Hofacker, Ludwig - Predigt am fünfundzwanzigsten Sonntage nach Trinitatis

Hofacker, Ludwig - Predigt am fünfundzwanzigsten Sonntage nach Trinitatis

Von der Bekehrung

Text: Luc. 13,1-9.

Es waren aber zu derselbigen Zeit Etliche dabey, die verkündigten Ihm von den Galiläern, welcher Blut Pilatus sammt ihrem Opfer vermischt hatte. Und JEsus antwortete, und sprach zu ihnen: Meinet ihr, daß diese Galiläer vor allen Galiläern Sünder gewesen sind, dieweil sie das erlitten haben? Ich sage: nein; sondern, so ihr euch nicht bessert, werdet ihr Alle auch also umkommen. Oder meinet ihr, daß die achtzehn, auf welche der Thurm in Siloah fiel und erschlug sie, seyen schuldig gewesen vor allen Menschen, die zu Jerusalem wohnen? Ich sage: nein! sondern so ihr euch nicht bessert, werdet ihr Alle auch also umkommen. Er sagte ihnen aber dieß Gleichniß: Es hatte Einer einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem Weinberge; und kam, und suchte Frucht darauf, und fand sie nicht. Da sprach er zu dem Weingärtner: Siehe, ich bin nun drey Jahre lang alle Jahre gekommen, und habe Frucht gesucht auf diesem Feigenbaum, und finde sie nicht; haue ihn ab, was hindert er das Land? Er aber antwortete, und sprach zu ihm: Herr, laß ihn noch dieß Jahr, bis daß ich um ihn grabe, und bedünge ihn, ob er wollte Frucht bringen; wo nicht, so haue ihn darnach ab.

Zwey Mal ruft der Heiland in unserem heutigen Evangelium aus Veranlassung der Nachricht von dem gewaltsamen Tode der Galiläer, die von Pilatus umgebracht wurden, und Derer, die von dem Thurme in Siloah erschlagen wurden, unter Seine Zuhörer hinein: „so ihr euch nicht bessert oder bekehret, so werdet ihr Alle auch also umkommen.“ Ich nehme daraus Veranlassung, mit euch unter dem Beistande Gottes zu reden: Von der Bekehrung.

Wir wollen

  • I. sehen, was es heiße, sich zu bekehren;
  • II. wie nothwendig es für einen Jeden sey, daß er sich bekehre.

I.

Woher kommt es doch, liebe Zuhörer, daß es Wörter und Benennungen gibt, die gewissen Menschen ganz unerträglich sind? So ist es mit dem Worte: sich bekehren. Es gibt Leute, welche ein wahrer Eckel überfällt, wenn sie dieses Wort nur aussprechen hören. Sich bekehren - ach, dieß Wort hat für sie eine gehässige Bedeutung, und deßwegen lassen sie ihren Eckel davor entweder grob oder fein hervortreten. Bey Manchen erzeugen dergleichen Zumuthungen, sie sollen sich bekehren, nur einen geheimen Widerwillen, und da wissen sie bisweilen diesem Widerwillen einen recht schönen Namen zu geben; sie sagen: es sey wider den guten Ton, solche Worte und Redensarten zu gebrauchen, es sey mystisch, einseitig, und was dergleichen mehr ist; man fühlt ihnen aber an, daß sie mit dergleichen Ausflüchten nur die Sache vom Halse schaffen wollen, damit die Wahrheit derselben nicht zu viel Eindruck auf ihr Herz mache. Woher kommt doch diese Erscheinung? Wenn sich Einer ja nicht bekehren, oder nicht einmal in diese Begriffe eingehen will: so könnte man denken, er lasse die Menschen reden, was sie wollen, und gehe ruhig seines Weges fort; statt dessen aber wird er durch solche Worte gereizt, geärgert; es regt sich ein Grimm, ein Widerspruchsgeist in ihm; man fühlt es ihm an, er sträubt sich mit aller Macht dagegen, und will dergleichen Worte auf sich eindringen lassen. Woher kommt das? Es kommt wohl nirgends anders her als von der Macht der Wahrheit. Ein einziges Wörtlein, aus der Wahrheit genommen, ist im Stande, ein ganzes Gebäude von Entschuldigungen, von Vorwänden, die man sich selber vorhält, womit man sein inneres und äußeres Leben beschönigt, niederzureißen und umzustürzen, und wer darum nicht aus der Wahrheit ist, das heißt, wer keine Wahrheit sucht oder will, sondern sich in seiner selbstgeschaffenen Lüge gefällt, der wird solche Stimmen nicht hören mögen, weil sein innerster Geist, der in der Tiefe um Erlösung ruft, dem Worte Zeugniß gibt, und dasselbige versiegelt, der Mensch also dadurch in Widerspruch und Zwiespalt mit sich selbst geräth, da er doch ruhig in seinem alten Wesen fortfahren, und sich sorglos dem verderbten Willen seines Fleisches überlassen möchte.

