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Teil D

Teil D

Wie sollen wir nun wirklich mit den biblischen Endzeitaussagen umgehen?

Im 19. Jahrhundert verbreitete sich in der gebildeten Welt ein großer Optimismus: Der enorme wissenschaftliche und technische Fortschritt führte zu einem regelrechten Fortschrittsglauben. Seuchen wurden erfolgreich bekämpft, Maschinen nahmen dem Menschen Arbeit ab … Sollte es nicht möglich sein, die Probleme der Menschheit innerhalb kurzer Zeit zu bewältigen, so daß die Menschen glücklich und friedlich zusammenleben würden?

In einer solchen optimistischen Stimmung wirkte das in der Bibel, insb. in der Johannes-Offenbarung, gemalte Szenario dunkel und düster. Ganz anders heute: Auch Menschen ohne inneren Bezug zur Bibel geben betroffen zu, daß es sich um ein sehr realistisches Bild handelt. Für uns bedeutet das: Wir fühlen uns mit unseren Ängsten verstanden in der Bibel, wir haben dort nicht das Gefühl, daß naive Träumer reden.

1. Wir blicken Jesus entgegen

Warum sollen wir auf Jesus warten, wenn doch das irdische Leben der meisten Christen durch ihren Tod beendet wird, nicht durch Jesu Kommen? Hierauf gibt es mehrere Antworten.

* Erstens ist es vielleicht sogar die Hälfte der Christen aller Zeiten, die in der Gegenwart leben. Das muß gar nicht unbedingt daran liegen, daß nun Erweckungen im Gange sind, die frühere übertreffen, sondern kann einfach an der starken Zunahme der Weltbevölkerung liegen, so daß ein gleichbleibender Anteil von Christen zu einer absoluten Vermehrung führt. Somit könnte es sein, daß die Anweisung, auf Jesu Kommen zu warten, etwa für die Hälfte aller Christen eine ganz wörtliche Bedeutung haben wird. * Zweitens überschattet Jesu Kommen alles andere. All die Jahre seit Jesu Himmelfahrt steuern auf dieses große Ereignis zu. Er ist es wert, daß wir auf ihn warten, daß wir uns nach ihm sehnen, auch wenn Jahre dabei vergehen! Wie Johann Albrecht Bengel sagte: „es ist der Majestät Christi gemäß, daß er die ganze Zeit über zwischen seiner Himmelfahrt und Zukunft ununterbrochen erwartet werde“ (in seinem Gnomon Novi Testamenti von 1742 zu Apg. 1,11). * Drittens zeigt die Erwartung der Wiederkunft Jesu auch etwas von unserer politischen Einstellung. Die neue Welt ist nicht für uns machbar, sie wird von Gott gemacht! Wir sind überzeugt, „daß nicht wir das Reich Gottes machen, sondern auf das Hereinbrechen seiner Herrschaft in diese Welt zu warten haben;“ (Köster 96). * Viertens haben neben der Letzterfüllung auch Vorerfüllungen ihre Bedeutung. Die Endzeitereignisse werden im NT als „bald“ kommend angekündigt, und doch dauert es jetzt schon so lange? „Das prophetische 'bald' wandert die ganze Strecke mit, läßt sich je und je zu Vorerfüllungen nieder, erhebt sich wieder, bis es zur Letzterfüllung kommt “ (Pohl Nr. 60)

Für verfolgte Christen bringen die biblischen Endzeitaussagen noch einen besonderen Trost: Was wir jetzt an Verfolgung erleben - Jesus steht darüber! Jesus ist schlußendlich Sieger! Besonders die Offenbarung drückt diesen Gedanken aus. Ob die Verfolgung dabei durch den endzeitlichen Antichristen oder durch einen seiner Vorläufer geschieht, ist für den Betroffenen nicht so entscheidend. Und das in der biblischen Endzeitprophetie Verheißene gilt in gewisser Weise auch für die Zeit davor; auch im Blick auf Vorläufer des Antichristen dürfen wir mit dem Beistand Jesu rechnen.

Die Frage, inwieweit wir in unserer Gegenwart mit Antichristlichem konfrontiert werden, wo wir gegebenenfalls auf Distanz gehen müssen, stellt sich auch dann, wenn dieses Antichristliche nicht mit dem letzten, dem Antichristen schlechthin in Verbindung steht. So hat Arnold Köster 1932 zu beurteilen versucht, wie Hakenkreuz und Sowjetstern zu sehen sind: „ob in den Symbolen der Menschheit nicht schon das 'Malzeichen des Tieres' auftaucht, das wir als Jesusmenschen weder zu tragen noch zu verehren haben,“ (S. 144)

2. Was ist die richtige Form von „Naherwartung“?

a) Hinweis auf die Bibel als Rechtfertigung eigener Fehlvorhersagen

Von verschiedenen Seiten wird darauf hingewiesen, daß wir im NT an mehreren Stellen eine Naherwartung finden. Eine Naherwartung, die sich so nicht erfüllt hat. Darauf weisen nicht nur Kritiker hin, die hier einen Fehler im NT zu entdecken meinen, sondern auch solche Leser, die stark auf die Bibel verweisen. Bei den Zeugen Jehovas etwa dient der Hinweis auf die ntl. Naherwartung als Verteidigung für eigene Vorhersagemißerfolge. Das kann etwa folgendermaßen aussehen:

„Die Apostel und andere frühchristliche Jünger hegten gewisse falsche Erwartungen, doch die Bibel reiht sie nicht unter die 'falschen Propheten' ein. (Siehe Lukas 19:11; Johannes 21:22,23; Apostelgeschichte 1:6,7. )“ (S. 87)

Können wir die drei hier angeführten Beispiele wirklich mit den ZJ-Vorhersagen vergleichen? In Apg. stellen die Jünger lediglich eine Frage („Stellst du in dieser Zeit dem Israel das Reich wieder her?“). In Luk („sie meinten, daß das Reich Gottes sogleich erscheinen sollte“) erleben wir Jesu Schüler, wie sie als Lernende (das ist eigentlich die genaue Übersetzung für das griechische mathetai, das meist mit „Jünger“ wiedergegeben wird) eben noch manche falsche Vorstellungen hatten und Jesus sie korrigieren mußte. In Joh. lesen wir von einem Gedanken („Jener Jünger stirbt nicht“), der vielleicht sogar eine gewisse Verbreitung in christlichen Kreisen gewann. Aber auch hier ist festzuhalten, daß die Jünger - im Unterschied zu den ZJ - diese ihre Erwartung nicht zum Gegenstand ihrer öffentlichen, weitgespannten Verkündigung machten. Wir haben also zu unterscheiden zwischen einem Bibelleser, der sich aufgrund verschiedener biblischer Endzeitaussagen seine Vorstellungen macht (was durchaus in Ordnung ist), und jemandem, der diese Vorstellungen in einem Buch niederlegt, das zehntausendfach verbreitet wird.

Die ZJ beschränken sich in ihrer Verteidigung bewußt auf solche Beispiele, wo eindeutig eine falsche Erwartung seitens einiger Jünger vorlag, die auch gleich an Ort und Stelle korrigiert wird. Doch wie ist es mit jenen Stellen im NT, wo eine Naherwartung spürbar wird, und wo man den Eindruck hat, daß es sich um Lehrtexte handelt?

b) Evangelien-Lehrtexte mit Naherwartung

Beginnen wir mit den Evangelien. In Mt. 10,23 heißt es: „Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende sein, bis der Sohn des Menschen gekommen sein wird. “ Hier könnte man den Eindruck gewinnen, daß während Jesu Anhänger gerade erst beginnen, in Israel die Botschaft zu verkündigen, also noch nicht einmal über Israel hinausgedrungen sind, Jesus bereits wiederkommt Doch nur einige Verse davor (10,18) finden wir die Ankündigung, daß die Jünger vor Statthalter und vor Könige geführt werden - ihnen und den Nationen zum Zeugnis. Das setzt doch eine über Israel hinausgehende Mission voraus. Und schließlich fand der Leser dieses Evangeliums später noch die Ankündigung der (24,14) sowie den Befehl zur Weltmission (28,19). Wenn das Evangelium „allen Völkern“ verkündigt sowie „alle Nationen“ zu Jüngern gemacht werden sollen, mußte der Leser damit rechnen, daß es ohne weiteres noch mehrere Jahrzehnte dauern kann. Und somit mußte er gleichzeitig auch damit rechnen, daß sein eigenes Leben vorüber sein werde, ehe Jesus wiederkommt Auch mehrere Gleichnisse Jesu weisen auf die Möglichkeit hin, daß sich das Kommen Jesu noch verzögern könnte: Ein schlechter Knecht kann deshalb auf den Gedanken kommen: „Mein Herr kommt noch lange nicht!“ (24,48). Die Brautjungfern müssen erleben, daß „der Bräutigam lange nicht kam“, so daß sie müde werden und einschlafen (25,5). Auch das Gleichnis vom Unkraut im Acker, das wir, gemeinsam mit dem Weizen, wachsen lassen und nicht vorzeitig ausreißen sollen, kann an einen längeren Zeitraum denken lassen (13,24-30). Und schließlich auch die diversen Hinweise in Jesu Zukunftsrede, was alles noch vor dem Ende geschehen sollte (z. B. 24,6-8). Dann ist auch an Jesu ethische Weisungen zu denken. Auch diese lassen erwarten, daß ein gewisser Zeitraum vergehen wird. Denken wir etwa an Jesu Aufforderung, der Diener aller zu sein (Mk. 9,35), oder an den Hinweis auf die Tage, wo der Bräutigam weggenommen sein wird und die Hochzeitsgäste daher fasten werden (Mk. 2,20). Und wenn Jesus dem Petrus ankündigt, was geschehen wird, wenn er alt geworden ist, und ihm dabei seinen Märtyrertod andeutet (Joh. 21,18f), wird jenen, die davon informiert wurden, klar geworden sein, daß es noch einige Jahrzehnte bis zum Ende dauern wird.

Somit können wir zusammenfassend festhalten, daß die Evangelien genügend Hinweise dafür beinhalten, daß bis zum Ende noch mehrere Jahrzehnte vergehen können, so daß niemand sich sicher sein konnte, das Ende selbst noch zu erleben.

c) Naherwartung bei Paulus

Hat auch Paulus damit gerechnet, die Wiederkunft Jesu noch zu erleben? Vor allem beim Lesen des 1. Thessalonicherbriefes (4,15) könnte man das meinen: „daß wir, die Lebenden, die übrigbleiben bis zur Ankunft des Herrn, den Entschlafenen keineswegs zuvorkommen werden“. Dieser Brief wird Anfang der 50er Jahre geschrieben worden sein. Seit Jesu Himmelfahrt waren also bereits 20 Jahre vergangen. Daß der Zwischenraum zwischen Jesu 1. und 2. Kommen in der Größenordnung von zumindest Jahrzehnten liegt, mußte ihm daher klar sein. Paulus berichtet nichts davon, daß ihm geoffenbart worden wäre, wie lange sein Leben noch währen wird. Als gefährlich lebender Missionar mußte er immer auch mit der Möglichkeit rechnen, getötet zu werden. Einmal zählt er die verschiedenen Lebensgefahren, in denen er sich bereits befunden hatte, auf: „Ich ertrug mehr Mühsal, war häufiger im Gefängnis, wurde mehr geschlagen, war oft in Todesgefahr. Fünfmal erhielt ich von Juden die 39 Hiebe; dreimal wurde ich ausgepeitscht, einmal gesteinigt, dreimal erlitt ich Schiffbruch, eine Nacht und einen Tag trieb ich auf hoher See. … “ (2. Kor 11,23-25) So konnte er sich auch gar nicht darauf festlegen, daß er bei der Wiederkunft Jesu noch leben werde. Selbst wenn diese bereits sehr rasch erfolgen sollte, könnte Paulus ja doch schon zuvor umgekommen sein. Seine Formulierung „wir, die Lebenden, die übrigbleiben … “ muß also nicht unbedingt in dem Sinn gemeint sein, daß er selbst sowie alle jetzt lebenden Thessalonicher, mit denen er sich im „wir“ zusammenschließt, in jenem Augenblick zu den Lebenden gehören werden. Die Zielrichtung der Aussage geht ja auch nicht dahin, die Personen festzulegen, die dann am Leben sein werden, sondern prinzipiell zu klären, was mit den beiden Gruppen - der dann Lebenden und der dann bereits Gestorbenen - geschehen werde. Dazu ist noch folgendes zu bedenken: Als sich Paulus im Jahr 56 von den Ephesern verabschiedet, spricht er von ihm bevorstehenden Leiden, von der Vollendung seines Laufs (d. h. doch wohl: seinem Tod), und er kündet an, daß sie ihn nicht mehr sehen werden (Apg. 20,23-25). Es klingt hier so, daß er mit seinem Sterben rechnet, nicht mit seinem Leben bis zur Wiederkunft Jesu.

