sie, die nun in seiner Furcht Vereinten und vor seinem Angesichte Wandelnden, später, nach der Rückkehr des Königes von dem Endsiege über die Ammoniter, zum Ersatz für das entschlafene mit einem zweiten Söhnlein zu beschenken, welchem David zum Gedächtniß des zwischen ihm und dem Herrn, dessen Gebote er so gröblich unter die Füße getreten, wieder hergestellten Friedens den schönen bedeutsamen Namen „Salomo,“ d. i. Friedensreich, beilegte. Die Wegnahme des Erstgeborenen von der Erde mußte auch dazu dienen, manchen zukünftigen Anständen und Verwirrungen in der Erbfolgefrage vorzubeugen, und konnte darum die Beruhigung der Eltern nur vollkommen machen, da an der Legitimität des kleinen Salomo kein Zweifel entstehn konnte. Was bleibt uns übrig, als die überschwängliche Gnade Gottes, wie sie sich auch in dieser Fürsorge kundgab, am Staube anzubeten, und die Wundermacht des Blutes des Lammes zu preisen, welches, schon vorauswirkend, eine so gründliche Bedeckung der Sünde ermöglichte!

Ehe die Geschichte fortfährt, der weiteren Trübsale zu gedenken, die über David hereingebrochen, berichtet sie uns den schließlichen Ausgang des blutigen Krieges gegen die Ammoniter, des letzten noch nicht völlig unterjochten Feindes Israels. Joab belagerte noch die stark befestigte ammonitische Hauptstadt Rabba, und fertigte Boten an David mit der Meldung ab, daß er bereits die „Wasserstadt,“ ein starkes Vorwerk, von wo aus der Platz selbst mit Trinkwasser versorgt zu werden pflegte, erobert habe, und die Veste sich nicht lange mehr werde halten können. Der König möge darum an der Spitze eines Ergänzungsheeres persönlich zu ihm stoßen, damit er, sein erhabener Kriegsherr, und nicht dessen Feldhauptmann, den Ruhm des Sieges davontrage. David gab der scheinbar edelmüthigen Aufforderung Joabs Gehör, und erschien. Die Stadt wurde im Sturm genommen, und zu der reichen Beute, die den Siegern zufiel, gehörte u. A. auch die mit kostbaren Edelsteinen besetzte Königskrone des ammonitischen Fürsten, deren Werth auf mehr als fünf und achtzig Pfund Goldes angeschlagen wurde. Nicht ohne Grausen aber lesen wir jetzt von der Rache, welche an den endlich unterjochten Feinden geübt wurde. Mit eisernen Sägen, Zacken und ehernen Säulen wurden sie, mindestens sofern sie mit den Waffen in der Hand ergriffen wurden, vom Leben zum Tode gebracht, ja theilweise sogar lebendig in die Gluthen der Ziegelöfen hineingeschleudert. Einer andern Leseart nach verfuhren die Sieger mit ihnen einem schrecklichen Vergeltungsrechte gemäß ebenso, wie die Heiden in abgöttischem Fanatismus unzählige Male mit ihren eigenen Kindern verfahren waren, indem sie dieselben den ehernen Bildsäulen ihrer Gräuelgötzen Moloch und Milcom als Schlachtopfer auf die glühend gemachten Arme legten, und sie daselbst verkohlen ließen. Uns schaudert vor solcher heidnischen Grausamkeit, und es versetzt uns in nicht geringe Bestürzung, nun auch Israel, das „Volk Gottes'“ in gleicher Weise an ihren gefangenen Feinden sich rächen zu sehen. Wohl ist's wahr, daß es ein grundverdorbeneres und zugleich übermüthigeres Volk weit umher nicht gab, als die Ammoniter waren. Auch stand kein anderes dem Volke Gottes mit so bösartiger und hartnäckiger Feindseligkeit entgegen, als sie, obgleich sie als Nachkommen der jüngeren Tochter Lots dem Samen Abrahams noch in etwa verwandt waren. Schon während des Durchzugs Israels durch die Wüste waren sie unter denen, welche den Bileam zur Verfluchung des auserwählten Volkes reizten und dingten. Später begingen sie aus Muthwillen unsägliche Greuel in Gilead, an welche der Prophet Amos Kap. 1, 13 erinnert, und verwüsteten das Ostjordanland. Beständig mußte Israel vor ihren „räuberischen und verheerenden Einfällen auf seiner Hut sein. So waren sie in ihrer gänzlichen Verstockung für die Gerichte Gottes überreif, und Israel war das zur Vollziehung der letzteren göttlich erkorene Werkzeug. Sicher aber hatte nicht der Herr die Art der über sie zu verhängenden Strafe bestimmt, und ebensowenig ist es glaublich, daß David an der Wahl derselben betheiligt war. Wohl mag er im Namen Jehova's den Befehl gegeben haben, daß nicht geschont werden solle; aber die dabei geübten Unmenschlichkeiten kamen ohne Zweifel auf Joabs, des rauhen Feldhauptmanns, Rechnung, der nach morgenländischem Kriegsbrauche mit demselben Maße messen zu müssen glaubte, mit welchem sie, die Barbaren, zu messen pflegten.

Hören wir nun, welche Ruthenstreiche weiter, damit der verletzten Ehre Gottes Genugthuung geschehe, den David getroffen haben. Nicht schwer erduldet sich, was man draußen Widerwärtiges erfährt, wenn man nur auf sein Daheim als auf ein trautes Friedenszelt, in welchem Eintracht und Liebe wohnen, ja, als auf eine „Hütte Gottes bei den Menschenkindern“ zurückblicken kann. „Hauskreuz“ ist das einschneidendste der Erdenkreuze. Der Gallentrank, der durch diejenigen uns gemischt wird, die uns die nächsten sind, übertrifft an Herbigkeit jeden andern. David hat ihn durch Gottes Verhängniß und richterliche Zulassung reichlich kosten müssen. Was er in dieser Beziehung zuerst zu verwinden bekam, war die fluchwürdige Mißhandlung, welche Amnon, Davids erstgeborner Sohn von der Ahinoam, an der Thamar beging, der Schwester Absalons und Halbschwester des Verbrechers. David war auf's äußerste empört, als er Kunde davon erhielt. Wohl niemals hat er den Schandfleck mehr verschmerzen können, der dadurch seinem Hause angethan war. Dennoch ließ ihn das niederbeugende Bewußtsein um seine eigne, wenn auch vergebene doch nicht vergessene Schuld die Entschlossenheit nicht finden, den Nichtswürdigen nach Gebühr zu strafen. Der Frevel des Sohns erweckte ihn nur zu einem erneuten Selbstgericht. Wie hätte er dem Entarteten begegnen können, ohne daß dessen Anblick ihm, dem Vater selbst, zuerst die Schamröthe auf die Wangen getrieben hätte. Das ungetrübte häusliche Glück, das einst im Kreise seiner Lieben blühte, ach! wo war's geblieben? Was jedoch Davids Gram über Amnons und der Thamar Unthat in etwa milderte, war die aufrichtig bußfertige Stimmung, in der er letztere antraf. Thamar legte sofort und zwar für immer ihr fürstliches Geschmeide ab, zog sich in die Einsamkeit und Stille zurück, und entschloß sich zu einem ehelosen, nur frommen Uebungen gewidmeten Leben, welchen Entschluß sie auch mit der That besiegelte. Während David selbst sich enthielt, die seiner Tochter widerfahrene Unbilde an Amnon nach Gebühr zu strafen, übernahm der Bruder der Thamar, Absalon, dieses Werk der Rache. Zwei ganze Jahre hindurch brütete er, dem nachtragenden Charakter orientalischer Naturen gemäß, über seinem schwarzen Anschlag, bevor er zur That schritt. Endlich schien zu letzterer der gelegene Augenblick gekommen. Absalon ließ zum Feste der Schafschur eine Einladung an den königlichen Vater und an alle seine Geschwister auf sein nicht fern von der Stadt Ephraim gelegenes Landgut Baalhazor ergehen. Der König lehnte dieselbe für sich und in einer bangen Vorahnung auch für seinen Sohn Amnon ab. Absalon dagegen drang in den Vater, daß er mindestens dem Bruder Amnon die Theilnahme gestatten möge, falls er sich etwa von den übrigen Geschwistern nicht gerne trennen wolle. Der König entgegnete: „Warum doch soll Amnon mit dir gehen? Laß ihn bei mir!“ Da aber Absalon mit Bitten nicht nachließ, überwand der Vater endlich das dunkle Vorgefühl in seinem Herzen, und gab dem Wunsche des Bittenden nach. Nachdem sich nun die Geladenen und zwar außer dem Könige alle zu Baalhazor eingefunden, nahm Absalon etliche seiner Knechte bei Seite, und gebot ihnen: „Habt Acht, wann Amnon guter Dinge wird vom Wein, und ich zu euch spreche: Schlaget und tödtet ihn! so fürchtet euch nicht: denn ich hieß es euch. Seid getrost und frisch zur That!