Kohlbrügge, Hermann Friedrich - II. Predigt über Evangelium Johannis, Cap. 3, Vers 7-11.

Kohlbrügge, Hermann Friedrich - II. Predigt über Evangelium Johannis, Cap. 3, Vers 7-11.

Gehalten am 17. September 1848.

7. Laß dich‘s nicht wundern, daß ich dir gesagt habe: Ihr müsset von neuem geboren werden. 8. Der Wind bläset, wo er will, und du hörest sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, von wannen er kommt und wohin er fährt. Also ist ein jeglicher, der aus dem Geist geboren ist. 9. Nicodemus antwortete, und sprach zu ihm: Wie mag solches zugehen? 10. Jesus antwortete, und sprach zu ihm: Bist du ein Meister in Israel, und weißt das nicht? 11. Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wir reden, das wir wissen, und zeugen, das wir gesehen, haben; und ihr nehmet unser Zeugniß nicht an.

Wie muß es den Nicodemum gewundert haben, wie muß er sich entsetzt haben, als er von dem Herrn Jesu die Notwendigkeit seiner Wiedergeburt vernommen hatte. Des Herrn letzte Worte: was von dem Fleische geboren ist, das ist Fleisch, und was aus dem Geiste geboren ist, ist Geist, waren ihm wie der Blitz, der einschlägt mit unwiderstehlicher Kraft und alles zerschmettert. Da lagen nun alle seine Werke zu Boden, Alles wofür er sich so lange abgemüht. Auseinandergeschlagen, zertrümmert war das ganze Gebäude seiner Gottseligkeit, für dessen Erbauung er sich so geplagt hatte. Der Boden war ihm unter den Füßen weggesunken, und er stand da ohne Gott, ohne Halt, enttäuscht vor dem Herzenskündiger. Die Stimme der Wahrheit: du bist Fleisch und alle deine Frömmigkeit ist Fleisch, hatte ihn wie eine Donnerstimme getroffen. Er fühlte sich einsam und verlassen, ohne Gott und ohne Hoffnung in der Welt. Wo sollte er hingehen? War er aus dem Fleische, war er ohne den lebendigen Gott, lag er in Selbstbetrug, half ihm sein Abgekommensein von Abraham nichts, so war auch seine ganze Secte, die damals, als ob sie allein das Gute erstrebe, sich hervorthuende Secte der Pharisäer, die sich doch vornehmlich für erwählt und für rechtgläubig hielt, auch aus dem Fleische. So war das Israel, das Volk Gottes, welches er allein als Gottes heiliges Volk kannte, auch ohne den lebendigen Gott. So steckten mit ihm in Selbstbetrug alle die doch der festen Meinung waren, die Seligkeit könne ihnen nicht entgehen; so hatte es auch diesen allen nichts, geholfen, daß sie sich auf Gottes Gesetz verlassen hatten, daß sie sich Gottes rühmten, daß sie Gottes Willen meinten zu wissen, daß sie aus dem Gesetze unterrichtet, prüften was das Beste zu thun sei. So waren sie denn alle blinde Leiter der Blinden, ein Irrlicht derer, die in Finsterniß saßen, verkehrte Züchtiger der Thörichten; so mußten sie, die Lehrer der Einfältigen, erst selbst noch anfangen zu buchstabiren und einen ganz andern Grund der Wahrheit legen. So hatten sie wohl die Form, was zu wissen und was recht ist im Gesetz, aber das Wesen, die Wahrheit, das Leben, Gott, hatten sie nicht!

