Fritsch, Johann Heinrich - Am ersten Pfingsttag.

Fritsch, Johann Heinrich - Am ersten Pfingsttag.

Gott sei uns gnädig und segne uns, und lasse sein Licht uns leuchten, dass wir auf Erden seinen Weg und unter allen Völkern sein Heil erkennen. Amen.

Seitdem der Tag der Pfingsten, meine christlichen Freunde, zum ersten Mal christlich gefeiert, seitdem an diesem Tag, den wir heute wiederum feiern, Jesus Christus und seine Lehre zum ersten Male zu Jerusalem von den Aposteln öffentlich verkündigt und die christliche Kirche daselbst gegründet wurde, seitdem hat diese letztere allerdings manche Veränderungen erfahren und erscheint jetzt in ihrer äußeren Gestalt, wie in ihrem inneren Wesen, freilich ganz anders, als damals. Indessen waren wenigstens mehrere der äußeren Veränderungen und gänzlichen Umgestaltungen notwendig und hingen mit der Ausbreitung des Christentums selbst und mit der Vermehrung und Vergrößerung der christlichen Gemeinden wesentlich zusammen. Aber man mischte auch bald in die einfachen göttlichen Lehren des Christentums menschliche Weisheit ein, und ein nun beginnendes Streiten über die Vorstellungen, die man sich davon machen, und über die Ausdrücke, welche man davon gebrauchen solle, spaltete nicht nur die einfache christliche Kirche in eine vielfache, sondern führte auch menschliche Meinungen und Deutungen, als Glaubenslehren, in die Kirche ein, welche zum Teil die eigentlichen christlichen Lehren verdrängten oder doch entstellten und verdunkelten. Und wie gänzlich verändert wurde der christliche Gottesdienst! Wie glänzend und prunkend und wie unverständlich und zweckwidrig zugleich! Welche Menge von äußerlichen Gebräuchen, Übungen, Festen, Beichten, Bußen und selbst so manche Tändeleien, kamen in ihm zusammen! Des Buchstabens ward immer mehr, des Geistes immer weniger. - Weit, sehr weit hatte man sich von dem wahren Christentum und von der ursprünglichen christlichen Kirche wieder entfernt; einem Heiden, und Judentum hatte man sich wieder genähert.

Hier und da fühlte man dies in der Kirche stark genug; einzelne Stimmen erschollen, die da riefen: zurück! einzelne Gemeinden, in innigem Vereine, rissen sich von der ihnen unchristlich gewordenen Kirche los, um das verlorene Christentum wieder zu ergreifen und fester zu halten. Aber mächtiger und allgemeiner und erfolgreicher als sie, rief ein Luther, und bald nach ihm, ein Zwingli: zurück, und strebten bis dahin zurück, wo die Kirche vom wahren Christentum abgewichen war, um von da einen anderen Weg, den lichteren, wärmeren, sicheren Weg des Evangeliums Jesu wieder vorwärts zu führen. Unvergessliche, große, von Gott erkorene Männer! Möchte die evangelische Kirche in eurem Geist und Herzen und eurer würdig auf diesem Weg vorgedrungen sein!

Aber nach allen diesen hören wir wiederum in unseren Tagen, nicht erst von außen her, sondern auch in der evangelischen Kirche selbst den Ruf erschallen: „Zurück, zurück!“ Immer und immer dringender ruft uns die Kirche, von welcher wir ausgeschieden sind, und welche sich für die allein rechtgläubige und allein seligmachende hält, in ihren Schoß zurück, und wendet alle mögliche Mittel an, immer Mehrere dahin zurück zu führen. Aber auch in unserer Kirche selbst äußert sich hier und da stark genug die Meinung, dass man sich seit Luther wiederum ziemlich weit von dem Glauben der Väter, von der eigentlichen christlichen Lehre, selbst von den Lehren und Vorstellungen entfernt habe, welche auch Luther noch als Kirchenlehren gelten ließ; man fürchtet wieder, obwohl auf eine andere Weise, als vorhin, zu einem Heidentum zu kommen! und so ruft man denn abermals: zurück, ja man strebt hier und da sichtbarlich genug in Vorträgen und Schriften wirtlich zurück zu alten Lehrmeinungen, Vorstellungen, Gebräuchen, und zu veralteten Redensarten und Ausdrücken, und damit geht man gar auch zum Teil wieder in den Aberglauben, die Verkehrtheiten, die Finsternisse ein, welchen sich die evangelische Kirche seither fortschreitend immer mehr entwunden hatte.

