Haecker, Theodor - Tag und Nachtbücher - 1939

Haecker, Theodor - Tag und Nachtbücher - 1939

Mißtraue jeder Freude, die nicht auch Dankbarkeit ist!

Replik: Scheint es nicht, daß das gewaltigste Mittel, um das Weltgeschehen weiterzubringen, die Dummheit ist, die Dummheit der Führer und die Dummheit der Geführten?

Es ist erschütternd, wie das Denken stirbt. Einer kann sagen, daß der Mensch selber veränderlich sei, der Deutsche aber sei ewig. Er ist durchaus nicht imstande, den Schluß zu ziehen, daß dann sicherlich der Deutsche kein Mensch ist.

Nur die intellektuelle, natürlich aber auch die sittliche Gemeinheit meint und erklärt, wenn sie zur Potenz der Schamlosigkeit sich erhebt, auch öffentlich, daß es nicht auf das Wie ankommt, daß die Methoden gleichgültig sind:

Tugend und Laster
Scheidet der Knecht
- Alles ist recht.

In Wahrheit entscheidet aber über den Wert des Menschen oder einer Politik das Wie. Die Revolution, die das Christentum gebracht hat, ist die des Wie.

November

Für die natürliche Metaphysik ist der Stein des Anstoßes das Geheimnis. In ihr ist notwendig die Gefahr, es nicht zu sehen oder es erklären zu wollen und die hierarchische Ordnung umzustoßen. Auch die wahrste und tiefste wirkt flach gegenüber den Abgründen der Offenbarung. Sie verkennt die Natur des Verstandes am Ende doch.

Ich muß einen Autor schon lieben, ehe ich mich mit seinen Fehlern im Einzelnen abgebe: was er hätte besser machen müssen, und so weiter. Bei der Mehrzahl gebe ich mich damit überhaupt nicht ab.

Ich erschrecke in diesen Tagen über die Fähigkeit der menschlichen Stimme, abgesehen von dem, was sie sagt, allein durch sich selbst, nicht bloß individuell, sondern typisch, repräsentativ, die geistige Ausgestorbenheit eines ganzen Volkes zu verraten, zu verlautbaren, zu proklamieren. Die Stimme des „Ansagers“!

18. November

Alles, was man in der Zeit und für die Zeit verscherzt, das verschmerzt man auch mit der Zeit und in der Zeit. Auch steht ein solches „Zu spät“ unter der Herrschaft des Humors. Ganz anders ist es mit einer ausgesprochenen Handlung der Lieblosigkeit gegen eine Person. Kann sie ihr gegenüber in der Zeit nicht gutgemacht werden, so fällt ihre Erinnerung nach zwanzig Jahren mit derselben Schwere auf das Herz wie nach zwei Jahren, denn Liebe ist eine res aeterna, und nirgends ist, mit Verlaub gesagt, die Ewigkeit so dringend und drängend gefordert wie hier, um die Sinnlosigkeit des Daseins zu vermeiden. Auch der Humor hat hier sein Recht und seine Herrschaft verloren; wo er diese doch ausüben will, ist es ein Schein nur oder eine Verworfenheit.

Die Heuchelei und die Schamlosigkeit sind die beiden Pole der Verworfenheit, zwischen denen die Menschen sich bewegen. Trotz der äußeren Zornestat, zu der die Entrüstung Christi über die Schamlosigkeit [der Händler im Tempel] führte, ist die über die Heuchelei [der Pharisäer] vielleicht nicht geringer.

Es wird wohl so sein, daß die weitesten Strecken der Geschichte der Menschheit unter dem Zeichen der Mittelmäßigkeit stehn, aber die Heroen und Genies des Mittelmäßigen sind doch auch wieder selten. Ein Heros der Halbbildung in neuerer Zeit, wenigstens für das deutsche Volk, war Houston Stuart Chamberlain. Er hat eine Suppe zusammengekocht, an der eine ganze Generation von schwacher Geisteskonstitution das Hirn sich verdorben hat. Mit welchen Folgen von aktivem Leben! Großer Gott!

