Humburg, Paul - Die ganz große Liebe - Ein harter Mann

Humburg, Paul - Die ganz große Liebe - Ein harter Mann

„Und als er nahe zum Hause kam, hörte er das Gesänge und den Reigen; und rief zu sich der Knechte einen und fragte, was das wäre.“ (V. 25–26)

Alles atmete Freude, alles klang wider von Liedern und Lobgesängen im Hause des Vaters, der seinen verschollenen Sohn wiederhatte, alles war in Sonnenschein getaucht. Nur draußen vor der Tür lag eine schattige Ecke. Da stand ein stummer Mann. Da sah man eine finstere und harte Miene. Der ältere Bruder des Heimgekehrten forschte bei einem Knecht, indem er auf den Lärm des Festes wies, „was das wäre“. Ach, wir kennen ja die harten und scharfen Mienen der Leute, die sich darüber ärgern, wenn sie hören, dass einer sich seines Heilands freuen lernte. Wie kritisch können sie dann blicken! Wie ätzend und spöttisch kann ihre Frage klingen: „Was ist das, Bekehrung? Ich bin mehr für Bewährung! Bewährung ist wichtiger als Singen.“ Und was sie sonst noch hinzufügen. Nein, sie können sich durchaus nicht freuen bei der allgemeinen Freude über die Heimkehr des verlorenen Sohnes.

Ratlos stand der Knecht vor diesem harten Mann. Er sah wohl die Wolke des Unmuts auf der Stirn des jungen Herrn, und er wollte nun mit seiner Antwort es möglichst freundlich gestalten und möglichst die Liebe in diesem steinharten Herzen wecken: „Dein Bruder ist gekommen.“ Na, das fehlte noch! Da kannte er den älteren Sohn schlecht. Er wollte ihn freundlich stimmen, indem er sagte: dein Bruder! Wie sollte das in ihm nicht alle Gefühle der Liebe wecken? Und er fuhr fort: „Dein Vater hat ein gemästetes Kalb geschlachtet, dass er ihn gesund wiederhat.“ Ganz harmlos sagte das der Knecht, und auch in seinem Angesicht strahlte die Freude wider, die das ganze Haus ergriffen hatte: Wir freuen uns eben, weil dein Bruder wieder da ist. So einfach war der Bericht und herzandringlich. Sollte der ältere Bruder sich nicht freuen, dass er den jüngeren wiederhatte? Und wenn er sich selbst nicht freuen konnte, sollte er sich dann nicht um des Vaters willen wenigstens mit ihm freuen? Hätte er nicht schon längst allerlei versuchen müssen, um seinen verirrten Bruder in der Ferne zu suchen und zur Heimkehr zu bewegen? Es war doch sein Bruder! Ihm gegenüber konnte er doch nicht gleichgültig sein!

Ein Mann kam von ungefähr hinzu, als bei einem Kanalbau ein Menschenauflauf zu beobachten war, und erfuhr, dass einer von den Arbeitern verschüttet worden war. Auf einmal erkannte ihn einer der Männer unten im Kanal und rief ihm zu: „Hier unten liegt dein Bruder!“ Ihr hättet sehen müssen, wie der Mann seinen Rock abwarf und wie schnell er bei den andern Arbeitern war und zur Schaufel griff, um seinen Bruder auszugraben. Es war doch sein Bruder! Hätten nicht ähnliche Gefühle auch den älteren Sohn im Gleichnis bewegen müssen?

„Da ward er zornig.“ Mein Bruder? Ich habe keinen Bruder mehr. Ausgesprochen oder unausgesprochen, so war der Sinn seiner Antwort. Wie hart sind wir oft gegen andere! Ich habe keinen Sohn mehr, keine Tochter mehr! So hat mancher Vater sein verlorenes Kind von sich gestoßen. War das recht? Wenn Gott so hart mit uns wäre, wo sollten wir bleiben? Ich beneide dich harten Mann nicht um deine Verantwortung an jenem Tage.

In der Ablehnung des älteren Sohnes lag aber noch mehr. Er ist ein Abbild derer, die sich darüber ärgern, dass ein Sünder nach Hause kommt. Man stößt sich daran, dass solche verkommene Menschen bei Gott angenommen werden, und so schnell und so einfach und so auf einmal! Unsereiner plagt sich ein Leben lang und ist doch nie froh und dessen gewiss, ob er selig wird. Und diese Leute wollen so schnell und einfach und leicht das Heil ergriffen haben?! Leicht? Ach, sie wissen nichts von der Not des Gewissens vorher und von der tiefen Demütigung. Darum wissen sie auch nichts davon, was es heißt, wenn Gott uns die Last abnimmt, und sie ärgern sich über die Rettung der Verlorenen.

Prüfen wir uns selbst, auch die Jesu Jünger sind: wie manchmal sind wir doch recht kritisch und fast verstimmt darüber, wenn wir einen fröhlich rühmen hören, wie der Herr ihn angenommen hat. Vielleicht besinnen wir uns bald. Aber etwas von dieser mürrischen, stolzen Art steckt in uns allen. Das aber ist gewiss: Wer in dieser Stellung verharrt, die der ältere Bruder einnahm – solche Leute kommen nicht in Gottes Himmel. Im Himmel ist Freude über einen Sünder, der Buße tut. Da kann man keine Leute gebrauchen, die „aber“ sagen und zornig werden, wenn ein verlorener Bruder heimkehrt. Daran kann sich mancher prüfen, ob für ihn Hoffnung sei. Wer sich hier darüber ärgert, dass Sünder gerettet werden, für den ist sicher in Gottes Himmel kein Platz.

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