Aber diesem zwiefachen Ruf können wir, dem einen so wenig als dem anderen, um des Gewissens willen. Gehör geben und folgen. Was uns indessen, dem Geist unserer Kirche gemäß, hierbei obliegt, ist lediglich das, dass wir prüfen, ob wir in solchen Stücken, in welchen wir der ersten christlichen Kirche hätten gleich und getreu bleiben sollen, uns wirklich von ihr entfernt haben, und wiefern wir demnach zu ihr würden zurückkehren und ihr wieder ähnlich werden müssen. Und dies wollen wir nun einmal, wollens heute, an dem festlichen Tag, an welchem wir die Stiftung des Christentums, die Gründung der christlichen Kirche feiern, hier miteinander überlegen, und Gottes heiliger Geist, der Geist der Wahrheit, erfülle, regiere und stärke uns dabei!

Evangelium: Joh. 14,23-31.

Das waren die Worte Jesu über seine Lehre: „Das Wort, das ihr hört, ist nicht mein, sondern des Vaters, der mich gesandt hat;“ - und als Gottes Wort nahm sie die Kirche an. Ist nun unsere Kirche dem treu geblieben? Halten, ehren, benutzen wir sie noch als Gottes Wort? Oder haben wir uns in dieser und anderer, damit zusammenhängender, Absicht von der ersten christlichen Kirche entfernt! und wiefern hätten wir demnach Ursache, zu ihr zurückzukehren? - Wir wollen uns hierüber mit einander Belehrung und Wahrheit suchen.

Über die Rückkehr christlicher Gemeinden unsrer Zeit zur ersten christlichen Kirche wollen wir also gemeinschaftlich ernste Betrachtungen anstellen. Diese würde aber bestehen können, oder müssen in einer Rückkehr - zur Einfachheit ihrer Lehre und ihres Glaubens; - zur Innigkeit ihres Verbandes; - zu ihrem Eifer für das gemeinschaftliche Christenbekenntnis; - und zu ihrer regen, kräftigen Tätigkeit für Heiligung und Gottseligkeit.

Dies Alles zeichnete die erste christliche Kirche so vorteilhaft, so herrlich aus, das müssen auch jetzt noch herrliche Zeichen wahrhaft christlicher Gemeinden sein.

„Wer mich liebt,“ spricht Christus, „der wird mein Wort halten. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein, sondern des Vaters, der mich gesandt hat.“ An diesen Worten sollen wir also halten, bei dieser Lehre bleiben, nichts willkürlich von ihr hinwegnehmen, aber auch nichts willkürlich hinzutun. Und, betrachten wir dies Wort näher, wie höchst einfach, wie Allen fasslich und verständlich ist dieses Wort; wie dringt es sich dem Verstand und dem Herzen Aller gleich mächtig auf! Denn dass Gott ein Geist, der höchste, der Vater aller Menschen - dass Jesus Christus der Sohn Gottes und zum Heil der Welt zur Erde erschienen sei; - dass Gottes Geist zum Glauben und zur Heiligung stärke; - dass ein ewiges Leben und eine einstige gerechte Vergeltung uns Alle erwarte; - dass die Sünde des sich bessernden Menschen von dem liebevollen Vater im Himmel vergeben werde; - dass mithin Tugend und Gottseligkeit der Weg zur ewigen Seligkeit sei; - das, meine Freunde, war der Kern der Lehre Jesu, das war der einfache Glaube der ersten Christen. Aber wie sehr ist die nachmalige Kirche von dieser Einfachheit der Lehre und des Glaubens abgewichen; wie hat sie bloße Ausgeburten menschlichen Witzes in Erklärungen und Deutungen über diese Lehren mit ihnen selbst verbunden und ihnen gleichgestellt! Wie viele andere Lehren und Meinungen hat man höchst willkürlich in die christliche Kirche aufgenommen, so dass die heilige Schrift nichts von ihnen weiß, und sie nur menschliche Erfindung, menschliches Werk waren! Wie weit war man also schon in Absicht der Lehre des Christentums von der ersten christlichen Kirche abgekommen!

