Frommel, Max - Am ersten Sonntage des Advent.

Frommel, Max - Am ersten Sonntage des Advent.

Wir stehen in den Toren des neuen Kirchenjahrs. Wieder grüßt uns der uralte Adventsruf: „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig,“ weil der Herr seinen Einzug bei uns halten will, nicht mehr wie in den Tagen seines Fleisches auf dem Füllen der lastbaren Eselin, sondern im heiligen Geist durch Wort und Sakrament. Das ist unsere Adventsfreude, dass der Herr gekommen ist und fort und fort kommt, zu suchen und selig zu machen, das verloren ist; das ist für uns der Wert des Kirchenjahrs, dass der Herr seine Wohnung unter uns aufgeschlagen und Sonntag um Sonntag bei uns einkehrt und die Mühseligen und Beladenen erquickt; das ist die Weihe unserer Gottesdienste, dass wir hier feiern in der seligen Gegenwart Christi, der nicht ferne abwesend droben im Himmel noch drunten im Grabe bei den Toten, sondern der mit uns redet in seinem Wort und mit uns handelt in seinem Sakrament.

Darum ergeht an uns alle heute der Ruf des Propheten: „Schicke dich und begegne deinem Gott.“ Wach auf, du Stadt Jerusalem! Siehe, dein König kommt, gehe aus, Ihm entgegen. Und wir antworten mit dem alten Adventsliede:

Wie soll ich dich empfangen
Und wie begegn' ich dir,
O aller Welt Verlangen,
O meiner Seelen Zier?

Die Antwort auf diese Adventsfrage gibt uns die Bitte jener Griechen, die zu dem Apostel Philippus sprachen: „Herr, wir wollten Jesum gerne sehen.“ Davon lasst mich euch heute predigen auf Grund des Textes, welcher geschrieben stehet

Lukas 19,1-10.
Und Jesus zog hinein und ging durch Jericho. Und siehe, da war ein Mann, genannt Zachäus, der war ein Oberster der Zöllner und war reich und begehrte Jesum zu sehen, wer er wäre, und konnte nicht vor dem Volk; denn er war klein von Person. Und er lief vorhin und stieg auf einen Maulbeerbaum, auf dass er ihn sähe, denn allda sollte er durchkommen. Und als Jesus kam an dieselbe Stätte, sahe er auf und ward seiner gewahr und sprach zu ihm: Zachäe, steig eilend hernieder, denn ich muss heute zu deinem Hause einkehren. Und er stieg eilend hernieder und nahm ihn auf mit Freuden. Da sie das sahen, murrten sie alle, dass er bei einem Sünder einkehrte. Zachäus aber trat dar und sprach zu dem Herrn: Siehe, Herr, die Hälfte meiner Güter gebe ich den Armen, und so ich jemand betrogen habe, das gebe ich vierfältig wieder. Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, sintemal er auch Abrahams Sohn ist. Denn des Menschen Sohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, das verloren ist.

Aus diesem lieblichen Evangelium lasst uns miteinander betrachten

Die selige Begegnung mit Jesu:

  1. der beschwerliche Kirchgang zuvor,
  2. die selige Einkehr des Herrn, und
  3. das fröhliche Opfer danach.

Herr, Du sanftmütiger Zionskönig, Dir rufen wir unser Hosianna entgegen und bitten Dich: halte Deinen Advent bei uns, mache Deine Knechte zu Stimmen in der Wüste: „Bereitet dem Herrn den Weg“, und erhöre den Seufzer deiner Gemeinde: Jesu, Jesu, setze mir selbst die Fackel bei, damit, was Dich ergötze, mir kund und wissend sei. Amen.

I.