Zudem machen wir ja auch die Erfahrung an Kindern Gottes, daß sie Worte, welche gegen Gott und gegen das Leben aus Ihm sind, z.B. schmutzige, schandbare und schlechte Reden, nicht hören mögen, daß sie dergleichen als einen Greuel fliehen, wenn es möglich ist. Dieß hat doch nirgends seinen Grund, als weil der Geist, so in ihnen wohnt, ein Geist der Zucht und der Liebe, ein Geist Gottes ist, der auch treu genug ist, die Seelen zu warnen und zu bewahren vor Befleckung und Verunreinigung. Ebenso hat es auch seinen guten Grund, warum gewisse Menschen nichts Gutes hören können und wollen, namentlich keine Ausdrücke, welche auf eine Aenderung des Herzens und des Sinnes, oder auch auf ein neues göttliches Leben hinweisen; es hat seinen guten Grund, warum der Unglaube unserer Zeit besonders über die Ausdrücke: Wiedergeburt, Bekehrung, Leben aus Gott, Buße, Erneuerung des Sinnes u.s.w. hergefallen ist, und für diese Ausdrücke entweder neue und elende Begriffe erfunden hat, oder dieselben gerade in das Reich der Mährchen verwiesen, in die Klasse der Hirngespinste, der Fabeln hineingeworfen hat. Es mögen allerdings Manche ganz falsche Begriffe von der Bekehrung und eine Menge Vorurtheile haben, und dadurch sich einigermaßen bewogen finden, so zu reden und zu schreiben, wie sie es thun; aber der Hauptgrund ist und bleibt doch immer der: der, so in ihnen ist, der Geist des Argen, der Geist des Fürsten dieser Welt, der da herrschet in den Kindern des Unglaubens, wehrt und sträubt sich gegen Wahrheiten, die ihn aus den herzen der Menschen verdrängen, und ihm seine Wohnung rauben könnten. Ja, lieber Mensch, rechne sicherlich darauf, daß es vom Teufel ist, und daß in dir die Werke des Teufels noch nicht zerstört sind, seine Burgen und Festungen in dir noch nicht zertrümmert und gestürzt sind, wenn du evangelische Grundwahrheiten von der Erlösung Christi, von der Bekehrung, von der Wiedergeburt, vom Blute des neuen Bundes nicht hören magst, oder wenn sich noch etwas Widriges dagegen in deinem herzen reget.

