Krummacher, Friedrich Wilhelm - XIII. David unter den Philistern.

Krummacher, Friedrich Wilhelm - XIII. David unter den Philistern.

„Ich will dir deinen Weg mit Dornen vermachen.“ So der Herr (Hosea 2, 6) zu seinem Volke. In Gestalt einer Drohung war dieses Wort im Grunde für Gottes Freunde nur eine Gnadenverheißung. Auch die Frommen sind, so lange sie im Leibe wallen, von dem Betrug der Sünde, wie gründlich sie auch mit derselben brachen, nicht unbedingt gesichert. Mag der alte Mensch in ihnen zum Tode verwundet sein, ertödtet ist er darum noch nicht. Zudem ist der Fürst dieser Welt überall geschäftig, ihnen durch Blendwerke aller Art das Ziel zu verrücken, und sie auf falsche Fährten zu verlocken. So wenig, wie die Wächter Zions im alten Bunde haben sich auch diejenigen im neuen des Berufs für überhoben zu erachten, die Gläubigen ohne Unterlaß vor Irrgängen zu warnen. Wie oft aber sehen sie den bestgemeinten Wächterruf als „überflüssig“ in den Wind geschlagen, und die Gewarnten wie in einem Taumel die Richtung verlieren. Und der Hüter Israels, der den Seinen doch zugesagt hat, daß er sie wie einen Apfel in seinem Auge behüten wolle, läßt es zu, daß sie abtreten vom graden Wege und irre gehen? Nicht selten überläßt er sie allerdings, wenn auch nur eine Strecke weit, sich selbst, damit sie darnach Grund und Anlaß finden, zu seines Namens Ehre in die Worte des 119. Psalms einzustimmen: „Ehe ich gedemüthigt ward, irrte ich; nun aber halte ich deine Befehle. Du bist gütig und freundlich; lehre mich deine Rechte!“ Bei irgend einem Punkte der wie in einem Traumwachen eingeschlagenen Irrbahn stoßen sie plötzlich wie auf eine hemmende Dornenverzäunung. Nicht in Mahnworten, sondern in Widerständen und Mißgeschicken wird ihnen ein Halt geboten. Ein flammender Unmuth erfaßt sie; aber nur, um sich bald in Wehmuth und Demuth aufzulösen. Sie erkennen, wohin sie bei weiterer Verfolgung ihres selbsterwählten Weges gerathen wären, und wer ihnen zur guten Stunde noch wohlmeinend den Weg verlegte. Viele werden, wenn nicht hienieden schon, doch jenseits des Grabes mit Staunen erkennen, daß Alles, was auf Erden an Trübsalen und Leiden sie betraf, nur solche gnädige Wegverzäunungen von der Hand ihres himmlischen Führers waren, und werden Gottes Treue ganz besonders dafür preisen, daß er einst die Dornen nicht geschont, um auch an ihnen die durch Hosea seinem Volke gegebene Verheißung wahr zu machen. Unter diesen Lobpreisenden begegnen wir dann in erster Reihe auch unserm David.

1.

1 Sam. 27, 1. „David aber gedachte in seinem Herzen: Ich werde der Tage einem Saul in die Hände fallen; es ist mir nichts Besseres, denn daß ich entrinne in der Philister Land.“ 1 Sam. 29,6. 7. „Achis rief dem David und sprach zu ihm: Du gefällst den Fürsten nicht; so kehre nun um.“ 1 Sam. 30, 1.2 „Da David zurück kam gen Ziklag, waren die Amalekiter hereingefallen und hatten Ziklag geschlagen, und die Weiber da raus hinweg geführt.“

In Warnung und Trost besteht die geistliche Ausbeute, die uns heute in Aussicht steht. David geht irre, und wird dafür in Gnaden gezüchtigt; dies die beiden geschichtlichen Momente, die wir näher ins Auge fassen.

Als David nach seinem letzten Zusammentreffen mit Saul wieder in der einsamen Wüste Juda weilte, machte sich in ihm allmälig doch ein lebhaftes Verlangen nach einer wenigstens minder unwirthbaren Bergungsstätte geltend. Zwar hatte Saul ihm aufs neue hoch betheuert, daß er ihm kein Leides mehr zu thun gedenke. Auf was aber hätte David sicherer rechnen dürfen, als darauf, daß derselbe binnen Kurzem auch dies sein Wort wieder brechen, und nicht ablassen werde, mit seinen Helfershelfern ihm nachzustellen, bis er ihn aus dem Wege räumte. Des unstäten Flüchtlingslebens indessen war David mit der Zeit herzlich müde geworden, und namentlich verursachte es ihm Pein, seine Frauen, die Ahinoam und Abigail, so lange in sein unstätes Dasein mit hineinziehen und ihnen zumuthen zu müssen, alle Mühseligkeiten und Entbehrungen des rauhen Kriegerstandes mit ihm zu theilen. Er hatte sich, wie ihm selber jetzt einleuchten mochte, mit seinen Vermählungen jedenfalls übereilt. Mindestens lesen wir nirgends, daß er auch in diesen häuslichen Angelegenheiten den Herrn zu Rathe gezogen hätte. Unterließ er dies aber wirklich, so durfte er die bedrängte Lage, in der er sich jetzt befand, als eine wohlverdiente Strafe dafür ansehn. Dennoch hatte er nicht Ursache, dieser Züchtigung einen abschwächenden Einfluß auf seinen Glauben einzuräumen; doch scheint er sich davor nicht gewahrt zu haben. Wir treffen ihn heute keineswegs mehr auf der Höhe des Gottvertrauens, auf der er uns noch kurz zuvor begegnete. Statt mit dem Herrn, bespricht er sich mit Fleisch und Blut. Die zärtliche Sorge für die Frauen rechtfertigt das nicht, was er zu unternehmen gedenkt. Wollte er denselben nicht länger ansinnen, in Höhlen und Felsschluchten mit ihm zu hausen, so konnte er sie, ohne Mühe zu Karmel, im Gehöfte des Nabal, oder in sonst einem befreundeten Hause in Juda unterbringen, während er selbst unter dem Mangel und der Fährlichkeiten der Wüste abwartete, was der Herr weiter über ihn beschlossen habe. Statt dessen aber hält er an dem thörichten Gedanken fest, bei den Philistern, den Erb- und Erzfeinden seines Volkes, für sich und die Seinen Zuflucht zu suchen. Vernehmen wir, wie er dabei gefahren ist.

