Kohlbrügge, Hermann Friedrich - Das Amt der Presbyter - Zweite Betrachtung.

Kohlbrügge, Hermann Friedrich - Das Amt der Presbyter - Zweite Betrachtung.

Das Weiden der Heerde.

1. Petri 5, v. 2. Weidet die Heerde Christi, so euch befohlen ist, und sehet wohl zu, nicht gezwungen, sondern williglich, nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrunde.

In genauerer Uebertragung des Griechischen lauten die Worte also:

Weidet die Heerde Gottes, welche unter (bei) euch ist, indem ihr das Aufseheramt führet nicht aus Zwang sondern freiwillig; auch nicht um schändlichen Gewinn sondern mit Willigkeit.

In dem Worte „weiden“ setzt der Apostel die Gemeine, welche sich nach Außen im geistlichen Kampf befindet, dem Innern nach mitten in den Frieden hinein. Er lenkt die Andacht der Aeltesten vom Kampfe ab und auf den innern Frieden in Christo Jesu. Wunderbare Worte sind's. Es heißt hier nicht: Streitet für die Heerde; es heißt: Weidet die Heerde! Das hat Petrus durch heiligen Geist geschrieben, grade so wie es der Wahrheit nach ist, wo nur das Wort geprediget wird, das Wort welches alles allein thut und die Feinde über den Haufen wirst. Denn: „wenn auch das Meer wallete und wüthete und vor seinem Ungestüm die Berge einfielen; dennoch soll die Stadt Gottes sein lustig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind. - Gott ist bei ihr drinnen, Gott hilft ihr frühe“ (Pf. 46). Und wiederum steht geschrieben: „Groß ist der Herr und hochberühmt in der Stadt unseres Gottes. - Der Berg Zion ist wie ein schönes Zweiglein, des sich das ganze Land tröstet; an der Seite gegen Mitternacht liegt die Stadt des großen Königes. Gott ist in ihren Palästen bekannt, daß er der Schutz sei. Denn siehe, Könige sind versammelt, und - mit einander vorüber gezogen. - Gott erhält diese Stadt ewiglich“ (Ps. 48). Aelteste, welche wünschen treu erfunden zu werden, wissen an diesen Worten ein für allemal was sie fortwährend, was sie namentlich unter Kreuz und Verfolgung zu thun; was sie, wenn sich Löwen, Wölfe und Bären zeigen die an die Schafe wollen, anzufangen haben, um auf geistliche Weise solche Ungeheuer in die Flucht zu treiben oder zu zerreißen. Das Einzige was sie zu thun haben ist: die Heerde weiden. Die Sache ist schwer und unmöglich wenn Aelteste meinen, selbst etwas thun zu können oder thun zu müssen; sie ist aber leicht und es geht von selbst, wenn sie glauben, daß die Heerde nicht ihrer, sondern Gottes ist. In gleichem Sinne redet auch der Apostel Paulus von dem „weiden der Gemeine Gottes, welche er durch sein eignes Blut erworben hat“ (Apg. 20, 28). Er, der sie durch sein eignes Blut erworben hat, schützet und erhält sie wohl, und wird sich ein theuer erkauftes Eigenthum nicht nehmen lassen; nur soll sie geweidet werden, und eben das ist der Aeltesten Berufung. Er, der die Heerde sich geschaffen, läßt auch für sie das grüne Gras wachsen. Die Aeltesten mögen sich wohl tausendmal unter einander zurufen: Weidet die Heerde, d. i.: Bleibet selbst in der Weide, verlasset sie um keinen Preis, bleibet bei der Heerde und haltet sie zusammen in der Weide, haltet sie daselbst zusammen, wo das grüne Gras ist, das der Herr hat wachsen lassen. Das ist die wahre Klugheit und die rechte Kriegskunst; alles Uebrige thut Gott, und hat wohl einen zweiten Löwen bereit, um den ersteren der an die Schafe will, zu zerreißen. Sobald sich der Hirte aus der Weide begibt, ist er verloren und wenn er die Schafe nicht in der Weide hält, sind die Schafe verloren. In Zeiten von Noth und Gefahr, von Trübsal und Verfolgung pfeifen kluge Hirten ihren Schafen den 45. Psalm vor und halten auf das Wort: „Wenn Menschen wider dich wüthen, so legest du Ehre ein, und wenn sie noch mehr wüthen, so bist du auch noch gerüstet“ (Ps. 78). Der höllische Sanherib will die Weide für sich haben, um auf Kosten der Schafe Aufschub von Strafe zu finden, und wenn eine Strafe kommt, die Schafe