Zachäus hat einen beschwerlichen Kirchgang gehabt, bis er nur auf seinem wunderlichen unbequemen Kirchstuhl in den Zweigen des Maulbeerbaumes anlangte. Er hatte zwei bedeutende Hindernisse zu überwinden: er war zu groß und war zu klein. Zu groß - denn er war ein angesehener Mann, ein Oberster der Zöllner, d. h. ein königlicher Steuerdirektor, dazu reich geworden auf einem Wege, der zwar vor dem siebenten Gebot nicht bestehen konnte, aber dadurch entschuldigt schien, dass sie es Alle so machten und dass das Geschäft zu zwingen schien, es ebenso zu machen, wie es in der Handelswelt und Zöllnerwelt Brauch war. Schon in dieser Stellung des Zachäus lag ein Hindernis für seinen Kirchgang. Denn obwohl vor Gott alle Seelen gleich sind, ob im Purpur oder im Bettlergewand, so haben vornehme reiche Leute doch gar wunderliche Vorstellungen über die Nachfolge Christi, und den Zachäus werden wohl dieselben Gedanken angefochten haben, von welchen noch heute stolze Gelehrte, vornehme Beamte, reiche Kaufleute, aber auch reiche Bauern, aufgeklärte Handwerksmeister geplagt

werden, ganz vornehmlich aber jener ganze Chor der sogenannten Gebildeten, deren Ausbildung sehr eingebildet und deren Einbildung sehr ausgebildet ist, jene Gedanken, die schon vor 1800 Jahren laut wurden: Nur das arme Volk läuft dem Jesus von Nazareth nach, glaubt auch irgend ein Oberster an ihn? und welche in der Sprache unsers Jahrhunderts lauten: Die Religion ist notwendig für das niedere Volk, um es in Zaum zu halten, die höheren Stände bedürfen sie nicht und die Künstler-Genies mit ihren Un-Sittlichkeiten, die Studenten mit ihren Duellen, der Adel mit seinen noblen Passionen dürfen nicht mit der bürgerlichen Moral gemessen werden. Auch Zachäus wird etwas von den Fragen empfunden haben: Was werden die Leute dazu sagen, wenn sie mich unter den Zuhörern finden, was werden meine Verwandten denken, wie werden meine Kollegen und die Pharisäer spötteln? Meine Lieben, sind nicht auch in unserer Gemeinde ein gut Teil, die von diesen Fragen, von diesen Hindernissen angefochten werden? Ist es nicht schändlich, dass es Kreise unter uns gibt, in welchen ein Mann, welcher regelmäßig zur Kirche geht, belächelt und geneckt wird! Wohlan, ihr, die ihr hierher gekommen seid, stärket euch an Zachäus, der durch diese erbärmlichen Vorurteile hindurchbrach, weil er Jesum sehen wollte, und lasst des Sonntagmorgens das Psalmwort eure Glocke sein, die euch auf dem Kirchwege läutet: „Wie lieblich sind Deine Wohnungen, Herr Zebaoth; meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des Herrn.“

Zachäus hatte aber noch ein zweites Hindernis für seinen Kirchgang: Er war klein von Person. Er mochte es schon öfter versucht haben, aber er kam jedes Mal zu spät, es war immer schon zu viel Volks da, über das er nicht wegsehen und weghören konnte, traurig ging er jedes Mal unverrichteter Sache nach Hause. Aber Liebe ist erfinderisch, und wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Diesmal lief er voraus und wusste sich nicht anders zu helfen, als dass er auf einen Maulbeerbaum kletterte und in dessen Zweigen und Blättern verborgen sich auf das Warten legte, bis Jesus vorüberkam. Wir müssen gestehen: Zachäus hat einen sehr mühsamen Kirchweg und einen sehr unbequemen Kirchstuhl gehabt, der königliche Steuerdirektor auf dem Maulbeerbaum hat sich's wahrlich sauer werden lassen. Meine Lieben, auch unter euch wird Manchen der Kirchweg schwer. Ich rede nicht nur von unsern Außendörfern, welche einen weiten Weg haben in Sommerhitze und Winterkälte, ich denke sonderlich an die Frauen in unserer Gemeinde, an die Ehefrauen, die ihren Haushalt versorgen, an die Mütter,

die ihre Kinder in Ordnung bringen müssen, an die Leibesschwachen, denen das Wetter bald zu heiß, bald zu kalt ist, auch die, die wie Zachäus klein sind von Person. Wohlan, stärket euch heute an Zachäus, der es doch noch unbequemer hatte als ihr, und sprecht des Sonntags zu eurer Seele: „Ich freue mich des, das mir geredet ist, dass wir werden ins Haus des Herrn gehen und dass unsere Füße“, auch die müden oder nassen Füße, „werden in seinen Toren stehen.“