Wie entsetzlich muß es für Nicodemus gewesen sein, solches zu vernehmen, und der Kraft der Wahrheit solcher Worte des Herrn durch und durch inne zu sein, so daß er sich derselben nicht einschlagen konnte! Wahrlich, es ist nicht angenehm für einen Menschen, der in der Meinung ist, er seie etwas vor Gott und er thue alles für Gott, was in seinem Vermögen ist, Gotte wohlgefällig zu sein und seinem Reiche aufzuhelfen, - wenn es ihm vorgehalten wird aus der Wahrheit Gottes und durch die unwiderstehliche Kraft des Wortes: Es steht nicht gut um dich. Und es muß einem Menschen wohl hundert Male gesagt werden: du taugst nicht mit allen deinen Werken der Selbstwahl, auf daß er abgestanden habe von der Eigengerechtigkeit, worauf ein jeglicher Mensch sich so gerne verläßt, und erfunden seie in der Gerechtigkeit, welche vor Gott gilt, und also in Wahrheit Geist seie. Wohl dem, der sich nicht aus angeborner Feindschaft dagegen auflehnt, sondern es zu Herzen nimmt und sich beugt unter die Wahrheit, welche ihm vorgehalten wird aus lauter Barmherzigkeit zu seiner Errettung.

Unser Herr fühlt es dem Nikodemus ab, wie entsetzt er ist über alles, was er gehört hat, darum spricht er weiter: „Laß dich's nicht wundern, daß ich zu dir gesagt habe: Ihr müsset von neuem geboren werden“. Der Herr will also sagen: Nicht du allein Nicodemus, sondern dein ganzes Volk, was sich nach seiner Geburt aus Abraham für Gottes Volk hält, muß von neuem geboren werden, eben so wohl wie du. Ihr, die ihr euch für Kinder des Königreiches haltet, seid nicht Israeliten, wenn ihr auch von Israel seid, und ihr seid nicht Kinder, obgleich ihr von Abraham seid. Traun, nicht sind das Gottes Kinder, die nach dem Fleisch Kinder sind, sondern die Kinder der Verheißung werden für Samen gerechnet. Nach dem Grundtexte hat der Herr aber nicht gesagt: Ihr müßt von neuem geboren werden, sondern: Ihr müßt von neuem geboren sein, so auch V. 3: es sei denn, daß Jemand von neuem geboren ist, und V. 5: es sei denn daß Jemand geboren sei. Denn in Sache der Seligkeit und Gottes, wo es um ewiges Wohl oder Wehe geht, um Leben oder Tod, um Verdammung oder dem Gesetz und Willen Gottes gemäß zu sein, hat keiner von uns Zeit zu verlieren, da heißt es: Heute, so ihr seine Stimme gehört habt, verstocket eure Herzen nicht. Man kann es nicht auf ein „Werden“ schieben, was bei Gott für einen verdammungswürdigen Sünder da ist; und wo wahrhaftige Noth der Seele ist, kann man es nicht bis morgen aushalten, um mit dem Herrn Frieden gemacht zu haben. -