Der 1. Korintherbrief wurde etwa Mitte der 50er Jahre geschrieben. Dort sagt Paulus: „Gott aber hat den Herrn auferweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Macht. “ (6,14) Wenn man das „uns“ hier wörtlich nimmt, dann rechnet Paulus mit seinem Sterben. Denn die Auferweckung betrifft bereits Gestorbene; zum Zeitpunkt von Jesu Kommen noch Lebende werden ja verwandelt.

Auch wenn wir in den Paulusbriefen so etwas wie eine Naherwartung finden, so konnte diese doch nicht im Sinne einer Gewißheit, daß das Ende nun innerhalb weniger Jahre kommen müsse, verstanden worden sein. Denn einige Jahrzehnte lagen bereits zurück, weitere Jahrzehnte konnten folgen. Somit konnte sich auch niemand - weder Paulus noch einer seiner Leser - darauf festlegen, daß er selbst das Kommen Jesu noch erleben werde. Die Situation sah demnach für jeden Christen so aus: Jederzeit konnte Jesus kommen, heute, morgen oder irgendwann. Vielleicht noch während meines Lebens, vielleicht erst danach. Daß die Zeit „nahe“ ist, brachte somit keine Garantie, auch keine Wahrscheinlichkeit mit sich, das Kommen Jesu noch persönlich zu erleben.

d) Andere Bibeltexte zur Naherwartung

Das Empfinden, daß Jesu Kommen doch nicht ganz so schnell wie erhofft erfolgt, begegnet uns schon in 2. Petrus 3. Und welche Antwort wird dort gegeben? Im Unterschied zu manchen heutigen Endzeitautoren verspricht Petrus seinen Lesern nicht, daß es nun gleich soweit sein wird, sondern er weist auf den positiven Gesichtspunkt dieser „Verzögerung“ hin: Es können noch viele Menschen umkehren. Zur Frage des Zeitpunktes wiederholt Petrus nur einen Vergleich Jesu: Er wird wie ein Dieb kommen, also überraschend und unerwartet.

Auch in der Offenbarung finden wir mehrere Stellen, die eine Naherwartung ausdrücken. Die Offenbarung soll zeigen, „was bald geschehen muß“ (1,1), denn „die Zeit ist nahe“ (1,3; 22,10). Für bald finden wir den griechischen Ausdruck en táchei, wiederzugeben durch schnell, eilends oder mit großer Geschwindigkeit. Adolf Pohl dazu: „Die griechische Vokabel tachos steckt z. B. in Tachometer (Geschwindigkeitsmesser) und enthält die Grundvorstellung 'eilen', meint also die Bewegung, nicht den Zeitraum. Ein Tachometer ist keine Uhr. “ (Einleitung Anm. 11 oder zu Offb 1,1) Gleiches gilt auch für Jesu Ankündigung „Ich komme bald“ (3,11; 22,7. 12. 20). Das griechische Wort, das hier für „bald“ steht, ist tachy. Es spricht weniger davon, daß der Zeitraum bis zum Kommen kurz ist, sondern eher, daß sein Kommen blitzartig und überraschend sein wird. Fritz Grünzweig hebt noch die Bedeutung „rechtzeitig“ hervor: „'Ich komme bald' heißt zugleich: Ich komme überraschend, schnell, rechtzeitig, noch ehe die antichristliche Bosheit und die 'Pforten der Hölle' meine Gemeinde 'überwältigt' haben … “ (im Bibel-Kommentar Bd. 25, zur Offenbarung 2. Teil. Neuhausen-Stuttgart 1982, S. 294f).

Im Rückblick auf die beinahe 2000 Jahre, die seither verstrichen sind, können solche Aussagen dennoch problematisch erscheinen. Doch im Hinblick auf die Zukunft ist die Situation für den einzelnen Leser wie zuvor beschrieben: Seit Jesu Weggang war ein halbes Jahrhundert vergangen, die Äußerungen waren nicht so präzise festgelegt, daß es jetzt nur noch wenige Jahre dauern könnte.

Gleiches gilt in verstärktem Maße auch für den heutigen Leser: Auch er kann in diesen neutestamentlichen Aussagen nicht die Erwartung finden, daß das Ende nun gleich, innerhalb der nächsten Jahre, kommen müßte. Die neutestamentliche Naherwartung kann also nicht als Rechtfertigung einer Demnächsterwartung dienen, wo festgelegt wird, daß es in den nächstfolgenden Jahren geschehen werde.

Nach Adolf Pohl fließt die Wiege der Naherwartung „aus der Verkündigung eines Gottes, der eben nicht harmlos ist. Gott ist Gott!“ (Einleitung Nr. 35) „Weil Gott Gott ist, ist die Strafe nahe. Diese Nähe ist ursprünglich Sachnähe. Freilich ist die Zeitnähe von diesen Aussagen nicht fernzuhalten.“ (Nr. 36) „Die Frage nach dem Zeitpunkt bleibt offen, veränderbar und hinausschiebbar am Rande stehen. Hier behält Gott sich und seiner Majestät etwas vor.“

„Der Herr ist nahe! bedeutet: Ungehorsam ist Wahnwitz. Wir leben bedroht, völlig entsichert vor Gott, mit aufgedecktem Dach, ständig offen für den Einfall des Gerichtes. Über der Gegenwart hängt bereits die Zukunft Gottes wie eine bedrohlich hängende Wand, die jeden Augenblick einbricht. “ (Nr. 37)

Übrigens waren die Menschen zur Zeit Jesu bereits durch das AT damit vertraut, daß das Eingreifen Gottes als „mit großer Geschwindigkeit“ erfolgend angekündigt wird. So konnten sie etwa in Maleachi 3,1 lesen: „Seht, ich sende meinen Boten; er soll den Weg für mich bahnen. Dann kommt plötzlich zu seinem Tempel der Herr, den ihr sucht,“ Diesen hier angekündigten Boten identifizierte Jesus mit Johannes dem Täufer (Mt. 11,10), also sich selbst mit dem plötzlich kommenden Herrn. Kurz darauf wird dieses Kommen Jesu von Maleachi als bald erfolgend angekündigt: „Ich komme herbei, um euch zu richten; schon bald komme ich und trete als Zeuge auf … “ (3,5; die Septuaginta, die griechische Übersetzung des AT, hat hier für bald das uns schon vertraute tachys). Tatsächlich vergingen zwischen Maleachi und Jesus dann noch etwa 500 Jahre.

Ähnliche Beobachtungen sind im AT noch öfter zu machen. Somit war Jesu Anhängern schon von ihrer AT-Kenntnis her klar, daß Formulierungen wie bald oder nahe nicht unbedingt auf einen sehr kurzen Zeitraum schließen lassen.

e) Verheißung mit Bedingungen?

Schließlich ist auch mit folgender Erscheinung zu rechnen: Ankündigungen ohne ausdrückliche Nennung von Bedingungen. Oft kündigt Gott etwas an, ohne ausdrücklich eine Bedingung hinzuzufügen. Etwa durch Jona: „Noch 40 Tage, dann wird Ninive untergehen!“ Scheinbar wurde keine Bedingung angegeben. Als Ninive umkehrt, ändert Gott jedoch auch seinen Gerichtsbeschluß.

Israel wird eingeschärft, Gottes Gebote zu halten, „damit es dir gut geht und ihr so unermeßlich zahlreich werdet, wie es der Herr, der Gott deiner Väter, dir zugesagt hat“ (Dtn. 6,3). Israel hatte eine Zusage bekommen, diese war aber nicht bedingungslos (die entsprechende Zusage an Abraham hatte jedoch keine ausdrücklich genannte Bedingung beinhaltet: Gen 15,5). Für den Fall, daß die Israeliten Gott ungehorsam sind, wird ihnen angekündigt: „Dann werden nur noch wenige Leute von euch übrigbleiben, statt daß ihr zahlreich seid wie die Sterne am Himmel; denn du hast nicht auf die Stimme des Herrn, deines Gottes, gehört. “ (Dtn. 28,62) Die Verheißung, daß Israel zahlreich wie die Sterne am Himmel werden soll, war also nicht völlig unabhängig vom Verhalten Israels gemeint.

Dem Priester Eli, der gegenüber seinen falsch handelnden Söhnen zuwenig streng war, schickt Gott einen Propheten mit der Botschaft: „Spruch des Herrn, des Gottes Israels: Ich hatte fest zugesagt: Dein Haus und das Haus deines Vaters sollen für ewig vor meinem Angesicht ihren Dienst versehen. Nun aber - Spruch des Herrn: Das sei fern von mir, denn nur die, die mich ehren, werde ich ehren, die aber, die mich verachten, geraten in Schande. “ (1. Samuel 2,30)

Durch Jeremia sagt Gott: „Bald sage ich einem Volk oder einem Reich zu, es aufzubauen und einzupflanzen. Tut es aber dann, was mir mißfällt, und hört es nicht auf meine Stimme, so reut mich das Gute, das ich ihm zugesagt habe. “ (18,9f)

Dem Königsthron Davids wird zugesichert, daß er auf ewig Bestand haben soll (2. Sam 7,13. 16). Das hat sich so nicht erfüllt, mit Jojachin und Zedekia endet im 6. Jahrhundert v. Chr. die davidische Nachfolgelinie auf dem Königsthron. In veränderter Bedeutung hat sich die Verheißung in Jesus, einem Nachkommen Davids, erfüllt.

Den in Ägypten gefangenen Israeliten versprach Gott, sie nach Kanaan zu bringen, zog sein Versprechen aber nach derem wiederholten Ungehorsam zurück: „Keiner von euch wird in das Land kommen, auch wenn ich meine Hand erhoben und geschworen habe, euch darin wohnen zu lassen,“ (4. Mose 14,30) Erst deren Kinder durften hinein. Offenbar war bei diesem Versprechen doch auch eine Bedingung mitgedacht. „Es war nicht notwendig, und es wäre sicherlich ein Verstoß gegen die Regeln literarischer Kunst gewesen, die Androhung der Strafe oder der Enterbung bei jeder biblischen Verheißung zu wiederholen. “ (Loraine Boettner in: Clouse 83)

So könnte ich mir vorstellen, daß auch die Ankündigung 'Das Ende ist nahe' als eine Verheißung gemeint war. Die dabei mitgedachte Voraussetzung war, daß die Weltmission rasch abgeschlossen ist. Durch das Versagen der Gemeinde in der Ausführung des Missionsauftrages verschob sich dann das Ende immer mehr.

3. Den Antichristen frühzeitig erkennen?

Die intensive Beschäftigung mit der Endzeitthematik kann auch damit gerechtfertigt werden, daß wir ja den Antichristen erkennen sollen: „Warum beschäftigen wir uns so ausgiebig mit der Person und den Eigenschaften des Antichristen? Weil wir warnen wollen, denn dieser Weltdiktator wird sich anfangs lammfromm aufspielen. “ So Klaus Gerth (S. 166). Und weiter: „Wenn es stimmt, was ich in diesem Buch immer wieder nachweisen möchte, nämlich, daß die Bühne für den Antichristen fertig vorbereitet ist und sein Auftritt nahe bevorsteht, dann ist es unerläßlich, daß wir möglichst viele Informationen erhalten, um ihn rechtzeitig zu erkennen. “

Mir leuchtet das nicht ganz ein, denn gerade gemäß dispensationalistischer Ansicht werden doch wir Gläubigen ohnehin entrückt, bevor der Antichrist sein Unwesen treiben kann und es zur großen Drangsal kommt: „. . . , daß zwei ganz entscheidende Dinge passieren müssen, bevor der Antichrist auftritt: 1. Die Entrückung der Gläubigen, um den Heiligen Geist aus dem Weg zu schaffen. “ So Gerth (S. 199). Und weiter: „Wir haben nach Rückkehr der Juden in ihr Land auf keine weiteren Zeitereignisse vor der Entrückung mehr zu warten. Wir verstehen auch, wie wichtig der 'Exodus' aus dem Blickwinkel der dann folgenden Ereignisse ist, da er die Bahn für das Auftreten des Widersachers Gottes, des Menschen der Sünde, bereitet. Denn das, was den Antichristen noch aufhält, der Heilige Geist, muß aus dem Weg. “

Denken wir Gerths Ansicht konsequent durch: Der Antichrist lebt schon, aber tritt noch nicht auf, daher können wir ihn derzeit nicht erkennen (und brauchen das auch gar nicht, er hat ja noch keine führende Position, so daß wir auf seine Weisungen reagieren müßten). Zuerst wird die Entrückung kommen, sodann der Angriff der Sowjetunion & Co. auf Israel, wobei die Angreifer eine gewaltige Niederlage erleiden. Durch das Verschwinden des Machtblocks Sowjetunion wird der Weg frei für das Auftreten des auf die EG gestützten Antichristen … (Gerth S. 200). Bei dieser von Gerth präsentierten Sicht wird aber seine Begründung für die intensive Endzeitbeschäftigung hinfällig!