Was gab denn nun dem Zachäus Kraft, diese Hindernisse zu überwinden? „Zachäus begehrte Jesum zu sehen, wer er wäre.“ Zachäus, der Oberste der Zöllner, hielt sich für den untersten der Sünder, weil Gott ihm sein Schuldregister aufgedeckt hatte in seinem Gewissen. Er wagte wie jener Zöllner im Tempel seine Augen nicht aufzuheben, sondern schlug an seine Brust und schrie in seinem Herzen: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Seine Ehre und Ansehen konnten den Durst seiner Seele nicht löschen, sein Reichtum konnte sein erwachtes Gewissen über die in seinem Stand für erlaubt gehaltene Sünde nicht beruhigen er brauchte einen Heiland, und als er nun hörte von dem Mann von Nazareth, der so liebreich mit den Zöllnern und Sündern gegessen, da war sein einziger Wunsch: Den Mann muss ich sehen und hören, denn Er kann mir helfen oder keiner! Da hört er, dass Jesus allda durchkommen sollte, da bricht die tiefe Sehnsucht seiner Seele auf, da eilt er, da vergisst er alle Rücksicht, da klettert er, da verbirgt er sich in den Zweigen, da wartet er auf seinem Kirchplatz, den er für den schönsten Platz auf Gottes Erdboden hält. Warum? weil Jesus allda durchkommen sollte o, nur ein Blick auf ihn, o, nur ein Wort aus seinem Munde und mein Gang ist überreich belohnt. Das sind die Kirchgangsgedanken des Zachäus.

Meine Lieben, wer noch an menschlicher Ehre hängt oder wer innerlich vom Reichtum oder vom Reichwerdenwollen lebt, der wird immer viele Hindernisse finden und sagen: Ich kann nicht kommen, ich bitte dich, entschuldige mich. Wer aber die tiefe Schmach der Sündenknechtschaft und die Schande seiner Schuld vor Gott erkannt, wer geistlich arm geworden ist und nun begehrt, Jesum zu sehen und einen Heiland seiner Seele zu finden, der wird die Hindernisse überwinden und ein so seliger Kirchgänger werden wie Zachäus, der eilt dann am Sonntagmorgen hierher ins Vaterhaus, und wenn er hereintritt, so grüßt ihn Christi Gestalt im Bilde, und Alles hier, Glocke und Orgel, Kanzel und Altar sprechen vernehmlich zu ihm: Allhier soll Jesus heute durchkommen. Da geht er still in seinen Kirchstuhl, da harrt und wartet er auf Ihn und betet: O, nur ein Blick aus seinem Auge, o, nur ein Wort aus seinem Munde für mein armes hungerndes und dürstendes Herz! Wer solchen Kirchgang hält, der soll auch erfahren die selige Einkehr des Herrn.

II.

Jesus kommt vorüber. Zachäus sieht den Zug kommen und hört das Rauschen ihrer Füße: an der Spitze der Herr, um ihn seine Apostel, hinter ihm das lauschende Volk. Da ward Zachäus froh, und seine Seele jauchzte.

Meine Lieben, Christus der Auferstandene, der da wandelt inmitten der goldenen Leuchter seiner Gemeinde, er schreitet in seiner unsichtbaren Majestät und seiner erbarmenden Milde wahrlich hier an uns vorüber, so oft wir vor ihm feiern. Ist das aber etwa nur ein schöner Gedanke, ein Traum der Phantasie? Nein, es ist eine felsenfeste Verheißung unsers Herrn: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“ In Jesu Namen aber sind die Seinen versammelt, wenn sein Name gepredigt, wenn auf seinen Namen getauft, wenn laut seiner Einsetzung das Abendmahl gefeiert wird. Da ist Jesus in Wahrheit dabei. Rechte Predigt des Evangeliums ist nicht Menschenweisheit oder Kanzelvortrag eines Redners, sondern Predigt, die, aus Gottes Geist und Gottes Schrift geboren, Christum verkündigt, sie ist das Zeugnis Jesu Christi an seine Kirche und an die Welt, eine Kraft Gottes, die da selig macht Alle, die daran glauben. Und Sakramenthalten ist nicht eine leere schöne Zeremonie, sondern ein Feiern der Gemeinde unter dem offnen Himmel, da in der Taufe Jesus kommt und die Kindlein herzt und segnet, oder da Jesus zu uns naht am Altar und uns seinen Leib und Blut zur Speise unserer Seele gibt. Wie arm sind Gotteshäuser, auch wenn sie stolze Dome mit hohen Türmen sind, wenn ihnen die Weihe evangelischer Predigt oder die Weihe des Geheimnisses im Sakrament fehlt. Denn darin steht die einzige Herrlichkeit unserer Gottesdienste, dass Jesus bei uns einkehrt mit seinem Wort und Sakrament und uns darin austeilt die Vergebung der Sünden voll und ganz.