Als sich daher die Kirche erneute, als die evangelische Kirche das Christentum, wie es von Jesu und den Aposteln gekommen war, wieder herzustellen strebte, musste man jene Kernlehren des Christentums aus dem Schutt menschlichen Wahns und Irrsals hervorziehen, von ihren Schlacken säubern, und die im Laufe der Zeit hinzugekommenen, willkürlichen, unchristlichen Lehren wieder aus der Kirche entfernen. Und weil dies der Zweck und das Geschäft dieser Kirche war, - dieser Kirche, zu welcher wir uns Alle noch freudig bekennen,- so müssen wir uns auch forthin an diese einfache, ursprüngliche Christuslehre halten und weder auf der einen, noch auf der anderen Seite uns je wiederum von ihr entfernen.

Oder wäre dies von uns geschehen und werden in der evangelischen Kirche etwa noch andere Lehren, als christliche, außer jenen wahrhaft christlichen, verkündigt? zeigen nicht die Lehrer derselben lediglich aus dem göttlichen Worte, dass die Lehren, die sie predigen, in demselben gegründet sind, wenn sie gleich deren verschiedene Anwendung im Leben nach eigner frommer Betrachtung darstellen? - Mithin, wenn man zurückführen wollte auf Meinungen oder Vorstellungen, welche bloß willkürliche, menschliche Schöpfungen späterer Zeiten waren; - wenn man Sätze für Wahrheiten annehmen und zu Glaubenslehren machen wollte, welche die erste Kirche eben so wenig als Jesus und seine Apostel kannten und lehrten; wenn man uns wieder Lehren und Grundsätze aufdringen wollte, welche die evangelische Kirche als nichtchristliche verworfen hat; - man würde uns dann eben soweit wieder von der ersten christlichen Kirche entfernen, als die Reformation uns derselben genähert hat; man würde das wahre, echte Christentum, das wir ergriffen haben und bis dahin festhielten, uns wieder entreißen! Und dahin wollen wir nicht! Das soll nimmer geschehen! Dem wollen wir widerstehen in des Glaubens und der Überzeugung Kraft, und die Krone, die wir haben und halten, uns durch nichts rauben lassen!

Ja vielmehr, wenn wir nach ernstlicher Prüfung fanden, dass wir auch in unserer evangelischen Kirche noch einzelne Meinungen als christliche Lehren aufstellten, die in Jesu und der Apostel Lehren nicht gegründet und ihr vielleicht noch aus früherer Zeit geblieben wären, wir würden uns auch von ihnen immer mehr loszumachen streben müssen, um die reine, wahre Lehre Jesu, die wir begehren, zu besitzen und zu bekennen. So würden wir uns der einfachen Lehre der christlichen Kirche immer mehr nähern müssen.