Mag es aber dem Satan gefallen oder nicht, ich will jetzt unter dem Beystande des Heilandes von der Bekehrung reden. Was heißt nun: sich bekehren? Das Wörtlein: sich bekehren, bedeutet eigentlich dem Wortsinne nach: umkehren zu etwas, und so ist die eigentliche Bedeutung des Worts: zu Gott umkehren, sich zu Gott wieder wenden. So bekehrete sich der verlorene Sohn, als er sich entschloß, zu seinem Vater umzukehren, zu sehen, ob er etwa bey ihm wieder angenommen werde. Wenn Jemand, der die Welt lieb hat, und das, was von der Welt ist, Augenlust, Fleischeslust, hoffärtiges Leben, der von den irdischen Dingen durch die Gewalt und Anziehungskraft, die sie auf sein Herz ausübten, gefesselt ist, wenn ein Solcher seinen Irrthum einsiehet, und wendet sich zu Gott, und läßt sich von der Lust zu diesen Dingen befreien durch Den, Der die Menschen frey machen kann durch den Sohn, und erlangt Lust und Freude am Unsichtbaren, und die himmlischen Dinge sind sein Element, sind der Schatz, wo sei Herz ist, wie es vorher die irdischen Dinge waren, so sagt man ihm: er habe sich bekehret. Wenn Jemand mit größerem oder geringerem Bewußtseyn seiner Schuld sein herz an diese oder jene Dinge hängt, und macht sie zu seinen Götzen, und verstrickt sich durch die Kräfte der Finsterniß, durch die Bezauberungen Satans in allerhand verbotene ungöttliche Herzensgedanken und Meinungen hinein, und sein Sinn klebt an Etwas, das nicht Gott ist; und ein Solcher macht sich sodann durch die Kraft Gottes auf, zerreißt in solcher Kraft diese Stricke, durch welche er gefesselt war, und erwählt sich den lebendigen Gott zu seiner einzigen Stütze, zu seiner einzigen Lust und Freude, so kann man von ihm mit Recht sagen: er hat sich bekehret. Bekehrung heißt also, daß ich es kurz sage, diejenige Veränderung im Menschen, wodurch er seinen von Gott abgewendeten Willen dem HErrn wieder zuwendet, und aus der Gewalt der Finsterniß errettet wird, zu dienen dem lebendigen Gott. Das ist also keine Bekehrung, wenn ein Mensch alt wird, und seine Leidenschaften schweigen, und die Sünde verläßt ihn, und er beginnt ein geordneteres Leben. Das ist auch keine Bekehrung, wenn Einer als Mann das unterläßt und sich dessen schämt, was er als Knabe und Jüngling gethan hatte. Das ist auch keine Bekehrung, wenn Einer um des Amtes, um der Ehre, um des Ansehen willen, in welchem er bey Menschen steht, in manchen Dingen ernsthafter wird. Das ist auch keine Bekehrung, wenn Einer aus der Verschwendung in den Geiz hineingeräth, oder aus der offenbaren Rachsucht und Feindschaft um des guten Namens willen, oder aus List und Weltklugheit in heimlichen Neid und heimliche Tücke umschlägt, als einen Teufel durch den andern austreibt. Endlich ist auch das keine Bekehrung, wenn Einer, der vorher der Sünde und dem Wesen dieser Welt sehr bloß stand, sich in sich selbst zurückzieht, und im Stolze eine eigene Tugend und Gerechtigkeit aufzurichten strebt, in welchem er sich, wie er vorher in den Dingen dieser Welt sich gefallen hatte, wieder gefallen und sein Eigenes suchen könnte. Das sind Veränderungen, aber keine Bekehrungen; es ist dieß nur ein Tausch der Sünde mit der andern. Es ist nicht genug, daß eine Sünde in ihren groben oder feinen Ausbrüchen aufhöre; das entgegengesetzte Gut muß dafür in das Herz hineinkommen, also statt der Zornsucht muß Sanftmuth, statt des Stolzes muß Demuth, statt der Habsucht muß thätige Liebe, statt der Trägheit muß Fleiß in guten Werken, statt der Wollust muß Keuschheit und Reinheit des Herzens in uns Platz gewinnen, statt einer Werkstätte des Satans muß das Herz ein Tempel Gottes werden, statt des Bildes Adam’s und des Schlangengebildes muß Christus eine Gestalt gewinnen, statt ein Knecht der Sünde zu seyn, muß der Mensch ein Knecht und ein Eigenthum Gottes werden. Das heißt sich bekehren, das ist die Bekehrung, welche der Heiland im heutigen Evangelium fordert. Natürliche Gutmüthigkeit, äußere Rechtschaffenheit und Rechtlichkeit thun nichts zur Sache; es muß etwas Neues, ein Geistesleben im Menschen aufgehen; eine neue Geburt muß mit ihm vorgehen, sonst bleibet der Zorn Gottes über ihm.