Gottes, dem er ein geschworner Feind ist, mit ins Verderben zu schleppen. Darum sollen die Hirten auf ein Drohen nicht achten, sondern in der Weide bleiben und daselbst die Schafe zusammenhalten. Die Weide ist das Wort; das ist die liebliche Oase in der Sandwüste der Welt, wo die Schafe sicher sind und sich in stolzer Ruhe lagern können, und sich satt essen, wenn es die hungert - erhebe sich auch um die Weide her der gräßlichste Sturm. Aber erst die Weide, das ist das Wort, dann die Heerde, dann die Aufseher der Heerde. Denn also sollen sie die Heerde weiden, daß sie nur von der Weide, d. i. von dem Worte zeugen, und so wahre Bischöfe seien bei der Heerde, d. i. daß die Aufsehen haben auf die Heerde Gottes, wie der Apostel schreibt: „Indem ihr wohl zusehet,“ das ist: das Aufseheramt führet. Das Aufsehen besteht also darin, daß die Schafe mitten in der guten Weide gehalten werden, und kein Schaf sich hart an die Seite oder außer die Weide begebe, damit es nicht von dem Feind erhascht werde. Darum heißt es: So habt nun Acht auf euch selbst und auf die ganze Heerde, unter welche euch der Heilige Geist zu Bischöfen (Aufsehern) gesetzt hat (Apg. 20, 28) und was allen Vorstehern eines Hausstandes gilt, gilt auch gewiß den Hirten der Heerde Christi: Auf deine Schafe habe Acht und nimm dich deiner Heerde an (Spr. 27, 23). Indem der Apostel den Aeltesten zuruft: Habt Aufsehen auf die Heerde, so liegt es ihm ferne zu denken, er müsse kommen um selbst des Aufseheramtes zu warten; denn er maßt sich keine Autorität über die übrigen Bischöfe oder über die Heerden an. Er bezeichnet diese Heerde als die, „die unter (bei) euch ist,“ „die ihr vor euren Augen habt,“ und damit gibt er für alle Zeiten den Aeltesten wohl zu bedenken, daß ihre Sorge auf die Gemeine, so vor ihnen ist, gerichtet sein soll. Ein Wink für solche Aelteste, die die ihnen befohlene Gemeine versäumen, so daß ihnen das Angesicht der ihnen vertrauten Schafe größtentheils unbekannt bleibt. Während die Nacht und Tag arbeiten und Stadt und Land umziehen, um, wie sie ausposaunen, die zerfallene Hütte Davids aufzubauen, und die ganze Welt zu evangelisiren, lassen fiel ihr eigenes Haus zusammenfallen. So soll es aber nicht sein und darum die Wörtlein: welche unter euch ist. Wer über eine Stadt gesetzt ist, der trage Sorge für seine eigene Stadt, so wird sie wohl werden eine Stadt auf einem Berge, und andern Städten ein Licht werden. Wer aber seinem eignen Hauswesen nicht weiß vorzustehen, und begibt sich, weil ihm solches zu gering, zu eng oder zu schwer vorkommt, in andere Häuser, daselbst sich zu gut zu thun, der hat den Glauben verleugnet und ist schlimmer als ein Heide. Indem der Apostel weiter schreibt: Die Heerde Gottes, oder wie Etliche lesen: Die Heerde Christi, macht er darauf aufmerksam, daß es nicht seine oder ihre Heerde ist. Er setzt dieses „Gottes“ hinzu, um den Aufsehern erstlich das hohe Gewicht ihres Berufs einzuschärfen, auf daß sie wissen, wem sie Rede zu stehen haben, wenn durch ihre Nachlässigkeit. Eins der Schafe, für welches doch Christus gestorben ist, umkommt. Zum andern, um ihnen einen hohen Muth zu machen, auf daß sie sich befleißigen, sich Gott zu erzeigen als rechtschaffene und unsträfliche Arbeiter, die da recht theilen das Wort der Wahrheit (2 Tim. 2, 15). Drittens, daß sie nicht außer Acht lassen die Gabe, die ihnen gegeben ist durch die Weissagung mit Auflegung der Hände der Aeltesten (1 Tim. 4, 14). Viertens, daß sie vor Gott als aus Gott reden die Dinge Gottes und die Sache der Gemeine vor Gott mit vielen Gebeten führen. Fünftens, daß sie sich durch die Liebe Christi dringen lassen, das Leben und den Tod, den Fluch und den Segen der Gemeine vorzuhalten; den Gerechten zu predigen: daß sie es gut haben, und den Unbekehrten: daß es ihnen übel ergehen wird - demnach Buße und Glauben zu predigen; die Gemeine Gottes mit der Liebe Christi zu umfassen, stets eingedenk, welche Barmherzigkeit ihnen selbst widerfahren ist. Endlich, sich für die Schafe vor den Riß zu werfen, ihr eignes Leben in keinem Stück zu achten, und nicht laß zu werden das Evangelium zu predigen und zu strafen, was der heilsamen Lehre zuwider ist (Tit. 1, 9; 2. Tim. 2, 25. 