Es ist nur natürlich, daß die Physiognomik im Bezirk des Natürlichen ziemlich weit führt und einem Erfahrenen und dafür Begabten ziemliche Sicherheit im Urteil gewährt. Sobald aber ein Mensch über das Gewöhnliche hinaus dämonischen Mächten ausgesetzt ist und vielleicht deren Werkzeug wird, versagt die Physiognomik - zwar nicht prinzipiell, also in Hinsicht auf das natürliche „Sein“ des betreffenden Menschen, das durchaus nicht!, wohl aber in grotesker Weise in Hinsicht auf die Möglichkeit der Wirkung dieses Menschen und der Rolle, die er spielen kann.

Die Sehnsucht nach Vergessenheit, nach Verborgenheit, ist das Kennzeichen des kontemplativen Menschen; nur er kann als Maxime das (lathe bion) aufstellen. Der Drang des aktiven Menschen geht von Natur auf Öffentlichkeit, auf Ruf und Ruhm.

Der Augenblick, da dir eine Stunde gleich wert ist, wie eine Million Jahre oder gleich unwert, weil sie nicht die Ewigkeit sind. Denn der Geist will Ewigkeit. Sie ist seine Heimat. Ehe er das nicht eingesehen hat, ist er noch nicht zu sich selber gekommen.

Ist nicht in der Natur der Überfluß ein Mangel oder ein Zeichen des Mangels oder eine sehr unzulängliche Abhilfe des Mangels? Tausende von Blüten geben ein paar Früchte, Millionen von Menschen kaum ein Genie.

„Wille und Wahrheit“, das ist ein Thema oder vielmehr: „Wahrheit und Wille“. Merkwürdig, wie gegen diese hierarchische Ordnung der Wille sich widersetzen will! Wie wenn in der Tat „von Natur“ zuerst der Wille käme: Was bist du für ein Leisetreter, Doktrinär und Skrupulant, zu sagen: „Wahrheit und Wille.“ Nein, hör doch: „Wille und Wahrheit.“ Das klingt endgültig und herrisch: Die Welt als Wille und Vorstellung.

Replik: Daß eine gerechte Sache unterliegt, ist ein unergründliches Geheimnis, wenn Gott allmächtig ist. Wird das in einer Predigt darüber umgangen, so schadet sie mehr, als sie nützt. 'Der Rationalismus ist der größte Feind des Glaubens und damit der größte Fälscher des Seins.

Absolute dauernde Zufriedenheit eines Menschen wäre das Bild des Nichts, aus dem er geschaffen ist; absolute dauernde Unzufriedenheit ein Bild der Hölle, die er gewählt hat.

Ziele und Zwecke der Menschen bleiben sich im großen und ganzen gleich. Die Revolutionen gehen auf die Mittel. Gottes Offenbarung ist eine Revolution der Mittel, die der Mensch anwenden soll, um zu seinem Heil zu kommen. Jeder Adel konstituiert sich durch das „Wie“ des Lebens, also durch die Mittel, die erlaubt sind und nicht erlaubt.

Das ist das Privileg des Christen, daß er, indem er Christus anbetet, den wahren Gott mit Namen anbetet. Das ist das Zeichen des Tags. Wenn einer heute „Gott“ sagt, dann kann er auch bloß das Schicksal meinen oder eine grauenvolle Karikatur der „Vorsehung“ sogar. Wenn einer Christus anbetet, so betet er notwendig auch den Vater an, der Gott ist wie Christus, und den Heiligen Geist, der Gott ist wie der Vater und der Sohn. Er kann gar nicht anders. Nichts scheidet heute so die Geister wie die Anerkennung der Trinität.

Alle mystische und symbolische Interpretation der Schrift ist nur möglich kraft der substantiellen Ähnlichkeit alles Seins und kraft des formalen Prinzips der Analogie. Auch die Allegorie, in der Regel eine seltsame Mischung von Infantilismus und Rationalismus, ist nur dadurch möglich.