Aber vielleicht ist die evangelische Kirche auf der anderen Seite von jenem ursprünglichen, einfachen Christenglauben abgewichen? vielleicht erkennt sie selbst manche jener Hauptlehren des Christentums nicht an und zweifelt an ihrer Wahrheit und Göttlichkeit? Der evangelischen Kirche überhaupt kann man dies nicht vorwerfen; sie hält an jenen christlichen Grundlehren unwandelbar fest. Wohl aber mag es von einzelnen Gliedern derselben gelten, welche im Gebrauch ihrer evangelischen Freiheit zu weit gingen. Und wohin anders sollen wir diese so Abgewichenen rufen, als zu eben diesen reinen Christuslehren zurück? zu diesen Lehren, die mit unserer Vernunft so innig zusammenstimmen; die den Glauben an sie Jedem aufdringen, der nur den redlichen Willen zu glauben hat; die sich dabei so eng und treu an Herz und Gewissen anschließen? - Denn wer auch diese verleugnet, dem kann überhaupt kaum Religion noch etwas gelten. Er verliert den einzigen Frieden, den Jesus in diesen Lehren gibt und den die Welt nicht geben kann. Er opfert die Ruhe seiner Seele dem Zweifel, sein Glück dem Verderben. - Dem so Abgewichenen rufen wir zu: „Kehre zurück! zurück zu dem verlassenen, einfachen, trostvollen, beseligenden Glauben, der das schöne Teil der ersten christlichen Kirche war! den du vielleicht nur verleugnest, weil du ihn nicht recht kanntest; in dem du wohl nur Menschenwahn, womit du ihn selbst irrig vermengtest, verabscheutest, der, wohlgeprüft, dir aufs Neue fromme, stärkende Überzeugung werden wird!“

Kann man nun dies den Christen unserer Zeit und besonders den Gliedern unserer Kirche nur teilweise zurufen: bei dem einfachen Glauben der ersten christlichen Kirche zu bleiben, und, verließen sie ihn, wieder zu demselben zurückzukehren, so scheint man allgemeiner das andere: „auch zur Innigkeit des Verbandes in der ersten christlichen Kirche zurückzukehren,“ den Gemeinden unserer Kirche zurufen zu können.

„Meinen Frieden geb' ich euch!“ spricht Jesus zu seinen Jüngern. - Friede, herzliche Eintracht und Liebe sollte unter den Seinen herrschen. Ein Jeder sollte es daran erkennen, dass sie seine Jünger wären, dass sie Liebe unter einander hätten. - Und darauf drangen auch die Apostel. Wie ein Glaube, eine Taufe wäre, so sollte auch die christliche Kirche, wie ein Leib, so ein Geist sein; Christen sollten eines Sinnes sein, gleiche Liebe haben, einmütig und einhellig sein. Sie sollten Gutes tun an Jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen. - Und man kann nicht leugnen, dass ein solcher engerer Verband, dass Eintracht und Liebe im Sinn und in tätiger Wirksamkeit für einander in der Kirche das Streben der Apostel war. Das förderten auch alle von ihnen in der Kirche gemachte Einrichtungen, die Vereinigungen im Gottesdienst, die gemeinschaftliche Feier des Abendmahls von der ganzen Gemeinde, die mit demselben verbundenen Liebesmahl, die angeordneten Almosen und Unterstützungen für die Armen und Notleidenden in der Gemeinde; - das Alles wirkte sehr zur Befestigung des herrlichen Bandes, welches die Religion um sie geschlungen hatte. Und wie hingen die ersten Christengemeinden an ihren Lehrern, Vorstehern und Ältesten, die sie leiblich und geistig pflegten: wie waren sie durch diese auch unter einander als Glieder mit dem allgemeinen Haupt, Christus vereint! Wie standen sie daher in der Liebe Jesu Christi, ihres Herrn!