“ Der Befehl wurde pünktlich vollführt. Ehe man sich's versah, schwamm Amnon, von den Mörderkeulen der Knechte zu Boden geschlagen, in seinem Blute. Wer beschreibt das Entsetzen, das aller Anwesenden sich bemächtigte? Die Königskinder stürzten zu ihren Maulthieren und jagten davon. Aber das Gerücht von dem Vorgefallenen, welches die schauerliche Begebenheit noch vergrößerte, gewann ihnen den Vorsprung ab. Dem Könige ward angesagt, seine Kinder seien sämmtlich erschlagen, und alsobald hallte die Hofburg zu Jerusalem von lautem Jammergeschrei wieder. David zerriß seine Kleider, und drückte wehklagend sein Angesicht in den Staub. Da trat Jonadab, Davids Bruder-Sohn, zu ihm ein, derselbe, der insoweit an dem Greuel des Brudermordes mit betheiligt war, als er einst dem Amnon bei seiner Schandthat Kupplerdienste geleistet hatte. Mit erheuchelter Theilnahme überbrachte er dem auf's tiefste erschütterten königlichen Vater die Nachricht, die denselben mindestens vor einer völligen Verzweiflung bewahrte, daß nur Amnon erschlagen sei, und kein Glied der königlichen Familie weiter. „Absalon,“ sprach er, „hat von dem Tage des unglückseligen Vergehens auf Rache gesonnen. So nehme nun mein Herr, der König, Solches nicht zu Herzen, gleich als wären deine Kinder alle getödtet worden.“ Dem Könige deuchte jedoch schon das Eine, was sein Haus getroffen, Grundes genug, um der tiefsten Trauer sich zu überlassen. Plötzlich erscholl der Ruf des Wächters von der Warte: „Die Königskinder kommen!“ Sie erschienen wirklich. Da sie aber beim Eintritt in die Hofburg das von Kummer gebeugte Haupt ihres Vaters erblickten, huben sie ihre Stimme auf und weinten laut, „und der König und alle seine Knechte weinten gleichfalls gar sehr.“ Und wie hätte David nicht in Thränen zerfließen sollen? Wehe! zum Ehebruch und zur Blutschande war nun, damit im Schooße seiner Familie die entsetzliche Dreizahl der fluchwürdigsten Unthaten voll werde, auch noch die Blutschuld hinzugetreten. Ganz mit Schmach und Schande bedeckt stand des Königes Haus, das einst so herrlich strahlende, nun vor dem ganzen Volke da, und laut dem Urteilsspruch seines eigenen Gewissens war es der König selbst, der durch seinen unglückseligen Vorgang alle das nachfolgende Unheil mit verschuldet hatte. -

Unter unsern Psalmen befindet sich keiner, der bestimmte Beziehungen auf jene häuslichen Schreckensbegebenheiten enthielte. Nichtsdestoweniger tönen uns aus manchen derselben Klänge an, welche ohne Zweifel die Stimmung ausdrücken, in der der Sänger damals sich befunden hat. Dahin gehört u. a. sein hingeseufzter Ausruf im sechsten Psalme: „Ach Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn und züchtige mich nicht in deinem Grimm. Sei mir gnädig, o Herr, denn ich bin schwach; heile mich, denn meine Gebeine sind erschrocken. Sehr erschrocken ist meine Seele. Hilf mir um deiner Güte willen. Ich bin so müde vom Seufzen, ich schwemme mein Bette die ganze Nacht und netze mit meinen Thränen mein Lager.“ Dahin gehören auch die Worte des 38. Psalms: „Ich bin zu Leiden gemacht, und mein Schmerz ist immerdar vor mir. Meine Schuld muß ich bekennen; ich gräme mich ob meiner Sünden.“ Vergangen wäre der König zu jener Zeit in seinem Gram, hätte ihn nicht sein felsenfester Glaube an die freie unumschränkte Gnade seines Gottes aufrecht erhalten. O, daß er nur fest und immer fester an diesen Halt sich klammere; denn noch' härtere Schläge als die ihn bisher getroffen, stehn ihm für die nächste Zukunft in sicherer Aussicht: ihm selbst zur Demüthigung, Gott dem Gerechten zur Verherrlichung, uns Allen und der ganzen Welt zum warnenden Zeugniß, daß „wer auf sein Fleisch säet, vom Fleische das Verderben erntet.“

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