Wie schon Gerths Lehrer Lindsey festhielt, „hält die Kraft des Heiligen Geistes in den gläubigen Christen das Auftreten des Antichristen noch auf. Erst wenn der Heilige Geist von der Erde weggenommen sein wird, kann der Antichrist an die Macht gelangen. “ (S. 129; ähnlich S. 133) Die Entrückung der Gläubigen hätte, so Lindsey, schon beim Erscheinen seines Buches stattfinden können, während man damals aber den Antichristen noch nicht erkennen konnte (S. 173). Auch hier wieder: Noch bevor der Antichrist erkennbar wird, sind die Gläubigen entrückt. Die Gläubigen brauchen und können daher den Antichristen nicht frühzeitig erkennen. Somit könnten wir uns das „Antichrist-Früherkennungs-Ratespiel“ eigentlich ersparen.

Entrückung der Christen vor Herrschaft des Antichristen: Das ist gemeinsames Glaubensgut der Dispensationalisten. „Harmagedon kann nicht stattfinden, solange die Gemeinde Jesu noch auf Erden ist. Die Gemeinde erlebt die Offenbarung des Antichristen nicht mehr, geschweige denn sein Ende bei Harmagedon. “ (Malgo: Schatten 142) Auch bei William Goetz lesen wir diese Ansicht (S. 250), allerdings hält dieser es auch für möglich, daß das anfängliche Auftreten des Antichristen von den Gläubigen noch miterlebt wird (S. 240); ähnlich Marius Baar (S. 230).

Wenn jemand nicht mit der Entrückung der Gemeinde vor dem Auftreten des Antichristen rechnet, kann er dessen Früherkennung für die Gemeinde wichtig finden. Aber er kann auch der Meinung sein, daß die Gemeinde zur gegebenen Zeit klar wissen wird, daß es sich hier um den Antichristen handelt. Der Baptistenpastor Arnold Köster hielt 1941 in Wien einen Vortrag zum Thema des Antichristen:

„Ich habe hier nicht die Frage zu beantworten, wer der Antichristus ist. Aber ich muß vom Wort her die Grundzüge antichristlichen Wesens aufzeigen, die in der antichristlichen Herrschaft, der antichristlichen Persönlichkeit zutage treten. Jetzt schauen wir wie in einen dunklen Spiegel - dann von Angesicht zu Angesicht! Jetzt lesen wir das Wort; wenn der dann auftritt, der hier beschrieben wird, muß man es erst gar nicht laut sagen, damit wir wissen: das ist er. Dann weiß die Gemeinde nicht nur, daß die Stunde da ist, wo sie ins Gefängnis zu gehen hat, um wieder Blutzeuge zu werden; sondern sie weiß auch, daß jetzt bald die Tore der Ewigkeit sich öffnen und der Christus kommt, um alles neu zu machen!“ (S. 108)

Durch Zeichen angekündigt oder unvorhersehbar?

„Jesus selbst hat uns ausdrücklich geboten, auf die Zeichen der Zeit zu achten. … Schon heute sehen wir große spektakuläre Zeichen, die auf die bevorstehende große Schlacht von Harmagedon hindeuten: … 3. Der unaufhaltsame Aufstieg der Sowjetunion … 5. Die Wiedergeburt des Römischen Reiches (10 Nationen der EG). “ (Gerth 8f)

„Die Endzeitzeichen sind nicht zur Erstellung von Heils- und Unheilsfahrplänen gegeben. … Es ist offensichtlich auch im Willen Gottes, über der Zukunft einen Schleier zu belassen, der erst beim Eintreffen der Ereignisse endgültig fällt. Die gewaltigen Ereignisse der Zukunft lassen sich nicht in kleine menschliche Programme zwängen. Hände weg von festgefügten Zukunftschematas, ja gar Zeitfahrplänen: 'Über jenen Tag aber und jene Stunde weiß niemand etwas!'„ (Zopfi 25)

a) Vor bestimmten Zeichen Kommen Jesu unmöglich?

Im Hinblick auf den Zeitpunkt seiner Wiederkunft betont Jesus unsere Unwissenheit: „ihr wißt nicht, zu welcher Stunde euer Herr kommt“ (Matthäus 24,42). In diesem Sinn präsentiert er auch mehrere Gleichnisse, die zeigen: Es kann jederzeit soweit sein. Diese Gleichnisse weisen auf das Überraschende hin: „… kommen an einem Tag, an dem er es nicht erwartet, und in einer Stunde, die er nicht weiß, … “ (24,50)

Wie sollen wir dann die „Zeichen der Zeit“ verstehen? Nehmen wir einmal an, Jesus weist in seiner Rede auf einige Zeichen hin, die kurz vor seiner Wiederkunft stattfinden werden. Dann würde er sich selbst widersprechen. Denn dann hätten seine Zuhörer ja gewußt: Solange diese Zeichen nicht da sind, wird auch Jesus nicht kommen - da brauchen wir mit seiner Wiederkunft gar nicht rechnen. Und auch die Christen aller weiteren Jahrhunderte hätten - mit einigem Bibelverständnis - wissen können, daß das Ende noch gar nicht kommen kann. Es standen ja noch einige Zeichen aus. In diesem Sinne wird die Aussagekraft dieser „Zeichen der Zeit“ in der Endzeitliteratur aber verstanden. So lesen wir etwa bei Steven Lightle: „Jesus wird wiederkommen! Bevor er aber kommt, müssen gewisse Dinge geschehen sein, die seinen Weg vorbereiten. “ (S. 144; ähnlich S. 157. 171) Eine weitere Konsequenz dieses Verständnisses der „Zeichen der Zeit“ ist: Sobald diese Zeichen da sind, steht Jesu Wiederkunft kurz bevor. Somit würden Jesu Anhänger einigermaßen genau wissen, wann Jesus kommt Und gerade das schließt Jesus aus.

Veranschaulichen wir das anhand eines Beispiels: Das Blühen des Feigenbaums (24,32) deuten manche Ausleger so, daß Israel politisch und wirtschaftlich blühen soll. Also: 1948 wurde Israel als Staat ausgerufen, nun müßte es bald soweit sein, daß Jesus wiederkommt Was umgekehrt bedeutet: Vor 1948 war Jesu Wiederkunft nicht zu erwarten.

So lesen wir es etwa bei Hal Lindsey: „Das wichtigste Ereignis, das aller endzeitlichen Prophetie vorausgehen muß und das viele Bibelforscher in der Vergangenheit übersahen, war die Tatsache, daß Israel als Nation wieder in seinem Heimatland wohnen mußte, ehe weitere endzeitliche Ereignisse eintreten können. “ (S. 48f)

Oder bei Gerth: „Einige bekannte Bibelausleger, die ihre Aussagen am Anfang dieses Jahrhunderts weitergaben, wiesen immer darauf hin, daß das Zweite Kommen unseres Herrn erst dann stattfinden könnte, wenn sich Israel wieder als Nation in Palästina zusammengefunden hat. Es ist absolut richtig, daß dieses große Ereignis zuerst zu geschehen hatte. “ (S. 198)

Wäre Jesu Erwähnung des Feigenbaums wirklich so gemeint gewesen, und hätten Jesu Jünger ihn so verstanden, dann hätten sie gewußt: Erst wenn Israel wieder ein selbständiger Staat ist, können sie mit Jesu Wiederkunft rechnen (und sobald das eine eintritt, kommt auch bald danach das andere). Doch obwohl nach Jesu Weggang noch keine Spur von einer staatlichen Verselbständigung Israels zu sehen war, rechneten Jesu Jünger mit seiner baldigen Wiederkunft. Verstanden sie etwa Jesu Erwähnung des Feigenbaums nicht, während erst die heutigen Ausleger sie verstehen?

Auch andere „Zeichen der Zeit“ werden herangezogen, um zu erschließen, ob Jesus bereits wiederkommen könnte (oder eben noch nicht): Am Ende seines Abschnittes über die EG schließt Goetz: „Das bedeutet, daß die Wiederkunft Christi sehr nahe sein könnte. “ (S. 109) Umgekehrt: Solange dieser Zustand noch nicht gegeben war, konnte demnach Jesu Wiederkunft nicht nahe sein! Lightle betont die Rückkehr der Juden: „alle bibelgläubigen und -kundigen Christen warten noch auf ein großes Ereignis: auf den Exodus 'aus dem Lande des Nordens und aus allen Nationen der Welt'. Diese Rückkehr nach Israel wird die letzte Vorbereitung für die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christus sein. “ (S. 142)

Oft schon wurde versucht, aufgrund der gerade beobachteten „Zeichen der Zeit“ auf das nahe Ende zu schließen. Immer wieder mußte man jedoch feststellen: Trotz der Zeichen vergingen weitere Jahrzehnte, das Ende kam nicht. Diese wiederholte Erfahrung mahnt uns doch nachdrücklich, daß wir damit aufhören sollten.

Im Eingangszitat Gerths habe ich zwei der fünf von ihm genannten „Zeichen, die auf die bevorstehende große Schlacht von Harmagedon hindeuten“, wiedergegeben. Diese beiden Zeichen haben sich mittlerweile verändert. Das 3. (= Der unaufhaltsame Aufstieg der Sowjetunion) gibt Gerth auch noch in der „vollständig überarbeiteten und aktualisierten“ Auflage von 1989 (noch 1991 nachgedruckt) an, das läßt sich so aber schon seit Jahren nicht mehr aufrechterhalten. Und beim 5. Zeichen (= Die Wiedergeburt des Römischen Reiches) mußte Gerth schon 1989 die „10 Nationen der EG“ streichen, waren doch inzwischen Spanien und Portugal aufgenommen worden. Wie wenig können wir uns auf die Deutung solcher „Zeichen“ verlassen, wenn sich diese innerhalb eines knappen Jahrzehnts bereits so verändern, daß man an ihrem Zeichen-Charakter zu zweifeln beginnen kann?

Dennoch meinen viele Endzeitautoren, daß wir so handeln müssen: „Es ist daher zu allen Zeiten die Pflicht der uns gebotenen Wachsamkeit, auf die Zeichen der Zeit zu achten. … Die Zeiger der Weltuhr rücken vor. Es geht auf zwölf. “ (Hubmer 198. 213)

Alle Versuche, aufgrund der „Zeichen der Zeit“ zu erkennen, wie weit der Zeiger auf der Weltenuhr schon fortgeschritten ist (und in weiterer Folge: wie bald nun das Ende kommen muß), gehen gegen Jesu Aussage: „Euch steht es nicht zu, Zeiten und Fristen zu erfahren, die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat. “ (Apg. 1,7)

Durch Zeichen angekündigt oder unvorhersehbar? Das ist eine Schlüsselfrage der Eschatologie (die Lehre von der Endzeit wird als Eschatologie bezeichnet.) Erich Geldbach bejaht das Unvorhersehbare unter Hinweis darauf, „daß das Beobachten der Zeichen der Zeit die Eschatologie in eine sich entwickelnde, 'evolutive Eschatologie' verwandelt, da in der Gegenwart entweder noch Zeichen ausstehen oder andere erst schattenhaft erkennbar sind. … Damit verliert die Eschatologie aber das Moment des völlig Überraschenden, des Hereinbrechens wie ein Dieb in der Nacht (Mt. 24,43; 1 Thess 5,4). “

Hier werden zwei verschiedene Auslegungsrichtungen sichtbar, die ich folgendermaßen benennen möchte:

* Signalismus (von lat. signum = Zeichen) - der ungefähre Zeitpunkt für Jesu Kommen läßt sich aufgrund von Vorzeichen abschätzen * Subitismus (von lat. subito = plötzlich) - Jesus kommt plötzlich und unerwartet

b) „. . . Tag und Stunde ... “

Der Vorstellung, daß sich der Zeitpunkt seiner Wiederkunft ungefähr absehen läßt, scheint Jesus zu widersprechen: „Von jenem Tag und jener Stunde weiß niemand … “ (Mt. 24,36). Nun gibt es manche Bibelleser, die diese Worte sehr wörtlich deuten wollen, also etwa so: 'Den ungefähren Zeitpunkt können wir schon wissen, nur das genaue Datum und die genaue Uhrzeit wissen wir nicht. ' So deuteten es die Zeugen Jehovas, als sie mit Volldampf auf 1975 hinsteuerten. Sie schränkten damals (1967) ein: „Natürlich sagte Jesus, daß nur der himmlische Vater den Tag und die Stunde genau kenne, an dem das Ende komme. (Matth. 24:36) Aber wenn uns nur noch wenige Jahre von dem Ende dieses alten Systems trennen, ist es lebenswichtig, daß wir geistig wach bleiben. “ (S. 150f). Zu beachten ist hier, wie dem Ausspruch Jesu das Wort „genau“ hinzugefügt wird. So daß dem Leser nun folgender Sinn vermittelt wird: Den ganz genauen Zeitpunkt weiß niemand; daß es nur noch kurze Zeit (einige Jahre?) sein kann, das meinten die ZJ doch zu wissen.