Der Herr gibt dem Nicodemus die Ursache an, weßhalb es ihn wundert, daß der Herr gesagt: Ihr müsset von Neuem geboren worden sein; indem er spricht: „Der Wind bläset, wo er will, und du hörest sein Sausen wohl, aber du weißt nicht, von wannen er kommt, und wohin er fährt. Also ist ein jeglicher, der aus dem Geist geboren ist“. Es hat dem Herrn gefallen, häufig in Bildern und Gleichnissen von der Natur genommen zu reden, wonach er das, was er eigentlich sagen will, in einem Bilde oder in einem Gleichniß ausspricht, auf daß die Wahrheit den Menschen, der in dem Sichtbaren hängt, um so mehr empfänglich für sich mache. So nimmt auch der Herr hier ein Bild aus der Natur, nämlich vom Winde. Es gibt in der Natur wohl nichts Freieres als der Wind in seiner Bewegung ist. Man kann den Wind nicht an Bande legen, man kann ihm nicht befehlen, daß er hier oder dorthin blase. Unabhängig ist er von allen Menschen und von allem ihrem Thun. Was auch die Naturforscher geforscht haben mögen, sie können nicht sagen, wo der Wind herkommt, auch nicht, wo er hinfährt; denn wenn wir auch sagen, der Wind kommt vom Norden, und wehet nach dem Süden, oder von Osten nach Westen oder umgekehrt, und also seine Striche angeben können, so wissen wir doch den Ort nicht, wo er sich erhoben hat, noch den Ort, wo er sich legen wird, wenn wir auch sein Sausen vernehmen. Das meinte aber der Herr von der Freimacht Gottes, von dem von allen Menschen und ihrem Thun unabhängigen Gottes und seiner Gnade. Wie auch der Apostel Paulus bezeugt Röm. am 9.: „So liegt es denn nicht an Jemandes Gewilltsein oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmung“, und wiederum: „so erbarmet er sich denn dessen er will“. - Denn so ist die Freimacht der Gnade Gottes, sie macht lebendig, was sie will, und läßt sich durch menschliche Bestrebung oder Anmaßung nicht in Bande legen. Darum bezeugt auch der Apostel: Schaffet daß ihr selig werdet mit Furcht und Zittern, denn Gott ist es, der in euch wirket Beides, das Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen. Denn weil das Wollen und das Vollbringen daher ist, daß es durch Gott und durch sein Vermögen kommt, weil er so gütig ist, so soll alle Anmaßung, Erhebung seiner selbst über Andere, oder Dünkel als seien wir Etwas, wohl ferne von uns sein müssen, denn da gilt es: Was habt ihr, das euch nicht gegeben ist. Und wiederum: Wer hat ihm etwas zuvor gegeben.

Von solcher Freimacht Gottes aber hatte Nicodemus keine andern Begriffe, als daß dieselbige an ihn und an sein Volk gebunden wäre; so daß er die ewige Erwählung, die ewige Gnade und ihre Herrschaft sammt allen Verheißungen Gottes für sich und sein Volk in Anspruch nahm und alle Uebrigen davon ausschloß. Als Same Abrahams, was er doch bloß natürlicher Weise war, voller Ruhm Gottes und des Gesetzes, sich bestrebend in feinem Gottesdienst sich Gotte gleich zu machen durch seine Werke, zu einem Volke gehörig, welches meinte dasselbige zu thun, hielt er es dafür, er wäre ein Erbpächter des Himmels und der Seligkeit, und Gott seie wohl gehalten und verpflichtet ihn selig zu machen. Darum mußte es ihn wundern, von dem Herrn zu vernehmen: du und dein Volk, ihr, die ihr der Meinung seid, ihr seiet bereits lange Kinder Gottes, ihr müsset von neuem geboren sein. Aber, warum wundert dich solches, will der Herr sagen, daß ich das dir vorhalte, auf daß du nicht etwa denkest: was auch Andere nicht sein mögen, so bin ich es doch, und auf daß du aufhörest zu behaupten: blos die Heiden bedürfen einer Wiedergeburt, und diese besteht in einem Umtausch von religiösen Ansichten? - Du würdest dich deß nicht wundern, daß ich zu dir gesagt habe: Ihr, die ihr meinet, ihr bedürfet der Wiedergeburt nicht, müsset von neuem geboren sein, - wenn ihr es eingestehen wolltet, daß es euch nie um wahrhaftige Gnade gegangen. Damit beweiset ihr eben, daß ihr aus dem Fleische geboren seid und nicht aus dem Geiste, denn wie ist der, welcher aus dem Geiste geboren ist? Er, der aus dem Geiste geboren ist, ist ergriffen von der Freimacht der Gnade, solchem wird es nicht in das Herz kommen, daß Gott auch nur in irgend einem Stücke an ihn gebunden wäre. Er hat solch ein tiefes Gefühl seiner Grundverdorbenheit, daß er vor Gott gar kein Rühmens hat und noch viel weniger Ansprüche auf etwas das von Gott ist.