Gefährlich sind die Nominalisten, die sagen, es sei schließlich gleichgültig, wie man das Göttliche nenne. In der Offenbarung gibt Gott seinen Namen: Ich bin der „Ich bin“. Hat ein anderer diesen Namen mit ihm gemeinsam? Kann ihn ein anderer haben? Ist er vom Menschen erfunden? Kann ihn ein Mensch erfinden? Und als dieser Name erhellt wurde in der Dreieinigkeit: Vater, Sohn und Geist - war das vorauszusehen von einem Menschen? Wahrlich, sie sind lächerlich, diese Nominalisten!

Wehe, wenn Gott nicht auch der Gott der Ausnahme ist!

Replik: Ihr Christen seid so stolz darauf, daß euer Gott der Gott aller ist. Sieht man aber genauer zu, so kommt man eher auf den Gedanken, daß er der Gott weniger, in einer furchtbaren Weise: weniger ist! Der Gott der seltensten Ausnahme, der Gott der Erwählten, der Auserwählten. Wenn Gott will, daß einer ihn suchen und wohl auch finden soll, zu dessen Herz und Gedanken gibt er keinem anderen Menschen den Schlüssel, auch dem nicht, vor allem dem nicht, der ihn liebt oder von ihm geliebt wird. Dann muß einer im Ernst anfangen zu suchen, denn es ist unselig, nicht verstanden zu werden. Gott wird sich finden lassen, und die Gewissheit, von ihm verstanden zu werden, ja verstanden zu sein, das ist ein Schimmer von Seligkeit.

Problema: In der Nacht war ein Licht, das wieder Nacht wurde. Einer wacht auf, die Augen und die Wangen von Tränen naß. Er weiß, daß er einen Traum gehabt hat, aber er weiß nicht mehr, was er geträumt hat. Und doch wird von dieser Nacht an sein Leben anders. Er hat ein Licht mitbekommen, das ihn eine ganz neue Dimension des Seins sehen läßt. Aber die Quelle dieses Lichts liegt in völligem Dunkel.

26. November

Die einfachen Worte rufen die Tränen.

Ich hab einen falschen Weg gemacht,
Ich kenn mich nicht mehr aus
Ach, immer dunkler wird die Nacht,
Ich find nicht mehr nach Haus.

So klagt ein Kind im Märchen, so aber auch eine im Leben verirrte Seele.
Die Verse kamen mir bei der ersten Lektion des „Aufstiegs zum Karmel“ von Johannes vom Kreuz und bei meinem Staunen über die erschütternde Einfachheit der Verse, die auf den ersten Blick die Tiefe der Interpretation gar nicht ahnen lassen.

Vergötzung physischer Kraft und Gesundheit führt zunächst notwendig zur Verachtung des Alters, damit aber auch zur Verachtung der Weisheit. Im europäischen Kulturkreis [vorchristlich wie nachchristlich] hat es das bis jetzt noch nie gegeben. Übrigens auch nicht im östlichen Kulturkreis! Es ist eine Verwüstung der Seelen, die Gott nicht zulassen wird, dessen darf unser christlicher Glaube sicher sein. Zu viele „Väter“ haben für uns gelitten und gelehrt.

Dezember

3. Dezember

Die „Kinder der Welt“ setzen ihren großen Stolz eben darein, keine „Kinder“ mehr zu sein; darum verachten sie den Christen schon deshalb, weil der notwendig immer etwas Kindliches haben wird. Wie auch nicht? Einer der ewigen Eigennamen Gottes, von Ihm selber offenbart, ist „Vater“.

O. meint, der Ausgang dieser Ereignisse werde zeigen, wie irrational alles Sein sei und unserem Denken entzogen. Aber das ist zu vage. Ich glaube, daß vielleicht zwei Erkenntnisse den Deutschen aufgehen werden, zwei Erkenntnisse, die nur scheinbar einander widersprechen: einmal, daß die „Vernunft“ soweit sie auf dem Grunde der Weisheit und der Erfahrung ruht, niemals ungestraft mißachtet wird, daß also die Welt in diesem Sinne keineswegs irrational ist; zum zweiten aber, daß der rein materialistische Rationalismus, der heute in Deutschland regiert, bereits in der primitivsten Psychologie große Fehler durch Auslassen macht und im spiritualen Leben völlig versagt. Bismarck war kein tiefer Staatsmann, so wenig wie Napoleon, aber er kannte doch „Imponderabilien“, die noch lange nicht „das Unsichtbare“ sind, aber doch an der Grenze. Und heute!