Das gilt jedoch auch für andere Endzeitautoren. Nach Heitmüller „gibt es keinen einzigen, der die Wiederkunft des Herrn Jesu auf Tag und Stunde angeben könnte. “ (S. 12f) Aber, so Heitmüller weiter, Jesus hat uns „die Ereignisse, die Seiner Wiederkunft vorausgehen werden, bestimmt und scharf umrissen genannt“. Diese Ereignisse versetzen uns in die Lage, „darüber zur Klarheit zu kommen, wo wir in der weltgeschichtlichen Entwicklung stehen“. Oder Pache: „Man sage uns also nicht: Ihr könnt es gar nicht wissen, wann das Ende nahe ist, da 'niemand Zeit noch Stunde kennt'. So reden, hieße zwei Dinge verwechseln: Das Geheimnis, das Sich Gott vorbehalten hat über den genauen Augenblick der Wiederkunft Seines Sohnes, und die deutliche Offenbarung über jenen Zeitabschnitt, die Er geben wird. “ (S. 82) Was Pache damit meint: Jesus kommt wie der Blitz aus dem Himmel; aber auch „ein Blitz kommt nicht aus heiterem Himmel: er kommt aus Wolken, die sich allmählich zusammengezogen haben. Wer darauf achtete, konnte das Nahen des Gewitters bemerken. “ (S. 54) Das Überraschende des Kommens Jesu schränkt Pache auf die Ungläubigen und „die vorgeblich Gläubigen, die das prophetische Wort mißachtet haben“, ein; nur diese „werden völlig unvorbereitet überrascht werden“.

Es läßt sich also beobachten, daß mitunter auch ein Autor, der diese Aussage Jesu zitiert, sich doch frei fühlt, einigermaßen genau anzugeben, wieviel Uhr es geschlagen hat. Wim Malgo zitiert ausführlich einen Kommentar von Albert Springer: „Es ist uns nicht gegeben, den 'Tag oder die Stunde' der Wiederkehr Christi zu kennen. Er hat uns aber Anhaltspunkte gegeben, die wir wohl tun, zu beachten. “ (Aufmarsch S. 56)

c) Wachen, weil wir den Zeitpunkt nicht wissen?

Jesu Gleichnis vom Hausherrn und dem Dieb (Mt. 24,43) betont das Unvorhersehbare des Zeitpunktes des Kommens Jesu. Dieser eine Gesichtspunkt wird von manchen Auslegern breit ausgemalt, etwa von René Pache: „Wir haben eine solche Neigung zur Trägheit und Schlaffheit, daß wir immer in Atem gehalten werden müssen. … Ja, sagte man sogar den Christen, daß dies Ereignis erst in sechs Monaten stattfinden sollte, würden sie sich fünfeinhalb Monate lang von der Pflicht zu wachen entbunden fühlen. “ (S. 50) Es klingt dann so, als würden die Christen die ständige „Drohung“ brauchen, daß Jesus in jedem Augenblick kommen (und sie zufällig gerade in einer laxen Phase erwischen) könnte. Die Lebensgestaltung des Christen alleine von daher zu sehen, wäre aber einseitig. Wir möchten ja nicht bloß deshalb in ständiger Verbindung mit Gott leben, weil wir nicht genau wissen, wann Jesus kommt und wir es peinlich fänden, von ihm in einem Augenblick überrascht zu werden, wo wir gerade ohne Gott leben. Wenn ich Gott liebe, dann will ich in ununterbrochener Gemeinschaft mit ihm leben, selbst wenn ich wüßte, daß Jesus in den nächsten Jahren noch nicht kommt

In anderen - wesentlich längeren! - Endzeitgleichnissen Jesu werden auch andere Aspekte sichtbar. Das Gleichnis von den 10 Jungfrauen (Mt. 25,1-13) betont, daß wir uns jetzt schon entsprechend vorbereiten müssen auf jenen - uns nicht genau bekannten - Zeitpunkt des Kommens Jesu. Hier wird meine augenblickliche Aktivität also nicht von daher bestimmt, daß Jesus jetzt wiederkommen könnte, sondern von der Frage her, was ich jetzt tun soll, damit ich zu jenem Zeitpunkt alle nötigen Vorbereitungen bereits getroffen habe. Und bei einem anderen Gleichnis, bei den anvertrauten Talenten (Mt. 25,14-30), geht es darum, den gesamten Zeitraum der Abwesenheit des Herrn zu nützen. Bei dem Vergleich mit der Zeit Noahs soll deutlich werden, daß der Weltlauf einmal unterbrochen wird (Mt. 24,37-42). Darauf sollten wir uns einstellen.

5. Weltevangelisation als Zeichen?

Auf eines der „Zeichen“ möchte ich noch eingehen, nämlich auf die Weltevangelisation. Schließlich sagte Jesus, daß zuerst das Evangelium allen Völkern verkündigt werden wird, dann erst kommt das Ende (Mt. 24,14). Gibt er uns damit einen Anhaltspunkt, aufgrund dessen wir wissen konnten, daß Jesus bis dahin noch nicht kommen werde? Und umgekehrt würde dann auch gelten: Sobald das Evangelium allen Völkern verkündigt worden ist, müssen wir damit rechnen, daß Jesus sehr bald kommt?

Doch auch dieser Hinweis Jesu liefert uns keinen genauen Zeitpunkt. Wir wissen ja nicht, an welchen „Erfassungsgrad“ Jesus dabei dachte, d. h. inwieweit die Menschheit von der Verkündigung des Evangeliums erfaßt sein sollte. Wird jeder einzelne Mensch das Evangelium hören? Oder genügt es, daß aus jedem Volk einige Angehörige davon gehört haben? (Jesus sprach ja von „allen Völkern“.) Wenn gemeint ist, daß jeder einzelne Mensch das Evangelium hören soll, so sind wir davon noch weit entfernt. Denn das würde derzeit nur auf etwa die Hälfte der Weltbevölkerung zutreffen. Unabhängig davon, wie viele Menschen es gehört haben sollen: Was bedeutet „gehört“? Genügt es, wenn jeder Mensch das Evangelium in Kurzform, etwa in einigen Sätzen zusammengefaßt, gehört hat, unabhängig davon, wieweit er es erfassen konnte? Für Menschen, die mit ganz anderen Vorstellungen aufwachsen, ist es mitunter recht schwierig, die Bedeutung der Aussagen des Evangeliums zu erfassen. Dann könnte man noch weiterfragen, inwieweit auch die Kleinkinder von der Evangelisation betroffen sein sollen.

Falls Jesus gemeint hat, daß von jedem Volk zumindest einige Individuen das Evangelium gehört haben sollten, stellt sich die Frage: Was gilt als „Volk“? Ist jeder Stamm mit einer eigenen Sprache schon als ein Volk zu betrachten? Dann würde es gleichfalls noch sehr lange dauern. Wenn wir den Vorgang des Evangelisierens mit dem Übersetzen von zumindest einem Teil der Bibel koppeln: Wir kennen sehr viele Sprachgruppen, die noch keine Bibel(teil)übersetzung besitzen. Wenn aber lediglich die größeren Völker damit gemeint sind, so haben wir den geforderten Zustand wohl schon erreicht, denn 98 % der Weltbevölkerung haben zumindest einen Teil der Bibel in ihrer Sprache. (Wobei aber noch Fragen offenbleiben: Wieviele von diesen Menschen können lesen, und wieviele haben Zugang zu Exemplaren dieser Übersetzung?)

Bei Jesu Ankündigung der Evangelisierung „aller Völker“ haben wir mitzubedenken, daß „alle“ nicht immer 100 % bedeuten muß - man vergleiche etwa Mk. 1,5 mit Mt. 11,18 oder 21,25f. (Näheres dazu in meinem Buch Symbol oder Realität? - Taufe und Abendmahl, S. 20. 37f. )

In gewisser Weise konnten schon die Jünger Jesu den Eindruck haben, daß „alle Völker“ evangelisiert sind. Denn die damals bekannte Welt, nämlich das Römische Reich und die unmittelbaren Nachbargebiete, wurden innerhalb einiger Jahrzehnte erreicht - wenngleich anfangs eher auf die Großstädte beschränkt.

Bei Jesu Hinweis gibt es also mehrere offene Frage, die Begriffe „alle“, „Völker“ und „Evangeliumsverkündigung“ betreffend. So eignet sich also auch dieser Hinweis nicht dazu, eine deutliche Scheidung vorzunehmen: Bis dahin konnte Jesu Wiederkunft noch nicht erfolgen, ab da ist dagegen mit ihr zu rechnen.

6. „Diese Generation ... “

a) Nahereignis und Fernereignis

Die in Matthäus 24 und 25 berichtete Rede Jesu wird zumeist als Endzeitrede bezeichnet. Wenn wir als „Endzeit“ die gesamte Zeit von Jesu Wirken an über die Zerstörung Jerusalems und weiter über Jesu Wiederkunft bis zum Gericht rechnen (= „Endzeit im weiteren Sinne“, Bergmann 6), können wir diese Rede Jesu durchaus als „Endzeitrede“ bezeichnen. Die meisten Leser denken beim Begriff der „Endzeit“ aber speziell an den kürzeren, der Wiederkunft Jesu unmittelbar vorangehenden Zeitabschnitt (= „Endzeit im engeren Sinne“). In diesem Verständnis wäre es dann irreführend, von „Jesu Endzeitrede“ zu sprechen. So sollte man sie wohl besser „Jesu Zukunftsrede“ nennen (wie Großmann 13 vorschlug).

Was meinte Jesus mit der Generation, die nicht vergehen wird, „bis dieses alles geschieht“? Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir den Zusammenhang überblicken. In seiner Zukunftsrede beantwortet Jesus zwei verschiedene Fragen: „wann wird das [= die Tempelzerstörung] sein, und was ist das Zeichen deiner Ankunft und der Vollendung der Weltzeit?“ (Mt. 24,3). Die Zerstörung des Jerusalemer Tempels fand im Jahr 70 n. Chr. statt, die Wiederkunft Jesu steht noch aus. Jesu Rede handelt also von zwei weit auseinanderliegenden Ereignissen, einem Nahereignis und einem Fernereignis. Wir müssen daher bei den einzelnen Aussagen immer beachten, welches dieser beiden Ereignisse damit gemeint ist. In einigen Abschnitten ist diese Unterscheidung jedoch nicht einfach, und manchmal kommt es in den Berichten über Jesu Zukunftsrede zu einem plötzlichen Sprung: während der eine Vers noch von der bevorstehenden Tempelzerstörung spricht, redet der nächste Vers bereits über die Ereignisse vor der Wiederkunft Jesu.

Jesus spricht also von zwei - wie wir heute wissen - weit auseinanderliegenden Ereignissen. Das eine sollte bereits in 40 Jahren kommen, das andere erst (wie wir heute wissen: wesentlich) später. Jesus: „Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschehen ist. … Von jenem Tag und jener Stunde weiß niemand, … “ (24,34. 36).

