Heliand - 55 - Christus auf dem Oelberg.

Heliand - 55 - Christus auf dem Oelberg.

Da erhob sich der Herliche in dem Hause dort,
Der Nothhelfer Christ, und gieng in die Nacht hinaus,
Er selbst und die Gesellen. In Schmerzen schritten,
In großem Jammer die Jünger Christs,
In wehem Muthe. Er wollt auf den hohen Berg
Der Oelbäume: auf ihn war er gewohnt
Mit den Jüngern zu gehen. Das wuste Judas wohl,
Der bösherzige Mann, der auf dem Berg oft mit ihm war.
Da grüßte der Gottessohn seine Jünger so:
„Ihr seid nun betrübt meinen Tod zu wißen,
Jammert und grämt euch, und die Juden sind in Lusten.
Das Volk freut sich, frohlockt und jubelt,
Die Welt ist voll Wonne. Doch wenden wird sich das
Sehr geschwinde: dann wird schwer das Herz
Jenen und jammervoll, wenn ihr jubeln sollt
Einst am Ewigkeitstage; denn Ende kommt dann nicht
Noch Wende eures Wohls. Drum laßt dieß Weh euch nicht schmerzen,
Meine Hinfahrt nicht härmen, denn Hülfe kommt davon
Den Erdegeborenen.“

Da gebot er den Jüngern
Auf dem Berge zu warten: zum Gebete woll er
Auf dem Holmhange noch höher steigen.
Dreie hieß er dann Der Degen mit ihm gehen,
Jacobus und Johannes und den guten Petrus,
Den dreistgemuthen Degen. Mit ihrem Dienstherrn
Giengen sie gerne. Da hieß sie der Gottessohn
Auf dem Berge oben zum Gebet sich neigen,
Gott grüßen und inbrünstig begehren,
Daß er sie schirme vor des Versuchers Kraft,
Der Widrigen Willen, daß ihnen der Widersacher nicht,
Der Meinthäter möchte den Muth verkehren.
Auch neigte sich selber der Sohn des Herrn,
Der Kräftige zum Kniegebet, der Könige Mächtigster,
Vor sich fallend den Vater aller Menschen
Grüßt' er, den guten, mit jammernden Worten,
In tiefer Trauer. Sein Herz war betrübt,
Nach seiner Menschheit das Gemüth ihm bewegt.
Sein Fleisch war in Furcht, ihm entfielen Thränen,
Sein theurer Schweiß enttroff wie Tropfen Bluts
Aus Wunden wallen. Im Widerstreit waren
Dem Gotteskinde Geist und Leib:
Der eine gern bereit den Heimweg zu gehn,
Der Geist zu Gottes Reich; aber in Jammer stand
Christi Leib: dieß Licht ließ er nicht gerne,
Bangte vor dem Tode. Im Gebet zu dem Herrn
Rief er mehr und mehr den Mächtigen an,
Den hohen Himmelsvater, den heiligen Gott,
Den Waltenden, mit den Worten: „Mögen anders nicht werden
Erlöst die Menschen und muß ich laßen
Das liebe Leben für der Leute Kinder
In entsetzlichen Schmerzen, so geschehe dein Wille!
Dann will ich ihn kosten, den Kelch, und leeren
Ihn dir zu Ehren trinken, mein Herr, mein theurer
Schirm- und Schutzherr! Sieh nicht auf meines
Fleisches Wohlfahrt, da ich erfüllen soll
Deinen weisen Willen: du hast Gewalt über Alles!“

Er erhob sich und gieng zu den Jüngern hin,
Die er auf dem Berge gelaßen. Der Geborne des Herrn
Fand sie in Sorgen schlafen: das Herz war ihnen schwer,
Daß der liebe Herr sie verlaßen sollte.
So wird das Gemüth bewegt der Menschen Jeglichem,
Wenn er verlaßen soll den geliebten Herrn,
Von dem guten scheiden. Da sprach zu den Jüngern
Der Waltende, und weckte sie mit diesen Worten:
„Wie dürft ihr nun schlafen? Mögt ihr nicht mit mir
Eine Weile wachen? Das Wehgeschickt naht,
Da es so ergehen soll, wie es Gott der Vater,
Der Mächtige, maß. Mir wankt der Muth nicht,
Mein Geist ist ergeben in Gottes Willen,
Und fertig zur Fahrt: nur das Fleisch ist schwach,
Der Leib will mich nicht laßen, ihm ist es leid,
Dieß Weh zu tragen. Doch den Willen soll ich
Meine Vaters erfüllen. Habt festen Muth!“

Da gieng er aber, zum andern Male,
Den Berg hinauf, zu beten dort,
Der mächtige Herr, und sprach da noch manche
Der guten Worte. Gottes Engel kam jetzt,
Der heilige, vom Himmel, sein Herz zu festigen,
Für die Bande zu stärken. Im Gebet fuhr er stäts
Fort mit Fleiß und rief den Vater an,
Den Waltenden, mit den Worten: „Wenn es unwendbar ist,
Allmächtiger Herr, daß ich für dieß Menschenvolk
Den Tod ertragen soll, so getrau ich deinen
Willen zu wirken.“

Wiederum gieng er dann
Seine Gesellen suchen, und fand sie schlafen,
Grüßte sie jählings und gieng zum drittenmal
Auf den Berg zu beten, und sprach, der Gebieter,
Dieselben Worte ,der Sohn des Herrn,
zum allwaltenden Vater wie er zuvor gethan.
Er mahnte den Mächtigen an der Menschen Heil
Nachdrücklichst, der Nothhelfer Christ,
Und gieng zu den Jüngern und grüßte sie:
„Schlaft ihr und ruhet? Nun wird er schleunig
mit Kraft hieher kommen, der mich verkauft hat,
Den sündelosen verrathen.“

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/h/heliand/heliand_-_55.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain