Pragmatismus: wahr ist, was uns nützt

Pragmatismus: wahr ist, was uns nützt

Die Betrachtung mancher Argumente verunsichert: Geht es hier wirklich darum, was wahr ist, oder eher darum, was nützlicher ist, was für uns angenehmer ist?

Betrachte die folgenden Texte und beurteile deren Argumentation gemäß diesem Gesichtspunkt!

102 „Von der Formgeschichte, also dem Bemühen, die Formen und Gestaltungsarten der Texte miteinander zu vergleichen und dadurch zu Schlußfolgerungen über ihren 'Sitz im Leben', ihre Echtheit etc. zu kommen, muß er ebenfalls gestehen: 'Völlig im Stich läßt aber auch sie uns, wenn wir nach formalen Kennzeichen des authentischen Jesusgutes fragen.' Ist das nicht höchst kümmerlich? Und auf solch einem Flugsand sollen wir das Haus unseres Bibelvertrauens bauen? O nein, o nein! Im Blick auf die traurige Ergebnislosigkeit übereinstimmender Forschungserkenntnisse können wir nur sagen: also bleiben wir getrost bei dem, was uns die Evangelisten berichtet haben.“1)

103 „Dennoch legt die Verteidigung des der Minderheit angehörenden Matthias Flacius den hauptsächlichen Nerv der Dinge bloß und sei deshalb genauer zitiert: 'Wenn die Kirchen dem Teufel erlauben, diese Hypothese (von dem nachträglichen Hinzukommen der Vokalzeichen) zu setzen, wird uns dann nicht die ganze Schrift überhaupt ungewiß werden? …' Fast prophetisch sah der Kroate voraus, wie mit der ersten Öffnung des Dammes der Damm weiter zernagt würde. Den Ausnahmen in der Verbalinspiration (wörtlichen Inspiration) folgten die Rückzugsstellungen der Realinspiration (nur die Sachen inspiriert) und der Personalinspiration (nur die Person inspiriert, während man über ihr Produkt so genau nichts sagen kann), …“2)

104 „Brüder, hütet euch davor, der Schrift gegenüber ins Rutschen zu kommen. Fängt das Rutschen erst an, gibt es kaum noch ein Halten.“3)

105 „Es läßt sich beobachten, daß seit dem Einbruch der Bibelkritik auch in freikirchliche Seminare die Bereitschaft der von dort absolvierenden Theologen, sich in Evangelisation und Neulandmission zu betätigen, spürbar abgenommen hat.“4)

106 „Wenn ich ihn recht verstand, ging es ihm darum, daß wir uns mehr um die Verläßlichkeit des Neuen Testamentes als Zeugnis von Gottes Selbstoffenbarung kümmern und weniger nach seiner Zuverlässigkeit als historischem Tatsachenbericht fragen sollten. Das stimmt. Aber die beiden Fragen stehen in engster Verbindung. … Die historischen und sprachwissenschaftlichen Methoden haben selbstverständlich ihre Grenzen. Sie können nicht die Behauptung der Christen beweisen, daß mit dem Neuen Testament der inspirierte Bericht der göttlichen Offenbarung seinen Abschluß erreicht habe. Es entspricht aber meiner Erfahrung, daß Nichttheologen - und für solche war das Buch ja eigentlich geschrieben - viel eher bereit sind, sich einem Anspruch für ein Werk zu stellen, das historisch zuverlässig ist, als einem, bei dem das nicht zutrifft. Und ich muß zugestehen, daß sie meiner Ansicht nach damit Recht haben.“5)

Lösungen

1)
102: Wenn eine bestimmte Methode (hier: Formgeschichte) zu keinen übereinstimmenden Ergebnissen führt, so kann das mehrere Gründe haben: Es kann sein, daß
  1. erstens die Methode schlecht ist,
  2. zweitens sie von manchen/allen Forschern schlecht gehandhabt wird,
  3. drittens das zu bearbeitende Material überhaupt keine sicheren Ergebnisse gestattet, egal mit welcher Methode man herangeht.
Der Text klingt so, als ob wir - nach freiem Belieben - uns aussuchen können, was wir glauben wollen.
2)
103: Diese „vom Teufel gesetzte Hypothese“ wird heute auch seitens der Fundamentalisten anerkannt, daß nämlich die Vokalzeichen im hebräischen Text erst nachträglich hinzukamen. Das zeigt schon, wie problematisch diese Argumentationsweise ist. Ihre Struktur lautet ja eigentlich: 'Wenn wir von dem, was wir bisher geglaubt haben, an einer Stelle abgehen, dann könnte es sein, daß immer mehr unsicher wird, also bleiben wir lieber in allem bei dem, was wir bisher geglaubt haben.'
3)
104: wie 103.
4)
105: Die Folgen einer bestimmten Ansicht können ein Indiz dafür sein, ob die Ansicht der Sicht Gottes entspricht. Aber natürlich kann ein Aufzeigen negativer Folgen die konkrete Auseinandersetzung nicht ersetzen.
5)
106: Hier werden die Folgen einer bestimmten Ansicht (die Wirkung auf andere) nicht als Argument für Richtigkeit oder Falschheit genommen, sondern als Argument dafür, daß es gerechtfertigt ist, dieses Thema zu behandeln.
Wo vor einer bestimmten Ansicht gewarnt wird, weil sie für uns unangenehme Folgen haben kann, besteht die Gefahr, daß es nicht mehr um Wahrheit geht, sondern um Nützlichkeit. 'Wahr ist, was nützt!' - dieser Wahlspruch des Pragmatismus, der übrigens in den USA seine Bastion hat, feiert dann Triumphe.
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