„Dieses alles“ kann Jesus einigermaßen datieren, „jenes“ nicht. „Geschlecht“ (griech. geneá) - das meint die Generation; „dieses Geschlecht“ = die Generation zur Zeit Jesu (wie auch sonst, vgl. Mt. 11,16 oder 12,41f; das von Jesus hier vermutlich gebrauchte aramäische Wort, nämlich dar, bezeichnet eindeutig nur die Generation, nicht etwa ein Volk oder eine Rasse). Tatsächlich kam es zur Zerstörung des Jerusalemer Tempels 40 Jahre danach, als noch viele Angehörige der Generation Jesu lebten. So verstanden wiederholt Jesu Ankündigung das, was er auch schon in 23,36 gesagt hatte. (So dargelegt von Theodor Zahns Kommentar zum Matthäus-Evangelium, Nachdruck Wuppertal 1984, S. 672-4, sowie in Adolf Pohls Kommentar zum Evangelium des Markus [= Wuppertaler Studienbibel, Ergänzungsband]. 1986, S. 480. )

Wir können also bei der auch sonst von Jesus verwendeten Bedeutung von „dieses Geschlecht“ bleiben - wir brauchen nicht auf gekünstelte und verdrehte Bedeutungen zurückgreifen. Etwa, als ob Jesus „jene Generation“ gemeint hätte - die Generation der Rückeroberung Jerusalems im Jahr 1967. Oder als ob er hätte sagen wollen: Dieses jüdische Volk, die jüdische Rasse wird nicht vergehen. Denn dann hätte er einerseits so formuliert, als würde es schon bald geschehen, andererseits bloß gesagt, daß das ihm zuhörende Volk nicht vergehen werde - ein völliges Verschwinden eines Millionenvolkes wäre innerhalb einiger Jahrhunderte sowieso nicht zu erwarten gewesen; auch die Ägypter oder die Griechen existieren noch immer. Hier ist Pache zu widersprechen, der behauptet: „Alle Völker des Altertums sind verschwunden: die Ägypter, Assyrer, Babylonier, Perser, Griechen, Römer usw. Israel allein existiert noch,“ (S. 77)

Die geneá bedeutet in den Evangelien zwar gelegentlich einfach eine bestimmte Art von Menschen, ohne dabei genau auf eine Generation einzuschränken, aber sie bezeichnet dort nie ein bestimmtes Volk, eine bestimmte Rasse.

b) Christen flohen aus Jerusalem

Ein Teil der von Jesus genannten Vorzeichen bezieht sich auf die drohende Zerstörung Jerusalems. Mit dieser Ankündigung ist Jesu Mahnung, rechtzeitig zu fliehen, verbunden. Noch die Generation Jesu werde diese Katastrophe miterleben, und sobald die ersten Anzeichen dafür sichtbar werden, sollten die Bewohner Judäas fliehen. Die etwas überspitzte Aussage, daß der gerade auf dem Dach Befindliche nicht noch in sein Haus hineingehen soll, um bei seiner Flucht etwas mitzunehmen, sollte die Gefahr betonen, die darin liegen würde, wenn jemand zulange zögert. Erste Anzeichen für die unmittelbar bevorstehende Zerstörung Jerusalems können im „Greuel der Verwüstung“ bestehen (Mk. 13,14), oder in dem Belagertwerden Jerusalems (Lk. 21,20). Als Vespasian nach seiner Eroberung Galiläas dann im Jahr 68 vor Jerusalem stand und die Belagerung beginnen wollte, erfuhr er vom Tod Kaiser Neros. Daraufhin unterbrach er die Belagerung, weil er abwarten wollte, ob Neros Nachfolger auf dem Kaiserthron ihm eine neue Weisung geben würde. Aber nun begann in Rom eine turbulente Zeit (das sog. „Vierkaiserjahr“): die beiden ersten Nachfolger Neros lebten nur jeweils wenige Monate, und während der dritte Nachfolger regierte, riefen Teile der Armee Vespasian zum Kaiser aus. So kümmerte sich dieser vorerst um die Sicherung seiner Herrschaft über das römische Reich. Erst im Jahr 70 ging sein Sohn Titus neuerlich an die Belagerung Jerusalems. (Nach fünf Monaten hatte er die Stadt erobert und ließ sie dem Erdboden gleichmachen. Im Laufe der Kämpfe fanden den Schätzungen von Zeitgenossen zufolge 0,6 bis 1,1 Millionen Juden den Tod, zum Teil durch Hunger. ) In den beiden Jahren von 68 bis 70 gab es also noch die Möglichkeit zu fliehen.

Was ist mit dem „Greuel der Verwüstung“ gemeint? Im Jahr 40 wollte der römische Kaiser Caligula seine Statue im Jerusalemer Tempel aufstellen lassen, dazu kam es aber dann nicht mehr, Caligula wurde Anfang 41 ermordet. Bevor Vespasian zur Belagerung Jerusalems ansetzte, als er noch mit der Eroberung Galiläas beschäftigt war, flohen Menschen nach Jerusalem. Die Zeloten versuchten dort die Herrschaft zu übernehmen und besetzten den Tempel. Flavius Josephus schrieb: „Sie wandten ihre Überheblichkeit gegen die Gottheit und betraten das Heiligtum mit befleckten Füßen. “ (Der Jüdische Krieg IV, Kap. 3,6 = IV, _ 150) Daß sie den Tempel zu einem militärischen Stützpunkt machten und dabei den Tempel betreffende alttestamentliche Vorschriften außer acht ließen - darin konnten Juden den „Greuel der Verwüstung“ erblicken. Somit lieferte Jesu Zukunftsrede gemäß den Berichten von Mt. und Mk. einen bereits vor dem ersten Ansatz zur Belagerung Jerusalems liegenden Anhaltspunkt, der erkennen ließ, daß es höchste Zeit zur Flucht aus Jerusalem und überhaupt aus Judäa ist.

Es wird berichtet, daß sich die Jerusalemer Christengemeinde rechtzeitig vor dem Krieg in Sicherheit gebracht hatte, indem sie entsprechend einer von ihren Führern empfangenen Offenbarung nach Pella im Ostjordanland auszogen. (Davon berichten, unabhängig voneinander auf ältere Quellen gestützt, Euseb von Cäsarea in seiner Kirchengeschichte III,5,3 und Epiphanius von Salamis in seinem Panarion 29,7 sowie in De mensuris et ponderibus 15. ) Die Christen verließen also Jerusalem, gemäß Jesu Warnung, und blieben bewahrt. Viele Bewohner Judäas und Galiläas dagegen flohen in die umgekehrte Richtung, nämlich nach Jerusalem. Diese schwer zu erobernde Stadt schien ihnen Sicherheit zu versprechen. So liefen sie geradewegs in ihr Verderben.

7. Sammlung Israels

Eines der regelmäßig angeführten „Zeichen der Zeit“ ist die Sammlung Israels. Tatsächlich war die Staatsgründung 1948 ein menschlich völlig unerwartetes Ereignis. Handelt es sich bei der Besiedlung Palästinas durch Juden um ein von Gott vorhergesagtes und mitbewirktes Geschehen?

Diese Frage ist eng mit der endgeschichtlichen Bedeutung Israels verbunden und daher sehr komplex. Meine Aufgabe in diesem Buch sehe ich nun eher darin, auf einzelne Fakten hinzuweisen, nicht so sehr darin, eine bestimmte geschlossene Endzeitsicht zu vermitteln. Im Zusammenhang mit der Sammlung der Juden möchte ich mich auf einige Aspekte beschränken. Erstens will ich zeigen, daß manche atl. Formulierungen wie „sammeln aus allen Ländern“ nicht überstrapaziert werden dürfen, zweitens will ich darauf hinweisen, daß das gegenwärtige Tempo dieser Sammlung sehr langsam ist, und drittens will ich daran erinnern, daß die Rückkehr aller Juden nach Israel vor Jesu Kommen nicht so eindeutig vorteilhaft ist, daß wir uns bedenkenlos dafür einsetzen können.

a) „sammeln aus allen Ländern ... “

Das Südreich (Juda und Benjamin) war im 6. Jahrhundert v. Chr. in der Babylonischen Gefangenschaft. Bei der Betrachtung prophetischer Aussagen über die Rückführung der Juden ist zu prüfen, ob sich diese Aussagen auf die Heimkehr aus Babylon beziehen. Für diese Prüfung müssen wir uns mit einigen Grunddaten über die Propheten und die jeweiligen Zeitereignisse vertraut machen.

Die Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar erfolgte 586 v. Chr. Schon zuvor wurden Teile der jüdischen Bevölkerung nach Babylon deportiert, so auch Hesekiel (597 v. ). Die Rückkehr aus dem Babylonischen Exil konnte aufgrund des Edikts von Cyrus ab 538 v. erfolgen. Danach wurde auch der Tempel wieder aufgebaut und etwa 515 v. eingeweiht.

Hesekiel

Bei der Betrachtung eines Propheten ist jeweils diese Aufeinanderfolge mitzubedenken. Hesekiels prophetische Verkündigung erfolgte etwa von 592 bis 571 v.Chr. liegt also zum Teil vor der Zerstörung Jerusalems, zum Teil danach. Er selbst war aber die ganze Zeit über bereits in Babylon. Vor der Zerstörung Jerusalems sagt Gott durch ihn zu Jerusalem: „Ich werde die Menschen, die in dir noch übrig sind, in alle Winde zerstreuen. “ (5,10) Und: „Wenn ihr in alle Länder vertrieben seid, lasse ich einen Rest von euch übrig. “ (6,8; ähnlich 12,15 und 22,15). Beim Lesen dieser Kapitel hat man den Eindruck, daß Hesekiel hier seinen Zeitgenossen ein unmittelbar bevorstehendes Gericht ankündigt. Doch bei Formulierungen wie „in alle Winde“ oder „in alle Länder“ wird man stutzig: Hat sich das dann tatsächlich bereits durch die Babylonische Gefangenschaft erfüllt, oder ist hier an wesentlich spätere Ereignisse zu denken?

Bei dieser Frage müssen wir bedenken, daß der damalige Horizont wesentlich kleiner war als der heutige. Er umfaßte die Nachbarländer Israels. Wenn die Juden dorthin zerstreut wurden, konnte man damals sagen: „Auch wenn ich sie weit weg unter die Völker geführt und in alle Länder zerstreut habe, … “ (Hes 11,16). So sprach Gott durch Hesekiel, kündigt aber gleichzeitig an: „Ich führe euch aus allen Völkern zusammen, sammle euch aus den Ländern, in die ihr zerstreut seid, und gebe euch das Land Israel. “ (11,17; ähnlich 20,41; 34,12f; 36,19. 24; 37,21; 39,27f).

Dann ist zu bedenken, daß zwar der Großteil der Juden nach Babylon kam, ein Teil aber auch nach Ägypten (Hes 19,4. 9). Bei Jeremia finden wir mehrere Hinweise darauf, daß zur Zeit der Wegführung nach Babylon Gruppen von Juden auch nach Ägypten flohen (24,5-8; 26,21; 42-44) - auch Jeremia selbst wurde von ihnen gezwungen mitzugehen. Insofern wurden die Juden damals tatsächlich in zwei Richtungen zerstreut, nach Nordosten und nach Südwesten. Mehr Richtungen waren für die damaligen Juden reisetechnisch gar nicht möglich, denn im Südosten von Juda liegt die riesige Arabische Wüste, und im Nordwesten das Mittelmeer.

Jesaja

Der Prophet Jesaja wirkte um 700 v. Chr. Er kündigte sowohl die Zerstreuung als auch die Sammlung an. Wenngleich wir auch bei ihm Ausdrücke wie „alle Länder“ finden, so sehen wir zwischendurch doch auch immer wieder Näherbestimmungen, die uns zeigen, wie umfassend der damalige Horizont war: Er reichte bis zu den von Israel aus am weitesten entfernten Grenzen Ägyptens und Assyriens (in Klammer füge ich die Bedeutung der Ortsnamen hinzu):

„An jenem Tag wird der Herr seine Hand von neuem erheben, um den übriggebliebenen Rest seines Volkes zurückzugewinnen, von Assur und Ägypten, von Patros (Oberägypten) und Kusch (Sudan), von Elam (östlich Babylons), Schinar (babylonisches Tiefland) und Hamat (am Orontes in Syrien) und von den Inseln des Meeres. “ (11,11)

Jeremia

Der Prophet Jeremia wirkte um 600 v. Chr. , also teils vor, teils nach der Wegführung nach Babylon. So finden wir bei ihm zuerst Ankündigungen der Zerstreuung (9,15), dann kombiniert Zerstreuung und Sammlung (12,14f), und schließlich (nach der Zerstörung Jerusalems) Ankündigungen der Sammlung (mit Rückverweis auf die bereits stattgefundene Zerstreuung). Diese Ankündigungen sind in mehrfacher Hinsicht aufschlußreich. Zuerst wegen einer zeitlichen Näherbestimmung:

„Wenn 70 Jahre für Babel vorüber sind, dann werde ich nach euch sehen, mein Heilswort an euch erfüllen und euch an diesen Ort zurückführen. … Ich wende euer Geschick und sammle euch aus allen Völkern und von allen Orten, wohin ich euch versprengt habe … “ (29,10. 14; ähnlich 32,36f).