Dazu kommt aber, dass er sich selbst einlädt. Als Jesus unter dem Maulbeerbaum steht, da hebt er sein Auge auf und gewahrt den Zachäus trotz Zweigen und Blättern, ja er ruft ihn bei Namen, er erfüllt an ihm, was geschrieben steht: „Ehe sie rufen will ich antworten“; ehe Zachäus die Lippen öffnet, antwortet er dem tiefsten Verlangen seiner Seele und spricht: „Zachäe, steig eilend hernieder, denn ich muss heute in deinem Hause einkehren.“ Das ist die Selbsteinladung Jesu, wodurch er an dem Zöllner tut über Bitten und Verstehen.

Meine Lieben, wenn der Herr hier durch eure Reihen schreitet mit seinem Wort, so fragt sein Auge nach einem Jeden unter euch, und Keiner soll sagen: der Herr hat meiner vergessen. So oft dich ein Wort in der Predigt trifft, sei's dass es deine Sünde straft oder dein betrübtes Herz tröstet, so oft du recht von Herzen hier mitsingen und mitbeten kannst, so oft du sagen musst: das geht mich an ist es denn nicht deines Heilands Stimme, die dich bei deinem Namen ruft: „Du, du, steig eilend hernieder, ich muss heute bei dir einkehren.“ Aber warum sagt der Herr: „Ich muss?“ Wer zwingt Ihn, dem Wind und Meer gehorsam sind, vor dem die Dämonen zittern, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden, wer will zu Ihm sagen: Du musst? Eins zwingt ihn, Eins ist stärker als seine Allmacht: seine Sünderliebe. Sie hat ihn gezwungen, für uns zu sterben, sie allein zwingt ihn auch bei uns einzukehren. Wo ein Herz mit Zachäus sagt: Ich muss Jesum sehen, da antwortet Jesu Herz: Ich muss bei ihm einkehren. Jede Predigt des Evangeliums, jede Taufe und jede Abendmahlsfeier ist nichts anderes als lauter Selbsteinladung Christi zur Einkehr in unser Herz. Bist du arm in dir - Er will kommen und dich reich machen, bist du schwach, Er will dich stark machen; bist du sündig, hässlich, jämmerlich vor deinen Augen Er will in dein Zöllnerhaus einkehren und dich rein machen durch Vergebung aller deiner Sünden. Darum mache die Tür hoch und das Tor weit, dass der König der Ehren bei dir einziehe.

Zachäus nahm ihn auf mit Freuden. Er ließ sich das nicht zweimal sagen, sondern stieg eilend hernieder, er hat es deutlich gehört und fest geglaubt, das hat ihm ein frohes Herz und eilende Füße gemacht, also dass er lief, um an der Tür seines Hauses den wunderbaren Gast zu empfangen. Wer ihn da stehen sah, wie sein Angesicht vor Freuden strahlte, wie er sich neigte und beugte vor Dem, des er nicht wert war, dass er unter sein Dach ging, der merkte bald: der Herr hatte Großes an ihm getan, des war er so fröhlich.

In dieser Freude hat Zachäus den Herrn an seinen Tisch geführt und den lieblichen Tischgesprächen gelauscht, die von des Herrn Lippen flossen. Denn es war ja auch ein Freudentag für Ihn und die Engel droben, weil hier ein Sünder Buße tat. Dem Zachäus aber erschien sein Haus und Speisezimmer wie ein Thronsaal, weil sein König bei ihm eingekehrt war.