Aber eine solche Bekehrung erfolgt nicht anders, denn durch den wahren und lebendigen Glauben an Christum. Er ist der Anfang und das Ende jeder wahren Bekehrung, der Anfänger und Vollender des Glaubens; in der Bekehrung zu Ihm liegt der Unterschied zwischen einem rechtschaffenen Heiden und einem Christen, der ein Christ in der That und Wahrheit ist, der aus dem Maul- und Kopf-Christenthum heraus-, und in das wahre Wesen der Wiedergeburt eingeführt worden ist. Wenn eine Seele sich in ihrer Hülflosigkeit erkennt; wenn sie höret, daß Alle, die da wollen selig werden, sich bekehren müssen, und sie findet in sich die Merkmale dieser Bekehrung nicht, und sie wird verlegen darüber; wenn sie anfängt, an ihrem bisherigen Thun und Treiben zu verzagen, ob es auch dem HErrn wohlgefällig gewesen sey; wenn sie inne wird, was sie vorher nicht gewußt hatte, daß sie eigentlich keinen Gott hat, und bisher ohne Gott in der Welt gelebt hat, liebe Zuhörer, wenn solche Erkenntnisse in einem Herzen aufgehen, dann, dann ist es abgesehen auf eine wahre Bekehrung, dann darf man gewiß seyn, daß der Anfänger des Glaubens in ihr Glauben schaffen, und ein neues göttliches Leben in ihr gründen wolle. Ist nun die Seele treu mit den empfangenen Gaben, fliehet sie zu Christo, bittet sie Ihn: bekehre Du mich, so bin ich bekehret, - läßt sie sich durch keine Hindernisse, durch keine Schwierigkeiten von Ihm abtreiben, drängt sie sich immer näher und inniger zu Christo, dem Fels des Heils, hin, und läßt den HErrn nicht, bis sie in Seiner Nägel-Maal’ erblicket ihre Gnadenwahl, bis sie Frieden findet in Seinen Wunden, und ihres Heiles gewiß wird: so ist sie bekehret, und kein Satan und kein Mensch kann ihr ihre Bekehrung streitig machen, ja, sie weiß es dann gewiß, so gewiß als sie weiß, daß sie lebt: sie weiß es, daß sie einen Heiland hat, daß von Ihm sie nichts mehr scheiden kann.

Es ist freilich in unserer Zeit aufgekommen, von der Bekehrung zu reden und zu schreiben, aber ohne Christus, als ob es genug seyn, sich einen Vorsatz, einen Gedanken in den Kopf zu machen: ich will anders werden, ich will mich bessern, heute will ich Dieses, morgen will ich Jenes ablegen u.s.w., bis ich rein bin, Alles ohne göttliche Kraft, Alles ohne Den, der von sich gesagt hat: „ohne Mich könnet ihr nichts thun.“ Es ist aufgekommen, daß man viel geredet und geschrieben hat von der Kraft zum Guten, die der Mensch von Natur in sich habe, Alles zum Schimpf und zur Schmach des Leidens und Sterbens und des Verdienstes Christi, daß man den armen Seelen statt des Kraft gebenden und beseligenden Evangeliums elende Sittenregister ohne Grund vorgehalten, und, weil man die Schwäche der menschlichen Natur nicht kennt, den armen Menschen zugemuthet hat, sie sollen Gebote halten, welche doch solche Dränger, die solche Zumuthungen machten, selbst mit keinem Finger noch angerühret haben. man hat Sanftmuth gefordert von der armen menschlichen Natur, und doch ist das Herz des Menschen voll Zorn und Bitterkeit; man hat Herzensreinheit gefordert, und doch ist das Gift der Sünde durchaus hindurchgedrungen; man hat Liebe gefordert, und doch haben wir gar keinen Funken wahrer göttlicher Liebe von Natur; man hat Barmherzigkeit und Verläugnung des Irdischen gefordert, und doch ist der Geiz, die Anhänglichkeit an das Irdische, bey jedem Menschen mit der tiefsten Tiefe seines Herzens verwachsen. Ach, das Wort Gottes fordert ja diese Tugenden auch; aber es kennt auch unsere Schwachheit, die böse, arge Art unsers Herzens. Darum sagt es uns, wo wir Kraft, wo wir Lust zum Ueberwinden des Bösen, wo wir die Quelle aller Tugenden entdecken können, wo das erstorbene und in Sünden todte Herz leben, göttliches Leben erlangen kann. Von dieser Quelle aber sagen die blinden Leiter der Blinden nichts, weil sie in ihrer Blindheit den Eckstein verworfen haben, und meinen, etwas Rechtes dagegen gefunden zu haben.