Durch die Zeitangabe (und Ortsangabe: Babel) wird klar, daß es sich um die Rückführung aus der Babylonischen Gefangenschaft handelt, nicht um ein Ereignis Jahrtausende später. Aber auch hier finden wir wieder die schon gewohnten hyperbolischen Formulierungen: „sammle euch aus allen Völkern … “ Dann ist auch bemerkenswert, daß Babylon als „fernes Land“ betrachtet wird:

„Ich bin es, der dich aus fernem Land errettet, deine Kinder aus dem Land ihrer Gefangenschaft. … Ich vernichte alle Völker, unter die ich dich zerstreut habe. “ (30,10f = 46,27f)

Oder es wird von den „Enden der Erde“ gesprochen: „Seht, ich bringe sie heim aus dem Nordland und sammle sie von den Enden der Erde, … verkündet es auf den fernsten Inseln und sagt: Er, der Israel zerstreut hat, wird es auch sammeln … “ (31,8-11; ähnlich 23,2f. 7f)

Bei diesen Aussagen ist zu beachten, daß immer unterschieden wird zwischen einem bereits vergangenen und einem noch zukünftigen Ereignis: die Zerstreuung liegt bereits in der Vergangenheit (es kann sich also nicht um die Zerstörung Jerusalems 70 n. Chr. handeln), die Sammlung liegt in der Zukunft.

Jes, Jer und Hes zur gegenwärtigen Sammlung

Die endgeschichtliche Bedeutung Israels ist eine umfassendere Frage, bei der viele biblische Aussagen (etwa in Sacharja und Offenbarung) heranzuziehen sind. Hier möchte ich lediglich festhalten, daß die atl. Formulierungen „sammeln aus allen Ländern“ nicht automatisch auf die gegenwärtige Rückwanderung zu beziehen sind.

In der evangelikalen Endzeitliteratur findet man eine solche automatische Anwendung sehr oft. Folgende Stellen aus den oben erläuterten drei sog. „großen Propheten“ werden meist ohne weitere Begründung auf das gegenwärtige Geschehen in Israel angewandt:

Jesaja 11,11f (Zopfi 46, Lightle 150. 157, Pache 246, Schrupp); 14,1f (Pache 242f. 247); 27,6 (Goetz 93, Lightle 145); 27,12f (Pache 244); 43 (Lightle 151-153, Gitt 63, Pache 246, Schrupp); 49,17-22 (Pache 243f, Schrupp); 52,12 (Pache 242).

Jeremia 16,15f (Zopfi 47, Gitt 134, Pache 243. 247, Malgo: Israel 73, Malgo: Bibel 61); 23 (Lightle 154-156, Schrupp); 24,6 (Pache 248); 29,14 (Pache 246f); 30,3 (Lightle 149, Pache 247); 31,7-10 (Lightle 160, Gitt 63, Pache 246, Malgo: Israel 135. 193); 31,16f (Malgo: Israel 62); 32,37. 41 (Pache 248); 50,19 (Pache 247).

Hesekiel 20,35. 38 (Pache 243f); 28,25 (Malgo: Israel 60. 193); 34,13 (Pache 242. 247); 36 (Goetz 91f, Zopfi 44, Gitt 63, Pache 245-252, Malgo: Israel 54); 39,28 (Zopfi 47, Pache 244. 247).

“aus allen Ländern“

Manche Autoren versuchen auch Begründungen dafür zu geben, daß solche atl. Formulierungen nicht in der Rückführung aus Babylon ihre Erfüllung gefunden haben. Kurt Koch nennt diese von ihm abgelehnte Ansicht „Babelthese“ (S. 38). Die Meinung, daß diese atl. Verheißungen jetzt, in der Gegenwart, in Erfüllung gehen, könnte man dann „Gegenwartsthese“ nennen.

Dabei lassen sich die Vertreter dieser „Gegenwartsthese“ oft von einem wörtlichen Verständnis leiten, ohne zu bedenken, daß parallele Formulierungen zur Rückführung aus „allen Ländern“ auch über die Vertreibung in „alle Länder“ zu finden sind. Unter Hinweis auf Jes 11,11f betont Steven Lightle: „die Rückkehr aus Babylon war keine weltweite Rückführung der Juden, sondern bezog sich nur auf die Region um Babylon. Jesaja erwähnt aber eine Rückführung von den 'vier Enden der Erde und von den Inseln des Meeres'. Damit sind alle Himmelsrichtungen und die Kontinente der Erdkugel gemeint. “ (S. 150; ähnlich Koch 37f. 83, Bergmann 54, Pache 247). Richard Wolff 45f verweist darüber hinaus auf die kleine Zahl der aus der Babylonischen Gefangenschaft zurückgekehrten Juden: etwa 50tausend.

Es stimmt, daß die Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft im wesentlichen nur aus einer Richtung erfolgte, nämlich aus dem Nordosten. Ägypten, also der Südwesten, spielte dabei nur eine geringe Rolle. Aber auch die heutige Rückkehr wäre im wesentlichen nur aus einer Richtung, nämlich aus dem Nordwesten, die anderen Richtungen spielen kaum eine Rolle.

Im übrigen sind auch unsere Quellen über die damalige Vertreibung und Rückführung beschränkt. Können wir ausschließen, daß um 600 v. Chr. vielleicht auch Juden z. B. nach Äthiopien gelangten, deren Nachkommen 70 Jahre später wieder zurückkehrten? Der Hauptteil wird sicher Richtung Babylon gekommen sein, aber einzelne können auch in andere Richtungen geflohen und später zurückgekehrt sein.

Derek Prince betont, daß wir in der Aufzählung in Jesaja 11,11b - wo Israels Nachbarländer bis zu ihren äußersten Grenzen (siehe Zitat oben) aufgezählt werden - Gebiete aufgezählt finden, „aus denen keine Juden nach der babylonischen Gefangenschaft zurückkehrten. Also blickt der Prophet vorwärts zu einer anderen, größeren Sammlung des Volkes Israel. “ (S. 53)

Während einerseits eine streng wörtliche Deutung praktiziert wird, gibt es aber doch auch Raum für sehr willkürliche Festlegungen. Was ist unter den Inseln zu verstehen? Vielleicht die griechischen Inseln? Prince läßt seinen Blick weit schweifen: „Unter den 'Küstenländern des Meeres' waren alle Länder eingeschlossen, die den Israeliten zu jener Zeit noch nicht so gut bekannt waren, und zwar hauptsächlich in westlicher Richtung. Wir würden heute für diesen Ausdruck vielleicht sagen, 'aus allen Kontinenten'. “ (S. 53)

“zum zweitenmal“

Mitunter handelt es sich einfach um Fehldeutungen. In Jes 11,11 heißt es: „An jenem Tag wird der Herr seine Hand zum zweitenmal erheben, um den übriggebliebenen Rest seines Volkes zurückzugewinnen. “ Ganz richtig erkennt hier Lightle, daß mit dem ersten Mal die Herausführung aus Ägypten unter Mose gemeint ist (woraus sich als naheliegende Deutung des „zweiten Males“ die Rückführung aus Babylon ergibt). Prince dagegen ignoriert diese Herausführung aus Ägypten: „Schon hier in Kap. 11, also vor der Babylonischen Gefangenschaft, sah der Prophet voraus, daß das Volk Israel nicht nur einmal, sondern zweimal zerstreut und wieder in sein Land zurückgebracht werden würde. Die Babylonische Gefangenschaft und die Rückkehr daraus würde nur das erste Mal sein. Es mußte also eine zweite Zerstreuung und Rückkehr folgen. “ (S. 53; ähnlich Koch 38, Bergmann 54, Wolff 45).

Israel, das Nordreich, fehlt

Hören wir noch Koch: „Ein drittes Argument gegen die 'Babelthese' ist die Tatsache, daß es sich bei der Babylonischen Gefangenschaft vorwiegend um Juda handelte und nicht um Israel. Die Prophezeiungen beziehen sich aber auf Gesamtisrael. “ (S. 38) Hier müssen wir jedoch realistisch sein. Das aus 10 Stämmen bestehende Nordreich ging in die Assyrische Gefangenschaft, und vermischte sich mit der dortigen Bevölkerung. Man wird deshalb heute kaum noch Israeliten finden, die eine reine Abstammung von einem dieser Stämme nachweisen können. (Deshalb haben manche christliche Kreise zur Frage „Wo sind die zehn verlorenen Stämme Israels?“ sehr spekulative Antwortversuche entwickelt - siehe dazu den Exkurs in Hutten 192-201. ) Das Südreich, bestehend aus Juda und Benjamin, ging in die Babylonische Gefangenschaft. Im Unterschied zu den Assyrern ließen die Babylonier sie in abgeschlossenen Distrikten wohnen. Somit blieb ihnen eine Vermischung erspart und sie konnten etwa 70 Jahre danach heimkehren. So lesen wir im NT kaum noch von Israeliten, sondern normalerweise einfach von „Juden“ - eben weil die Israeliten zur Zeit des NT zumeist Angehörige des Stammes Juda waren. Daneben gab es auch noch Angehörige des kleineren Stammes Benjamin (z. B. Paulus), und es gab auch Leviten (z. B. Barnabas), da die Leviten über das gesamte Reich verstreut lebten, also auch im Südreich. Wer heute auf eine Rückkehr von Angehörigen der 10 Nordstämme wartet, jagt einem Phantom nach.

Israel seit 586 v. Chr. nicht mehr unter jüdischer Herrschaft

Ein weiteres Argument liegt nach René Pache darin, daß Jerusalem nach der Eroberung durch die Babylonier nie mehr unter jüdische Kontrolle kam: Zuerst kamen die Meder und Perser, dann die Griechen unter Alexander dem Großen, dann dessen Nachfolger (die sog. „Seleukiden“), schließlich die Römer, unter denen die Juden aus Jerusalem und dann auch aus Palästina vertrieben wurden. (Erst im 20. Jahrhundert eroberten die Juden Jerusalem wieder zurück. ) Pache: „Darum muß ihre endgültige, von dem Propheten geschaute, glorreiche Wiederkehr nach ihrer weltweiten Zerstreuung am Zeitenende erfolgen. “ (S. 247) Das ist ein wichtiger Gesichtspunkt, unter dem die Rückkehrverheißungen zu betrachten sind. Diese beinhalten aber nicht durchwegs das Versprechen, autonom über Juda regieren zu können. Immerhin konnten die Juden unter den Persern den Tempel wiederaufbauen, unter den Römern wurde er durch Herodes d. Gr. verbessert. Es gab also durchaus Phasen, wo die Juden eigenständig ihren Gesetzen folgen konnten und zu keinen fremden religiösen Gebräuchen gezwungen wurden. Der Gedanke, daß das Leben unter einer Besatzungsmacht das größte Übel ist, das zu beseitigen Gottes wichtigste Aufgabe sei, war der Irrtum, der die Juden wiederholt zu den verderbenbringenden Aufständen gegen die Römer führte. In Gottes Augen war jedoch nicht die staatliche Eigenständigkeit das Wichtigste für die Juden, sondern daß sie den hätten erkennen und anerkennen sollen, den Gott gesandt hatte.

Unter Hinweis auf Amos 9,14f behauptet Wolff zweierlei (S. 46): Erstens, daß die Gefangenschaft Israels gewendet werden soll - nach der Rückkehr aus Babylon standen die Juden (wie schon oben in Verbindung mit Jerusalem festgestellt) weiterhin unter Fremdherrschaft. (Doch mitunter kann die Autonomie auch unter einer Fremdherrschaft sehr weit gehen, so daß man die Einwohner nicht mehr als „Gefangene“ betrachten kann. ) Zweitens, daß Israel versprochen wurde, daß es nach der Rückkehr nicht mehr aus seinem Land ausgerottet werde. Und das traf nach der Babylonischen Gefangenschaft nicht zu, da sie 600 Jahre später doch wieder vertrieben wurden.

Schlußüberlegungen

Gerhard Bergmann sagt im Hinblick auf die Behauptung, daß sich die Verheißungen auf die Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft beziehen: „Das wird keineswegs bestritten. Vielleicht war diese Heimkehr eine Vorschattung der Rückkehr des Volkes Israel in der Endzeit. “ (S. 53) Diese Überlegung kann man weder widerlegen noch beweisen.

Jedenfalls sind die Stellen über eine Wiederherstellung Israels demgemäß kritisch zu sichten. Manche beziehen sich auf die Rückführung aus Babylon, andere auf eine spätere Zeit, z. T. überhaupt erst auf das messianische Reich.