Man darf annehmen, daß die Deutschen, bewußt und unbewußt, alles tun werden, um ungefähr alles, was heute gesprochen, geschrieben und getan wird, so rasch wie möglich zu vergessen. Erinnerungen an eine Schuld lasten, sie sind „lästig“. Wo der Mensch kann, wirft er sie ab. Aber ob es gelingt, da hat Gott auch noch mitzusprechen.

4. Dezember

Es kann für den Christen kein Zweifel bestehen, daß die Bedeutung des äußeren Geschehens in einem erschreckenden Maße verschieden sein kann. Unter Bedeutung ist hier verstanden die fernere oder nähere Beziehung der „Geschichte“ der Welt zur „Geschichte“ des Reiches Gottes. Der Christ kann nicht der Ansicht Rankes sein, daß jede Zeit zu Gott gleich nahe stehe. Oder kann er vielleicht leugnen, daß Rom unter Augustus, Judäa unter Herodes und Pilatus in entscheidenderer Beziehung zur Heilsgeschichte standen als etwa Europa unter Napoleon, um nichts Kleines zu nennen? Diese fernere oder nähere Beziehung hängt nicht ab vom Bewußtsein der Menschen, wiewohl auch nicht zu leugnen ist, daß sie nicht völlig außerhalb des Bewußtseins der Menschen jener Zeit sein kann. Daß das heutige Geschehen eine solche nähere Beziehung zur Heilsgeschichte hat, darüber werden viele mit mir einig sein., Daraus aber folgt, daß auch das äußere Geschehen eines jeden einzelnen unter die Kategorie einer Entscheidung fällt.

Außer dem, was ist, ist nichts. Das ist ein metaphysischer Satz, den niemand leugnen kann. Wer es dennoch tut, mit dem ist es sinnlos, zu reden. Ein Hauch, der eine Kerze auslöscht, hat mehr Bedeutung als sein flatus vocis. Aber dann beginnt die Interpretation, dann erst beginnt die nimmer ruhige Welt des Dialogs, der verzerrend trübe Spiegel der Welt des Seins. Mundus tradidit disputationi eorum [Er über ihnen die Welt zur Auseinandersetzung (Eccl. 3, 11.)]

Die Gleichsetzung von „sich täuschen“ und „irren“, vollendet durch die Falschbildung „sich irren“ ist eines der vielen Beispiele der Sprachverarmung durch Sprachverhunzung. Der Mangel an Einbildungskraft führt zu einer Schwächung des Denkens, diese hinwiederum verhindert die Entdeckung und Erkenntnis jenes Mangels, und so wird die Sprache immer schlechter in Bildern und in Gedanken - das „Sich-Täuschen“ geht dem „Irren“ voran. Erst „täusche ich mich“, und gehend mache ich darum falsche Wege: ich irre.

7. Dezember

Superbia: „Ich war zur gewaltigsten Sünde prädestiniert“, sagte der Teufel und ward noch stolzer. „Kann einer sein, wie ich?“ Vielleicht „das Lamm“?!

Ad se ipsum

Aus meiner Kindheit

Als ich im schönen Vers gefangen war, wo Licht und Wasser, sich selber nur genügend, glänzten, erstarrten alle Quellen, die ewige Melodie schlief ein. Ich weiß nicht mehr, wer oder was mich weckte.

Ad se ipsum Vergiß nicht, daß du „Satire und Polemik“1) nur schreiben durftest, weil du versprochen hattest, aufzuhören, sozusagen, als es am schönsten war, als dir dieser Weg am besten gefiel. Du mußtest einen andern gehen, der dir weniger behagte. Nun ist es wieder ähnlich: Du mußt einen neuen gehen, der dir noch weniger gefällt.

