Heliand - 38 - Gefahr des Reichthums.

Heliand - 38 - Gefahr des Reichthums.

Da kam dem Lehrenden
Ein junger Mann entgegen, und fragte Jesum Christ:
„Guter Meister, was muß ich thun,
Damit ich das Himmelreich erhalten möge?“
Er hatte sich Erbgüter in Ueberfluß gewonnen,
Großen Schatzeshort, obgleich er milden Sinn
Barg in der Brust. Da sprach Gottes Geborner:
„Was nennst du mich gut? Das ist Niemand hienieden:
Der ist es allein, der Alles erschuf,
Welt und Wonne. Wenn du den Willen hast,
Daß du in Gottes Licht gelangen möchtest,
So halte hier die heilige Lehre,
Die im alten Bunde geboten ward:
Keinen Menschen morde; schwöre nicht Meineid,
Fliehe den Ehebruch und falsches Zeugniss,
Hader und Hinterlist; sei nicht hartes Herzens,
Neidisch und gehäßig; Nothraub meide
Und alle Unthat; sei den Eltern gut,
Vater und Mutter, und den Freunden hold,
Dem Nächsten geneigt; so genießest du
Des Himmelreiches, wenn du das halten willst,
Und Gottes Lehre folgen.“ Da sprach der junge Mann:
„Das hab ich Alles geleistet, wie du jetzt mich lehrst
Und warnend weisest. Davon wich ich niemals
Seit meiner Kindheit.“ Da sah ihn Christ
Mit den Augen an: „Eines gebricht dir doch
Wohl an den Werken: wenn du den Willen hast,
Daß du in Demuth dienen möchtest
Deinem himmlischen Herrn, so nimm deinen Hort,
Veräußre alle deine Erbgüter,
Die theuern Schätze, und heiß sie vertheilen
Unter die Armen: so hast du immerdar
Einen Hort im Himmel. Dann halte dich zu mir
Und folge meiner Fährte: so hast du Frieden fürder.“
Da schufen Christi Worte dem kindjungen Manne
Zu heftige Sorge: es härmt' ihm den Sinn,
Und sehr' ihm das Herz. Des Schatzes hatt er viel,
Des Wohlstands gewonnen: er wandte sich wieder.
Dieß war ihm unleicht im Innern der Brust,
In seiner Seele schwer. Da sah ihm nach
Christ, der Allwaltende, und wider die Jünger
Sprach er, die guten: „Zu Gottes Reich
Ist dem Reichen nicht leicht empor zu gelangen.
Einen Elephanten mag man, ob unmäßig groß,
Durch ein Nadelöhr, wie eng es sei,
Sanfter schieben, als die Seele zum Himmel kommt.
Des Ueberreichen, der hier einzig hat
Wunsch und willen auf Weltschätze gewandt,
Herz und Muth, und Gottes Macht nicht ansieht.“

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