Ob der damalige Philisterkönig Achis zu Gath derselbe war, zudem er schon früher einmal, aber nicht ohne es später bitter bereuen zu müssen, vor Saul Zuflucht nahm, ist fraglich. Möglich wäre es, da David denselben persönlich als einen wohlwollenden, und erst von seinen Hofleuten wider ihn aufgestachelten Mann hatte kennen lernen; wahrscheinlicher aber, da wir in diesem Achis einen gleichnamigen Nachfolger jenes früheren zu erkennen haben. David rechnete auf die Gastlichkeit des Mannes und fand bei ihm wirklich auch das gewünschte Asyl, aber um welch hohen Preis seiner Wahrhaftigkeit und Bekenntnißtreue. Um sich dem Wohlwollen seines Beschützers zu empfehlen, mußte er ihn wenigstens bei dem Wahn belassen, als habe sein Gast, da er seinem Könige Saul den Gehorsam gekündigt, auch dem Nationalhaß seines Volkes gegen die Heiden entsagt, und schon hierdurch machte sich David einer strafbaren Verleugnung schuldig. Ohne eine solche wird es aber nur selten abgehn, wo Gläubige sich um die Gunst und den Beistand der Kinder dieser Welt bewerben. Schon daß sie überhaupt, wenn Noth an Mann geht, mit einem Male „Fleisch für ihren Arm“ halten, wird ihre Gegner triumphiren machen. Nur zu oft aber finden die Uebelwollenden zu solcher Schadenfreude Anlaß. Schnell wittern sie's heraus, wie die „Frommen,“ um sie zu gewinnen, ihnen gegenüber ihre Sprache wandeln, wie sie behutsam der Stichworte ihrer „Brudergemeinschaft“ sich enthalten, wie sie sogar manchen dem Worte Gottes schnurstracks zuwiderlaufenden Anschauungen ihrer Gegner sich anbequemen, und, um sich nicht einer nackten und vollständigen Verleugnung schuldig zu machen, zu doppelsinnigen Redensarten und sogenannten Gedankenreservationen ihre Zuflucht nehmen. O, des schnöden Verraths, den Christen durch solch Gebahren an dem Evangelium begehen! Wohl kann der Fall eintreten, daß man einmal nothgedrungen auch bei Verächtern Gottes und seines Wortes Hülfe suchen muß, aber dann geschehe es, in wie milder und freundlicher Weise auch immer, doch jederzeit mit offnem Visire, damit man, falls man vorn zurückgewiesen würde, jedenfalls seine Seele rette, und den Feinden zum mindesten das Gott ehrende Zeugniß abnöthige, daß Gottes Kinder sich allewege treu bleiben und in welcher Lage sie sich auch befinden mögen, immer Fuß bei Mal zu halten wissen.

Leider! besteht unser David diesmal die ihm auferlegte Probe nicht. Schon gereichte es ihm zum stärksten Vorwurf, sich überhaupt den Philistern in die Arme geworfen zu haben. Nöthigte er ihnen doch dadurch die Voraussetzung auf, daß er die mit seines Gottes Hülfe einst über sie davongetragenen Siege jetzt ernstlich bereue. Als eine Strafe für seine Verirrung hatte David schon das anzusehen, daß er, der dem Könige Saul bisher ein Gegenstand der Furcht und des Hasses war, jetzt seiner Verachtung anheim fallen mußte. Kurz, aber bedeutsam meldet die Geschichte: „Da Saul angesagt ward, daß David gen Gath geflohen wäre, suchte er ihn nicht mehr auf.“ Offenbar wird hiemit angedeutet, daß Saul in ihm hinfort nur noch einen in keinerlei Weise mehr zu fürchtenden Feigling zu erkennen glaubte. Zu dem erschien David jetzt als ein Philisterfreund, mithin als Landesverräther, und ohne Zweifel schmeichelte sich Saul mit der Hoffnung, daß er als ein solcher von ganz Israel erkannt, und gezwungen sein werde, der Aussicht auf Israels Thron für immer zu entsagen. „Saul suchte ihn nicht mehr,“ sondern gedachte seiner nur noch mit verächtlichem Achselzucken. Bisher sahen seine Trabanten ihn Feuer und Flamme wider David speien: jetzt vernahmen sie von seinen Lippen wohl nur noch spöttelnde Reden wie diese: „Der Ueberläufer legte sich einst den rechten Namen bei, da er sich vor mir als einen einigen Floh, und als ein scheues Rebhuhn auf den Bergen bezeichnete!“ O der Schmach die unserm Freunde auf dem von ihm betretenen Wege sich an die Ferse heftete! Er mag wohl manchmal vor sich selbst erröthet sein, wenn es ihm in's Bewußtsein trat, wie er, als er noch das gefürchtete Wild in der Wüste war, wider welches Roß und Reisige aufgeboten wurden, doch ein gar andrer Mann gewesen sei, als gegenwärtig in seinem vermeintlichen Schlupfwinkel unter den Philistern.

David überzeugte sich bald von der Mißlichkeit seiner Lage in der Heidenstadt. Auf Schritt und Tritt sah er sich von Schalksaugen umlauert, mit verfänglichen Fragen angegangen, und mit Fallen mannichfaltiger Art umstellt. Da erschien er eines Tages vor Achis, und sprach demüthiglich und unterthänig: „Habe ich Gnade vor deinen Augen gefunden, so weise mir irgend eine deiner Städte auf dem Lande an, in der ich wohnen möge. Was soll dein Knecht in der königlichen Stadt bei dir wohnen?“ „Solcher Ehre,“ wollte er sagen, „ist er ja nicht werth.“ Auf wen doch vermag diese Sprache den Eindruck der Wahrheit und Aufrichtigkeit zu machen? Eine offenbare Lüge freilich war sie auch nicht, obwohl sie nahe an eine solche streifte. Achis gewährte ihm die Bitte, und bot ihm und seinen Leuten das Städtlein Ziklag als Aufenthaltsstätte an. Das gastfreundliche Entgegenkommen, dessen der Philisterfürst die Fremdlinge würdigte, befremdet uns. Aber Achis hoffte, die Hebräer könnten ihm, wenn auch nicht als Geißeln, so doch als Kundschafter und Verräther ihres eignen Volkes nützlich werden; denn daß der Riß zwischen Saul und David ein unheilbarer sei, stand auch ihm außer allem Zweifel.

Ziklag lag hart an der Grenze des Stammes Juda, dem es ursprünglich beigehörte. Später ward es dem Stamme Simeon zugetheilt. Zur Zeit Davids befand sich's in den Händen der Philister, denen es nachmals wieder entrissen wurde, indem es den Königen von Juda als Privatbesitz zufiel. Hier verlebte David, möglichst von der heidnischen Bevölkerung abgesondert, mit seinem Gefolge theils auf Kosten seines fürstlichen Gastfreundes, theils durch heimliche Zufuhren aus seinem benachbarten Heimathlande unterstützt, ein ganzes Jahr und vier Monate. Wie hätte aber ein Mann seines Gleichen so lange die Hände müßig in den Schooß legen können? Gar bald fing das ritterliche Blut, das in seinen Adern rollte, wieder zu sieden an. Der thatendurstige Krieger pochte in ihm auf's neue an die Pforte. Zugleich erkannte er, wie nöthig es sei, daß er seine Mannschaft beschäftige und vor Verweichlichung und Muthwillen hüte. Aber wohin mit ihr? Er blieb darüber nicht lange ungewiß. Nicht fern von seinem Standorte nach der egyptischen Wüste hin hausten noch starke Ueberbleibsel der unter Josua vertriebenen heidnischen Ureinwohner. Es waren die Gessuriter, die Gergesiter und die Amalekiter. Auch auf diesen lag von Alters her der göttliche Bann. Dies, und daß er in diesen wilden Stämmen nur Räuberhorden bekriegen werde, die unablässig die Grenzen seines Vaterlandes beunruhigten, ließ ihm seinen Angriffsplan durchaus gerechtfertigt erscheinen, und gereichte ihm zur Beschwichtigung seines Gewissens, wenn dasselbe Miene machte, ihn darob zu verklagen, daß er ohne Auftrag Sauls, seines königlichen Herrn, wider die Barbaren das Schwert ergriffen habe. Siegesgewiß zog er wider die Horden aus und kehrte aus jedem Handgemenge im Triumph und beutereich zurück. Die Arbeit war eine sehr blutige. Es wurde streng dem göttlichen Ausrottungsbefehl gemäß verfahren, wie er an Moses und Josua ergangen war. Männer und Weiber wurden zum Schwert gezählt; Schafe, Rinder, Esel, Kameele, sammt Bekleidungsstücken aller Art als Beute weggeführt. Erschien dann nach solchen Waffengängen David wieder vor dem Könige Achis, um ihm dies und das von seiner Beute mitzutheilen, und etwaige Anklagen, welche dieser Feldzüge wegen wider ihn erhoben werden konnten, zu entkräften, und wurde er von Achis gefragt, wohin seine kriegerischen Ausfälle, von denen ihm Kunde geworden, gerichtet gewesen seien, so antwortete er: „gegen den Mittag Juda's, gegen den Mittag der Jerahmeeliter und gegen den Mittag der Keniter.“ Diese Antwort war zweideutig und umging den Kern der königlichen Frage. David bezeichnete nur Richtungen, die er eingeschlagen, und Gegenden, die er berührt hatte. Es konnte aber und sollte seine Rede auch dahin verstanden werden, daß er nur seine eigenen Landsleute befehdet habe, indem die im Mittag des Landes Juda wohnenden Jerahmeeliter und Keniter theils Nachkommen eines von Juda stammenden Jerahmeel, theils Urenkel des Hobab, des Schwagers Moses, und somit Anverwandte der Israeliten, und nicht Stamm- und Religionsgenossen der Philister waren. Daß aber David, seinem Vorgeben nach, gegen sein eigen Fleisch und Blut wüthete, konnte sich Achis, der Philisterkönig, schon gefallen lassen. Aber war es nicht wieder eine offenbare Lüge und zugleich eine Verleugnung seines Volkes, deren David sich schuldig machte? In den Augen Gottes unbezweifelt. Vor sich selbst mochte sich David etwa damit zu rechtfertigen suchen, daß er in seiner auf Schrauben gestellten Redeweise sich nur einer erlaubten Kriegslist bediente, und daß der ja ein Heide sei, dem er die Wahrheit verschleiere, was damals in Israel allerdings unter der Nachsicht der öffentlichen Meinung ging. Aber er wird schon in Erfahrung bringen, daß Gott diejenigen, welche ihm angehören wollen, nicht mit der gefälschten Wage einer selbstbeliebten Volksmoral, sondern mit der des Heiligthums wäge, in der als Gewichtstein unter Anderm auch das unverbrüchliche Wort ruht: „Du sollst kein falsch Zeugniß reden.“ Inne werden wird er, daß er in seinem so sein berechneten Verfahren nur sich selbst die Zuchtruthe band, unter deren empfindlichen Streichen er die Einsicht gewinnen sollte, wie die Lüge, auch wo sie in der täuschendsten Wahrheitsschminke auftritt, an dem Maßstabe gemessen, der da droben gilt, immer Lüge bleibt; und alle Lüge ist ein Greuel in Gottes Augen. Wir werden hier noch einmal an Abraham erinnert. Selbst diesem Vater aller Gläubigen widerfuhr es einst; daß er in ähnlicher Weise, wie David im Philisterlande, ausglitt, da er, der während einer Theurung Zuflucht in Egypten gesucht hatte, aus kleinmüthiger Furcht, die Heiden möchten ihn tödten, und dann seines schönen Weibes, der Sarah, sich bemächtigen wollen, diese für seine Schwester ausgab und sie selbst in diesen Betrug mit hereinzog. Wohl konnte er mit einem Schein der Wahrheit das wirkliche Verhältnis, in dem er zu ihr stand, verleugnen, da die Sarah in der That seine Stiefschwester war. Wie bitter aber hat er nichtsdestoweniger den von kläglichem Mißtrauen gegen seinen Gott ihm eingegebenen Kunstgriff büßen müssen! Sein Weib wurde ihm jetzt um so eher geraubt und dem Pharao zugeführt. Dieser jedoch, als er für seinen Menschenraub von Gott mit schwerer Plage heimgesucht ward, gab sie alsobald ihrem Gemahl ungekränkt zurück, und Abraham hatte zu den schweren Beängstigungen, die er ausgestanden, auch noch die ihn auf's tiefste demüthigende Schmach zu verwinden, sich von dem Heidenkönige seiner Lüge halber ernstlichst gerichtet zu hören. Dieser nämlich legte ihm mit einer Ruhe und Haltung, die ihn für den Moment edler erscheinen ließ, als den hohen Glaubensvater, die Frage vor, warum er ihm das gethan und ihm nicht gesagt habe, daß sie sein Weib sei? „Warum,“ sprach der Heide, „gabst du vor, daß sie deine Schwester sei, derhalben ich sie mir schon zum Weibe nehmen wollte? Nun siehe, hier hast du dein Weib zurück; nimm sie und zeuch von hinnen!“ Und nachdem er so geredet, trug er sogar seinen Leuten auf, dem Fremdlinge und seinem Weibe, sowie Allem, was er bei sich habe, bis zur Grenze seines Landes ein sicheres Geleite zu geben. Und Abraham zog beschämt von dannen, und den Dank, den er damals der Treue seines Gottes am Staube gestammelt hat, mochte wohl ein Strom von heißen Reuethränen begleiten.