Fluch dem Bilde, das dir das Wort versagt! Eile, eile! Aber ich brauche Ruhe, und sie ist nur im Bilde, sie ist nicht im Denken. Du bist ein Fremdling, ein Wanderer, ein Pilger auf der Erde, darum flieh das Bild, das dem Wort entsagt!

Tragikomisches Erstaunen, einem guten Satz zu begegnen, den geschrieben zu haben man vollständig vergessen hat. Armut und Reichtum!

Das Maß der Verwirrung wird voll, wenn die Sophisten die Geschichte der Philosophie schreiben, die Catalinas die Geschichte der Staaten und Völker, die Häretiker die Geschichte der Kirche. Immer waren nur Ansätze dazu da in Europa; heute ist es ernster.

9. Dezember

Heute fiel im Radio ein Stern vom deutschen Sprachhimmel: die Augen gingen ihnen auf - und über. Mein Gott, die längst aufgegangenen konnten einem übergehen, als er versinkend erlosch im Schimpfsumpf eines politischen Roboters aus Bariton und Lüge.

Manches Lied ist mir gelungen, und ich habe es zuerst gesungen. Sie singen es nach, als sei es von niemand. Das ist gut so. Gott sei Dank, daß ich soweit bin. Gott sei geklagt, daß ich erst soweit bin und überhaupt noch daran denke.

Zweiter Adventsonntag

Wenn alles aus sein wird, dann wird natürlich auch die Physiognomik recht behalten haben. Denn so ist das auch nicht, daß Gott seine von ihm geschaffene Natur Lügen strafen würde. Gott ist ein „treuer Gott“ und wahrhaftig. Sie werden die Bilder zeigen und sagen: Wie konnte es anders kommen, es mußte so kommen! Ist nicht alles auf der Oberfläche? Wie konnte man sich täuschen? Sie werden dann alles viel einfacher machen, als es war.

Gott hat viele Worte gesprochen durch Seine Propheten und durch Sein „Wort“. Und keinem Menschen steht es zu, sie zu ändern. Aber es steht ihm frei, sie bei passenden und ach! unpassenden Gelegenheiten anzuwenden. Das war ein großes Risiko. Denn es ist nicht zu sagen, welches Unheil angerichtet wurde dadurch, daß ein göttliches Wort zur unrechten Stunde gesprochen wurde und zur rechten nicht.

Die vielen Gedanken, die zwischen das Hauptthema immer neu sich schieben, sind nur dann von Übel, wenn sie den Weg blockieren und ungangbar machen, nicht, wenn sie den Raum erweitern oder gar unendlich machen.

Christus ist auch für „Barbaren“ gestorben, aber er ist nicht als Barbar Mensch geworden oder hat unter ihnen gelebt und seine Jünger gewählt. Ein Rückfall zivilisierter Völker in die Barbarei ist auch nicht möglich ohne vorherige Aufgabe des Christentums.

Psalm 73

Gebet

Du hast uns, o Gott, das Wesen des Bösen, seinen Hochmut, seinen Triumph im Übermaß und bis zur Verzweiflung gezeigt. O Herr, viele fallen in den Unglauben, laß uns Dich bitten, im rechten Geiste, Du mögest uns auch die andere Wahrheit des Psalmes erfüllen und zeigen zu Deiner Ehre und zum Troste Deiner Diener.

Die Sonne scheint über Gerechte und Ungerechte. Jene Ursegnungen und erhaltenden und bestimmenden Gesetze der Schöpfung sind indifferent - scheinen so - gegen Gut und Böse. Gute und böse Tat [Weizen und Unkraut] fallen beide unter das Gesetz des Wachsens und Reifens. Diese Kategorien und Gesetze sind nicht jenseits von Gut und Böse, sondern sie gehören zum Urguten der Schöpfung, das keine teuflische Macht ändern kann.