Hier ist auch noch an jene Beobachtung zu erinnern, die wir am Ende von Kap. D,2 besprochen haben: Ankündigungen ohne ausdrückliche Nennung von Bedingungen. Infolgedessen schließt Loraine Boettner: „Alle Verheißungen an Israel im Alten Testament wurden entweder eingelöst oder wegen des Ungehorsams des Volkes für nichtig erklärt. “ (in: Clouse 83f)

b) Sammlung im Schneckentempo

Die Sammlung der Juden in Palästina wird oft als ein Zeichen angesehen, das auf die nahe Wiederkunft Jesu hinweist. Man erinnert sich an die Staatsgründung im Jahr 1948, die viele von uns miterlebt haben - das also quasi ein zeitgenössisches Ereignis darstellt. Diese Staatsgründung läßt uns die jüdische Besiedlung Palästinas als ein aktuelles und rasch ablaufendes Geschehen erscheinen. Dieser Eindruck ist jedoch falsch.

Die Besiedlung Palästinas durch Juden begann etwa 1870, also vor 120 Jahren. Insgesamt handelt es sich somit um einen sich bereits über einen längeren Zeitraum erstreckenden Prozeß, der dazu führte, daß heute etwa ein Viertel aller Juden in Palästina lebt. Wenn diese Besiedlung also im gleichen Tempo wie bisher weitergeht, so kann sie durchaus noch mehrere Jahrhunderte beanspruchen.

Diese Berechnung war etwas schematisch, weil nur der äußere Ablauf in Rechnung gestellt wurde, nicht jedoch die dahinterstehenden Ursachen. Falls sich am gegenwärtigen Ursachengefüge nichts ändert, wenn also die Besiedlung aufgrund der gleichen Faktoren wie bisher erfolgt, wird sie nie zu einem Abschluß kommen, denn der Hauptgrund für einen Juden, sein Heimatland zu verlassen und in Palästina einzuwandern, ist der Antisemitismus in seinem Heimatland. Wo es einen solchen kaum gibt - etwa in Amerika oder in Westeuropa -, siedeln die Juden auch nicht aus. Wenn Malgo auch dort ein Auswandern der Juden zu beobachten meinte, dann liegt hier ein weiteres Beispiel dafür vor, wie schwache Anhaltspunkte überbewertet werden und wie die Realität verzerrt wahrgenommen wird - es wird als real ablaufend wahrgenommen, was dem eigenen Bibelverständnis entspricht. So meinte Malgo schon 1974: „In Amerika ist alles im Umbruch, weil Israel von dort aus aufbrechen muß. Jeremia 16,15-16 beginnt sich auch in den USA zu erfüllen. … '. . . ich will sie wiederbringen in das Land, das ich ihren Vätern gegeben habe. … ' (Israel 73) Malgo setzt fort: „Genau dasselbe ist auch in Frankreich im Gange. Das Land hat mehr als eine halbe Million Juden. “ Immer noch, muß man hinzufügen, obwohl nun schon fast 2 Jahrzehnte seit Malgos Bemerkung vergangen sind. Die Auswanderungsbewegung amerikanischer und französischer Juden findet nur im Wunschdenken Malgos statt, nicht in der Realität.

Sollte es also tatsächlich dazu kommen, daß alle oder die meisten Juden nach Palästina auswandern, müßten neue Faktoren dazukommen. Etwa ein Wirken Gottes.

Die derzeitige Tendenz führt auch insofern nicht zu einer wirklichen Sammlung aller Juden in Palästina, als nicht alle Juden, die bedrohliche Gegenden verlassen, nach Palästina auswandern. Ein Teil versucht, sich in der westlichen Welt anzusiedeln.

Auf der einen Seite können wir durchaus registrieren, daß tatsächlich einiges in Richtung „Sammlung der Juden in Palästina“ geschah: Die Staatsgründung Israels, die einen starken Aufschwung der Besiedlung durch Juden brachte, und die vielen russischen Juden, die in den letzten Jahren ihre Heimat verließen. Auf der anderen Seite dürfen wir doch das relativ langsame Tempo des Gesamtvorganges nicht übersehen, bezogen auf das Endziel der Sammlung aller Juden in Palästina.

Es müßte also ein ganz einschneidendes Wunder geschehen, so daß alle Juden zurückkehren wollen - zu diesem Wunder gibt es noch keine Ansätze zu sehen. Richtig sagt Koch: „Jetzt ist eine solche totale Sammlung unmöglich. Die jüdischen Multimillionäre in Südamerika und Nordamerika denken nicht daran, jetzt schon nach Israel zurückzukehren. “ (S. 85; Koch erwartet dieses Ereignis erst für das 1000jährige Reich). Außerdem dürfen wir die beschränkte Aufnahmekapazität Israels nicht übersehen. Diese ist beschränkt, obwohl die israelische Regierung sehr daran interessiert ist, ausländische Juden aufzunehmen, denn die arabische Bevölkerung in Israel ist wesentlich kinderreicher als die jüdische, so daß eine Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse befürchtet wird. 1991 kamen 140. 000 russische Juden nach Israel, und damit ist die jüdische Integrationsfähigkeit wohl schon überfordert. Wenn wir einmal die runde Zahl 100. 000 annehmen als das, was pro Jahr integriert werden kann, so würde es 25 Jahre dauern, bis 2,5 Millionen russischer Juden aufgenommen werden können, und 100 (!) Jahre, bis 10 Millionen im Ausland lebender Juden in Israel aufgenommen werden können (ganz abgesehen davon, daß es bei 15 Millionen Einwohnern in Israel auch Wohnraum- und Ernährungsprobleme gäbe). Wer also eine Demnächsterwartung (Jesus kommt in einigen Jahren) vertritt, muß sich überlegen, ob und wie er davor noch mit einer umfassenden Sammlung der Juden in Israel rechnen kann. Eberhard Mühlan, der sich hinter Lightles Vision eines Massenexodus russischer Juden stellte, sagt: „Wir leben tatsächlich in den letzten Tagen! Gott will sein Volk der Juden heimführen, und die Wiederkunft Jesu steht nahe bevor. “ (Lightle 111) Dazu muß man feststellen: Entweder oder.

c) Rückkehr empfehlenswert?

In Kap. E,6 werden wir uns mit einer Vision von Steven Lightle befassen. Er und andere bereisten die UdSSR und sprachen dort mit Juden über die Rückkehr, wobei sie ihnen diese unter Hinweis auf alttestamentliche Aussagen empfahlen. Sollten wir das wirklich tun? Können wir ehrlichen Herzens den Juden sagen, daß sie nach Israel kommen sollen, weil sie dort sicher sind? Völlig sicher sind die Juden dort derzeit nicht, einzelne Morde zwischen Juden und Arabern gibt es immer wieder. Und können wir einen größeren Krieg noch vor Harmagedon ausschließen? Die angebliche Sicherheit, daß nur noch die unmittelbar letzten Ereignisse vor uns liegen, hat sich schon oft als Irrtum erwiesen. Was ist, wenn wir den Juden Israel als sicheren Ort empfehlen, und dann kommt es vielleicht gerade deswegen, weil sich Palästinenser wegen der massenhaften Zuwanderung russischer Juden in ihrer Existenz bedroht sehen, zu einem größeren Krieg? Wenn wirklich alle in Amerika und Europa lebenden Juden nach Israel ziehen wollen, so reicht der in Israel zur Verfügung stehende Raum (zum Wohnen und Ernährtwerden) nicht mehr aus. Israel müßte also seine Grenzen ausdehnen und in der Nachbarschaft lebende Araber vertreiben, und das wird kaum auf friedliche Weise zu bewerkstelligen sein.

Aber selbst wenn wir annehmen, daß auf die Menschen in Israel nur noch Harmagedon wartet, ist das Schicksal der dortigen Juden nicht unbedingt beneidenswert. Denken wir etwa an Sacharja 14,2: „Jerusalem wird erobert, die Häuser werden geplündert, die Frauen geschändet. Die Hälfte der Stadt zieht in die Verbannung; aber der Rest des Volkes wird nicht aus der Stadt vertrieben. “ Diese Aussage wird von den Endzeitautoren durchwegs auf Harmagedon bezogen: Lindsey 198, Gerth 62, Zopfi 53, Goetz 220, May 235. 239, Pache 220. 261f, Wolff 67 (Malgo: Israel 151 bezieht zwar diesen Text insgesamt auch darauf, scheint aber die für Israel unangenehmen Versteile - 2bc. 5a - als schon in der Vergangenheit erfüllte und somit erledigte Aussagen anzusehen).

Manche beziehen auch Sacharja 13,8 darauf, etwa May (S. 239): „Zwei Drittel aller Israelis werden ums Leben kommen. Das sind bei der heutigen jüdischen Bevölkerung von ca. 3,5 Millionen 2 Millionen Israelis. Denn nur ein Drittel wird das Inferno überleben“. (Ähnlich Lindsey 200, Koch 83, Pache 261f, Fünning 42f. ) Somit wäre die Überlebenswahrscheinlichkeit in Israel geringer als in der übrigen Welt: „Ein Drittel der gesamten Weltbevölkerung wird in dem apokalyptischen Inferno ums Leben kommen (Offenbarung 9,15. 18). “ (May 240)

Wenn es dazu kommt, wird es dann so wirken, als hätten jene Christen, die russische Juden zur Auswanderung nach Israel ermutigten, diese in eine Falle gelockt!

Die Frage nach dem Sinn der Sammlung aller Juden in Israel muß auch gestellt werden. Dadurch würde sicherlich der Nahostkonflikt zusätzlich verschärft. Doch abgesehen davon. Wenn Gott die Israeliten aus Ägypten holte, dann aus der Sklaverei. Wenn aus Babylon, dann aus einem Zustand der Gefangenschaft und Unterdrückung. Wenn heute Juden in Amerika wohlhabend und sicher leben, dann ist das ein wesentlich anderer Zustand. Hier kann man nicht sagen, daß sie „befreit“ werden, indem Gott sie nach Israel führt. Aus welchem Grund sollte also Gott darauf fixiert sein, daß alle Juden in Israel leben? Ist Gott nur in Jerusalem zuhause, oder nicht auf der ganzen Welt? Wenn Gott aber auf der ganzen Welt zu finden ist, so können ihn Juden auch außerhalb Israels finden. Wie die Erfahrung zeigt, finden sie ihn außerhalb sogar wesentlich öfter als innerhalb! Weltweit schätzt man, daß von den 15 Millionen Juden etwa 70. 000 an Jesus glauben - das sind ein knappes halbes Prozent. Von den in Israel lebenden 4 Millionen glauben nur 2. 500 an Jesus - das sind etwas mehr als ein halbes Promille. Der Anteil gläubiger Juden ist außerhalb Israels also fast 10mal so groß!

Die gegenwärtige Situation ist somit wesentlich anders als noch zu alttestamentlichen Zeiten, wo die Gefahr bestand, daß Juden z. B. in Babylon sich kulturell und religiös assimilierten, so daß sie an die Stelle des alttestamentlichen Gottesdienstes einen Götzendienst setzten. Damals schien es sinnvoll, sie zur Rückkehr nach Israel und zum Wiederaufbau des Tempels zu ermutigen.

8. Die „Zeichen der Zeit“

a) Was keine Vorzeichen für Jesu Kommen sind

Unter den in Jesu Zukunftsrede genannten Zeichen sind mehrere Arten zu unterscheiden. Die erste, im vorigen Abschnitt besprochene Art von Vorzeichen waren solche für die Zerstörung Jerusalems. Sie galten den damaligen Judenchristen und sollten ihnen einen Hinweis geben, wann sie spätestens fliehen müssen.

Daneben gibt Jesus aber dann noch weitere Ereignisse an: Kriege, Hungersnöte, Erdbeben … Diese sind aber eigentlich keine Zeichen. Jesus nennt diese lediglich als Gegenbeispiele, um deutlich zu machen: „Das muß zuvor geschehen, aber das Ende kommt noch nicht sofort“ (Lk 21,9) und „Das alles aber ist der Anfang der Wehen. “ (Mt. 24,8). Jesus gibt diesen Hinweis also nicht, um zu sagen: 'Paßt auf, jetzt gleich kommt es', sondern um zu sagen: 'Denkt nicht, damit wäre schon das Ende da'.

Somit können wir mit Grossmann feststellen, daß etwa Kriege „nur Zeichen der Zeit, aber keine Zeichen des Endes sind“ (S. 29). „Denn Jesus sagte nicht: 'Das sind typische Zeichen für das Ende'; sondern: 'Kriege und Kriegsgerüchte sind ganz normal!' Es wird sie geben, solange es Menschen gibt: 'Das muß geschehen. ' Sie gehören zur Realität des Äons, des Zeitalters, in dem wir leben. “ (ebd. )

Eine solche Haltung wie jene Großmanns stößt mitunter auf Kritik: „Nicht selten behauptet daher der Unglaube, daß solche Zeichen einfach zum Gleichschritt des Weltgeschehens gehören und daher keine überzeugenden Zeichen dafür sein könnten, daß das Ende der Geschichte im biblischen Sinn bevorstehe. “ So Fritz Hubmer im Jahr 1958 (S. 199). Doch gerade ein Blick auf Hubmers Deutung zeigt, wie die „Zeichen der Zeit“ täuschen können. Denn er meinte sie in seiner eigenen Gegenwart so massiv beobachten zu können, daß mit dem bevorstehenden Ende zu rechnen sei.

