Grafe, Hermann Heinrich - Brief an Julius Koebner wegen der Tauffrage

Grafe, Hermann Heinrich - Brief an Julius Koebner wegen der Tauffrage

Es mag so leicht sein, daß man auch im Christentum das Gleichgewicht verliert und einseitig wird und dadurch dem Sektengeiste Vorschub leistet, ohne es zu wollen und ohne es selbst zu wissen. Sobald man einen Kreis für sich zieht und für sich hat, dem irgendeine Besonderheit der Auffassung christlicher Wahrheiten zum Mittelpunkte dient, so verliert man unvermerkt und immer mehr jene belehrende Allgemeinauffassung und gerät endlich in eine solche Sonderbündelei, daß man in seiner Gemeinschaftsselbstsucht das Recht aller anderen nicht mehr achtet, sondern sich nur recht freuen kann, wenn der eigenen Partei ein Erfolg zuteil wird. Fast alle Sektiererei ist so entstanden, daß man eine vernachlässigte, verkannte und vielleicht auch unterdrückte Wahrheit wieder hervorgehoben und für diese die Aufmerksamkeit der Gläubigen zu gewinnen versucht hat, und daß man dann, anstatt solche in der richtigen Harmonie mit den anderen Wahrheiten der Heiligen Schrift zu betonen, sie zum Schibboleth einer besonderen Partei machte und dadurch die Harmonie des Ganzen störte und aufhob. Es gibt ebenso viele unevangelische Trennungen des Leibes Christi in sich, wie es von Gott verbotene Verbindungen der Gläubigen mit den Ungläubigen, der Glieder Christi mit den Gliedern der im Argen liegenden Welt gibt. Der große evangelische Grundsatz, daß alle Gläubigen sichtbar und freiwilligerweise einen Leib bilden sollen, so verschieden auch die Gaben und Dienstverrichtungen der einzelnen untereinander sein mögen, wird leider von den Bekehrten selbst noch allzu viel verkannt. Aber es wird doch die Zeit kommen, wo es nur eine Herde geben wird, wie es nur einen Hirten gibt, und die Herbeiführung dieser Zeit nach Kräften befördern zu helfen, ist meines Herzens tiefstes Sehnen und Hoffen. … Ich liebe und schätze Sie von ganzem Herzen als einen Bruder in Jesus Christus, unserem gemeinsamen Herrn, und ich bedaure nichts mehr, als daß Ihre Engherzigkeit es Ihnen nicht zuläßt, sich enger mit mir zu verbinden, wozu ich, wie Sie wissen, Ihnen ausgesprochener Weise die Bruderhand geboten habe. Aber ich darf Ihnen nicht verhehlen, daß ich ein entschiedener Gegner Ihrer Taufform-Ausschließlichkeit wie jeder Sektiererei bin und bleiben werde….

Aus einem Brief an J. Köbner

Quelle Wöhrle, Wilhelm - Hermann Heinrich Grafe

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