Wie man aber das Sausen des Windes wohl hört, so hatte Nicodemus auch wohl Manches vernommen von der freimächtigen Wirkung der Gnade, was zu seiner Ueberzeugung dienen konnte, und ihm weder Ruhe noch Rast ließ, besonders seitdem Johannes der Täufer gepredigt und auch Jesus das Evangelium des Königreichs der Himmel hatte angefangen zu verkündigen, aber so wenig er wußte, wo der Wind herkam und wo er hinfuhr, eben so wenig wußte er, wie derjenige beschaffen war, der aus dem Geist geboren ist. Woher die Bewegung des Geistes des Lebens, der Freimacht der Gnade bei einem Wiedergebornen wäre, wohin und worauf diese Bewegung aus wäre, darnach konnte er tappen, aber es errathen, es wissen konnte er nicht, so lange er nicht selbst aus dem Geist geboren wäre.

Lasset uns diese Worte zu Herzen nehmen, meine Geliebten! denn es ist nicht um des Nicodemus willen allein geschrieben worden, sondern auch um unsertwillen, wenn der Herr bezeugt: Ihr müsset von neuem geboren sein. So wie es Nicodemus mag gewundert haben, so würde es viele Christen, so würde es Viele unter euch auch wundern, wenn es ihnen vor die Stirn gesagt würde: du mußt noch von neuem geboren sein; -und es wundert Manchen auch manchmal, Wahrheiten zu hören, die ihm allen Boden unter den Füßen wegreißen. Leider ist er schlimm dran, der sich bei aller innerlichen Bestrafung mit Ausflüchten hilft, welche am Ende nur zur Verstockung leiten.

Nicodemus suchte keine Ausflüchte, sondern, bestürzt wie er war, indem er die Wahrheit des Herrn fühlte und es ganz inne war, er und sein Volk seien ohne Gott, ohne wahrhaftiges Leben, ohne Seligkeit, fragt er in Aufrichtigkeit: „wie mag solches zugehen?“ als wollte er sagen: wie ist es denn möglich, daß ich zu einer solchen neuen Geburt, zu der Geburt aus dem Geiste gelange? Nicodemus fühlte sich, wie ein Mensch sich fühlt, dem sein ganzer Weg, welchen er bis dahin gewandelt, um zu Gott zu kommen, abgeschnitten wird. Denn wo Jemand, in der Meinung, er habe bereits so lange mit Gott gewandelt, mit einem Male durch die Macht der Wahrheit davon überführt wird, daß er noch nie Gott gekannt hat; wo er hört, wie die Wahrheit alle solche Dinge für Abgötterei und Fleisch erklärt, über denen er sich glücklich möchte geschätzt haben, wäre er ihnen nur von ferne auf die Spur gekommen, und überselig, wenn er solches erreicht hätte: - da meint er, nunmehr sei alle Seligkeit unmöglich, weil die Seligkeit aus seinen Händen genommen ist. Denn ist es einem Menschenkinde aus den Händen geschlagen, die Seligkeit sich selbst zu schaffen, alsbald entschwindet ihm die Möglichkeit, daß er könne selig werden; denn die den armen Sünder beseligende und den Angefochtenen beruhigende Lehre, daß Gott ohne Werk und Verdienst gerecht und selig macht, ist dem Fleische eine schreckliche Lehre. So wahr ist es, daß der natürliche Mensch, wie weit er auch auf dem Wege der Wahrheit aus Gott vorangeschritten zu sein scheine, nicht annimmt die Dinge Gottes.