Meine Lieben, Jesus schreitet hier vorüber und lädt sich bei dir ein. Tue wie Zachäus tat: nimm ihn auf mit Freuden. Tue es heute, tue es hier und grüße ihn mit dem Adventsliede: Warum willst du draußen stehen, Du Gesegneter des Herrn?

Lerne von Zachäus das Wörtlein „eilend“. Es gehört zur heimlichen Weisheit und zu den verborgenen Entscheidungen im Menschenleben, dass man die Zeitpunkte wahrnimmt, in denen unser Herz von Geiste Gottes berührt und ergriffen wird. Zwar Jesus Christus ist heute und gestern und derselbe in Ewigkeit, aber wir sind nicht gestern und heute und morgen dieselben, sondern sehr verschieden in Stimmung und Empfindung, bald offen, bald verschlossen dem Zuge des Geistes Gottes, das eine Mal wach geworden und hingerissen von der göttlichen Wahrheit, das andere Mal träumend und schlummernd, wie gebunden in unsern Entschlüssen. Darum sagt die Schrift: „Heute, so ihr meine Stimme hört, so verstockt eure Herzen nicht“, sondern gebraucht die empfangene Gnade Gottes - wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten. Vergiss es nicht, dass du verantwortlich bleibst für jede solche Stunde, wo der Herr an deine Tür geklopft und bei deinem Namen dich gerufen hat; du weißt nicht, ob sie dir so wiederkehrt. Wäre Zachäus nicht vom Baume gestiegen und hätte Jesum aufgenommen, vielleicht hätte er sein Lebelang ihn nie mehr erblickt. Es kann der Leichtsinn, es kann aber auch die Schwermut sagen: Nicht heute, sondern morgen! Der Leichtsinn sagt: Ich will heute noch lustig sein und das Leben genießen, die Schwermut sagt: Ich bin heute noch zu unwürdig und unvorbereitet; ich aber sage mit dem gewaltigen Schlusswort unsers Textes zu euch allen, zu den Leichtsinnigen wie zu den Schwermütigen: Ihr seid verloren ohne Jesum, „Er aber ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, das verloren ist.“ Darin liegt euer Recht, ihr Schwermütigen, Jesum aufzunehmen mit Freuden, denn für Verlorene, wie ihr seid, ist Er gekommen. Darin liegt eure Pflicht, ihr Leichtsinnigen, eilends seiner Stimme zu folgen, denn wer Dem den Rücken kehrt, der ihn in seiner Verlorenheit gesucht hat, dessen Teil wird sein bei den Verlorenen in der ewigen Nacht.

Darum bitte ich als ein Botschafter an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott, tut es heute, tut es hier, tut es eilend, wie Zachäus tat. Denn Jesus will heute zu deinem Hause einkehren und Advent bei dir halten.

III.

Zachäus lobsingt, der Herr ist voll Hirtenfreude über das gefundene Schaf seiner Herde, und die Engel im Himmel freuen sich mit - aber draußen stehen die Pharisäer und murren, dass Jesus bei einem Sünder einkehrt. Zachäus hört's, er murrt nicht über ihr Murren, sondern denkt: Sie haben Recht, aber er antwortet auf jenes Murren mit seinem fröhlichen Opfer. Wie Maria von Bethanien nach dem Nardenglas suchte, um dem Herrn ihre Liebe zu zeigen, so sucht Zachäus nach einem Dankopfer, das er dem Herrn darbringen könnte. Denn in seinem Herzen hieß es: „Wie soll ich dem Herrn vergelten alle seine Wohltat, die er an mir tut?“ Da fällt sein Blick auf seine Geldschränke und seinen ungerechten Reichtum. Er steht auf und tritt vor den Herrn und spricht: „Siehe, Herr, die Hälfte meiner Güter gebe ich den Armen, und so ich Jemand betrogen habe, das gebe ich vierfältig wieder,“ als wollte er sagen: das, womit ich der Sünde gedient, das lege ich zu deinen Füßen, dir will ich damit dienen, dir in den Armen, denen ich die Hälfte meines Vermögens gebe, und dir will ich dienen in der vierfachen Wiedererstattung dessen, was ich betrogen, damit der Pharisäer Mund gestopft und offenbar werde, dass du deine Gnade an keinen Unwürdigen vergeudet hast. Da ist sein Haus zum Tempel geworden und Zachäus ist Priester darin und steht vor seinem Herrn und bringt ihm, was er hat, zum Dankopfer, Brandopfer und Speisopfer, weil er ihm zuvor das Opfer gebracht hat, das dem Herrn gefällt: das zerschlagene Herz, das er nicht verachten will.