Möchte dieses Band doch noch also bestehen, und nicht, wie leider geschehen ist, zum Teil durch die allgemeinere Verbreitung des Christentums und durch die Erweiterung und Vergrößerung der Gemeinden, zum Teil auch durch den Geist der Zeit immer mehr aufgelöst sein! Denn was gilt es wohl noch dem Bruder, dass der Andere auch ein Christ, oder dass er Mitglied derselben christlichen Gemeinde ist? - Wie kränkt, wie vervorteilt, wie verleumdet ein Mitglied der christlichen Kirche, ein Mitglied der Gemeinde das andere! Wie bezieht man fast Alles im Leben auf das äußere Geschäft, auf Gewerbe und Gewinn, mithin auf seinen Vorteil, auf Befriedigung seines Eigennutzes: des Lebens in der Kirche, des Lebens in der Gemeinde, des Lebens als Christen für einander, des religiösen Bandes, welches uns zusammenknüpft, wird wenig oder gar nicht geachtet! - Und wie schwach sind demnach auch die Bande geworden, welche den Prediger an seine Gemeinde knüpfen! Wie ist er doch immer mehr und mehr mit seiner Wirksamkeit nur auf das Haus, worin er predigt, oder wo er die zur ersten Abendmahlsfeier vorzubereitenden Kinder in der Religion unterrichtet, beschränkt, sonst fast gänzlich aus der Gemeinde verwiesen! Wie gilt er so Vielen höchstens nur als öffentlicher Lehrer, und zwar Vielen nur durch die ihrem Geschmack zusagenden, ihren Kunstsinn beschäftigenden, ihr dunkles Gefühl ergreifenden und aufregenden, oft auch nur ihre Augen unterhaltenden und ihre Ohren kitzelnden Vorträge, welche er hält; - wie klar er für ihre Erkenntnis, wie stark er für ihre Überzeugung, wie ermahnend und belebend er für das Herz zur Heiligung und Gottseligkeit rede, am wenigsten berücksichtigend. Freund, Ratgeber, Tröster, Führer der Gemeinde zu sein, bat er längst aufgehört; durch häusliche, freundliche Zuspräche und Ermahnungen fortdauernd wahre Sittlichkeit und tätiges Christentum in der Gemeinde zu fördern - davon hat er längst großenteils abstehen müssen. - Und wie nachteilig hat dies auf den religiösen Wert der Gemeinde, auf ihre Frömmigkeit und Sittlichkeit eingewirkt!

Dass es in dieser Hinsicht demnach wieder anders, dass es wieder werde, wie es in der ersten Christenheit war, wie sehr, meine Freunde, ist dies zu wünschen, wie heilsam würde dies auch unsern Gemeinden sein. Darum lasst uns hierin zur ersten christlichen Kirche zurückkehren, teure Christen! Befestigt, zieht es enger wieder zusammen, das Band, das euch als Christen, das euch als Glieder christlicher Gemeinden verknüpft! Schließt euch wieder mit Innigkeit und Vertrauen, mit Liebe und Freude Alle an eure Lehrer und Führer auf dem Wege der Gottseligkeit und des Heils an, eure Herzen gern ihren öffentlichen Lehren und eben so gern auch ihren besondern Ermahnungen öffnend; - o, dieses Band wird euch zugleich fester an ein wahrhaft christliches und frommes Leben, an ein Leben für Heiligung und Gottseligkeit knüpfen! - So werdet immer mehr wieder eurer Lehrer Ehre und Freude und Hoffnung, und Krone ihres Ruhms! - Und so liebt euch auch wieder, als Glieder derselben christlichen Kirche, als Glieder eurer christlichen Gemeinde, unter einander herzlich und brüderlich, wie Christus die Gemeinde geliebt hat, und in dieser Liebe werdet Einer dem Andern zum Vorbilde, zur Besserung! - So, so müsse es wieder unter uns - hierin müsse unsere evangelische Kirche der ersten christlichen Kirche wieder ähnlich werden!

Worin ferner wieder mehr Ähnlichkeit zwischen den Christen unserer Zeit und den ersten Christen zu wünschen ist, das ist der Eifer für das gemeinschaftliche Christenbekenntnis, welcher in unseren Tagen an Stärke verloren zu haben scheint. Möchten sie demnach auch in diesem Stücke zu jener ersten christlichen Kirche zurückkehren und diese auch hierin wieder darstellen!