26), auch daß sie selbst in dem Wandel keusch und in der Lehre gesund seien, und so die Schafe bei guter Gesundheit halten. Die Aeltesten sollten demnach als treue Hirten der Schwachen warten, die Kranken heilen, das Verwundete verbinden, das Verirrte holen und das Verlorne suchen und der Schafe pflegen, wie es recht ist (Ez. 34). Sie sollen die Ungezogenen vermahnen, die Kleinmüthigen trösten, die Schwachen tragen und geduldig sein gegen Jedermann (1 Thess. 5, 14). Und wo sich die Wölfe zeigen, seien sie auch noch so grimmig, da sollen sie nicht fliehen, wie die Miethlinge thun. Es gefällt dem heiligen Geist die Dinge Gottes und Christi und seiner Gemeine unter den lieblichsten Bildern darzustellen; so namentlich unter dem Bilde von Heerde und Hirt. Unser Herr nennt sich selbst den guten Hirten, er spricht: „Meine Schafe hören meine Stimme.“ Er verheißt: Es wird Ein Hirte und Eine Heerde sein (Joh. 10). Von ihm steht geschrieben: Er wird seine Heerde weiden wie ein Hirte, er wird die Lämmer in seine Arme sammeln und in seinem Busen tragen (Jes. 40). Manchmal wird er angerufen als der Hirte Israels und als der große Menschenhüter (Pf. 80, 1; Hiob 7, 20 vergl. Ps. 121, 4). Es wird von ihm bezeugt: Du führet dein Volk wie Schafe (Pf. 77). Zu seinem Volke spricht er: Ihr nun, ihr Schafe, ihr Schafe meiner Weide, ihr seid Menschen, aber ich bin euer Gott (Ez. 34). Er legt seinem Volke, das sich zu ihm bekehrt, das Bekenntniß in's Herz: Wir alle gingen in der Irre wie Schafe (Jes. 53) und: Ich bin wie ein verlornes und verirrtes Schaf (Ps. 119, 176). In dem hundertsten Psalm spricht die Gemeine: Bekennet, daß der Herr Gott ist, Er hat uns gemacht, und nicht wir selbst, zu einem Volk und zu Schafen seiner Weide (vergl. Ps. 95, 7). Zu den treulosen Aeltesten aber, zu ihnen deren Bauch ihr Gott geworden und die um ein Stück Brod die Sache des Herrn verrathen, und nichts darnach fragen, daß die Schafe, so bei ihnen sind, des Herrn Eigenthum sind, ist dies das Wort des Herrn: „Wehe euch Hirten, die ihr die Heerde meiner Weide umbringet und zerstreuet, spricht der Herr“ (Jer. 23). „Der Schwachen wartet ihr nicht, und die Kranken heilet ihr nicht, das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holet ihr nicht und das Verlorne suchet ihr nicht“ (Ez. 34, 4). „Sie treten nicht vor die Lücken und machen sich nicht zur Hürde um das Haus Israel und stehen nicht im Streit am Tage des Herrn“ (Ez. 13). „Sie halten unter den Heiligen und Unheiligen keinen Unterschied, und lehren nicht was rein oder unrein (Ez. 22,26). Meine Schafe sind zerstreuet als die keinen Hirten haben, und allen wilden Thieren zur Speise geworden und gar zerstreuet und gehen hin und wieder auf den Bergen und auf den Hügeln und sind auf dem ganzen Lande zerstreuet und ist Niemand der nach ihnen frage oder ihrer achte. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Maul, daß sie sie forthin nicht mehr fressen sollen. Ich will es mit ihnen ein Ende machen, daß sie nicht mehr sollen Hirten sein und sollen sich nicht mehr selbst weiden“ (Ez. 34, 5. 6. 10). Dies ist das Wort des Herrn zu seiner Heerde: „Ich will mich meiner Heerde selbst annehmen und sie suchen. Wie ein Hirte seine Schafe suchet, wenn sie von seiner Heerde verirret sind. Ich will das Verlorne wieder suchen und das Verirrte wieder bringen und das Verwundete verbinden und des Schwachen warten und was fett und stark ist, will ich (nicht „behüten“ wie in unserer Uebersetzung steht, sondern) zu nichte machen, und will ihrer (der Schafe) pflegen wie es recht ist. Ich will sie auf die beste Weide führen, sie werden in sanften Hürden liegen und fette Weide haben auf den Bergen Israels. Ich will selbst meine Schafe weiden und Ich will sie lagern. Ich will ihnen eine berühmte Pflanze erwecken, daß sie nicht mehr sollen Hunger leiden im Lande. Ich will ihnen einen einigen Hirten erwecken, der sie weiden soll, meinen Knecht David (Christum), der wird sie weiden und soll ihr Hirte sein (Ez. 34, 11. 12. 16. 14. 15. 29. 23). „Und ich will euch Hirten geben nach meinem Herzen, die euch weiden sollen mit Lehre und Weisheit (Jer. 3, 15). „Ich will Hirten über sie setzen, die sie weiden sollen, daß sie sich nicht mehr sollen fürchten noch erschrecken, noch heimgesucht werden“ (Jerem. 23). Vor solchen Worten sollten sich die treulosen Aeltesten billig entsetzen. Wo sie sich aber schmeicheln, daß sie dennoch kein Unglück sehen werden, obschon sie den Trunkenen thun zu dem Durstigen und Laster und Feier vereinigen, oder einen fremden Altar setzen in Gottes Haus und den Altar des Herrn besonders, um denselben zu befragen im Nothfall; so sollen sie doch wissen, daß stets, bevor sie es vermuthet, des Herrn Wort in Erfüllung gegangen: „O Götzenhirten, die die Heerde lassen, das Schwert komme auf ihren Arm und auf ihr rechtes Auge. Ihr Arm müsse verdorren und ihr rechtes Auge dunkel werden“ (Sach. 11, 17).

Dagegen wird es zu den treuen Hirten und Aeltesten, die ihr Pfund nicht in ein Schweißtuch gethan noch vergraben haben, und haben nicht sich selbst, sondern die Schafe gesucht, heißen: „Ei, du treuer Knecht, du bist über Wenigem getreu gewesen, ich will dich über Vieles setzen, gehe ein in die Freude deines Herrn.“ Das Aufseher-Amt enthält aber so vieles in so vielen Beziehungen, daß wir es uns nicht versagen können, darüber eine besondere Anweisung später hinzuzufügen. Bleiben wir jetzt zunächst bei den Worten des Apostels stehen, wo er von dem Aufsehen sagt: Es soll nicht gezwungen geschehen. Das will sagen, daß wir uns dabei nicht als von einem Gesetz der Werke sollen treiben lassen. Wo Aelteste sich von dem Müssen, von Furcht der Strafe, von der Angst sonst nicht treu erfunden zu werden, zur Ausübung ihres Amtes treiben lassen; wo sie sich treiben lassen von dem Gedanken, Gott und die Gemeine gleichsam dadurch sich zu verpflichten, in der Weise daß Gott ihnen Dank, ja die ewige Seligkeit sollte schuldig sein für ihre vermeinten Aufopferungen, für ihre Darbringung der Gesundheit und der Ruhe: da können sie nicht anders als sich aufblähen und Tyrannen sein bei Gott und seiner Gemeine. Denn steckt einer in dem Wahne, er thue solches alles für Gott und die Gemeine und er entziehe sich manchen Genuß, den er sonst haben könnte, so werden Gott und die Gemeine wohl vor ihm weichen müssen, wo er hinkommt, und ihm ein sanftes Pfühl, bereiten, daß er sich nachher drauf bette, und lohne ihm damit, daß Alle sagen: Heiliger Vater, segne mich! Da kann es nicht anders sein als daß solch' einer der Erste sein will, und daß er sein Thun anerkannt wissen will; er lügt daß er nichts dafür nehmen will, bis er eine goldene Rechnung schreiben kann und er wird zum Blutegel. Denn es ist nicht anders: was sich als vom Gesetz treiben läßt, ist wie ein solches Gesetz. Man wird nicht ruhen, bis man alles unter sich gebracht hat, und wenn man es völlig unter sich gebracht hat, dann läßt man es umkommen. Man schilt sich selbst; man weiß nichts und thut nichts Rechtes, wie man sagt; es soll immerdar besser gethan sein, und man dringt Gott und Menschen seinen Dienst und seine Werke auf und leidet keinen Tadel. Man will. Alles thun und ist froh wenn man nichts zu thun braucht. Menschen die aus dem Aufseher-Amt oder Bischof- Sein ein „Müssen“ machen, kommen bald in den Wahn, sie seien mehr als gewöhnliche Bischöfe, sie seien an Gottes. Statt. Sie fordern für ihr Dienen die Herrschaft, hören auf mit Dienen, breiten ihre Herrschaft mehr und mehr aus und bedienen sich zuletzt solcher Herrschaft um Gott und dem König