Meine Lieben, in dem fröhlichen Opfer des Zachäus sehen wir die edle Frucht ans der freien Gnade Gottes. Wo Jesus mit seiner Vergebung eingekehrt und mit Freuden aufgenommen ist, da wirkt sein Geist noch immer Brandopfer und Dankopfer. Lerne aber am Zachäus, was und wie du opfern sollst. Jener empfand sofort in der Scham über seinen ungerechten Mammon, was er dem Herrn zu opfern hatte; so lerne du es an deinem Beruf und Stand, an deinem Temperament, an deinen eingewurzelten Gewohnheiten, an deinen Lieblingsneigungen und Charaktersünden, was es bei dir zu opfern gilt. Wo Gottes Geist dich mahnt oder straft, da gehe hin und ändere dich in Kraft der empfangenen Gnade, bringe heut dem Herrn das Brandopfer und Ganzopfer deines Willens und deiner Lust, bring ihm das Dankopfer der Lippen und das Speisopfer deiner Werke. Wer Gnade erfahren hat durch die selige Begegnung mit Jesu, der soll's auch erweisen in der Tat und Wahrheit, dass er nicht mehr nach dem Fleisch wandelt, sondern nach dem Geist, dass er nicht mehr ein Knecht der Sünde, sondern ein Knecht Gottes und Christi geworden ist. An deinem Wandel muss es offenbar werden, dass du aus einem Zöllner ein Kind Gottes geworden bist. Lerne opfern von Zachäus und tritt dem Geiz, der so tief im Menschen wurzelt, herzhaft auf den Kopf. Es fehlt nicht an Gelegenheit; wenn gesammelt wird für die Mission unter den Heiden, für die Innere Mission unter uns, für die Krankenpflege in unserer Gemeinde, für die Armen in unserer Stadt so gedenke an Zachäi fröhliches Opfer und das Wort Jesu: „Geben ist seliger denn Nehmen.“ Und wie wir gesagt haben, dass Jesus hier durchkommt in seinem Wort und Sakrament, so steht Er auch draußen vor der Kirche vor dem Opferbecken, wie er sich einst gesetzt hat an den Gotteskasten, und sieht, was du einlegst und mit welchem Herzen du es tust; er vergisst auch des Scherkleins der armen Witwe nicht, die so viele Reiche beschämt.

Geliebte in dem Herrn, wir feiern den Anbruch des neuen Kirchenjahrs, darin der Herr uns begegnen und seine Einkehr bei uns halten will. So oft du kommst wie Zachäus und begehrst auf deinem Kirchenstuhl Jesum zu sehen, wer er wäre; so oft du ihn aufnimmst mit Freuden und opferst im Gehorsam, so soll es auch von dieser Stätte heißen: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren und denen, die also darin ein- und ausgehen. Möchte euch unsere liebe Kirche von Sonntag zu Sonntag lieber und traulicher werden durch die Einkehr des Herrn, durch die Erfahrung seiner Vergebung, durch die Tränen, die ihr darin geweint, durch die Tröstungen, die ihr darin geschmeckt, gleichwie einem das stille Betkämmerlein daheim immer unentbehrlicher und heimlicher wird durch alles das, was zwischen Gott und der Seele darin vorgeht. Möge diese Kanzel euch allen allezeit sein ein grünender Maulbeerbaum an Jerichos Straße, von dem herab Jesus gesehen und gehört wird, und möge der Altar dort im Chor euch Allen sein und werden der Tisch Jesu, wo Er euch erwartet und überschwänglich segnen will. Dann wird unsere Kirche auch im neuen Kirchenjahr uns sein ein Emmaus, wo der Herr uns das Brot bricht und unsere Herzen brennend werden und wir ihn mit den Emmausjüngern bitten: „Bleibe bei uns, Herr, auch wenn es will Abend werden und der Tag sich neigt.“ Amen.

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autoren/f/frommel_max/frommel_max_-_1._advent.txt · Zuletzt geändert: von aj
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