Denn dieser Eifer für ihr Christenbekenntnis erfüllte diese so ganz, - von ihm war sie so entbrannt, dass nichts, nichts auf Erden ihr über dies Bekenntnis ging, nichts sie davon abwendig machen konnte. Wie Christus voll hohen Muts ausrief: „der Fürst dieser Welt hat nichts an mir!“ - wie die Apostel ganz befolgten, was er ihnen zusprach: „Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht,“ so gingen auch die ersten Christen mit freudigem Mute den Martern, die man ihnen drohte, dem schrecklichsten Tode, der ihrer wartete, entgegen, und verleugneten dennoch ihr Christenbekenntnis nicht. Sonntäglich versammelte sich die ganze Gemeinde, nur die Kranken ausgenommen, zur gemeinschaftlichen Andacht; da ließen sie das Wort Christi unter sich reichlich wohnen in aller Weisheit; da wurde gelehrt und ermahnt, da wurden Psalmen und Lobgesänge und geistliche liebliche Lieder gesungen dem Herrn aus des Herzens Fülle; da feierte man, was die Apostel vom Herrn empfangen und ihnen gegeben hatten, in der ganzen Versammlung das heilige Mahl des Herrn. Wer ohne Ursachen diese christlichen Versammlungen versäumte oder gar zu versäumen pflegte, der wurde erst getadelt und wiederholt brüderlich ermahnt, und, wenn das Wort der Liebe und das Wert ernster Erinnerung nichts fruchtete, verachtet und zuletzt aus der Gemeinde ausgestoßen. Unchristliche Christen duldete man in jener christlichen Kirche nicht. Solche Achtung, solche Liebe, solchen Eifer hatten sie für das gemeinschaftliche Bekenntnis.

Und wenn auch hierin sich mit dem Fortgange der Zeit und selbst mit der Vergrößerung der Gemeinden Manches abändern, Manches gar aufhören musste, müsste es dahin kommen, wohin es leider in den neuesten Zeiten gekommen ist und noch immer mehr zu kommen scheint? - Denn wie vielen Christen ist jetzt ihr Christenbekenntnis sehr gleichgültig! wie manche würden es heut zu Tage bei ähnlichen Martern, welche die ersten Christen zu erdulden hatten, bald aufopfern, wie sie ja so leicht um zeitlichen Gewinns und Vorteils willen, es fahren lassen und zu einem anderen übergehn! Wie Vieler Christentum besteht doch in nichts weiterem, als dass sie getauft und ein oder zweimal zum Abendmahl gegangen sind; in den heiligen Versammlungen der Christen sieht man sie nicht und eben so fern halten sie sich von der christlichen Abendmahlsfeier! So können Manche wohl Jahre lang in dem Bezirke einer Gemeinde wohnen, ohne mit den Predigern derselben in irgend eine Berührung zu kommen, ohne auch nur einmal an dem öffentlichen Gottesdienste derselben Teil zu nehmen, ja ohne dass man von ihnen weiß, welches Religionsbekenntnisses sie denn eigentlich sind. - Wie weit haben wir uns - denn dieser Leute finden sich leider in jeglicher Gemeinde und oft mehrere - von der ersten christlichen Kirche in unsern Tagen entfernt!

Nein, das ist unsrer nicht würdig, christliche Freunde, und die traurigen Folgen davon sind im Leben und Wandel so Mancher unverkennbar. Darum lasst uns zurückkehren zu dem frommen Eifer der ersten Christen für ihr Christenbekenntnis! Um seinetwillen zu leiden, zu verlieren, zu sterben, - Gott sei gelobt! - das fordern in diesen unsern Gegenden die gegenwärtigen Zeilen nicht. Aber dasselbe zu ehren und heilig zu halten, mit den Brüdern uns zur Anbetung und frommen Erbauung fleißig zu vereinen, mit ihnen oft und freudig zu feiern das Mahl des Herrn - dazu mahnen sie uns um so mehr, als wir jetzt fast mehr, als je, dieser Stütze des christlichen Glaubens und der heilbringenden Gottseligkeit bedürfen. Christen unsrer Tage! Lasst uns an diesem Pfingstfeste es geloben, auch in diesem frommen Eifer für unser Christenbekenntnis der ersten christlichen Kirche wieder ähnlicher zu werden!

Endlich aber lasst uns ihr auch ähnlich werden in reger, kräftiger Tätigkeit zur Förderung der Tugend und Gottseligkeit selbst!