Solche Frage aus dem Munde eines Obersten der Juden mußte indeß den Herrn betrüben, darum antwortete er ihm: „Bist du ein Meister in Israel, und weißt das nicht?“ - Das war schrecklich! Darum haben wir es wohl zu Herzen zu nehmen, was der Heilige Geist durch den Apostel Jacobus bezeugt: „Liebe Brüder, unterwinde sich nicht Jedermann Lehrer zu sein; und wisset, daß wir desto mehr Urtheil empfangen werden“. Welch ein Leichtsinn, sich von den Hohenpriestern und Obersten des Tempels zu einem solchen Lehrer wählen zu lassen, der mit Nachdruck „der Meister in Israel“ hieß; es auf sich zu nehmen, ein ganzes Volk, Hunderte, Tausende lehren zu wollen, was vor Gott recht ist, wie man selig wird, und dann nicht mal die Anfangsgründe der Lehre des Heils zu wissen, nicht mal die enge Pforte und das Nadelöhr zu kennen, wodurch selbst kein Seufzer unsererseits durch kann, und wo man dennoch hindurch muß um selig zu werden, - und also die da meinten, sie würden himmelwärts geleitet, in die ewige Verdammung zu führen, das war doch unverantwortlich. Aber der Herr in seiner großen Langmuth, wissend, was Fleisch ist, schlägt nicht mit dem Donner seiner Macht auf ihn ein, sondern richtet an ihn ganz bewegt über das Loos eines Volkes, welches so irre geführt wurde, eine solche Frage, welche den Nicodemus tief beschämen mußte, aber ihn auch um so mehr mit Verlangen erfüllen möchte nach der Geburt aus Gott.

Sollte doch ein jeglicher, bevor er andere lehren will, sich selbst fragen: Ist es Wahrheit vor Gott, was ich da aussage, habe ich es selbst und thue ich selbst darnach? Der Mund, der aus Gott lehren soll, wird von Gott selbst aufgebrochen, und kann nur lehren und bezeugen in Kraft des Heiligen Geistes, nicht aber kraft eines Amts, noch weniger aus Lust den Meister zu spielen, und noch viel weniger um eitlen Gewinnes oder Ehre willen.

In seiner großen Liebe zu den Menschen und wundervollen Barmherzigkeit will der Herr den Nicodemus darüber nicht unwissend lassen, wie solches geschehen könne, daß ein Mensch aus dem Geist geboren werde. Indem der Herr ihm zu gleicher Zeit seine Unwissenheit und Unkenntniß in und von dem Wege des Heils vorhält, bezeugt er es erst dem Nicodemus, woher es kam, daß er und seine Glaubensgefährten nicht aus Geist geboren wären. So spricht er: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wir reden das wir wissen, und zeugen das wir gesehen haben, und ihr nehmet unser Zeugniß nicht an“. Mit seinem: „Wahrlich, wahrlich ich sage dir,“ bezeugt der Herr zum dritten Mal in seiner großen Barmherzigkeit, daß Nicodemus doch ja solches Bezeugen zu Herzen nehmen sollte. Und wenn er spricht: „das wir wissen, reden wir, und das wir gesehen haben, zeugen wir“, so bezeugt er solches von sich und von dem Vater, und ist es eine Redensart, wie wir sie auch u. a. in dem Buche Moses finden. So 1. Buch Moses Cap. 6, V. 5: „Da aber der Herr sahe, daß der Menschen Bosheit groß war auf Erden;“ V. 12: „Da sahe Gott auf Erden und siehe, sie war verderbet.“ So auch bei Babels Thurmbau Cap. 11, V. 5: „Da fuhr der Herr hernieder, daß er sähe die Stadt und den Thurm, die die Menschen gebaut hatten“; und Cap. 18. V. 20, 21: „Es ist ein Geschrei zu Sodom und Gomorra, das ist groß, und ihre Sünden sind fast schwer, darum will ich hinabfahren und sehen, ob sie Alles gethan haben nach dem Geschrei, das vor mich gekommen ist, oder ob's nicht also sei, daß ich's wisse.“ Und wiederum Psalm 14: „Der Herr schauet vom Himmel, daß er sehe, ob jemand klug sei und nach Gott frage.“ Wenn also der Sohn und der Vater reden: sie sind alle abgewichen und allesammt untüchtig; da ist keiner, der Gutes thue, auch nicht Einer, - wenn sie solches reden von allen die unter Gesetz sind, auf daß aller Mund gestopfet werde und alle Welt Gotte schuldig sei, so wissen sie es auch; und wenn sie zeugen: Ihr Schlund ist ein offenes Grab, mit ihren Zungen handeln sie trüglich, Otterngift ist unter ihren Lippen, ihr Mund ist voll Fluchens und Bitterkeit, - so haben sie solches gehört. Solches aber redeten der Vater und der Sohn damals, solches zeugten sie, daß von Israel bei allem Vorwand, daß sie das Gesetz halten wollten, keiner von ihnen das Gesetz hielt, daß vielmehr keiner sich um das Gesetz Gottes kümmerte, sondern jeder unter allem Schein der Frömmigkeit lediglich darauf aus war, seinen eigenen Namen, Willen und Reich zu behaupten, und nur das zu erlisten und zu erjagen, was der Kopf, der Beutel und der Bauch wollte. „Aber unser Zeugniß nehmt ihr nicht an“, spricht der Herr. Daran lag es eben, daß Israel nicht zu der neuen Geburt kommen konnte. Solches Zeugniß verwarfen sie, und es wurde doch nur bezeugt aus lauter Barmherzigkeit, auf daß sie möchten erlöst sein von ihrer Heuchelei und Gleißnerei, von ihrem Selbstbetrug und Scheinheiligkeit, und den Weg des Glaubens Jesu Christi kennen und wandeln, um also Gottes Gebote zu lieben und darnach zu thun in Geist und in der Wahrheit.