zu fluchen, und das liebe Land und ganze Familien in Blut und Thränen zu tauchen. Entweder sie müssen herrschen oder - sollen sie zu Grunde gehen - sie reißen. Alles mit zu Boden. Ihre Hülfe und Kraft steht in des Teufels Namen, und in den Aberglauben der Seelen der Ungläubigen, die keinen Widerstand in sich haben gegen den Willen des Bösen. - Alle die da gezwungene Aufsicht haben, scheinen freilich im Anfang die willigsten Leute. Die ganze Welt soll es wissen, was sie vorhaben. Sie wollen alles reformieren, alles bekehren, allerwärts alles Krumme grad machen. Da sollen nun alle Gleichgesinnte helfen. Sie zaubern den Leuten Himmelsschlösser vor, die leer stehen und bevölkert werden sollen. Und ein Zauberer thut alles für Geld - Geld ist aber nicht da, so muß denn die Börse. Anderer herhalten; man heiligt sich, man reinigt sich, man nimmt andere Geberden an als andere Menschen haben, zieht ein anderes Habit an als andere Menschen tragen. So beginnt denn der Bau auf dem Morast eigener verborgener Gelüste und Bestrebungen, durch eigene Werke bei Gott Scheuel und Greuel gut zu machen, und wird gelobt, bis er endlich einstürzt; und alsdann sagen die Menschen: Es ist nichts gewesen, und morgen treibt das „Müssen“ wieder zu einem derartigen neuen Bau. Es bleibt ein zu beachtendes Ereigniß in der Geschichte der Menschheit, daß die Juden vor achtzehn Jahrhunderten Land und Meer umreiteten um einen Judengenoffen zu machen, daß sogar ihre Missionare Teufel austrieben, und daß sie dabei ihren König und Heiland verwarfen und von ihm aussagten: Er habe den Teufel. Das ist die Wirkung der Triebfeder „ich muß.“ - Wo es ein „Müssen“ ist, da ist die Triebfeder bald gebrochen, und das Rad ist aus dem Gange. Man kann sich vieles auferlegen, vieles durchmachen und aushalten, es ist aber keine Geduld Christi da, sondern ein Umsichschlagen, oder man läßt sterben was da stirbt. Hingegen wo das Aufseher-Amt nicht nach Fleisch, welches immerdar nur Feindschaft gegen Gott ist und darum nur tyrannisiert, sondern nach Geist von Statten geht, da geschieht es am Glauben und da dringet nur die Liebe Christi. Da ist aber erst ein Sich-Sträuben, wie bei Petro zu Joppe, wie bei Moses und bei Jeremias, als Gott sie rief. Wo es williglich von Statten geht, da scheint's wohl, als wäre nur Unwille da; man fühlt sich geschlagen und gestraft durch solche apostolische Worte, denn es ist alles. Machtlosigkeit und Untüchtigkeit was am Menschen ist, und er schreit ein „Wehe mir“ aus und ein „Wer ist hierzu tüchtig?“ Denn das Aufsehen auf die Heerde ist ein fortwährendes auf einer Hut stehen, ein zu Felde liegen, ein Hüten in der Nacht, in Kälte und Frost, ein nie aufhörendes in den Streit gehen. Das Fleisch und Blut der Heerde bequemt sich schwerlich zu dem ewigen Gut. Fortwährend müssen allerlei Sünden und Aergernisse mit dem Worte niedergehalten, allerlei Steine aus dem Wege geräumt werden. Der Teufel hört nicht auf, um die Heerde her zu sein und lauert darauf, in derselben Verwüstung anzurichten. Die Aufseher haben Gut und Ehre, Leib und Leben, Weib und Kind dran zu setzen, und so haben sie des Amtes durchweg unter vielen Thränen, Gebeten und Seufzern zu warten. Da ist denn oft Unmuth im Innern und man möchte davon laufen, oder schweigen von der Gnade und einen Mund sich stopfen lassen; man klagt mit dem Propheten: Ich dachte, ich arbeitete vergeblich und brächte meine Kraft umsonst und unnützlich zu. Die das Gesetz „hier ein wenig, da ein wenig“ predigen und mit den Werken umgehen, die Gott nicht geboten hat, scheinen gute Ernte zu haben, dagegen muß derjenige, der das Evangelium predigt, sich als aller Leute Fußwisch behandeln lassen. Als ein Sünder muß derjenige gerichtet werden, der den einzigen Weg zeigt, von der Sünde in Wahrheit abzukommen, und es scheint oft alle Mühe des Säemanns, der den Samen säet und nicht Unkraut, verloren zu sein. Wer möchte da sich nicht lieber