Es sei fern von mir, die erste christliche Kirche als durchaus heilig und musterhaft in Tugend und Gottseligkeit zu preisen und zu empfehlen. Mehr als ein ernster Spruch in den Briefen der Apostel an die ersten christlichen Gemeinden belehrt uns, dass es auch unter ihnen manche der Sünde und den Lüsten ergebene Glieder gab. Aber sie waren ja auch so eben erst aus der Verderbtheit des Judentums und der Verwilderung des Heidentums in die christliche Kirche übergegangen; sie hatten erst zu arbeiten, um los zu werden des alten, verderbten Menschen, und den neuen, nach Gott geschaffnen Menschen anzuziehn in rechtschaffner Gerechtigkeit und Heiligkeit. Und hierin ließen sie es an redlichem Eifer und treuer Arbeit nicht fehlen. Im öftern Gebete um Kraft zu Gott flehend gelang es ihnen, sich loszureißen von dem bisherigen verkehrten Wandel; losgerissen davon ermahnten sie sich dann unter einander, zu stehen, nicht wieder zu fallen, zu überwinden, und als neue Kreaturen in Christo dem zu leben, der für sie gestorben und auferstanden war. Und so lesen wir schon in den Briefen der Apostel der herrlichen Zeugnisse nicht wenige über ihre gemachten Fortschritte in der christlichen Erkenntnis, über ihren Wachstum in der Heiligung und Gottseligkeit.

Wir aber, meine Brüder, werden von Jugend auf über die Gottseligkeit des Christentums belehrt, zu ihr gezogen, gebildet, ermuntert; wir dürften denn nur folgen und dabei bleiben im Leben, um die besten, die würdigsten, die Gott wohlgefälligsten Christen zu sein. Aber wir gehen hin in das Leben und in seine Geschäfte und Zerstreuungen, Genüsse und Vergnügungen, Reizungen und Verführungen, und ersticken das heilsame Wort und bringen keine Frucht. Wie Viele gibt es wohl, die mit Fleiß an ihrer eignen Besserung arbeiten? wie Wenige, die sich dazu geflissentlich stärken im Gebete vor Gott? oder die andern ermuntern und ermutigen auf dem Wege der Heiligung? Wo sind die Eltern, die religiös ihren Kindern zusprechen, sich mit ihnen vereinen zu heiligenden Gebeten, sie ermuntern und beleben, den Weg der Tugend zu wandeln, und sie hinweisen auf das herrliche Ziel dieses Weges, auf die Krone, die an diesem Ziele prangt? Wo ist das häusliche, wo das gesellige Leben, in welchem man sich von den heiligen, tröstenden Wahrheiten der Religion unterhält, und sich durch sie in der Trübsal und für den Kampf der Tugend gemeinschaftlich stärkt? Welche ganz andere Gegenstände der vergänglichen Welt haben sie, - das Wert, das doch in Ewigkeit bleibt, - aus allen diesen Kreisen verdrängt!

Brüder! Wie sehr streben wir auch hierin den ersten Christen nach! Wie haben wir uns von ihnen entfernt! - O lasst uns zu ihnen, lasst uns zu ihrer regen, kräftigen Tätigkeit für alles Gute, für Heiligung und Tugend zurückkehren! Lasst es uns zu unsrer höchsten Freude machen, besser zu werden und andere mit uns zu bessern! Lasst uns, wie sie den alten Menschen des Heidentums und Judentums ablegten, so den alten, bisherigen, unchristlichen, sündlichen Menschen ausziehen, den wir leider, auch als Christen wieder angezogen hatten. Es wird uns gelingen, wenn wir redlich wollen, wenn wir die Wirksamkeit der Mittel dazu, die unter uns sind, kräftig fördern, wenn wir ernstlich darum zu unserm Gott beten; - er wird uns dazu heiligen und stärken!