O, nach dieser Quelle haben schon vor Christo viele rechtschaffene Heiden gesucht und geforscht, gedürstet und geseufzet, und uns ist sie so nahe gelegt. Sie ist nämlich Niemand anders als JEsus Christus selbst, der Lebendige, in welchem alles Heil ist; es sind die Heilsbrunnen, die in Ihm eröffnet sind; es ist der Friede Gottes, welcher von Seinem Kreuze her wehet. Das ist der Anfang, das Mittel und das Ende der Bekehrung, auf diesen Grund muß der Mensch kommen.

Der Grund, auf den ich gründe,
Ist Christus und Sein Blut
Das machet, daß ich finde
Das ew’ge wahre Gut.
An mir und meinem Leben
Ist nichts auf dieser Erd’.
Was Christus mir gegeben,
Das ist der Liebe werth.

Und wer so zu Christo kommt und läßt sich gründen auf Ihn, und wurzelt auf Ihm, der findet in Ihm Alles; er findet seine Weisheit in Ihm, er findet seine Gerechtigkeit in Ihm, er findet seine Heiligung, und endlich auch seine Erlösung.

II.

Eine solche gründliche Bekehrung zu Christo ist das Allernothwendigste für einen Menschen in dieser Welt. „So ihr euch nicht bekehret, so ihr euch nicht gründlich bessert, so werdet ihr Alle umkommen“, sagt der Heiland zu den Juden im heutigen Evangelium. Ich sage es für Jeden, und sage es mit Gewißheit, unter uns Allen ist keine Seele, und wenn sie ein Tugendbild wäre von Natur, oder vielmehr zu seyn schiene; es ist keine einzige Seele unter uns, die sich nicht bekehren müßte, wenn sie selig werden will. Zwar ist es allerdings etwas Schönes um natürliche Gutmüthigkeit, um äußere Rechtschaffenheit und Rechtlichkeit; es ist etwas um die Bewahrung der Unschuld; es ist eine große Gnade Gottes, wenn der HErr einen Menschen vor groben Ausbrüchen der Sünde bewahret; aber ihr Alle, die ihr dieses große Glück genießet: so ihr euch nicht bekehret, so werdet ihr Alle umkommen, wo nicht hienieden, doch vor Dem, welcher Augen hat wie Feuerflammen, vor dem göttlichen Gerichte. Der Heiland sagt in unserem heutigen Evangelium nicht: du Galiläer, du Jude, der du dich der Ehrbarkeit, der Gerechtigkeit befleißigst, darfst dich nicht bekehren, sondern Er sagt allgemein und geradehin: „so ihr euch nicht bekehret, so werdet ihr Alle umkommen“, und nach dem Inhalte der heiligen Schrift dürfen und müssen wir diese Worte auch auf uns anwenden. Denn wir liegen Alle unter dem Zorn Gottes, und wer nicht in Christo erfunden wird als eine lebendige Rebe am Weinstock, der bleibet unter dem Zorn, und wird darunter bleiben in alle Ewigkeiten, und wird in seinen Sünden sterben und verloren gehen.