David hatte einstweilen mit seinen feingesponnenen Ausflüchten bei Achis seinen Zweck erreicht. „Achis,“ meldet die Geschichte, „trauete ihm, und gedachte: Er hat sich stinkend (verhaßt) gemacht vor seinem Volke Israel. Darum wird er immer mein Knecht sein!“ Dem David selbst war jedoch auf die Dauer bei dem Handel keinesweges wohl zu Muthe, indem ihn fortwährend die Sorge quälte, daß einmal irgend ein Entronnener aus den Stämmen, die er befehdete, gen Gath kommen und zu den Philistern, über den wahren Thatbestand sie aufklärend, sprechen könnte: „Also that David, und das ist seine Weise, so lange er wohnt in der Philister Lande!“ So mußte er denn ängstlich darauf Bedacht nehmen, daß die Grenzen jener Gebiete auf das sorgfältigste bewacht wurden, und ertheilte zu dem Ende Befehl, daß, wer diesseits derselben auf dem Wege nach Gath sich betreffen lasse, gewaltsam zurückgewiesen, oder, wenn er sich widersetzen sollte, mit des Schwertes Schärfe niedergemacht werde. So zeugt die böse That, einmal geboren, ohne Ende fort, und die göttliche Strafe, die ihr Einhalt gebeut, wie scharf sie immer sei, ist ein Segen.

2.