An diese Worte des Herrn: „Wir reden, was wir wissen, und zeugen, was wir gehört haben“ will ich etliche Bemerkungen anknüpfen zur Anwendung auf uns selbst.

Wir sind nun alle Christen und Brüder, aber darum gehen wir noch lange nicht alle denselben Weg. Daß uns im Allgemeinen die Grundverdorbenheit und Verlorenheit aufgedeckt wird und die Notwendigkeit der Wiedergeburt aus dem Evangelio gelehrt, wird uns wenig fruchten, wenn nicht jeder für sich die Anwendung auf sich selbst macht und sich die feierliche Frage vorlegt: Bin ich aus dem Geist geboren worden oder bin ich noch Fleisch und ist all mein Thun noch Fleisch? - Wer hier mit seinem „Ja“ schnell fertig ist, der prüfe sich, und wer über dieser Frage bekümmert wird, der strecke sich aus zu Gott. In diesem Thale hat sich die Sache, sowie fast allerwärts in dem Christenthume, umgedreht. Fast alles hält sich für von neuem geboren, fast alle meinen, sie scheuen die Eigengerechtigkeit, fast alle wollen nur wissen von Glauben und von freier Gnade, fast alle wollen arme Sünder sein. Und unter dem Worte von Glauben und freier Gnade, unter dem Worte „armer Sünder“ lebt und webt dasselbe Wesen des Fleisches und der Ungerechtigkeit, welches den Pharisäern eigen war. Was mag davon die Ursache sein? Bei alle dem, was man von dem Sausen des Windes möge gehört haben oder hören, glaubt man nicht, daß der Wind bläset wo er will. Also ist aber derjenige, der aus dem Geist geboren ist, daß er solches glaubt. Ihr wollt mich verstehen, meine Geliebten! Ja, die Vielen von euch werden mich verstehen. Es geht mit einem Menschen nicht gut, wenn er Gottes Gesetz verachtet, wenn er dasselbe übertreten kann, ohne daß ihm das Herz dabei schlägt, ohne daß er hinwegschwindet vor Gottes Wort, ohne daß es ihm wahrhaftig geht um Befreiung von aller Sünde und Leidenschaft. Wer ein armer Sünder ist, ist auch vor Gott in Wahrheit zerknirscht und er demüthiget sich unter Gottes gewaltige Hand. Er hat weder Ruhe noch Rast, bis er von Gott getröstet und aus dem Staube aufgerichtet ist. Das glaubt er von Gottes Gesetz, daß es heilig ist, - das von seinem Gebot, daß es heilig, recht und gut ist. Einem armen Sünder geht es nicht um eigne Ehre, Lust und Willen, nicht um den Beutel oder den Bauch, dem geht es nicht darum, daß er darauf aus sei, was er will, - dem geht es um Gott und um seinen Nächsten. Wer den wahrhaftigen Glauben hat, glaubt, daß der Wind bläset wo er will. Er kann sich nicht verlassen auf das, was er ist oder geworden sei, nicht darauf, daß er ein Christ, daß er bekehrt, daß er begnadet ist, sondern tief gedemüthiget seiner Grundverdorbenheit wegen kann er allein seine Ruhe haben darin, daß der Wind bläset wo er will, das ist, daß die Freimacht der Gnade sich lagert und kräftig erzeigt, wo sie will. Eben in diesem unabhängigen, gnädigen Willen Gottes sieht er seine Seligkeit. Daß die Seligkeit lediglich bei Gott steht, ist eine schreckliche Wahrheit für Alle, die durch etwas in sich Gott an sich gebunden wähnen, aber eine tröstliche Wahrheit für Alle, die nichts in sich finden können, was Gotte als aus ihnen würde angenehm sein können. Aber eben deshalb, weil sie die Freimacht der Gnade Gottes glauben, hält es bei ihnen genau mit dem Gesetze Gottes, nicht um es selbst zu halten als aus sich selbst, sondern um damit vor Gott und ihrem Nächsten in Uebereinstimmung zu sein; in Christo Jesu, in Vereinigung mit ihm suchen sie und finden sie die Frucht des Geistes. Solche können sich nichts anmaßen, sie sind zu Nichte geworden unter Gottes Freimacht, darum haben sie nichts zu sagen. Gott ist ihnen das All.