13. Dezember

Alle unsere Erkenntnis nehmen wir aus unseren Sinnen am Anfang, aber bald steigt die Ahnung auf, daß Dinge und Wahrheit ursprünglich im Geiste sind. Und in der Offenbarung (Eph. 3, 15) wird uns gesagt, daß alle Vaterschaft nach dem Bilde Gottes ist, alle Vaterschaft ihren Namen von Gott hat, der allein wirklich „Vater“ ist. Heute dachte ich mir, was ist denn alle Härte und Verhärtung, die in den Sinnen ist, gegen Härte und Verhärtung des Herzens und des Geistes? Und diie Ahnungen meiner Jugend und ihres unbewußten, aber tief gefühlten Platonismus blühen auf. Dünkte es mir nicht wie eine Offenbarung, als ich sang: „Wie armselig ist euer Lenz, klägliches Bild der Frühlinge meines Herzens; Ihr kennt nicht die Verzweiflung des Winters meiner Seele?“

Die Deutschen wollen auch ein Volk sein „wie die andern“. Das aber gelingt ihnen nicht. Sie werden sehr viel schlechter als die andern, Sie werden der Abscheu der Welt. Der preußische Sauerteig hat die Nation völlig ver-saut. Seine Mission ist verfälscht.

Ihr seht mit etwas Verachtung auf das Christentum herab, daß es keine Metaphysik habe. Aber ist das nicht ein Irrtum? Die Metaphysik der Christen ist, daß er - Gott ißt.

Damit ein Philosoph dem europäischen Geiste gerecht werde, muß er die Hauptsprachen Europas von der Antike an kennen und ihre verschiedenen Bilder, um eben von ihnen das Denken zu befreien und sich nicht gar in einem einzigen zu verlieren.

15. Dezember

Jede Gleichsetzung des „Triebes“, des „Dranges“ mit dem Willen, so daß dieser nur bewußter Drang wäre, ist eine dunkle und vage Sache. Kein Trieb kann durch sich selbst beherrscht werden, wohl aber durch den Willen, selbst der stärkste. Wille ist Geist. Es hat keinen Sinn, zu sagen. Wille ist Trieb, zu dem der Geist [Bewußtsein] hinzukommt. Er ist etwas ganz und gar Neues, und für sich. Wille ist Geist - seine Flamme, wie der Intellekt sein Licht.

Nietzsche, Richard Wagner und Houston Stuart Chamberlain sind in der Tat die hauptsächlichsten Verursacher des heutigen deutschen Geisteszustandes. Sie sind die Beweger der Täter und Untäter. Wagner, als Musiker, ist noch der unschuldigste, die unreine Begleitmusik.

Nach dem Kriege werden die Aspirationen des „Sozialismus“ ohne Zweifel stärker sein, aber doch noch nicht die schließlich entscheidende Kraft und Macht des Nationalen erlangt haben. Die zwangsweise Lösung des sozialen Problems, nämlich die durch die Verarmung, ist zweideutig. Es kommt ja auf den Geist an. So, wie die Menschen sind, ist eine mehr oder weniger geschickte und schlaue Versklavung wahrscheinlich, begünstigt durch die Neigung des Menschen, sowohl andere wie auch sich selbst - zu betrügen.

Die größten und erbittertsten, haßerfülltesten Feinde des Christentums sehen eines durchaus nicht: daß das Christentum anders, völlig anders entstanden ist und immer wieder neu entsteht als ihre Reiche und Institutionen. Ein Mensch, ein Tier, eine Pflanze, eine Maschine können nur in derselben Ordnung zugrunde gehen oder vernichtet werden, in welcher sie entstanden sind. So ist es mit den Reichen dieser Welt und mit dem Reich, das nicht von dieser Welt ist - wohl aber in der Welt. Was die Todfeinde des Reiches Christi vernichten können, das ist alles, was von dieser Welt an der Kirche ist. Das kann erstaunlich und betrüblich viel sein, so viel, daß es alles zu sein scheint. Das Reich Christi, wenn es von allem entblößt wird, ruht auf Glaube, Hoffnung und Liebe. Das sind nicht die Mächte, die in dieser Welt eine Rolle spielen.

1)
„Satire und Polemik, 1914 - 1920“, erschienen im Brenner-Verlag zu Innsbruck, 1922
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