Das, das sei unsere Rückkehr zur ersten christlichen Kirche; diesen Rückweg wollen wir antreten und keinen anderen! Die einfache Lehre Jesu, wie sie die erste christliche Kirche hatte, wollen wir festhalten in frommem Glauben, nicht aber wieder ergreifen die Menschensatzungen und unbiblischen Lehren, wodurch eine spätere Zeit sie entstellt hatte. Inniger, als bisher, und zu herzlicherer Liebe, soll uns das Band der Religion, das Band der Kirche, das Band der christlichen Gemeinde verknüpfen, nicht aber wollen wir es noch und immer lockerer werden lassen, wie bisher! Ehren wollen wir und feiern unsrer Überzeugung nach, fleißiger und würdiger, als bisher, unser Christenbekenntnis im öffentlichen Gottesdienste und in der Teilnahme an dem heiligen Mahle des Herrn, keineswegs aber ferner jene Versammlungen und diese heilige Feier verlassen! Mit allem Eifer, mit Wachsamkeit, mit ernster Tätigkeit wollen wir arbeiten an unserer und an der Brüder sittlichen Besserung und Gottseligkeit, und so schaffen, dass wir und dass sie mit uns selig werden.

Möge uns Alle dazu die Erinnerung an die erste christliche Kirche heute angemahnt und ermuntert ha, den! Möge die Betrachtung, welche wir heute darüber anstellten, diese Rückkehr zu dem wahrhaft Bessern der frühern Zeit fördern; mag sie Keinem unter uns fruchtlos bleiben!

Aber du, meine geliebte Gemeinde, mit welcher ich nun schon zwanzig Jahre lang verbunden lebe, - du, der ich stets und unveränderlich die einfache, von Menschensatzungen und Aberglauben reine Christusreligion predigte, die ich in, wahrlich mehr als zweitausend Vorträgen zum Glauben stärkte, zur Heiligung ermunterte, auf den Pfad der Wahrheit und des Lebens leitete, möchtest du mir die Freude, die beseligende Freude gewähren, dass du fest und treu an dieser Lehre hieltest und dass keines deiner Glieder weder den Weg des Unglaubens und des Leichtsinns, noch auch den Weg törichten Aberglaubens und verblendender Frömmelei beträte! Möchten wir verbunden, auch forthin in herzlicher gegenseitiger Liebe, in gegenseitigem zuversichtlichem Vertrauen, und immer fester verbunden leben! Würde der Eifer für unser Christenbekenntnis, für diesen Gottesdienst an dieser heiligen Stätte, für die Feier des Mahls Jesu an jenem Altäre immer größer und allgemeiner, wie einst bei der ersten Christenheit! - Müsste ich nicht auch in deinem Umkreise noch so manche Personen, so manche Häuser wissen, welchen unser Gottesdienst und Abendmahlsfeier gleich fremd ist, und mit denen ich als Prediger, noch wenig oder gar nicht in Berührung kam! Wiche auch aus dir immer mehr die Liebe zur Sünde, der Müßiggang, die Ungerechtigkeit, die Lieblosigkeit, das Laster; wüchse dagegen Frömmigkeit und Heiligung - trüge das Gute, das auch durch mich in dir gepflanzt ist, immer reichere und herrlichere Früchte!

Doch der größere Teil von dir ist auch der bessere, und viele Glieder sind mir ja als solche bessre, näher bekannt. Darum darf ich hoffen, freudig das immer Bessre hoffen! O erfüllt meine Freude Alle, ihr Glieder meiner lieben Gemeinde! Erfüllt sie seit diesem Pfingsttage mehr, mehr noch als bisher! - Wie lange die Vorsehung uns noch verbunden erhalten wird? - Wer mag in ihren Rat bringen? Aber wenn sie mich einmal von euch ruft, dann möge ich, wie Paulus von seinen Thessalonichern, von euch sagen können: „Ihr seid meine Freude, meine Hoffnung, meine Ehre vor unserem Herrn Jesus Christ.“ O dass dieser Wunsch, diese Hoffnung, dieses mein Gebet für euch ganz erfüllt werde! Amen.

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autoren/f/fritsch_johann_heinrich/fritsch_1_pfingsttag.txt · Zuletzt geändert: von aj
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