Es ist nicht einerlei, was man von der freien Gnade glaubt. Wer nur das Sausen davon hört, aber nicht weiß, wo sie her ist, noch wo sie hinfährt, meint wissend und Willens Gott betrügen zu können mit einer Frömmigkeit, welche Gott nicht will. Von dem was Gott will, macht er sich ab unter dem Verwand: es ist alles freie Gnade.

Wer dagegen aus dem Geiste geboren ist, ist ergriffen von der freien Gnade, von der Freimacht Gottes in dem Sinne, daß er wahrlich auf das aus ist, was Gott will, er macht sich nicht davon ab, sondern er verleugnet sich selbst und eigene Gelüste. Er findet aber die Schuld, daß er dem Gesetze Gottes nicht gemäß ist, bei sich selbst, klagt sich selbst an, rechtfertigt Gott, und weil er Gott fürchtet, glaubt er an Christum zu seiner Rechtfertigung und Heiligung. Er kann Gott nicht an sich binden, sondern er fühlt sich gebunden an Gott und sein Wort. -

Darum sind wir glücklich dran, wenn wir in Wahrheit das Zeugniß annehmen, welches Gott von uns zeugt: nämlich daß das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens böse ist von Jugend auf. Denn wer Gott in diesem Zeugnisse glaubt, kann seine ganze Seligkeit nur und lediglich in der freien Gnade gegründet wissen. Denn da ist es lauter Liebe Gottes gewesen, daß er in ihn geblasen den Odem des ewigen Lebens. Und darin ist seine Ruhe, daß Gott die Erde, auch ihn, nicht mehr schlagen will um des Menschen Christi Jesu willen, und um dessen willen auch unserer Untugend nicht mehr will gedenken, sondern sie bedecken mit solcher Gnade.

Sei bei uns dieses Bekenntniß aufrichtig: Nicht uns, nicht uns, Herr, sondern deinem Namen gib Ehre! Amen.

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