Wir sind Bäume, gepflanzt in den Garten Gottes; und in so fern hat der HErr ein Recht an uns, Früchte von uns zu fordern. Sehet, der himmlische Weingärtner hat bis jetzt Alles an uns gewendet; Er hat uns aus der Wildniß der Natur heraus in Seinen Weinberg, unter die Arbeit Seiner Gnade versetzt; Er hat mit aller Treue und Sorgfalt unserer gewartet; es ist keine Seele unter uns, an die Er nicht Seine pflegende und erziehende Hand gelegt hätte durch die Taufe und den lebendigen Samen des Wortes Gottes. Wie oft schon hat der große Gott einen Gang zum heiligen Abendmahl bey einer Seele benützt, um ihr näher zu treten und sie zu Sich zu ziehen; wie oft hat Er schon einen Stein in den Weg gelegt, den Weg mit Dornen vermacht, daß man Seine Stimme vernehmen soll: „kehre wieder, du Abtrünniger!“ Es ist gewiß keine Seele unter uns, welcher es nicht schon einmal offenbar geworden wäre in ihrem Gewissen: du mußt anders werden, du mußt dich bekehren, wenn du in den Himmel kommen willst. Was geht nicht oft in den frühesten Schuljahren, was oft bey der Confirmation, was oft nicth auf Sündenwegen, was bey dieser oder jener Veranlassung vor in den Herzen der Menschen, woraus sie abnehmen können, daß die Stimme des Geistes auch sie gewarnt, und auf das Eine, was Noth ist, hingewiesen habe. Also Bekehrung von den Götzen zu dem lebendigen Gott fordert der HErr von uns, und Er hat das Recht dazu. Denn saget mir, was der HErr unterlassen hat an jedem Einzelnen unter uns? Was konnte der Weingärtner, von dem Jesajas im 5. Kapitel schreibt, mehr thun an Seinem Weinberge? Was kann Gott mehr thun? Er hat uns Christum geschenket als unsere Versöhnung; JEsus Christus ist gekommen, und hat Sich schlachten lassen als das Lamm Gottes, das unsere und der ganzen Welt Sünde hinwegnahm, und dieses unverdiente Geschenk Seiner Gnade läßt Er uns durch Seine Knechte noch immer verkündigen, und nicht nur das, Er gibt uns im heiligen Abendmahl Sein Fleisch und Sein Blut zu genießen, um uns noch in nähere Verbindung mit Seinem Tod und Leben zu bringen. Was kann man doch mehr thun? Saget selber, hat Er nicht das volle Recht dazu, Früchte, Früchte der Buße und Bekehrung von uns zu erwarten?

Und nun frage dich: hast du sie auch gebracht? Merke wohl, nicht Blätter, nicht nur Früchte, die an dich, als einen wilden Baum, gleichsam hingebunden sind, sondern Früchte, die der Heiland Seinem himmlischen Vater darbringen kann, und die aus Ihm, aus Seinem Lebenssaft herausgewachsen sind.

Liebe Zuhörer, es ist wahrhaftig nicht ausgerichtet mit dem Hören und Gernehören des Wortes Gottes; es ist nicht ausgerichtet mit dem Schwatzen vom Christenthum; es ist nicht ausgerichtet mit dem Thun, wie wenn man sich bekehren wollte, und sich doch nicht bekehrt; es ist nicht ausgerichtet mit ein paar herzlosen: „Gott sey mir Sünder gnädig!“ – nein, du mußt wahrhaftig in den Ernst der Wiedergeburt hinein; du mußt eine Rebe werden an dem Weinstocke Christus; du mußt dich wahrhaftig, nicht bloß mit Worten, sondern in der That und Wahrheit bekehren; sonst nützt dich die ganze Anstalt Gottes in Christo JEsu nichts, sondern du bist und bleibst ein unfruchtbarer Baum, zu dem der HErr über kurz oder lang kommen und sprechen wird: es ist mir überdrüssig, diesen Baum noch länger in meinem Garten zu sehen; hauet ihn ab, was hindert er das Land? Der feste Grund Gottes bestehet und lautet also: „der HErr kennet die Seinen; aber er wird Seine Tenne fegen und die Spreu sondern vom Waizen, und die Spreu mit ewigem Feuer verbrennen.“ Ach, wer glaubt es doch? Der Lichtsinn ist zu groß; Satan macht die Menschen leichtsinnig und sorglos, daß sie es nicht glauben, daß sie sich darüber keine Rechenschaft geben, wie es mit ihnen steht. O, wenn wir es nur auch wenigstens einmal zu einer nüchternen Untersuchung darüber kommen ließen! Seele, was bist du? bekehrt oder unbekehrt? – wiedergeboren oder unwiedergeboren? ein Baum der Gerechtigkeit oder der Ungerechtigkeit? ein Heuchler? ein Weltmensch? in Christum gewurzelt und gegründet? oder ein Rohr, das der Wind umherweht? Ach, wie schrecklich ist es, wenn erst der Tod kommt, wenn die Lüfte der Ewigkeit dir den Grund umwehen, auf den du dich verlässest; armer, eingebildeter Mensch, wie schrecklich ist es da, keinen festen Halt, keinen Felsengrund zu haben!

