Heliand - 40 - Das Gleichniss vom Weinberge.

Heliand - 40 - Das Gleichniss vom Weinberge.

So lehrte die Leute mit lichtvollen Worten
Der Gebornen Bester; der Bilder sagt' er viel
Und manche der Menschheit, der mächtige Herr.
So, sagt' er auch, sammelte ein seliger Mann einst
Männer am Morgen, und verhieß ihnen Miethe,
Der Herr des Hauses, gar holden Lohn,
Denn Jedem von ihnen gab er am Abend
Ein Silbermünze. So sammelt' er viel
Der Werkner im Weinberg, und wies Jedem sein Werk
In der Uchte schon an. Andre kamen zur Undernzeit,
Nach Mittag erst manche der Männer zum Werk,
Andre noch zur None, um die neunte Stunde
Des sommerlangen Tages, und zuletzt noch Einige
Um die eilfte Stunde. Als der Abend kam,
Die Sonne sich senkte, da sandte der Herr
Seinen Amtmann hin zu den Arbeitsleuten,
Daß er Männiglich seine Miethe zahle,
Den Arbeitslohn. Zuerst hieß er denen geben,
Die von den Leuten die letzten gekommen
Waren in den Weinberg, und so wollt er auch,
Daß den Liedlohn jene zuletzt empfiengen,
Die zu allererst sich eingestellt
Zum Werk in den Weinberg. Die erwarteten gewiss,
Daß man größern Lohn ihnen geben werde
Für ihre Arbeit. Allein man gab
Allen Leuten gleich. Gar leid war das,
Ein Aerger allen den erstgekommenen:
„Wir kamen bei Tagesanbruch und ertrugen viel
Und mancherlei Mühe, unmäßige Hitze
Beim Sonnenschein, und sollen nicht mehr
Als die andern haben, die nur eine Stunde
Beim Werke waren!“ Da hielt sein Wort bereit
Der Herr des Hauses: „Ich verhieß auch nicht mehr
Für euer Werk zu Lohn. In meiner Gewalt muß es stehn,
Allen den gleichen Lohn zu bezahlen,
Eures Werkes Werth.“ -

Der waltende Christ
Meinte doch mehr damit, obwohl er vor den Männern
Von dem Weingarten nur nach seinen Worten sprach.
Wie zu ungleicher Zeit die Arbeiter kamen
Zu dem Werk im Weinberg, so von der Welt dereinst
Der Helden Kinder an das herrliche Licht
In der Gottesau. Mancher beginnt sich dazu
Schon in der Kindheit zu rüsten und erkiest sich dazu
Willigen Muth: er meidet das Weltliche
Und verläßt die Lust, sein Leib verlockt ihn
Nicht zu wüstem Leben, er lernt Weisheit
Und Gottes Gesetz und scheut der Gramgeister,
Der feindlichen, Fallstrick: das fährt er fort beständig
In diesem Licht zu leisten bis da kommt seines Lebens,
Seines Alters Abend, daß er aufwärts wandert.
Da wird ihm seine Arbeit dann all gelohnt,
Mit Gutem vergolten in Gottes Reiche.
Das waren die Werkner, die im Weingarten
In der Uchte die ersten arbeitsam
Beim Werke waren und weiter förderten
Die Arbeit bis zum Abend. Andere kamen zur Undernzeit:
Die hatten den Morgen müßig verbracht,
Die Zeit verzettelt. So zaudert der Thoren Mancher,
Der abgeirrten, der nach allerlei Dingen
In der Jugend jagt, und mit Selbstruhm die Jagd sich,
Die leidige lohnt, mit viel losen Worten,
Bis die kindischen Jahre ihm verkommen sind
Und die Gnade Gottes den Jüngling mahnt
Freudig in seiner Brust: dann fängt er an sich zu beßern
In Worten und Werken, und wendet zum Frommen
Sein Leben bis zu Ende. Für das Alles wird ihm Lohn,
Für die guten Werke, in Gottes Reiche.
Mancher läßt von Meinthat erst mitten im Leben,
Von schweren Sünden, strebt nach seligen Dingen,
Beginnt durch Gottes Kraft nun gute Werke,
Beßert böse Reden, läßt die bittre That
Sich im Herzen gereuen: so kommt ihm Hülfe von Gott,
Daß ihn der Glaube geleitet so lang sein Leben währt.
So fährt er dahin und empfängt den Dank,
Guten Lohn von Gott; es giebt nicht beßern.
Mancher fängt erst später an, als erfahrener Mann
Auf des Alters Neige: dann wird seine Uebelthat
In diesem Licht ihm leid, die Lehre Gottes
Ermahnt sein Gemüth, milder wird sein Herz,
Güte durchdringt ihn, und Vergeltung empfängt auch Er,
Das hohe Himmelreich, wenn er von hinnen scheidet,
Den gleichen Liedlohn, wie er den Leuten ward,
Die zur None des Tages, um die neunte Stund:
In den Weingarten zu wirken kamen.
Mancher bringt es hoch hinauf und büßt die Sünde nicht
Häuft Uebel auf Uebel, bis ihm der Abend naht,
Das Alter seine Wonne raubt: so beginnt er Weh zu fürchten,
Sorgt um seine Sünde, gedenkt, was er Schlimmes verübte
So lang er der Jugend genoß: dann kann er nicht mehr gut machen
Die traurigen Thaten, sondern schlägt alle Tage
Die Brust mit beiden Händen, weint bittre Thränen
Mit lautem Schluchzen, und bittet den lieben Herrn,
Den mächtigen, ihm mild zu sein. Der mag ihn nicht verzweifeln laßen,
So barmherzig ist der Herrscher der Welt, will Keinem hienieden
Den Wunsch verweigern: der Waltende giebt auch ihm
Das heilige Himmelreich, und geholfen ist ihm auf ewig.
Alle sollen sie Gnade finden, obwohl sie zur gleichen Zeit
Nicht kommen, die Kinder der Menschen: der kraftreiche Herr will
Allen Leuten lohnen, die an ihn geglaubt haben.
Ein Himmelreich giebt er allen Völkern,
Allen Leuten zu Lohn. Das lehrt' uns der mächtige Christ,
Der Gebornen Bester, als er bildlich sprach
Von dem Weingarten, zu dem die Werkleute kamen
Zu ungleicher Frist, und doch all empfiengen
Den vollen Liedlohn: so sollen alle Lebenden
Von Gottes Güte Vergeltung empfahen,
Sehr lieblichen Lohn; auch die zuletzt gekommen sind.

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