Strafe war für David schon die unbehagliche Lage selbst, in die er sich muthwillig versetzt hatte. Wir werden aber das Peinliche derselben noch höher, ja bis zur Todesangst sich steigern, dann aber auch den Herrn seine Retterhand über seinen Knecht ausstrecken- und feurige Kohlen auf dessen Haupt sammeln sehen. Was begiebt sich? Die Philister brechen aufs neue gegen Israel auf, und zwar mit größeren und mächtigeren Heereshaufen, als je zuvor. Da bescheidet Achis den David von Ziklag zu sich, und spricht zu ihm treuherzig und arglos: „Wisse, du sollst sammt deinen Männern mit mir ausziehen in das Heer.“ Man kann denken, wie dem David bei diesem Ansinnen zu Muthe ward. Gegen seinen König und sein Volk soll er zum Schwerte greifen, und gar unter den Fahnen ihres alten Erbfeindes, der Philister. Er schrickt vor diesem Gedanken zurück; aber wie ist hier dem Ungeheuerlichen auszuweichen? Folgen muß er, will er den Heiden seine wahre Stellung nicht verrathen, und damit Freiheit und Leben aufs Spiel setzen. Der Unglückliche! Wie stürmt's und brandet's in seinem Innern! Doch er saßt sich, und spricht zu Achis: „Wohlan, du sollst erfahren, was dein Knecht thun wird.“ Er dachte wohl bei sich: „Der Herr wird's versehen, und mich, wie so manchmal schon, auch hier einen Ausweg finden lassen!“ Ob er ohne einen verneinenden Einspruch seines schuldbeladenen Gewissens also gedacht, steht zu bezweifeln. Achis deutet sich übrigens die unbestimmte Antwort seines, Gastes zu. seinen Gunsten. „So will ich dich,“ spricht er, „zeitlebens zum Hüter meines Hauptes (d. i. zum Obersten meiner Leibwache) erheben, und deinem Schutze mein Leben anvertrauen.“

Die Hauptmacht der Philister versammelte sich in der Ebene Jesreel, diesem Schauplatz der Völkerschlachten von Alters her, und zwar bei Aphek, nicht fern von Gador, dem Wohnorte der Todtenbeschwörerin, bei der Saul aus dem Munde Samuels den vernichtenden Urteilsspruch vernommen hatte. Hier stieß denn auch der König Achis mit seinen Leuten und der hebräischen Leibwache, David mit geknickten und bebenden Knien an deren Spitze, zu seinem Heer. Was begab sich nun? Als die dem Könige, ihrem Lehnsherrn, untergebenen Philisterfürsten bei einer Musterung über die Abtheilungen der Hunderte und Tausende die Fremdlinge im Gefolge des Achis gewahrten, sprachen sie zu diesem: „Was sollen uns die Hebräer?“ Und allerdings geschah es nicht ohne Ursache, daß sie dieselben mit Mißtrauen ansahen, da es früher schon einmal bei Gibea Benjamin geschehen war, daß eine israelitische Abtheilung, die dem Philisterheere sich angeschlossen hatte, plötzlich während der Schlacht von ihren Fahnen wich und zu ihren israelitischen Stammgenossen überging. Achis suchte zwar die Argwöhnenden mit der Versicherung zu beruhigen, daß David, der Knecht des Königes von Israel, bereits seit Jahr und Tag sein Gast gewesen, und seitdem derselbe von seinem Volke abgefallen, nie etwas Verdacht Erregendes an sich habe wahrnehmen lassen. Die Fürsten aber bestanden dringend auf der Entlassung der Fremden, indem sie zornentbrannt sprachen: „Laß den Mann wieder umkehren, und an dem Orte bleiben, wo du ihn hingestellt hast, daß er nicht mit hinabziehe zum Streit, und mitten im Kampfe unser Widersacher werde. Denn womit könnte er seinem Herrn einen größeren Dienst erweisen, als mit den Köpfen dieser unsrer Männer? ist er nicht der David, von dem sie sangen am Reigen: Saul hat Tausend geschlagen, David aber Zehntausend?“ So die Fürsten. Da beschied Achis seinen Schützling vor sich, und sprach zu ihm: „So wahr der Herr lebt,“ - (man bemerke, wie der Heide hier, vielleicht nicht ganz ohne innere Wahrheit, dem Glauben Davids sich anbequemt,) „ich halte dich für redlich, und dein Aus- und Eingang mit mir im Heere gefällt wir wohl, und habe nichts Arges an dir gespürt seit der Zeit, da du zu mir kamst bis hieher. Aber du gefällst den Fürsten nicht. So lehre denn um, und gehe hin mit Frieden, auf daß du nicht übel thuest vor den Augen der Fürsten der Philister,“ d. h. „nicht wider ihren Willen bei mir bleibest.“ Wie hätte David diese Sprache der Arglosigkeit und Einfalt anhören können, ohne sich von seinem Gewissen verdammt zu fühlen? Schamröthe mußte sein Angesicht überziehen. Dennoch lenkte er in der Angst seines Herzens immer noch nicht in das Geleise der Wahrheit und Aufrichtigkeit wieder ein. Er macht den Achis glauben, daß er, wenn er nicht zurückgewiesen worden wäre, auch gegen sein eigenes Stammvolk Israel für ihn gestritten haben würde, wozu er sich doch unter keiner Bedingung je verstanden hätte. „Was habe ich gethan,“ spricht er, mit allem Scheine der Treuherzigkeit, „und was hast du an deinem Knechte gespürt seit der Zeit ich vor dir gewesen bin, daß ich nicht sollte kommen und streiten wider die Feinde meines Herrn des Königes?“ Freilich bezeichnet er die „Feinde“ nicht näher. Wider alle seine heidnischen Feinde würde der König allerdings einen treuen Bundesgenossen und Vorkämpfer an ihm gefunden haben. Achis aber dachte bei der Erwähnung seiner „Feinde“ natürlich zunächst, ja ausschließlich, an Israel, und David versündigte sich dadurch abermals auf's schwerste an der Wahrheit, daß er ihn, ohne ihn aus diesem Traume zu wecken, bei seiner falschen Voraussetzung beließ. „Ich weiß es wohl,“ erwiederte Achis, „aber obwohl du meinen Augen gefällst wie ein Engel Gottes, so haben doch der Philister Fürsten gesagt: Laß ihn nicht mit uns hinaufziehen in den Streit! So mache dich nun morgen frühe auf, du, und die Knechte deines Herrn, die mit dir gekommen sind, und wenn es licht Morgen wird, und ihr euch aufgemacht habt, so ziehet von dannen.“ Er sprach's, und David that also.

Wie unverhofft und wunderbar sah sich David hier wieder durch des Herrn Hand aus der verhängnißvollen Klemme herausgeführt, in die er in einer unglückseligen Stunde kläglicher Glaubensschwäche sich selbst verrannt hatte. Jetzt brauchte er weder das in unverzeihlichem Leichtsinn dem Achis gegebene Wort zu brechen, noch gegen sein eigenes Bundesvolk das Schwert zu ziehen, was ihn nicht allein um Krone und Scepter gebracht, sondern ihm auch neben der Ehre seines Namens für immer den Frieden des Gewissens beraubt haben würde. Ebensowenig hatte er sich jetzt später deshalb eines Treubruchs anzuklagen, daß er den Philistern wieder den Rücken gekehrt hatte, und auf's neue als ihr Feind auf dem Plan erschien. Er war ja von deren Fürsten selbst gleichsam amtlich zurückgewiesen und seines Dienste s entlassen worden. O, welch eine Fülle neuer Ursachen ward ihm hier geboten, dem Herrn seinem Gott die Füße zu küssen und am Staube liegend seine freie Gnade zu preisen! Und sicher hat er es hieran nicht mangeln lassen, als ihm nach dem Taumel der Sünde und Heuchelei, in dem er umhergewirbelt wurde, das volle klare Bewußtsein um seine tiefen Verirrungen sowohl, wie um die trotz derselben ihm zu Theil gewordene ebenso unerwartete als unverdiente Gotteshülfe wiederkehrte.

Ohne Zweifel umschwebten ihn Erinnerungen an das während seines Aufenthaltes unter den Philistern Erlebte auch damals, als er in dem 103. Psalm zur Lobpreisung der Unwandelbarkeit der göttlichen Gnade im Gegensatze zur Gebrechlichkeit und Wandelbarkeit des armen sündigen Adamssohnes seine Stimme erhob, und seinem tiefbewegten Herzen die Worte entströmten: „Lobe den Herrn meine Seele, und alles was in mir ist, seinen heiligen Namen. Lobe den Herrn meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes gethan hat: der dir alle deine Sünden vergiebt, und heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöset, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit!“ Und eben so gedachte er sicher auch der Erlebnisse jener Tage, da er weiter dem Herrn nachrühmte: „Er wird nicht immerdar hadern; er trägt nicht ewiglich nach. Er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden, und vergilt uns nicht nach unserer Missethat. So hoch der Himmel über der Erde ist, lässet er seine Gnade walten über die, so ihn fürchten. Denn er kennet was für ein Gebilde wir sind; er gedenket daran, daß wir Staub sind.“ Ja gar manche Ergüsse, sowohl der Reue, wie des Dankes in seinen Psalmen mögen dem Rückblick auf die Verirrungen, die er sich damals zu Schulden kommen ließ, wie auf die göttliche Rettung, die er erfuhr, ihren Ursprung verdanken. Tief hatte er sich in den Betrug der Sünde verstricken lassen; aber was ihm zum ewigen Tode hätte gereichen können, wurde ihm durch Gottes Gnade zu einer wunderthätigen Heilkraft für seinen inwendigen Menschen.

„Du gefällst den Fürsten nicht,“ sprach Achis zu David. Ein Wort dies, welches schon manche Geistesgenossen des Sohnes Isai's, die irgendwie den Großen der Erde näher kamen, auf sich beziehen konnten. Es gehört leider! zu den seltneren Fällen, daß Persönlichkeiten von entschiedener und ausgesprochener Glaubensrichtung vor den Augen der sogenannten Erdengötter Gnade finden. Freilich kannten wir deren wenigstens Einen, von dem die Freunde Gottes und seines Reiches mit weit größerem Fuge noch, als die Israeliten einst von dem Kriegsmanne zu Kapernaum, rühmen durften: „Er hat unser Volk lieb.“ Hiemit sei nicht gesagt, daß er der einzige seiner Art gewesen sei; wohl aber legt sich uns der Seufzer nahe: „Ach daß sie Alle seines Geistes wären!“ Die Heilige Schrift nennt unter den Herrlichkeiten der Jubelzeit des Reiches Gottes, die sie den Gläubigen in Aussicht stellt, in erster Reihe dies, daß Könige, im Glanze des göttlichen Offenbarungslichtes wandelnd, die Pfleger der Gottesstadt auf Erden, und Fürstinnen die Säugammen der Kirche sein würden. Bis zum Anbruch dieser ersehnten Tage gereicht es uns schon zu einem nicht geringen Troste, wenn wir unter den vertrauten Räten eines Landesherrn wenigstens einen Daniel wissen; zu einem ungleich größeren Trost aber noch, wenn es von dem Herrscher selbst heißen darf, wie einst zu Ananias von dem Manne aus Tarsen: „Siehe er betet!“ Ein ehrwürdiger Schriftausleger aus früherer Zeit begleitet die Betrachtung der Erlebnisse Davids bei Achis und unter den Philisterfürsten mit dieser Nutzanwendung: „Lasset uns hier lernen, daß die allzu große Gnade großer Herrn, sofern dieselben an Gottesfurcht nicht reicher sind, als Achis, einem Menschen, der in den Fußtapfen des Glaubens Abrahams wandeln will, überaus gefährlich sei. Sie fordern einen allzugroßen Zins von der Gnade, mit der sie beglücken. Sind sie gnädig, so soll man ihnen überall gefällig sein; das zarte Gewissen mag dazu sagen, was es wolle. In den Banden ihrer Gnade geht man als ein Gefangener. Das Mißtrauen der philistäischen Fürsten half dem David aus dem Gedränge heraus, in welches er sich durch die Gnade des Achis hatte hineinstürzen lassen. So ist die Gnade gottloser Herrn, wenn sie mit etwas Furcht vermenget ist, viel heilsamer, als ihre lautere Gnade. Der gottlose Herr, der ein Feind Gottes ist, muß wissen, daß er einen Freund Gottes, einen Knecht Jesu Christi, einen graden und gläubigen Sohn Abrahams zum Diener habe, dem er keine Thorheiten und Bosheiten zumuthen dürfe. Folglich muß dieser Diener nicht heucheln, wie David bei Achis that; sondern seinen Glauben im Vertrauen auf Gott bei Zeiten bekennen. Achis, der sonst ein Götzendiener war, schwur David zu Gefallen bei dem Jehova, und sagte ihm, daß er ihn für redlich halte, ja, daß er seinen Augen wie ein Engel Gottes gefall.. Allein er hielt ihn dabei für einen Feind Israels, und ein solcher war ja David nicht. Daß aber David dafür gehalten wurde, hatte er selbst durch seine Heuchelei verschuldet. Man bekenne also, wo man dazu veranlaßt wird, die ganze Wahrheit; und wenn man ja mit einem Theil derselben zurückzuhalten für rathsam findet, so sage man doch nie das Gegentheil; sonst bringt man sich über kurz oder lang in schwere Gefahr.“

So kehrte denn David unversehrt mit seiner Freischaar aus dem Philisterlande nach Ziklag zurück; aber von welcher Schreckensbotschaft wird er schon auf dem Wege ereilt! Die Amalekiter, ein vor andern gottloses und grundverderbtes Volk, hatten mit Feuer und Schwert die Stadt überfallen, dieselbe in einen Aschenhaufen verwandelt, die Männer mit dem nackten Leben davongejagt, die Weiber dagegen, und unter diesen auch Davids Frauen sammt Söhnen und Töchtern, als Gefangene mit sich fortgeschleppt. Auch dies ein göttliches Strafgericht über David und seine Heuchelei. David hatte es auch bald mit tief erschütterter Seele als ein solches erkannt. Denn da er die Unheilsbotschaft vernahm, hub er, und mit ihm das Volk, das bei ihm war, seine Stimme auf, und „sie weinten, bis sie nicht mehr weinen konnten,“ sagt die Geschichte. Das waren Thränen der Trauer und der Entrüstung; aber in Davids Thränen mischten sich die bittereren der Reue über sein bisheriges Verhalten. Die Bestürzung, in welche die Schreckenspost ihn versetzte, wurde vollkommen, als er gar gewahrte, daß seine eigenen Leute, denen gleichfalls Weiber, Söhne und Töchter geraubt worden waren, nicht allein wider ihn zu murren begannen, sondern sogar Miene machten, ihn zu steinigen. Es hatte sie wohl überhaupt schon der ganze Zug mit dem Philisterheer gegen Israel sehr verdrossen; nun aber drohte ihr Unmuth alles Maß zu überschreiten. Es wird uns nicht schwer, der Geschichte Glauben zu schenken, wenn sie uns sagt, daß „David sehr geängstigt worden sei.“ Wohin nun in diesem verhängnißvollen Momente? David in seiner Bedrängniß hebt tief zerknirscht und niedergebeugt, aber nicht hoffnungslos, Herz und Auge empor zum Himmel, und „stärkt sich in Gott.“ Dann bescheidet er den Abjathar mit dem Brustschilde zu sich und fragt durch ihn den Herrn (hätte er nur immer und überall zur rechten Stunde ihn gefragt): „Soll ich jenen Kriegerhaufen, die Ziklag überfallen haben, nachjagen, und werde ich sie ergreifen?“ - „Ja,“ lautet die göttliche Antwort, „jage ihnen nach; du wirst sie ergreifen und Rettung thun!“ Mit neu gefrischtem Muthe ruft er sein: „Vorwärts!“ und die Mannschaft, durch die Aussicht auf die blutige Rache und auf die Befreiung ihrer Geraubten beschwichtigt, läßt den Groll gegen ihren Führer fahren, unterwirft sich seinem Befehl und zieht in Eilmärschen dem Kampfplatz entgegen. David läßt von seinen Sechshundert die ermüdeten, etwa ein Drittel seiner Schaar, an der Grenze der Wüste ohnweit Gaza beim Bache Bejor zurück und jagt mit den andern dem Amalekiterlande zu. Unterwegs stoßen sie auf einen Mann, der verschmachtet und dem Tode nahe auf dem Felde liegt. David läßt ihm Trank und Speise reichen, und nachdem des Mannes Geist wieder zu ihm gekommen, vernimmt man aus seinem Munde, er sei ein egiptischer Knabe und eines Amalekiters Knecht, der, da er auf dem Marsche krank geworden, hilflos von seinem Herrn zurückgelassen worden sei. Seit dreien Tagen liege er da, und habe weder etwas gegessen noch getrunken. Zugleich berichtete der Fremde, sie seien in das Mittagsland der Krethi, (des vor Zeiten von der Insel Crew aus eingewanderten Philisterstammes,) hereingefallen und nachdem sie Juda und die Mittagsseite der nicht fern von Hebron gelegenen Gegend, wo die Nachkommen Kalebs wohnten, berührt, gegen Ziklag mit der Absicht vorgedrungen, dasselbe mit Feuer zu verbrennen und in einen Aschenhaufen zu verwandeln. „Willst du mich zu dem Kriegshaufen führen?“ fragte David. Der Mann ist dazu bereit, nachdem er sich von David bei dem allmächtigen Gott hat betheuern lassen, daß er ihn weder tödten noch in seines Herrn Hand zurückliefern wolle. Unter seiner Führung langen sie in den Grenzen der Amalekiter an und treffen die wilden Horden in dem Momente, da sie eben in weitem Umkreis zerstreut essend, trinkend und jubilirend ihres Raubes sich freuen. Aber wie ein Ungewitter bei hellem Sonnenschein stürzt die Heldenschaar Davids über die Sichern her, streckt sie in einem Kampfe, der vom Morgen bis an den Abend wüthet, bis auf vierhundert Reiter, die auf ihren Kameelen entkamen, alle zu Boden, entreißt ihnen, was ihnen noch von ihrem Raube übrig war: Schafe, Rinder und was sie sonst auf ihrem Streifzuge errafft hatten, nimmt ihnen ihre sämmtlichen Gefangenen und unter diesen auch die Frauen wieder ab, und tritt unter Davids Führung ruhmgekrönt den Rückweg nach Ziklag an, während ein dem Zuge wie im Reigentanze voranschreitender Trupp, wahrscheinlich um die auf dem Hinwege dem David zugefügte Beleidigung wieder gut zu machen, wiederholt in das Triumphgeschrei ausbricht: „Das ist Davids Siegesbeute!“ Als sie mit den am Bache Bejor zurückgelassenen Zweihundert wieder zusammentreffen, eilt David auf dieselben zu und entbietet ihnen freundlichen Gruß. Dies mißfiel einigen bösen Leuten unter seinen Streitern. „Die Weiber und Kinder,“ murmelten sie, „möge man ihnen immerhin zurückgeben; aber an dem, was wir sonst den Feinden entrissen, gebührt ihnen, die die Mühen und Gefahren der Schlacht nicht mit uns theilten, kein Antheil!“ Da entgegnete David, der seine ganze frühere Haltung wieder gewonnen hatte: „Nicht also, meine Brüder, sollt ihr thun mit dem, das uns der Herr gegeben hat. Er hat uns behütet, und jenen Kriegshaufen, der wider uns gekommen war, in unsere Hände gegeben.“ So gab er Gott allein die Ehre. Dann fuhr er fort: „Wer sollte eurem Rath gehorchen? Gleich dem Theile derer, die in den Streit hinabgezogen sind, soll auch das Theil derjenigen sein, die bei dem Geräthe blieben, und soll gleich getheilet werden!“ So war es nach 4. Mose 31, 27 dem ausdrücklichen Gesetze Gottes gemäß. Nicht immer aber hatte man es so gehalten. Von nun an aber blieb es, wie die Geschichte meldet, wieder Brauch und Recht in Israel. Auch in unserm Heerwesen pflegen diejenigen, die das Geräth hüteten, mit den Kämpfern Ruhm und Lohn zu theilen; und so gebührt sich's.