verschließen und keinen Laut mehr von sich vernehmen lassen und sich weit wegmachen von den Menschen? - Aber was treibt, daß man es doch williglich und gar nicht gezwungen thut? Es wird wie ein brennendes Feuer in den Gebeinen, und da ist das Müssen nicht von Seiten des Menschen, sondern von Seiten Gottes, so daß es den Aeltesten geht, wie der Herr zu Petro sagte: Wenn du alt wirst geworden sein, werden dich. Andere binden und bringen, wo du nicht hin willst. Was man thun will, thut man nicht, und was man nicht will, soll man ausrichten, und hinkommen, wohin man nicht wollte, und Dinge aussagen, woran man nicht gedacht; - daß der ganze Leib, daß Herz und Seele scheinbar gezwungen und doch williglich sich bewegen nach dem der Herr der Gemeine will. Da ist es aber aus mit dem Ruhm der Aeltesten, und wird allein der Herr geehrt, wie der Apostel Paulus schreibt an die Corinther am 9ten: „Daß ich das Evangelium predige, darf ich mich nicht rühmen, ich muß es thun. Und wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte. Thue ich es gerne, d. i. williglich, so wird mir gelohnet, thue ich es aber ungerne, so ist mir das Amt doch befohlen.“ Und: „Wiewohl ich frei bin von Jedermann, so habe ich mich doch selbst Jedermann zum Knechte gemacht, auf daß ich ihrer Viele gewinne. Ich bin Jedermann allerlei geworden, auf daß ich allenthalben ja Etliche selig mache. Solches aber thue ich um des Evangeliums willen, auf daß ich einer theilhaftig werde.“ - Was heißt das, des Evangeliums theilhaftig werden? Selbst arm, elend, nackend, blind, aussätzig, hart krank sein, mit Teufel und Welt, Noth und Tod ringen, und dann Andern die frohe Botschaft von Gnade bringen, dann Oel gießen in brennende Wunden, dann trösten mit dem Trost, womit man selbst getröstet ist, dann das Heilmittel bringen den Todeskranken, dann erzählen bei den Elenden aus eigener Erfahrung, wie herrlich der Herr den Elenden hilft. Kann man so geschäftig sein, ohne Tag für Tag mit theilhaftig zu werden der Kraft der Stärkung des Lebens, welche das mitgetheilte Evangelium ausduftet? Es begibt sich doch wohl kein Mephiboleth gezwungen an des Königs Tafel. Wo das Aufseher-Amt nicht freiwillig, sondern aus Zwang geführt wird, da ist eine andere Triebfeder vorherrschend, von der alle Schriften und die gesammte Kirchengeschichte Zeugniß geben: der Geiz oder die Geldliebe. So wie der Prophet klagt: „Ihre Häupter richten um Geschenke, ihre Priester lehren um Lohn und ihre Propheten wahrsagen um Geld, verlassen sich auf den Herrn und sprechen: Ist nicht der Herr unter uns.“ So wird später von der strengsten Sekte des Gottesdienstes der Juden, den Pharisäern, gesagt: „Sie waren geizig.“ Des Geizigen Regieren ist aber eitel Schaden (Jes. 32) und der Apostel Paulus verlangt von einem Aufseher, er soll nicht sein: geizig. So wie der Heilige Geist es allenthalben bezeugt, daß geizige Aelteste zu nichts taugen, so sollen wir auch wohl beachten, daß Er grade dem Apostel, dessen Autorität so ausdrücklich vorgeschützt wird, die Worte eingegeben, welche nunmehr in unserm Texte folgen: Auch nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrunde. Es ist ein falscher Hirte, der es gezwungen thut und will dem Herrn Gott etwas aufdringen von einem Dienst, den Gott von seinen Händen also nicht fordert. Es ist ein falscher Hirte, der Willigkeit heuchelt und hat doch ein verzagtes Herz, so daß er seine Hand zurückzieht sobald er merkt, daß dabei das sichtbare Durchkommen Gefahr läuft. Dabei verachtet er des Herrn Gebot: Welcher sich fürchtet und ein verzagtes Herz hat, der gehe hin und bleibe daheim, auf daß er nicht auch seiner Brüder Herz feige mache, wie ein Herz ist (5. B. Mose 20). Es ist ein falscher Hirt, der um der Mächtigen willen und weil die ihn treiben, die Aufsicht über die Heerde auf sich nimmt; ein solcher Hirte wird nie bestehen, wo der Wolf sich zeigt, ein solcher Hirte wird vielmehr selbst