In Gesprächen mit Zeugen Jehovas habe ich oft erlebt, daß diese - abgesehen von der biblischen Argumentation - noch eine ganz andere Argumentation verwenden: Die gegenwärtige Weltsituation, vor allem in ökologischer Hinsicht, erzwingt das baldige Ende. Nun wäre es zwar möglich, daß Gott die Zerstörung der Erde durch den Menschen selbst zuläßt und in seinem Plan mitverwendet. Das wäre möglich, zwingen läßt sich Gott jedoch nicht, und da gilt: „Die neutestamentlichen Texte gehen alle davon aus, daß die Parusie des Menschensohnes aus einer souveränen Entscheidung Gottes hervorgeht und nicht irgendeiner Reaktion auf menschliche Untaten entspringt. “ (Großmann 33) Wir sollten also nicht vorschnell etwa die ökologische Situation der Erde als Anhaltspunkt nehmen, um uns darauf festzulegen, daß die Wiederkunft Jesu nun in den nächsten Jahren erfolgen müsse.

b) Was heißt „wachen“?

Es bleibt also dabei: Unsere Aufgabe ist es, bereit zu sein. Oder, wie es auch heißt: Wir sollen wachen. Damit ist das Wachsein im Unterschied zum Schlafen gemeint, nicht jedoch das Wachsamsein in dem Sinne, daß wir nach Zeichen Ausschau halten sollen. Das wird in den Endzeitgleichnissen deutlich. Weil der Hausherr nicht weiß, in welcher Stunde der Dieb kommt, soll er wachen (Mt. 24,43; vgl. auch 1. Thess 5,4-8). Es heißt nicht, daß er die Stunde herausfinden soll, indem er auf bestimmte Vorzeichen achtet. Und es bedeutet auch nicht, beim Beobachten des weltpolitischen Geschehens immer wieder neue Denkmodelle zu entwerfen, woher dereinst der Antichrist kommen könnte. Diese Überlegungen können dann zu werden. Bruno Neumann scheint das Wachen im Sinne von „eschatologischen Sandkastenspielen“ (Zopfi 18) mißzuverstehen, und zwar in seinem Buch über den Antichristen. Zur Schlußfrage „Woher kommt der Antichrist?“ liefert er drei Modelle (S. 131-136). Modell 1 geht von den 7 kommunistischen Staaten des Ostblocks aus, die durch 3 weitere gegenwärtig oder zukünftig kommunistische - vielleicht Jugoslawien, Italien, Frankreich - ergänzt werden könnten, wodurch ein Zehn-Staaten-Bund entstünde. Modell 2: „Es ist deshalb möglich, daß im europäischen Raum der Kommunismus stark wird und daß sich gegen diese Macht der Antichrist stemmt, emporkommt und als Feind des Kommunismus von den Massen angenommen, emporgetragen und als Retter vergöttert wird. “ Modell 3 kommt durch die Vereinigung der 9 EG-Staaten mit den USA zu „zehn Hörnern“. Heute, 15 Jahre später, können wir sicher sagen, daß sich keines dieser 3 Modelle in der hier präsentierten Form verwirklichen wird. Neumann leitet von seiner Darlegung der 1. Version mit folgenden Worten zur 2. über: „Das wäre eine Version. Wir müssen aber noch eine andere ernsthaft ins Auge fassen. “ Müssen wir das wirklich? Was bringt es uns, wenn wir verschiedene Modelle „ernsthaft ins Auge fassen“, die sich einige Zeit später als unrealistisch erwiesen haben? Nun versteift Neumann sich nicht dogmatisch auf diese 3 Möglichkeiten, sondern er sagt: „Natürlich sind außer diesen Möglichkeiten noch andere Entwicklungen möglich. Gott kann über Nacht oder auch langsam das politische Gesicht in der Welt verändern. “ Das stimmt. Wenn es aber ohnedies sehr unsicher ist, wie es sich einmal entwickeln wird, wozu dann die Beschäftigung mit solchen Modellen? „Diese drei Modelle wurden nicht aufgezeigt, um zu verwirren, sondern um mögliche Konturen zu zeigen, damit wir anhaltend wachen!“ Nach Neumann bedeutet also „wachen“ das Beobachten der weltpolitischen Entwicklung verbunden mit dem Entwerfen verschiedenster Zukunftsmodelle, die - sobald sich die bisherigen Modelle überlebt haben - durch neue ersetzt werden müssen. Ist das wirklich unsere Aufgabe?

Ja, man muß sogar noch einen Schritt weitergehen. Es geht nicht darum, wach zu sein im Sinne von ständiger Aktivität, sondern darum, sich sinnvoll vorzubereiten auf die Zukunft - bei der wir nicht wissen, ob sie uns demnächst die Wiederkunft Jesu bringt oder ein noch längeres Warten darauf. Auf die Notwendigkeit der Vorbereitung auf ein etwaiges noch längeres Warten werden wir durch das Gleichnis von den Brautjungfern hingewiesen. Die klugen sind vorbereitet darauf - auch wenn sie einschlafen (Mt. 25,1-13).

In seiner Dissertation über Mark 13 in its Markan interpretative context (Aberdeen 1986) sagt Timothy J. Geddert: „Mark intends the command 'gregoreite' to be understood as a call to faithful discipleship, not a call to be looking for signs of an imminent parousia. “ (S. 525)

Eine dritte Art von Zeichen betrachten wir im nächsten Abschnitt: Der letzte Abschnitt der Endzeit wird sehr rasch ablaufen. Wenn also die dramatischen Schlußereignisse beginnen, dann wissen wir, daß es nun bis zur Wiederkunft Jesu nicht mehr lange dauern kann.

9. Wer kommt als Nächstes: Jesus oder der Antichrist?

Im Neuen Testament werden die Christen darauf vorbereitet, daß Jesu Wiederkunft plötzlich und überraschend kommen wird. Jederzeit sollen sie dafür bereit sein, denn jederzeit kann dieser Augenblick eintreten.

Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite lesen wir aber davon, daß Jesus nicht kommen wird, solange der Antichrist noch nicht aufgetreten ist (2. Thess 2,1-12). Und die Offenbarung weist in die gleiche Richtung. Könnte Jesus derzeit also noch gar nicht kommen, da ja der Antichrist noch nicht aufgetreten ist?

Es gibt mehrere Wege, diese Schwierigkeit aufzulösen:

1. Zweifache Wiederkunft Jesu

Die Dispensationalisten rechnen mit einer zweimaligen zukünftigen Wiederkunft Jesu. Zuerst wird er für die Welt unsichtbar kommen und die Christen entrücken; daraufhin sind das Auftreten des Antichristen und die große Trübsal zu erwarten; schließlich kommt Jesus nochmals, diesmal für die Welt sichtbar und als Richter. Die erste, unsichtbare Wiederkunft Jesu mit der Entrückung der Christen könnte somit derzeit bereits eintreten.

2. Antichrist als Typus, nicht als einzelner Mensch

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, als Antichristen nicht einen einzelnen Menschen zu erwarten, sondern in ihm einen Geist, eine Haltung zu sehen, die sich in verschiedenen Menschen besonders stark manifestiert hat (Nero, Hitler, Stalin …). So müßte man dann jederzeit auf das Kommen Jesu gefaßt sein, denn in gewisser Weise war der „Antichrist“ bereits wirksam (hier wäre auf 1. Joh. 4,3 zu verweisen, eventuell auch auf 1. Joh. 2,18 und 2. Joh. 7), und ob die Zukunft noch stärkere Ausprägungen von ihm bringen wird, bleibt hier offen. (Natürlich gestehen auch die anderen beiden Alternativen zu, daß es bereits in der Vergangenheit wiederholt Antichristliches und Antichristusse gegeben hatte, aber sie rechnen darüber hinaus noch mit einer besonderen endgeschichtlichen Ausgestaltung dieses Typs.)

3. Wiederkunft Jesu als Höhepunkt der endzeitlichen Ereigniskette

Eine dritte Möglichkeit besteht in folgendem. Der Antichrist ist ein in der Zukunft auftretender einzelner Mensch. Seine Wirksamkeit wird nach neutestamentlichen Aussagen nur kurz sein. Schon bald nach seinem Auftreten wird Jesus wiederkommen und ihn besiegen. Das erste endzeitliche Ereignis wird demnach nicht Jesu Wiederkunft sein, sondern das Auftreten des Antichristen. Wann diese endzeitliche Ereigniskette ins Laufen kommt, wissen wir nicht. Das könnte jederzeit der Fall sein. Wir müssen also auch jederzeit darauf gefaßt sein. Und wir müssen die Zeit nützen zur Vorbereitung: Wenn nämlich ein Christ auf diese endzeitliche Ereigniskette nicht vorbereitet ist, steht er in der Gefahr, sich entweder durch die dann auftretende Verführung oder durch den dann angewandten Druck mitreißen zu lassen und dabei Gott untreu zu werden. Daher wird zu Recht betont, daß wir vorbereitet und gefaßt sein müssen auf den Beginn dieser endzeitlichen Ereigniskette, deren Höhepunkt die Wiederkunft Jesu ist. Diese wird nicht nur der Höhepunkt sein, sondern auch relativ rasch nach dem Beginn dieser Ereigniskette erfolgen. So ist es durchaus möglich, in verkürzter Form davon zu sprechen, daß es jederzeit zur Wiederkunft Jesu kommen kann. Dabei wird eben die gesamte, relativ rasch ablaufende Ereigniskette durch ihr wichtigstes Ereignis bezeichnet, die Wiederkunft Jesu. Bei genauerer Betrachtung ist natürlich festzuhalten, daß jetzt sofort die Wiederkunft Jesu nicht zu erwarten ist, weil davor noch das Auftreten des Antichristen liegt.

Im Hinblick auf die rasche Abfolge der einzelnen Ereignisse dieser Kette ist es auch durchaus sinnvoll zu sagen: „Wenn aber das anfangt zu geschehen, dann richtet euch auf und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe. “ (Lk. 21,28) Hier hätten wir dann eine dritte Art von Vorzeichen: Wenn die dramatische Verfolgung durch den Antichristen beginnt, dann soll diese den Christen als Vorzeichen für die nahe Wiederkunft Jesu dienen - und soll ihnen zurufen: 'Haltet durch, es dauert nicht lange, gleich kommt Jesus!'

Diese Position vertritt z. B. Arnold Köster (vgl. das Zitat am Ende von Kap. D,3). Oder Ole Hallesby nach Verweis auf mehrere noch ausstehende Vorzeichen, nämlich Abfall, Gesetzlosigkeit, große Drangsal, Antichrist, kosmische Katastrophen: „Da Paulus aber sagt, daß dies zuerst geschehen muß, können wir die Wiederkunft Christi nicht jeden beliebigen Tag erwarten. Aber auf der anderen Seite sollen wir darauf vorbereitet sein, daß, wenn die Fülle der Zeit für diese Ereignisse gekommen ist, diese sehr schnell ihren Lauf nehmen. … die nahe Wiederkunft des Herrn zu erwarten, selbst wenn wir aufgrund der unerfüllten Vorzeichen ihn weder heute noch morgen erwarten können. “ (S. 66) Oder William J. Grier: „Das antichristliche Wesen war bereits zur Zeit der Apostel wirksam (2. Thess 2,7; 1. Joh. 2,18). Seine stärkste Macht wird es unmittelbar vor der Wiederkunft Christi erlangen. Dann geschieht der große Abfall, und die antichristliche Macht wird aller Wahrscheinlichkeit nach in einer einzigen Person vereinigt sein, der Verkörperung aller Gottlosigkeit (2. Thess 2). “ (S. 93)

Eine solche Position ist subitistisch im Hinblick auf den Zeitpunkt der letzten Ereigniskette, aber signalistisch im Hinblick auf den Zeitpunkt der Wiederkunft Jesu. Überhaupt gilt, daß die beiden extremen Positionen von Subitismus und Signalismus kaum in ganz reiner Form auftreten, sondern eher in Zwischenformen. Auch der Signalist will den genauen Zeitpunkt für Jesu Kommen nicht festlegen, hat also auch ein subitistisches Element.

(Einen wertvollen Überblick zum Thema Antichrist liefert Fritz Grünzweig im gleichnamigen Artikel im Grossen Bibellexikon, Bd. I, 1987, S. 64f. )

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