Nach Ziklag zurückgekehrt gedachte David auch seiner Freunde in den Stämmen Juda und Simeon, die ihm während seiner Streifzüge in den Wüsten und Einöden durch Zufuhren von Nahrungsmitteln und andere Liebesbethätigungen treffliche Dienste geleistet hatten. Es that seinem Herzen wohl, denselben einmal einen thatsächlichen Beweis seiner Erkenntlichkeit geben zu können, und sandte ihren Aeltesten zu beliebiger Vertheilung das Eine und Andere von der Beute, die er den Amalekitern abgenommen hatte. Er ließ ihnen, die hin und wieder selbst von jenen Horden beraubt worden waren, die Geschenke mit den Worten überreichen: „Nehmet hin diesen Segen aus dem Raube der Feinde des Herrn!“ Es war dies schon ein königlicher Alt, in lebhafter Vorahnung seiner nahe bevorstehenden Thronbesteigung vollzogen. Unverkennbar dämmerte bereits die Krone Israels über seinem Haupte, weshalb auch sein Anhang fast täglich um neue rüstige Mannschaften sich vermehrte.

Unter den Psalmen Davids ist keiner, der in Ueberschrift oder Inhalt auf die letzten Vorgänge während seines Aufenthalts im Philisterlande eine unzweideutige Beziehung enthielte. Wir irren aber in der Annahme nicht, daß sich die Erinnerung auch an die dortigen Erlebnisse durch viele seiner Dankgesänge für erfahrene Gotteshülfen mit hindurchflicht. Sicher ist dies im 124. Psalme, dem „Liede der Wallfahrten“ der Fall, wo David das ganze Israel mit ihm singen heißt: Wenn nicht der Herr uns nahe geblieben wäre, da Menschen sich wider uns erhoben, so hätten sie uns lebendig verschlungen, da ihr Zorn wider uns entbrannt war. Ueber unsre Seele waren gegangen die stolzen Wasser; aber gelobet sei der Herr, daß er uns nicht zum Raube in ihre Zähne gab. Unsre Seele ist entronnen, wie ein Vogel dem Strick des Voglers. Der Strick ist zerrissen, und wir sind frei. Unsre Hülfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat!„ - In diesem Namen, fügen wir hinzu, stehe auch die unsre allewege! -

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