zum Wolf, zu einem, der der Schafe hütet um der Wolle und der Milch willen, und also darin seinen Gewinn sucht, daß er der Gemeine vorsteht, nur um den Bauch zu weiden. Das ist ein wahres Laster, das von dem Herrn gestraft wird, wie wir solches lesen bei den Propheten und Aposteln. So spricht der Herr zu solchen Aeltesten oder Aufsehern: „Sollen nicht die Hirten die Heerde weiden? Aber ihr fresset das Fette und kleidet euch mit der Wolle, und schlachtet das Gemästete, aber die Schafe wollt ihr nicht weiden“ (Ez. 34). „Wehe euch, die ihr Kiffen machet den Leuten unter die Arme und Pfühle zu den Häuptern, beides Jungen und Alten, die Seelen zu fangen! Wenn ihr nun die Seelen gefangen habt unter meinem Volk, verheißet ihr denselben das Leben, und entheiliget mich in meinem Volk um einer Hand voll Gerste und Bissen Brodes willen, damit, daß ihr die Seelen zum Tode verurtheilt, die doch nicht sollten sterben, und urtheilet die zum Leben, die doch nicht leben sollten, durch euer Lügen unter meinem Volk, welches gerne Lügen hört“ (Ez. 13, 18. 19). „Die Propheten, so darinnen sind, haben sich gerottet, die Seelen zu fressen wie ein brüllender Löwe, wenn er raubet; sie reißen Geld und Gut zu sich“ (Ez. 22, 25). „Sie, die Hirten, wissen keinen Verstand; ein Jeglicher siehet auf seinen Weg, ein Jeglicher geizet für sich in seinem Stande. Kommt her, laßt uns Wein holen und voll saufen; und soll morgen sein wie heute, und noch vielmehr“ (Jes. 56). „Wehe euch,“ heißt es im Evangelio, „ihr Heuchler, die ihr der Wittwen Häuser fresset, und wendet lange Gebete vor, darum werdet ihr desto mehr Verdammniß empfangen.“ „Wehe euch, ihr Heuchler, die ihr verzehntet die Mint, Till und Kümmel, und lasset dahinten das Schwerste im Gesetz, nämlich das Gericht, die Barmherzigkeit und den Glauben“ (Matth. 23). „Thue dich von solchen (Menschen)“ schreibt der Apostel Paulus an Timotheus, „die da meinen, Gottseligkeit sei ein Gewerbe. Es ist aber ein großer Gewinn, wer gottselig ist und läßt ihm genügen. Denn wir haben nichts in die Welt gebracht, darum offenbar ist, wir werden auch nichts hinaus bringen.“ - Geiz d. i. Geldliebe, ist eine Wurzel alles Uebels. Wenn wir aber Nahrung und Kleidung haben, so lasset uns begnügen“ (1 Tim. 6). So wie die Pharisäer geizig waren, so alle die es als aus den Werken des Gesetzes suchen, wie sie vor Gott gerecht werden; sie sind und bleiben geizig. Und das ist der Fluch der Habsucht, daß man sich trotz dem fromm dünkt, und läßt lieber den Namen des Herrn schänden und die Seelen verderben, als daß man einen Groschen sollte verloren geben; der schändliche Gewinn ist da, aber man läßt sich dessen durch den Geist nicht strafen, sondern will ein mildthätiger und barmherziger Herr heißen. - Daran liegt es denn auch, daß tausende von Aufsehern diese apostolischen Worte gelesen und ausgelegt haben ohne die Anwendung auf sich zu machen. Daraus erklärt es sich, wie es eine Stadt in der Welt geben kann, wo man von jeher Kaufmannschaft getrieben mit den Seelen der Menschen, und das Gras war nicht für die Schafe, sondern wurde abgemäht zum Staat und Pracht derer, die mehr sein wollten als solche Bischöfe, wie sie der Heilige Geist in der Gemeine anstellt. Wunder, daß es von jeher so Viele gegeben, die Aufseher wurden um daran ein Gewerbe zu haben; solche können ihre Geschichte lesen in dem Buch der Richter Cap. 17 und 18. Für sie bedarf es der Auslegung nicht dessen, was die fünf Daniten sagten zu dem Leviten Micha's: „Schweige, und halte das Maul zu, und ziehe mit uns, daß du unser Vater und Priester feist. Ist dir's besser, daß du in des einigen Mannes Hause Priester feist, oder unter einem ganzen Stamm und Geschlecht in Israel? Das gefiel dem Priester wohl“ (Cap. 18, 19. 