Denn das ist sicher, wenn wir nicht Pflanzen der Gerechtigkeit werden, und Früchte tragen in Geduld, Früchte der Buße und Bekehrung, so ist uns nichts übrig als ein schreckliches Warten des Gerichts Gottes, das die Gottlosen verzehren wird. „Siehe, ich bin drey Jahre lang gekommen, und habe vergeblich Früchte gesucht vom Baume“ – sagt der HErr in unserem Evangelium – „haue ihn ab, was hindert er das Land?“ Liebe Zuhörer! wir haben ein großes Beispiel von der schrecklichen Gerechtigkeit Gottes an Jerusalem und dem Volke Israel. Gott hatte gerade eben so viel an sie gewendet als an uns: aber sie blieben in ihrem verstockten Sinn. Da ist das Wort des Heilandes in Erfüllung gegangen, das Er ausrief in unserem Evangelium: „so ihr euch nicht bessert und bekehret, so werdet ihr Alle auch also umkommen.“ Solche Beispiele stellt Gott in die Geschichte hin, damit wir die Häupter aufheben, und ein Jeder sich warnen und strafen lassen solle.

Freilich, der Heiland weinte über Jerusalem; und auch im Gleichniß unsers heutigen Evangeliums offenbart Er etwas von der unaussprechlichen Geduld und Langmuth Gottes, der, wie der Herr auf die eingelegte Fürbitte des Weingärtners hört, so auch auf die hohepriesterliche Fürbitte des Heilandes achtet, zuwartet und Gnadenfrist gibt. Das Herz des Heilandes ist noch voll Zärtlichkeit und Geduld und Barmherzigkeit; so sucht Er noch jetzt durch Seine hohepriesterliche Fürbitte die strafende Gerechtigkeit Gottes aufzuhalten, um die Sünder wo möglich zur Buße zu kehren. Dieser Fürbitte JEsu haben wir Alles es zu danken, daß wir noch leben, noch in der Gnadenzeit stehen. Siehe! daher kommt es, daß du noch stehest, alter Sünder, obgleich reif für die Hölle; daher kommt es, daß du noch die unaussprechliche Gnade genießest, das Evangelium zu hören; daher kommt es, daß Er dich mit manchen Leiden heimsucht; daher kommt es, daß es dir oft deutlicher als je wird: ich muß anders werden; daher, weil der heilige Weingärtner die Axt, die schon an die Wurzel der Bäume gelegt ist, aufgehalten, dir Buß- und Gnaden-Frist erbeten hat, und nun Alles anwendet, um och Früchte der Buße aus dir herauszulocken. „Ich will ihn umgraben und ihn bedüngen“, spricht Er im Evangelium. O welche Treue! Solch’ ein unfruchtbarer Storre sollte ja längst weggerafft seyn.

Aber durch dieses Hohepriesterthum Christi wird die Gerechtigkeit Gottes nicht zerstört. Denn der Hohepriester selbst gesteht nach dem Gleichniß zu, daß ein unfruchtbarer Baum des Abhauens würdig ist, und sagt selber, wenn er denn nach der Gnadenfrist keine Frucht trage, dann soll er umgehauen werden. Zuletzt offenbart sich doch Gottes rächender Arm; so hat er sich bewiesen an Jerusalem, so hat er sich schon an Tausenden bewiesen, und so wird er sich ferner noch beweisen. Am Tage des Zorns wird kaum der Gerechte bestehen; wo soll aber der Ungerechte bleiben?

Darum zu Christo hin, aus der Lauheit heraus, aus dem Leichtsinn heraus, aus dem Maulglauben heraus; denn es wird wahrlich anders gehen, als wir nach unsern weichlichen und bequemen Gedanken glaubten! Amen.

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