20). Und doch würde auch dieser Priester, der sich davon machte mit den sechshundert Daniten und zu gleicher Zeit ein Dieb wurde, an Andern die sogenannte Simonie gestraft haben wollen! Daß man Vieles kann gesehen und mit erlebt haben von den Wundern Gottes, davon auch Vieles Andere kann zu erzählen haben, ja eines Propheten Gehülfe und gleichsam die rechte Hand sein in dem Aufsichthaben über die Heerde, und daß man sich doch durch Begierde nach schändlichem Gewinn kann einpacken lassen, ersehen wir aus dem Beispiel von Gehasi (2 Kön. 5, 21-27). Wir wollen hier nicht erwägen das furchtbare Loos und die Verblendung des Propheten Bileam, der doch mitzog, da Balak vortrefflichere Gesandte und noch kostbarere Geschenke ihm zu den Füßen legte und der im Neuen Testament dreimal als Warnungstafel aufgestellt wird (2 Petri 2, 15; Judä v. 11; Offenb. 2,14); auch nicht erwähnen der Beispiele, welche uns an Judas Ischarioth und Simon dem Zauberer zur Warnung vorgehalten werden. Der Mensch sich selbst überlassen, kann als Aufseher nicht die Schafe suchen, denn er hat sie nicht gekauft, sondern nur die Wolle und die Milch, und er nimmt es so genau nicht, wenn er nur für sich eine fettere Weide bekommen kann. Er nimmt es so genau nicht, wenn er die Schafe schindet um mit einem Theil ihrer Wolle und mit ihrem Blut Götzenbilder auszustatten, oder aus den Knochen der Schafe einen Kirchthurm zu bauen; er meint, die Schafe sterben und der Thurm bleibt in Ewigkeit. Er nimmt es so genau nicht, wenn er goldene Kirchen baut, ob auf der Schwelle Schafe vor Hunger umgekommen sind. Er nimmt es so genau nicht, daß er sich von dem, was er von den Schafen hat, in Ueberfluß wälzt, und den Schafen zu essen gibt, wovon ihnen der Mund und die Zunge anschwillt, wie der Herr spricht bei dem Propheten (Ez. 34, 18): „Ist es nicht genug, daß ihr so gute se: habt, Und so überflüssig, daß ihr es mit Füßen tretet; und so schöne Börne (Brunnen) zu trinken, so überflüssig, daß ihr darein tretet und sie trübe machet?“ Nur am Glauben geschieht's, daß man nichts sucht, als daß es den einzelnen Gemeinen wohl ergehe nach Seele und Leib, und überlasse den Lohn seiner Arbeit dem Oberhirten. Er, der gesagt hat: „Du sollst dem Ochsen nicht das Maul verbinden, der da drischet;“ und: „Ein Arbeiter ist seines Lohnes werth;“ wird wohl königlich und wenn man sich's am wenigsten versieht, für die treuen Aufseher seiner Heerde Sorge tragen (1 Cor. 9,9, Luc. 10,7). Und so werden denn Aelteste nur am Glauben von Herzensgrunde die Aufsicht halten über die Heerde Gottes. Von Herzensgrunde, das ist: Sie fahren nicht mit einem Wagen in die Weide, den Schafen ihr Gras unter den Zähnen wegzuschneiden, um den eignen Wagen zu füllen, sondern tragen Sorge, daß nur die Schafe gute Weide finden. Sie kommen nicht mit einem leeren Beutel, diesen von den Gemeinen gefüllt zu bekommen; ihr Schatz ist der Herr und ihr Gut liegt in seinem Wort. Sie kommen aber mit vollem Herzen, wenden allen Fleiß nur darauf an und sind auf nichts Anderes aus, als daß es den Schafen wohl ergehe. - Sie sind väterlichen und mütterlichen Herzens gegen die Schafe, die alle gleichsam ihre Kinder sind. Es ist die Liebe der Mutter da, welche obschon arm, viel eher sieben Kinder mit Decken versieht, als daß eins ihrer Kinder es ihr würde thun können. Das ist aber eine Liebe, welche in den Abgrunde geboren ist und ist aufgekommen aus der Tiefe eigener Verlorenheit; solche Liebe wird sich als Herrin zeigen gegen die, welche an die Gemeine wollen. Den Kindern ist sie Mutter; sie ist ihnen wie eine Gluckhenne um unter ihre Flügel zu bergen alle die ihr Gott gegeben hat; wie der Apostel Paulus bezeugt: „Ich suche nicht das Eure, sondern euch. Denn es sollen nicht die Kinder den Aeltern Schätze sammeln, sondern die Aeltern den Kindern“ (2. Cor. 12, 14). So ist denn die Herrschsucht ferne von ihr, wovon nunmehr der Apostel bittet, daß die Aeltesten sie sich nicht möchten zu Schulden kommen lassen, indem er schreibt: Nicht als die über das Volk herrschen.

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